Stress und Stressbewältigung – ein Beitrag zur Gesundheitsförderung in der Schule von WOLFGANG RUPPERT 1. Einleitung Jeder kennt ihn, jeder „hat“ ihn, jeder klagt darüber: Stress gehört in unseren modernen Zeiten zum Alltag – im Beruf, in Beziehungen, sogar in der Freizeit. Die Erforschung von Stress ist im Wissenschaftsbetrieb fest etabliert und hat in den letzten 50 Jahren eine Fülle von theoretischen Konzepten und empirischen Untersuchungen in den Bereichen Biologie, Psychologie, Soziologie und Medizin hervorgebracht. Dabei war die Stressforschung zunächst ausschließlich auf Erwachsene konzentriert. Inzwischen liegen jedoch empirische Untersuchungen vor, die zeigen, dass auch Kinder und Jugendliche in nicht unerheblichem Umfang unter Belastungen stehen, die sich bereits in dieser Lebensphase in gesundheitlichen Beeinträchtigungen niederschlagen können. Wir müssen mit HURRELMANN (1994) davon ausgehen, dass die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen heutzutage wie die der Erwachsenen durch „Individualisierung“ geprägt wird. Das bedeutet zwar einerseits eine erhebliche Erweiterung der Freiheitsgrade zur Gestaltung einer sehr individuellen Lebensweise, aber andererseits eine Lockerung der sozialen und kulturellen Bindungen. Die daraus resultierenden Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten bringen „neue Formen von Belastung mit sich, [...] die teilweise die Bewältigungskapazität von Kindern und Jugendlichen überfordern“ (HURRELMANN 1994, S. 59). Die Schule spielt in diesem Zusammenhang eine ganz wesentlich Rolle, da hier ein Großteil des alltäglichen Lebens von Kindern und Jugendlichen stattfindet. Empirische Untersuchungen bestätigen, dass die Belastungen durch die Schule das Stressgeschehen dominieren. Andererseits bietet die schulische Sozialisation vielfältige Möglichkeiten, die individuelle Gestaltung der Lebensbewältigung von Schülern zu beeinflussen. Nichts läge also näher als in der Schule den Versuch zu unternehmen, Kinder und Jugendliche zu befähigen, mit belastenden Anforderungen effektiver umzugehen und damit einen Beitrag zur Gesundheitsförderung zu leisten. 70 Wolfgang Ruppert Im folgenden werden dazu einige theoretische Konzepte, empirische Untersuchungen, didaktische Überlegungen und schulische 1 Interventionsprogramme vorgestellt . 2. Theoretische Konzepte der Stressforschung Der Begriff „Stress“ wird im Alltag sehr häufig, aber sehr undifferenziert verwendet. Auch in der Stressforschung gibt es nach einem halben Jahrhundert noch immer keine eindeutige Definition. Die uneinheitliche Verwendung des Begriffs und die Bandbreite konkurrierender Konzepte ist vor allem darin begründet, dass so unterschiedliche Disziplinen wie Biologie, Psychologie und Soziologie an der Erforschung des Phänomens beteiligt sind. Biologen interessieren sich vor allem für die physiologischen Vorgänge der Stressreaktion und der dadurch hervorgerufenen körperlichen Veränderungen. Psychologen untersuchen vor allem, weshalb Menschen auf eine Belastung höchst unterschiedlich reagieren und welche Rolle dabei kognitiv-emotionalen Bewertungen und Bewältigungsstrategien zukommt. Soziologen beschäftigen sich vor allem mit den sozialstrukturellen Rahmenbedingungen, die als bedrohlich erlebt werden und das Wohlbefinden der Menschen beeinträchtigen. Dass Stress körperliche Funktionen beeinflussen kann, wurde schon vor mehr als 50 Jahren von CANNON bewiesen; er beschrieb als erster die Notfallreaktion bei Konfrontation eines Organismus mit Gefahrensituationen. Diese Reaktion wird vom Hypothalamus über den sympathischen Teil des vegetativen Nervensystems gesteuert und dient dazu, möglichst schnell alle körperlichen Reserven zu mobilisieren, die einen Kampf oder eine Flucht möglichst wirkungsvoll unterstützen: Die Herzschlagfrequenz wird erhöht, die Sauerstoffversorgung des Körpers verbessert, die Durchblutung von Gehirn und Muskulatur gesteigert und aus der Leber wird Glukose freigesetzt. Diese Veränderungen werden vom Stresshormon Adrenalin unterstützt, das vermehrt vom Nebennierenmark ins Blut abgegeben wird (vgl. Abb. 1, linke Seite). Dieselbe Reaktion kann man bei Menschen beispielsweise auch in Prüfungssituationen, im Straßenverkehr oder bei verbalen Auseinandersetzungen beobachten. Der Endokrinologe SELYE bezog längerfristige körperliche Veränderungen nach Dauerstress in seine Untersuchungen ein. Die Reaktion bei anhaltendem Stress 1 In den Beitrag wurden die Ergebnisse einer von mir betreuten Examensarbeit sowie einiger Referate eines Seminars aufgenommen, das von mir im Sommersemester 1998 am Institut für Didaktik der Biologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität durchgeführt wurde. Stress und Stressbewältigung 71 Abbildung 1: Schematische Darstellung der beiden Achsen der physiologischen Stressreaktion; links die Sympathikus-Nebennierenmark-Achse, rechts die Hypophysen-Nebenierenrinden-Achse (verändert nach SCHEDLOWSKY 1994, S. 33) beginnt ebenfalls im Hypothalamus, der einen Botenstoff freisetzt (Corticotropin-Releasing-Hormon, CRH), welcher die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) zur Sekretion des adrenocorticotopen Hormons (ACTH) stimuliert. Das ACTH wird in den Blutkreislauf abgegeben und veranlasst die Nebennierenrinde zur Freisetzung von Cortisol (vgl. Abb. 1, rechte Seite). Cortisol erhöht ebenfalls die Herzschlagfrequenz und steigert die Blutversorgung der Muskulatur. Die Wirkungen auf den Stoffwechsel sind aber denen von Adrenalin entgegengesetzt: Glukoseaufnahme und –abbau der Zellen werden gehemmt und die Glycogen-Speicher wieder aufgefüllt; statt dessen wird der Eiweiß- und Fettabbau gesteigert. Außerdem hemmt Cortisol die 72 Wolfgang Ruppert Abwehrfunktionen, während Adrenalin sie kurzfristig zu aktivieren vermag (vgl. KLEINERT/RUPPERT/STRATIL 1995). In dieser Perspektive erscheint Stress vor allem als ein reaktionsbezogenes Syndrom von physiologischen Veränderungen, die als Anpassung an eine Störung der Homöostase aktiviert werden. Dieses allgemeine Adaptationssyndrom, das unabhängig von der Art des auslösenden Reizes auftritt, durchläuft nach SELYE eine charakteristische zeitliche Abfolge von Alarm-, Widerstands- und Erschöpfungsphase. Als auslösende Stressoren kommen sowohl physikalische Reize wie Hitze, Lärm oder körperliche Verletzungen als auch psychische Belastungen wie Aufregung, Angst oder Wut in Frage. Ein stärker situationsbezogener Ansatz wird in der Life-event-Forschung verfolgt. Das Interesse gilt vor allem den Auswirkungen von einschneidenden („kritischen“) Lebensereignissen wie dem Tod eines Familienmitgliedes, einer Ehescheidung, dem Verlust der Arbeitsstelle oder einer wichtigen Prüfung. In dieser Perspektive wird Stress vor allem durch äußere Anforderungen (Stressoren) hervorgerufen, die uns das Leben schwer machen. Seit den 60er Jahren wird von LAZARUS und Mitarbeitern (LAZARUS/LAUNIER 1981) eine dritte Position vertreten, die sich in der Forschungsliteratur weitgehend durchgesetzt hat2. Danach ist Stress ein transaktionaler Prozess, der immer dann einsetzt, wenn die Umgebungsanforderungen oder die internen Anforderungen (oder beide) die Bewältigungsfähigkeiten einer Person beanspruchen. Mit Transaktion ist gemeint, dass nicht nur die Anforderungen auf das Verhalten der Person einwirken, sondern die Anforderungen auch durch die handelnde Person beeinflusst und verändert werden (reziproke Interaktion). Dabei spielen kognitive Prozesse in Form von bewertenden Wahrnehmungen, Annahmen und Schlussfolgerungen eine entscheidende Rolle. Potentielle Stressoren führen erst durch entsprechende Bewertungsprozesse (appraisals) zu Stress. Nach LAZARUS werden 3 Kategorien von Bewertungsprozessen unterschieden: Primäre Bewertungen beziehen sich auf Einschätzungen der situationalen Anforderungen als entweder irrelevant, angenehm-positiv oder stressbezogen („stressig“). Werden die Anforderungen als stressrelevant bewertet, können sie als Herausforderung, Bedrohung oder Schaden/Verlust klassifiziert 2 Vgl. zusammenfassend auch LAUX 1983, S. 483ff., KALUZA/BASLER 1991, S. 5ff., SCHWARZER 1996, S. 154ff. Stress und Stressbewältigung 73 werden. Herausforderung und Bedrohung beziehen sich beide auf bevorstehende Ereignisse, unterscheiden sich aber in der Dimension Lust/Unlust. Eine anstehende Prüfung kann als bedrohlich, aber auch als herausfordernd angesehen werden, da ihre Bewältigung mit einer Steigerung des Selbstwertgefühls einhergehen kann. Schaden und Verlust beziehen sich dagegen auf gegenwärtige oder vergangene Ereignisse, deren Auswirkungen zu bewältigen sind. Sekundäre Bewertungen beziehen sich auf die Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten zu Bewältigung der situationalen Anforderungen3. Sekundär bedeutet dabei nicht, dass sie den primären Bewertungen nachgeordnet sind. Beide Bewertungsprozesse können sich zeitlich überlagern und wechselseitig beeinflussen. So wird die sekundäre Einschätzung, eine bestimmte Anforderung (z.B. eine Prüfung) bewältigen zu können, deren primäre Bewertung als Herausforderung begünstigen. Umgekehrt kann eine bestimmte primäre Bewertung die Auswahl der Bewältigungsstrategien beeinflussen. Werden die situationalen Anforderungen z.B. als zu bedrohlich bewertet, kann das dazu führen, dass Anstrengungen zur Veränderung der Situation gar nicht mehr unternommen werden. Neubewertungen schließlich bewirken eine Veränderung der ursprünglichen primären und sekundären Einschätzungen aufgrund von neuen Informationen, Rückmeldungen über die eigenen Reaktionen, Konsequenzen dieser Reaktionen und neuen Überlegungen. Damit existiert ein Rückmeldesystem, das den dynamischen Charakter der Transaktion zwischen Anforderungswahrnehmung und Bewältigungshandeln unterstreicht. Zugleich wird damit die Möglichkeit von Lernprozessen berücksichtigt, denn frühere Erfahrungen im Umgang mit Stressoren beeinflussen die aktuellen Bewertungsprozesse und können damit zur Herausbildung 4 personenspezifischer Bewertungsstile führen . 3 Schwarzer bezeichnet diese beiden Aspekte des Bewertungsprozesses als Ereigniswahrnehmung, die sich überwiegend der Informationen aus der Umwelt bedient, und Ressourcenwahrnehmung, die sich vor allem auf die Merkmale der Person – auf ihre Kompetenzen, Wertvorstellungen, Ziele, Überzeugungen – und die Verfügbarkeit über soziale Ünterstützung bezieht; vgl. SCHWARZER 1996, S. 155 4 Darin liegt zugleich eine Chance und ein Nachteil: Durch die Erfahrungsbildung kommt ein Moment von Stabilität in die sich ständig ändernden Bewertungsprozesse; andererseits können dadurch Neigungen begünstigt werden, z.B. jegliche Anforderungen generell als Bedrohung zu interpretieren. Deshalb wird in Stressbewältigungstrainings der Veränderung stressbezogener Bewertungsprozesse so große Bedeutung beigemessen, vgl. KALUZA/BASLER 1991 74 Wolfgang Ruppert Unter Bewältigung (coping) versteht LAZARUS alle Anstrengungen, die ein Individuum unternimmt, um mit belastenden, herausfordernden oder schädigenden Situationen fertig zu werden. Dabei lassen sich unter funktionellen Gesichtspunkten zwei grundlegende Bewältigungsarten unterscheiden: Problemorientiertes (instrumentelles) Coping umfasst alle Versuche einer Person, durch Informationssuche, direkte Handlungen oder auch das Unterlassen von Handlungen die stressauslösende Situation zu beseitigen oder zumindest zu beeinflussen. Emotionsorientiertes (palliatives) Coping umfasst alle Versuche, durch Selbstgespräche, Ablenkung oder Einnahme von Beruhigungsmitteln die mit der Verarbeitung einer Stresssituation verbundenen Gefühle, Erregungszustände und körperlichen Reaktionen zu beeinflussen. Eine Auflistung von 19 verschiedenen Copingstrategien enthält der Stressverarbeitungsfragebogen, der von JANKE und Mitarbeitern (JANKE/ERDMANN/KALLUS 1985) zur empirischen Erhebung vor allem auch individueller Unterschiede in der Verwendung bestimmter Bewältigungs- und Verarbeitungsmechanismen von Erwachsenen entwickelt wurde. Darunter befinden sich auch Maßnahmen wie soziale Abkapselung, Resignation oder Selbstbeschuldigung, deren Wert für die Stressbewältigung fragwürdig ist. Das Konzept der Stressverarbeitung erfasst also nicht nur Maßnahmen, die stressreduzierend, sondern auch u.U. stresssteigernd wirken können. Dennoch lässt sich die Frage nach erfolgreichem oder effektivem Bewältigungsverhalten nicht einfach mit dem Hinweis auf die mehr problemorientierten Bewältigungsmaßnahmen beantworten. Eine generell erfolgreiche Standardbewältigungsstrategie gibt es nicht; dafür sind die situationalen Anforderungen zu unterschiedlich, die Möglichkeiten der Bewältigung zu vielfältig und die personalen Ziele und Intentionen zu individuell. Aus der vergleichenden Untersuchung des Bewältigungsverhaltens von Gesunden und Personen mit psychischen oder psychosomatischen Krankheiten konnten aber einige „Erfolgsrezepte“ abgeleitet werden, wobei sich die Flexibilität des Bewältigungsverhaltens als wesentlich erwies (KALUZA/BASLER 1991). Gesunde Personen zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen in belastenden Situationen mehrere Lösungsalternativen zur Verfügung stehen, aus denen sie die im Hinblick auf die Situation jeweils optimalen auswählen: „Das mag in dem einen Fall eine direkte Aktion zur Beseitigung eines äußeren Stressors sein, während in einem anderen Fall die optimale Stress und Stressbewältigung 75 Bewältigung in der Selbstberuhigung durch Bagatellisierung bestehen mag“ (KALUZA/BASLER 1991, S. 13). 3. Gesundheit, Krankheit und Stress Die Vorstellung, dass Stress krank machen kann, existiert schon lange in unseren Alltagsvorstellungen und gehört zu den Grundsätzen der Erfahrungsmedizin. Bei psychosomatischen Krankheiten wird explizit von einem krankheitsverursachenden Einfluss geistiger und seelischer Prozesse auf körperliche Zustände ausgegangen. Trotzdem handelt es sich bei dem bereits von SELYE behaupteten Zusammenhang zwischen Ausmaß, Dauer und zeitlicher Verteilung von belastenden Ereignissen und modernen Zivilisationskrankheiten vorerst um eine Plausibilitätsannahme, die sich nicht einfach beweisen lässt. Eindeutige laborexperimentelle Befunde kommen z.B. aus der zoologischen Stressforschung mit Tupajas (vgl. HOLST 1993). Bei unterlegenen Tieren, die aus Territiorialkämpfen zwischen männlichen Individuen hervorgehen, lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: Aktive Verlierer beobachten ständig den Sieger, versuchen Begegnungen mit ihm auszuweichen und wehren sich, wenn sie wieder attackiert werden. Deutliche Anzeichen dieser Überaktivität sind drastisch erhöhte Herzschlagfrequenzen und Blutdruckwerte, die selbst in den Ruhephasen, wenn sie in einem vom Sieger getrennten Versteck schlafen, nicht auf das Ausgangsniveau zurückkehren. Eine derart anhaltende Aktivierung der Sympathikus-Nebennierenmark-Achse mit einem ständig erhöhten AdrenalinSpiegel führt langfristig zu Schäden am Herz-Kreislaufsystem, insbesondere zu Arterio-sklerose und Bluthochdruck. Passive Verlierer wirken apathisch und depressiv; sie verkriechen sich in ein Versteck, das sie nur zum Fressen und Trinken verlassen. Gelegentliche Attacken des Siegers lassen sie über sich ergehen, ohne sich zu wehren. Sie putzen sich nicht mehr und verlieren täglich an Gewicht. Diese Veränderungen gehen einher mit einem drastischen Anstieg des CortisolSpiegels, der nach 10 Tagen bereits das vierfache der Ausgangswerte erreichen kann. Eine derartige Überaktivierung der HypophysenNebennierenrinden-Achse führt zu einem gesteigerten Abbau von Muskelund Fettgewebe, einer Beeinträchtigung der Wundheilung und zu einer ausgeprägten Hemmung der Immunreaktionen, so dass die Tiere anfälliger für Infektionskrankheiten werden. 76 Wolfgang Ruppert Damit ist der experimentelle Nachweis erbracht, dass psychosozialer Stress chronische physiologische Veränderungen hervorruft, die langfristig zu Erkrankungen führen, die auch beim Menschen vorkommen. Gleichzeitig weisen die Befunde daraufhin, welche entscheidende Rolle dem Bewältigungsverhalten für Art und Ausmaß einer Erkrankung zukommt. Zwar reagiert jeder Mensch auf vergleichbare Stresssituationen sehr individuell, aber im wesentlichen mit einem von drei typischen Mustern – mit anhaltender Wut und Verärgerung, mit Selbstvorwürfen und Depressionen, oder mit ungerührter Gleichgültigkeit. Seit den 60er Jahren versucht die epidemiologische Forschung, Zusammenhänge zwischen dem Verhalten eines Individuums und seinen Erkrankungen herzustellen. Dabei zeigte sich, dass bestimmte Erkrankungen bei Individuen häufiger auftreten, die charakteristische Persönlichkeitsmerkmale aufweisen: A-Typen sind charakterisiert durch ehrgeiziges Leistungsstreben, Rivalität und Ungeduld sowie ein erhöhtes Potential für Ärger und vor allem für Feindseligkeit. Typ-A-Personen reagieren physiologisch auf alltägliche Anforderungen und Belastungen mit einem starken Anstieg von Blutdruck und Herzschlagfrequenz sowie einer erhöhten Abgabe von Nebennierenmarkshormonen („Adrenalin-Typ“). A-Typen erleiden doppelt so häufig Herzkreislauferkrankungen (Herzinfarkt, Angina pectoris) und sterben an deren Folgen wie B-Typen. B-Typen sind demgegenüber ruhig und entspannt, selbstsicher und beherrscht. C-Typen dagegen sind eher passiv und reagieren auf alltägliche Belastungen mit Verunsicherung und auf schwere Schicksalsschläge mit Hilflosigkeit und Depression. Typ-C-Personen reagieren physiologisch mit einer erhöhten Abgabe des Nebennierenrindenhormons Cortisol („Cortisol-Typ“), das eine ausgeprägte Hemmung des Immunsystems bewirkt. C-Typen leiden sehr viel häufiger an Krankheiten, die über das Immunsystem vermittelt sind5. Andererseits muss man sich fragen, weshalb Stress und dessen Bewältigung bei einigen Menschen zu Erkrankungen führt und bei anderen nicht. Was zeichnet diese stressresistenten Menschen aus? In der Gesundheitsforschung wächst das 5 Mit den Auswirkungen von Stress auf das Immunsystem beschäftigt sich seit über 20 Jahren die Psychoneuroimmunologie, vgl. zur Einführung RUPPERT 1996 Stress und Stressbewältigung 77 Interesse an den protektiven Faktoren, die die Auswirkungen von Stress abpuffern. Es handelt sich dabei entweder um Persönlichkeitsfaktoren (wie Kompetenzerwartung, Optimismus, Hardiness oder Kohärenzsinn) oder um Faktoren der sozialen Unterstützung, die dazu beitragen, potentielle Stresssituationen anders zu bewerten und zu bewältigen (vgl. SCHWARZER 1996, S. 172ff.). 4. Kinder und Jugendliche im Stress Kinder und Jugendliche erfreuen sich – im Vergleich zu Erwachsenen und älteren Menschen - bester Gesundheit und fühlen sich auch so. Aktuelle empirische Befunde stellen jedoch eine Zunahme chronischer Erkrankungen, psychischer Störungen und psychosomatischer Beschwerden fest (vgl. HURRELMANN 1994, PALENTIEN 1997). Als Ursachen der schon frühen gesundheitlichen Beeinträchtigungen werden in den letzten Jahren zunehmend soziale und psychische Faktoren diskutiert, die mit dem Wandel der Lebensbedingungen und den damit einhergehenden neuartigen Belastungen durch Familie, Schule und Freizeit in Zusammenhang gebracht werden6. LOHAUS (1990) berichtet über eine Studie mit 342 Schülern im Alter von 7 bis 18 Jahren aus unterschiedlichen Schultypen, die mit halbstandartisierten Interviews zum Problembereich Stress befragt wurden. 72% der 7-11jährigen und 81% der 12-18jährigen antworteten auf die Frage, ob es Stress bei ihnen gibt, mit Zustimmung. Dabei benannten die jüngeren Schüler deutlich seltener, welche Ursachen ihrem Stress zugrunde liegen. Von den älteren Schülern wurden sowohl innere Faktoren wie Nervosität oder Überforderung als auch äußere Faktoren wie Zeit- und Leistungsdruck oder Streitereien angeführt. In beiden Altersgruppen wird Stress eindeutig negativ bewertet (84% der jüngeren und 90% der älteren Schüler). Bei einer Befragung von Grundschülern im Rahmen der Erprobung und Evaluation eines Stressbewältigungsprogrammes (vgl. DIRKS/KLEINHEßLING/LOHAUS 1994) wurden von den Kindern vor allem schul- und leistungsbezogene Probleme als Stressauslöser benannt. Dieses Ergebnis konnte bei einer vergleichbaren Erhebung an Grundschülern der 3. und 4. Klasse 7 nicht 6 vgl. dazu ausführlich HURRELMANN 1994 sowie die empirische Untersuchung von ZIEGLER 1996 7 Die Befragung wurde im Rahmen einer von mir betreuten Examensarbeit durchgeführt, vgl. GATZKI/KRESNICKA 1998 78 Wolfgang Ruppert repliziert werden. Hier wurden Probleme mit den Eltern und mit Freunden weitaus häufiger genannt. Von LOHAUS und Mitarbeitern (LOHAUS/FLEER/FREYTAG/KLEIN-HEßLING 1996) liegt inzwischen ein „Fragebogen zur Erhebung von Stresserleben und Stressbewältigung im Kindesalter“ vor, der es ermöglicht, bereits in diesem frühen Lebensabschnitt Informationen über mögliche Belastungen und Bewältigungsdefizite zu erhalten, um gegebenenfalls rechtzeitig intervenieren zu können. Das Erhebungsinstrumentarium besteht aus drei Skalen, mit denen die folgenden Aspekte des Stressgeschehens bei Kindern von der 3. bis zur 6. Klasse erfasst werden: das Ausmaß des aktuellen Stresserlebens Art und Umfang der eingesetzten Bewältigungsstrategien und das Ausmaß der aktuellen physischen Stresssymptomatik. Bei den präferierten Bewältigungsmaßnahmen zeigte sich, dass die Kinder vor allem problemlösende Strategien bevorzugen. Das Ergebnis deckt sich mit dem Befund, dass Kinder dieser Altersgruppe die externen Ursachen von Stress betonen (vgl. LOHAUS 1990). SEIFFGE-KRENKE (1989) erhob an 107 Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren in einer freien Befragung die typischen Probleme, die diese Altersgruppe beschäftigt, und die Bewältigung dieser Probleme. Mit 20% der Nennungen rangierten die schulischen Probleme an erster Stelle. Es wurden vor allem Leistungsdruck, Angst vor Schulversagen und Prüfungsangst, aber auch Probleme in den Beziehungen zu Mitschülern (keine Kameradschaft, Anonymität, Beziehungslosigkeit, Konkurrenzkampf) genannt. 17% der Nennungen entfielen auf Probleme, die vor allem mit der eigenen beruflichen Zukunft zusammenhängen (Arbeitslosigkeit, Mangel an Ausbildungsplätzen, Zwangswahl uninteressanter Berufe, Chancenlosigkeit). Bei den Problemen mit dem Elternhaus (16%) wurden vor allem Konformitätsforderungen, Kommunikationsprobleme (Eltern haben kein Verständnis, kein Gespräch möglich, keine Zeit) und Beschränkungen persönlicher Freiheiten und Bedürfnisse genannt. Identitätsprobleme (13%) resultierten vor allem aus Schwierigkeiten, die eigenen Gefühle zu kontrollieren, aber auch, sie zu stark zu kontrollieren, und aus Problemen mit Gehemmtheit, schlechter Laune, Trotz, Angst oder Nervosität. Etwa gleich viele Nennungen (12%) entfielen auf Probleme, die mit eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten zusammenhängen, und auf Beziehungsprobleme mit Gleichaltrigen. Probleme, die mit dem anderen Geschlecht zu tun haben, wurden von dieser Altersgruppe am seltensten genannt (10%). Stress und Stressbewältigung 79 Auffällig ist, dass sich nur etwa ein sechstel der Nennungen auf den Umgang mit den genannten Problemen bezogen. Dabei wurden nur zu 19% aktive Bewältigungsstrategien genannt, während 45% als ausweichend oder vermeidend betrachtet werden müssen. 33% der Jugendlichen gaben an, sich um soziale Unterstützung bei der Problembewältigung zu bemühen. 5. Neue Konzepte in der Gesundheitserziehung Die Bedeutung primär-präventiver Gesundheitserziehung mit Kindern und Jugendlichen steht außer Frage. Für die Entstehung der sogenannten Zivilisationskrankheiten werden gesundheitsriskante Verhaltensgewohnheiten verantwortlich gemacht, die bereits im Kindes- und Jugendalter geprägt werden (vgl. JERUSALEM/MITTAG 1994). Schulische Gesundheitserziehung zielt daher vor allem darauf ab, Kinder und Jugendliche zu Verhaltensweisen zu bewegen, die der Verbesserung und Erhaltung ihrer Gesundheit dienen. Die in dieser Richtung bisher unternommenen Erziehungsanstrengungen erwiesen sich allerdings als wenig effektiv. Die einseitig an Abschreckung oder Aufklärung orientierten Konzepte waren zu sehr auf Krankheiten und deren Verhütung fixiert. Außerdem wurde von der falschen Annahme ausgegangen, durch Wissenszuwachs oder Angstappelle ließen sich gesundheitsprotektive Verhaltensweisen erzeugen. Als weitere Begründung wird angeführt, dass für Kinder und Jugendliche die eigene Gesundheit ein zwar wichtiger, aber selbstverständlicher Zustand sei. Dieser ausgeprägte Optimismus wird noch dadurch verstärkt, dass viele Gesundheitsschädigungen aufgrund von Risikoverhalten mit großer Verzögerung eintreten, wodurch der Zusammenhang als schwer nachvollziehbar und persönlich irrelevant erlebt wird. Wegen der starken Gegenwartsorientierung ist für Kinder und Jugendliche die Befriedigung aktueller Bedürfnisse bedeutungsvoller als irgendwelche Gesundheitsbeeinträchtigungen in einer fernen Zukunft. Mit Gesundheitsvorsorge wird ein asketischer und langweiliger Lebensstil assoziiert, der die eigenen Entfaltungsmöglichkeiten einschränkt. In den neuen Konzepten zur Gesundheitserziehung spielt daher der Aspekt der Gesundheitsförderung durch die konkrete Einübung protektiver Verhaltensweisen eine bedeutsame Rolle. Alle Interventionsansätze dieser Richtung sind stark verhaltensorientiert und haben zum Ziel, eher unspezifische Kompetenzen im Hinblick auf Stressbewältigung, Konfliktregelung, Kommunikation, Widerstandsfähigkeit gegenüber Gruppendruck, Entscheidungsfähigkeit und Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls zu fördern (vgl. WEIGLHOFER 1997). „Es gilt, den Kindern und Jugendlichen dabei 80 Wolfgang Ruppert zu helfen, in konstruktiver Weise mit sich selbst und ihrer Umwelt umzugehen, indem sie lernen, soziale und leistungsbezogene Anforderungen als anregende Herausforderungen zu erleben, sich selbst Ziele zu setzen und Bewältigungsfertigkeiten zu entwickeln, in ihrem Leben einen Sinn zu sehen und eine eigene Identität zu finden, Freundschaften zu schließen und soziale Anerkennung zu gewinnen sowie in einem befriedigenden Maße Selbstakzeptanz und Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten. [...] In diesem Sinne ist Gesundheitsförderung ein Bestandteil der Persönlichkeitsförderung in kognitiver, sozialer und emotionaler Hinsicht“ (JERUSALEM/MITTAG 1994, S. 853). 6. Schulische Interventionsprogramme zur Stressbewältigung Im folgenden werden zwei präventive Interventionsprogramme zur Stressbewältigung vorgestellt, die dem gesundheitserzieherischen Konzept der gesunden Lebensweisen sehr nahe stehen. Bleib locker. Ein Stresspräventionstraining für Kinder im Grundschulalter Dieses Präventionsprogramm wurde von LOHAUS und Mitarbeitern entwickelt und mehrfach evaluiert (DIRKS/KLEIN-HEßLING/LOHAUS 1994 ; KLEIN-HEßLING/ LOHAUS 1995). Es liegt inzwischen als Buch mit Begleitcassette vor (KLEINHEßLING/LOHAUS 1998). Theoretisch basiert das Programm auf dem transaktionalen Stresskonzept von LAZARUS8. Da nach diesem Konzept Stress durch ein gestörtes oder instabiles Gleichgewicht zwischen situationalen Anforderungen und den Bewertungen und Bewältigungsfähigkeiten eines Individuums entsteht, bieten vor allem die individuellen Bewertungen und Fähigkeiten im Umgang mit situationalen Anforderungen mögliche Ansatzpunkte für Interventionen. Dabei ist zu beachten, dass Kinder stressbezogene Erlebnisse nicht selten anders bewerten als Erwachsene. In einer amerikanischen Studie (YAMAMOTO 1979, zit. nach DIRKS/KLEIN-HEßLING/LOHAUS 1994) nannten die Kinder neben Ereignissen, die allgemein als belastend angesehen werden, auch viele Situationen, die für sie einen besonderen Stellenwert haben, wie z.B. von der Klasse ausgelacht zu werden. Deshalb sind einige Trainingsbausteine des Programms der Analyse und Veränderung der stressbezogenen Situationsbewertungen durch die Kinder gewidmet. 8 vgl. dazu Abschnitt 2 Stress und Stressbewältigung 81 Eine erfolgreiche Stressbewältigung hängt vor allem von der Flexibilität ab, mit der auf verschiedene Situationen mit unterschiedlichen Anforderungen jeweils angemessen reagiert wird. Auch in diesem Bereich ist bei Kindern mit Unterschieden zum Bewältigungshandeln Erwachsener zu rechnen, da ihnen bestimmte Bewältigungsstrategien nicht zugestanden werden. So kann ein Lehrer seinen Ärger einem Kind gegenüber offen zum Ausdruck bringen; umgekehrt muss ein Kind mit Sanktionen rechnen. Die zentralen Trainingsbausteine dienen daher der Vermittlung und Erprobung neuer Bewältigungsstrategien. Das Programm besteht aus vier Trainingsbausteinen: Kennenlernen eines anschaulichen Stressmodells (die „Streßwaage“) Wahrnehmung eigener Stressreaktionen Erkennen von Stresssituationen Kennenlernen, Erproben und Bewerten neuer Bewältigungsstrategien. Die einzelnen Bausteine werden nicht sukzessiv, sondern miteinander verschränkt bearbeitet. Dabei kommen verschiedene Methoden (Wissensvermittlung, Rollenspiele, Auflockerungs- und Entspannungsübungen, mit Bildmaterial arbeiten) zum Einsatz9. Das ursprüngliche Programm10 wurde mit einem zeitlichen Rahmen von vier Doppelstunden im wöchentlichen Abstand im Rahmen des regulären Unterrichts am Vormittag durchgeführt. An der Evaluationsstudie nahmen vier Grundschulklassen mit insgesamt 83 Kindern aus zwei Grundschulen teil. Bei zwei Klassen wurde das Programm durchgeführt, während die beiden anderen Klassen als Kontrollgruppen dienten. Die Evaluation ergab, dass die Schüler nach dem Training Stresssymptome leichter identifizieren und eine größere Anzahl von Stressbewältigungsstrategien benennen11 können. Veränderungen im physischen und psychischen Empfinden konnten (außer im Bereich der Hausaufgabensituation) dagegen nicht festgestellt werden. Als mögliche Ursachen wurden diskutiert: (a) das Programm ist nicht umfangreich genug, um in allen Dimensionen positive Effekte zu erzielen; (b) die Teilnehmergruppen sind zu groß, so dass für manche Schüler die Übungsmöglichkeiten (z.B. bei 9 Einen Überblick über die Trainingsbausteine im einzelnen und eine detaillierte Beschreibung der Unterrichtsstunden geben KLEIN-HEßLING/LOHAUS 1998 10 Übersicht in DIRKS/KLEIN-HEßLING/LOHAUS 1994, S. 185 11 Der Anstieg erreichte die vierfache Höhe des Ausgangswertes! 82 Wolfgang Ruppert Rollenspielen) eingeschränkt sind; (c) die fehlende Einbindung der Eltern könnte sich hemmend auswirken. Für eine zweite Evaluationsstudie (KLEIN-HEßLING/LOHAUS 1995) wurde das Trainingsprogramm gezielt modifiziert: Ausdehnung des Trainingsprogramms auf acht Doppelstunden Verringerung der Gruppengröße auf 8-12 Schüler Einbindung der Eltern über drei informierende Elternabende Systematische Variation der Programmelemente. Um dieses erweiterte Training durchführen zu können, wurde es in Form von Nachmittagskursen im Rahmen eines Gesundheitsförderungsprogramms einer Krankenkasse angeboten. An der Studie nahmen 170 Kinder des 3. und 4. Schuljahres teil. Die Evaluation ergab nur insgesamt geringe Effekte auf die Wahrnehmung des eigenen Stresserlebens. Deutlich mehr Stressbewältigungsstrategien benennen konnten vor allem die Kinder, die an einer Trainingsvariante teilgenommen hatten, bei der vorrangig Wissen über Stresserzeugung und -vorbeugung vermittelt wurde. Allerdings hatte keine der Trainingsvarianten einen Effekt auf das berichtete Bewältigungsverhalten in Belastungssituationen. Positive Veränderungen im Stresserleben wurden vor allem von Kindern berichtet, die an einer Trainingsvariante teilgenommen hatten, bei der der Erwerb von Problemlösefähigkeiten, hauptsächlich unter Verwendung von Rollenspielen und verhaltensbezogenen Hausaufgaben, im Vordergrund stand. Am ungünstigsten fielen die Evaluationsergebnisse für die Trainingsvariante aus, bei der die Kinder eine Entspannungstechnik (die Progressive Muskelrelaxation) lernen und erproben konnten. Die Autoren räumen zwar ein, dass hier Effekte möglicherweise erst zeitverzögert einsetzen, geben aber grundsätzlich zu bedenken, ob die Wirkungen von Entspannungstechniken bei Kindern nicht überschätzt werden12. Auch die Einbindung der Eltern führte, obwohl die meisten Eltern dies begrüßten und die Wirkungen des Trainings positiv bewerteten, zu keinen messbaren Effekten. Anti-Stress-Training für Kinder Zum Abschluss sei noch kurz ein Stressmanagementprogramm vorgestellt, dessen Einsatzmöglichkeiten in der Schule erst noch zu überprüfen sind, da es in 12 Dieser Befund deckt sich mit den negativen Einschätzungen der Kinder, die im Rahmen der Examensarbeit zu dem eingesetzten Entspannungsverfahren befragt wurden, vgl. GATZKI/ KRESNICKA 1998 Stress und Stressbewältigung 83 der klinischen Arbeit mit Kindern entstanden ist (HAMPEL/PETERMANN 1998). Auch das „Anti-Stress-Training für Kinder“ (AST) basiert theoretisch auf dem transaktionalen Stresskonzept von LAZARUS. Deshalb sollen sowohl aktuelle psychische Belastungen reduziert als auch die Bewältigungskompetenzen der Kinder gesteigert werden, um auch langfristig den Umgang mit psychischen Belastungen zu verbessern. Das AST liegt in vier verschiedenen Varianten mit unterschiedlichen Zielsetzungen vor: Die beiden intensiven Versionen (8 Trainingssitzungen mit oder 6 ohne Elternbeteiligung) sind für Kinder gedacht, die bereits an stressbezogenen Krankheiten leiden. Es geht also entweder darum, im Rahmen der Sekundärprävention erkrankte Kinder therapeutisch zu behandeln oder im Rahmen der Tertiärprävention die Krankheitsbewältigung zu verbessern. Die beiden Kurzversionen mit 4 bzw. 2 Trainingssitzungen sind als primärpräventive Maßnahmen für gesunde Kinder mit ersten Anzeichen von Beanspruchungssymptomen konzipiert. Das AST ist für Kinder im Alter zwischen 8 und 13 Jahren geeignet. Obwohl das Programm als Gruppentraining konzipiert ist, dürfte sein Einsatz in der Schule mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein - insbesondere wegen der als effektiv angebenen Gruppengröße von vier bis sechs Kindern! 7. Ausblick Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass – trotz der teilweise ernüchternden Evaluationsergebnisse - die Implementation von Programmen zur Stressbewältigung in der Schule einen nicht unerheblichen Beitrag zur Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention im Kindes- und Jugendalter leisten könnte. Dies gilt insbesondere für die Grundschule, weil bei Kindern dieser Altersstufe das Verhaltensrepertoire noch wenig stabilisiert ist, so dass ein Spielraum für Veränderungen besteht, der genutzt werden sollte. Dabei zeigen die vorliegenden Evaluationsstudien, dass positive Veränderungen im Stresserleben nur zustande kommen, wenn die Kinder nicht nur ihre Kenntnisse über das Stressgeschehen und dessen Bewältigung verbessern, sondern konkrete Erfahrungen mit dem Einsatz von neuen Bewältigungsmaßnahmen machen können. Der ausschließliche Einsatz von Entspannungstechniken scheint keine positiven Effekte hervorzubringen. 84 Wolfgang Ruppert Die Förderung von Stressbewältigungskompetenzen scheint - im Einklang mit dem transaktionalen Stresskonzept - am geeignetsten, um der Individualität der Stressverarbeitungsprozesse in angemessener Form Rechnung zu tragen. Solche Programme, wie sie auch für andere Bereiche der Gesundheitsförderung, insbesondere in der Suchtprävention13, entwickelt wurden, zielen auf eine Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder. Diese Intention deckt sich mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, wie er im novellierten Hessischen Schulgesetz formuliert ist und in ähnlicher Form dem Rahmenplan Grundschule und den Rahmenplänen Biologie und Gesundheitserziehung für die Sekundarstufe I in Hessen zugrunde liegt. Literatur DIRKS, S./KLEIN-HEßLING, J./LOHAUS, A. (1994): Entwicklung und Evaluation eines Streßbewältigungsprogrammes für das Grundschulalter. In: Psychologie in Erziehung und Unterricht 41, S. 180-192 GATZKI, S./KRESNICKA, B. (1998): Streßbelastung und Streßbewältigung bei Schulkindern – eine Erhebung und Evaluation von Unterrichtsbausteinen zur Streßbewältigung in der Grundschule. Unveröffentlichte Examensarbeit. Frankfurt/Main HAMPEL, P./PETERMANN, F.(1998): Anti-Streß-Training für Kinder. Weinheim HOLST, D.V. (1993): Zoologische Stress-Forschung - ein Bindeglied zwischen Psychologie und Medizin. In: Spektrum der Wissenschaft, Heft 5, S. 92-96 HURRELMANN, K. (1994): Familienstreß, Schulstreß, Freizeitstreß. Weinheim JANKE, W./ERDMANN, G./KALLUS, W. (1985): Streßverarbeitungsfragebogen (SVF) nach W. Janke, G. Erdmann und W. Boucsein. Handanweisung. Göttingen JERUSALEM, M./MITTAG, W. (1994): Gesundheitserziehung in Schule und Unterricht. In: Zeitschrift für Pädagogik 40, Heft 6, S. 851-869 KALUZA, G./BASLER, H.-D. (1991): Gelassen und sicher im Streß. Berlin KLEIN-HEßLING, J./LOHAUS, A. 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