Brigitte Hipfl - Thomas A. Bauer

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Brigitte Hipfl
Inszenierung des Begehrens:
Zur Rolle der Phantasie im Umgang mit Medien
(nach: Andreas Hepp: Kultur, Medien, Macht; Cultural Studies und Medienanalyse,
Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 1999. S.145-160)
Abstract
Im zu bearbeitenden Artikel macht Autorin Brigitte Hipfl die Fruchtbarkeit eines
Dialogs von Psychoanalyse und Cultural Studies am Beispiel der, in die
Medienrezeption involvierten, Phantasien deutlich.
Um die zentrale Rolle der Imagination für die Subjektbildung darzustellen, bedient sie
sich einer psychoanalytischen Theorie von Jacques Lacan zur Konzeption des Subjekts.
In ihren Ausführungen zur Phantasie zieht sie ein Modell von Ducrot (Verbindung von
Sprechakttheorie und Lacanscher Psychoanalyse) heran. Mit Hilfe der Arbeiten von
Slavoj Zizek und Renata Salecl bietet Hipfl uns auch einen anderen Zugang zur Frage
ideologischer Wirkungen.
Letztendlich hebt sie die Bedeutung der Phantasie anhand Medienrezeptionsbeispielen
hervor.
Schlagwörter:
Ozeanisches Selbst, Ideal-Ich, symbolische Ordnung, Fort-Da-Spiel, psychoanalytische
Phantasietheorien, Cultural Studies, psychische Realität, späterer Diskurs
Stefan Hauke-Diesel Matr.-Nr.: 0105970
Manuela Leitgeb
Matr.-Nr.: 0052566
696511 VO Medienpädagogik: Medienbildung, Medienkompetenz; Medienkultur
Univ.-Prof. Dr. Thomas A. Bauer, Institut für Publizistik und
Kommunikationswissenschaft,
Universität Wien, WS 2004/2005
Zusammenfassung des Artikels:
Mit Hilfe der zusammenfassenden Darstellung von Lacans psychoanalytischen
Konzepten der Subjektentwicklung beginnt Hipfl ihre Ausführungen und möchte damit
die wichtige Rolle der Vorstellungen und Bilder, die im Laufe dieses Prozesses
entwickelt werden und zur menschlichen Imagination des einheitlichen und
selbstbestimmenden Seins führen, verdeutlichen.
„Für Lacan ist die Entwicklung des Subjekts der schwierige Prozess des Kleinkindes,
über die Beziehung zu anderen, eine Position in der symbolischen Ordnung, die
sprachlich strukturiert ist, zu finden. Dieser Prozess geht einher mit Trennungs- und
Verlusterfahrungen, mit denen gleichzeitig das Begehren grundgelegt wird.“1
Nach der Entfernung vom „ozeanischen Selbst“, der Wahrnehmung einer Grenze
zwischen sich und anderen, versucht sich ein Kleinkind Dinge, die ihm Befriedigung
und somit das Gefühl von Ganzheit geben, einzuverleiben. Die mütterliche Brust ist für
gewöhnlich das erste Objekt dieser Art und wird vom Kind begehrt, wenn sie nicht
vorhanden ist. Da es dabei aber nicht um die Brust sondern um die Befriedigung geht,
mit der das Saugen verbunden ist, wird die Brust zum Zeichen für das verlorene Objekt.
Lacan nennt diese „Objekt klein a“ – sie stehen für etwas, das dem Subjekt für ein
Gefühl von Ganzheit fehlt. In diesem Zusammenhang werden erstmals Phantasien
entwickelt, es sind Bilder von Einheit und Ganzheit, die im Bereich des Imaginären
angesiedelt sind.
Jeder Mensch wird in eine bereits bestehende symbolische Ordnung hineingeboren, die
durch Sprache konstruiert und mittels Gesetze und Regeln die soziale Welt strukturiert.
Den Eintritt des Kindes in die Sprache beschreibt Lacan mit Hilfe des, von Freud an
seinem Enkelsohn beobachteten, „Fort-Da-Spiels (Wegwerfen und wieder Heranholen
einer Spule). Hier wird das Drama von Abwesenheit und Anwesenheit inszeniert. Das
Spiel ist insofern von Bedeutung, als dass das Kind dabei seine erste Signifikantenkette
bildet. Die Signifikante „fort“ erhält erst durch die Signifikante „da“ ihre Bedeutung.
Die beiden Worte stehen Für die An- und Abwesenheit des Spielzeugs, wobei
gleichzeitig im Imaginären der Wunsch, diesen Mangel zu beheben, entsteht. Dieses
Wünschen ist nach Lacan das Motivationsprinzip unseres Lebens. Dieses Begehren ist
1
Hepp, Andreas: Kultur - Medien - Macht. Cultural Studies und Medienanalyse, Winter, Rainer (Hg.),
Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 1999, S.147.
aber unmöglich, da sich es auf Idealvorstellungen aus dem symbolischen Bereich
bezieht.
„Das Begehren realisiert sich aber nicht – und das zeigt sich schon im „Fort-Da-Spiel“ –
in seiner Erfüllung oder Befriedigung, sondern darin, daß es ständig reproduziert wird“2
Der Eintritt des Subjekts in die symbolische Ordnung macht es selbst zu einem
Signifikanten in diesem System und bestimmt seine sozio-kulturelle Existenz. Hier
kommt es zur Bildung des, bei Lacan sprachlich konstruierten, Unterbewussten. Seine
geschlechtliche Identität in der symbolischen Ordnung findet das Kind in der
Ödipusphase, in der sich der Junge mit dem Vater, das Mädchen über die Mutter, die
das vom Vater Begehrte Objekt ist, identifiziert. In dieser Phase werden Bilder eines
Ich-Ideals konstruiert, Bilder, wie das Kind sein möchte. Dies bildet die Grundlage zur
Positionierung in der symbolischen Ordnung.
So sind Phantasien grundlegender Bestandteil unserer Beziehung zur Welt und unserer
Subjektivität. Sie dienen dazu, dem Nicht-Symbolisierbarem Gestalt zu verleihen,
Realität symbolisch zu konstruieren und somit Orientierung in dieser Welt zu
verschaffen. Gleichzeitig sind Phantasien auch Rahmen und Schauplatz für das
Begehren. Darin inszenieren wir unser „Fort-Da-Spiel“ immer wieder, da es nie zu Ende
sein soll, um nicht einen weiteren Mangel zu schaffen indem wir uns das „Happy End“
nehmen.
Nach Zizek sind Phantasien durch ihren intersubjektiven Charakter bestimmt, das
Begehren immer auf Andere bezogen. Er weist uns auch auf die starke Ambiguität der
Phantasien hin. In radikaler Form zeigt sich diese Ambiguität in der harmonischen
„Volksgemeinschaft“ im Nationalsozialismus und seiner Kehrseite, der
Judenvernichtung.
„In unserer Kultur sind es insbesondere die Medien, die uns eine Vielzahl an
Phantasieszenarien zur Verfügung stellen“3
In den Geschichten, die uns angeboten werden, arbeiten wir die alltäglichen
Primärphantasien wie Identität, Beziehung zu anderen und das Verhältnis zu Gesetzen
und Regeln durch.
2
Hepp, Andreas: Kultur - Medien - Macht. Cultural Studies und Medienanalyse, Winter, Rainer (Hg.),
Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 1999, S.149.
3
Hepp, Andreas: Kultur - Medien - Macht. Cultural Studies und Medienanalyse, Winter, Rainer (Hg.),
Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 1999, S.151.
Nach Zizek kommt Phantasien eine ideologische Funktion zu, sie stützen und
strukturieren Realität. Besonders deutlich wird dies in der Einnahme der
Subjektpositionen in der symbolischen Ordnung.
In diesem Zusammenhang verbindet Oswald Ducrot die Lacansche Psychoanalyse und
die Sprechakttheorie.
Laut Ducrot ist der Empfänger einer Äußerung eine diskursive Figur, die durch die
Äußerung konstruiert wird. Die angesprochene Person wird allerdings nur dann zum
Empfänger, wenn sie sich auch als solcher erkennt und die mit der Äußerung
verbundenen Verpflichtungen auf sich nimmt. (Bsp.: „Gib mir mein Geld zurück“ –
erkennt man sich als Schuldner und gehorcht, oder tut man so, als hätte man es nicht
gehört, weil man sich nicht angesprochen fühlt).
Nach Ducrot soll ein bestimmtes Bedeutungsangebot immer in Bezug auf seine ideale
Fortsetzung beschreiben werden. In elementarster Form ist dieser „spätere Diskurs“ eine
Frage, die den Empfänger zu einer bestimmten Antwort verpflichtet. Der Diskurs wird
durch den phantasmatischen Rahmen gestützt, auf den das Begehren wie auf eine
Leinwand projiziert wird. Die Entschlüsselung der Bedeutungen geschieht beim
Empfänger über die Phantasie.
„Ducrots Modell verdeutlicht, daß ein Diskurs, um erfolgreich zu sein, das Imaginäre
ansprechen muß. Diskurse bieten Positionen in der symbolischen Ordnung an (die dem
Ideal-Ich entsprechen), die aber nur eingenommen werden, wenn sie einen
phantasmatischen Rahmen bieten, in den Bilder aus dem Ideal-Ich projiziert werden
können“4
Wenn es um die Rolle der Phantasien in der Medienrezeption geht, wird davon
ausgegangen, dass das Subjekt Szenarios, an denen es teilhatte, wiedererstehen lässt und
die Identifikation mit verschiedenen Positionen möglich ist.
„Das Begehren, das in den Phantasien in Szene gesetzt wird, ist auf Ziele ausgerichtet,
die dem symbolischen Bereich entstammen. Es sind die Bilder und kulturellen
Repräsentationen, aus denen das Subjekt lernt, was es zu begehren hat.“5
4
Hepp, Andreas: Kultur - Medien - Macht. Cultural Studies und Medienanalyse, Winter, Rainer (Hg.),
Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 1999, S.152.
5
Hepp, Andreas: Kultur – Medien - Macht. Cultural Studies und Medienanalyse, Winter, Rainer (Hg.),
Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 1999, S.153.
Aus Hipfls Projekt zu Filmerfahrungen von Frauen, die sie mit der Methode der
Erinnerungsarbeit analysierte, geht die Bedeutung der Phantasien als Inszenierung des
Begehrens im Umgang mit Medien hervor.
Für die Thematik die unter „heute lasse ich mir ein Gefühl machen“ zusammengefasst
wurde, sind die Filmerfahrungen zu „Schlaflos in Seattle“ ein gutes Beispiel.
Der Film bietet verschiedene Möglichkeiten der Reinszenierung des Gefühls von
verloren sein und wiedergefunden werden, suchen und zusammengehören.
Die Filmerfahrungen von Frauen zum Film „Pretty Woman“ haben „[…] Phantasien
von Glück und sexueller Erfüllung, die Vorstellung, daß zwei Menschen zusammen ein
harmonisches Ganzes bilden, daß in der Liebe Einsamkeit aufgehoben und die
Trennung von Geist und Körper ebenso wie diverse soziale Schranken überwunden
werden.“6 eine zentrale Rolle.
In dieses Phantasma der romantischen Liebe ist das herrschende Geschlechterverhältnis
eingeschrieben. Es werden verschiedene Konstruktionen der Frau, von völlig passiv bis
zu dem konventionellen Idealbild entsprechend, angeboten. Dies veranschaulicht, was
es für Frauen bedeuten kann, das Phantasma der romantischen Liebe mit der
symbolischen Ordnung in Einklang bringen zu wollen.
Phantasien können sich aber auch an Inhalten festhalten, die gar nichts mit der eigenen
Lebenssituation zu tun haben. Dies wird anhand der Filmerfahrungen zu „Star Trek“
und „Winnetou“ ersichtlich. In der einen geht es um eine homosexuelle Beziehung von
Kirk und Spock, die Probleme und Schwierigkeiten überwindet, in der anderen ist die
unmännliche Beziehung der Männer im Zentrum, die es schafft, ohne sprachliche
Mittel, Nähe und Vertrautheit zu schaffen.
Im Hinblick auf die neuen Kommunikationstechnologien, könnte das Netz jener Raum
sein, in dem alle möglichen Begehren ausprobiert werden können.
Auswertung und Besprechung des Artikels:
Brigitte Hipfl bezieht sich in ihrem Artikel zur Bedeutung der Phantasien in der
Medienrezeption auf die These des aktiven Publikums, des Uses-And-GratificationApproach sowie des Nutzenansatzes.
6
Hepp, Andreas: Kultur - Medien - Macht. Cultural Studies und Medienanalyse, Winter, Rainer (Hg),
Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 1999, S.154.
Basis des Nutzenansatzes ist es, Medienzuwendung als aktives, sinnorientiertes soziales
Handeln zu verstehen. Dabei wendet sich der Rezipient Medieninhalten zu, die für die
Befriedigung seiner Bedürfnisse beziehungsweise für die Lösung von Problemen
relevant sind.
Bei Hipfl rückt die Inszenierung des Begehrens in den Vordergrund, erwünschte
Gefühle und Emotionen sollen durch Medienrezeption hervorgerufen und empfunden
werden.
„Sich ein Gefühl machen zu lassen“ triff hier den Nagel auf den Kopf. Wir benutzen die
Medien als Bühne zur Inszenierung unseres Begehrens, unserer Phantasien.
Die Rolle, die das „Fort-Da-Spiel“ in der Kindheit beim Drama von An- und
Abwesenheit darstellt, wird beim Erwachsenen durch die Medienrezeption substituiert.
Dabei geht es darum, die real nicht erfahrbare Befriedigung des Begehrens mit Hilfe der
Medien doch zu realisieren, das „Wirklichkeitsangebot“ zu instrumentalisieren.
Hierbei muss aber beachtet werden, dass Massenmedien nicht die einzige Möglichkeit
der Bedürfnisbefriedigung sind.
„Mediennutzung stellt nur eine von mehreren Handlungsalternativen dar, die als
potentiell funktional äquivalent (gleichwertig) angesehen werden müssen.“7
Hipfl verliert sich in ihren Ausführungen zur Subjektbildung derart in der Lacanschen
Psychoanalyse und in den Theorien von Ducrot, Zizek, etc., dass das eigentliche Thema
bleibt dem Leser beim einfachen Lesen verschlossen. „Von Professoren für
Professoren“ könnte das Motto lauten.
Nichts desto Trotz bietet der Artikel für den engagierten Leser nach mehrmaliger
Rezeption Anregungen, sich vertiefend mit Psychoanalyse auseinanderzusetzen.
Auch kommt man nach reiflicher Überlegung und Diskussion auf die Spuren der
Bedeutung der Phantasie in der Medienrezeption.
Wenn dieser Text schon nicht zum näheren Verständnis der Materie beiträgt, so sieht
man sich geradezu dazu gezwungen Bedeutungsaustausch mit Mitstudenten zu
betreiben, um die Aufgabe erfüllen zu können. Wir verleihen dem Artikel das Prädikat
„kommunikationsfördernd und freundschaftsstiftend“.
7
Burkart, Roland: Kommunikationswissenschaft, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar, 4. Auflage,
2002, S. 223.
Bibliographie:
Hepp, Andreas: Kultur - Medien - Macht. Cultural Studies und Medienanalyse,
Winter, Rainer (Hg), Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 1999.
Burkart, Roland: Kommunikationswissenschaft, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar,
4. Auflage, 2002.
Jarren, Otfried und Bonfadelli, Heinz (Hg): Einführung in die
Publizistikwissenschaft, Paul Haupt Verlag, Bern-Stuttgart-Wien, 2001.
Schönau, Walter: Einführung in die psychoanalytische Literaturwissenschaft, Pfeiffer
Joachim (Hg.), J.B. Metzler, Stuttgart-Weimar, Band 259, 2. Auflage, 2003.
www.wissen.de
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