Inhaltsverzeichnis 1 KONFLIKTE ERKENNEN UND VERSTEHEN ______________________________________________ 2 1.1 KONSTRUKTIVE UND DESTRUKTIVE WIRKUNGEN VON KONFLIKTEN _______________________________ 2 1.2 WAS IST EIN KONFLIKT? _________________________________________________________________ 3 1.3 KONFLIKTTYPEN ______________________________________________________________________ 3 1.4 KONFLIKTE BENENNEN __________________________________________________________________ 7 1.5 KONFLIKTFAKTOREN __________________________________________________________________ 11 2 WAHRNEHMUNGS- UND ENTSCHEIDUNGSMUSTER ____ ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 2.1 BESCHRÄNKTE RATIONALITÄT ________________________________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 2.2 HEURISTISCHE ENTSCHEIDUNGEN _____________________________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 2.3 RAHMUNGSEFFEKTE ________________________________________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 2.4 GRUPPENWISSEN __________________________________________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 3 KONFLIKTDYNAMIK UND ESKALATION _______________________________________________ 18 3.1 STUFEN DER ESKALATION UND HINWEISE ZUR INTERVENTION __________________________________ 18 3.2 INTERVENTION UND DEESKALATION ______________________________________________________ 23 3.3 SACH- UND BEZIEHUNGSEBENE _______________________________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 3.4 ENTFLECHTUNG VON SACH- UND BEZIEHUNGSEBENE ______________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 4 ABGRENZUNG DER MEDIATION GEGENÜBER ANDEREN KONFLIKTREGELUNGSVERFAHREN ____________________ ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 5 GRUNDLAGEN DER MEDIATION _______________________ ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 5.1 MERKMALE DER MEDIATION _________________________________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 5.2 GESCHICHTE UND ANWENDUNGSFELDER ________________________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 5.3 VORAUSSETZUNGEN FÜR MEDIATION __________________________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 5.4 ORIENTIERUNGEN DES VERHANDELNS __________________________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 5.5 HÜRDEN AUF DEM WEG ZUR KOOPERATION _____________________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 5.6 ZIELE VON MEDIATION ______________________________________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 6 LEITBILDER DER MEDIATION _________________________ ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 6.1 VERHANDLUNGS- UND LÖSUNGSORIENTIERTER ANSATZ ____________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 6.2 TRANSFORMATIONSANSATZ __________________________________ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 7 PHASEN EINES MEDIATIONSVERFAHRENS ____________ ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 8 LITERATUR __________________________________________ ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 1 1 Konflikte erkennen und verstehen Welche spontanen Assoziationen haben Sie, wenn Sie den Begriff Konflikt hören? Eine Sammlung ergibt häufig ein Bild von massiven, zum Teil aggressiv ausgetragenen Auseinandersetzungen, die mit starken Gefühlen wie Angst, Frustration, Wut, aber auch Selbstbestätigung und Erfolg verbunden sind. Tatsächlich können Konflikte positive und negative Wirkungen entfalten - je nachdem, wie mit ihnen umgegangen wird. 1.1 Konstruktive und destruktive Wirkungen von Konflikten Ein Konflikt wird als kostenintensiv/destruktiv erfahren, wenn er nicht in neue Entscheidungen oder Verhaltensweisen resultiert und das Problem bestehen bleibt, Energie für wichtigere Dinge und Themen vergeudet, die Moral von Individuen und Gruppen zerstört, negative Selbsteinschätzungen unterstützt, Menschen noch weiter auseinander bringt und Gruppen polarisiert, unverantwortliches Verhalten produziert, ... ... Ein erfolgreiches Konfliktmanagement im Rahmen eines Mediationsverfahrens will diese Auswirkungen verhindern. Die negative Einstellung der Beteiligten gegenüber dem Konflikt kann verändert werden, wenn konstruktive Wirkungen von Konflikten deutlicher werden. Ein Konflikt wird als gewinnbringend/konstruktiv erfahren, wenn er die Beteiligung und das Engagement der vom Konflikt Betroffenen erhöht, © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 2 Diskussionen öffnet, die zur Klärung von Themen und Problemen führen, alternative Lösungen zu identifizieren hilft, Innovationen fördert, in eine Problemlösung überführt werden kann, die als Erfolg erlebt wird, ein Ventil für aufgestaute Gefühle wie Aggression, Angst und Streß bietet, den Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe fördert, zur persönlichen Entwicklung von Individuen und Gruppen beiträgt, die ihre Erfahrungen in zukünftigen Konflikten nutzen können, ... ... 1.2 Was ist ein Konflikt? Die Vielzahl unterschiedlicher Assoziationen legt nahe, zunächst nach einer generell gültigen und damit zwangsläufig auch sehr allgemeinen Beschreibung des Begriffs Konflikt zu suchen. Eine solche Definition für interpersonelle Konflikte, die in der Mediation im Mittelpunkt stehen, könnte folgendermaßen lauten: „Ein interpersoneller Konflikt liegt dann vor, wenn eine Partei Verhaltenstendenzen verfolgt, die mit den Verhaltenstendenzen einer anderen Partei nicht zu vereinbaren sind oder mindestens einer Partei nicht vereinbar zu sein scheinen. Verhalten ist hier im weitesten psychologischen Sinne zu verstehen; unvereinbar können daher nicht nur Wünsche oder Interessen sein, sondern z.B. auch Meinungen, Werte, Sympathieempfindungen und dergleichen mehr.“ (Müller-Fohrbrodt 1999: 17) 1.3 Konflikttypen Konflikte sind so zahlreich und vielfältig in unserer Gesellschaft, daß ein ordnender Überblick, der Voraussetzung für ein tieferes Verständnis von Konflikten ist, schwerfällt. In © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 3 wissenschaftlichen Arbeiten zur Konflikttheorie steht daher häufig am Anfang der Versuch einer Typologisierung. Auch wenn reale Konflikte niemals vollständig einem bestimmten Idealtypus entsprechen, so hilft eine solche Systematisierung doch, Konflikte einzuordnen, zu bewerten und entsprechende Schritte zur Intervention und Konfliktregelung zu planen. Im Konfliktmanagement, z.B. in der Mediation, definieren wir Konflikte in der Regel über das Konfliktverhalten, weil der Mediator dort auch ansetzen muß. Konflikte sind aus dieser Sicht immer manifest und nicht latent. Ansonsten handelt es sich nicht um einen Konflikt, sondern um ein noch nicht thematisiertes Problem. Unterscheidung nach Konfliktraum Unterscheidung nach dem Konfliktraum oder der Arena bezeichnen das Umfeld, in dem sich ein Konflikt abspielt. Dieser Raum bestimmt, welche Akteure in welchen Rollen aufeinander treffen. Mikro-sozialer Raum Im mikro-sozialen Raum geht es um interpersonelle Konflikte bei direkter Face-To-FaceInteraktion. Meso-sozialer Raum Im meso-sozialen Raum werden diese interpersonellen Konflikte in eine erweiterte Arena gestellt. Hier wirken Kommunikation innerhalb einer Organisation und die Beziehungen zu Akteuren anderer Organisationen bzw. Systeme zusammen. Es treten häufiger MehrParteien-Konflikte auf. Makro-sozialer Raum Der makro-soziale Raum beschreibt schließlich eine Konfliktarena in all ihrer Komplexität, insbesondere mit den strukturellen gesellschaftlichen Verflechtungen. © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 4 Unterscheidung nach beteiligten Personen / Gruppen Intrapersonelle Konflikte In der Persönlichkeit einer Konfliktpartei angelegte Konfliktfaktoren finden in der Mediation Berücksichtigung, soweit sie für die Bearbeitung der sachlichen Probleme relevant sind. Sie müssen berücksichtigt werden, weil sie die Beziehungsebene beeinflussen, auf deren Grundlage erst Sachlösungen erarbeitet werden können. Im Gegensatz zur Therapie ist in der Mediation ein Konflikt aber nicht Anlaß zur Behandlung der Persönlichkeit. Die intrapsychische Seite wird nur mit Blick auf ihren Einfluß auf die Sachebene behandelt. Interpersonelle Konflikte Diese Form von Konflikten steht hier im Zentrum. Sie ist in allen Anwendungsfeldern der Mediation relevant. In der Familienmediation, beim Täter-Opfer-Ausgleich und z.T. in der Schulmediation geht es - stärker als etwa im Bereich der Umwelt- und Wirtschaftsmediation - vor allem um die Behandlung interpersoneller Konflikte im mikrosozialen Rahmen. Intergruppenkonflikte Konflikte zwischen Gruppen liegen vor, wenn Interessengruppen oder Vertreter von Organisationen und oder gesellschaftlichen Subsystemen aufeinandertreffen, die sich in ihren Zielsetzungen unterscheiden bzw. sich bei der Art ihrer Interessenverfolgung gegenseitig beeinträchtigen. Konflikte zwischen Gruppen in einer mesosozialen Arena entstehen auch, wenn sich im Rahmen von Auseinandersetzungen Koalitionen um bestimmte Positionen bilden. In der Wirtschaftsmediation sind Intergruppenkonflikte relevant, wenn Abteilungen miteinander im Konflikt liegen oder Streitigkeiten mit anderen Unternehmen, Kunden, Vertragspartnern oder gesellschaftlichen Anspruchsgruppen vorliegen. Auch in der Umweltmediation spielen Konflikte zwischen Vertretern von Gruppen wie Unternehmen, Umweltverbänden, Bürgerinitiativen und Verwaltungen eine wesentliche Rolle. Gesellschaftliche, internationale, globale Konflikte Die Mediation profitiert als Methode sehr stark von den Traditionen der internationalen Diplomatie und der Friedensverhandlungen (Peace Making) bei internationalen Konflikten und bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Diese Formen internationaler Konfliktregelung gehören zu den wichtigsten Wurzeln der Mediation. © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 5 Unterscheidung nach der Form der Austragung Eine weitere Unterscheidung betrifft die Form, in der sich ein Konflikt äußert: Es gibt formgebundene und institutionalisierte Konflikte. Hier haben sich aufgrund strukturell angelegter Konflikte Regeln und Institutionen herausgebildet, auf die immer wieder zurückgegriffen werden kann. Beispiele sind Schiedsrichter, Schlichter, Schiedsstellen und gerichte, Vermittlungsausschüsse, Selbstverwaltungsgremien usw. Mitunter wirken institutionalisierte Formen der Konfliktregelung schon wie Rituale, die sich von den tatsächlichen und differenzierten Interessen der Konfliktparteien gelöst haben. Gut zu beobachten ist dies etwa bei Tarifauseinandersetzungen. Aber auch das gegenteilige Extrem ist problematisch für ein Konfliktmanagement. Wenn Konflikte vollkommen formlos und nicht innerhalb anerkannter Normen verlaufen, sind sie nur schwer zu beeinflussen. Daher überführt Mediation Konflikte in eine neue Form, und zwar durch die Garantie bestimmter Spielregeln des Verhandelns und Diskutierens sowie durch das strukturierte Vorgehen über mehrere Phasen (s. Kap. Error! Reference source not found.) hinweg, was eine konstruktive Konfliktregelung erleichtert. Unterscheidung nach dem Grad der Eskalation Wichtig für die Mediation ist auch die Unterscheidung nach dem Grad der Eskalation: Glasl (1994) unterscheidet zwischen kalten und heißen Konflikten. Während bei kalten, nicht ausgelebten Konflikten Frustration, fehlende Begeisterung und ein abnehmender Zusammenhalt vorherrscht, erkennen Konfliktparteien in heißen Konflikten häufig ihre tatsächlichen Motive und die Folgen ihres Handelns nicht mehr. In der Mediation müssen entsprechend die Konfliktparteien bei kalten Konflikten eher gestärkt und zu einer Interessenartikulations befähigt werden (Empowerment). Bei heißen Konflikten stehen Deeskalationstechniken im Vordergrund, um danach die Parteien zu veranlassen, auch die Perspektive des anderen anzuerkennen (Recognition). Unterscheidung nach Inhalten / Konfliktgegenständen (Issues) Die häufigste Typologisierung unterscheidet nach Streitgegenständen als vermutete Konfliktursachen. Eine solche Typenbildung (Geno-Typus) ist allerdings äußerst schwierig, da Konflikte ein dynamisches Geschehen darstellen, bei dem nur selten solche Streitobjekte © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 6 zu isolieren sind. Während Konflikte um Interessen, Daten und Beziehungen besser auf dem Wege der kooperativen Verhandlung lösbar sind, verschließen sich zumindest teilweise ideologische Konflikte und Konflikte um die radikale Veränderung gesellschaftlicher Strukturen einem Konfliktmanagement. Da allerdings eine klare Bezeichnung von Konfliktursachen wie bereits erwähnt schwierig ist, sprechen wir im weiteren meistens von Konfliktfaktoren (s. Kap. 1.5). Folgende Konflikttypen lassen sich nach Hauptgegenständen des Streites unterscheiden: Daten-/Faktenkonflikt: Informationsdefizite, Fehlinformationen, unterschiedliche Bewertung und Gewichtung von Daten Interessenkonflikt: Verfahrensbezogene, psychologische und inhaltliche Bedürfnisse und Interessen Strukturkonflikt: Administrative Abläufe, Kontrolle und Machtverteilung, Ressourcen, gesellschaftliche Verhältnisse Wertekonflikt: Vorstellungen von Moral und Verantwortung Beziehungskonflikt: Emotionen wie Sympathie/Antipathie, Vorurteile und Stereotype, Kommunikationsformen. 1.4 Konflikte benennen Konflikte benennen bedeutet eine ehrliche Suche nach Konflikten, die Sie als Individuum haben (bzw. bei Ihren Freunden, Kollegen, Klienten, Kunden etc. erleben), nach typischen Mustern, wann, wo und mit wem die Konflikte auftreten, welche Konfliktursachen Sie erkennen und mit welchen Reaktionsweisen Sie sich in der Regel auf solche Konflikte einstellen. Diese kritische Selbstanalyse ist ein wichtiger Schritt, um einige unnötige Konflikte zukünftig zu vermeiden oder eine Eskalation zu verhindern. Das Benennen von Konflikten und Erkennen von Verhaltensmustern ist die Grundlage für die Suche nach angemessenen und effektiven Konfliktregelungsmöglichkeiten. Die folgende Übung soll helfen, Konfliktfaktoren und die Auswirkungen üblicher Regelungsmethoden auf die Gewinne und Verluste der Beteiligten, gemessen an ihren Interessen, zu identifizieren. Füllen Sie die folgende Tabelle aus: © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 7 Übung „Konflikttabelle“ Angewandt Methoden Konfliktgegner Konfliktursachen / Thema von mir von anderen Wer hat gewonnen? Ich Andere Beide Keiner Vorgesetzte Kollegen Untergebene Kunden ... ... Fremde Bekannte Freunde Verwandte ... ... © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 8 Häufig zeichnen sich typische Muster einer Konfliktregelung ab. Die folgende Grafik verdeutlicht, zu welchen Gewinnen und Verlusten solche alltäglichen Verhaltensweisen zur Regelung von Konflikten bei den Beteiligten führen, wenn wir die eigentlichen Interessen Interessen-/Nutzengewinn „B“ zugrunde legen: Durchsetzung „B“/ Anpassung „A“ K2 K3 Kooperationen K1 K4 Kompromiß Durchsetzung „A“/ Anpassung „B“ Vermeidung Interessen-/Nutzengewinn „A“ Unter Berücksichtigung von Sach- und Beziehungsebene lassen sich die Konstellationen kurz charakterisieren: Vermeidung oder gegenseitige Blockade ( Lose-Lose) Konflikte sind - wie der Schmerz für den Körper - Signale, daß etwas nicht stimmt und mit Problemen zu rechnen ist, wenn nichts getan wird. Wenn die Austragung eines Konfliktes vermieden wird, so bleiben die Probleme ungelöst und wirken sich zum Nachteil beider Parteien aus. Inhaltliche Unzufriedenheit ist die Folge, denn beide können ihre Interessen nicht verwirklichen. Das gilt auch für die gegenseitige Blockade. Beide Parteien beharren hier auf ihrer Position, die sie aber nicht gegen den Willen der jeweils anderen Partei allein © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 9 verwirklichen können. Hier wird die Beziehung aus Sicht beider Parteien stark belastet. Vermeidung, Flucht oder Blockade ist die häufigste Form der Konfliktbehandlung. Durchsetzung ( Win-Lose) Die machtgestützte Form der Konfliktbehandlung ist charakteristischerweise einseitig, wird als inhaltlich ungerecht erlebt und wirkt enorm belastend für die zukünftige Beziehung, die sowohl persönlicher als auch professioneller Art sein kann. Die Konfliktpartei, die sich durchsetzt, ist kurzfristig zufrieden und kann das Siegesgefühl genießen und ihr Selbstvertrauen dadurch vergrößern. Die unterlegene Partei ist unzufrieden, in ihrem Selbstwertgefühl geschwächt und entwickelt möglicherweise Gefühle von Wut und Rache. Anpassung (Lose-Win) Hier wird eine Blockade dadurch aufgehoben, daß eine Partei freiwillig die eigenen Verhaltenstendenzen hinten anstellt bzw. aufgibt. Das Bedürfnis nach Harmonie droht hier die inhaltlichen Interessen zu unterdrücken; die Beziehungsseite wird im Verhältnis zur Sachebene überbetont. Auch hier sind einseitige, inhaltlich ungerechte Ergebnisse zu erwarten, die kurzfristig die Beziehung schonen, langfristig jedoch wenig tragfähig und wiederum belastend für die Beziehung sein können. Kompromiß Wenn sich die Konfliktparteien auf einen Kompromiß einigen, geben beide aus Sicht der ursprünglich erhofften Ergebnisse etwas nach; keiner ist so richtig zufrieden. Sowohl inhaltlich als auch auf der Beziehungsebene ist eine starke Störung vermieden worden. Das Ergebnis kann durchaus tragfähig sein. Allerdings hat der Konflikt nicht zu konstruktiven Wirkungen geführt wie Entwicklung der Persönlichkeit, Förderung von Veränderungen und Innovationen, neue Qualität des Zusammenlebens bzw. der Zusammenarbeit etc. Kooperation ( Win-Win) Ziel einer Kooperation ist es dagegen, neue Lösungen bzw. Regelungen zu finden, mit denen beide Konfliktparteien ihre Interessen über einen Kompromiß hinaus verwirklichen können. Die kooperative Form der Konfliktbewältigung führt inhaltlich und zwischenmenschlich zu einer höheren Qualität der Interaktion und wird als gewinnbringend für beide Seiten erfahren. © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 10 1.5 Konfliktfaktoren Die Suche nach Konfliktursachen bzw. Konfliktfaktoren ist Teil der Konfliktdiagnose im Mediationsverfahren, die z.T. in Einzelgesprächen vor dem eigentlichen Verfahren erfolgt, aber während der Sitzungen weiter läuft. Die Kenntnis der wichtigsten Konfliktfaktoren ist damit eine Voraussetzung für die Suche nach tragfähigen Lösungsansätzen. Konflikte lassen sich grundsätzlich einteilen in solche, die eher die Persönlichkeit und Psyche der Konfliktparteien betreffen und als Beziehungskonflikte bezeichnet werden können, und Sachkonflikte, die eher in der Objektsphäre angesiedelt sind und sich vorwiegend um sachliche Fragen drehen. Dennoch ist eine solche Einteilung rein analytischer Natur. In wirklichen Konflikten fließen diese beiden Bereiche fast immer zusammen. Die Komplexität von Konflikten ist vor allem in dem Zusammenspiel einzelner Faktoren begründet, die in der Regel nicht isoliert auftauchen und daher in einem Mediationsverfahren auch nicht einzeln und nacheinander bearbeitet werden können. Der Mediator sollte um die Vielzahl dieser Konfliktfaktoren, die im folgenden vorgestellt werden, wissen und den Konfliktparteien vermitteln, daß alle Faktoren Teil des Konfliktes sind und die Wirklichkeit der Konfliktparteien prägen. Bestimmte Gefühle sind beispielsweise genauso ein Teil der Konfliktrealität und müssen in Betracht gezogen werden wie technische oder juristische Daten und Fakten. Konfliktfaktoren im Überblick 1. Gefühle und psychische Aspekte 2. Interessen 3. Werte 4. Wahrnehmung 5. Annahmen 6. Unterschiedliches Wissen 7. Erwartungen 8. Kulturkreis und Geschlecht © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 11 1. Gefühle und psychische Aspekte: Menschen tragen in Konflikten auch innere Spannungen aus, die ihr Verhalten prägen. Das eigene Ich hat mehrere Dimensionen, die zum Teil im Widerstreit liegen. Wir haben häufig eine Idealvorstellung vor Augen, welchen moralischen Maßstäben wir gerne gerecht würden und wie wir gerne wären. Gleichzeitig sind wir aber in den Routinen des Alltags gefangen und entscheiden gewohnheitsmäßig oder nach weniger hehren Idealen. Schließlich spüren wir nicht selten unsere dunkle Seite, sozusagen unser böses „alter ego“, das uns in konflikthaften Situationen zu radikalen Schritten veranlassen will, die wir vielleicht später bereuen. Diese innere Konfliktsituation macht es auch für die anderen Konfliktparteien schwer, ein konsistentes Bild der Person zu bekommen. Um diesem Konfliktfaktor Rechnung zu tragen, ist die Persönlichkeitsklärung ein wichtiges Moment in der Mediation. Der Mediator muß durch Nachfragen und Paraphrasieren einen Verständigungsprozeß unterstützen, in dessen Verlauf eine Konfliktpartei selbst und alle anderen erfahren, wie es um die betreffende Person steht, wie sie ihre berufliche Rolle erlebt und ihre Persönlichkeit sieht. Konfliktparteien haben ihre spezifischen Empfindlichkeiten und ambivalente Gefühle bezogen auf die nicht eindeutig einzuschätzenden Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten (müssen). Dieses Spannungsfeld versuchen die Parteien langfristig aufzulösen; sie tendieren zu einer eindeutigen Beurteilung des anderen und kapseln sich selbst emotional ab. Die Signale in der Kommunikation, die etwas über die zwischenmenschliche und berufliche Beziehung aussagen, werden in einer Weise wahrgenommen, die von der eigenen Beurteilung geprägt ist. Damit sinkt die Fähigkeit zur Empathie, d.h. der Bereitschaft und Fähigkeit, sich in jemand anderen hineinzuversetzen. Durch das gleichberechtigte Thematisieren von Gefühlen in der Mediation, die bei der Suche nach einer Konfliktregelung genauso eine Berechtigung haben, wie „harte“ materielle Aspekte, wird versucht, diesem Konfliktfaktor Rechnung zu tragen. 2. Interessen: Empathie ist auch erforderlich, um die Interessen des anderen zu erkennen und um zu verstehen, welche Bedeutung sie für ihn haben. Auch Interessen können eher sachlicher und materieller Natur sein, z.B. als Ergebnis der Ressourcenzuteilung in einem Unternehmen oder der Organisation von Arbeitsabläufen. Interessen können aber auch emotional geprägt sein und die persönliche Beziehung zwischen © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 12 Mitarbeitern betreffen, nicht im Sinne von privater, sondern zwischenmenschlicher Beziehung. Generell bilden die Interessen die Grundlage für Verhandlungen in der Mediation. Je klarer und umfassender die Interessen der Konfliktparteien aufgedeckt werden können, desto größer ist der Verhandlungsspielraum und die Chance, effiziente Lösungen im beiderseitigen Interesse zu finden. 3. Werte und Ideologie: In Konflikten spielt die unterschiedliche Wertorientierung der Parteien eine wesentliche Rolle. Beispielsweise können Menschen bestimmte Ideale hochhalten und nicht materielle Werte einfordern, während andere sich selbst eher über ihre berufliche Leistung definieren. Wertkonflikte treten in den unterschiedlichsten Feldern auf, wobei es z.B. um Geld, Freundschaft, Familie, Zeit, Geschlecht, Politik, Alter u.ä. gehen kann. Wichtige Werte stehen für Konfliktparteien nicht zur Disposition; sie werden vehement verteidigt, wenn sie in Frage gestellt oder gar bedroht erscheinen, da sie nicht ohne Verlust an Identität und Selbstsicherheit aufgegeben werden können. Die Gesamtheit wichtiger Werte nämlich bildet einen ideologischen Rahmen, auf den Menschen als Entscheidungshilfe gerade in komplexen, d.h. uneindeutigen und schwer steuerbaren Situationen oder in einer emotional aufgeladenen Atmosphäre zurückgreifen. Auch unterschiedliche Führungswerte wie die Steigerung des Shareholder Value, Anpassung, Selbstverwirklichung, von Menschen für Menschen, Dienen, Macht usw. sind oft ideologischer Hintergrund von Problemen in der Arbeitswelt und ein zentraler Konfliktfaktor. Da Werte wesentlich zur Identität von Menschen und zur Sicherung ihrer Handlungsfähigkeit gehören, muß es Ziel einer Konfliktregelung sein, daß die Parteien diese unterschiedlichen Werte zunächst als Teil der relevanten Wirklichkeit erkennen und wechselseitig akzeptieren; sie verändern sich nur allmählich im Zuge eines längeren und über den konkreten Konfliktfall hinausgehenden Lernprozesses. © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 13 4. Wahrnehmung: In Konflikten läßt sich regelmäßig eine Verengung des Blickwinkels feststellen. Die Parteien können die komplexe Konfliktwirklichkeit nur selektiv wahrnehmen. Sie reduzieren komplexe Sachverhalte und komplizierte Verbindungen auf eine überschaubare Konstruktion der eigenen Wirklichkeit, die weniger verunsichert. Typischerweise sucht man dann auch nur noch nach Bestätigungen für die eigene Sichtweise oder Annahme und vermeidet kognitive Dissonanzen, die sich durch eine bewußte Suche nach Gegenargumenten ergeben könnten. Diese kognitive Reduktion ist um so größer, je schwieriger der Konflikt erlebt wird. Die Konfliktparteien engen etwa ihre Raum- und Zeitperspektive ein. Aufgrund der Unsicherheiten über die Zukunft und das Verhalten der anderen, fällt es den Konfliktparteien schwer, sich langfristige Entwicklungen konkret vorzustellen und größere Zusammenhänge in ihr Verhaltenskalkül einzubeziehen. Wenn sich diese verkürzten Wirklichkeitskonstruktionen verfestigen, können schließlich nicht mehr die Menschen selbst über relativ offene Fragen miteinander kommunizieren, sondern nur die Bilder, die sich die Konfliktparteien voneinander und von dem anstehenden Problem machen. Verstärkt wird dieses Kommunikations- und Verständigungsproblem dadurch, daß man sich selbst und die Signale, die man glaubt auszusenden, stets anders wahrnimmt, als eine andere Person dies tut. Fremdwahrnehmung und Eigenwahrnehmung können erheblich differieren. Im Ergebnis fühlt man sich unter Umständen mißverstanden und sieht sich veranlaßt, entsprechend zu reagieren. © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 14 Erkenntnisse der Hirnforschung zur Wahrnehmung und Konstruktion von Wirklichkeit Kognition bezieht sich auf Wahrnehmungs- und Erkenntnisleistungen, die komplex, für das Leben (insbes. das psychosoziale Überleben) relevant und bedeutungsvoll und deshalb meist erfahrungsabhängig sind. Wahrnehmung dient der Orientierung in der Umwelt. Sie ist immer selektiv, erfaßt nie die „ganze Wahrheit“. Die Welt wird nur in dem Maße erfaßt, wie es für das Überleben wichtig ist; hierzu zählt für den Menschen im Laufe seiner Geschichte zunehmend auch das soziale Überleben. Die Geschehnisse der Umwelt müssen dabei nicht „richtig“ (im Sinne eines äußeren Beobachter) erkannt werden, sondern nur angemessen erfaßt werden, so daß das (Über)Leben gesichert ist. Wahrnehmungen sind daher Hypothesen über die Umwelt. Wie funktioniert nun Wahrnehmung organisch? Sinneszellen übersetzen die Reize der Umwelt in die Sprache des Gehirns. Diese Sprache besteht aus chemischen und elektrischen Signalen der Nervenzellen, die als solche nicht spezifisch sind, sondern neutral. Nicht jedes Phänomen in der Umwelt löst ein ganz eigenes Signal aus. Ob wir die Farbe rot sehen oder einen Ton hören, der meßbare elektrische Impuls, den die Nervenzellen abfeuern, ist evtl. nicht zu unterscheiden. Man spricht auch von der Neutralität des neuronalen Codes. Es ist also ganz gleich, was wir wahrnehmen, es wird immer in die gleichen chemischen und elektrischen Impulse übersetzt. Die Interpretation der Umwelt, die Bedeutungszuweisung, hängt nun davon ab, wo die Reize im Gehirn verarbeitet werden und wie sie zugeordnet werden. Kognition arbeitet mit Repräsentationen bzw. Stellvertretungen und mit internen Modellen der Welt. Wahrnehmung bildet daher die Wirklichkeit nicht ab, sondern konstruiert sie nach Kriterien, die z.T. angeboren sind, teilweise frühkindlich erworben werden und vor allem sich nach dem Vorwissen und Erfahrungen richten. Welche Rolle spielen nun Gefühle bei kognitiven Prozessen? Großhirnrinde und limbisches System bilden eine unauflösliche Einheit. Daher ist Kognition nicht möglich ohne Emotion. Emotionen sind der erlebte Ausdruck dessen, wie das Gehirn Wahrnehmung und Verhalten selbst bewertet. Diese Bewertung nach dem Grundkriterium Lust/Unlust wird im Gedächtnis festgehalten und bildet wiederum die Grundlage für zukünftige Bewertungen. Gleichzeitig entscheiden Bewertungen darüber, was im Gedächtnis abgespeichert wird. Wie tief Dinge gespeichert und wie leicht sie damit erinnert werden können, hängt ganz wesentlich von den begleitenden Emotionen ab. Bewertung und Gedächtnis stehen also in einem engen Wechselverhältnis. Gefühle leiten uns, sie warnen uns vor Handlungen und lenken uns zu anderen. Gefühle sind somit „konzentrierte Erfahrungen“. Wahrnehmung bedeutet also, daß wir die Welt konstruieren. Vieles in der Außenwelt wird bei dieser Konstruktion von Wirklichkeit ausgeblendet. Gleichzeitig enthält unsere subjektive Wahrnehmungswelt vieles, was keine Entsprechung in der Außenwelt hat, insbesondere die Dinge, nach denen wir unsere persönliche Erlebniswelt ordnen, Aufmerksamkeit, Selbstbewußtsein, Vorstellungen und Sprache. Daher können wir nur etwas über unsere subjektiven Wirklichkeiten sagen, nicht aber über eine objektive, äußere Realität, auch wenn diese existieren mag. Lit: u.a. Roth (1998) © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 15 5. Annahmen: Die Tatsache, daß die Wahrnehmungen zwischen Konfliktparteien differieren und z. T. verzerrt sind, führt dazu, daß die Kontrahenten implizit unterschiedliche Annahmen über die Person, die Motive und das zu erwartende Verhalten des jeweils anderen treffen. Verhalten sie sich entsprechend dieser möglicherweise unzutreffenden Annahmen, wird die Gegenpartei oft geradezu veranlaßt, auf diese Einschätzung und Herausforderung entsprechend zu reagieren. So werden Annahmen zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. 6. Unterschiedliches Wissen: Ein wichtiger Konfliktfaktor ist der unterschiedliche Wissensstand der Beteiligten. Aufgabe in der Mediation ist es daher, die Konfliktparteien auf einen möglichst gleichen Informationsstand zu bringen. Vor allem zu Beginn einer Mediation herrscht ein strategisches Informationsverhalten vor. Jeder wird nur die Informationen preisgeben, welche die andere Seite voraussichtlich nicht ausnutzen kann. Erst gute Erfahrungen damit, daß Informationen bei Wunsch vertraulich behandelt werden und innerhalb des Mediationskreises bleiben, unterstützen den Aufbau von Vertrauen. Zusätzlich verbessert ein gegenseitiges Geben und Nehmen das Informationsverhalten und verbreitert so den Verhandlungsspielraum und auch das geteilte Wissen, das für die gemeinsame Suche nach neuen, kreativen Lösungen wichtig ist. Folgende Matrix systematisiert das unterschiedliche Wissen in Konfliktsituationen: Wissensmatrix Anderen bekannt Anderen nicht bekannt Einem selbst bekannt Einem selbst nicht bekannt I III Allgemeinwissen Verstecktes Wissen II IV Gehütetes Wissen Unbekanntes Wissen © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 16 7. Erwartungen: Jeder Mensch hat gewisse Erwartungen an sich selbst: Ziele, die wir erreichen wollen, Verhaltensweisen, die wir verstärken oder uns abgewöhnen wollen, eine geistige und moralische Grundhaltung, die unseren Charakter bestimmen soll. Gleichzeitig sind wir uns dessen bewußt, daß auch andere Erwartungen mit unserer Person verbinden. Allerdings vermuten wir abgesehen von den deutlich formulierten Erwartungen immer auch noch weitere Ansprüche, denen wir entweder gerecht werden wollen, die uns frustrieren, weil sie unerfüllbar erscheinen oder die wir auch bewußt enttäuschen wollen, um kein falsches Bild aufkommen zu lassen. Wichtige Erwartungen bei Konflikten in der Arbeitswelt ergeben sich aus den Hierarchiespielregeln. Führungskräfte sehen sich Erwartungen ihrer Mitarbeiter gegenüber, ohne daß diese der Führungskraft jedoch immer deutlich mitgeteilt werden, sei es, weil Kritik negative Folgen nach sich ziehen könnte, oder weil kein Raum dafür geschaffen wird. Andererseits hat eine Führungskraft bestimmte Erwartungen an Mitarbeiter, ohne daß diese immer unmißverständlich deutlich werden. 8. Kulturkreis und Geschlecht: Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen oder/und unterschiedlichen Geschlechts haben in der Regel eine unterschiedliche Sozialisation durchlaufen, die auch ihr Konfliktverhalten prägt. Hier wirken sich Verhaltensmuster aus, die den Kindern vermittelt werden, und unterschiedliche Lebenserfahrungen, die zu bestimmten Haltungen und Reaktionsweisen geführt haben. Diese Unterschiede erschweren zum Teil das gegenseitige Verstehen von Motiven und Handlungen. Es entsteht viel Raum für verzerrte Wahrnehmungen und implizite Annahmen. Diese werden oft nicht direkt geäußert und überprüft, weil sie sich auf intime Bereiche der Persönlichkeit des anderen beziehen. Davor schrecken Konfliktparteien in der Regel zurück, wenn keine enge persönliche Beziehung zwischen ihnen besteht. Es wird als unangemessen oder gar verletzend empfunden. Statt dessen fließen die Unterschiede in der Persönlichkeit unbewußt oder verdeckt in einen Konflikt ein. Im Rahmen eines Mediationsverfahrens sollte genug Vertrauen aufgebaut werden, um diesen Faktor ansprechen zu können, falls er für den Konflikt wesentlich zu sein scheint. Im Zweifelsfall kann ein Mediator im Einzelgespräch die Haltung der Parteien zu dieser Frage herausfinden. © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 17 2 Konfliktdynamik und Eskalation 2.1 Stufen der Eskalation und Hinweise zur Intervention Konflikte haben nach dem oben Gesagten also zwei grundsätzliche Ebenen. Auf der Beziehungsebene liegen intrapsychische und durch Kommunikationsprobleme verursachte Konfliktfaktoren vor; die Sachebene ist durch das Umfeld der Organisation, die beruflichen Rollen und Kompetenzbereiche, sachliche Interessen usw. geprägt. Sach- und Beziehungsebene verstärken sich als Konfliktebenen gegenseitig und sorgen für eine innere Dynamik in der Entwicklung eines Konfliktes, die geradezu mechanistisch in eine Eskalation führt. Glasl (1994) hat an dem Beispiel für Konflikte in Organisationen ein differenziertes Bild dieser Eskalation in neun Stufen entwickelt. Danach steigert sich die Konfliktintensität nicht kontinuierlich, sondern stufenweise. Zwischen den Stufen liegen Wendepunkte, die die Parteien als kritische Schwellen im Konflikt erleben. Diese Schwellen haben nicht immer strategische Bedeutung, sondern appellieren an das Gefühl oder haben symbolischen Charakter. Beispiele sind etwa der Bruch mit Konventionen wie informellen gemeinsamen Sitzungen nach dem Mittagessen, die Information nicht beteiligter Gruppen oder der Öffentlichkeit über einen gruppeninternen Konflikt und ähnliches. Bis zu diesen Schwellen gibt es eine gegenseitige Koordination der Erwartungen. Die Konfliktparteien wissen, womit sie beim anderen rechnen können. Mit dem Überschreiten einer Schwelle werden diese stillschweigenden Übereinkünfte gebrochen. Auf der neuen Stufe gelten neue Normen, Maße und Regeln, und alle sind sich der neuen qualitativen Eskalationsstufe bewußt. Die Schwellen wirken in dieser Dynamik in zweifacher Hinsicht. Einerseits werden sie als Warnzeichen wahrgenommen; die Konfliktparteien wollen den Vorwurf gegen sich vermeiden, sie seien für die Ausweitung des Konfliktes verantwortlich und respektieren die nächste Stufe für eine gewisse Zeit als unbetretbar. Andererseits sind die Schwellen auch eine Art „point of no return“, das Zurück wird schwieriger, da es mit dem Eingeständnis von Fehlern und möglicherweise sogar Gesichtsverlust verbunden sein könnte. Wir wollen die neun Stufen im folgenden sehr skizzenhaft vorstellen: © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 18 Stufe 1: Verhärtung Unterschiedliche Standpunkte in einer Organisation oder Gruppe verhärten bisweilen und prallen aufeinander. Das Bewußtsein dieser Spannungen kann eine Verkrampfung erzeugen. Allerdings sind die Vertreter der unterschiedlichen Meinungen davon überzeugt, daß die Spannungen durch Gespräche lösbar sind. Es existieren noch keine starren Parteien oder Lager. Stufe 2: Debatte In den Auseinandersetzungen entsteht eine Diskrepanz zwischen Ober- und Unterton. Zwischen den Zeilen wird Feindseligkeit spürbar. Es bilden sich zeitweise Subgruppen um Standpunkte. In der Kommunikation schreiben sich die Parteien unterschiedliche Ich-Positionen im Sinne der Transaktionsanalyse zu (Eltern-Ich, Kind-Ich, Erwachsenen-Ich). Die Kommunikation ist dann nicht mehr komplementär (vgl. dazu die Ausführungen zur Transaktionsanalyse in Block 2). Die Konfliktparteien wenden quasi-rationale Taktiken an: Kausalitätsstreit, extreme Schlußfolgerungen, Zusammenhänge suggerieren, an Denkgewohnheiten appellieren, krasses Dilemma ausmalen („Was wäre, wenn alle Mitarbeiter in den anderen Filialen zur gleichen Zeit genauso handeln würden?“). Die Schwelle zu dieser zweiten Stufe besteht in dem Bewußtsein, daß diese Taktiken für die Interessendurchsetzung als Waffen erlaubt sind. Sie versprechen Verhandlungsvorteile im Vergleich zur Situation auf Stufe 1, so daß die Eskalation sehr wahrscheinlich ist. Die Parteien wollen aber die gegenseitigen Beziehungen aufrecht erhalten. Stufe 3: Taten statt Worte Nachdem die Parteien verbale Auseinandersetzungen als nutzlos erfahren haben, erleben sie das Auflaufenlassen der Gegenpartei und Ergreifen von Maßnahmen so, daß sie „einen Schritt weiter gekommen sind“. Innerhalb der Gruppen steigt der Druck zur Konformität. © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 19 Symbolisches und nonverbales Verhalten wird wichtiger. Intentionen werden aus dem nonverbalen Verhalten abgeleitet, mit dem nicht auszudrücken ist, daß man bestimmte Handlungen nicht ausführen will. Fehl- und Überinterpretationen sind die Folge. Der Mediator muß auf den Stufen 2 und 3 vor allem die komplementären Beziehungen zwischen den Parteien wieder herstellen und für eine direkte Kommunikation sorgen, bei der die tatsächlichen Intentionen deutlich werden. Stufe 4: Sorge um Image und Koalitionsbildung Der Konflikt wird als Win-Lose-Spiel interpretiert. Es kann danach nur der Gegner oder man selbst gewinnen. Das Hauptinteresse liegt in der Sorge um das eigene Image. Die Umwelt soll das Selbstbild teilen. Es bilden sich stereotype Feindbilder heraus, die sich vor allem auf die Fähigkeiten, die vermutete Stärke und Effektivität der anderen Konfliktpartei beziehen, noch nicht auf deren moralische Qualitäten. Eine mögliche Taktik ist „dementierbares Verhalten“. Aktionen gegen den Gegner wahren bewußt und betont die äußeren Normen und die Form, so daß der Gegner nicht direkt zurückschlagen kann, ohne sich dem Vorwurf der Normverletzung auszusetzen. (Bsp.: Gefangener läßt das Essenstablett vor dem Wärter fallen und schüttet das Essen über die Uniform. Für alle hörbar und betont bzw. leicht ironisch entschuldigt er sich mit dem Hinweis, er sei gestolpert). Die Aktionen richten sich auf die Festigung von Bündnissen: Allianzen bestehen durch eine gemeinsame Drohung und einen gemeinsamen Feind. Fehlt dieser, so zerfällt auch die Allianz. Koalitionen versprechen den Mitgliedern einen höheren Nutzen durch die gemeinsamen Aktionen. Symbiosen sind durch starke Bindungen und Abhängigkeiten geprägt, die die Selbständigkeit der Parteien untergraben. Im Mittelpunkt steht nicht mehr das Problem aus der Sachsphäre, sondern das Problem mit dem Gegner. Die Parteien widersetzen sich der gegenseitigen Abhängigkeit, so daß der Konflikt mehr und mehr von Macht geprägt wird. Jede Seite versteht sich nur als reagierend und weist die Verantwortung für ihre Handlungen der anderen Seite zu. © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 20 Die Mediation steht vor der Aufgabe, den Unglauben an die Entwicklungsfähigkeit des Gegners aufzuheben (z.B. durch die Vermittlung kleiner „Kreditangebote“; Ermutigung zu einseitigen Vorleistungen ohne großes Risiko). Der Tendenz zur Bildung von Bündnissen kann der Mediator entgegenwirken, indem er die einzelnen Gruppenmitglieder nach ihren spezifischen Interessen fragt. Dadurch, daß die Parteien in Ruhe die Sichtweise der Gegenpartei dargestellt bekommen und der Mediator diese durch Nachfragen und Paraphrasieren weiter klärt, können Wahrnehmungsverzerrungen deutlich werden und differenziertere, weniger stereotype Bilder der Gegenpartei entstehen. Stufe 5: Gesichtsverlust Auf dieser Stufe soll der Gegner in Situationen manövriert werden, in denen er sich vor den Augen der Gruppe/Öffentlichkeit „entlarvt“ und das Gesicht verliert. Ein Vorfall genügt für die Bestätigung der negativen Einschätzung des Gegners, umgekehrt braucht es viel mehr. Diese Demaskierung hat einen rückwirkenden Effekt. Die vergangenen Handlungen der anderen Partei erscheinen plötzlich in einem ganz anderen Licht. Man will sich von der Beziehung zu diesem Gegner distanzieren, von dem man sich aus der heutigen Sicht betrachtet seit langem hintergangen fühlt. Negative Gefühle müssen nun nicht mehr unterdrückt werden, wenn sich der Gegner öffentlich unmöglich gemacht hat. Es geht nur noch um die Rehabilitation der eigenen Person, die sich mit dem Gegner in Zeiten der Kooperation evtl. gemein gemacht hatte. Nun geht es nicht mehr um das Verhalten im einzelnen, sondern um die moralische Qualität des Gegners. Der Konflikt wird somit ideologisiert und zum Wertekonflikt. Wenn die eigenen Erwartungen als heilige Werte aufgestellt werden, sind die Parteien hinsichtlich der Inhalte und des Verhaltens zunehmend bewegungsunfähig. Das Verhalten des Gegners wird auf seine gesamte Gruppe übertragen. Zum Teil überzogene Mittel und Reaktionen führen zu noch größerer Gruppenkohäsion (Komplizenschaft, Schuldsymbiose). Auf dieser Stufe werden Interne bei einer Intervention nicht mehr akzeptiert. Der Mediator muß in der ersten Phase des Mediationsverfahrens zunächst einzeln die Hintergründe und die Konfliktgeschichte aufarbeiten und in gemeinsamen Sitzungen dann für © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 21 einen Austausch dieser Wahrnehmungen sorgen. Mit dem Mediationsverfahren muß ein vertrauliches und nicht öffentliches Forum geschaffen werden, bei dem der offene Dialog als Regel deutlich und die Angst vor einem Gesichtsverlust kleiner wird. Stufe 6: Drohstrategien Bei Drohmanövern sieht der Drohende nur seine Forderung. Die angedrohte Sanktion wird als Abschreckung und Demonstration der Entschlossenheit interpretiert. Der Bedrohte sieht dagegen nur die Schadensfolgen und das Sanktionspotential. Er interpretiert die Drohung als Provokation der Gewalt. Bei Drohmanövern geht es nicht vorwiegend um physische Gewalt, sondern um Maßnahmen wie das Einschalten der Öffentlichkeit oder das Ausnutzen aller Kontakte und Einflußmöglichkeiten. Drohmanöver zeigen die gleiche paradoxe Wirkung wie die Strategie der Selbstbindung: die Konfliktparteien streben dadurch größere Glaubwürdigkeit und die Kontrolle der Situation an, verlieren sie aber faktisch, weil sie sich den Weg zurück abschneiden und von der Reaktion der Gegenpartei abhängen. Zum Teil kann selbst irrationales Über-Drohen strategisch-rational eingesetzt werden („Ihr seht, von nun an müßt ihr mit allem rechnen“). Die Parteien definieren sich nur noch als Reagierende. Auf dieser Stufe können die Verhaltensregeln, denen sich die Parteien in einem Mediationsverfahren unterwerfen, eine wichtige Rolle spielen. Unter Umständen muß der Mediator sehr deutlich auf die Geschäftsordnung verweisen, um bestimmte Verhaltensweisen schlicht zu unterbinden. Widersetzen sich die Parteien, würden sie nach außen zeigen, daß sie sich einseitig einer gemeinsamen Lösungssuche verschließen. Das Mediationsverfahren kann hier eine gewisse Bindungswirkung durch seine bloße Existenz entwickeln. Der Mediator darf bei den Parteien nicht die Rolle der Reagierenden akzeptieren, sondern muß sie auffordern, ihre eigenen Angebote zu machen, um dann zu hören, was die anderen zu tun bereit sind. Er muß deutlich machen, daß die Parteien als freie und erwachsene Menschen in jedem Fall Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen, auch für die nicht direkt intendierten Nebenfolgen. Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 22 Auf dieser Stufe wird der Gegner nur noch als Objekt gesehen, über den in Quantitäten von Schaden nachgedacht wird. Angriffe zielen auf sein Sanktionspotential (in Organisationen besonders Methoden, Instrumente, Prozeduren, finanzielle Mittel, Legalitätsbasis). Der Gegner soll entmachtet, aber nicht vernichtet werden. Der Verlust der Gegenpartei wird als Gewinn wahrgenommen (Lose-Lose). Verluste werden in Kauf genommen, wenn nur die Verluste des Gegners größer sind. Auch auf dieser Stufe muß der Mediator die Parteien zunächst auf die Verhaltensregeln des Mediationsverfahrens verpflichten und die Umsetzung der Gesprächsregeln unnachgiebig einfordern. Erst dann erkennen die Konfliktparteien durch die Darstellung der Interessen möglicherweise wieder den Menschen hinter dem Feindbild und die Ansätze auf den niedrigeren Eskalationsstufen lassen sich umsetzen. Stufe 8: Zersplitterung Die exponierten Vertreter einer Gruppe sollen hier von ihrer Basis abgeschnitten werden. Die Parteien sind regelrecht fasziniert und begeistert von den Vernichtungsmöglichkeiten, die sie bezüglich der gegnerischen Gruppe entdecken. Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund Der Titel der letzten Eskalationsstufe spricht für sich selbst. Es kommt zu physischer Gewalt. Die Parteien reagieren vollkommen irrational und triebgesteuert. Durch den Haß auf den Gegner und die Aggressivität verlieren sie den Blick für ihre eigene Situation vollkommen. Die Regression erreicht hier ihren Höhepunkt. 2.2 Intervention und Deeskalation Es gibt es zwei Hauptansätze zur Intervention und Deeskalation, wenn Konflikte eine relativ hohe Eskalationsstufe erreicht haben: Physische Deeskalation: Wenn die Emotionen hochkochen, die Konfliktparteien sich anschreien, Beleidigungen austauschen oder gar tätlich werden (was in bestimmten © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 23 Mediationsfeldern wie Schule, Nachbarschaft oder Interkulturelles gar nicht so weit hergeholt ist), so ist in diesen Momenten kein mediatives Gespräch möglich. Die Streitparteien müssen dann zunächst voneinander getrennt werden. Der Mediator bestimmt eine Auszeit: er unterbricht die Sitzung für eine längere Pause bzw. verschiebt den Termin für die nächste Sitzung nach hinten. Das gibt den Konfliktparteien Zeit, sich zu beruhigen und zu überlegen, was passiert ist und wie sie weitermachen wollen. Der Mediator kann in Einzelgesprächen (Caucus) mit den Parteien klären, wann sie wieder zu einem Gespräch bereit sind und bespricht nochmals die Regeln, nach denen die nächste Sitzung ablaufen sollte. Kommunikative Deeskalation: Wesentlich häufiger setzt der Mediator Kommunikationstechniken ein, die deeskalierend wirken. Hierzu gehört vor allem das Paraphrasieren, mit dem der Mediator den Aussagen die sprachlichen Spitzen nimmt und Beleidigungen wegläßt. Die Übersetzung von Vorwürfen einer Partei A in Ich-Botschaften verdeutlicht der angegriffenen Partei B, aus welcher Motivation heraus die Partei A einen Angriff gestartet hat, welche Probleme Partei A selbst hat. Auch Zusammenfassungen des Gesagten versachlichen die Diskussion und geben - wie das Paraphrasieren - den Konfliktparteien das Gefühl, daß sie gehört und verstanden worden sind. All diese Kommunikationstechniken haben zusätzlich den Effekt, das Gespräch zu verlangsamen und so die Dynamik zu entschärfen. © Prof. Dr. Andrea Budde unter Mitarbeit von Dr. Markus Troja und Stefan Kessen 24