Die Welle Bühnenstück nach dem gleichnamigen Roman Von Morton Rhue Bühnenfassung: Axel Ziemke Zu dieser Bühnenfassung Dargestellt wird eine wahre Begebenheit, die sich 1967 in den USA abspielte: Im Geschichtskurs einer High School versucht der Lehrer Ron Jones seinen Schülerinnen und Schülern durch ein gewagtes Experiment deutlich zu machen, wie sich in einem autoritären Regime die Hörigkeit von Menschen gegenüber einem Führer und seiner Bewegung entwickeln kann. Nach einem von Ron Jones selbst verfassten Bericht schreibt der Autor Morton Rhue zehn Jahre später sein Aufsehen erregendes Buch „The Wave“. Auf Grundlage dieses Buches hat Reinhold Tritt ein Theaterstück verfasst, das in Deutschland verhältnismäßig oft gespielt wird. Eine elfte Klasse meiner Schule entschloss sich, dieses Stück unter meiner Anleitung aufzuführen. Als ich das Stück gelesen hatte, musste ich jedoch feststellen, dass es in wesentlichen Punkten für eine Aufführung (zumindest) mit dieser Klasse ungeeignet ist: 1. Das Stück hat zu wenig Rollen. 2. Es ist zu kurz. 3. Es vereinfacht die sozialen Prozesse in Ron Jones’ Geschichtskurs in unzulässiger Weise. Im Buch wird sehr eindrucksvoll deutlich, dass die Beigeisterungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler für die sich im Experiment entwickelnden totalitären Strukturen aus ihrer tiefen Sehnsucht nach Zusammengehörigkeit und wirklicher Gemeinschaft entspringt. Dieser wesentliche Aspekt ist in Reinhold Tritts Stück (zumindest für mich) nicht mehr erkennbar. Einerseits ist dadurch für (deutsche) Schülerinnen und Schüler eine wirkliche Identifikation kaum noch möglich. Andererseits verschenkt das Stück die Möglichkeit, diese Sehnsucht und die Frage nach ihrer Erfüllbarkeit zu thematisieren (die mir eigentlich noch wichtiger ist als das implizierte Verständnis für die Entwicklung totalitärer Systeme). 4. Viele Rollen verlieren im Stück die interessante Ambiguität, die sie im Buch haben. Laurie wird zur Superheldin stilisiert, während im Buch auch ihre zickige, narzisstische und gleichzeitig leicht beeinflussbare Seite deutlich wird. Robert wird zum schwächlichen MusterMitläufer, während er im Buch in der vielschichtigen Tragik seiner Persönlichkeit erscheint. 5. Das Stück bleibt in seinen komischen Momenten weit hinter der feinsinnigen Komik des Buches zurück. Ich entschloss mich daher, in sehr enger Anlehnung an das Buch, eine eigene Bühnenfassung zu schreiben, die den genannten Problemen besser gerecht wird als das Stück von Reinhold Tritt. Diese Fassung wurde von den Schülerinnen und Schülern gut angenommen und im Januar 2009 an der Rudolf-Steiner-Schule Remscheid aufgeführt. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Fassung mit einer Klasse Ihrer Schule auf die Bühne bringen wollen, dann würde mich das sehr freuen. Finanzielle Ansprüche habe ich nicht. Ein Feedback wäre schön. Axel Ziemke im Januar 2009 (e-mail: [email protected]; homepage: ziemke.freigeist.org) 2 Rollen Ben Ross, Geschichtslehrer Christie Ross, seine Frau Mrs. Owens, Direktorin Laurie, Schülerin des Geschichtskurses / später Mitglied der Welle Mrs. Saunders, Lauries Mutter Mr. Saunders, Lauries Vater Amy, Schülerin des Geschichtskurses / später Mitglied der Welle Cora, Schülerin des Geschichtskurses / später Mitglied der Welle Andrea, Schülerin des Geschichtskurses / später Mitglied der Welle Janet, Schülerin des Geschichtskurses / später Mitglied der Welle David, Schüler des Geschichtskurses / später Mitglied der Welle Brian, Schüler des Geschichtskurses / später Mitglied der Welle Brad, Schüler des Geschichtskurses / später Mitglied der Welle Robert, Schüler des Geschichtskurses / später Mitglied der Welle Deutsch, Schüler ein Jahrgang tiefer Carla, Schülerin ein Jahrgang höher Alex, Schülerin ein Jahrgang höher (Carl(a) und Alex sind im Buch Jungen, was auch wesentlich besser zu ihren Rollen passt. In meiner Klasse fehlten halt zwei weibliche Rollen.) Mehrere stumme Rollen (alle Schüler aus der Gegenbesetzung) für Footballteam, CafeteriaKunden, Albtraum-Performance, Welle-Events und ggf. Geschichtskurs Bühnenbild Hauptbühne: bis Pause Klassenzimmer, 1. und 5. Szene stehen Tische als „halbe Hufeisen“ mit Seite zum Publikum, in 7. Szene frontal zum Lehrer, nach Pause eine Art „Aula“ Linke Seitenbühne: Redaktion mit Schreibtisch oder Lauries Zuhause mit Esstisch, jeweils mit drei Stühlen Rechte Seitenbühne: Zuhause Ross mit Esstisch, Büro Owens mit Schreibtisch jeweils mit zwei Stühlen Esstisch und Schreibtisch könnten sich einfach durch Auflegen eines Tischtuchs ineinander verwandeln Bühnenrand ist Tribüne für Football Match Halbkreis vor der Bühne: Mit Stehtischen Cafeteria, ohne Tische Sporthalle Es wäre toll, wenn dieser Halbkreis im Niveau leicht über Niveau Publikum wäre. Wenn das nicht möglich ist, schnüren Football-Spieler Schuhe auf Bühnenrand Choreographien erforderlich für Albtraum, Angst, Welle-Event, ggf. Football Match 3 Zu Requisiten gehören auch Mahlzeiten 4 Intro Ross bastelt an Video / Fernsehen / Vorführgerät. Er ist leger gekleidet. Wenn Klasse später mit den Sprechrollen „zu leer“ aussieht, können schon einige SchülerInnen der Gegenbesetzung als „stumme Rollen“ anwesend sein. ROSS: Verdammt noch mal. Hätten die uns nicht einen Medienkurs anbieten können auf dem Lehrer-College! Allen Scheiß lernt man da, nur nicht das, worauf es wirklich ankommt! Dreht sich zum Publikum ROSS (verlegen): Oh, Entschuldigung! Ross, Ben Ross! Ich unterrichte hier an der Gordon High School Geschichte – wenn ich mich nicht gerade mit so einer Höllenmaschine auseinandersetzen muss. Dreht sich dabei wieder zum Gerät. ROSS: Zuhause macht meine Frau Christie so was immer. Sie unterrichtet hier übrigens auch - Musik. Die traut mir allerdings noch nicht mal zu, eine Glühbirne zu wechseln. Dreht sich wieder zum Publikum. ROSS: Aber: das stimmt nicht! Ich habe in meinem Leben schon mehrmals erfolgreich eine Glühlampe gewechselt! Und nur ganz selten ist eine dabei kaputt gegangen! Es klingelt ROSS: Das war übrigens die Schulklingel. Eigentlich müsste jetzt der Unterricht losgehen. Diese Unpünktlichkeit und die Nachlässigkeit bei den Hausaufgaben. Das nervt mich hier am meisten. Na gut, man muss ja froh sein, wenn die Kids überhaupt noch welche machen. CORA: Hi, Mr. Ross. Ich finde Hausaufgaben ja auch total wichtig. Aber die Entwicklung meiner Sozialkompetenz hat einfach Priorität! ROSS: Sehr witzig! Vielleicht stellst du dich erstmal vor! Cora entdeckt das Publikum. CORA: Oh! Ich bin Cora. Ich gehe an die Gordon High, weil es offenbar Leute gibt, die denken, ich wäre noch zu jung für die Börse. So lange muss ich eben Party machen. Ich und meine Freundin Janet sind einfach so irre toll, dass dieser Laden eigentlich einfach zu klein für uns ist. Janet knutscht übrigens noch mit ihrem Typen rum, sonst wären wir natürlich zusammen gekommen. Janet tritt auf, ordnet sich die Haare und knöpft die Bluse zu. Cora winkt ihr zu und zeigt aufs Publikum. JANET: Hi, Janet! Entschuldigen Sie bitte mein Aussehen. Mein Freund ist einfach so total verknallt in mich. Vor allem natürlich wegen meiner inneren Werte. Der 5 hat Cora und mich gerade mit seinem silberverchromten Aston Martin DB4 GT Baujahr 63 hergebracht. Eigentlich sind wir beide viel zu toll für diese Schule. BRIAN: Hi, ich bin Brian. Quarterback im Football Team von Gordon High. Football ist das einzig geile hier an der Schule! Obwohl wir meistens verlieren (dreht sich zu Amy, die gerade kommt) … und Amy. Bei der kann ich allerdings bisher genauso wenig punkten wie beim Football. Aber, das kommt noch, sage ich euch! AMY: Hi, ich bin die Amy. Meine beste Freundin ist Laurie. Laurie ist wirklich toll. Ich gebe mir ja echt Mühe. Aber sie ist meistens besser in der Schule. Und ihr Freund David … Mmmmh … (schaut zu David und Laurie) David kommt Arm in Arm mit Laurie. ROSS: Hi, David. DAVID: Hi, Mr. Ross ROSS: Kannst du mir mal mit dem Ding hier helfen? LAURIE: Laurie Saunders. Ich gehe gern zur Schule. Ich bin Chefredakteurin der Schülerzeitung Grape Vine. Das macht echt Spaß, auch wenn die anderen Mitarbeiter nicht mit dem nötigen Ernst dabei sind. David ist mein Freund. Nach der High School wollen wir studieren. Vielleicht Journalistik. David hat das Gerät in Gang gebracht. DAVID (zu Ross): Alles klar! DAVID (zum Publikum): Sie haben´s ja schon gehört. David. Hobby: Football. Zukunft: Computer bauen. Freundin: Laurie. Noch Fragen? O.K. Carla und Alex gehen während Davids Vorstellung zu Laurie und geben ihr einen Umschlag. Alex schaut zu David und dann zum Publikum. CARLA (zu David): Habt ihr Publikum heute? DAVID (zu Carla): Keine Ahnung, was das für Leute sind. ALEX (zum Publikum): Wir gehören hier nicht zu! CARLA: Wir sind schon ein Jahr weiter! ALEX (zeigt auf Carla): Carla! CARLA (zeigt auf Alex): Alex! ALEX: Die Starreporterinnen des Grape Vine! CARLA: Tut mir leid. Wir müssen euch mit dem müden Haufen hier allein lassen. 6 ALEX: Unser Helikopter wartet. Interview mit dem Präsidenten. Man sieht sich! Andrea ist gekommen und schaut den beiden staunend hinterher. ANDREA: Hallo. Ich bin Andrea. Ich will Tänzerin werden. Auf einer großen Bühne stehen, tanzen und alle Leute bewundern mich. Das wäre mein Traum … (erwacht aus ihrem Traum). Dafür muss ich aber besser sein als alle anderen an der Tanzschule. Und ich muss gute Noten in der Schule haben. Sonst zahlt mein Papa mir den Tanzunterricht nicht mehr. (schaut zu Brad, der sie genüsslich mustert) Jungs? Nein, so was brauche ich nicht. Ich will tanzen! Brad kommt kurz nach Andrea auf und mustert sie genüsslich von oben bis unten. BRAD: Yo, Brad! Schule finde ich eigentlich ziemlich überflüssig. Geschichte bei Ross mache ich nur, weil es das geringste Übel ist. Eigentlich stehe ich mehr auf Football! Da kann man sich so richtig austoben. Leider sitze ich zur Zeit auf der Bank. Denken Sie nicht, dass ich nicht gut genug wäre. Nee, die anderen stecke ich locker in die Tasche. Is nur wegen der drei Platzverweise. Robert trottet verschlafen und ungepflegt auf die Bühne und schaut zum Projektor. ROBERT: Gucken wir ´nen Film heute? BRAD: Nee Arschloch. Das hat Ross nur als Dekoration aufgebaut! ROSS: Brad! BRAD (ironisch): Oh, war natürlich überhaupt nicht so gemeint. Klopft Robert auf die Schulter und klebt ihm dabei einen Zettel mit „Loser“ o.ä. an. BRAD: Stell dich erstmal vor! ROBERT: Wer ich bin? Robert! Aber das interessiert eh keinen. Ich bin eben nicht gut in Football. Aber die Typen da finde ich sowieso bescheuert. Na ja, zum Glück gibt’s nach der Stunde was zu essen! 1. Szene (Klassenraum) ROSS: O.K. Alles auf die Plätze und Ruhe bitte Schüler nehmen ohne Eile ihre Plätze ein. Dabei Ende von Unterhaltungen. BRAD (zu Brian): Ich wette, Schiller lässt mich am Samstag gegen Clarkstown wieder nicht spielen. JANET und CORA: Oooooh, du Ärmster. DAVID (zu Laurie): Ich hab jedenfalls ´nen Mordshunger 7 ROSS: Ruhe bitte … In der letzten Stunde ging es um die Entwicklung der NSDAP und Hitlers Machtergreifung. Schauen wir uns mal etwas von dem an, was danach passierte. Diese Aufnahmen machten russische Kameraleute nach Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Film läuft 5 – 7 Minuten. ROSS: Die Todeslager waren das, was Hitler die „Endlösung der Judenfrage“ nannte. Aber nicht nur Juden wurden hier hin geschickt, sondern alle Menschen, die von den Nazis als ungeeignet für ihre Herrenrasse betrachtet wurden. Zunächst wurden sie in Lagern in ganz Europa zusammen getrieben, wo sie arbeiten mussten, hungerten und gequält wurden, um letztendlich in den Gaskammern zu enden. Insgesamt ermordeten die Nazis knapp zehn Millionen Männer, Frauen und Kinder in ihren Vernichtungslagern. Ross macht eine Pause. Die Schüler sind erschüttert. Nur Robert schläft. ROSS: Ich kann mir vorstellen, dass ihr jetzt sehr erschüttert seid. Es geht mir aber nicht nur darum. Ich möchte, dass ihr darüber nachdenkt, was ihr da gesehen habt und was ich euch dazu gesagt habe ... Fragen? Amy meldet sich ROSS: Ja, Amy? AMY: Waren alle Deutschen Nazis? ROSS: Nein Amy. Weniger als 10% der deutschen Bevölkerung waren Mitglied der NSDAP. AMY: Aber … warum hat dann keiner versucht, all das zu verhindern? Ross denkt nach. ROSS: Ehrlich gesagt kann ich mir das auch nicht wirklich erklären. Die Nazis waren eine Minderheit, aber eine gut organisierte, bewaffnete und ausgesprochen fanatische Minderheit. Und erinnere dich an all das, was wir über die Folgen des Ersten Weltkriegs, die Inflation, die Wirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit gehört haben. Viele Deutsche erhofften sich von den Nazis einen Aufschwung für ihre ruinierte Heimat. JANET: Aber das kann in ihren Augen doch nicht diese Grausamkeiten gerechtfertigt haben! ROSS: Nach dem Krieg haben die meisten Deutschen behauptet, dass sie von all dem nichts gewusst hätten. BRAD: Das ist doch total verrückt. Da werden zehn Millionen Menschen abgeschlachtet und keiner merkt was. BRIAN: Ne, das kaufe ich denen nicht ab! Laurie hebt die Hand. ROSS: Laurie? 8 LAURIE: Brad hat völlig recht. Wie konnten sich die Deutschen zurücklehnen und seelenruhig zuschauen, während die Nazis um sie herum andere Menschen abschlachten. Wie können sie das nicht gemerkt haben? Wie können sie so etwas behaupten? ROSS: Alles, was ich euch sagen kann, ist, dass die Nazis gut organisiert waren und auch unter den Deutschen Angst und Schrecken verbreiteten. DAVID: Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass ich es nie zulassen würde, dass eine so kleine Minderheit die Mehrheit beherrscht. BRAD: Ja, ich würde mich nie von ein paar Nazis dermaßen einschüchtern lassen, dass ich nichts mehr höre und sehe. AMY: Ich kann mir noch nicht mal vorstellen, wie Menschen überhaupt so grausam wie diese Nazis sein können. ROSS: Nach dem Krieg haben viele von ihnen gesagt, dass sie nur Befehle ausgeführt hätten. CORA: Nein, das ist keine Entschuldigung! LAURIE: Sie hätten weglaufen können. Sie hätten zurück schlagen können. Sie hatten eigene Augen und einen eigenen Verstand. Sie konnten selber nachdenken. Niemand kann doch einfach solche Befehle befolgen. AMY: Es ist traurig. Es ist einfach nur traurig. Klingel ertönt. Schüler stehen auf und verlassen die Klasse. Robert erwacht langsam und erhebt sich als letzter. Ross spricht ihn beim Hinausgehen an. ROSS: Robert! Einen Augenblick bitte! Robert dreht sich zu ihm um. ROSS: Hast du nicht irgendwas zu sagen? ROBERT: Ich wüsste nicht, was. Robert dreht sich wieder zum Ausgang und macht einige Schritte ROSS (nachdrücklicher): Robert! ROBERT: Was ist denn? ROSS: Versuchs doch wenigstens mal, dem Unterricht zu folgen! ROBERT: Ich muss jetzt essen gehen! Beide ab. 2. Szene (Cafeteria) 9 Die S. gehen mit Tabletten an Tische. David und Laurie an einen, Janet und Andrea an einen anderen. Andere S. an weitere. Robert kommt als letztes und schaut sich um. DAVID (sein Essen hineinschlingend zu Laurie) Schau mal da. Zeigt auf Robert. Robert geht an Tisch von Janet und Andrea. Die beiden verdrehen die Augen und wechseln den Tisch. DAVID: Gordon High’s Unberührbarer! LAURIE: Denkst du, mit dem stimmt was nicht? DAVID: Ich weiß nicht. Der ist ziemlich merkwürdig, seit ich ihn kenne. Aber das wäre ich wahrscheinlich auch, wenn man mich so behandeln würde. LAURIE: Du, meine Ma kennt seine Ma. Und die hat mal erzählt, dass sie einen IQ-Test gemacht haben. Total normal. Der ist nicht irgendwie doof oder so was. DAVID: Aber ziemlich abgedreht. Laurie stochert lustlos in ihrem Essen herum. DAVID: Is’ was? LAURIE: Dieser Film. Ich muss immer noch an diesen Film denken. Du nicht? DAVID: Klar finde ich’s schrecklich, dass so was passiert ist. Aber das ist lange her, Laurie. Ein Stück Geschichte. Du kannst nicht mehr daran ändern. LAURIE: Aber du kannst es auch nicht einfach vergessen! DAVID: Du kannst aber auch nicht dein ganzes Leben damit verbringen, dir darüber den Kopf zu zerbrechen. David ist mit Essen fertig und schaut begierig auf Lauries kaum angerührtes. DAVID: Mal was ganz anderes: Ist du das noch? LAURIE: Bedien dich! Amy und Brian nähern sich aus zwei Richtungen mit Tablett dem Tisch von David und Laurie. Brians Tablett ist überladen von Essen. AMY: Ist hier noch frei? BRIAN: Eh, ich war vor dir da! AMY: Ich glaub, das stimmt nicht! BRIAN: Und ich weiß es. Außerdem muss ich mit David über Football reden. AMY: … und ich muss Laurie Gesellschaft leisten, damit ihr sie nicht mit Football langweilt. 10 LAURIE: Lasst das Gestreite. Hier ist genug Platz für vier! AMY: Mit dem Typen brauchst du Platz für sechs! DAVID (zu Brian, auf das Tablett weisend): Was willst du denn mit dem ganzen Futter? BRIAN: Eh, ich muss was zulegen. Ich brauch jedes Kilo, wenn wir am Samstag gegen die Kerle aus Clarkstown spielen. Die sind groß. Ich meine riesig. Die haben einen Linebreaker, der ist vier Meter groß und wiegt sechzehn Tonnen. AMY: Ich verstehe nicht, worüber du dich aufregst. Wer so fett ist, kann nicht schnell rennen. BRIAN (die Augen verdrehend): Ooow! Der braucht nicht rennen! Der braucht nur Quarterbacks zerquetschen! LAURIE: Mal ehrlich: Habt ihr ne Chance gegen die? DAVID: Nicht wirklich. Unsere Mannschaft ist total chaotisch, kaum einer ist technisch gut drauf und Kondition haben wir alle nicht. BRIAN: Yeah! Trainer Schiller will jeden rausschmeißen, der nicht regelmäßig trainiert. Aber wenn er das machen würde, hätte er nicht mehr genug Leute für eine Mannschaft! DAVID: Lassen wir das. Kann einer von euch Mathe? Schweigen AMY: Warum belegst du auch so was? DAVID: Man braucht das für ein Ingenieursstudium! BRIAN: Warum also nicht bis zum Studium warten? DAVID: Ich habe gehört, das wäre so schwer, dass man’s zweimal machen muss, bis man’s kapiert. Und da dachte ich, ich mach das einmal jetzt und dann noch mal im Studium! AMY (zu Laurie): Dein Freund ist echt merkwürdig! BRIAN: Erzähl mir nichts von merkwürdig. Schau mal zu Robert. Robert scheint ein stilles Selbstgespräch zu führen, während ihm das Essen aus den Mundwinkeln fällt. BRIAN (weiter): Der hat den ganzen Film über gepennt. DAVID: Hör ja mit dem Film auf. Laurie ist deswegen immer noch mies drauf. 11 LAURIE: Musst du das jedem erzählen? DAVID: Ist doch wahr, oder? AMY: Ich verstehe, wie du dich fühlst. Ich fand es auch schrecklich! LAURIE (zu David): Siehst du, ich bin nicht die Einzige, die so was schlimm findet! DAVID: Ich habe nicht gesagt, dass ich das nicht schlimm finde. Ich habe nur gesagt, dass das vorbei ist. Die Welt hat gelernt daraus und es wird nie wieder passieren. LAURIE (nimmt ihr Tablett und steht auf): Hoffen wir’s! DAVID: Eh, wo willst du hin? LAURIE: Ich muss noch für die Schülerzeitung arbeiten. AMY: Warte! Ich komm mit! Beide ab. BRIAN: Eh, die scheint wirklich fertig zu sein über den Film. DAVID: (Black) Ja, sie nimmt solche Sachen einfach immer viel zu ernst. 3. Szene (Redaktion) Laurie sitzt am Schreibtisch vor einem Blatt Papier und knabbert am Stift. Amy sitzt auf dem Schreibtisch und raucht. AMY: Bo, was für ein schrecklicher Film! Laurie nickt AMY: Hast du Stress mit David? LAURIE: Nicht wirklich. Ich wünschte nur, dass er mal irgendwas anderes als Football ernst nehmen würde. Er ist manchmal dermaßen … beschränkt. AMY: Aber er hat gute Noten. Jedenfalls ist er nicht so beschränkt wie Brian. Die Mädchen kichern. AMY: LAURIE: Warum will er eigentlich Ingenieur werden. Das klingt total langweilig. Computer-Ingenieur! Hast du mal das Ding gesehen, das er sich zuhause selbst gebaut hat? AMY: Irgendwie muss mir das entgangen sein! Kurzes Schweigen AMY: Übrigens: Was habt ihr eigentlich nach der Schule vor? 12 DAVID: Vielleicht gehen wir gemeinsam irgendwohin. Das hängt davon ab, wo wir einen Studienplatz kriegen. AMY: Deine Eltern werden begeistert sein. LAURIE: Ich glaube nicht, dass sie wirklich was dagegen haben. AMY (romantisch in die Luft schauend): Warum heiratet ihr eigentlich nicht? LAURIE (prustet): Oh Amy, ich meine … ich liebe David, aber wer denkt denn in unserem Alter schon ans Heiraten? AMY: Also, wenn er mich fragen würde … Ich würde mir’s überlegen. LAURIE (lacht): Soll ich ihm mal ´nen Tip geben? AMY (seufzt): Hör auf, Laurie. Du weißt, wie gern er dich hat. Er schaut andere Mädchen ja noch nicht mal an! LAURIE: Das sollte er auch besser sein lassen! Klopfen „an der Türe“ ALEX (mit verstellter Stimme): Hier ist Direktorin Owens. Wieso ist die Tür abgeschlossen. Panische Reaktion der Mädchen. Amy drückt Zigarette aus und schnipst sie vor die Bühne. Laurie wedelt den rauch mit den Zetteln weg. LAURIE: Oh, das muss aus versehen passiert sein. ALEX (mit verstellter Stimme): Dann machen Sie eben jetzt wieder auf! Sofort! LAURIE: Jajaja! Sofort! Laurie öffnet die Tür Carla und Alex (mit Walkman, Hörer um Hals) kommen rein. CARLA: Ist hier vielleicht irgendwas Illegales passiert? AMY: Carla, Alex, wegen euch habe ich gerade eine wunderbare Zigarette weggeschmissen! ALEX: Oh, das tut mir jetzt aber wirklich leid. CARLA (zu Laurie): Und? Die neue Ausgabe schon fertig? LAURIE (lehnt sich zurück): Kriege ich nicht noch die beiden Artikel von dir, Carla, und deine Fotos, Alex? ALEX: Oh – oh. Äh. Mir fällt gerade ein …, dass in zehn Minuten mein Flieger nach Argentinien geht. 13 CARLA: Echt? ... Ich – ich fahr dich zum Flughafen. (ab) Laurie prustet verzweifelt. 4. Szene (Ross’ Zuhause) Ross sitzt schreibend mit einem Stapel Bücher und Fastfood-Cartons am Tisch. Seine Frau Chris kommt im Tennis-Outfit. CHRISTIE: Du machst Hausaufgaben? ROSS (schreckt auf): Äh … irgendwie schon. CHRISTIE (hebt einen Karton hoch): Na immerhin hast du für DICH was zu essen besorgt. Ross ist wieder in seine Arbeit vertieft. CHRISTIE (eindringlich): Wahrscheinlich wird es dich brennend interessieren, dass ich heute Betty Lewis vom Platz gefegt habe! ROSS (gedankenabwesend): Häh? CHRISTIE (sehr deutlich): Ich sagte, ich habe heute Betty Lewis beim Tennis geschlagen! ROSS: Wer ist Betty Lewis? CHRISTIE: Betty Lewis. Du weißt doch. Die Betty Lewis, gegen die ich noch nie mehr als zwei Spiele in einem Satz gewonnen habe. Heute habe ich sie geschlagen. In zwei Sätzen. Sechs-Vier. Sieben-Fünf. ROSS (abwesend): Oh, Wahnsinn! CHRISTIE (seufzt): Was ist es denn heute? Wieder mal die Indianer? Oder Astronomie? Oder das Paarungsverhalten von Killerwalen? Ross antwortet nicht. Chris nimmt ein Buch und liest: CHRISTIE: „Der Aufstieg und Untergang des Dritten Reiches“ – machst du deine Diktatorenprüfung? ROSS: Das ist nicht witzig! CHRISTIE: Du hast recht! ROSS: Eine meiner Schülerinnen hat mich heute was gefragt, worauf ich keine Antwort wusste. 14 CHRISTIE: Ach! Gab’s auch irgendwas Neues? ROSS: Aber ich glaube, dass die Antwort in keinem Buch steht. Die Kids müssen die Antwort irgendwie selbst finden. CHRISTIE (stöhnt, räumt die Essensreste zusammen): Dann weiß ich ja schon, wie die kommende Nacht aussieht ... Denk dran, dass du morgen einen ganzen Tag Unterricht vor dir hast. ROSS: Jaja. Ich weiß. CHRISTIE (küsst Ross auf die Stirn): FALLS du heute Nacht irgendwann ins Bett kommst, dann versuch mich nicht zu wecken. (Black) 5. Szene (Klassenraum) Schülerinnen und Schüler sitzen zusammen auf den Tischen oder stehen rum. Ross schreibt „Stärke durch Disziplin“ an die Tafel. Brad kommt mit einem Ball in die Klasse. BRAD (zu Brian): He, Brian! Doppelpass! Brad wirft Brian den Ball zu. Brian wirft ihn zurück. Ross fängt ihn ab. CORA: Was soll denn das da an der Tafel? ROSS: Das sage ich euch, wenn ihr sitzt! Schüler gehen geruhsam an ihre Plätze. Brian geht an seinen Platz, vorbei an Robert, der nach vorne zusammengesunken auf seinem Tisch liegt und schiebt ihn an der Stirn oder zieht ihn an den Haaren nach oben. BRIAN: Kopf hoch! Das gibt Fettflecke! BRAD (ironisch): Sei doch nicht so gemein zu Robert! ROSS: Guten Morgen! ANDREA, LAURIE, DAVID: Hi! ROSS: Heute reden wir über Disziplin! Schüler stöhnen. Rufen „Oh nee“ oder Ähnliches. DAVID: Mensch Mr. Ross. Ihre Kurse sind doch meistens total O.K. Jetzt kommen Sie doch nicht auch noch mit der Tour. Das hören wir schon bei den anderen Lehrern genug. ROSS: Eh, gebt der Sache doch erstmal ´ne Chance. Es könnte spannend sein. 15 BRIAN: Oh ja! Ganz bestimmt! ROSS: Ja! Ganz bestimmt! Wenn ich von Disziplin rede, dann rede ich von … (Macht eine Faust) Power! CORA und JANET im Chor: Huuuh! ROSS: Und ich rede von Erfolg. Erfolg durch Disziplin. Gibt es hier irgendjemanden, der nicht an Power und Erfolg interessiert ist? BRAD: Robert wahrscheinlich! ROSS: Brad, Brian, David! Ihr spielt Football! Ihr wisst, dass man diszipliniert sein muss, um zu gewinnen! AMY: Ach deshalb haben die seit zwei Jahren kein Spiel mehr gewonnen! Die Mädchen lachen. Die Jungs grinsen. ROSS: Andrea! Du bist Ballett-Tänzerin. Müssen Tänzerinnen nicht lange Zeit hart und diszipliniert üben, um wirklich gut zu werden? Andrea nickt! ROSS: Es ist das Gleiche mit jedem Sport, mit jeder Kunst, mit jedem Job. Man braucht Jahre harter Arbeit und Disziplin, um wirklich gut zu sein! LAURIE: Was soll das, Mister Ross? ROSS: Was das soll? Ich werde es euch zeigen! Was wäre, wenn wir hier Power durch Disziplin schaffen könnten? Was wäre, wenn wir das hier in der Klasse hinkriegen würden? Was würdet ihr dazu sagen? Erwartungsvolles Schweigen. ROSS: O.K. Gebt mir den Rest der Stunde eine Chance, euch zu zeigen, wie das funktionieren könnte! BRAD: O.K. BRIAN: Na dann mal los! ROSS: Gut. Disziplin beginnt mit Haltung. Andrea, komm vor! (stellt seinen Stuhl vor die Klasse) Setz dich hier her. Nicht anlehnen! Sitz gerade! Die Füße zusammen! Die Wirbelsäule aufrichten. Die Hände flach mit der Handfläche nach unten auf die Oberschenkel legen! Die Schultern leicht nach hinten und die Brust raus … Gut so! Wie fühlst du dich in der Haltung? ANDREA (schüchtern): Gut. Man fühlt sich … irgendwie größer! ROSS: O.K. Bleib so! Und die anderen nehmen die gleiche Haltung ein! DAVID: Eh, was soll das? Bin ich hier im falschen Kurs. Oder was? 16 ROSS: Komm schon David! Gib der Sache ´ne Chance … (geht durch die Klasse) Los, Alle: Gerade sitzen. Füße parallel! Wirbelsäule aufgerichtet! Groß machen! Hände auf die Oberschenkel. Schultern zurück! Brust raus! (korrigiert einzelne Schüler) Robert nimmt die Haltung ein. Ross kommt auf seinem Rundgang bei ihm an und ist sichtlich erstaunt ROSS: Bo, Robert! Super! Seht mal her! Total aufrecht. Beine absolut parallel! Knie im 90-Grad-Winkel! Sehr gut, Robert! Robert lächelt Ross etwas verlegen an und bemüht sich dann weiter um die Verbesserung seiner Haltung. BRAD: Da kocht das Wasser im Arsch! ROSS: Keine O-Beine wie Brad! (zu Brad) Kreuz rein, Junge! Gerade sitzen, habe ich gesagt! ROSS: In Ordnung! Jetzt alle aufstehen! Los, hoch, hoch! Brian, David, wird’s bald! Jeder stellt sich neben seinen Stuhl. Genau so gerade, wie ihr eben gesessen habt. Füße parallel! Die Hacken zusammen! Wirbelsäule aufgerichtet! Schultern leicht nach hinten, Brust raus! Hände sind leicht geöffnet und berühren seitlich die Oberschenkel! Macht euch groß! Ross geht durch die Reihen und korrigiert. ROSS: Super! Wenn ich „Setzen“ rufe, dann nimmt jeder auf seinem Platz wieder die gleiche Haltung ein! Also: „Setzen!“ Schüler setzen sich mit viel Stühlegescharre. ROSS: Und auf die aufrechte Haltung achten! O.K. Wenn ich „auf“ rufe, dann stellt ihr euch in der Haltung von eben neben den Stuhl … „Auf!“ Schüler erheben sich mit viel Stühlegescharre. Ross wiederholt die Befehle mehrmals. Die Bewegungen werden koordinierter. Die Schüler fangen an, sich zu bemühen. CORA: Die Stühle müssen schon so stehen, dass wir uns gleich wieder setzen können. ROSS: Super! Schüler schieben Stühle zurecht. ROSS: Und wieder Haltung einnehmen! O.K. Und: „Setzen!“ … Und die Haltung nicht vergessen … „Auf“ … Schon viel besser! Und jetzt alle gemeinsam. Eine Bewegung muss das sein! … Auf! … Setzen! … Auf! DAVID: Noch gleichmäßiger wird das, wenn wir das immer in zwei Schritten machen! ROSS: Zeig mal, wie du das meinst! David führt es vor. 17 ROSS: O.K. So machen wir das. Ross kommandiert noch mehrmals „Auf“ und „Setzen“ bis ein synchroner Sound zu hören ist. ROSS: Super! Schüler applaudieren! ROSS: Ruhe! Sofort Stille. ROSS: Fangen wir mit dem Unterricht an. Ab jetzt gelten vier Regeln: Erstens: Keiner redet ohne sich zu melden und von mir drangenommen worden zu sein. Zweitens: Bei jeder Antwort stellt ihr euch neben den Stuhl. So wie wir das geübt haben. Drittens: Jede Antwort beginnt mit der Anrede: Mister Ross. Viertens: nach jeder Antwort setzt ihr euch wieder in der Haltung, die wir gelernt haben! Verstanden? Schüler nicken stumm. ROSS: Wer war vor Churchill britischer Premierminister? Brad! BRAD (im Sitzen): Uh, war das nicht … ROSS: Falsch! Hast du schon die Regeln vergessen? Wie beginnt man eine Antwort? Robert? ROBERT (steht auf): Mr. Ross! ROSS: Korrekt! BRAD: Mann, ist das bescheuert! JANET: Weil du’s nicht auf die Reihe kriegst, oder was? ROSS: Noch mal, Brad! Wer war Premierminister vor Churchill? BRAD (steht auf): Mr. Ross, Premierminister vor Churchill war, wenn ich mich richtig erinnere … ROSS: Setzen! Schon besser! Aber viel zu ausführlich. Kurze, knappe Antworten. Verstanden? Brad nickt. ROSS: Wer war Premierminister vor Churchill? (Von jetzt an stehen alle Schüler auf) BRAD: Mr. Ross, Chamberlain! ROSS: Endlich. So antwortet man! Knapp. Präzise. Mit Power! Weiter: Welches Land hat Hitler im September 1939 überfallen? Andrea! 18 ANDREA: Mr. Ross! Ich weiß nicht! ROSS: Super! Inhaltlich null. Aber in der Form korrekt! Amy, weißt du die Antwort? AMY: Mr. Ross, Polen! ROSS: Korrekt! ... Was war der Name von Hitlers Partei? Brian! BRIAN: Mr. Ross! Die Nazis! ROSS: So nannte man Sie. Wie heißt die Partei exakt? Laurie! LAURIE: Die Nationalsoziali … ROSS: Falsch! Setzen! Noch mal korrekt! Laurie setzt sich und schaut desorientiert um sich. DAVID (flüstert): Mr. Ross LAURIE: Mr. Ross! Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei! ROSS: Korrekt! Wer starb in den Todeslagern? Cora! CORA: Mr. Ross! Die Juden! ROSS: Wer weiß, wer sonst noch? Janet meldet sich. ROSS: Janet! JANET: Mr. Ross! Zigeuner, Homosexuelle und Geistig Behinderte! ROSS: Warum wurden Sie getötet? Mehrere Hände gehen hoch. ROSS: David! DAVID: Mr. Ross! Weil sie nicht zur arischen Rasse gehörten oder Entartungen dieser Rasse waren. ROSS: Welche Organisation hat die Vernichtungslager befehligt? Hände gehen hoch. Auch Robert. ROSS: Robert ROBERT: Mr. Ross! Die SS! ROSS: Super, Robert. Es klingelt. Schüler bleiben sitzen. 19 ROSS: Bis morgen Kapitel sieben lesen! Auf! Klasse springt synchron auf. ROSS: Auf wieder sehen! Klasse: Auf wieder sehen Mr. Ross! Ross ab … BRIAN: Huuuh, was war denn jetzt los. So was habe ich ja noch nie erlebt! CORA: Deutlich angenehmer als Aufzeichnungen machen! BRIAN: Yeah! Schüler lachen DAVID: He, macht das mal nicht runter! Das war wirklich anders als sonst. Es war, als ob wir alle irgendwie zusammen gehören. Wir waren mehr als ein Haufen Schüler. Wir waren irgendwie eine Einheit. AMY: Erinnert ihr euch, was Ross über Power sagte? Ich denke, das war’s! Habt ihr das nicht gefühlt? BRAD: Mann, ihr nehmt das viel zu ernst! DAVID: O.K.! Wie würdest du das denn erklären? BRAD: Was gibt’s denn da zu erklären? Ross hat Fragen gestellt und wir haben geantwortet. Wie in jedem anderen Unterricht auch. Nur dass wir gerade gesessen haben und beim Antworten aufstehen mussten. Ihr macht aus ´ner Mücke ´nen Elefanten! DAVID: Ich weiß nicht, Brad! David geht. BRAD: Eh, wo willst du denn hin? DAVID: Auf’s Klo! BRIAN: (Black) Hey, denk dran, gerade zu sitzen! 6. Szene (Ross’ Zuhause) Chris und Ross beim Abendessen. ROSS: Weißt du, ich dachte, die würden das total abblocken, so herumkommandiert zu werden, gerade zu sitzen und Antworten aufsagen zu müssen. Stattdessen machen die den Eindruck als ob sie ihr Leben lang auf nichts Anderes gewartet hätten. Es war bizarr! 20 CHRISTIE: Meinst du nicht, sie haben einfach ein Spiel gespielt und sich Mühe gegeben, der schnellste, klügste und zackigste zu sein? ROSS: Mag sein. Aber selbst ein Spiel hat Regeln, die du akzeptierst oder nicht akzeptierst. Sie mussten nicht mitspielen. Sie wollten es. Und irgendwie wollten sie noch immer mehr. Sie wollten diszipliniert werden. Als es dann klingelte, blieben sie dann kurioserweise sogar noch sitzen und warteten, bis ich „Auf“ gerufen und sie verabschiedet hatte. Chris verschluckt sich fast. CHRISTIE: Wie bitte, sie sind nach dem Klingeln sitzen geblieben? ROSS: Ich dachte ja selbst, ich spinne! Chris schaut ihren Mann nachdenklich an. CHRISTIE: Ben, ich glaube du bist dabei, kleine Monster zu schaffen! ROSS: Kaum! Schweigen. CHRISTIE: Ben! ROSS: Ja? CHRISTIE: Willst du morgen damit weiter machen? ROSS: Ich denke nicht. Wir werden noch mal darüber reden und dann im Stoff weiter gehen. Wir müssen endlich den Eintritt Japans in den Krieg besprechen. (Black) 7. Szene (Klassenraum) Die Tische sind Front nach vorne ausgerichtet. Robert ist als einziger da und übt das Aufstehen und Hinsetzen. Seine Haare sind gekämmt. Er ist ordentlich angezogen. Laurie kommt herein. AMY (erstaunt): Robert, was machst du denn da? ROBERT (verlegen): Ich … äh … ich habe versucht … äh … Janet, Cora und Andrea kommen herein. JANET: Was ist denn hier los? CORA: Wer hat denn die Tische umgestellt? ROBERT: Das war ich. Ich dachte, man kann viel besser aufpassen, wenn die so stehen. Brian und Brad kommen. BRIAN (im Kommando-Ton): Guten Morgen Mitschüler! Setzen! 21 David und Laurie kommen. LAURIE (erstaunt): Guten Morgen! Klingel. Ross kommt in die Klasse. Schüler sitzen erwartungsvoll und in eingeübter Haltung auf ihren Stühlen. Ross bleibt erstaunt stehen. ROSS: Kann mir … Kann mir mal einer sagen, was hier los ist? Robert meldet sich. ROSS: Robert! ROBERT: Mr. Ross, Disziplin! ROSS (beginnt stockend, wird dann aber immer flüssiger): Ja … Disziplin … aber … aber das ist noch nicht alles. Man braucht noch mehr, um stark zu sein. Ross dreht sich zur Tafel, an der noch vom Vortag „Stärke durch Disziplin“ steht und setzt hinzu „Gemeinschaft“. ROSS: Gemeinschaft. Gemeinschaft ist das, was Menschen miteinander verbindet, die für ein gemeinsames Ziel arbeiten und kämpfen. Es ist das Gefühl, dass ihr Teil eines Ganzen seid, das mehr ist als ihr selbst. Ihr seid eine Bewegung, ein Team, eine Kraft. Ross schaut die Schüler an, die weiter erwartungsvoll schweigen. ROSS: Wie im Fall der Disziplin müssen wir auch die Gemeinschaft wirklich erleben, um zu verstehen, was damit gemeint ist – Auf! Schüler stellen sich in der eingeübten Weise neben den Stühlen auf. ROSS: Unser Motto ist: „Stärke durch Disziplin. Stärke durch Gemeinschaft“– Alle sprechen mir nach: „Stärke durch Disziplin. Stärke durch Gemeinschaft“ SCHÜLER (noch ungleichmäßig, leise, David, Laurie, Brad sprechen noch nicht mit): „Stärke durch Disziplin. Stärke durch Gemeinschaft“ ROSS: Lauter! „Stärke durch Disziplin. Stärke durch Gemeinschaft“ SCHÜLER: „Stärke durch Disziplin. Stärke durch Gemeinschaft“ ROSS: „Stärke durch Disziplin. Stärke durch Gemeinschaft“ Schüler: „Stärke durch Disziplin. Stärke durch Gemeinschaft“ ROSS: Setzen! Schüler setzen sich auf die eingeübte Weise. ROSS: Dann brauchen wir ein Symbol für unsere Gemeinschaft. Zeichnet mit dem Zirkel einen Kreis an die Tafel und eine Welle hinein. 22 ROSS: Das wird unser Symbol sein! Eine Welle ist ein Symbol für Veränderung. Sie bewegt sich kraftvoll in eine bestimmte Richtung. Von jetzt an wird sich unsere Gemeinschaft „Die Welle“ nennen. Ross schaut die Schüler an, die weiter erwartungsvoll schweigen. ROSS: Um eure Zugehörigkeit zur Welle deutlich zu machen, wird jeder von euch von morgen an ein weißes Hemd oder eine weiße Bluse tragen. Ross schaut die Schüler an, die weiter erwartungsvoll schweigen. ROSS: Und das ist unser Gruß: Ross macht eine wellenförmige Bewegung mit der rechten Hand. ROSS (begleitet das Salut zweimal mit dem Welle-Gruß): „Stärke durch Disziplin! Stärke durch Gemeinschaft!“ Immer, wenn sich zwei Welle-Mitglieder begegnen, begrüßen sie sich mit dem Motto und dem Gruß. Der eine grüßt (mit Wellegruß) „Stärke durch Disziplin!“. Der andere antwortet (mit Wellegruß)“Stärke durch Gemeinschaft!“ ROSS: Robert! Auf! Robert springt auf. ROSS (mit Gruß): Stärke durch Disziplin! ROBERT (mit Gruß): Stärke durch Gemeinschaft! ROSS: Amy, Brian, Andrea! Auf! Erheben sich. ROSS (mit Gruß): Stärke durch Disziplin! ROBERT, JANET, BRIAN, BRAD (mit Gruß): Stärke durch Gemeinschaft! ROSS: Alle, auf! Rest der Klasse erhebt sich. ROSS (mit Gruß): Stärke durch Disziplin! ALLE (mit Gruß): Stärke durch Gemeinschaft! Robert beginnt auf der Stelle zu marschieren und dabei immer wieder den Wellegruß zu wiederholen. ROBERT (mit Gruß): Stärke durch Disziplin! Stärke durch Gemeinschaft!... Die Mitschüler schauen sich zunächst irritiert nach ihm um und beginnen dann, einer nach dem anderen, seinen Marschrhythmus aufzunehmen und mit ihm Motto und Gruß zu wiederholen. Sie wiederholen Motto und Gruß immer wieder und immer lauter, bis ein den Saal füllender Sound zu hören ist. Irgendwann beendet Ross mit einer Seitwärts-Bewegung beider Arme. Sofort ist Ruhe ROSS: Setzen! 23 Schüler setzen sich. ROSS: Bis heute hattet ihr als Hausaufgabe das 7. Kapitel zu lesen. Mit welchem Ereignis begannen im zweiten Weltkrieg die Kampfhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und Japan? Alle Arme gehen hoch. ROSS: Andrea! ANDREA: Mr. Ross! Mit dem Überfall der Japaner auf Pearl Habor! (Black) 8. Szene (Turnhalle) David und Brad sitzen auf dem Boden der Turnhalle und schnüren sich die Schuhe. BRAD: So’n Quatsch. Das alles ist doch nichts als ein Experiment in einem Geschichtskurs. DAVID: Aber es könnte doch auch hier funktionieren! Stärke durch Disziplin, Stärke durch Gemeinschaft. Brad, genau das braucht das Footballteam! BRAD: Dann überzeug du aber Trainer Schiller davon. Ich mache das nicht! DAVID: Warum denn nicht? Denkst du Ross hat was dagegen, wenn wir ein paar anderen Leuten was von der Welle erzählen? BRAD: Ich habe keinen Schiss vor Ross. Ich denke, dass wir uns damit einfach lächerlich machen! Brian kommt in die Halle. DAVID: Eh Brian. Was hältst du davon, wenn wir die restliche Mannschaft in die Welle aufnehmen? BRIAN: Denkst du, dass die Welle diesen Sechzehntonner in Clarkstone-Trikot stoppen kann? Ich kann an nichts anderes denken: Er kommt auf mich zu und ist so riesig, dass ich weder links noch rechts an ihm vorbei komme, noch über ihn weg springen kann. Er kommt immer näher und immer näher und womm …. Aaaaah …. Matsch! Eh ich sag euch! Ich tue alles um diese Kampfmaschine zu stoppen! Haferschleim essen, der Welle beitreten und sogar meine Hausaufgaben machen! Ein paar andere Jungs, darunter Deutsch, kommen in die Halle. DEUTSCH: Wenn du Schiss vor dem Clarkstone-Typen hast, dann lass mich in deiner Position spielen! BRIAN: Halt du dich da raus. Der braucht nur zu pusten und du machst dir die Hosen voll! 24 DEUTSCH (springt auf): Dich Loser lässt Schiller doch nur in der Position spielen, weil du ein Jahr älter bist. Hätte er Verstand in der Birne, dann hätte ich dich schon längst abgelöst! Brian springt auf. BRIAN: Dann müsste er schon wie du einen IQ knapp über Zimmertemperatur haben, du talentloser Sack. DEUTSCH: Arschloch! BRIAN: Wichser! Gehen aufeinander los und beginnen sich zu prügeln. David geht dazwischen. DAVID (zu Brian): Genau davon rede ich! Wir sollten ein Team sein! Wir sollten uns gegenseitig unterstützen! Wir sind so grottenschlecht, weil wir ständig konkurrieren und gegeneinander arbeiten! DEUTSCH: Was quatschst du da? DAVID (zu Deutsch): Ich rede von Zusammenhalt! Ich rede von Disziplin! Wir haben ein gemeinsames Ziel! Wir müssen endlich eine Gemeinschaft werden! Dein Job in diesem Team ist es nicht, anderen Leuten ihre Position streitig zu machen, sondern mitzuhelfen, dass wir endlich mal gewinnen! DEUTSCH: Ich kann diesem Team helfen zu gewinnen. Dafür muss Schiller mich einfach nur in Brians Position spielen zu lassen. DAVID: Nein, Mann. Ein Haufen Einzelgänger auf Selbstverwirklichungstrip machen keine Mannschaft! (zu allen) Wisst ihr, warum wir ständig verlieren? Weil wir fünfundzwanzig One-Man-Teams in Gordon-High-Trikots sind. Was ist dir lieber: Erste Reihe zu spielen in einem Team, das verliert oder zweite Reihe in einem Team, das gewinnt? Deutsch nickt. BRAD (o.a.): Ich hab die Schnauze voll vom Verlieren! Kein Mensch nimmt uns mehr ernst hier! BRIAN (o.a.): Ich würde meine Position aufgeben und den Ballholer machen, wenn wir dadurch endlich mal gewinnen! DAVID: Wir könnten gewinnen! Vielleicht noch nicht am Samstag gegen Clarkstone! Aber wir könnten endlich ein Team werden, diszipliniert trainieren und vielleicht noch in dieser Saison ein paar Spiele gewinnen! Nachdenkliches Schweigen DEUTSCH: O.K. Was sollen wir tun? David zögert. BRAD: Na los. Erzähl ihnen schon von der Welle! 25 DAVID: Fangen wir mit dem Gruß an: (steht auf, salutiert) „Stärke durch Disziplin! Stärke durch Gemeinschaft!“ (Black) 9. Szene (Lauries Zuhause) Laurie und ihre Eltern beim Abendessen LAURIE: Mom, es war unglaublich. Alle haben den Gruß gemacht und das Motto wiederholt. Man konnte gar nicht anders als mitmachen. Es hat einen richtig mitgerissen. MRS. SAUNDERS: Du, Laurie, ich glaube nicht, dass ich das gut finde. Das klingt irgendwie … militaristisch für mich. LAURIE: Oh Mom, du musst immer schwarzsehen. Es nicht so was. Ehrlich. Du hättest selbst diese positive Energie in der Klasse spüren müssen, um wirklich zu wissen, was da abgegangen ist. MR. SAUNDERS: Midge, wenn ich ehrlich sein soll: Ich bin für alles, was diesen Kids noch Achtung vor irgendwas vermittelt. LAURIE: Und genau das ist es, was passiert. Selbst die schlechten Schüler sind voll dabei. Du kennst doch Robert Billings, den „Fußabtreter“ der Klasse. Sogar der gehört dazu und keiner nimmt ihn mehr hoch. Wenn das mal nicht positiv ist. MRS. SAUNDERS: Aber ihr sollt bei Mister Ross was über Geschichte lernen und nicht darüber, wie man Teil einer Gruppe wird. MR. SAUNDERS: Midge! Dieses Land wurde von Menschen aufgebaut, die Teil einer Gruppe waren. Die Pioniere, die Gründerväter ... Ich denke es ist nicht falsch für Laurie zu lernen, wie man mit anderen kooperiert. Wenn ich die Leute in unserer Fabrik wenigstens ein Stück weit zum Kooperieren kriegen würde, statt ständig gegeneinander zu stänkern und zu integrieren, dann würden wir dieses Jahr mit den Produktionszahlen nicht so zurückliegen. MRS. SAUNDERS: I ch sage nicht, dass es falsch wäre zu kooperieren. Aber jeder muss seinen Weg finden, sich in eine Gemeinschaft einzubringen. Wenn du von den Pionieren oder den Gründervätern redest, dann redest du von Menschen, die als Individuen gehandelt haben. LAURIE: Mom, du fasst das völlig falsch auf. Mister Ross hat einen Weg gefunden, wie er endlich mal alle mit einbeziehen kann. Und wir machen sogar unsere Hausaufgaben. Es ist also nicht so als ob wir nichts über Geschichte lernen würden. MRS. SAUNDERS: Das ist alles schön und gut. Ich habe aber das Gefühl, dass das nicht das Richtige für dich ist, mein Kind. 26 LAURIE (ironisch): Wie gut, dass du immer so genau weißt, was für mich das Richtige ist. Selbst deine Tochter ist ein Individuum. MR. SAUNDERS: Midge, nimmst du das nicht einfach alles zu ernst? Ein Bisschen Gemeinschaftssinn ist für die Kids einfach eine Super Sache! LAURIE: … und sagst du nicht auch immer, dass ich dir manchmal zu eigensinnig bin? MRS. SAUNDERS: Schatz. Der Zweck heiligt nicht immer die Mittel! LAURIE: Entweder du machst einen auf stur oder du kapierst einfach nichts. MR. SAUNDERS: Wirklich Midge. Ich bin sicher, das Lauries Geschichtslehrer ganz genau weiß, was er da macht. Ich weiß nicht, warum wir uns deswegen so aufregen sollten. MRS. SAUNDERS: Du meinst es ist in Ordnung, wenn ein Lehrer seine Schüler auf so eine Weise manipuliert? LAURIE: Manipulieren? Mister Ross manipuliert uns? Er ist einer meiner besten Lehrer. Er weiß genau, was er tut. Und er tut mit Sicherheit das, was für die Klasse gut ist. Ich wünschte, dass andere Lehrer nur halb so interessanten Unterricht machen würden. Schweigen MR. SAUNDERS: Wo ist übrigens David heute Abend? Er kommt doch sonst immer zum „Hausaufgaben vergleichen“? MRS. SAUNDERS: Du willst mit ihm doch nur wieder dein letztes Golfspiel diskutieren. LAURIE: Er kommt heute nicht. Er bereitet die Geschichtsstunde von morgen vor. Mr. Saunders hört erschrocken auf zu essen. MR. SAUNDERS: David? Vorbereiten? Da müssen wir uns wohl doch Sorgen machen! 10. Szene (Ross’ Zuhause) Auf dem Tisch stehen Vier McDonalds-Fastfood-Kartons, zwei Dosen Cola und eine Wachskerze auf einer Untertasse. Ross hat dazwischen einen Schreibblock liegen und notiert sich etwas. Chris kommt in Job-Outfit herein. Ross legt schnell seinen Block unter den Tisch, stellt Kartons und Cola vor den Augen der staunenden Chris an die Plätze und entzündet die Kerze. CHRISTIE (vorsichtig, enttäuscht): Ist … das unser Dinner bei Kerzenschein, das du mir für heute Abend versprochen hast? 27 ROSS: Ach Chris … entschuldige bitte. Ich bin gerade dermaßen mit dieser Klasse beschäftigt. Ich muss so viel vorbereiten, dass ich einfach nicht die Zeit hatte, etwas zu kochen. CHRISTIE: Ach Ben! Sie setzt sich auf den Stuhl, schaut ihrem Mann tief in die Augen, öffnet mit einer sinnlich inszenierten Bewegung die Cola-Dose und hält sie ihrem Mann zum „Anstoßen“ entgegen. Er öffnet etwas verlegen seine Dose und „stößt an“. Sie gibt ihm einen sinnlichen „Luftkuss“. CHRISTIE: Guten Appetit, Schatz! ROSS: Guten Appetit! Sie beginnen zu essen. CHRISTIE: Du hast also doch weiter gemacht mit deinen Verhaltensstudien. ROSS: Ja. Die Kids wollten es so. CHRISTIE: Haben sie das gesagt? ROSS: Nein. Aber sie haben sich so verhalten. CHRISTIE: Wie? Haben sie sich nun doch in kleine Monster verwandelt? ROSS: Im Gegenteil. Sie sind gerade dabei, sich in menschliche Wesen zu verwandeln. CHRISTIE: Was du nicht sagst! ROSS: Nein, ehrlich. Sie hatten sogar ihre Hausaufgaben gemacht. Alle! Und einige haben sogar vorgearbeitet. Es schien fast so, als ob es ihnen plötzlich Spaß machen würde, sich auf den Unterricht vorzubereiten. CHRISTIE: Oder als ob sie plötzlich Angst hätten, unvorbereitet in die Schule zu kommen? ROSS: Nein. Ich denke wirklich, dass sie auf dem Wege der Besserung sind. Zumindest benehmen sie sich so. CHRISTIE: Das können nicht dieselben Kids sein, die ich im Musikunterricht habe. ROSS: Es ist erstaunlich, wie gut sie es finden, wenn ich für sie Entscheidungen treffe. CHRISTIE: Klar. Das ist weniger Anstrengung für sie. Schweigen CHRISTIE: Wie weit willst du das noch treiben, Ben? 28 ROSS: Ich weiß nicht. Sicher wäre es faszinierend auszuprobieren, wie weit das möglich ist. Chris hört auf zu essen und schaut ihren Mann an. CHRISTIE: Ben … Könnte es sein, das du zum Meerschweinchen in deinem eigenen Experiment wirst? (Black) 11. Szene (Klasse) Klasse sitzt in Haltung auf den Stühlen. Alle haben weiße Hemden / Blusen an. Ross tritt ein. Er trägt ebenfalls ein weißes Hemd, dazu einen Anzug und eine Krawatte. ROSS: Auf! … „Stärke durch Disziplin!“ ALLE: „Stärke durch Gemeinschaft!“ Ross gibt Mitgliedsausweise aus. BRAD (flüstert): Müssen wir jetzt Vokabeln lernen? BRIAN: Nein, Pokern! LAURIE (hat sich Karte angeschaut): Das sind Mitgliedsausweise! ROSS: Ruhe, bitte! Jetzt hat jeder von euch eine Mitgliedskarte. Wenn ihr die Karte umdreht, werden einige von euch ein rotes X finden. Wenn ihr ein solches X auf der Karte habt, dann seid ihr Beobachter. Ein Beobachter hat die Aufgabe, mir zu melden, wenn ein Mitgleid der Welle sich nicht an unsere Regeln hält. Laurie meldet sich. ROSS: Laurie LAURIE (ohne aufzustehen): Wozu soll das denn gut sein? ROSS: Hast du nicht etwas vergessen? LAURIE: Oh! (steht auf) Mr. Ross, wozu sollen die Karten und die Beobachter gut sein? ROSS: Sie sollen euch deutlich machen, wie eine Gruppe sich selbst organisieren und kontrollieren kann. Ross geht zur Tafel und schreibt unter die Mottos vom Vortag: „Aktion“ ROSS: Nachdem wir verstanden haben, was mit „Disziplin“ und „Gemeinschaft“ gemeint ist, beschäftigen wir uns heute mit der Bedeutung von „Aktion“. Disziplin und Gemeinschaft sind sinnlos, wenn sie nicht zu Aktionen führen. Eine disziplinierte Gruppe mit einem Ziel macht Aktionen, um dieses Ziel zu erreichen. Sie MUSS Aktionen durchführen, um es zu erreichen. Pause 29 ROSS: Klasse, glaubt ihr an die Welle? Schüler stehen auf (Laurie etwas verzögert): ALLE: Mr. Ross, ja! Schüler bleiben stehen. ROSS: Dann müsst ihr Aktionen durchführen! Habt niemals Angst, euch für das einzusetzen, woran ihr glaubt! Als die Welle müsst ihr zusammen arbeiten wie eine gut geölte Maschine. Durch harte Arbeit und gegenseitige Unterstützung werdet ihr schneller lernen und mehr erreichen. Nur, wenn ihr euch gegenseitig helft, zusammen arbeitet und die Regeln befolgt, könnt ihr den Erfolg der Welle garantieren – Setzen! Schüler setzen sich. ROSS: Als wir die Welle begründet haben, musste ich beobachten, wie viele unter euch noch darum konkurriert haben, die Regeln am besten zu befolgen und die Fragen am schnellsten zu beantworten. Das muss aufhören! Ihr kämpft nicht gegeneinander, sondern miteinander für eine gemeinsame Sache! Ihr müsst euch als eine Gemeinschaft verstehen, der ihr alle angehört. In der Welle seid ihr alle gleich. Niemand ist wichtiger als die anderen. Niemand sollte mehr Popularität genießen. Niemand sollte von der Gruppe isoliert werden. Gemeinschaft meint Gleichheit innerhalb der Gruppe. Ross schaut schweigen die Schüler an. ROSS: Unsere erste Aktion wird die Werbung neuer Mitglieder sein. Um Mitglied der Welle zu werden, muss man die Regeln kennen und schwören, sie zu befolgen. Ross schweigt. David zeigt Brad „Daumen hoch“! Brad nickt. Cora meldet sich ROSS: Cora CORA: Mister Ross. Ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll. Aber irgendwie fühle ich mich das erste Mal in meinem Leben so, als ob …, als ob … ich Teil von irgendetwas bin, Teil von irgendetwas Großartigem. Alle schauen Cora an. Ihr scheint es jetzt peinlich zu sein. Sie setzt sich. Robert meldet sich. ROBERT: Mister Ross. Ich weiß, wie sich Cora fühlt. Es ist irgendwie, als ob man neu geboren ist. AMY: Mister Ross. Cora hat recht. Ich fühle mich genau so! DAVID: Mister Ross. Ich bin stolz auf die Welle! Die anderen Schüler erheben sich ebenfalls. Ross genießt eine Weile den Anblick der stumm strammstehenden Klasse. ROSS: Setzen! … Bis heute habt ihr Kapitel 8 vorbereitet. Welche Absprachen der Allierten wurden im Vertrag von Jalta festgehalten? Alle Hände gehen hoch. 30 (Black) 12. Szene (Cafeteria) Schüler kommen mit Tabletts in die Cafeteria. Sie stellen alle Tische in eine Reihe und gruppieren sich darum. (Andere Schüler, die nicht zur Welle gehören bleiben an ihren Tischen?) Robert kommt als Letzter und schaut sich nach einem freien Tisch um. DAVID: Robert, was ist los? Komm her! Du gehörst auch zur Welle! Robert kommt, verlegen lächelnd, an den Tisch BRAD: Ja, komm her. Klopft ihm auf die Schulter. Robert schaut auf die Stelle ROBERT: Hat der mir da was hingeklebt? Alle lachen. CORA (mütterlich): Nein, hat er nicht. ANDREA: Der Unterricht bei Ross. Es war einfach wieder super! JANET: Super ist gar kein Ausdruck! CORA: Geil! BRAD: Megageil! BRIAN: Affentittengeil! LAURIE: Ich weiß nicht. Ich habe so ein merkwürdiges Gefühl dabei. DAVID: Was meinst du damit? LAURIE: Irgendwas stimmt dabei nicht. AMY: Es ist einfach so anders! Deshalb fühlt es sich merkwürdig an! BRAD: Yeah! Irgendwie ist diese ganze Zofferei, dieses Rumgedisse verschwunden. Das, was mich an dieser Schule am meisten angekotzt hat, waren diese Cliquen, die sich ständig gegenseitig angemacht und untereinander ausgespielt haben. Ich habe so die Schnauze voll von dieser ständigen Konkurrenz, wer der Tollste von allen ist. Gordon High sucht den Superstar! Ich finde an der Welle so großartig, dass du dir keine Gedanken mehr darüber machen musst, wie beliebt du bist. Wir sind alle gleich! Wir gehören alle zu der selben Gemeinschaft! LAURIE: Und du denkst, das sieht jeder so? DAVID: Kennst du einen, der das nicht so sieht? 31 LAURIE: Ich bin nicht sicher, ob ich das wirklich so toll finde! Brian zieht supercool seine Mitgliedkarte mit Kreuz aus der Tasche. BRIAN: Vorsicht Baby! Halte dich an die Regeln! Ich bin Beobachter mit Lizenz zum Petzen! LAURIE (aggressiv): Was soll denn das heißen? BRIAN: Eh, bleib cool! Das war’n Gag! Schweigen am Tisch DAVID: Eh, übrigens: Laurie hat keine Regel gebrochen! ROBERT: Wenn sie gegen die Welle ist, dann schon! Schweigen ROBERT: Äh, ich meine, äh, … Die Idee der Welle ist doch gerade, dass wir alle sie unterstützen müssen. Wenn wir eine Gemeinschaft sind, dann müssen wir uns auch alle für sie einsetzen. BRAD: Also ICH meine, dreht sich zum Publikum, wir machen jetzt erst mal zwanzig Minuten PAUSE 32 Intro Laurie sitzt zuhause an ihrem Tisch (oder liegt auf ihrem Bett). Vor ihr liegt ein Buch. Sie ist offensichtlich beim Lesen eingeschlafen. Die leere Hauptbühne ist mit Schwarzlicht beleuchtet. Schüler und Schülerinnen der Gegenbesetzung tragen weiße (Halb-?)Masken und weiße Handschuhe. Sie sind sonst schwarz gekleidet. Sie werden nach und nach auf der Bühne sichtbar und führen eine kurze Choreographie auf, in der sie aus eigenständigen Bewegungen immer mehr in eine Formation übergehen, in der sie immer stereotypere Bewegungen ausführen, bis sie in einem Muster maschinenhafter Wellegrüße, Blickwendungen oder Körperbewegungen festlaufen. Lauries Mutter ruft dreimal mit zunehmender Lautstärke ihren Namen. Beim dritten Mal drehen Masken und Handschuhe ab (verschwinden aus dem Blickwinkel des Publikums). 13. Szene LAURIE (schreckt hoch): Oh Mom, ich bin wohl beim Lesen eingeschlafen. MRS. SAUNDERS: Spricht nicht für das Buch, das du da liest. Was ist es denn? (schaut auf den Einband) – Shakespeare! LAURIE: Was hast du denn erwartet? MRS. SAUNDERS: Alles außer die Welle! LAURIE: Was meinst du, Mom? Mom setzt sich zu ihr. MRS. SAUNDERS: Also. Ich habe heute im Supermarkt Elaine Billings getroffen. Sie hat mir erzählt, dass Robert ein völlig neuer Mensch geworden sei. LAURIE: War sie beunruhigt? MRS. SAUNDERS: Nein. Sie nicht. Aber ich. – Weißt du, sie hatte mit Robert Probleme seit ich denken kann. Immer wieder hat sie mir davon erzählt. Jetzt ist sie total außer sich wegen der plötzlichen Veränderung. Aber irgendwie traue ich dem nicht. Es klingt fast so als ob Robert einer Sekte beigetreten wäre. LAURIE: Was meinst du damit? MRS. SAUNDERS: Laurie, wenn man sich die Leute anschaut, die in solche Sekten hineingeraten, so sind das fast immer Menschen, die unzufrieden mit ihrem Leben und mit sich selbst sind. Sie sehen die Sekten als ein Weg der Veränderung, des Neubeginns oder geradezu einer neuen Geburt. Wie sonst willst du erklären, warum sich Robert so verändert hat? LAURIE: O.K. Aber was ist falsch daran? MRS. SAUNDERS: Dass es nicht real ist, Laurie. Robert ist nur so weit sicher, wie er von der Welle getragen wird. Was meinst du, was passiert, wenn er in andere 33 Kreise kommt? Wenn er in der Schule nicht klar gekommen ist, als es die Welle noch nicht gab, dann wird er auch außerhalb der Schule nicht klarkommen, wo die Welle nicht existiert. LAURIE: Ich verstehe dich. Aber zumindest was mich betrifft, brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich finde die Welle längst nicht mehr so toll. MRS. SAUNDERS: Klar. Ich habe gewusst, dass du das durchschaust, wenn du nur mal richtig darüber nachgedacht hast. Aber ich mache mir Sorgen um all die anderen in der Schule, die das mit der Welle wirklich ernst nehmen. LAURIE: Oh Mom, DU nimmst das einfach zu ernst. Weißt du was ich denke? Das mit der Welle ist zur Zeit einfach „in“ wie es mal Pokern oder so was war. In zwei Monaten wird sich niemand mehr an die Welle erinnern. MRS. SAUNDERS: Mrs. Billings hat mir erzählt, dass die für Freitag ein riesiges WelleEvent planen. LAURIE: Es ist einfach das Stimmungsmache-Event für das Football-Spiel am Samstag, nur dass sie es diesmal Welle-Event nennen. MRS. SAUNDERS: Zu dem 200 neue Mitglieder für die Welle indoktriniert werden sollen? LAURIE: Mom, hör mir mal zu: Niemand indoktriniert hier jemanden. Die nehmen nur ein paar neue Mitglieder in die Welle auf. Die Welle ist ein Spiel. Glaube mir, du siehst einen Berg in einem Maulwurfshügel. Vertrau mir einfach mal! Mrs. Saunders steht auf. MRS. SAUNDERS: In Ordnung, Laurie. Wenigstens weiß ich, dass du damit nichts mehr zu tun hast. Und ich glaube dafür sollte ich dankbar sein. Aber bitte, Baby, sei vorsichtig. LAURIE (etwas genervt): Ja, Mom! MRS. SAUNDERS: Und schlaf im Bett weiter! Mrs. Saunders küsst Laurie auf die Stirn und verlässt den Raum. Laurie schaut nachdenklich vor sich und kaut an ihrem Stift. (Black) Umbau Lauries Zuhause in Redaktion 14. Szene linke Bühne: Laurie liest im Redaktionsbüro einen Brief, rechte Bühne: Directice Owens in ihrem Büro, Mittelbühne: keine Schulklasse mehr, sondern eine Art „Aula“, Zwei Info-Tische sind aufgebaut, an denen David mit Amy und Cora bzw. Brian mit Janet und Andrea „Flugblätter“ an herumlaufende Schüler (aus den Rollen der anderen Besetzung) verteilen und mit ihnen unhörbar diskutieren. Hinten hängt große Welle-Fahne. 34 BRAD: „Stärke durch Disziplin! Stärke durch Gemeinschaft! Stärke durch Aktion!“ DAVID: Erfahrt alles über die Welle – auf diesem Flugblatt steht alles, was ihr wissen müsst! BRAD: Arbeitet mit uns zusammen und erreicht alle eure Ziele! BRIAN: Vergesst nicht das Wave Event in einer halben Stunde! Ross geht, gefolgt von Robert, über die Bühne. Schüler grüßen ihn mit WelleMotto. Ross grüßt zurück. Robert folgt dabei Ross in kurzem Abstand im Gleichschritt. Ross bemerkt Robert kurz vor Büro von Owens. ROSS: Robert, was machst du da? ROBERT (nimmt Haltung an): Mr. Ross! Ich bin ihr Body Guard! ROSS: Mein … was? ROBERT (etwas verunsichert): Mr. Ross! Äh … Ich würde gern Ihr Body Guard sein. Ich meine … Sie sind unser Führer, Mr. Ross. Ich kann nicht zulassen, dass Ihnen was passiert! ROSS (amüsiert): Was sollte mir denn passieren? ROBERT (nachdrücklicher): Mr. Ross. Ich weiß, sie brauchen einen Body Guard! Ich könnte das machen! Das erste Mal in meinem Leben fühle ich … Also: Niemand macht mehr Witze über mich. Ich bin etwas … Ich bin Teil von etwas Besonderem! Ross schüttelt den Kopf. ROBERT (enttäuscht): Mr. Ross ... dann … darf ich also nicht ihr Body Guard sein? … Echt. Sie brauchen einen Body Guard. Und … ich würde das auch hinkriegen. Ross schaut Robert nachdenklich an. ROSS: In Ordnung Robert. Du kannst mein Body Guard sein! Robert strahlt vor Freude. Er nimmt Haltung an. ROBERT: Mr. Ross. Danke! Ich werde Sie nicht enttäuschen! Ross klopft Robert auf die Schulter und tritt dann (nach Anklopfen?) in Büro von Owens ein. Robert baut sich auf Hauptbühne neben Büro in Body-Guard-Haltung auf. 15. Szene (Büro Owens) Ross tritt ein 35 MRS. OWENS: Wow, Ben. Ich kann mich nicht erinnern, Sie jemals so gut gekleidet gesehen zu haben. Das steht ihnen echt gut. ROSS: Danke, Mrs. Owens! Mrs. Owens fordert Ross mit einer Geste auf, sich zu setzen. MRS. OWENS: Könnte das was mit diesem Welle-Ding zu tun haben. ROSS: Ja, hat es in der Tat. MRS. OWENS: Diese ganze Aktion greift ja ganz schön um sich. ROSS: In positiver Hinsicht, hoffe ich. MRS. OWENS: So weit ich gehört habe, ja. Haben Sie was anderes gehört? ROSS: Nein. Keineswegs. MRS. OWENS: Nun, erzählen Sie mir mal, was es mit dieser ganzen Sache auf sich hat. Ich bin ganz Ohr. ROSS: Also. Es begann vor einigen Tagen. Wir hatten gerade einen Film über die Nazis gesehen, als mir eine Schülerin eine Frage stellte, auf die ich erstmal keine Antwort hatte … Ross erzählt unhörbar weiter. 16. Szene (Redaktion) Laurie legt ihren Brief zur Seite als Alex (mit Walkman, Kopfhörer nicht aufgesetzt) und Carla eintreten. Carla hat auf der Hauptbühne gerade mit den Schülern diskutiert und hat eins der Flugblätter in der Hand. Alex hat die Arme ausgebreitet und ahmt laut Motorengeräusche eines Flugzeugs nach. LAURIE: Na endlich! Beide setzen sich. Carla liest in dem Flugblatt herum und beginnt dann, daraus einen Papierflieger zu falten. ALEX: Was für ´ne Landung. Hi, Süße! (setzt sich die Kopfhörer auf und beginnt abzurocken) LAURIE: Die Redaktionssitzung sollte um 9 anfangen! CARLA: Sprich bitte nicht in diesem Ton mit deinen Starreportern! Sonst denken wir noch mal über das Angebot der New York Times nach! LAURIE (zu Carla): Wie sieht es denn mit den Beiträgen dieser Starreporter für die neue Nummer des Grape Vine aus? (zu Alex) Alex, was ist mit deiner Top-TenReview? 36 Alex rockt weiter ab und hört nichts. Carla schnipst vor seinen Augen. Alex setzt Kopfhörer ab. ALEX: Was ist? LAURIE: Hallo! Das ist eine Redaktionssitzung hier! ALEX: Ach echt? LAURIE: Was ist mit deiner Top-Ten-Review? ALEX: Ach die … äh … ich … Also du weißt doch … (vorwurfsvoll) Also weißt du, du hast doch gesehen, dass ich gerade erst gelandet bin. Die ArgentinienExpedition. Du weißt doch … Laurie verdreht die Augen. LAURIE (zu Carla): Und du musstest ihn ja begleiten und konntest deswegen deine Filmkritik nicht schreiben! CARLA (stolz): Ich war im Kino! LAURIE: Und? CARLA: Der Film war zu gut! LAURIE: Zu gut? CARLA: Ja! Es macht keinen Spaß, Kritiken über gute Filme zu schreiben! ALEX: Yeah! Über gute Filme schreiben ist langweilig. Schlechte Filme kann man verreißen, sich über die Schauspieler lustig machen … LAURIE (verzweifelt): Es ist wie jedes Mal. Nächste Woche ist die neue Ausgabe fällig und wir haben nicht genug Artikel. Wir brauchen Stories! CARLA: Wir haben einen neuen Schulbus! ALEX: Juppi! Wie interessant! CARLA: Mr. Gabondi macht ein Sabbatjahr! ALEX: Besteht die Hoffnung, dass er nicht wieder zurück kommt? Carla lässt ihren Papierflieger ins Publikum fliegen. LAURIE (wütend): Was soll denn das? CARLA: Das ist doch ´n Flugblatt! Oder? 37 Laurie stützt verzweifelt ihre Ellenbogen auf den Tisch und hält ihr Gesicht zwischen den Händen. Schweigen. Alex und Carla schauen sich an. Sie werden ernsthaft. CARLA: Apropos Flugblatt. Was ist eigentlich mit der Welle? Die ganze Schule spricht davon – und keiner weiß eigentlich wirklich, worum es dabei geht. ALEX: Ja genau. Du bist doch in Ross’ Geschichtskurs. Du müsstest dich doch bestens damit auskennen! LAURIE: Ich weiß nicht … CARLA: Was soll das heißen: Du weißt nicht! ALEX: Na komm schon. Du hast DIE Story und willst sie uns vorenthalten. LAURIE: Ich weiß selbst nicht, was ich davon halten soll! Ich weiß es immer weniger! Als ich eben gekommen bin, lag dieser Brief unter der Tür. Ich lese ihn auch mal vor: Liebe Grape-Vine-Redaktion, ihr braucht nicht nach einem Absender dieses Briefes zu suchen. Ihr werdet ihn nicht finden. Ich will nicht, dass jemand weiß, dass ich diesen Brief geschrieben habe. Gestern nach dem Unterricht wollte ich mit meinen Freunden gerade nach Hause gehen, als wir von zwei älteren Jungen angesprochen wurden. Ich weiß nicht, wie sie heißen, aber sie sagten, dass sie zu der Welle gehören. Sie fragten uns, ob wir in die Welle eintreten wollen. Zwei von meinen Freunden sagten, dass sie eintreten wollen und zwei andere, dass sie es nicht wissen. Ich sagte, dass mich das nicht interessiert. Da haben sie uns erzählt, dass die Welle ganz großartig ist und dass sie noch besser wäre, wenn noch mehr Schüler eintreten würden. Danach wollten auch die beiden anderen eintreten. Nur ich wollte nicht. Da sagte einer von den Großen zu mir: Willst du nicht zu deinen Freunden stehen und mit eintreten? Ich sagte ihm, dass sie auch meine Freunde bleiben würden, wenn ich nicht eintrete. Dann wurde er ziemlich gemein. Er sagte, dass Leute, die nicht in die Welle eintreten, bald keine Freunde mehr haben würden. Ich glaube, er wollte mir Angst machen. Aber meine Freunde sagten, dass man keinen zwingen kann, in die Welle einzutreten. Heute morgen habe ich erfahren, dass auch meine anderen Freunde in die Welle eintreten wollen, nachdem Leute aus der Welle mit ihnen gesprochen haben. Mich hat einer von den beiden Jungen heute morgen noch mal gefragt, ob ich es mir überlegt habe. Ich sagte nein. Da sagte er: Wenn ich nicht bald eintrete, ist es zu spät. Das einzige, was ich wissen will, ist: Zu spät für was? Die drei setzen Gespräch stumm fort. Nach einer Weile fangen Laurie und Alex an, etwas zu schreiben und Carla geht ab. 17. Szene (Büro Owens) 38 MRS. OWENS: Ich muss sagen. Das ist alles sehr ungewöhnlich, was Sie mir da erzählen. Sind Sie sicher, dass Sie mit den Schülern nicht im Stoff zurückbleiben? ROSS: Nein. Wir sind eher voraus. Nächste Stunde werde ich einen Test schreiben. Ich bin überzeugt, dass die Klasse ihr Wissen eindrucksvoll unter Beweis stellen wird. MRS. OWENS: Wenn Sie von Ihnen verlangen würden, in einem Essay eine eigene Position zum Thema Nationalsozialismus darzustellen, würde das bei ihrem jetzigen Unterrichtsstil wohl anders aussehen. ROSS: Wahrscheinlich. Aber Sie wissen: Es ist ein Experiment. Und es ist noch nicht zu Ende. Die ersten Auswirkungen sprechen jedoch für sich, meine ich. Auch im Unterricht meiner Frau hat sich die Haltung der Schülerinnen und Schüler enorm gebessert. Und Trainer Schiller … MRS. OWENS: Hören Sie auf mit Schiller! Für den ist die Welle die Geheimwaffe von Gordon High für das Match morgen gegen Clarkstown! Er hat mir gestern ausführlich erzählt, wie diese Aktion sein ganzes Team umgekrempelt hat. Wenn man ihm glauben schenken kann, ist die Mannschaft auf geradem Weg in die erste Liga. – Nein, Ben. Ich mache mir Sorgen, ob dieses ganze „Experiment“, wie Sie es nennen, sich nicht etwas verselbstständigt. Es hat den Rahmen des Unterrichts in der Klasse verlassen und greift langsam auf die ganze Schule über. Wo man auch lang geht, überall hört man Schüler Ihr Motto rufen und Ihren Gruß machen. Wo man auch hinschaut, sieht man WelleSymbole gemalt, gesprayt und gekritzelt. Ich würde nicht sagen, das da ernsthafte Regelverstöße vorliegen. Aber es gibt Grenzen … ROSS: Ich bin mir dessen vollkommen bewusst, Mrs. Owens. Dieses Experiment kann nicht weiter gehen als ich es zulasse. Es geht darum zu zeigen, wie weit eine Gruppe bereit ist, ihrem Anführer zu folgen. Und solange ich diesen Anführer spiele, kann da nichts außer Kontrolle geraten. Das kann ich Ihnen versichern. MRS. OWENS: O.K. Um ehrlich zu sein, Mr. Ross. Diese ganze Aktion ist so völlig anders als alles, was ich bisher an einer Schule erlebt habe, dass ich nicht so recht weiß, was ich davon halten soll. Aber: Lassen Sie uns das mit offenen Augen und Ohren verfolgen. Denken Sie daran, dass die Beteiligten in ihrem Experiment junge, leicht beeindruckbare Menschen sind, die noch nicht die Urteilsfähigkeit haben, die sie, hoffen wir das mal, eines Tages haben werden. So eine Sache kann leicht zu weit gehen, wenn man nicht genau aufpasst. Verstanden? ROSS: Völlig! MRS. OWENS: Sie versprechen mir, dass ich es nicht mit einem Haufen besorgter Eltern zu tun bekomme, die mir vorhalten, dass wir hier ihre Kinder mit irgendetwas indoktrinieren? ROSS: Ich verspreche es! 39 MRS. OWENS (steht auf): O.K. ich kann nicht sagen, dass ich wirklich begeistert von der ganzen Geschichte bin. Aber Sie haben mir noch nie Grund gegeben, an Ihnen zu zweifeln. (reicht Ross die Hand) ROSS (schlägt ein): Und ich werde es auch nicht! Ross mit Robert ab. 18. Szene (Aula) Auf Mittelbühne ist Deutsch erschienen. Schon gegen Ende des Dialogs zwischen Ross und Owen beginnt eine zunächst unhörbare Auseinandersetzung mit Brian, die an Heftigkeit zunimmt. Ross geht gefolgt von Robert ab. Danach brüllt Brian das Welle-Motto und geht auf Deutsch los. Die beiden prügeln sich. Umstehende wenden sich ängstlich ab (Andrea, Amy) oder feuern Brian an (Laurie, Cora, Brad). David beruhigt Andrea und Amy. BRAD: Mach ihn platt Mann! Brian nimmt Deutsch in „Schwitzkasten“ BRAD: Yo! JANET: Huuuh. Ich mag Wrestling! CORA: Zeig’s ihm! Directrice kommt aus ihrem Büro. MRS. OWENS: He! Was soll das? Auseinander! Sie trennt die beiden. MRS. OWENS: Mitkommen! Alle drei ab. (Entweder von Bühne oder in Owens Büro, wo sie eine stumme mündliche Auseinandersetzung führen.) Laurie ist während des Streites aufgesprungen und hat ihn von der Redaktion aus beobachtet. Jetzt geht sie auf die Bühne auf David zu. LAURIE: Was war denn hier los? DAVID: Mensch, hoffentlich verbietet die Owen Brian jetzt nicht, bei dem Welle Event mitzumachen. LAURIE: Haben sie sich wegen der Welle geprügelt? DAVID: Es ist nicht nur das. Der Typ hat Brian angemacht, weil er schon seit Monaten auf seine Position in der Football-Mannschaft scharf ist. Das hat sich halt immer weiter hochgeschaukelt. Ich hoffe, der hat jetzt bekommen, was er verdient hat. LAURIE: Aber Brian hat den Welle-Gruß gerufen! DAVID: Klar. Der ist da eben voll drin. Das sind wir doch alle. 40 LAURIE: Auch der Typ, mit dem sich Brian gekloppt hat? DAVID: Nein, der ist ein Blödmann, Laurie. Wenn er in der Welle wäre, dann würde er Brian seine Position nicht mehr streitig machen. Der ist echt ´ne Strafe für das Team. Ich wünschte, Schiller würde den rausschmeißen. LAURIE: Weil er nicht in der Welle ist? DAVID (gereizt): Mensch, wenn es ihm wirklich um die Mannschaft gehen würde, dann würde er in die Welle eintreten anstatt Brian das Leben schwer zu machen. Der ist ein One-Man-Team auf Ego-Trip. Die anderen sind nach und nach abgegangen. David schaut auf die Uhr DAVID: Es wird Zeit, wir müssen zum Event. Es geht gleich los. LAURIE: Ich … DAVID: Was? LAURIE: Ich … komme nicht mit. DAVID: Was? … Warum nicht? LAURIE: Weil ich nicht will! DAVID: Laurie, das Event ist voll wichtig! Alle die neuen Welle-Mitglieder werden dabei sein. LAURIE: David, ich glaube du und all die anderen nehmen diese Welle-Geschichte etwas zu ernst! DAVID: Nein, tu ich überhaupt nicht. Du nimmst die Welle nicht ernst genug. … Laurie, du warst immer ein Vorbild für die anderen. Viele von uns orientieren sich an dir. Du musst da einfach dabei sein! LAURIE: Genau deshalb gehe ich eben nicht dahin. Sie sollen sich selbst ihre Meinung bilden über die Welle. Sie sind Individuen. Sie brauchen mich nicht, um zu wissen, was sie tun sollen. DAVID: Ich verstehe dich nicht! LAURIE: David, ICH verstehe nicht, wie ihr alle nur so abdrehen könnt. Die Welle wird euch wichtiger als alles andere! DAVID: Weil die Welle Sinn macht, Laurie. Es funktioniert. Endlich ist mal jeder an der gleichen Sache dran! Endlich sind mal alle gleich! LAURIE: Schrecklich! Wollt ihr alle zusammen ein Tor schießen? David schaut sie verständnislos an. 41 LAURIE (verzweifelt): David, kapierst du das denn nicht? Du bist so idealistisch. Du bist so besessen von der Idee, eine Art Welle-Utopia voll von gleichen Menschen und großen Football-Teams zu schaffen, dass du nicht merkst, dass das nicht funktionieren kann. Es wird immer Leute geben, die da nicht mitmachen wollen. Und sie haben ein Recht dazu! David baut sich vor Laurie auf. DAVID: Weißt du, warum du gegen die Welle bist? Du bist dagegen, weil du nichts Besonderes mehr bist. Weil du nicht mehr als die beste und beliebteste Schülerin der Klasse gefeiert wirst. Laurie schnappt nach Luft. LAURIE: Das ist nicht wahr und du weißt es! DAVID: Es ist wahr! Jetzt merkst du mal, wie wir uns gefühlt haben, wenn du ständig die richtigen Antworten gegeben hast, wenn du ständig die beste warst. Wie fühlt es sich an, nicht mehr der Star zu sein? LAURIE: David … du bist so dumm! DAVID: O.K., wenn ich so dumm bin, dann suche dir doch einen intelligenteren Freund! Geht ab. Aus dem Off Brad „Stärke durch Disziplin! Stärke durch Gemeinschaft!“ Alle wiederholen dreimal im Chor. Danach brüllender Applaus. 19. Szene (Redaktion) Laurie kommt zurück in Redaktion. ALEX: Was, nicht beim Truppenaufmarsch? LAURIE: Alex, so schlimm ist es nun auch wieder nicht! ALEX: Yeah, bald müssen wir die Schule in Gordon-High-Kaserne umbenennen! LAURIE (stöhnt): Ich kann das jetzt gar nicht lustig finden! ALEX: Nichts ist lächerlicher als das, Laurie. LAURIE: So? Wenn du das für einen Truppenaufmarsch hältst, dann solltest du ja bald mit einer Zwangsrekrutierung rechnen! ALEX: Was, ich? Alex springt auf und macht Karate-Bewegungen. ALEX: Ich kann Karate! Wenn mir irgendwer zu nahe kommt, dann mache ich Chopped Suey aus ihm! Carla kommt herein. 42 CARLA: Yo, bin ich hier in Anne Franks Versteck geraten? ALEX: Die letzten noch überlebenden Individualisten! CARLA: Kann gut sein. Ich komme gerade vom Welle-Event ALEX: Was, die haben dich raus gelassen? CARLA: Ich hab gesagt: Ich muss mal aufs Klo. ALEX: Eh, dann bist du aber falsch hier! CARLA: Auf dem Klo war ich schon. Und jetzt will ich überall hin. Nur nicht zu diesem Event! LAURIE: Na dann. Willkommen im Klub! ALEX: Vielleicht sollten wir uns auch einen Namen geben. Wenn die die Welle sind, dann sind wir … der Tropfen! CARLA: Was denkt ihr? LAURIE: Ob wir uns „der Tropfen“ nennen sollen? CARLA: Nein, über die Welle! LAURIE: Ich denke, es ist Zeit, dass wir uns mit dem Thema in der Schülerzeitung auseinandersetzen! ALEX: Entschuldige, wenn ich meine unmaßgebliche Meinung einbringe: Aber ich denke, wir sollten damit so schnell wie möglich rauskommen, bevor noch die restliche Schülerschaft von der Furcht erregenden Welle hinweggespült wird. LAURIE: O.K. Am Sonntag um zwei bei mir zuhause. Eine Sondersitzung der Redaktion. ALEX: Aber nur für Nicht-Welle-Mitglieder! CARLA (salutiert mit dreimal absteigendem „Fingerblinken“ o.ä.): Steter Tropfen höhlt den Stein! ALEX (wiederholt den Gruß): … die Welle! CARLA: Ach, egal! Alle drei ab. 20. Szene (Saal der Schule) Beide Besetzungen kommen in dynamisiertem Marschschritt in Zweier- oder Dreierreihe auf. 43 BRAD: Stärke durch Disziplin! ALLE: Stärke durch Disziplin! BRAD: Stärke durch Gemeinschaft! ALLE: Stärke durch Gemeinschaft! BRAD: Stärke durch Aktion! ALLE: Stärke durch Aktion! BRAD: Wollt ihr die Endlösung unserer Football-Misere? ALLE: Ja! BRAD: Wollt ihr den totalen Fight! ALLE: Ja! BRAD: Wollt ihr den Kampf bis zum Endsieg! ALLE: Ja! Beide Besetzungen gehen im Marschschritt ab. ALLE: Stärke durch Disziplin! Stärke durch Gemeinschaft! Stärke durch Aktion! Stärke durch Disziplin! Stärke durch Gemeinschaft! Stärke durch Aktion! Stärke durch Disziplin! Stärke durch Gemeinschaft! Stärke durch Aktion! 21. Szene (Lauries Zuhause) Laurie sitzt am Tisch vor einem Blatt Papier und nagt an ihrem Stift. Dad kommt herein. MR. SAUNDERS: Du, kann ich dich mal sprechen? LAURIE: Du sprichst doch schon mit mir! MR. SAUNDERS: Entschuldige, dass ich hier so reinplatze. Aber deine Mutter und ich, wir machen uns wirklich Sorgen. LAURIE: Sie hat dir also erzählt, dass David mit mir Schluss gemacht hat? MR. SAUNDERS: Oh ja, das hat sie. Es tut mir wirklich leid für dich. Er war ein netter Junge. LAURIE: Ja, das war er. 44 MR. SAUNDERS: Aber geht es mir um etwas anderes. Um etwas, was ich heute Abend beim Golf gehört habe. LAURIE: Was denn, Dad? MR. SAUNDERS: Heute, nach der Schule ist ein Junge verprügelt worden. Na gut. Ich habe die Geschichte nur aus zweiter Hand. Aber offensichtlich war da irgend so ein Event in der Schule und da hat er sich geweigert, in die Welle einzutreten oder irgendwas Kritisches darüber gesagt. Laurie schweigt betroffen. MR. SAUNDERS: Die Eltern des Jungen sind Nachbarn von jemandem, mit dem ich Golf spiele. Sie sind gerade erst dort eingezogen. Der Junge muss also neu in der Schule gewesen sein. LAURIE: Das klingt so, als ob er ein perfekter Kandidat für die Welle wäre. MR. SAUNDERS: Vielleicht. Aber, Laurie, der Junge ist Jude. Könnte das vielleicht damit etwas zu tun haben? Laurie öffnet erschrocken den Mund. LAURIE: Du denkst doch nicht etwa … Dad, du glaubst doch nicht wirklich, dass … Ich meine, ich mag die Welle nicht, aber es ist doch nicht so was. Dad, ich schwöre es dir. MR. SAUNDERS: Bist du sicher? LAURIE: Mann, ich kenne jeden, der von Anfang an in der Welle ist. Ich war dabei, als alles begonnen hat. Ursprünglich wollte Ross uns damit klar machen, wie sich so etwas wie Nazi-Deutschland entwickeln konnte. Es ging doch nicht darum, aus uns kleine Nazis zu machen. Es ist … Es ist … MR. SAUNDERS: Es sieht so aus, als ob das Ganze außer Kontrolle geraten ist. Laurie nickt MR. SAUNDERS: Ein paar Eltern wollen am Montag mit der Direktorin sprechen. Nur damit du bescheid weißt und auf der sicheren Seite bist. Laurie nickt. LAURIE: Wir bringen Montag eine Spezialausgabe der Schülerzeitung raus, in der wir uns mit der Welle auseinandersetzen. MR. SAUNDERS: Das klingt nach einer guten Idee. Aber sei vorsichtig! LAURIE: Bin ich. MR. SAUNDERS: Versprochen? LAURIE: (Black) Versprochen! 45 22. Szene (Footballstadion) Schüler und Schülerinnen sitzen in weißen Hemden am Bühnenrand mit Blick Richtung Publikum. Im Halbkreis vor der Bühne könnte eine „Cheerleader“-Choreographie laufen. Alle jubeln und applaudieren (auch ohne Choreo). Laurie kommt von hinten oder von der Seite, um zu den anderen zu gehen. Brad kommt von hinten. BRAD: Stop! Laurie dreht sich zu ihm um. BRAD: Ach du bist das! (salutiert) „Stärke durch Disziplin! Stärke durch Gemeinschaft!“ LAURIE: Hi! Laurie will weiter gehen, doch Brad stellt sich ihr in den Weg. BRAD: Na los, Laurie! Mach den Welle-Gruß und du kannst zu den anderen. LAURIE (erstaunt): Was ist los? BRAD: Na mach schon! Den Welle-Gruß! LAURIE: Du meinst im Ernst, ich komme nicht auf die Tribühne, wenn ich nicht den Welle-Gruß mache? BRAD (etwas verlegen): Ja, das haben die nun mal so beschlossen. LAURIE: Wer ist „die“? BRAD: Na … die Welle, Laurie, du weißt doch. LAURIE: Brad, ich dachte DU bist die Welle. Du bist in Ross’ Geschichtskurs! BRAD: Ja, klar. Ich weiß … Nun mach doch mal nicht so’n Aufriss! Mach den Gruß und du kannst vorbei! LAURIE: Willst du damit sagen, dass alle, die auf der Tribüne sind, den Welle-Gruß gemacht haben? BRAD: Ja klar. Zumindest alle, die hier vorbei gekommen sind. LAURIE (entschlossen): Brad! Ich will jetzt dort hin! Und ich will nicht den Welle-Gruß machen! BRAD: Aber … das geht nicht! LAURIE (schreit): Wer sagt, dass das nicht geht? Einige Schüler drehen sich um. 46 BRAD: Mensch Laurie, nun mach schon diesen doofen Gruß! LAURIE: Nein! Das ist lächerlich! Und sogar du weißt, dass es lächerlich ist! BRAD (schaut sich vorsichtig um, spricht leise): O.K. Dann geh schon. Ich glaube, es guckt gerade keiner. LAURIE: Brad, warum machst du das, wenn du doch weist, dass es dumm ist? Warum machst du das mit? BRAD: Äh, Laurie ... Ich kann darüber jetzt nicht mit dir diskutieren. Das Spiel geht gleich los. Ich muss hier den Einlass machen und habe echt viel zu tun! LAURIE: Hast du Angst? Brad schweigt verwirrt. LAURIE: Hast du Angst davor, wie die anderen von der Welle reagieren, wenn du nicht gehorchst? Brad schnappt nach Luft. BRAD: Ich … habe vor niemandem Angst. Aber … aber … aber du solltest besser den Mund halten. ´Ne Menge Leute haben bemerkt, dass du gestern nicht auf dem Welle-Event warst! LAURIE: Ja? Und? BRAD: Was und? LAURIE: Und was willst du mir damit sagen? BRAD: Äh … nichts. Ich wollte es dir nur sagen. Laurie dreht sich um und geht empört ab. Die Menge Jubelt und beginnt einen Sprechchor: ALLE: Gordon go! Gordon go! Gordon go! (Black) 23. Szene (Lauries Zuhause) Laurie und Carla sitzen am Tisch und wühlen in darauf verteilten beschriebenen Blättern. Alex kommt herein. ALEX: Feige Amöben ohne Rückgrat! Ich schwöre gegen die Welle zu kämpfen bis zu meinem Ende! Akne oder Freiheit! Laurie und Carla schauen sie erschrocken an. ALEX: Öh, ich dachte nur, dass Akne schlimmer als Tod ist. 47 LAURIE: Setz dich! CARLA: Also, ich bin der Sache mit dem jüdischen Jungen nachgegangen. Er ist nicht schwer verletzt, aber ziemlich zugerichtet worden. Und zwar von ein paar Kerlen, die noch nicht identifiziert sind. Es ist wohl auch nicht ganz klar, ob es um die Welle ging oder ob die Welle für die Typen nur ein Vorwand war. Auf alle Fälle haben sie den Jungen „dreckiger Jude“ genannt. Die Eltern haben den Jungen erstmal von der Schule genommen und werden am Montag mit der Direktorin sprechen. Ich habe die Sache hier mal kurz dargestellt. Vielleicht trägt das ja auch noch zur Klärung bei. LAURIE: Und was haben wir sonst noch? ALEX: Den anonymen Brief von dem Junior, der nicht in die Welle eintreten wollte. Und dann habe ich noch ein paar Interviews mit besorgten Eltern und Lehrern gemacht. Hier … (schiebt Laurie ein paar Blätter rüber) Was ist mit deinem Editorial, Laurie? CARLA: Da ist es! (Schiebt Alex ein Blatt Papier rüber). Einfach nur super! Sie stellt kurz dar, wie die Welle entstanden ist und macht dann an ein paar Begebenheiten deutlich, wie gefährlich und militant sie geworden ist und wie sehr sie inzwischen schon die persönlichen Freiheiten der Schülerinnen und Schüler einschränkt. Und sie endet mit einem Aufruf, die Sache so schnell wie möglich zu beenden, ehe noch Schlimmeres passiert. Und natürlich fehlt nicht der Seitenhieb, dass Clarkstone unser Team trotz Welle genüsslich 42:6 vernascht hat. ALEX (überfliegt dabei den Artikel): Super! Ich mach noch das Layout und bring das Ganze Mitch zum Drucken. Er hat mir versprochen, dass wir die Ausgabe Montagvormittag verteilen können. (Black) 24. Szene (Saal der Schule, Hauptbühne) Schülerinnen und Schüler des Geschichtskurses und andere stehen herum und lesen sich still gegenseitig die Schulzeitung vor. In einer Gruppe stehen David, Robert, Brad und Brian zusammen. Laurie kommt mit Schulsachen auf. Amy stürzt ihr entgegen. AMY (entsetzt): Laurie, wie kannst du so etwas über die Welle sagen? LAURIE: Warum nicht? Es ist wahr! AMY: Eh komm, Laurie. Du bist doch nur sauer, weil David mit dir Schluss gemacht hat und willst ihm so eins auswischen! LAURIE (ruhig, ernsthaft): Amy, das glaubst du doch nicht wirklich! Die Welle unterdrückt Menschen! Und jeder von euch folgt ihr wie ein Schaf der Herde! Siehst du nicht, was die Welle mit euch allen macht? Sie lässt euch vergessen, 48 wer ihr wirklich seid. Sie macht Zombies aus euch! Warum macht ihr da alle noch mit? AMY: Weil sie endlich eine Gemeinschaft aus uns gemacht hat. Endlich ist keiner mehr besser als der andere … (eindringlich) … Laurie! Seit wir Freundinnen sind, habe ich ständig mit dir konkurriert, wollte ich ständig so sein wie du. Endlich weiß ich, dass ich nicht einen Freund im Football Team haben muss, dass ich nicht so gute Noten wie du haben muss, dass ich es nicht mit Laurie Saunders aufnehmen muss, um liebenswert zu sein. Deshalb glaube ich an die Welle … Laurie steht zunächst sprachlos mit offenem Mund da. LAURIE (stammelt): Amy, ich … ich … du, ich hab schon immer mal mit dir reden wollen, darüber. Ich habe … die ganze Zeit schon irgendwie gewusst, dass du das so empfindest. Aber … aber … AMY (wütend): Komm Laurie, das bin nicht nur ich. Weißt du nicht, dass die Hälfte der Eltern dieser Schule ihren Kindern vorhält „Warum kannst du nicht sein wie Laurie Saunders?“ … Laurie, der einzige Grund, warum du gegen die Welle bist, ist der, dass du hier nicht mehr die Prinzessin spielen kannst!!! Amy lässt die verblüffte Laurie stehen und geht ab. Laurie geht verstört ab und taucht dann in ihrem Redaktionsbüro auf. ROBERT (verzweifelt): Das sind Lügen! Das sind alles Lügen! Nichts als Lügen! Die darf so was nicht schreiben! Die darf das nicht! DAVID (legt ihm die Hand auf die Schulter): Eh, bleib cool, Mann. Wen interessiert das schon, was Laurie da schreibt! ROBERT: Machst du Witze? Jeder, der das liest, bekommt einen völlig falschen Eindruck von der Welle! Sie darf so was nicht schreiben! DAVID: Komm, entspann dich! Es gibt kein Gesetz, das allen Leuten vorschreibt, an das zu glauben, was wir hier machen. Aber wenn wir die Welle vorwärts bringen, dann werden alle Leute die Erfolge sehen, die wir erreichen! BRAD: Mann, aber wenn wir nicht aufpassen, dann werden solche Leute die Welle zugrunde richten, bevor wir es ihnen gezeigt haben. Solche Gerüchte machen einfach die Runde. Alle möglichen Lehrer und Eltern sind schon bei Owens aufmarschiert und haben sich über die Welle beschwert. ROBERT (grimmig): Laurie Saunders ist ein Miststück! Wir müssen sie aufhalten! DAVID: Eh, warte … BRIAN: Mach dir keine Sorgen, Robert. David und ich, wir nehmen das in die Hand! Wir nehmen sie uns mal vor! DAVID: Uh … 49 BRIAN (zieht David beiseite): Komm schon David! Wenn jemand mit ihr reden kann, dann bist du es! DAVID: Ich kann Roberts Haltung nicht ab! BRIAN: Dave, Robert ist ´n bisschen übermotiviert! Aber im Grunde hat er schon recht! Wenn Laurie weiter so’n Zeug schreibt, dann hat die Welle keine Chance! Sag ihr einfach, dass sie cool bleiben soll! Auf dich wird sie hören! DAVID: Ich weiß nicht … BRIAN: Komm, wir fangen sie heute Abend nach der Schule ab. Dann kannst du mit ihr reden! DAVID: O.K. Aber (zögert) … ich mach das alleine! … Ich … wohn hier gleich um die Ecke und sie bleibt abends immer ziemlich lang in der Redaktion. Brian schaut ihn einen Moment lang an. BRIAN: Wenn du allein mit ihr fertig wirst, O.K. Aber eins muss klar sein: Wir machen keine Spielchen mehr! (Black) 25. Szene (Redaktion/Saal der Schule) Laurie sitzt allein am Redaktionsschreibtisch. Sie schreibt ab und zu etwas und knabbert zwischendurch an ihrem Stift. Düstere Beleuchtung, evtl. Schreibtischlampe. Zwei oder drei schwarz gekleidete Darsteller der Gegenbesetzung mit weißen Masken / Handschuhen (wie in Albtraum) tauchen hinter und neben ihr auf und verschwinden wieder. Sie legt den Stift demonstrativ hin, steht auf (löscht die Lampe) und geht auf die Hauptbühne. Dort tauchen noch mehr Maskierte auf. Sie hat Angst. Plötzlich, als sie gerade rückwärts läuft, kommt ihr David entgegen. Sie prallt mit ihm zusammen und schreit vor Schreck auf. DAVID: Oh, entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken! LAURIE: David … huuuh! (Schaut sich um) Wo hast du denn deine Truppe? Ich bin gar nicht mehr gewohnt, dir alleine zu begegnen! DAVID: Laurie, könnte ich dich mal ´ne Minute sprechen? LAURIE: David, wir haben doch schon alles gesagt, was es zu sagen gibt. Ich will das jetzt nicht noch mal aufwärmen. Lass mich bitte in Ruhe! DAVID: Laurie, du musst aufhören, solche Sachen über die Welle zu schreiben. Du machst uns ohne Ende Probleme damit! LAURIE: Die Welle ist es, die Probleme macht, David! DAVID: Das stimmt nicht. Laurie, wir wollen dich an unserer Seite und nicht gegen uns! 50 LAURIE (schüttelt den Kopf): Zählt nicht mehr auf mich! Ich habe euch gesagt, dass ich austrete! Das ist nicht mehr mein Spiel. Es sind Menschen verletzt worden! DAVID: Das war nicht wegen der Welle! Das waren ein paar Chaoten, die die Welle als Entschuldigung für ihr Verhalten missbraucht haben. Die Welle ist gut für alle! Warum verstehst du das nicht, Laurie. Sie könnte ein ganz neues System werden. LAURIE: Nicht mit mir! Laurie geht an David vorbei. DAVID: Laurie! David fasst sie am Arm. LAURIE: Lass mich los! DAVID: Laurie, du musst damit aufhören! LAURIE: David, lass meinen Arm los! Laurie versucht sich loszureißen. DAVID: Laurie, hör auf, solche Artikel zu schreiben! Halt deinen Mund, was die Welle betrifft! Du machst alles das kaputt, was sie für andere Menschen bedeutet! LAURIE: Ich schreibe und ich sage alles, was ich will. Und ihr könnt mich nicht davon abhalten! Laurie versucht noch intensiver, sich loszureißen. David packt sie an beiden Armen. DAVID: Wir können dich davon abhalten und wir werden es tun! Laurie versucht sich mit aller Kraft loszureißen. LAURIE (schreit mit aller Kraft): Ich hasse dich! Ich hasse die Welle! Ich hasse euch alle! DAVID (brüllt): Halt’s Maul! David stößt Laurie gewaltsam zu Boden. Ihre Bücher fliegen durch die Gegend. Sie rollt sich auf dem Boden zusammen. David steht einige Sekunden geschockt da. Dann hockt er sich zu ihr. DAVID: Laurie, ist alles O.K.? … Oh Laurie, verzeih mir … bitte … verzeih mir. David versucht sie in den Arm zu nehmen. Sie fängt an zu schluchzen. Schlägt um sich. LAURIE: Lass mich! David versucht es weiter. DAVID: Laurie, bitte, ich … wollte das nicht! 51 LAURIE (wütend, weinend, schlägt noch einmal, weniger heftig): Lass mich in Ruhe! David versucht es weiter. DAVID: Bitte, bitte, bitte, Laurie! Schließlich lässt sich Laurie in den Arm nehmen und weint heftig schluchzend in seine Schultern. 26. Szene (Ross’ Zuhause) Ross sitzt wieder am Tisch über seinen Büchern. Plötzlich hört man von draußen Chris schreien: CHRISTIE: Du bist wohl total durchgeknallt! Du lässt mich jetzt hier vorbei oder ich hau dir eine runter, dass du nach deiner Mami schreist … Ross springt vom Stuhl auf. Chris kommt völlig aufgelöst herein. CHRISTIE: Was geht denn hier ab? Kannst du mir das mal erklären? Da steht dieser Bengel vor der Türe und will mich nicht reinlassen, wenn ich ihm nicht meinen Ausweis zeige! ROSS: Äh … Moment … ich kläre das! Geht raus und kommt mit Robert rein. CHRISTIE: Verdammt noch mal, was treibst du da? ROBERT (verlegen): Entschuldigung. Ich bin Mr. Ross’ Body Guard! CHRISTIE (verblüfft zu Ross): Dein … wie bitte? ROSS (verlegen): Mein Body … Äh, Chris, lass dir erklären! ROBERT: Oh, Entschuldigung Mr. Ross, wenn ich Ihnen Unangenehmlichkeiten bereite. Aber … ich dachte, jetzt, wo es so viel Ärger wegen der Welle gibt, muss ich wirklich rund um die Uhr für Ihre Sicherheit sorgen … und … und ich kann es nicht zulassen, dass irgendjemand, der nicht zur Welle gehört … ROSS: Robert, dieser Irgendjemand ist meine Frau. ROBERT: Aber … dann hätte sie mir doch einfach ihren Welle-Ausweis zeigen können! ROSS: Meine Frau hat keinen Welleausweis! ROBERT: Aber … ist sie denn nicht in der Welle? CHRISTIE (zu Ross): Ben, würdest du den jungen Mann bitte hinausbegleiten? Ross nimmt Robert bei den Schultern und geht hinaus mit ihm. Chris setzt sich an den Tisch. Ross kommt wieder hinein und setzt sich ihr gegenüber. ROSS: Also, Chris, das mit Robert … 52 CHRISTIE (unterbricht ihn): Ben, du wirst morgen dein Welle-Experiment beenden! Ross schaut sie sprachlos an. CHRISTIE: Ich weiß, wie viel dir das bedeutet und wie wichtig es deiner Meinung nach für deine Schüler ist. Aber du musst das beenden! ROSS: Wie … kannst du so was sagen? CHRISTIE: Entweder du beendest es oder Owens wird es tun! Hast du überhaupt eine Ahnung, was in der Schule los ist wegen der Welle? Ist dir klar, dass die Welle die Schule in zwei Parteien spaltet, zwischen denen die Luft brennt? Die Eltern laufen Sturm in Owens Büro. Die Elternvertretung macht Befragungen mit Schülern deines Kurses. Mindestens drei Kollegen haben mich heute gefragt, ob du noch ganz richtig tickst. Und auch sie beschweren sich massiv bei der Direktorin! ROSS: Ich weiß, ich weiß … aber das ist alles nur so, weil sie nicht kapieren, worum es mir geht! CHRISTIE: Ben, bist du sicher, dass DU noch weißt, worum es geht? Erinnere dich mal, was ursprünglich deine Absicht war mit diesem Experiment! Verfolgst du wirklich immer noch die gleichen Ziele? Seit ein paar Tagen erkenne ich dich kaum noch wieder. Du identifizierst dich so mit deiner Rolle, die du in der Schule spielst, dass du noch nicht mal zuhause davon runterkommst! Ben, du musst das beenden! ROSS: Ich weiß, ich weiß … aber jetzt noch nicht! CHRISTIE: Wann dann? Wenn irgendeiner deiner Welle-Jünger irgendwas tut, was nicht mehr gutzumachen ist? ROSS: Meinst du, ich mache mir deswegen keine Sorgen? Aber ich kann jetzt nicht einfach damit aufhören! Die Schüler wären völlig verwirrt und hätten überhaupt nichts gelernt! CHRISTIE: Dann lass sie halt verwirrt sein! ROSS: Nein. Das mache ich nicht! Das kann ich nicht! Ich bin ihr Lehrer! Ich bin verantwortlich für die Situation, die jetzt entstanden ist. Mir ist klar, dass das alles zu weit gegangen ist. Aber es ist eben auch zu weit gegangen, um es jetzt einfach abzubrechen. Ich muss es einfach noch auf den Punkt bringen. Ich könnte den Kids eine wirklich wichtige Sache mit auf den Weg geben, die sie ihr Leben lang nicht vergessen! CHRISTIE: Ich hoffe nur für dich, dass Mrs. Owens das auch so sieht. Als ich nach Hause gehen wollte, sagte sie mir noch, dass sie dich morgen früh sofort sprechen muss! Ben, du setzt dein Ansehen als Lehrer auf’s Spiel. Und nicht nur deins! Auch meins! Nicht nur Robert hat die Idee, dass ich als deine Frau doch auch irgendwie auf dieser idiotischen Welle mitschwimme. Es klingelt. 53 CHRISTIE (springt auf und geht zur Tür): Boooh, wenn das wieder dein Leibwächter ist, dann zeige ich ihm, was man bei Selbstverteidigung für Frauen lernt! ROSS (steht auf, ist aber zu langsam, um sie noch aufzuhalten): Warte, warte, ich … Chris kommt mit besorgtem Gesicht mit David und Laurie herein. David hält Laurie noch immer im Arm. CHRISTIE: Es sind David und Laurie. Sie wollen zu dir. Es muss was Schlimmes passiert sein! DAVID: Mr. Ross, wir müssen mit Ihnen reden. Es ist wirklich wichtig! ROSS: O.K. Setzt euch! DAVID: Es geht um die Welle. LAURIE: Mr. Ross, wir wissen wie wichtig das für sie ist. Aber es geht zu weit! Die Kids haben Angst, sie haben wirklich Angst. Keiner traut sich mehr, etwas gegen die Welle zu sagen. Ja mehr noch: Jeder hat Angst davor, was ihm passieren könnte, wenn er nicht mitmacht wie alle anderen. Man kann sich nicht mehr unterhalten, ohne aufzupassen, wer gerade zuhört. DAVID: Heute habe ich Laurie echt wehgetan wegen der Welle. Ich hätte sie verletzen können. Ich weiß nicht, was da über mich gekommen ist. Aber es ist dasselbe, was fast über jeden kommt, der in der Welle ist. LAURIE: Sie müssen das beenden, Mr. Ross! Schweigen ROSS: Ich weiß. Ich werde es beenden. Schweigen DAVID: Was werden Sie tun, Mr. Ross? Schweigen ROSS: David, Laurie, ihr habt selbst herausgefunden, was die anderen WelleMitglieder noch nicht verstanden haben. Ich verspreche euch, dass ich ihnen morgen zu dieser Einsicht verhelfen werde. Aber ich muss es auf meine Weise machen … und ich kann euch nur bitten, mir zu vertrauen. Könnt ihr das? David und Laurie schauen sich an und nicken dann Ross steht auf. ROSS: O.K. Dann nach Hause mit euch! Es ist schon spät! Begleitet sie zur Tür. ROSS: Ach, noch was: Gibt es irgendwen, der noch nie mit der Welle zu tun hatte und den die anderen Welle-Mitglieder bei einem Event nicht vermissen würden? LAURIE: Alex Cooper und Carla Block. 54 ROSS: O.K. Könnt ihr morgen in der Schule so tun, als ob nichts gewesen wäre und über all das schweigen, was wir gerade besprochen haben? David nickt. Laurie schaut ihn zweifelnd an. LAURIE: Ich weiß nicht, Mr. Ross! ROSS: Es ist extrem wichtig, Laurie Du musst mir vertrauen! Ross begleitet die beiden nach draußen. (Black) 27. Szene (Owens Büro) MRS. OWENS: Verdammt Ben. Ein Experiment! Was soll ich damit anfangen? Ihre Kollegen beschweren sich. Alle fünf Minuten rufen mich irgendwelche Eltern an und wollen wissen, was zur Hölle, hier los ist oder was wir mit ihren Kindern anstellen. Meinen Sie im Ernst, DENEN kann ich erzählen, dass das alles „nur ein Experiment“ ist? Und der Junge, der letzte Woche verprügelt wurde. Sein Rabbi war gestern bei mir. Der Mann war zwei Jahre in Auschwitz. Was meinen Sie, was der von Ihren Experimenten hält? ROSS: Mrs. Owens, ich verstehe, unter was für einem Druck Sie stehen. Ich weiß, dass ich mit der Welle zu weit gegangen bin. Ich … (atmet tief ein) … ich habe einen Fehler gemacht. Eine Klasse ist kein Experimentallabor. Aber … verstehen Sie, in was für einer Situation wir nun gerade sind. Jetzt haben wir es mit zweihundert Schülerinnen und Schülern zu tun, die die Welle großartig finden. Denen können wir nicht einfach sagen: Es ist vorbei. Sie würden das alles ganzes Leben kritiklos als eine tolle Erfahrung im Gedächtnis behalten. Wenn ich das hingegen richtig zum Abschluss bringe und ihnen klar mache, was da eigentlich gelaufen ist, dann können sie aus der Sache wirklich noch was lernen. Sie können etwas lernen, wenn Sie mir nur noch für den heutigen Tag freie Hand lassen! MRS. OWENS: Und was soll ich bitte den Eltern und Lehrern sagen, die mir die Tür einrennen und das Telefon belagern? ROSS: Dass ich Ihnen verspreche, dass heute Abend alles vorbei ist. Owens denkt einen Augenblick nach. MRS. OWENS: O.K. Ben. Bis heute Abend. Sie sind ein toller Lehrer. Es täte mir leid, wenn wir uns von Ihnen verabschieden müssten. ROSS: Danke! Steht auf und geht auf die Hauptbühne. 28. Szene (Saal der Schule) 55 Die Welle-Mitglieder sind versammelt (außer den Rollen des Geschichtskurses auch Darsteller der Gegenbesetzung in weißen Hemden). Ross kommt und steigt auf eine Kiste/einen Stuhl oder ähnliches. Als er auftaucht, beginnen die Schülerinnen und Schüler zu jubeln und brechen in einen von Klatschen begleiteten Sprechchor aus: ALLE: Ross, Ross, Ross, Ross, Ross, Ross, Ross ... Ross beendet mit einer Handbewegung. Sofort tritt Ruhe ein. ROSS (mit Gruß): Stärke durch Diszplin! ALLE (mit Gruß): Stärke durch Gemeinschaft! ROSS: Ich habe euch zusammen rufen lassen, weil ich eine sehr wichtige Ankündigung zu machen habe. Die Welle ist nicht nur ein Experiment in unserem Geschichtskurs gewesen. Ohne euer Wissen haben überall in den Vereinigten Staaten Lehrer wie ich Gemeinschaften von Jugendlichen wie die unsrige ins Leben gerufen, um unserer Nation zu zeigen, wie man eine bessere Gesellschaft begründen kann. (Schüler applaudieren) Wie ihr wisst ist die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land durch ständig steigende Inflationsraten und zunehmende Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Noch nie waren die moralischen Werte so im Verfall begriffen wie heute. Wenn wir dieser Entwicklung nicht Einhalt gebieten, dann ist unsere Gesellschaft zum Untergang verurteilt. Wir müssen allen Amerikanern beweisen, dass wir unser Land durch Disziplin, Gemeinschaft und Aktion grundlegend umgestalten können. (Schüler applaudieren) Schaut, was wir hier an der Schule in wenigen Tagen erreicht haben. Wenn wir die Dinge hier verändern können, dann können wir es überall! Schüler applaudieren. DAVID: Mr. Ross, was soll das? Sie wollten doch … ROSS: Sei still David! DAVID: Verdammt noch mal, Sie haben versprochen … ROSS: Du sollst still sein, David David wird von mehreren Seiten unsanft angerempelt, schaut desorientiert um sich und schweigt. ROSS: Heute Abend … (Wartet bis es still wird) … heute Abend um punkt sechs Uhr werden sich alle Welle-Mitglieder hier im Saal der Schule versammeln. Wir werden uns gemeinsam die Fernseh-Übertragung einer Rede anschauen, in der der nationale Führer der Welle die Gründung einer Amerikanischen Jugendbewegung „Die Welle“ verkünden wird! Tosender Applaus der Schüler. Mit Marschschritt auf der Stelle begleiteter Sprechchor „Stärke durch Disziplin! Stärke durch Gemeinschaft! Stärke durch Aktion“ DAVID: Hört nicht auf ihn! Er ist ein Lügner! Hört nicht auf ihn!!! David wird von den Mitschülern ignoriert und verlässt schließlich die Bühne. 56 (Black) 29. Szene (Lauries Zuhause) Laurie und David sitzen zusammen (vielleicht sie auf seinem Schoß). DAVID: Ich verstehe nicht, wie ich nur so dumm sein konnte, Laurie, so dumm! LAURIE: Du warst nicht dumm, David! Du warst einfach nur zu idealistisch! Es war nicht alles schlecht an der Welle! An so was kann einfach nicht alles schlecht sein, sonst würde sich niemand davon begeistern lassen. So sehr begeistern, dass keiner mehr die schlechten Seiten sieht. Sie sehen nur, dass die Welle alle gleich macht. Sie verstehen aber nicht, dass sie ihnen dadurch ihr Recht auf Individualität und Unabhängigkeit nimmt. DAVID: Aber wieso verstehen sie das nicht? LAURIE: Schweigen Ich weiß nicht. Irgendwie sind sie alle wie in Trance. DAVID: Aber es muss doch auch ohne Welle irgendwie möglich sein, dass Menschen individuell und unabhängig sein können, ohne gegeneinander zu konkurrieren, wer der beste, der tollste, der populärste ist, ohne gegeneinander zu integrieren und sich gegenseitig auszuspielen. Es muss doch auch ohne Welle möglich sein, individuell zu sein und trotzdem mit anderen in eine wirkliche Gemeinschaft zu bilden. LAURIE: Sicher. Aber dafür muss man sich eben echt engagieren. Es ist eben viel einfacher, sich von irgendwem die Regeln dafür vorschreiben zu lassen. Schweigen LAURIE: David, weißt du noch wie alles anfing mit der Welle? DAVID: Die Stunde, als Ross mit „Stärke durch Disziplin anfing“? LAURIE: Nein, der Tag vorher. Als wir uns den Film über die Konzentrationslager der Nazis anschauten. Der Film, über den ich so fertig war. Keiner konnte verstehen, warum so viele Deutsche einfach ignoriert haben, was die Nazis da angerichtet haben. DAVID: Ja, ich erinnere mich. LAURIE: Weißt du noch, was du mir danach beim Essen gesagt hast? David überlegt einen Augenblick und schüttelt dann den Kopf. LAURIE: Du hast mir gesagt, dass so etwas nie mehr passieren könne. David überlegt noch mal. 57 DAVID: Weißt du was? Selbst nach all dem, was wir mit der Welle erlebt haben, selbst, wenn heute die Welle eine amerikanische Jugendbewegung wird. Ich kann immer noch nicht verstehen, wie so was passieren kann. Es ist so krank! Es ist dermaßen krank! Laurie denkt nach. LAURIE: David … lass uns in die Schule gehen! DAVID: Wie bitte? LAURIE: Ich will ihn sehen ... Ich will diesen Führer sehen. Ich glaube einfach nicht, dass so was passieren kann, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen habe. DAVID: Aber … Ross hat doch gesagt, dass es nur für Welle-Mitglieder ist. LAURIE: Was kümmert uns das? DAVID: Ich weiß nicht, Laurie ... Die Welle hat mich einmal gekriegt. Ich … habe Angst, dass sie mich noch mal kriegt. LAURIE (lacht): Bestimmt nicht! Das verspreche ich dir! Komm! (Black) 30. Szene (Saal der Schule) Fernseh-Gerät(e) oder Beamer sind aufgebaut. Weißer Lichtkegel oder Video-Blau sind zu sehen. Welle-Mitglieder sind versammelt. So weit wie möglich ist Saal mit Welle-Fahnen / Welle-Symbolen dekoriert. In Lichtkegel oder zwischen / neben Fernsehgeräten ist Podium errichtet. Ross kommt. SchülerInnen bejubeln ihn begeistert. Er steigt auf die Tribüne. ROSS (grüßt): „Stärke durch Disziplin!“ ALLE (grüßen): „Stärke durch Gemeinschaft!“ Sprechchor setzt ein ALLE: „Stärke durch Disziplin! Stärke durch Gemeinschaft! Stärke durch Aktion!“ „Stärke durch Disziplin! Stärke durch Gemeinschaft! Stärke durch Aktion!“ Ross beendet mit einer Handbewegung. Tosender Beifall! (beendet Beifall mit einer Handbewegung): Das … ist euer Führer! Brüllender Applaus! Es erscheint ein Bild von Adolf Hitler. Applaus bricht ab. ROSS ROSS: Es gibt keine nationale Jugendbewegung „Die Welle“! Es gibt keinen Führer! Aber das hätte der Führer einer solchen Bewegung sein können! Was hätte aus der Welle werden können, wenn alles so weiter gegangen wäre, wie es hier bei uns begonnen hat? Schaut euch eure Zukunft an! 58 Film läuft ab, der Hitlerjugend, SA-Aufmarsch, SS-Aktionen, Konzentrationslager, Kriegsbilder zeigt. ROSS (kommentiert Film): Ihr habt euch für etwas besonderes gehalten! Ihr habt eure Freiheit aufgegeben für das, was ihr Gleichheit genannt habt! Ihr habt eure Gleichheit als Überlegenheit gegenüber all denen verstanden, die nicht zur Welle gehören. Ja, ihr wärt gute Nazis geworden! Ihr hättet Uniformen angezogen und zugelassen, dass eure Nachbarn verfolgt und vernichtet werden. Ihr habt gesagt, dass dies nie wieder hätte passieren können. Aber schaut, wie nahe ihr dem schon nach ein paar Tagen gekommen seid! Ihr habt Menschen gezwungen, der Welle beizutreten, ihr habt die Mitschüler unterdrückt und geschlagen, die nicht dazu bereit waren, ihr habt Menschen, die nicht zur Welle gehören nicht zum Football-Spiel gelassen. Faschismus ist nicht nur das, was andere Menschen getan haben. Faschismus ist in jedem von uns! Film ist zu Ende. ROSS: So weit zu euch. Ich hoffe ihr habt eine Lehre gezogen aus dem, was ihr in den letzten Tagen erlebt habt. Aber auch ich habe dazu gelernt. Ich habe lernen müssen, wie viel von einem solchen Führer in mir selbst steckt. Ich habe die tiefe Sehnsucht nach wirklicher Mitmenschlichkeit und Gemeinschaft in jedem von euch für ein Experiment ausgenutzt, das zu weit gegangen ist. Verzeiht mir! Ross geht ab. Schweigen Nach und nach verlassen die Schülerinnen und Schüler die Bühne. Version 1: Nur noch Robert steht völlig apathisch mitten auf der Bühne. (Black) Version 2: Als letztes fasst Brian Brad um die Schulter und sie setzen sich in Richtung Ausgang in Bewegung. Nur noch Robert steht völlig apathisch mitten auf der Bühne. Brian und Brad bleiben stehen und schauen sich zu Robert um. (Black) Version 3: Als letztes fasst Brian Brad um die Schulter und sie setzen sich in Richtung Ausgang in Bewegung. Nur noch Robert steht völlig apathisch mitten auf der Bühne. Brian und Brad bleiben stehen und schauen sich zu Robert um. Sie gehen zu ihm, nehmen ihn in ihre Mitte und gehen zu dritt ab. (leere Bühne) (Die Schülerinnen und Schüler meiner Klasse haben sich für Version 1 entschieden.) 59 Die Welle“ Darsteller nach Szenen Szene Seiten Ross Christie Owens Laurie Mrs. S. Mr. S. Amy Cora Andrea Janet David Brian Brad Robert Deut. Carla Alex Stumm I 2 x 1 2 x 2 2 3 1 4 1 x x 5 4+ x 6 1 x x 7 2 x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 8 2 9 1 10 1 x x 11 2 x 12 1 I 2 13 1 14 1 x 15 1 x 16 2 x x x x x x x x x x x x x x 18 2 19 1 x x 20 2 21 1 22 1 23 1 24 2 25 1 26 2 x x x x x x x x x x 27 1 x 28 2 x 29 1 30 2 x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 17 1 x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x