3.2.7 Die Folgeerkrankungen des Alkoholismus Es war zu erfahren, dass die Ursachen für eine Abhängigkeitserkrankung in der Lebensgeschichte der betroffenen Menschen liegt. Bevor jemand anfängt problematisch zu trinken, liegt also bereits eine Störung vor. Manche Therapeuten sprechen auch von einer Störung von Krankheitswert, die den späteren Alkoholiker dazu veranlasst im Alkohol ein Heilmittel zu sehen, mit dem er diese Vorerkrankung behandelt. Nun handelt es sich bei dem „Heilmittel Alkohol“ allerdings auch um ein Gift mit Nebenwirkungen, genauso wie das bei vielen anderen Heilmitteln oder Medikamenten auch der Fall ist. Eine dieser Nebenwirkungen des Alkohols ist sein Suchtpotential, welches dazu führt, dass die Menschen, die sich mit diesem „Heilmittel“ selbst behandeln davon abhängig werden können. Wenn diese Menschen nun von dem „Heilmittel Alkohol“ abhängig geworden sind, führen sie ihn in so großen Mengen zu sich, dass das Heilmittel nun auch seine giftige Wirkung auf den Organismus ausübt. Der Alkoholkranke vergiftet sich also zunehmend und muss dadurch eine ganze Reihe von Folgeerkrankungen erleiden. Über diese Folgeerkrankungen sind viele dicke medizinische Bücher1 verfasst worden, so dass an dieser Stelle nur ein kleiner Überblick darüber gegeben werden soll, der die spektakulärsten und verbreitetsten Alkoholfolgekrankheiten kurz beschreibt. Leberschäden sind die häufigsten und bekanntesten Alkoholfolgekrankheiten. Es gibt die Fettleber, die Leberzirrhose und verschiedene Formen der Gelbsucht (Hepatitis). Da der Alkohol fast ausschließlich von der Leber abgebaut wird, ist dieses Hauptstoffwechselorgan am stärksten durch die Droge belastet. Schon bei relativ geringen Mengen an Alkohol reagiert die Leber und der Arzt kann erhöhte Leberwerte feststellen. Diese bilden sich aber wieder zurück, wenn der Patient seinen Alkoholkonsum reduziert oder einstellt. Wenn aber über längere Zeit größere Mengen alkoholischer Getränke konsumiert werden, kann es zu schwereren Schäden kommen. Die kritische Menge liegt bei Männer bei etwa vier Flaschen Bier oder einer Flasche Wein täglich. Diese Menge über einen länge1 Z.B. Singer/Teysen (Hrsg) Alkohol und Alkoholfolgekrankheiten – Heidelberg, 1999 123 ren Zeitraum getrunken führt zunächst zu einer Verfettung der Leber, weil die Leberzellen das überschüssige Fett nicht mehr abführen können und stattdessen speichern. Der Arzt kann dann die vergrößerte Leber leicht ertasten. Durch die Verfettung nimmt nun die Funktionsfähigkeit der Leber ab, sie arbeitet nicht mehr so gut. Auch in diesem Stadium ist durch eine Diät und eine Alkoholabstinenz noch eine Heilung zu erwarten. Während die Fettleber noch behandelt werden kann und sich bei gesunder Ernährung sogar zurückbildet, ist dies bei der Leberzirrhose nicht der Fall. Sie kann sich sogar weiterentwickeln, wenn der Patient bereits abstinent ist. Oftmals geht der Leberzirrhose eine alkoholbedingte Hepatitis voraus. Diese Leberentzündung kann die geschwächte Fettleber befallen und sich so weiterentwickeln. Die Ärzte haben errechnet, dass eine Fettleber sich nach durchschnittlich zehn ein halb Jahren zu einer Leberzirrhose entwickelt. Als Vorläufer der Zirrhose wird auch die Leberfibriose betrachtet. Hier bildet sich Bindegewebe, jedoch wird dabei noch kein Lebergewebe geschädigt. Bei der Zirrhose handelt es sich darum, dass, laienhaft gesprochen, verletztes Lebergewebe vernarbt und somit zu Bindegeben wird. So zersetzt sich die ganze Leber nach und nach wodurch sie ihre Abbaufunktionen nicht mehr erfüllen kann. Infolge davon treten typische Symptome auf. Es sind im fortgeschrittenen Stadium ein starkes und andauerndes Völlegefühl, häufige Blähungen, Wassersucht und besonders die Ösophagusvaritzen. Letzteres sind Krampfadern in der Speiseröhre, die durch eine Erweiterung der Blutgefäße zu Stande kommen. Das Aufplatzen dieser Krampfadern mit den inneren Blutungen, die nicht mehr gestillt werden können, ist häufigste Todesursache, die durch die Leberzirrhose verursacht wird. Grundsätzlich ist die Leberzirrhose die Folgeerkrankung an der die meisten alkoholkranken Menschen versterben. Der Grund für eine Leberzirrhose ist in den allermeisten Fällen der Alkoholmissbrauch. In seltenen Fällen können andere Erkrankung zu einer Zirrhose führen. 124 Die Bauchspeicheldrüsenentzündung (Pankreatitis) ist ebenfalls eine sehr gefährliche Erkrankung die häufig zum Tode führt. Die Symptome dieser Krankheit sind heftige Schmerzen im Oberbauch mit Durchfällen und Verdauungsstörungen. Etwa ein Viertel der von der Krankheit betroffenen Menschen sind Alkoholkranke. Bei ihnen zersetzt sich die Bauchspeicheldrüse ähnlich wie die Leber bei der Leberzirrhose. Magenschleimhautentzündungen (Gastritis) werden bei Alkoholkranken einerseits durch psychischen Stress hervorgerufen, andererseits jedoch auch durch den langandauernden Konsum hochprozentiger Alkoholika selbst. Durch die Schädigung der Magenschleimhaut kann es zu Magenbluten mit dem Erbrechen von Blut kommen. Neben den andauernden Magenschmerzen leiden diese Patienten unter Brechreiz, Völlegefühl und Appetitlosigkeit. Beim Arzt müssen die Betroffenen dann einen „Schlauch schlucken“. Diese unangenehme diagnostische Prozedur kennen die meisten Alkoholkranken. Herzmuskelerkrankungen werden heutzutage vermehrt auch dem chronischen Alkoholismus zuschrieben. Diese Krankheit äußert sich in gehäuften Herzrhythmusstörungen, Kurzatmigkeit, geschwollenen Beinen und allgemein verminderter körperlicher Belastbarkeit. Herzkreislauferkrankungen stellen allgemein die häufigste Todesursache dar, Alkoholiker sind besonders anfällig dafür. Nervenentzündungen (Polyneuropathie) sind äußerlich sehr auffällig. Die Betroffenen können sich oftmals nur noch sehr staksig bewegen, manchmal sind sie sogar auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Polyneuropathie beginnt zunächst mit Kribbeln und Schmerzen in den Beinen. Im späteren Stadium wird das Geh- und Stehvermögen durch Lähmungen in der Muskulatur auf das Schwerste gestört und die Patienten bewegen sich teilweise roboterhaft. Etwa zwanzig Prozent der Alkoholkranken sind von dieser Erkrankung betroffen. Sie bildet sich allerdings bei anhaltender Abstinenz zurück und der abstinent lebende Alkoholiker kann wieder völlig davon geheilt werden. Krampfanfälle sind etwa jedem siebenten Alkoholiker bekannt. Dabei handelt es sich u epileptische Anfälle, die meistens schlagartig, etwa ein bis zwei Tage nach der Beendigung einer längeren Trinkperiode, auftreten. Sie gehen mit einem plötzlichen Bewusstseinsverlust einher und werden von Muskelkrämpfen begleitet. Bei dauerhafter 125 Abstinenz treten diese Krampfanfälle in den allermeisten Fällen nicht mehr auf. Selten entwickelt sich eine andauernde Epilepsie. Alkoholpsychosen treten relativ selten auf. Es gibt hierbei Ähnlichkeiten zum Delirium. Die Betroffenen können nach dem Abklingen der Psychose sich noch an deren Inhalte erinnern. Dies ist beim Delirium nicht der Fall. Die Patienten hören während der Alkoholpsychose oft Stimmen, die sie sehr ängstigen. Oftmals werden sie von diesen Stimmen bewertet, beschimpft und verflucht. In Einzelfällen kann es auch zum Wahn kommen, der Eifersuchtswahn ist von vielen Angehörigen und Partnern gefürchtet. Das Delirium tremens ist die häufigste und spektakulärste psychische Störung beim Alkoholismus. Dabei handelt es sich um eine lebensbedrohliche akute „Geisteskrankheit“, die meistens nach einem plötzlichen Alkoholentzug auftritt. Manchmal kommt es auch ohne Absetzen der Droge zum Delirium. Dabei treten schwerste Angst- und Unruhezustände mit körperlichen Begleiterscheinungen auf. In ihren Sinnestäuschungen sehen die Betroffenen weiße Mäuse, Spinnen und anderes Kleingetier, welches nach ihnen trachtet. Die grausigen Geschehnisse, die diese Menschen zu durchleiden haben werden häufig von Krampfanfällen begleitet oder durch diese ausgelöst. Sie zittern und schwitzen sehr stark und müssen unter Fieber und Kreislaufschwankungen leiden. Zwanzig Prozent der Betroffenen sterben ohne rechtzeitige sachkundige Hilfe. Bei entsprechender Behandlung kann ein Delirium nach einem Zeitraum von zwei Tagen bis zu maximal zwei Wochen wieder abklingen. Es stellt immer einen akuten medizinischen Notfall dar, der intensivmedizinisch behandelt werden muss. In vielen Fällen bleiben Hirnschädigungen zurück, die später zum Hirnabbau mit verminderter Merkfähigkeit führen können. Das Korsakow-Syndrom ist die auffälligste neurologische Alkoholfolgeerkrankung weil die betroffenen Menschen oft völlig schwachsinnig wirken. Das Kurzzeitgedächtnis der Patienten ist oft hochgradig beeinträchtigt. Sie sind unfähig neue Gedächtnisinhalte zu speichern, während aber der aktuelle und unmittelbar Kontakt nicht gestört erscheint. Die Patienten sind meistens stark desorientiert und kennen während eines Krankenhausaufenthalts üblicher Weise ihre Zimmernummer, das Stockwerk, den Wochentag, ihre letzte Mahlzeit oder auch nahe Angehörige nicht mehr. Gleichzeitig können aller126 dings Teile des Alltagsgedächtnisses detailgenau widergegeben werden. Patienten mit einem Korsakow-Syndrom sind sich ihrer Defizite nicht bewusst. Die Aufmerksamkeit und die Sprachproduktion sind zwar meistens intakt, dennoch kommt es häufig zu Konfabulationen, d.h. zu Wortneuschöpfungen und Erzeugung von unzusammenhängenden irrealen Wörtern und Sätzen. Menschen mit einem KorsakowSyndrom zeigen oft noch andere alkoholbedingte neurologische Symptome, wie Gangstörungen, unwillkürliche rhythmische Bewegungen von Körperteilen u.ä. Das Ausmaß dieser „Geisteskrankheit“ wird daran deutlich, dass die meisten Korsakow-Kranken nicht mehr trinken, einfach weil sie es vergessen zu haben scheinen. 3.2.8 Fazit zum Alkoholproblem Alkohol ist Nahrungsmittel, Genussmittel, Rauschmittel und Gift zugleich. Für sehr viele Menschen in der westlichen Kultur ist das mittlerweile kein Problem mehr, weil sie von Kindesbeinen an gelernt haben mit diese harten Droge umzugehen. Einige Menschen in unseren Breiten jedoch glauben der Alkohol sei auch ein Heilmittel. Ein Heilmittel, welches ihnen dazu verhelfen soll, die Schädigungen, die sie im Laufe ihres Lebens an ihrer Persönlichkeit erlitten haben, zu beheben. Die Illusion, dass der Alkohol ein Medikament sei, mit dem man die tiefe Ich-Schwäche behandeln kann, leitet diese Menschen in die Irre und das Heilmittel entpuppt sich schließlich als Gift welches Körper, Geist, Seele und die soziale Eingebundenheit zerstört. Die Illusion, Alkohol sei dieses Heilmittel, welches seine Anwender von Schwächen, Ängsten und Zwängen befreit wird allerdings von gewissen gesellschaftlichen Kräften genähert. Dieses sind diejenigen gesellschaftlichen Kräfte, die am Konsum verdienen, die sich genaugenommen am Elend der Abhängigen bereichern. Heilen lassen sich seelische und soziale Störungen und Konflikte nicht durch Heilmittel, Medikamente oder Drogen. Heilen lassen sich diese Probleme nur, indem diese Konflikte kommuniziert werden. Darüber zu reden, verstanden zu werden, Mitgefühl zu erhalten und zu geben scheinen letztlich doch die einzigen Wege zu sein, mit denen man diese Konflikte bewältigen kann. 127