original_STRE_BEW_LTIGUNG - Goethe

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Stress und Stressbewältigung –
ein Beitrag zur Gesundheitsförderung
in der Schule
von WOLFGANG RUPPERT
1. Einleitung
Jeder kennt ihn, jeder „hat“ ihn, jeder klagt darüber: Stress gehört in unseren
modernen Zeiten zum Alltag – im Beruf, in Beziehungen, sogar in der Freizeit.
Die Erforschung von Stress ist im Wissenschaftsbetrieb fest etabliert und hat in
den letzten 50 Jahren eine Fülle von theoretischen Konzepten und empirischen
Untersuchungen in den Bereichen Biologie, Psychologie, Soziologie und
Medizin hervorgebracht.
Dabei war die Stressforschung zunächst ausschließlich auf Erwachsene
konzentriert. Inzwischen liegen jedoch empirische Untersuchungen vor, die
zeigen, dass auch Kinder und Jugendliche in nicht unerheblichem Umfang unter
Belastungen stehen, die sich bereits in dieser Lebensphase in gesundheitlichen
Beeinträchtigungen niederschlagen können. Wir müssen mit HURRELMANN
(1994) davon ausgehen, dass die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen
heutzutage wie die der Erwachsenen durch „Individualisierung“ geprägt wird.
Das bedeutet zwar einerseits eine erhebliche Erweiterung der Freiheitsgrade zur
Gestaltung einer sehr individuellen Lebensweise, aber andererseits eine
Lockerung der sozialen und kulturellen Bindungen. Die daraus resultierenden
Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten bringen „neue Formen von
Belastung mit sich, [...] die teilweise die Bewältigungskapazität von Kindern
und Jugendlichen überfordern“ (HURRELMANN 1994, S. 59).
Die Schule spielt in diesem Zusammenhang eine ganz wesentlich Rolle, da hier
ein Großteil des alltäglichen Lebens von Kindern und Jugendlichen stattfindet.
Empirische Untersuchungen bestätigen, dass die Belastungen durch die Schule
das Stressgeschehen dominieren. Andererseits bietet die schulische Sozialisation
vielfältige Möglichkeiten, die individuelle Gestaltung der Lebensbewältigung
von Schülern zu beeinflussen. Nichts läge also näher als in der Schule den
Versuch zu unternehmen, Kinder und Jugendliche zu befähigen, mit belastenden
Anforderungen effektiver umzugehen und damit einen Beitrag zur
Gesundheitsförderung zu leisten.
70
Wolfgang Ruppert
Im folgenden werden dazu einige theoretische Konzepte, empirische
Untersuchungen,
didaktische
Überlegungen
und
schulische
1
Interventionsprogramme vorgestellt .
2. Theoretische Konzepte der Stressforschung
Der Begriff „Stress“ wird im Alltag sehr häufig, aber sehr undifferenziert
verwendet. Auch in der Stressforschung gibt es nach einem halben Jahrhundert
noch immer keine eindeutige Definition. Die uneinheitliche Verwendung des
Begriffs und die Bandbreite konkurrierender Konzepte ist vor allem darin
begründet, dass so unterschiedliche Disziplinen wie Biologie, Psychologie und
Soziologie an der Erforschung des Phänomens beteiligt sind. Biologen
interessieren sich vor allem für die physiologischen Vorgänge der Stressreaktion
und der dadurch hervorgerufenen körperlichen Veränderungen. Psychologen
untersuchen vor allem, weshalb Menschen auf eine Belastung höchst
unterschiedlich reagieren und welche Rolle dabei kognitiv-emotionalen
Bewertungen und Bewältigungsstrategien zukommt. Soziologen beschäftigen
sich vor allem mit den sozialstrukturellen Rahmenbedingungen, die als
bedrohlich erlebt werden und das Wohlbefinden der Menschen beeinträchtigen.
Dass Stress körperliche Funktionen beeinflussen kann, wurde schon vor mehr
als 50 Jahren von CANNON bewiesen; er beschrieb als erster die Notfallreaktion
bei Konfrontation eines Organismus mit Gefahrensituationen. Diese Reaktion
wird vom Hypothalamus über den sympathischen Teil des vegetativen
Nervensystems gesteuert und dient dazu, möglichst schnell alle körperlichen
Reserven zu mobilisieren, die einen Kampf oder eine Flucht möglichst
wirkungsvoll unterstützen: Die Herzschlagfrequenz wird erhöht, die
Sauerstoffversorgung des Körpers verbessert, die Durchblutung von Gehirn und
Muskulatur gesteigert und aus der Leber wird Glukose freigesetzt. Diese
Veränderungen werden vom Stresshormon Adrenalin unterstützt, das vermehrt
vom Nebennierenmark ins Blut abgegeben wird (vgl. Abb. 1, linke Seite).
Dieselbe Reaktion kann man bei Menschen beispielsweise auch in
Prüfungssituationen,
im
Straßenverkehr
oder
bei
verbalen
Auseinandersetzungen beobachten.
Der Endokrinologe SELYE bezog längerfristige körperliche Veränderungen nach
Dauerstress in seine Untersuchungen ein. Die Reaktion bei anhaltendem Stress
1
In den Beitrag wurden die Ergebnisse einer von mir betreuten Examensarbeit sowie einiger
Referate eines Seminars aufgenommen, das von mir im Sommersemester 1998 am Institut für
Didaktik der Biologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität durchgeführt wurde.
Stress und Stressbewältigung
71
Abbildung 1:
Schematische Darstellung der beiden Achsen der physiologischen Stressreaktion; links die
Sympathikus-Nebennierenmark-Achse, rechts die Hypophysen-Nebenierenrinden-Achse
(verändert nach SCHEDLOWSKY 1994, S. 33)
beginnt ebenfalls im Hypothalamus, der einen Botenstoff freisetzt
(Corticotropin-Releasing-Hormon, CRH), welcher die Hirnanhangdrüse
(Hypophyse) zur Sekretion des adrenocorticotopen Hormons (ACTH) stimuliert.
Das ACTH wird in den Blutkreislauf abgegeben und veranlasst die
Nebennierenrinde zur Freisetzung von Cortisol (vgl. Abb. 1, rechte Seite).
Cortisol erhöht ebenfalls die Herzschlagfrequenz und steigert die
Blutversorgung der Muskulatur. Die Wirkungen auf den Stoffwechsel sind aber
denen von Adrenalin entgegengesetzt: Glukoseaufnahme und –abbau der Zellen
werden gehemmt und die Glycogen-Speicher wieder aufgefüllt; statt dessen
wird der Eiweiß- und Fettabbau gesteigert. Außerdem hemmt Cortisol die
72
Wolfgang Ruppert
Abwehrfunktionen, während Adrenalin sie kurzfristig zu aktivieren vermag (vgl.
KLEINERT/RUPPERT/STRATIL 1995).
In dieser Perspektive erscheint Stress vor allem als ein reaktionsbezogenes
Syndrom von physiologischen Veränderungen, die als Anpassung an eine
Störung
der
Homöostase
aktiviert
werden.
Dieses
allgemeine
Adaptationssyndrom, das unabhängig von der Art des auslösenden Reizes
auftritt, durchläuft nach SELYE eine charakteristische zeitliche Abfolge von
Alarm-, Widerstands- und Erschöpfungsphase. Als auslösende Stressoren
kommen sowohl physikalische Reize wie Hitze, Lärm oder körperliche
Verletzungen als auch psychische Belastungen wie Aufregung, Angst oder Wut
in Frage.
Ein stärker situationsbezogener Ansatz wird in der Life-event-Forschung
verfolgt. Das Interesse gilt vor allem den Auswirkungen von einschneidenden
(„kritischen“) Lebensereignissen wie dem Tod eines Familienmitgliedes, einer
Ehescheidung, dem Verlust der Arbeitsstelle oder einer wichtigen Prüfung. In
dieser Perspektive wird Stress vor allem durch äußere Anforderungen
(Stressoren) hervorgerufen, die uns das Leben schwer machen.
Seit den 60er Jahren wird von LAZARUS und Mitarbeitern (LAZARUS/LAUNIER
1981) eine dritte Position vertreten, die sich in der Forschungsliteratur
weitgehend durchgesetzt hat2. Danach ist Stress ein transaktionaler Prozess, der
immer dann einsetzt, wenn die Umgebungsanforderungen oder die internen
Anforderungen (oder beide) die Bewältigungsfähigkeiten einer Person
beanspruchen. Mit Transaktion ist gemeint, dass nicht nur die Anforderungen
auf das Verhalten der Person einwirken, sondern die Anforderungen auch durch
die handelnde Person beeinflusst und verändert werden (reziproke Interaktion).
Dabei spielen kognitive Prozesse in Form von bewertenden Wahrnehmungen,
Annahmen und Schlussfolgerungen eine entscheidende Rolle. Potentielle
Stressoren führen erst durch entsprechende Bewertungsprozesse (appraisals) zu
Stress.
Nach LAZARUS werden 3 Kategorien von Bewertungsprozessen unterschieden:
 Primäre Bewertungen beziehen sich auf Einschätzungen der situationalen
Anforderungen als entweder irrelevant, angenehm-positiv oder stressbezogen
(„stressig“). Werden die Anforderungen als stressrelevant bewertet, können
sie als Herausforderung, Bedrohung oder Schaden/Verlust klassifiziert
2
Vgl. zusammenfassend auch LAUX 1983, S. 483ff., KALUZA/BASLER 1991, S. 5ff.,
SCHWARZER 1996, S. 154ff.
Stress und Stressbewältigung
73
werden. Herausforderung und Bedrohung beziehen sich beide auf
bevorstehende Ereignisse, unterscheiden sich aber in der Dimension
Lust/Unlust. Eine anstehende Prüfung kann als bedrohlich, aber auch als
herausfordernd angesehen werden, da ihre Bewältigung mit einer Steigerung
des Selbstwertgefühls einhergehen kann. Schaden und Verlust beziehen sich
dagegen auf gegenwärtige oder vergangene Ereignisse, deren Auswirkungen
zu bewältigen sind.
 Sekundäre Bewertungen beziehen sich auf die Einschätzung der eigenen
Möglichkeiten und Fähigkeiten zu Bewältigung der situationalen
Anforderungen3. Sekundär bedeutet dabei nicht, dass sie den primären
Bewertungen nachgeordnet sind. Beide Bewertungsprozesse können sich
zeitlich überlagern und wechselseitig beeinflussen. So wird die sekundäre
Einschätzung, eine bestimmte Anforderung (z.B. eine Prüfung) bewältigen zu
können, deren primäre Bewertung als Herausforderung begünstigen.
Umgekehrt kann eine bestimmte primäre Bewertung die Auswahl der
Bewältigungsstrategien
beeinflussen.
Werden
die
situationalen
Anforderungen z.B. als zu bedrohlich bewertet, kann das dazu führen, dass
Anstrengungen zur Veränderung der Situation gar nicht mehr unternommen
werden.
 Neubewertungen schließlich bewirken eine Veränderung der ursprünglichen
primären und sekundären Einschätzungen aufgrund von neuen Informationen,
Rückmeldungen über die eigenen Reaktionen, Konsequenzen dieser
Reaktionen und neuen Überlegungen. Damit existiert ein Rückmeldesystem,
das
den
dynamischen
Charakter
der
Transaktion
zwischen
Anforderungswahrnehmung und Bewältigungshandeln unterstreicht. Zugleich
wird damit die Möglichkeit von Lernprozessen berücksichtigt, denn frühere
Erfahrungen im Umgang mit Stressoren beeinflussen die aktuellen
Bewertungsprozesse
und
können
damit
zur
Herausbildung
4
personenspezifischer Bewertungsstile führen .
3
Schwarzer bezeichnet diese beiden Aspekte des Bewertungsprozesses als
Ereigniswahrnehmung, die sich überwiegend der Informationen aus der Umwelt bedient, und
Ressourcenwahrnehmung, die sich vor allem auf die Merkmale der Person – auf ihre
Kompetenzen, Wertvorstellungen, Ziele, Überzeugungen – und die Verfügbarkeit über soziale
Ünterstützung bezieht; vgl. SCHWARZER 1996, S. 155
4
Darin liegt zugleich eine Chance und ein Nachteil: Durch die Erfahrungsbildung kommt ein
Moment von Stabilität in die sich ständig ändernden Bewertungsprozesse; andererseits
können dadurch Neigungen begünstigt werden, z.B. jegliche Anforderungen generell als
Bedrohung zu interpretieren. Deshalb wird in Stressbewältigungstrainings der Veränderung
stressbezogener Bewertungsprozesse so große Bedeutung beigemessen, vgl. KALUZA/BASLER
1991
74
Wolfgang Ruppert
Unter Bewältigung (coping) versteht LAZARUS alle Anstrengungen, die ein
Individuum unternimmt, um mit belastenden, herausfordernden oder
schädigenden Situationen fertig zu werden. Dabei lassen sich unter funktionellen
Gesichtspunkten zwei grundlegende Bewältigungsarten unterscheiden:
 Problemorientiertes (instrumentelles) Coping umfasst alle Versuche einer
Person, durch Informationssuche, direkte Handlungen oder auch das
Unterlassen von Handlungen die stressauslösende Situation zu beseitigen oder
zumindest zu beeinflussen.
 Emotionsorientiertes (palliatives) Coping umfasst alle Versuche, durch
Selbstgespräche, Ablenkung oder Einnahme von Beruhigungsmitteln die mit
der
Verarbeitung
einer
Stresssituation
verbundenen
Gefühle,
Erregungszustände und körperlichen Reaktionen zu beeinflussen.
Eine Auflistung von 19 verschiedenen Copingstrategien enthält der
Stressverarbeitungsfragebogen,
der
von
JANKE
und
Mitarbeitern
(JANKE/ERDMANN/KALLUS 1985) zur empirischen Erhebung vor allem auch
individueller Unterschiede in der Verwendung bestimmter Bewältigungs- und
Verarbeitungsmechanismen von Erwachsenen entwickelt wurde. Darunter
befinden sich auch Maßnahmen wie soziale Abkapselung, Resignation oder
Selbstbeschuldigung, deren Wert für die Stressbewältigung fragwürdig ist. Das
Konzept der Stressverarbeitung erfasst also nicht nur Maßnahmen, die
stressreduzierend, sondern auch u.U. stresssteigernd wirken können.
Dennoch lässt sich die Frage nach erfolgreichem oder effektivem
Bewältigungsverhalten nicht einfach mit dem Hinweis auf die mehr
problemorientierten Bewältigungsmaßnahmen beantworten. Eine generell
erfolgreiche Standardbewältigungsstrategie gibt es nicht; dafür sind die
situationalen Anforderungen zu unterschiedlich, die Möglichkeiten der
Bewältigung zu vielfältig und die personalen Ziele und Intentionen zu
individuell. Aus der vergleichenden Untersuchung des Bewältigungsverhaltens
von Gesunden und Personen mit psychischen oder psychosomatischen
Krankheiten konnten aber einige „Erfolgsrezepte“ abgeleitet werden, wobei sich
die Flexibilität des Bewältigungsverhaltens als wesentlich erwies
(KALUZA/BASLER 1991). Gesunde Personen zeichnen sich dadurch aus, dass
ihnen in belastenden Situationen mehrere Lösungsalternativen zur Verfügung
stehen, aus denen sie die im Hinblick auf die Situation jeweils optimalen
auswählen: „Das mag in dem einen Fall eine direkte Aktion zur Beseitigung
eines äußeren Stressors sein, während in einem anderen Fall die optimale
Stress und Stressbewältigung
75
Bewältigung in der Selbstberuhigung durch Bagatellisierung bestehen mag“
(KALUZA/BASLER 1991, S. 13).
3. Gesundheit, Krankheit und Stress
Die Vorstellung, dass Stress krank machen kann, existiert schon lange in
unseren Alltagsvorstellungen und gehört zu den Grundsätzen der
Erfahrungsmedizin. Bei psychosomatischen Krankheiten wird explizit von
einem krankheitsverursachenden Einfluss geistiger und seelischer Prozesse auf
körperliche Zustände ausgegangen. Trotzdem handelt es sich bei dem bereits
von SELYE behaupteten Zusammenhang zwischen Ausmaß, Dauer und zeitlicher
Verteilung von belastenden Ereignissen und modernen Zivilisationskrankheiten
vorerst um eine Plausibilitätsannahme, die sich nicht einfach beweisen lässt.
Eindeutige laborexperimentelle Befunde kommen z.B. aus der zoologischen
Stressforschung mit Tupajas (vgl. HOLST 1993). Bei unterlegenen Tieren, die
aus Territiorialkämpfen zwischen männlichen Individuen hervorgehen, lassen
sich zwei Gruppen unterscheiden:
 Aktive Verlierer beobachten ständig den Sieger, versuchen Begegnungen mit
ihm auszuweichen und wehren sich, wenn sie wieder attackiert werden.
Deutliche Anzeichen dieser Überaktivität sind drastisch erhöhte
Herzschlagfrequenzen und Blutdruckwerte, die selbst in den Ruhephasen,
wenn sie in einem vom Sieger getrennten Versteck schlafen, nicht auf das
Ausgangsniveau zurückkehren. Eine derart anhaltende Aktivierung der
Sympathikus-Nebennierenmark-Achse mit einem ständig erhöhten AdrenalinSpiegel führt langfristig zu Schäden am Herz-Kreislaufsystem, insbesondere
zu Arterio-sklerose und Bluthochdruck.
 Passive Verlierer wirken apathisch und depressiv; sie verkriechen sich in ein
Versteck, das sie nur zum Fressen und Trinken verlassen. Gelegentliche
Attacken des Siegers lassen sie über sich ergehen, ohne sich zu wehren. Sie
putzen sich nicht mehr und verlieren täglich an Gewicht. Diese
Veränderungen gehen einher mit einem drastischen Anstieg des CortisolSpiegels, der nach 10 Tagen bereits das vierfache der Ausgangswerte
erreichen kann. Eine derartige Überaktivierung der HypophysenNebennierenrinden-Achse führt zu einem gesteigerten Abbau von Muskelund Fettgewebe, einer Beeinträchtigung der Wundheilung und zu einer
ausgeprägten Hemmung der Immunreaktionen, so dass die Tiere anfälliger für
Infektionskrankheiten werden.
76
Wolfgang Ruppert
Damit ist der experimentelle Nachweis erbracht, dass psychosozialer Stress
chronische physiologische Veränderungen hervorruft, die langfristig zu
Erkrankungen führen, die auch beim Menschen vorkommen. Gleichzeitig
weisen die Befunde daraufhin, welche entscheidende Rolle dem
Bewältigungsverhalten für Art und Ausmaß einer Erkrankung zukommt. Zwar
reagiert jeder Mensch auf vergleichbare Stresssituationen sehr individuell, aber
im wesentlichen mit einem von drei typischen Mustern – mit anhaltender Wut
und Verärgerung, mit Selbstvorwürfen und Depressionen, oder mit ungerührter
Gleichgültigkeit.
Seit den 60er Jahren versucht die epidemiologische Forschung, Zusammenhänge
zwischen dem Verhalten eines Individuums und seinen Erkrankungen
herzustellen. Dabei zeigte sich, dass bestimmte Erkrankungen bei Individuen
häufiger auftreten, die charakteristische Persönlichkeitsmerkmale aufweisen:
 A-Typen sind charakterisiert durch ehrgeiziges Leistungsstreben, Rivalität
und Ungeduld sowie ein erhöhtes Potential für Ärger und vor allem für
Feindseligkeit. Typ-A-Personen reagieren physiologisch auf alltägliche
Anforderungen und Belastungen mit einem starken Anstieg von Blutdruck
und
Herzschlagfrequenz
sowie
einer
erhöhten
Abgabe
von
Nebennierenmarkshormonen („Adrenalin-Typ“). A-Typen erleiden doppelt so
häufig Herzkreislauferkrankungen (Herzinfarkt, Angina pectoris) und sterben
an deren Folgen wie B-Typen.
 B-Typen sind demgegenüber ruhig und entspannt, selbstsicher und
beherrscht.
 C-Typen dagegen sind eher passiv und reagieren auf alltägliche Belastungen
mit Verunsicherung und auf schwere Schicksalsschläge mit Hilflosigkeit und
Depression. Typ-C-Personen reagieren physiologisch mit einer erhöhten
Abgabe des Nebennierenrindenhormons Cortisol („Cortisol-Typ“), das eine
ausgeprägte Hemmung des Immunsystems bewirkt. C-Typen leiden sehr viel
häufiger an Krankheiten, die über das Immunsystem vermittelt sind5.
Andererseits muss man sich fragen, weshalb Stress und dessen Bewältigung bei
einigen Menschen zu Erkrankungen führt und bei anderen nicht. Was zeichnet
diese stressresistenten Menschen aus? In der Gesundheitsforschung wächst das
5
Mit den Auswirkungen von Stress auf das Immunsystem beschäftigt sich seit über 20 Jahren
die Psychoneuroimmunologie, vgl. zur Einführung RUPPERT 1996
Stress und Stressbewältigung
77
Interesse an den protektiven Faktoren, die die Auswirkungen von Stress
abpuffern. Es handelt sich dabei entweder um Persönlichkeitsfaktoren (wie
Kompetenzerwartung, Optimismus, Hardiness oder Kohärenzsinn) oder um
Faktoren der sozialen Unterstützung, die dazu beitragen, potentielle
Stresssituationen anders zu bewerten und zu bewältigen (vgl. SCHWARZER 1996,
S. 172ff.).
4. Kinder und Jugendliche im Stress
Kinder und Jugendliche erfreuen sich – im Vergleich zu Erwachsenen und
älteren Menschen - bester Gesundheit und fühlen sich auch so. Aktuelle
empirische Befunde stellen jedoch eine Zunahme chronischer Erkrankungen,
psychischer Störungen und psychosomatischer Beschwerden fest (vgl.
HURRELMANN 1994, PALENTIEN 1997). Als Ursachen der schon frühen
gesundheitlichen Beeinträchtigungen werden in den letzten Jahren zunehmend
soziale und psychische Faktoren diskutiert, die mit dem Wandel der
Lebensbedingungen und den damit einhergehenden neuartigen Belastungen
durch Familie, Schule und Freizeit in Zusammenhang gebracht werden6.
LOHAUS (1990) berichtet über eine Studie mit 342 Schülern im Alter von 7 bis
18 Jahren aus unterschiedlichen Schultypen, die mit halbstandartisierten
Interviews zum Problembereich Stress befragt wurden. 72% der 7-11jährigen
und 81% der 12-18jährigen antworteten auf die Frage, ob es Stress bei ihnen
gibt, mit Zustimmung. Dabei benannten die jüngeren Schüler deutlich seltener,
welche Ursachen ihrem Stress zugrunde liegen. Von den älteren Schülern
wurden sowohl innere Faktoren wie Nervosität oder Überforderung als auch
äußere Faktoren wie Zeit- und Leistungsdruck oder Streitereien angeführt. In
beiden Altersgruppen wird Stress eindeutig negativ bewertet (84% der jüngeren
und 90% der älteren Schüler).
Bei einer Befragung von Grundschülern im Rahmen der Erprobung und
Evaluation eines Stressbewältigungsprogrammes (vgl. DIRKS/KLEINHEßLING/LOHAUS 1994) wurden von den Kindern vor allem schul- und
leistungsbezogene Probleme als Stressauslöser benannt. Dieses Ergebnis konnte
bei einer vergleichbaren Erhebung an Grundschülern der 3. und 4. Klasse 7 nicht
6
vgl. dazu ausführlich HURRELMANN 1994 sowie die empirische Untersuchung von ZIEGLER
1996
7
Die Befragung wurde im Rahmen einer von mir betreuten Examensarbeit durchgeführt, vgl.
GATZKI/KRESNICKA 1998
78
Wolfgang Ruppert
repliziert werden. Hier wurden Probleme mit den Eltern und mit Freunden
weitaus häufiger genannt.
Von LOHAUS und Mitarbeitern (LOHAUS/FLEER/FREYTAG/KLEIN-HEßLING 1996)
liegt inzwischen ein „Fragebogen zur Erhebung von Stresserleben und
Stressbewältigung im Kindesalter“ vor, der es ermöglicht, bereits in diesem
frühen Lebensabschnitt Informationen über mögliche Belastungen und
Bewältigungsdefizite zu erhalten, um gegebenenfalls rechtzeitig intervenieren zu
können. Das Erhebungsinstrumentarium besteht aus drei Skalen, mit denen die
folgenden Aspekte des Stressgeschehens bei Kindern von der 3. bis zur 6.
Klasse erfasst werden:
 das Ausmaß des aktuellen Stresserlebens
 Art und Umfang der eingesetzten Bewältigungsstrategien und
 das Ausmaß der aktuellen physischen Stresssymptomatik.
Bei den präferierten Bewältigungsmaßnahmen zeigte sich, dass die Kinder vor
allem problemlösende Strategien bevorzugen. Das Ergebnis deckt sich mit dem
Befund, dass Kinder dieser Altersgruppe die externen Ursachen von Stress
betonen (vgl. LOHAUS 1990).
SEIFFGE-KRENKE (1989) erhob an 107 Jugendlichen im Alter von 12 bis 18
Jahren in einer freien Befragung die typischen Probleme, die diese Altersgruppe
beschäftigt, und die Bewältigung dieser Probleme. Mit 20% der Nennungen
rangierten die schulischen Probleme an erster Stelle. Es wurden vor allem
Leistungsdruck, Angst vor Schulversagen und Prüfungsangst, aber auch
Probleme in den Beziehungen zu Mitschülern (keine Kameradschaft,
Anonymität, Beziehungslosigkeit, Konkurrenzkampf) genannt. 17% der
Nennungen entfielen auf Probleme, die vor allem mit der eigenen beruflichen
Zukunft zusammenhängen (Arbeitslosigkeit, Mangel an Ausbildungsplätzen,
Zwangswahl uninteressanter Berufe, Chancenlosigkeit). Bei den Problemen mit
dem Elternhaus (16%) wurden vor allem Konformitätsforderungen,
Kommunikationsprobleme (Eltern haben kein Verständnis, kein Gespräch
möglich, keine Zeit) und Beschränkungen persönlicher Freiheiten und
Bedürfnisse genannt. Identitätsprobleme (13%) resultierten vor allem aus
Schwierigkeiten, die eigenen Gefühle zu kontrollieren, aber auch, sie zu stark zu
kontrollieren, und aus Problemen mit Gehemmtheit, schlechter Laune, Trotz,
Angst oder Nervosität. Etwa gleich viele Nennungen (12%) entfielen auf
Probleme, die mit eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten zusammenhängen, und
auf Beziehungsprobleme mit Gleichaltrigen. Probleme, die mit dem anderen
Geschlecht zu tun haben, wurden von dieser Altersgruppe am seltensten genannt
(10%).
Stress und Stressbewältigung
79
Auffällig ist, dass sich nur etwa ein sechstel der Nennungen auf den Umgang
mit den genannten Problemen bezogen. Dabei wurden nur zu 19% aktive
Bewältigungsstrategien genannt, während 45% als ausweichend oder
vermeidend betrachtet werden müssen. 33% der Jugendlichen gaben an, sich um
soziale Unterstützung bei der Problembewältigung zu bemühen.
5. Neue Konzepte in der Gesundheitserziehung
Die Bedeutung primär-präventiver Gesundheitserziehung mit Kindern und
Jugendlichen steht außer Frage. Für die Entstehung der sogenannten
Zivilisationskrankheiten werden gesundheitsriskante Verhaltensgewohnheiten
verantwortlich gemacht, die bereits im Kindes- und Jugendalter geprägt werden
(vgl. JERUSALEM/MITTAG 1994). Schulische Gesundheitserziehung zielt daher
vor allem darauf ab, Kinder und Jugendliche zu Verhaltensweisen zu bewegen,
die der Verbesserung und Erhaltung ihrer Gesundheit dienen. Die in dieser
Richtung bisher unternommenen Erziehungsanstrengungen erwiesen sich
allerdings als wenig effektiv. Die einseitig an Abschreckung oder Aufklärung
orientierten Konzepte waren zu sehr auf Krankheiten und deren Verhütung
fixiert. Außerdem wurde von der falschen Annahme ausgegangen, durch
Wissenszuwachs oder Angstappelle ließen sich gesundheitsprotektive
Verhaltensweisen erzeugen. Als weitere Begründung wird angeführt, dass für
Kinder und Jugendliche die eigene Gesundheit ein zwar wichtiger, aber
selbstverständlicher Zustand sei. Dieser ausgeprägte Optimismus wird noch
dadurch verstärkt, dass viele Gesundheitsschädigungen aufgrund von
Risikoverhalten mit großer Verzögerung eintreten, wodurch der Zusammenhang
als schwer nachvollziehbar und persönlich irrelevant erlebt wird. Wegen der
starken Gegenwartsorientierung ist für Kinder und Jugendliche die Befriedigung
aktueller
Bedürfnisse
bedeutungsvoller
als
irgendwelche
Gesundheitsbeeinträchtigungen
in
einer
fernen
Zukunft.
Mit
Gesundheitsvorsorge wird ein asketischer und langweiliger Lebensstil assoziiert,
der die eigenen Entfaltungsmöglichkeiten einschränkt.
In den neuen Konzepten zur Gesundheitserziehung spielt daher der Aspekt der
Gesundheitsförderung
durch
die
konkrete
Einübung
protektiver
Verhaltensweisen eine bedeutsame Rolle. Alle Interventionsansätze dieser
Richtung sind stark verhaltensorientiert und haben zum Ziel, eher unspezifische
Kompetenzen im Hinblick auf Stressbewältigung, Konfliktregelung,
Kommunikation,
Widerstandsfähigkeit
gegenüber
Gruppendruck,
Entscheidungsfähigkeit und Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls zu
fördern (vgl. WEIGLHOFER 1997). „Es gilt, den Kindern und Jugendlichen dabei
80
Wolfgang Ruppert
zu helfen, in konstruktiver Weise mit sich selbst und ihrer Umwelt umzugehen,
indem sie lernen, soziale und leistungsbezogene Anforderungen als anregende
Herausforderungen zu erleben, sich selbst Ziele zu setzen und
Bewältigungsfertigkeiten zu entwickeln, in ihrem Leben einen Sinn zu sehen
und eine eigene Identität zu finden, Freundschaften zu schließen und soziale
Anerkennung zu gewinnen sowie in einem befriedigenden Maße
Selbstakzeptanz und Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten. [...] In diesem Sinne
ist Gesundheitsförderung ein Bestandteil der Persönlichkeitsförderung in
kognitiver, sozialer und emotionaler Hinsicht“ (JERUSALEM/MITTAG 1994, S.
853).
6. Schulische Interventionsprogramme zur Stressbewältigung
Im folgenden werden zwei präventive Interventionsprogramme zur
Stressbewältigung vorgestellt, die dem gesundheitserzieherischen Konzept der
gesunden Lebensweisen sehr nahe stehen.
 Bleib locker. Ein Stresspräventionstraining für Kinder im Grundschulalter
Dieses Präventionsprogramm wurde von LOHAUS und Mitarbeitern entwickelt
und mehrfach evaluiert (DIRKS/KLEIN-HEßLING/LOHAUS 1994 ; KLEIN-HEßLING/
LOHAUS 1995). Es liegt inzwischen als Buch mit Begleitcassette vor (KLEINHEßLING/LOHAUS 1998).
Theoretisch basiert das Programm auf dem transaktionalen Stresskonzept von
LAZARUS8. Da nach diesem Konzept Stress durch ein gestörtes oder instabiles
Gleichgewicht zwischen situationalen Anforderungen und den Bewertungen und
Bewältigungsfähigkeiten eines Individuums entsteht, bieten vor allem die
individuellen Bewertungen und Fähigkeiten im Umgang mit situationalen
Anforderungen mögliche Ansatzpunkte für Interventionen. Dabei ist zu
beachten, dass Kinder stressbezogene Erlebnisse nicht selten anders bewerten
als Erwachsene. In einer amerikanischen Studie (YAMAMOTO 1979, zit. nach
DIRKS/KLEIN-HEßLING/LOHAUS 1994) nannten die Kinder neben Ereignissen,
die allgemein als belastend angesehen werden, auch viele Situationen, die für sie
einen besonderen Stellenwert haben, wie z.B. von der Klasse ausgelacht zu
werden. Deshalb sind einige Trainingsbausteine des Programms der Analyse
und Veränderung der stressbezogenen Situationsbewertungen durch die Kinder
gewidmet.
8
vgl. dazu Abschnitt 2
Stress und Stressbewältigung
81
Eine erfolgreiche Stressbewältigung hängt vor allem von der Flexibilität ab, mit
der auf verschiedene Situationen mit unterschiedlichen Anforderungen jeweils
angemessen reagiert wird. Auch in diesem Bereich ist bei Kindern mit
Unterschieden zum Bewältigungshandeln Erwachsener zu rechnen, da ihnen
bestimmte Bewältigungsstrategien nicht zugestanden werden. So kann ein
Lehrer seinen Ärger einem Kind gegenüber offen zum Ausdruck bringen;
umgekehrt muss ein Kind mit Sanktionen rechnen. Die zentralen
Trainingsbausteine dienen daher der Vermittlung und Erprobung neuer
Bewältigungsstrategien.
Das Programm besteht aus vier Trainingsbausteinen:




Kennenlernen eines anschaulichen Stressmodells (die „Streßwaage“)
Wahrnehmung eigener Stressreaktionen
Erkennen von Stresssituationen
Kennenlernen, Erproben und Bewerten neuer Bewältigungsstrategien.
Die einzelnen Bausteine werden nicht sukzessiv, sondern miteinander
verschränkt
bearbeitet.
Dabei
kommen
verschiedene
Methoden
(Wissensvermittlung, Rollenspiele, Auflockerungs- und Entspannungsübungen,
mit Bildmaterial arbeiten) zum Einsatz9.
Das ursprüngliche Programm10 wurde mit einem zeitlichen Rahmen von vier
Doppelstunden im wöchentlichen Abstand im Rahmen des regulären Unterrichts
am Vormittag durchgeführt. An der Evaluationsstudie nahmen vier
Grundschulklassen mit insgesamt 83 Kindern aus zwei Grundschulen teil. Bei
zwei Klassen wurde das Programm durchgeführt, während die beiden anderen
Klassen als Kontrollgruppen dienten. Die Evaluation ergab, dass die Schüler
nach dem Training Stresssymptome leichter identifizieren und eine größere
Anzahl von Stressbewältigungsstrategien benennen11 können. Veränderungen im
physischen und psychischen Empfinden konnten (außer im Bereich der
Hausaufgabensituation) dagegen nicht festgestellt werden. Als mögliche
Ursachen wurden diskutiert: (a) das Programm ist nicht umfangreich genug, um
in allen Dimensionen positive Effekte zu erzielen; (b) die Teilnehmergruppen
sind zu groß, so dass für manche Schüler die Übungsmöglichkeiten (z.B. bei
9
Einen Überblick über die Trainingsbausteine im einzelnen und eine detaillierte
Beschreibung der Unterrichtsstunden geben KLEIN-HEßLING/LOHAUS 1998
10
Übersicht in DIRKS/KLEIN-HEßLING/LOHAUS 1994, S. 185
11
Der Anstieg erreichte die vierfache Höhe des Ausgangswertes!
82
Wolfgang Ruppert
Rollenspielen) eingeschränkt sind; (c) die fehlende Einbindung der Eltern
könnte sich hemmend auswirken.
Für eine zweite Evaluationsstudie (KLEIN-HEßLING/LOHAUS 1995) wurde das
Trainingsprogramm gezielt modifiziert:




Ausdehnung des Trainingsprogramms auf acht Doppelstunden
Verringerung der Gruppengröße auf 8-12 Schüler
Einbindung der Eltern über drei informierende Elternabende
Systematische Variation der Programmelemente.
Um dieses erweiterte Training durchführen zu können, wurde es in Form von
Nachmittagskursen im Rahmen eines Gesundheitsförderungsprogramms einer
Krankenkasse angeboten. An der Studie nahmen 170 Kinder des 3. und 4.
Schuljahres teil. Die Evaluation ergab nur insgesamt geringe Effekte auf die
Wahrnehmung
des
eigenen
Stresserlebens.
Deutlich
mehr
Stressbewältigungsstrategien benennen konnten vor allem die Kinder, die an
einer Trainingsvariante teilgenommen hatten, bei der vorrangig Wissen über
Stresserzeugung und
-vorbeugung vermittelt wurde. Allerdings hatte keine der Trainingsvarianten
einen Effekt auf das berichtete Bewältigungsverhalten in Belastungssituationen.
Positive Veränderungen im Stresserleben wurden vor allem von Kindern
berichtet, die an einer Trainingsvariante teilgenommen hatten, bei der der
Erwerb von Problemlösefähigkeiten, hauptsächlich unter Verwendung von
Rollenspielen und verhaltensbezogenen Hausaufgaben, im Vordergrund stand.
Am ungünstigsten fielen die Evaluationsergebnisse für die Trainingsvariante
aus, bei der die Kinder eine Entspannungstechnik (die Progressive
Muskelrelaxation) lernen und erproben konnten. Die Autoren räumen zwar ein,
dass hier Effekte möglicherweise erst zeitverzögert einsetzen, geben aber
grundsätzlich zu bedenken, ob die Wirkungen von Entspannungstechniken bei
Kindern nicht überschätzt werden12. Auch die Einbindung der Eltern führte,
obwohl die meisten Eltern dies begrüßten und die Wirkungen des Trainings
positiv bewerteten, zu keinen messbaren Effekten.
 Anti-Stress-Training für Kinder
Zum Abschluss sei noch kurz ein Stressmanagementprogramm vorgestellt,
dessen Einsatzmöglichkeiten in der Schule erst noch zu überprüfen sind, da es in
12
Dieser Befund deckt sich mit den negativen Einschätzungen der Kinder, die im Rahmen der
Examensarbeit zu dem eingesetzten Entspannungsverfahren befragt wurden, vgl. GATZKI/
KRESNICKA 1998
Stress und Stressbewältigung
83
der klinischen Arbeit mit Kindern entstanden ist (HAMPEL/PETERMANN 1998).
Auch das „Anti-Stress-Training für Kinder“ (AST) basiert theoretisch auf dem
transaktionalen Stresskonzept von LAZARUS. Deshalb sollen sowohl aktuelle
psychische Belastungen reduziert als auch die Bewältigungskompetenzen der
Kinder gesteigert werden, um auch langfristig den Umgang mit psychischen
Belastungen zu verbessern.
Das AST liegt in vier verschiedenen Varianten mit unterschiedlichen
Zielsetzungen vor:
 Die beiden intensiven Versionen (8 Trainingssitzungen mit oder 6 ohne
Elternbeteiligung) sind für Kinder gedacht, die bereits an stressbezogenen
Krankheiten leiden. Es geht also entweder darum, im Rahmen der
Sekundärprävention erkrankte Kinder therapeutisch zu behandeln oder im
Rahmen der Tertiärprävention die Krankheitsbewältigung zu verbessern.
 Die beiden Kurzversionen mit 4 bzw. 2 Trainingssitzungen sind als primärpräventive Maßnahmen für gesunde Kinder mit ersten Anzeichen von
Beanspruchungssymptomen konzipiert.
Das AST ist für Kinder im Alter zwischen 8 und 13 Jahren geeignet. Obwohl
das Programm als Gruppentraining konzipiert ist, dürfte sein Einsatz in der
Schule mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein - insbesondere wegen
der als effektiv angebenen Gruppengröße von vier bis sechs Kindern!
7. Ausblick
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass – trotz der teilweise
ernüchternden Evaluationsergebnisse - die Implementation von Programmen zur
Stressbewältigung in der Schule einen nicht unerheblichen Beitrag zur
Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention im Kindes- und Jugendalter
leisten könnte. Dies gilt insbesondere für die Grundschule, weil bei Kindern
dieser Altersstufe das Verhaltensrepertoire noch wenig stabilisiert ist, so dass
ein Spielraum für Veränderungen besteht, der genutzt werden sollte. Dabei
zeigen die vorliegenden Evaluationsstudien, dass positive Veränderungen im
Stresserleben nur zustande kommen, wenn die Kinder nicht nur ihre Kenntnisse
über das Stressgeschehen und dessen Bewältigung verbessern, sondern konkrete
Erfahrungen mit dem Einsatz von neuen Bewältigungsmaßnahmen machen
können. Der ausschließliche Einsatz von Entspannungstechniken scheint keine
positiven Effekte hervorzubringen.
84
Wolfgang Ruppert
Die Förderung von Stressbewältigungskompetenzen scheint - im Einklang mit
dem transaktionalen Stresskonzept - am geeignetsten, um der Individualität der
Stressverarbeitungsprozesse in angemessener Form Rechnung zu tragen. Solche
Programme, wie sie auch für andere Bereiche der Gesundheitsförderung,
insbesondere in der Suchtprävention13, entwickelt wurden, zielen auf eine
Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder. Diese Intention deckt
sich mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, wie er im
novellierten Hessischen Schulgesetz formuliert ist und in ähnlicher Form dem
Rahmenplan Grundschule und den Rahmenplänen Biologie und
Gesundheitserziehung für die Sekundarstufe I in Hessen zugrunde liegt.
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13
vgl. dazu den Beitrag von Tanja Buchmann-Keller in diesem Band
Stress und Stressbewältigung
85
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Wolfgang Ruppert, geb. 1952; Studium der Biologie und der
Gesellschaftswissenschaften an der Universität Frankfurt; 1. Staatsexamen 1979,
2. Staatsexamen 1982; 1984-1996 Lehrer am Abendgymnasium Neu-Isenburg;
seit
1996
Pädagogischer Mitarbeiter am Institut für Didaktik der Biologie; Mitautor einer
Abiturhilfen-Reihe zu den Themen des Biologieunterrichts in der Oberstufe;
Mitherausgeber der Zeitschrift „Unterricht Biologie“.
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