§4 Reelle und komplexe Zahlenfolgen

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Mathematik für Physiker I, WS 2013/2014
Montag 25.11
$Id: folgen.tex,v 1.19 2013/11/25 11:54:58 hk Exp hk $
§4
Reelle und komplexe Zahlenfolgen
In der letzten Sitzung hatten wir begonnen die Grundeigenschaften reeller und
komplexer Zahlenfolgen anhand einiger Beispiele zu untersuchen. Dies wollen wir nun
noch etwas fortsetzen.
6. Die durch
an :=
1
1+
n
n
für n ≥ 1 gegebene Folge ist streng monoton steigend. Hierzu benötigen wir die
Bernoulli Ungleichung §1.Lemma 6, d.h. für alle x ∈ R mit 0 6= x ≥ −1 und alle
n ∈ N mit n ≥ 2 gilt (1 + x)n > 1 + nx. Hiermit rechnen wir jetzt
1+
1
n+1
1
n+1
n
+ n1
=
=
n+2
n+1
n+1 n
n+1
n
=
n · (n + 2)
(n + 1)2
n+1
n+1
n
n+1
n+1
(n + 1)2 − 1
n+1
n+1
1
= 1−
2
2
(n + 1)
n
(n + 1)
n
n+1
n
n+1
1
=
·
= 1,
> 1 − (n + 1) ·
2
(n + 1)
n
n+1
n
d.h. es ist
an+1 =
1
1+
n+1
n+1
>
1
1+
n
n
= an .
Die Folge (an )n∈N ist auch wieder nach oben beschränkt. Mit der allgemeinen
binomischen Formel §1.Lemma 7 erhalten wir
1
1+
n
n
n n
X
X
n 1
(n − k + 1) · . . . · n 1
=
=
· k
k
k
n
k!
n
k=0
k=0
X
n
n
X
1
n−k+1
n
1
1
=
·
· ... ·
≤
≤ 3 − < 3.
k!
n
n
k!
n
k=0
k=0
√
7. Als ein weiteres Beispiel wollen wir einsehen, dass die Folge ( n n)n≥3 streng monoton fallend ist. Ist nämlich n ∈ N mit n ≥ 3 gegeben, so haben wir
n n
(n + 1)n
n+1
1
=
= 1+
< 3 ≤ n,
nn
n
n
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also auch (n + 1)n < n · nn = nn+1 . Folglich ist
√
n+1
1
n
1
n + 1 = (n + 1) n+1 = (n + 1) n(n+1) = ((n + 1)n ) n(n+1) < nn+1
1
n(n+1)
1
= nn =
Für alle n ∈ N mit n ≥ 3 ist damit auch 1 <
beschränkt.
√
n
n≤
√
3
√
n
n.
3, die Folge ist also auch
8. Wir kommen zu einem letzten Beispiel einer sogenannten rekursiv definierten
Folge. Wir beginnen mit a0 := 1. Haben wir jetzt ein n ∈ N und ist das nte Folgenglied bereits definiert so wird das n + 1-te
√ Folgenglied in Termen des
schon bekannten n-ten Folgenglieds als an+1 := 1 + an definiert. Die ersten
Folgenglieder sind also
a0 = 1,
√
1 + 1,
a1 =
q
√
a2 =
1 + 1 + 1,
r
q
√
a3 =
1 + 1 + 1 + 1,
s
r
q
√
a4 =
1 + 1 + 1 + 1 + 1,
und allgemein ist
v
s r
u
u
q
√
t
an = 1 + · · · 1 + 1 + 1 + 1,
|
{z
}
n Wurzeln
die Folge (an )n∈N besteht also aus immer tiefer verschachtelten Wurzelausdrücken.
In Aufgabe (20) wird gezeigt das diese Folge beschränkt und streng monoton
steigend ist.
4.1
Folgenkonvergenz
Der Begriff einer Folge ist weitgehend ein Hilfsbegriff, und wir wollen jetzt ein wenig
erläutern wobei Folgen eigentlich helfen sollen. Dies ist am besten im Vergleich zur
alten Begründung“ der Analysis zu verstehen. Begonnen hat alles mit der Infinitesi”
malrechnung des siebzehnten Jahrhunderts und ein gutes Beispiel für die damals untersuchten Problemstellungen ist der Begriff der Geschwindigkeit. Wir denken uns einen
sich bewegenden physikalischen Körper. Um keine Vektoren verwenden zu müssen, gehen wir davon aus, dass sich diese Bewegung in einer festen Richtung abspielt. Dann
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können wir die Position unseres Körpers zum Zeitpunkt t durch eine einzelne Zahl x(t)
beschreiben, die etwa den Abstand des Körpers zum Koordinatenursprung angibt. Gehen wir erst einmal vom einfachsten Fall aus, und nehmen an das auf unseren Körper
keine Kräfte wirken. Dann gilt das sogenannte Trägheitsprinzip, d.h. der Körper legt in
gleichen Zeiten gleiche Strecken zurück, oder gleichwertig er legt in einem Zeitabschnitt
der Dauer ∆t eine zur Dauer des Zeitabschnitts proportionale Strecke ∆x zurück. Die
hierbei auftretende Proportionalitätskonstante, d.h. die Zahl v mit ∆x = v · ∆t, nennt
man dann die Geschwindigkeit des Körpers. Maßeinheiten ignorieren wir dabei, und
denken uns alles als Zahlen.
Die kräftefreie Bewegung ist damit recht einfach. Kommen wir zum allgemeinen
Fall der beschleunigten Bewegung, bei der auf den Körper irgendwelche Kräfte wirken.
Betrachte wieder ein Zeitintervall der Länge ∆t, und in diesem Zeitintervall lege unser
Körper die Strecke ∆x zurück. Als die mittlere Geschwindigkeit in diesem Zeitintervall
bezeichnen wir die Geschwindigkeit v die ein unbeschleunigter Körper hätte, der im
Zeitintervall ∆t die Strecke ∆x zurücklegte, also
∆x
.
∆t
Nun führt man eine Idealisierung durch. Geben wir uns einen Zeitpunkt t vor, und
betrachten immer kleinere mit t startende Zeitabschnitte ∆t, so gehen wir davon aus,
dass sich die mittlere Geschwindigkeit bezüglich der Zeitintervalle ∆t auf einen Wert
v = v(t) einpendelt“. Diese Zahl bezeichnen wir dann als die Geschwindigkeit des
”
Körpers zum Zeitpunkt t. Die Existenz dieser Zahl kann man nicht logisch herleiten, es
handelt sich nur um eine idealisierende Annahme, die sich aber als sehr erfolgreich herausgestellt hat. Die mittlere Geschwindigkeit ist ein realer Wert, in dem Sinne das wir
sie direkt messen können, die Geschwindigkeit kann man dagegen nur näherungsweise durch Messung über ausreichend kleine Zeitabschnitte bestimmen. Für praktische
Zwecke macht das keinen effektiven Unterschied da Messungen ja naturgemäß näherungsweise sind, begrifflich gibt es aber schon einen gewissen Unterschied.
Wir denken uns die Geschwindigkeit als einen Quotienten
v=
dx
dt
wobei man sich dt als einen unendlich kleinen Zeitabschnitt“ und dx als die in diesem
”
Zeitabschnitt unendlich kleine zurückgelegte Strecke“ denkt. Ist allgemein x(t) eine
”
Funktion von t so definiert“ der entsprechende Quotient dx/dt die Ableitung x0 (t)
”
von x in t, also die Änderungsrate der Größe x zum Zeitpunkt t. Diese infinitesimalen
”
Größen“ dx und dt sind dann die Größen von denen die Infinitesimalrechnung handelt.
Wieweit der Umgang mit solchen unendlich kleinen Größen gerechtfertigt ist war schon
von Anfang an umstritten, und den Schöpfern der Theorie war durchaus klar das
ihr Vorgehen den antiken Beweisstandards nicht genügt. Dies wurde aber nicht als
ernsthaftes Problem angesehen, tatsächlich war es ein erklärtes Ziel die methodischen
Grenzen der griechischen Mathematik hinter sich zu lassen. Die neuen Methoden waren
auch derart erfolgreich das Fragen nach den Grundlagen sich einfach nicht stellten.
v=
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Dieser Zustand hat gut zweihundert Jahre angedauert und geändert hat sich das
alles erst im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts im Rahmen der Theorie
der sogenannten Fourierreihen. Diese traten erstmals beim Studium der sogenannten
Wärmeleitungsgleichung auf, diese beschreibt im klassischen Fall die zeitliche Entwicklung der Temperaturverteilung in einem Draht. Eine Fourierreihe soll eine periodische
Funktion f mit Periode 2π als Überlagerung sogenannter Grundschwingungen darstellen. Diese Grundschwingungen sind einfach die Funktionen 1, sin x, cos x, sin(2x),
cos(2x) und so weiter. Hat man beispielsweise die für |x| < π durch f (x) = sign(x)
definierte Rechteckwelle“, so kann man diese als
”
4 sin x sin(3x) sin(5x)
f (x) =
+
+
+ ···
π
1
3
5
schreiben, wobei das Gleichheitszeichen in einem geeigneten Sinne zu interpretieren ist.
Als ein Beispiel für die Probleme die bei diesen unendlichen trigonometrischen Summen
auftreten, wollen wir hier den Satz von Cauchy erwähnen das eine solche unendliche
Summe stetiger Funktionen immer eine stetige Funktion definiert. Dies widerspricht
allerdings dem obigen Beispiel da die links stehende Rechteckwelle Sprünge hat, die
einzelnen Sinusterme auf der rechten Seite aber alle stetig sind. Auf diese Kritik an
seinem Satz hat Cauchy geantwortet, dass dies nämlich überhaupt kein Gegenbeispiel
sei da die rechts stehende unendliche Summe gar nicht definiert ist wenn x = π/n für
eine unendlich große und ungerade natürliche Zahl n ist, was er dann auch vorgerechnet
hat. Die Wahrheit von Cauchys Satz hing also an der Frage was eigentlich reelle Zahlen
sind, ob man also wirklich ein x = π/n der obigen Form haben kann.
Dies und andere Probleme die in diesem Rahmen auftraten machten es nötig die
Grundlagen der Infinitesimalrechnung zu überarbeiten und auf eine wirklich sichere Basis zu stellen. Durchgesetzt hat sich ein Aufbau auf der Basis des Mengenbegriffs der
selbst gerade in der Konvergenztheorie trigonometrischer Reihen entstanden war. Die
reellen Zahlen, der Funktionsbegriff und einiges mehr wurden in die heute verwendete
Form gebracht und die infinitesimalen Größen wurden vollständig aus der Mathematik
entfernt. Im mathematischen Sinn gibt es also keine unendlich kleinen oder unendlich großen Zahlen mehr, überlebt haben nur einige traditionelle Schreibweisen und
die gelegentliche Verwendung infinitesimaler Zahlen zu heuristischen oder zu Motivationszwecken. In gewisser Hinsicht wurde die antike Mathematik wieder aufgenommen,
beispielsweise ist eine der möglichen exakten Konstruktionen der reellen Zahlen eine
erweiterte Fassung der Proportionenlehre des Eudoxus.
Die Infinitesimalrechnung ist damit überhaupt keine solche mehr, da die infinitesimalen Großen eben aus ihr entfernt wurden, und so geriet auch dieser Name langsam
außer Gebrauch. So etwas wie Ableitungen wollte man aber natürlich trotzdem weiter verwenden, und daher mussten diese auf eine neue Grundlage gestellt werden. Als
Ersatz für die infinitesimalen Größen wurde der Begriff des Grenzwerts eingeführt. Es
gibt viele verschiedene Arten von Grenzwerten, alleine in diesem Semester werden wir
je nach Zählweise drei oder vier von ihnen kennenlernen. Damit sind wir jetzt soweit die
Bedeutung von Folgen einsehen zu können. Viele der verschiedenen Grenzwertbegriffe
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lassen sich auf Grenzwerte von Folgen zurückführen. Folgen sind in diesem Rahmen
dann ein reines Hilfsmittel, sie erfassen gerade den gemeinsamen Kern einer Vielfalt
von Grenzwertbegriffen. Viele der Grundaussagen über Grenzwerte überlegt man sich
zunächst für Folgen und kann sie dann auf all die anderen, uns wirklich interessierenden, Grenzwerttypen anwenden. Folgen sind also die Maschinerie die den ganzen
Kalkül am Laufen hält, haben aber für sich selbst eher selten eine Bedeutung. Das hat
leider zur Folge, dass die Theorie der Folgen zunächst recht unmotiviert und wenig
sinnvoll wirkt.
Nach all diesen Vorbemerkungen wollen wir jetzt den ersten unserer Grenzwertbegriffe einführen und definieren die Konvergenz einer Folge in R oder C wie folgt:
Definition 4.5 (Folgenkonvergenz)
Seien K ∈ {R, C} und (an )n∈N eine Folge in K. Dann konvergiert die Folge (an )n∈N
gegen eine Zahl a ∈ K wenn es für jedes > 0 eine natürliche Zahl n0 ∈ N mit
|an − a| < für alle n ∈ N mit n ≥ n0 gibt. In diesem Fall schreiben wir (an )n∈N −→ a.
Gelegentlich verwenden wir auch die verkürzte und eigentlich inkorrekte Schreibweise
an −→ a anstelle von (an )n∈N −→ a. Als Formel schreibt sich die Konvergenzbedingung
als
∀( ∈ R, > 0)∃(n0 ∈ N)∀(n ∈ N, n ≥ n0 ) : |an − a| < und meistens verkürzen wir dies zu
∀( > 0)∃(n0 ∈ N)∀(n ≥ n0 ) : |an − a| < gehen also implizit davon aus das eine reelle Zahl und n eine natürliche Zahl sind.
Beachte das wir statt <“ in der Konvergenzbedingung genausogut ≤“ verwenden
”
”
können, also
(an )n∈N −→ a ⇐⇒ ∀( > 0)∃(n0 ∈ N)∀(n ≥ n0 ) : |an − a| ≤ .
Die Implikation von links nach rechts ist hier trivial. Setzen wir umgekehrt die rechte
Seite voraus, und haben eine reelle Zahl > 0 gegeben, so ist auch /2 > 0 und somit
existiert ein n0 ∈ N mit |an − a| ≤ /2 für alle n ≥ n0 , also wegen /2 < auch
|an − a| < für alle n ≥ n0 .
Wir wollen uns jetzt noch die anschauliche Bedeutung der Konvergenzdefinition klarmachen, dies geht
n0
am schönsten für komplexe Folgen. Sei also (an )n∈N
eine komplexe Zahlenfolge im nebenstehenden Bild
ε
durch Pünktchen angedeutet. Weiter haben wir einen
a
vorgeschlagenen Grenzwert a ∈ C. Was bedeutet nun
|an − a| < ? Der Betrag einer komplexen Zahl ist ihr
Abstand zum Nullpunkt, an − a ist der Vektor von a
nach an , seine Länge |an − a| ist also der Abstand von
an zu a. Dass |an − a| < gilt, bedeutet also das an
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höchstens den Abstand zu a hat, dass also an im Kreis mit Mittelpunkt a und Radius
liegt. Insgesamt bedeutet an −→ a also, dass es für jeden noch so kleinen Kreis mit
Mittelpunkt a immer einen Index n0 gibt, ab dem die Folge ganz im Kreis liegt.
Der Index n0 = n0 () hängt dabei in der Regel von ab, je kleiner der Radius unseres Kreises ist, um so später liegt die Folge ganz im Kreis, d.h. n0 wird größer wenn
kleiner wird. Beachte das die Konvergenz an −→ a nichts über konkrete Folgenglieder
aussagt, konvergiert etwa an −→ 1, so kann trotzdem a1000 = −100 sein, man weiss
nur das die Folgenglieder irgendwann einmal nahe bei 1 sein werden.
Eine andere Interpretation ist es, sich eine gegen a konvergente Folge (an )n∈N als eine Folge von Näherungen an a zu denken. Die Konvergenzbedingung besagt dann, dass
es zu beliebig vorgegebener Fehlerschranke immer eine Stelle n0 gibt ab der die Näherungen an höchstens den Fehler haben. Wir wollen jetzt einige erste Eigenschaften
des Konvergenzbegriffs nachweisen.
Lemma 4.1 (Grundeigenschaften der Konvergenz)
Seien K ∈ {R, C}, (an )n∈N eine Folge in K und a ∈ K.
(a) Ist (an )n∈N −→ a, so gilt auch (ank )k∈N −→ a für jede Teilfolge (ank )k∈N von
(an )n∈N .
(b) Es gibt höchstens ein b ∈ K mit (an )n∈N −→ b.
(c) Genau dann konvergiert die Folge (an )n∈N nicht gegen a, wenn es eine reelle Zahl
> 0 und eine Teilfolge (ank )k∈N von (an )n∈N mit |ank − a| ≥ für alle k ∈ N
gibt.
(1)
(d) Sind (an(1) )k∈N und (an(2) )k∈N zwei Teilfolgen von (an )n∈N mit N = {nk |k ∈ N} ∪
k
k
(2)
{nk |k ∈ N}, so ist genau dann (an )n∈N −→ a wenn (an(j) )k∈N −→ a für j = 1, 2
k
gilt.
(e) Ist K = C, so gilt genau dann (an )n∈N −→ a, wenn (Re an )n∈N −→ Re a und
(Im an )n∈N −→ Im a gelten.
(f ) Ist K = C und an ∈ R für alle n ∈ N sowie (an )n∈N −→ a, so gilt auch a ∈ R und
die Folge konvergiert auch in R gegen a.
Beweis: (a) Sei (ank )k∈N eine Teilfolge von (an )n∈N . Sei > 0 gegeben. Dann existiert
ein m ∈ N mit |an − a| < für alle n ∈ N mit n ≥ m. Wegen n0 < n1 < n2 < . . . ist
nk ≥ k für jedes k ∈ N. Ist also k ∈ N mit k ≥ m, so gilt auch nk ≥ k ≥ m und somit
|ank − a| < . Dies zeigt (ank )k∈N −→ a.
(b) Sei also b ∈ K und nehme an das (an )n∈N sowohl gegen a als auch gegen b konvergiert. Angenommen es wäre a 6= b, also auch |a − b| > 0. Dann ist := |a − b|/2 > 0,
also existieren n1 , n2 ∈ N mit |an − a| < für alle n ∈ N mit n ≥ n1 und |an − b| < 9-6
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für alle n ∈ N mit n ≥ n2 . Wir erhalten n := max{n1 , n2 } ∈ N mit n ≥ n1 und n ≥ n2 ,
also
|a − b| = |a − an + an − b| ≤ |an − a| + |an − b| < 2 = |a − b|,
ein Widerspruch. Dieser Widerspruch zeigt a = b.
(c) ”=⇒” Die Verneinung von (an )n∈N −→ a ist
∃( > 0)∀(n0 ∈ N)∃(n ≥ n0 ) : |an − a| ≥ ,
es gibt also ein > 0 so, dass es für jedes n0 ∈ N stets ein n ∈ N mit n ≥ n0 und
|an − a| ≥ gibt. Nach Wahl von existiert ein n0 ∈ N mit |an0 − a| ≥ . Ist k ∈ N
und ist nk ∈ N bereits definiert, so existiert wieder nach Wahl von ein nk+1 ∈ N mit
nk+1 ≥ nk + 1 > nk und |ank+1 − a| ≥ . Damit wird rekursiv eine Teilfolge (ank )k∈N
von (an )n∈N mit |ank − a| ≥ für alle k ∈ N definiert.
”⇐=” Wähle ein > 0 und eine Teilfolge (ank )k∈N von (an )n∈N mit |ank − a| ≥ für
alle k ∈ N. Angenommen (an )n∈N würde gegen a konvergieren. Nach (a) konvergiert
dann auch (ank )k∈N gegen a, und somit existiert ein k0 ∈ N mit |ank − a| < für alle
k ∈ N mit k ≥ k0 , also insbesondere |ank0 − a| < , ein Widerspruch. Also konvergiert
(an )n∈N nicht gegen a.
(d) ”=⇒” Klar nach (a).
”⇐=” Sei > 0. Für j = 1, 2 gibt es dann wegen (an(j) )k∈N −→ a ein kj ∈ N mit
k
(1)
(2)
|an(j) − a| < für alle k ∈ N mit k ≥ kj . Setze n0 := max{nk1 , nk2 } ∈ N. Sei n ∈ N
k
(1)
(2)
mit n ≥ n0 . Wegen N = {nk |k ∈ N} ∪ {nk |k ∈ N} existieren dann ein j ∈ {1, 2} und
(j)
(j)
(j)
ein k ∈ N mit n = nk . Wegen nk = n ≥ n0 ≥ nkj ist dann k ≥ kj und somit haben
wir |an − a| = |an(j) − a| < . Dies zeigt (an )n∈N −→ a.
k
(e) ”=⇒” Sei > 0. Wegen (an )n∈N −→ a existiert ein n0 ∈ N mit |an − a| < für alle
n ∈ N mit n ≥ n0 . Für jedes n ∈ N mit n ≥ n0 ist dann nach §3.Lemma 3.(a) auch
| Re(an ) − Re(a)| = | Re(an − a)| ≤ |an − a| < und ebenso | Im(an ) − Im(a)| = | Im(an − a)| ≤ |an − a| < . Damit ist (Re(an ))n∈N −→
Re(a) und (Im(an ))n∈N −→ Im(a).
”⇐=” Sei > 0. Wegen (Re(an ))n∈N −→
√ Re(a) und (Im(an ))n∈N −→ Im(a) existieren
n1 , n2 ∈ N mit
√ | Re(an ) − Re(a)| < / 2 für alle n ∈ N mit n ≥ n1 und | Im(an ) −
Im(a)| < / 2 für alle n ∈ N mit n ≥ n2 . Setze n0 := max{n1 , n2 } ∈ N. Für jedes
n ∈ N mit n ≥ n0 gilt dann n ≥ n1 und n ≥ n2 , also nach §3.Lemma 3.(a) auch
√
|an − a| ≤ 2 max{| Re(an − a)|, | Im(an − a)|}
√
√
= 2 max{| Re(an ) − Re(a)|, | Im(an ) − Im(a)|} < 2 · √ = .
2
Dies beweist (an )n∈N −→ a.
(f ) Nach (e) gilt (an )n∈N = (Re(an ))n∈N −→ Re(a), und mit (b) folgt a = Re(a) ∈ R.
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Die Aussage (f) des Lemmas besagt, dass es für eine reelle Zahlenfolge (an )n∈N egal ist,
ob wir sie als reelle Folge oder als komplexe Folge betrachten, an der Konvergenz der
Folge ändert sich dabei nichts. Insbesondere kann man den komplexen Fall K = C meist
als den allgemeinen Fall behandeln, und sich K = R dann als Spezialfall denken. Zum
Abschluß wollen wir jetzt noch ein erstes Beispiel einer konvergenten Folge behandeln.
Das Grundbeispiel einer konvergenten Folge ist die Folge (1/n)n≥1 . Wir behaupten das
diese Folge gegen Null konvergiert
1
−→ 0.
n n≥1
Um dies zu beweisen, folgen wir der Konvergenzdefinition. Sei > 0. Nach der archimedischen Eigenschaft §1.Lemma 5 der reellen Zahlen existiert eine natürliche Zahl
n0 ∈ N mit n0 > 1, also insbesondere n0 ≥ 1. Für jedes n ∈ N mit n ≥ n0 ist damit
auch
1 1
= ≤ 1 < .
n n
n0
Damit ist diese Behauptung gezeigt. Diese Folge ist natürlich vergleichsweise einfach,
die Bedeutung dieses Grenzwerts sollte man aber nicht unterschätzen. Wir wir sehen werden, werden viele andere Grenzwerte letztlich genau auf 1/n −→ 0 zurückgeführt. Wie sie am Beweis sehen, ist die Konvergenz von (1/n)n∈N gegen Null äquivalent zur archimedischen Eigenschaft der reellen Zahlen. Diese beruhte letztlich auf dem
Vollständigkeitsaxiom, und tatsächlich sind die Axiome eines angeordneten Körpers alleine nicht stark genug zu beweisen das (1/n)n∈N gegen Null konvergiert. Dies wirklich
einzusehen, bedarf allerdings der Konstruktion eines schon vergleichsweise komplizierten Gegenbeispiels und soll hier nicht vorgeführt werden.
√
Wir
schauen
uns
noch
ein
zweites
Beispiel
an
und
behaupten
das
die
Folge
(
n + 1−
√
n)n∈N gegen Null konvergiert. Sei also ein > 0 gegeben. Nach der archimedischen
Eigenschaft der reellen Zahlen §1.Lemma 5 existiert ein n0 ∈ N mit n0 > 1/(42 ) und
für jedes n ∈ N mit n ≥ n0 sind damit auch n ≥ n0 > 1/(42 ) und
√
√
1
1
q
0< n+1− n= √
= ,
√ <q
1
1
n+1+ n
+
42
42
√
√
√
√
√
√
also | n + 1 − n| = n + 1 − n < . Dies zeigt ( n + 1 − n)n∈N −→ 0.
Wir haben bereits den Begriff der Konvergenz einer reellen oder komplexen Folge
gegen eine Zahl eingeführt und unter anderem bewiesen, dass eine solche Folge gegen
höchstens eine Zahl konvergieren kann. Damit können wir nun auch den Grenzwert
einer Folge definieren.
Definition 4.6 (Folgengrenzwerte)
Sei K ∈ {R, C}. Dann heißt eine Folge (an )n∈N in K konvergent wenn es ein a ∈ K mit
(an )n∈N −→ a gibt. Nach Lemma 1.(b) ist a ∈ K dann eindeutig bestimmt und heißt
der Grenzwert der Folge (an )n∈N , geschrieben als
a = lim an .
n→∞
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Montag 25.11
Eine nicht konvergente Folge heißt divergent.
Beachte das der Grenzwert einer reellen oder komplexen Folge eine reelle oder komplexe
Zahl ist, es macht also keinerlei Sinn zu sagen der Grenzwert geht gegen irgendetwas“.
”
Nach Lemma 1.(a) ist jede Teilfolge einer konvergenten Folge wieder konvergent und hat
denselben Grenzwert wie die Originalfolge. Weiter ist eine komplexe Folge (zn )n∈N nach
Lemma 1.(e) genau dann konvergent wenn die Folgen der Real- und der Imaginärteile
beide konvergent sind, und in diesem Fall gelten
Re lim zn = lim Re(zn ) und Im lim zn = lim Im(zn ).
n→∞
n→∞
n→∞
n→∞
Schließlich besagt Lemma 1.(f) das es für eine reelle Folge keine Rolle spielt, ob wir sie
in K = R oder in K = C betrachten, sowohl die Konvergenz als auch der notwendig
reelle Grenzwert stimmen in beiden Fällen überein. Daher kann man, wie schon einmal
erwähnt, den komplexen Fall K = C als den allgemeinen Fall“ behandeln.
”
Lemma 4.2 (Grundeigenschaften konvergenter Folgen)
Seien K ∈ {R, C} und (an )n∈N eine konvergente Folge in K. Dann gelten:
(a) Die Folge (an )n∈N ist beschränkt.
(b) Die Folge der Beträge (|an |)n∈N ist wieder konvergent und es gilt
lim |an | = lim an .
n→∞
n→∞
Beweis: Sei a ∈ K der Grenzwert der Folge (an )n∈N .
(a) Wegen (an )n∈N −→ a existiert ein n0 ∈ N mit |an − a| < 1 für alle n ∈ N mit
n ≥ n0 . Weiter setzen wir
c := max{|a| + 1, |a0 |, . . . , |an0 −1 |} ≥ 0.
Dann gilt |an | ≤ c für alle n ∈ N. Sei nämlich n ∈ N gegeben. Ist dann n < n0 , so
haben wir sofort |an | ≤ c nach Definition von c, und ist n ≥ n0 , so ist ebenfalls
|an | = |a + (an − a)| ≤ |a| + |an − a| < |a| + 1 ≤ c.
Damit ist die Folge (an )n∈N beschränkt.
(b) Sei > 0. Dann existiert ein n0 ∈ N mit |an − a| < für alle n ∈ N mit n ≥ n0 .
Für jedes n ∈ N mit n ≥ n0 ist dann nach §3.Lemma 3.(e) auch
|an | − |a| ≤ |an − a| < .
Dies zeigt (|an |)n∈N −→ |a|.
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Wir kennen bereits den Grenzwert
1
=0
n→∞ n
lim
und einige weitere Grenzwerte sind eine unmittelbare Folgerung. Beispielsweise ist
lim
n→∞ n2
1
= 0,
+1
einfach da (1/(n2 + 1))n∈N eine Teilfolge von (1/n)n∈N ist. Zwei weitere Beispiele wollen wir jetzt einfach angeben, die zugehörigen Beweise sind die Übungsaufgaben (17)
beziehungsweise (18). Sei q ∈ C. Dann gilt
(q n )n∈N ist konvergent ⇐⇒ |q| < 1 oder q = 1
und im Konvergenzfall ist
(
0, |q| < 1,
lim q n =
n→∞
1, q = 1.
Für jedes q ∈ C ist dagegen
qn
= 0.
n→∞ n!
Wir kommen jetzt zu einem schon recht komplizierten Beispiel, wir wollen die Folge
n
1
an = 1 +
n
lim
auf Konvergenz untersuchen. Wir wissen bereits, dass diese Folge streng monoton steigend und nach oben beschränkt ist, genauer ist an < 3 für jedes n ∈ N. Der folgende
Satz zeigt, dass diese beiden Eigenschaften bereits die Konvergenz der Folge implizieren.
Satz 4.3 (Konvergenz monotoner Folgen)
Sei (an )n∈N eine reelle Folge.
(a) Ist (an )n∈N monoton steigend und nach oben beschränkt, so ist (an )n∈N auch konvergent mit
lim an = sup{an |n ∈ N}.
n→∞
(b) Ist (an )n∈N monoton fallend und nach unten beschränkt, so ist (an )n∈N auch konvergent mit
lim an = inf{an |n ∈ N}.
n→∞
Beweis: (a) Schreibe s := sup{an |n ∈ N}. Sei > 0. Nach §1.Lemma 3.(a) existiert
ein n0 ∈ N mit an0 > s − . Sei n ∈ N mit n ≥ n0 . Dann ist
s − < an0 ≤ an ≤ s, also |an − s| = s − an < .
9-10
Mathematik für Physiker I, WS 2013/2014
Montag 25.11
Dies zeigt (an )n∈N −→ s.
(b) Analog.
Dieser Satz ergibt insbesondere die Existenz des Grenzwerts
n
n
1
1
= sup 1 +
.
e := lim 1 +
n→∞
n
n
n∈N
Die Zahl e ist die Euler-Napiere Konstante e = 2, 71828 . . . ist. Die ersten Folgenglieder
von an = (1 + 1/n)n sind
9
64
625
7776
117649
5
a1 = 2, a2 = , a3 = , a4 =
, a5 =
, a6 =
> ,
4
27
256
3125
46656
2
und da außerdem 3 eine obere Schranke unserer Folge ist, folgt
5
< e ≤ 3.
2
Für die meisten Zwecke innerhalb der reinen Mathematik ist das schon mehr als genau
genug. In Aufgabe (19) wird die etwas bessere Abschätzung 13/5 < e < 14/5 hergeleitet, dies kann man gerade noch auf der Basis der obigen Definition einsehen. auch
wenn man bereits merkt das die definierende Folge zur genauen Berechnung von e nicht
gut geeignet ist. Will man beispielsweise die untere Abschätzung zu e > 2, 7 = 27/10
verbessern so muss bereits das√Folgenglied (1 + 1/72)72 berechnet werden. Als nächstes
Beispiel wollen wir die Folge ( n n)n≥1 behandeln. Wir wissen bereits das diese für n ≥ 3
streng monoton fallend ist und außerdem trivialerweise durch 1 nach unten beschränkt
ist, also existiert ihr Grenzwert. Wir behaupten das
√
lim n n = 1
n→∞
gilt. Sei nämlich > 0 gegeben. Mit der archimedischen Eigenschaft der reellen Zahlen
§1.Lemma 5 erhalten wir ein n0 ∈ N mit
2
n0 > 1 + 2 .
Sei nun n ∈ N mit n ≥ n0 gegeben, also insbesondere n ≥ 2. Mit der allgemeinen
binomischen Formel §1.Lemma 7 erhalten wir
n X
√
√
n √
n √
n
n
k
n
n
n
n = ( n) = (1 + ( n − 1)) =
( n − 1) ≥
( n n − 1)2
k
2
k=0
=
n(n − 1) √
( n n − 1)2 .
2
Hieraus folgen weiter
r
r
√
√
2
2
2
( n − 1)2 ≤
und 0 < n n − 1 ≤
≤
< 2 = ,
n−1
n−1
n0 − 1
√
√
√
also schließlich | n n − 1| = n n − 1 < . Dies beweist ( n n)n≥1 −→ 1 wie behauptet.
√
n
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