Fulminante Virtuosität, überschäumendes Temperament... Der Auftritt der weißrussischen Cymbalistin Olga Mishula bei einer Veranstaltung im Usinger „Pianohaus im Taunus“ brachte die Zuhörer ins Schwärmen. -------------------------Von Thomas Striebig -------------------------- Usingen. „Fantastisch! Sensationell! Nicht zu fassen!“ So machten sich am Sonntag die zwischen Begeisterung und Fassungslosigkeit hin- und hergerissenen Zuhörer Luft. Im Usinger „Pianohaus im Taunus“ gastierte an diesem Abend die in München lebende weißrussische Cymbalistin Olga Mishula mit ihrem Partner, dem Pianisten Dimitrij Vinnik. Cymbal? Darunter konnten sich die Besucher zuvor sicher nicht viel vorstellen, aber da Harmut Wedell bei der Organisation der Konzerte, seien sie noch so ausgefallen, seit Jahren eine glückliche Hand bewiesen hat, fanden sich die Besucher doch wesentlich zahlreicher im Stockheimer Hof ein als zunächst angenommen. Das Instrument Olga Mishulas wurde eingehend begutachtet und bestaunt – vor dem Beginn des Konzertes angesichts seiner äußeren Unscheinbarkeit vielleicht noch etwas skeptisch, in der Pause und am Schluss der Veranstaltung dagegen mit ungläubigem Kopfschütteln. Was die Künstlerin aus diesem dem alpenländischen „Hackbrett“, das freilich nicht wie dieses gezupft, sondern geschlagen wird, an Virtuosität, aber auch an Dynamik und Ausdrucksvielfalt herausholte, verschlug auch dem Rezensenten fast die Sprache. Wie Harmut Wedell zu Beginn erläuterte, ist der weißrussische Cymbal ein direkter Vorläufer des Klaviers; Seine Saiten werden mit kleinen Hämmerchen geschlagen, so dass das seit dem 15.Jahrhundert in Europa weit verbreitete Instrument bereits eine Dynamik vom Pianissimo bis zum Fortissimo erlaubt. Warum der Cymbal in der europäischen Kunstmusik vom Cembalo verdrängt wurde, ist aus heutigen Sicht schwer nachzuvollziehen, denn das Cembalo erlaubt eben keinen dynamischen Anschlag, bedeutete also gewissermaßen einen Rückschritt. War der Cymbal den europäischen Fürstenhöfen der Barockzeit etwa zu „volkstümlich"? Dagegen waren die Instrumentenbauer, die im späteren 18.Jahrhundert das Hammerklavier entwickelten, den Vorläufer des modernen Konzertflügels, bestrebt, die Anschlagtechnik des Cymbals zu mechanisieren – und in der Tat ist der noch recht metallische, ziemlich helle Klang der früheren Hammerklaviere noch am ehesten dem des Cymbal zu vergleichen. Heute erfreut sich das Cymbal in Weißrussland großer Beliebtheit und wird in der dortigen Volksmusik gern verwendet, aber auch konzertant gespielt. Das er nicht bekannter ist, mag auch daran liegen, dass Weißrussland eben keinen Komponisten hervorgebracht hat, der die Bedeutung eines Smatana oder Dvorak, Mussorgsky, Grieg oder Sibelius erreicht. Zwei sehr fein ziseliert vorgetragene Barock-Komponisten demonstrierten zunächst, zu welch subtiler Dynamik Olga Mishulas Instrument fähig ist, wenn der oder die Ausführende denn über eine so hervorragende Spieltechnik und Musikalität verfügt wie diese Künstlerin. Danach versetzte der Schluss-Satz aus Nicolo Paganinis Zweitem Violinkonzert, die berühmte „Kampanella“, das Publikum erstmals in Erstaunen und Begeisterung – denn was die Cymbalistin in ihrem mitreißenden Vortrag leistete, war in der Tat atemberaubend. Und Olga Mishula beschränkte sich keineswegs darauf, ihre Fulminante Virtuosität vorzuführen, sondern faszinierte auch durch ihr ungemein ausdrucksstarkes Spiel. Ein musikantisches Feuerwerk, bei dem man nur allzu leicht den ebenso selbstlos wie souverän agierenden Pianisten Dimitrij Vinnik übersah, der sich als optimaler Begleiter erwies. Auffallend waren danach zwei Aspekte. Einmal die hohe Empfindlichkeit des Cymbal, dessen Saiten in Verlauf des Konzerts ständig nachgestimmt werden mussten, und zum anderen die Bevorzugung virtuoser Violinwerke durch die weißrussische Künstlerin. Da ihr Instrument die Töne nicht lange aushalten kann, die Violine andererseits häufig mit ausdrucksvollen Kantilenen und Vibrati aufwartet, verfiel Olga Mishula darauf, mit ihrem Instrument den Klang einer Mandoline oder Balalaika nachzuahmen, was vor allem Paganinis „Kampanella“ zusätzlich bereicherte. Nach einem weniger spektakulären Intermezzo, Fritz Kreislers etwas salonhaftem „Schoen Rosmarin“, folgte als zweiter Höhepunkt Franz Liszts Ungarische Rhapsodie Nr.2, eines der effektvollsten und populärsten Werke dieses Klaviervirtuosen, die man selten so ausdrucksstark hört wie an diesem Abend. Olga Mishula demonstrierte höchst eindrucksvoll, dass diese Rhapsodie eben doch weitaus mehr ist als ein virtuoses Bravourstück, nämlich ein faszinierendes, von der für die Zigeunermusik charakteristischen schroffen Gegensätzlichkeit geprägtes Werk, das seine volle Wirkung erst dann entfaltet, wenn man Franz Liszt auch als Komponisten ernst nimmt. Was Olga Mishula erkennbar tat. Nach dem sehr fein gespielten „Tanz der Zuckerfee“ aus Peter Tschaikowskys Ballett „Der Nussknacker“ bedeutete die seinerzeit sehr beliebte Carmen-Fantasie des Violinvirtuosen Sarasate in punkto Virtuosität den absoluten Höhepunkt. Aber auch hier war nicht nur die Virtuosität Olga Mishulas und Dimitrij Vinniks zu bewundern, sondern erneut auch die musikalische Gestaltung und nicht zuletzt das perfekte Zusammenspiel der beiden Künstler. Folkloristisches aus verschiedenen Regionen, vor allem natürlich aus Weißrussland stand im Mittelpunkt des zweiten Konzertabschnitts. Für große Kontraste war auch hier gesorgt. Das von Olga Mishula ohne Klavierbegleitung arrangierte weißrussische Volkslied „Vor meinem Haus“ etwa erklang sehr verhalten, fast zerbrechlich und beeindruckte mit einem von der Künstlerin gleichsam hingehauchten Schluss – noch sensibler kann man diese Musik schwerlich interpretieren. Ähnlich einfühlsam trug Olga Mishula schließlich auch Luchenoks Komposition „Erinnerung“ vor. Die „Weißrussischen Tänze“ des seinerzeit bedeutenden Cymbalisten Jinovich hingegen gefielen durch ihren tänzerischen Schwung und ihre nur kurz getrübte Extrovertiertheit. Der Einfluss der Zigeunermusik auf die weißrussische Folklore war unverkennbar, und hinsichtlich ihrer Melodieführung steht sie etwa einem Georges Enescu näher als beispielsweise Antonin Dvorak. Ein mitreißendes Virtuosenstück war dagegen wieder Zigankovs „Introduktion und Czardas“ – Pussta-Rhytmen, wie man sie sich feuriger nicht vorstellen kann. Und zum Ausklang gab es noch, ebenso grandios wie die vorherigen Programmpunkte interpretiert, lateinamerikanische Klänge, die einmal mehr Olga Mishulas überschäumendes Temperament wie auch ihre künstlerische Ernsthaftigkeit illustrierten. Ein Abend, den die Anwesenden nicht so bald vergessen dürften! Taunuszeitung 22.09.99