Theorie-Theorie VORLESUNG Grundannahmen der Theorie-Theorie 3 Ansätze m. Fokus auf bereichsspezifisches Wissen: Expertise-Ansatz, Modularitätsansatz, Theorie-Theorie -Kinder haben „intuitive Theorien“ für bestimmte Domänen: Physik, Psychologie, Biologie.. -Dies sind kohärente, konsistente und partiell abstrakte Wissenssysteme (z.T. spezifische Prinzipien) -Theorien dienen der Interpretation von Phänomenen -kognitive Entw. (auch) als Theorie-Wandel bzw. Paradigmen-Wandel qualitative Veränderungen -Analogien zur Entw. wissenschaftlicher Theorien -wie Piaget: Kind als Wissenschaftler, Organisation kognitiver Strukturen, Wissenskonstruktion, aktuelles Wissen schränkt Entwicklung ein, Antrieb durch Widersprüche -anders als Piaget: Bereichsspezifität und: frühe Fähigkeit zur Theoriebildung -Grundlegende Prinzipien und ontologische Unterscheidungen sind vorbereitet Was ist das Habituationsparadigma? Wenn Ball auf Boden 0 Oerter & Montada: Kapitel 12: Entwicklung begrifflichen Wissens (Beate Sodian) 0.1 Begriffliche Repräsentationen Begriff: Eintrag im Gedächtnis, der durch die Verknüpfung einer Reihe von Merkmalen zu einer Einheit entsteht (Clark. 1983)(z.B. der Begriff „Hund“ entsteht aus der Verknüpfung von Merkmalen wie „4 Beine“, „bellen“, etc.). Die Wissenseinheit kann sich auf ein Individuum oder eine Kategorie beziehen. Begriffe sind fundamental für Erleben und Verhalten und ermöglichen die Organisation von Erfahrungen sowie die Anwendung vorhandenen Wissens auf neue Situationen (Schlussfolgerungen über Unbekanntes = Induktion) 0.1.1 Merkmalsbasierte Ansätze Theorie deterministischer (= vorbestimmter) Merkmalsrepräsentationen Begriffe ähneln Lexikoneinträgen, die hinreichende und notwendige Bedingungen dafür spezifizieren, dass ein Exemplar unter den Begriff fällt (z.B. ist ein Mann ein Onkel, wenn er der Bruder des Vaters oder der Mutter ist, oder der Mann der Tante). Problem: für viele Begriffe gibt es keine Definitionskriterien dieser Art (z.B. Begriff Spiel) Theorie probabilistischer (= wahrscheinlicher) Repräsentationen Es gibt wahrscheinliche Relationen zwischen Merkmalen und einem Begriff (Rosch & Mervis, 1975). Bsp.: das Merkmal „kann fliegen" ist ein hoch valider Hinweis auf einen Vogel, aber weder notwendig noch hinreichend (nicht alles, was fliegen kann, ist ein Vogel). Objekte, die hoch valide Merkmale auf sich vereinen, werden als bessere Repräsentanten eines Begriffs gesehen als andere, z.B. ist ein Spatz ein typischerer Vogel als ein Strauß Die Theorie macht auch Vorhersagen, welche Ebene einer Klassifikationshierarchie die mit dem größten Nutzen für die Speicherung von begrifflichen Informationen ist: Auf der basalen Ebene werden die meisten Merkmale mit anderen Exemplaren der gleichen Kategorie geteilt und die wenigsten mit Exemplaren einer anderen Kategorie (z.B. Lebewesen- Tiere- Hunde- Dackel). Probleme: der Merkmalsbegriff bleibt vage, außerdem ist unklar, woher man beim Erwerb neuer Begriffe weiß, welche Merkmale relevant sind! Mögliche Lösung dieses Problems: 0.1.2 Theoriebasierte Ansätze Gehen davon aus, dass Begriffe wie Hund, Katze etc. in größere Wissensdomänen eingebettet sind (Biologie. Physik, Psychologie). Begriffliches Wissen besteht demnach nicht nur aus Merkmalsassoziationen, sondern enthält auch Annahmen darüber, warum die Welt so ist wie sie ist = theoretische Annahmen, die kohärente (= zusammenhängende)Vorhersagen und Erklärungen für einen Phänomenbereich erlauben. Kausale Relationen sind ein wesentlicher Teil des begrifflichen Wissens und eng mit assoziativem Wissen verknüpft. Die meisten Begriffe enthalten sowohl Erklärungen für Assoziationen zwischen Merkmalen, als auch Erklärungen für Relationen zwischen verwandten Konzepten (Keil. 1994). 0.2 Repräsentationale Entwicklung (Klassische Theorien) Nehmen tiefgreifende Veränderungen auf der Ebene der formalen Struktur von Begriffen an; hat sich in der neueren Forschung aber als nicht haltbar erwiesen (z.B. vom Perzeptuellen (wahrnehmungsbezogenen) zum Konzeptuellen (Bruner et al., 1966) von thematischen zu taxonomischen (auf Klasse bezogenen) Repräsentationen (Wygotski, 1962) von konkreten zu abstrakten Konzepten (Piaget. 1951)). 0.2.1 Kategorisierungen im Säuglingsalter allg. gilt: Übergeordnete Ebene: Fische, Möbel, etc. Basale Ebene : Pferde, Katzen, etc. Wenige Monate: Säuglinge kategorisieren Sprachlaute, Gesichter, Emotionen, Farben u.a.m. 1. LJ: Bilden von Kategorien auf basalen und übergeordneten Ebenen: wurde im Habituationsexperiment nachgewiesen (vgl. Kapitel 5) 2. LJ (ab 18 Monaten): Wortschatzexplosion, d.h. rapider Erwerb neuer Begriffe 3. bis 6. LJ: der Wortschatz erhöht sich täglich um rund 9 neue Wörter - wenn die meisten neuen Wörter neue Begriffe bezeichnen, kann man darauf schließen, dass die Entwicklung des begrifflichen Wissens ab der frühen Kindheit ziemlich schnell voranschreitet. Kategorien als Basis für Schlussfolgerungen Bereits im ersten LJ dienen Kategorien zu induktiven Schlussfolgerungen (= induktiven Inferenzen) 3 Monate: Säuglinge nutzen Wissen über die Eigenschaften ihres Mobiles zur Erkundung neuer Mobiles 9 bis 16 Monate: es bilden sich spezifische Erwartungen über Eigenschaften und Funktionen einer Kategorie von Objekten aufgrund vorheriger Erfahrungen: Zeigt man den Babys eine Funktion eines Objekts_ versuchen sie diesen Effekt bei ähnlichen Objekten zu wiederholenaber nicht bei Objekten einer anderen Kategorie! 0.2.2 Entwicklung begrifflicher Repräsentationen Im Laufe der Zeit ändert sich mit Sicherheit der Inhalt von Begriffen- sowohl quantitativ als auch qualitativ. Letzteres ist für die Entwicklungspsychologie interessanter. Bildung taxonomischer Kategorien Jüngere Kinder tendieren spontan dazu, nach thematischen Beziehungen zu gruppieren (z.B. Spielszene mit Haus. Menschen, Möbeln, Haustier usw.): bei entsprechender Instruktion können Vorschulkinder aber auch taxonomisch ordnen Ex. Bauer und Mandler (1989): Zeigten 1jährigen Kindern einen Hund. Daneben lagen Katze (taxonomisch) und Knochen (thematisch). Die Kinder wurden aufgefordert, das zu wählen, was „wie der Hund ist". 85 % der Kinder wählten die Katze - d.h. sogar 1-jährige können taxonomische Relationen repräsentieren Aber: Kinder unterscheiden zwischen Kategorien nach andern Kriterien als Erwachsene. Bsp. „Großmutter“ - Kinder gehen nicht nach der Verwandtschaft, sondern nach Merkmalen wie „graue Haare": jüngere Frauen ohne graue Haare werden nicht als Großmutter akzeptiert. D.h., der Kenntnis der Definitionskriterien für einen Begriff läuft häufig die bloße Kenntnis charakteristischer Merkmale voraus (Keil & Battennan. 1984) Wichtig: Das begriffliche Verständnis von Kindern unterscheidet sich in Abh. von Kontexten und Domänen Bildung abstrakter Konzepte Es gibt Evidenz gegen die These, es fände in der Kindheit ein globaler Wandel von konkreten zu abstrakten Begriffen statt. Simon und Keil (1995) zeigten, dass 3- bis 5-jährigen zwischen dem Innenleben von Maschinen und Tieren unterscheiden können, auch ohne Vorstellungen über ein „biologisches Innenleben". Neuere Forschung widerlegte die These, Konzepte jüngerer Kinder seien nicht wissensbasiert, sondern an die Anschauung gebunden: 3- und 4-jährige können Schlussfolgerungen über biologische Arten allein aufgrund der Kategorienzugehörigkeit ziehen. Bsp.: Kinder sehen Bild einer Katze und erhalten Info „kann im Dunkeln sehen". Danach sehen die Kindern Bilder von einer anderen Katze, einem Stinktier (sieht fast genauso aus wie Katze). eine andersfarbige Katze und einem Dinosaurier und werden gefragt „kann es im Dunkeln sehen?". Ergebnis: die Kinder machten ihre Schlussfolgerungen konsequent aufgrund der Kalegorienzugehörigkeit (Gelman & Markman_ 1986. 1987). Bildung konzeptueller Repräsentationen Neuere Befunde: Sogar bei präverbalen Kindern basieren Kategorisierungen auf konzeptuellem Wissen (nicht nur perzeptueller Ähnlichkeit). 11 Monate alte Babys dishabituieren in Reaktion auf die Änderung der Kategorienzugehörigkeit (z.B. wenn nach einer Reihe von Tieren ein Möbel gezeigt wird), nicht in Reaktion auf die perzeptuelle (Un)-Ähnlichkeit zwischen den Exemplaren verschiedener Kategorien (Pauen, im Druck) Diese Beobachtungen unterstützen folgende These: Begriffliches Wissen (sog. Kernwissen) über kausale, funktionale oder strukturelle Eigenschaften von Objekten ist entweder angeboren oder im Lauf des 1. LJ erworben worden. Vertreter der These: perzeptuelle Merkmale werden dann beachtet, wenn sie Aufschluss über die Zugehörigkeit eines Objekts zu einer Kategorie liefern Vertreter der Gegenthese (nach der die ersten Kategorien von Säuglingen rein perzeptuell seien): konzeptionelles Wissen ist eine Bereicherung von früh erworbenen perzeptuellen Kategorien Konsens: Begriffliches Wissen liegt spätestens gegen Ende des 1.LJ den Kategorisierungsleistungen von Säuglingen zugrunde 0.2.3 Fazit Kindliche Begriffe sind in hohem Maße domänen- und kontextspezifisch - daher stehen domänenspezifische Veränderungen von Begriffsystemen im Mittelpunkt aktueller Entwicklungstheorien begrifflichen Wissens 0.3 Wissensentwicklung in grundlegenden Domänen (neuere Ansätze) 0.3.1 Theoretische Ansätze Junges Forschungsgebiet: Vor ca. 20 Jahren trat das begriffliche Wissen über grundlegende Domänen (Physik. Biologie. Psychologie, Zahlen) als mögliche Quelle fundamentaler kognitiver Veränderungen in der kindlichen Entwicklung in den Vordergrund Vorher: im Vordergrund standen lange Zeit bereichsübergreifende, strukturelle Merkmale des kindlichen Denkens (Einfluss Piaget u. Neo-Piagetsche lnformationsverarbeitungstheorie) Modell des Expertiseerwerbs Expertiseforschung: untersucht Effekte spezialisierten domänenspezifischen Wissens auf kognitive Leistungen bei Erwachsenen und Kindern Das Kind ist ein „universeller Novize": die Erschließung von Domänen ist die Summe von vielen geringfügigen Fortschritten. Diese hängen ab von der Verfügbarkeit der Informationen und Übung Entwicklung von Wissen wird analog zum Erwerb von Kulturtechniken und Fertigkeiten gesehen. Keine Annahmen über einen angeborenen Ausgangszustand und domänenspezifische Mechanismen: es reicht die Informationsverarbeitungsfähigkeit und der domänenspezifische Input Modularitätstheorien Grundannahme: es gibt spezialisierte Systeme der Informationsverarbeitung, die dazu dienen, spezifische Arten von Informationen zu repräsentieren und zu verarbeiten. Zusatzannahme (z. T): die kognitiven Module haben eine evolutionär angelegte neurologische Basis. Die meisten Vertreter machen starke Annahmen über angeborene, domänenspezifische Verarbeitungssysteme. Input aus der Umwelt regt sie an; Wahrnehmung und Kognition sind in einem starren Verarbeitungsmodus aneinander gebunden. Die domänenspezifische Infoverarbeitung ist bei Erwachsenen und Kindern identisch. Theorie-Theorie Annahme: kindliches Wissen ist schon früh theorieähnlich organisiert, d.h. es hat zusammenhängende Erklärungssysteme für unterschiedliche Phänomenbereiche Kognitive Entwicklung ist ein Wandel intuitiver Theorien über einen längeren Zeitraum: ähnlich dem Wandel von Rahmentheorien in der Wissenschaft (Paradigmenwechsel) Der Fortschritt wird im begrifflichen Verständnis der jeweiligen Domäne lokalisiert: die früh erworbene Ausgangstheorie bestimmt das weitere Denken und leitet die Entwicklung (vgl. Piaget: er nahm bereichsübergreifende kognitive Strukturen an). Die Erfahrung des Kindes ist die Datenbasis zur Evaluation und ggf. Revision der Theorie. Beim Lernen durch Instruktion wird neue Information im Rahmen der intuitiven Theorie interpretiert 0.3.2 Intuitive Physik: Basales Wissen Jeder hat intuitives Wissen über physikalische Phänomene, insb. Bezug auf die Eigenschaften von Objekten (sie sind solide und dreidimensional, fallen nach unten, existieren unabhängig von uns usw.) Frage: angeboren oder erworben? Säuglinge scheinen schon im ersten halben Jahr zu wissen, dass Objekte solide sind. 0.3.2.1 Experiment (Spelke et al.. 1992): Objektverständnis bei Säuglingen / Prinzipien der Kontinuität und Solidität Experimentalbedingung: 4 Monate alten Säuglingen wird gezeigt, dass ein Ball, der hinter einen Schirm fällt, am Boden liegt, wenn man den Schirm wegzieht. Wird wiederholt, bis das Kind habituiert. d.h. die Betrachtungszeiten abnehmen. Dann wurde ein physikalisch mögliches (Ball bleibt auf einem Tisch liegen) oder unmögliches Ereignis (Ball fällt durch Tischplatte) gezeigt - die Säuglinge betrachten das unmögliche Ereignis länger. Kontrollbedingung: Es wurde überprüft, ob Säuglinge eine Präferenz für Bälle haben, die unter dem Tisch liegen. Habituation: Ball liegt auf dem Boden. Test a: Ball liegt auf dem Tisch, Test b: Ball liegt unter dein Tisch ERGEBNIS deutet darauf hin, dass schon sehr junge Säuglinge die gleichen Erwartungen über die Kontinuität verdeckter Objekte haben wie Erwachsene Unterschied zwischen Expertiseforschung und Theorie-Theorie Kognitive Entwicklung findet graduell und stetig statt kogn. Entwicklung ist die Umstrukturierung begrifflicher Systeme Unterschied zwischen Theorie-Thoerie und Modularitätstheorie Kindheitserfahrungen stellen eine Datenbasis dar. Mittels dieser Basis lassen sich die vorhandenen Theorien verändern bzw. zu revidieren. (Input aus der Umwelt) Kindheitserfahrungen dienen dazu, die Verarbeitungssysteme anzuregen 0.3.2.2 Kausales Denken Um Objektbewegungen nachzuvollziehen, ist ein Grundverständnis mechanischer Verursachung nötig. 3- bis 4-jährige leiten bei einfachen Aufgaben kausale Schlussfolgerungen nach den gleichen Prinzipien ab wie Erwachsene: sie denken deterministisch (Ereignis hat eine Ursache), sie berücksichtigen die zeitliche Priorität (Ursache vor oder während Ereignis) und sie nehmen kausale Mechanismen an. Exp. (Leslie 1982 Leslie K. Keble. 1987): Habituations-Dishabituations-Paradigma - 6 Monate alte Säuglinge verstehen Aspekte der mechanischen Verursachung. Experimentalbedingung: S. sehen Film. in dem Objekt A mit Objekt B zusammenstößt und es so aussieht. als würde A B in Bewegung setzen (Standardbedingung. Kausalsequenz) Kontrollbedingung: Es wurden Sequenzen gezeigt. die keine kausale Interpretation nahe legen, z.B. Objekt A trifft auf Objekt B. B bewege sich aber erst viel später Hypothese: Säuglinge sollten in der Experimentalbedingung überrascht sein (länger schauen), wenn die Reihenfolge vertauscht wird, d.h. B A anstößt (weil Vertauschung von Ursache und Wirkung): nicht aber in der Kontrollbedingung, da hier keine Kausalsequenz nahe liegt Ergebnis:6 Monate alte Babys dishabituieren nur in der kausal interpretierbaren Experimentalbedingung. Interpretation: 7 Monate alte Babys unterscheiden zwischen Lebewesen und unbelebten Objekten nach dem Kriterium der selbstinitiierten Bewegung (Spelke. 1995) 0.3.2.3 Objekteigenschaften Unterschied 6 Monate alte Säuglinge / Erwachsene: Säuglinge unterscheiden Objekte aufgrund von raumzeitlichen Hinweisen (es gibt einen Zwischenraum, d.h. es sind 2 Objekte) und Bewegungshinweisen. Erwachsene verwenden zusätzlich Objekteigenschaften. 10 Monate alte Säuglinge ignorieren Objekteigenschaften, wenn eine raumzeitliche Kontinuität gegeben ist. Exp. Xu und Carey (1996): Objekt verschwindet hinter einem Schrein; auf der anderen Seite kommt anderes Objekt heraus (Experimental). Kein Unterschied, wenn dasselbe Objekt wieder auftaucht (Kontrolle). Ab 12 Monaten ändert sich das. Das bedeutet nicht„ dass die jüngeren Kinder generell nicht zwischen Objekten unterscheiden können (z.B. Unterschied Teddy und Fläschchen), sie werden aber in bestimmten Situationen außer Acht gelassen. Baillargeon (1994): im ersten halben LJ verstehen S. einige wichtige Eigenschaften von Objekten (z.B. dass sie noch da sind, wenn man sie verdeckt) = qualitativ. In den nächsten 6 Monaten können die Objekteigenschaften auch quantitativ verrechnet werden (z.B. die Größe) 0.3.2.4 Schwerkraft und Trägheit 4 Monate alte S. differenzieren noch nicht zwischen Ereignissen. die die Schwerkrafts- und Trägheitsprinzipien verletzen und physikalisch möglichen Ereignissen (z.B. Ball schwebt in der Luft ys. Ball wird gehalten). Erst im Alter von 8 bis 10 Monaten wird Wissen um die Trägheit erworben u. ist auch dann noch schwächer ausgeprägt als das Wissen über die Kontinuität von Objektbewegungen (Spelke et al.. 1992). Erklärung Spelke: Trägheitsprinzip gehört im Gegensatz zum Kontinuitätsprinzip nicht zum Kernbereich des physikalischen Wissens. S. beginnen mit Wissenselementen. die später den Kern des Wissens über physikalische Objekte bilden (= Kontinuität und Solidität). Im Laufe der Entwicklung findet eine Bereicherung dieses intuitiven Wissens statt, aber kein fundamentaler begrifflicher Wandel 0.3.2.5 Erklärungsansätze Spelkes Erklärung könnte mit einem Expertiseansatz vereinbar sein, da mit 4 M. schon Erfahrungen mit physikalischen Objekten bestehen (d.h. Wissen könnte durch Erfahrung erlernt sein). Dagegen spricht u. a., dass mit 5 bis 8 M. Schatten nicht von soliden Objekten unterschieden werden. Spricht eher dafür, dass Erwartungen von den Kernprinzipien geleitet werden und dass Erfahrungen mit Schatten nötig sind, um sie aus der Domäne der soliden Objekte auszugliedern. Annahme hat Ähnlichkeit mit der Modularitätstheorie von Leslie, weil auch hier Kernwissen durch Erfahrung nicht verändert wird, sondern bereichert. Baillargeon et al.: Säuglinge beginnen mit domänenspezifischen Lernmechanismen. Verschiedene Arten von Lernerfahrungen führen zu verschiedenen Arten von Lernen. D.h. Lernerfahrungen treiben die Entwicklung voran, nicht Kernprinzipien. Wird durch Befunde unterstützt, die auf die Situationsspezifität der Kompetenzen von S. hindeuten - Annahme Baillargeon: Frühes Lernen ist situations- und kontextspezifisch, erst später wird die Lernerfahrung aus verschiedenen Typen von Situationen abstrahiert. 0.3.2.6 Ähnliche physikalische Intuitionen bei Kindern und Erwachsenen Die betrachteten Aspekte deuten darauf hin, dass die grundlegenden physikalischen Intuitionen von Erwachsenen und Kindern ähnlich sind, zum Teil schon bei Säuglingen. Das physikalische Wissen von Vorschulkindern ist viel weit reichender als traditionell von Piaget angenommen. Neuere Forschung zeigt. dass die von Piaget angenommenen Denkfehler nicht auf ein Fehlen fundamentaler Konzepte hindeuten. Mit sensitiveren Methoden wurde herausgefunden, dass Vorschulkinder viele Aspekte dieser fundamentalen Begriffe verstehen. 0.3.3 Entwicklung physikalischen Wissens: Begrifflicher Wandel Es gibt einige Belege für fehlerhafte physikalische Vorstellungen (misconceptions), von denen viele bis ins Erwachsenenalter bestehen. Auch sind diese misconceptions sehr resistent gegen Instruktionen. Exp. Karmiloff-Smith und Inhelder (1974): Kinder. die in Zshg. mit dem Gleichgewichtsbegriff davon ausgingen. dass alle Gegenstände ihren Schwerpunkt in der Mitte haben, behielten diese Meinung auch bei massiven Gegenbeweisen bei. Ertasteten sie den Schwerpunkt blind und öffneten dann die Augen, wiesen sie ihre eigene Lösung zurück. Mögliche Erklärung für dieses Festhalten an offensichtlich falschen Überzeugungen: Intuitive Theorien Mögliche Erklärung für diese Resistenz: Fehlvorstellungen eingebettet in alternative intuitive Theorien über physikalische Phänomene Dazu muss auch das Begriffssystem und der Erklärungsapparat der intuitiven Theorie rekonstruiert werden. 2 Beispiele im Folgenden. Bsp. 1: Vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild Vosniadou (1991) führte Interviews mit sechs- bis elfjährigen Kindern durch: Kinder glauben zuerst, dass die Erde flach ist und sich an einem stationären Punkt in der Mitte des Universums befindet. Irgendwann hören sie von den Erwachsenen, dass die Erde eine Kugel ist. Diese Information wird in das naive geozentrische Weltbild integriert und die Kinder versuchen innerhalb dieses Rahmens eine vernünftige Erklärung zu finden. Bsp.: Die Erde ist offene Hohlkugel, in deren gewölbtem Innenraum die Menschen leben. Weil: wie soll man an der Unterseite einer Kugel wohnen? Befunde deuten darauf hin, dass die kindlichen Vorstellungen ein zusammenhängendes System von Überzeugungen bilden, das resistent ist gegen punktuelle Veränderungen. Die Veränderung des Interpretationsrahmens ist langwierig. Grund: die Bedeutung zentraler Begriffe verändert sich über die Zeit: das was Kinder denken ist nur teilweise kompatibel mit der tatsächlichen Bedeutung. Bsp. 2: Gewicht. Dichte und der Aufbau der Materie Carey (1991): Vorschulkinder sagen, ein kleines Stück Styropor wiegt nichts. Bei 10jährigen sind es noch 50 %. Fragt man 12-jährige, ob man durch Teilen einer großen Styroporplatte jemals ein Stück erhalten könnte, dass nichts wiegt, verneinen das fast alle. Scheinbar machen jüngere Kinder ihre Einschätzung des Gewichts davon abhängig, ob etwas fühlbar schwer ist, wenn man es in die Hand nimmt. Aber: trotzdem betrachten fast alle Kinder Gegenstände als materiell: Gewicht ist nur kein konstitutives Merkmal von Materie - Ihr Mengenbegriff scheint nicht nur eine lückenhafte Version des Erwachsenenbegriffs zu sein, sondern ein alternatives System. Dafür spricht: Acht- bis zehnjährige unterscheiden nicht konsistent zwischen dem absoluten Gewicht eines Objekts und dem spezifischen Gewicht eines Materials, aus dem das Objekt gemacht ist, z.B. beim Vergleich von Stahl- und Aluminiumzylindern. Kinder können auch nur mangelhaft zwischen Gewicht und Dichte differenzieren. Bei Aufgaben, in denen Kinder Objekte in Stahl- und Aluminium sortieren sollen, ordneten viele Kinder große Aluminiumzylinder Stahl zu, weil sie (absolut) schwer waren. Nur wenige Kinder unter 12 Jahren können Ordnungen nach Dichte fehlerfrei vornehmen. Befunde deuten darauf hin, dass Kinder im Grundschulalter ein undifferenziertes Konzept von Gewicht und Dichte haben. Carev interpretiert dieses Konzept als Teil eines naiven Verständnisses des Aufbaus von Materie, in dein Gewicht nicht als konstitutives Merkmal gilt. Grund evtl.: Kinder betrachten materielle Substanzen nicht als kontinuierlich und homogen. Demnach verstehen sie Gewicht auch nicht als Summe der Gewichte der beliebig kleinen Teile der Substanz aus dem das Objekt besteht. Gegner der Position: Man sollte zwischen intuitiver und wissenschaftlicher Physik trennen: fundamentale Restrukturierungsprozesse seien dann nötig, wenn die intuitiven Vorstellungen im Physikunterricht in wissenschaftliche Vorstellungen umgeformt werden. Der wesentliche Unterschied: der Erwerb von wissenschaftlichem Wissen setzt metakonzeptionelles Wissen voraus, d.h. Einsicht in den Prozess des Wissenserwerbs an sich. Fazit Die Grundlagen des physikalischen Wissens werden viel früher erworben, als traditionell angenommen wurde: eventuell sind die in Grundzügen sogar angeboren. Trotzdem finden wesentliche Veränderungen des physikalischen Verständnisses statt: manche entsprechen dem Modell der graduellen Bereicherung vorhandenen Wissens (Expertiseerwerb), andere ähneln radikaleren begrifflichen Restrukturierungen (wie Prozess des Theoriewandels in der Wissenschaftsgeschichte) Einfache Annahmen über die Absichten und Überzeugungen von handelnden Personen bilden das Grundgerüst für die komplexen Interpretationen menschlichen Verhaltens, die wir im Alltag ständig vornehmen. Der Erwerb der mentalistischen Alltagspsychologie durch das Kind ist in den letzten 20 Jahren zu einem der Hauptinteressengebiete der kognitiven Entwicklungspsychologie geworden Differenzierung zwischen mentaler und physikalischer Welt Grundvoraussetzung für mentalistische Interpretationen: Kinder können ihren gedanklichen Bereich von der physikalischen Realität abgrenzen (dh., Unterscheidung zwischen z.B. Träumen und Denken von äußerlich Beobachtbarem) Piaget nahm an, dass das im Alter von 7 Jahren der Fall ist (Stadium der konkreten Operationen). Neuere Studien zeigen, dass schon 3-jährige klar zwischen mentaler und physikalischer Welt unterscheiden können; z.B. verstehen sie, dass man physische Kraft braucht um reale Objekte zu manipulieren, aber nicht um mentale Vorstellungen zu verändern Im 2. LJ trennen Kinder zwischen realen und fiktiven Welten. Z.B. weiß ein 1jähriges Kind, dass so tut, als wäre ein Holzklotz ein Zug, dass es sich nur um eine Vorstellung handelt Wünsche, Absichten, Ziele Frage: Interpretieren Kinder die eigenen Handlungen und die von anderen Personen in gleicher Weise mentalistisch wie wir? Exp. Wellman & Woolley (1990): 3-jährige bekommen Geschichten erzählt, in denen Akteur eine Absicht verfolgt, z.B. sein Kaninchen mit in den Kindergarten nehmen. Die Figur weiß, dass das Kaninchen entweder im Vorgarten oder in der Garage sein kann. Sie schaut in die Garage und findet, je nach Bedingung, das Kaninchen, nichts oder den Hund. Frage an die Vpn: wird der Akteur in den Kindergarten gehen oder weitersuchen? Fast alle Kinder antworten, dass die Figur weitersuchen würde, wenn sie das Kaninchen noch nicht gefunden hätte - Sie verstehen, dass Handlungsentscheidungen von Zielen und Absichten der handelnden Person abhängig sind. 3jährige können auch absichtliche Handlungen von Fehlern und Zufällen unterscheiden. Interpretation: Damit verfügen sie über ein wesentliches Element der naiven Alltagspsychologie: Sie erklären Handlungen von Personen, indem sie sie auf ihre Absichten und Wünsche zurückführen und sie können aus Informationen über Absichten und Zielen Handlungen vorhersagen. 0.3.4 0.3.4.1 Das Verständnis des falschen Glaubens - Zweites wesentliches Element: Konzept der Überzeugung - Handlungen anderer werden auch aus dem vorhergesagt, was sie glauben (nicht nur aus dem, was sie wollen). Unproblematisch, solange Überzeugung und Realität sich decken. Man muss also untersuchen, ob Kinder verstehen, dass sich jemand in einem falschen Glauben über einen Sachverhalt befinden kann. Exp. Winuuer & Peter (1983): Die Maxi-Geschichte - Maxi legt Schokolade in den grünen Schrank und geht spielen. In der Zwischenzeit nimmt die Mutter etwas von der Schokolade und legt sie in den blauen Schrank (es gibt nur den blauen und den grünen Schrank). Dann kommt Maxi zurück und will Schokolade essen. Frage an Vpn: Wo wird Maxi suchen? Ergebnisse: Fast alle 3-jährige Kinder sagen „im blauen Schrank" (obwohl Maxi das gar nicht wissen kann); 40 bis 80 % der 4- bis jährigen antworten korrekt „im grünen Schrank" Ergebnis: Scheinbar markanter Entwicklungsfortschritt im Alter zwischen drei und fünf Jahren: die 4- bis 5jährigen verstehen, dass Maxi eine Überzeugung hat, von der sie selbst wissen, dass sie falsch ist und leiten eine korrekte Verhaltens-Vorhersage daraus ab. Verständnis 3-jähriger 3-jährige beantworten die Testfrage konsistent falsch. Wimmer & Peter: Falsche Antworten sind nicht darauf zurückzuführen, dass Kinder impulsiv entscheiden: auch wenn sie ausdrücklich darauf hingewiesen wurden, nachzudenken bevor sie antworten, lagen sie falsch. Folgestudien (Perner et al., 1987, 1991): Die Fehler können auch nicht darauf zurückgeführt werden, dass die 3-jährigen Teile der Geschichte nicht erinnern können. Selbst dann, wenn vor der Testfrage ausdrücklich betont wurde, dass Maxi nicht sehen konnte, wie die Schokolade vom grünen in den blauen Schrank gelegt wurde, antworteten sie falsch. Andere Aufgabentypen Das gleiche Phänomen zeigte sich auch bei sehr einfachen Aufgaben: Kind bekommt wohlbekannte Smarties-Schachtel gezeigt und wird gefragt, was drin ist (es sagt „Smarties `). Dann zeigt der VL dem Kind, dass keine Smarties, sondern Stifte in der Schachtel sind und fragt, was ein anderes Kind sagen würde was in der Schachtel ist. Ergebnis: 3-jährige sagen Stifte' und 4-jährige „Smarties". Eigene falsche Überzeugungen 3-jährige haben auch Schwierigkeiten zu verstehen, dass sie selbst eine falsche Überzeugung hatten. Fragt man sie in der Smarties-Aufgabe- was sie vorher dachten was in der Schachtel sei, sagen sie „Stifte". Es konnte gezeigt werden dass die Antworten nicht auf Erinnerungsdefizite zurückzuführen sind oder auf mangelnde Bereitschaft, einen eigenen Fehler zuzugeben. Viele Befunde deuten darauf hin, dass Kinder unter 4 Jahren nicht über den Begriff der Überzeugung verfügen und deshalb auch nicht verstehen, dass sich subjektive Überzeugungen von der Realität unterscheiden können. Aber: Wie erklärt man dann das „schwindeln" von sehr jungen Kindern" ? 0.3.4.2 Lüge und Täuschung Clara u. William Stern (1909) differenzieren zwischen echten Lügen mit Täuschungsabsicht und Scheinlügen. z.B. nein-Antworten von Kindern auf die Frage, ob sie etwas Verbotenes getan hätten - diese wären eher als Abwehr gegen peinliches Erinnertwerden zu verstehen. Perner (1991): kindliche Ausreden zeigen häufig eher das Unverständnis als falschen Glaubens (z.B. Ausrede..ich bin müde" wird eingesetzt. wenn Kind getragen werden will, aber auch, wenn es nicht ins Bett gebracht werden will) Neuere Arbeiten bestätigen die Annahme eines begrifflichen Defizits bei Kindern unter 3 Jahren: In Spielsituationen, in denen es darum geht, durch Mogeln zu gewinnen, bleiben 3-jährige i.d.R. ehrlich und zwar auch dann, wenn ihnen die Täuschungsstrategie nahe gelegt wird. Im Ggs. dazu werden sehr wohl physische Sabotagestrategien eingesetzt, um den Gegner zu behindern. Werden 3-jährige dazu gebracht, eine Täuschungsstrategie einzusetzen, verstehen sie den Zweck nicht und benützen sie z.B. auch bei ihrem eigenen Spielpartner. 4-jährige erkennen den Nutzen der Täuschungsstrategie sofort und setzen sie auch ein. 0.3.4.3 Theory of Mind-Entwicklung und Theory of Mind-Defizit Kinder lernen die Differenzierung zwischen Aussehen und Realität im gleichen Alter wie das Konzept der Überzeugung (das ist nicht zufällig so, zwischen beiden bestehen bedeutsame Korrelationen) Zeigt man 3-jährigen Trickobjekte, z.B. eine Kerze, die wie ein Apfel aussieht und fragt nach Identität und Aussehen (was ist es? wie sieht es aus?), bekommt man die gleiche Antwort - sie sind also nicht fähig zu verstehen, das ein und dasselbe Objekt auf 2 verschiedene Arten repräsentiert werden kann. Weitere verwandte begriffliche Veränderungen im gleichen Altersbereich sind: die epistemische Perspektivenübernahme (Level-2-Perspektivenübernahme, d.h. das Verständnis, das ein Objekt aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich aussieht) und das Verständnis von bestimmten Emotionen, z.B. Überraschung. Durch das Training einer begrifflichen Differenzierung kann bei 3-jährigen ein Fortschritt im Verständnis verwandter begrifflicher Differenzierungen erreicht werden. Spricht für das gemeinsame Auftreten von Veränderungen in der mentalen Domäne. Autistische Kinder Autistische Kinder, die in verbalen Intelligenztests genau so gut abschnitten wie „normale` Kinder, konnten falsche Überzeugungen nicht repräsentieren; d.h., autistische Kinder besitzen keine Theory of Mind. Kontrollgruppe: Kinder mit Down-Syndrom schnitten genauso gut ab, wie normale Kinder im gleichen verbalen Alter (Baron-Cohen et al.. 1985). Folgestudien zeigten, dass autistische Kinder mentale mit physischen Phänomenen vermischen, nicht zwischen Schein und Sein unterscheiden, wenig Symbolspiel zeigen und den Zusammenhang zwischen dem Zugang zu Informationsquellen (Sehen) und Wissen nicht verstehen. 0.3.4.4 1.3.4.4 Vorläufer in der frühen Kindheit Erst 4-jährige verfügen über Heuristiken der Handlungsvorhersage, die der naiven Psychologie Erwachsener entsprechen. Es gibt aber viele Belege, dass die Interpretation menschl. VE viel früher beginnt. Erstes Lebensjahr Neuere Befunde: es können konkrete Handlungsziele enkodiert werden, wenn jemand nach einem Zielobjekt greift. 6 Monate alte Säuglinge erfassen die Greifbewegung eines menschlichen Arms als zielbezogen, nicht aber ähnliche Bewegungen eines mechanischen Stabs (Woodward. 1998). Mit ca. 6 Monaten unterscheiden Säuglinge zwischen belebten und unbelebten Objekten nach Kriterium der selbstinitiierten Bewegung (Spelke et al.. 1995) Mit 9 bis 12 Monaten Fortschritte bei triadischer Interaktion = Interaktion zwischen Baby und Erwachsenen in Bezug auf ein Objekt, d.h. dem Blick zum Objekt folgen und Aufmerksamkeit auf Objekt lenken (Carpenter ei al.. 1998). Die Bedeutung dieser Fähigkeit ist umstritten. z.B. sagt Tomasello (1995), triadische Interaktion wäre der Beginn des Verständnisses von Personen als intentionale Agenten. Moore (1999) hingegen warnt vor Überinterpretation. Er sagt, die Fähigkeit könnte auch durch behavioristisches Lernen erklärbar sein (Baby lernt, dass es interessante Dinge sehen kann. wenn es dem Blick der Mutter folgt). Neuere Studien: mit 12 Monaten können Säuglinge zielbezogene Objektbewegungen repräsentieren und Rationalität der Zielannäherung erwarten. Ihr Verständnis kommunikativer Gesten scheint jedoch begrenzt zu sein. Zeigt man ihnen in der Habituationsphase eine psychologische implausibe Erwartung auf; z. B. Person deutet auf A und hält dann B in der Hand. erwarten sie anschließend häufig inkonsistente Sequenzen (Sodian & Thoermer, 2000) Im Alter von 18 Monaten: Kinder imitieren intendierte Handlungen, wenn das Modell eine Fehlhandlung vorführte- d.h. sie repräsentieren die Handlungsintention, ohne die betreffende Handlung jemals beobachtet zu haben (Meltzoff 1995).. Kinder unterscheiden zwischen eigenen und fremden Wünschen bzw. Handlungszielen: Zeigt ein VL Interesse an Broccoli, während sie selbst Crackern mögen, geben sie dem VL trotzdem den Broccoli (Repacholi & Gopnik. 1997) Fähigkeit, zwischen eigenen und fremden Gefühlen zu unterscheiden, die mit dem Erkennen des Selbst im Spiegel im Entwicklungszusammenhang stehen (Bischof-Köhler, 1989) Fähigkeit zum Symbolspiel deutet darauf hin, dass Kinder zwischen realer und fiktiver Welt unterscheiden können --> es scheint sich ein Verständnis intentionaler Zustände im weiteren Sinne zu entwickeln, das es den Kindern erlaubt, Wünsche, Absichten und Emotionen anderer unabhängig von den eigenen Handlungsintentionen zu repräsentieren. 0.3.4.5 Entwicklung ab dem Alter von 4 Jahren Bis zum Alter von 6 Jahren finden wesentliche Erweiterungen und Differenzierungen des Verständnisses der mentalen Domäne statt - erst 6-jährige verstehen dass eine Überzeugung über eine Überzeugung einer anderen Person falsch sein kann (second order belief: Max glaubt, dass Peter glaubt....) auch schlussfolgerndes Denken zu Wissen führt (nicht nur sehen) und damit die Wirkung von indirekten Hinweisen als Gedächtnishilfen Ab 5 bis 6 Jahren können Kinder zwischen aktuellen Lernereignissen und Vorwissen unterscheiden. Verständnis geistiger Konstruktion und Interpretation Zunehmende Einsicht in konstruktiven und interpretativen Charakter geistiger Aktivität ist ein wesentliches Merkmal der Entwicklung der Theor of Mind im Grundschulalter. Grundschulkinder haben Vorstellung von kontinuierlicher gedanklicher Aktivität, sind fähig zu introspektiven Berichten und verstehen, dass gedankliche Aktivität oft unwillkürlich und schwer zu unterdrücken ist (Flavell et al., 1995. 1997). Im sozialen Bereich verstehen Kindern zunehmend Vorurteile und Voreingenommenheit: z.B. dass in Abhängigkeit von der persönlichen Voreingenommenheit das Umstoßen eines Malkastens als Versehen oder Absicht interpretiert werden kann --> Kinder beginnen Personen überdauernde psychologische Merkmale zuzuschreiben. Frage: Was treibt Entwicklung einer Theory of Mind voran? Modularitätstheorien Nativistische Modularitätstheorien: Zuschreibung von Absichten und Überzeugungen ist eine durch die Evolution ausgebildete spezifische menschliche Fähigkeit, die schon in der frühen Kindheit vorhanden ist. Das Scheitern von Kindern in false-belief-Aufgaben wird auf Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsanforderungen zurückgeführt. Es wird auf frühe Kompetenzdemonstrationen in vereinfachten Aufgaben verwiesen und echte begriffliche Veränderungen werden abgestritten. Kritik: Obwohl Modularitätstheorie durch Autismusforschung etwas an Plausibilität gewinnt, kann sie mit den Befunden kaum vereinbart werden: Eine statistische Metaanalvse von über 500 falsebelief-Aufgaben zeigte, dass erleichternde Aufgabenbedingungen die Ergebnisse kaum verbessern (Wellman et al.. 2001) Simulationstheorie =Spezifische Variante des Expertiseansatzes Grundidee basiert auf Theorie von Descartes (es gibt einen unmittelbaren Zugang zu unserem eigenen geistigen Geschehen) - die Aufgabe des Kindes ist es, zu verstehen, was in den Köpfen anderer vorgeht. Vorgehen schrittweise: erst wird Perspektive der anderen eingenommen, dann wird simuliert, was man in der entsprechenden Situation denken, glauben, fühlen oder beabsichtigen würde (Harns. 1992) Theorie-Theorie Wissen über mentalen Bereich ist intuitive Theorie (Theory of Mind), da mentale Zustände nicht direkt beobachtbar sind. sondern erschlossen werden und die Zuschreibung mentaler Zustände Verhaltensvorhersagen und -erklärungen erlaubt Sind mentale Begriffe Teil einer Theorie, erhalten sie ihre Bedeutung durch ihren Bezug zu anderen Begriffen in der Theorie- insbesondere durch ihren Bezug zu den unbeobachtbaren vermuteten mentalen Zuständen und Vorgängen (Wellman. 1990. Penner. 1991: Gopnik & Wellman. 1994) Unterschiedliche Vorhersagen Entwicklungsverlauf beim Verstehen eigener und fremder mentaler Zustände: Simulationstheorie: Kinder haben Probleme beim Verständnis des mentalen Geschehens im anderen, jedoch unmittelbaren Zugang zum eigenen mentalen Geschehen Theorie-Theorie: beides im Entwicklungsverlauf ungefähr simultan, da beides durch die Erschließung der mentalen Domäne gesteuert wird Empirische Evidenz: Eher Theorie-Theorie - Kinder konzeptualisieren eigene und fremde Zustände ungefähr gleichzeitig (Gopnik & Wellman, 1994): auch können sie die falsche Überzeugung eines anderen nicht früher erschließen als ihre eigene falsche Überzeugung über einen konkreten Sachverhalt erinnern (Gopnik & Astington, 1988). 0.3.5 Intuitive Biologie Biologisches Wissen ermöglicht es, zwischen Lebewesen und unbelebten Objekten auf der Basis eines Grundverständnisses biologischer Prozesse und Vererbung zu unterscheiden. Jüngere Kinder besitzen kein biologisches Kausalschema: sie wenden ihr intuitiv psychologisches Kausalschema auf die biologische Domäne an (Carey, 1985). Belege dafür: Grundschulkinder glauben, dass Pflanzen keine Lebewesen sind Jüngere Kinder schreiben Lebewesen biologische Merkmale nach dein Kriterium der Verhaltensähnlichkeit zu (d.h. keine kategoriale Unterscheidung zwischen Lebewesen und unbelebten Objekten) Phänomen des kindlichen Animismus (Überattribution von Wünschen und Absichten; Zuschreibung des Merkmals ,.Leben" nach Kriterium der selbstinitiierten Bewegung) ist nicht zurückzuführen auf mangelndes Kausalverständnis (lt. Piaget), sondern auf einen Mangel an biologischem Wissen Vitalistische Biologie Neuere Befunde sprechen gegen die These, dass sich die Domäne ,.Biologie" erst im Grundschulalter entwickelt! Drei- und vierjährige Kinder verstehen, dass es einige spezifische biologische Prozesse gibt (Wachstum. Selbstheilung). die nur bei Lebewesen vorkommen und dass bestimmte biologische Prozesse (z.B. Atmung) nicht durch psychologische Intervention kontrolliert werden können (Hickling & Gelman. 1995. Inagaki & Hatano. 1996). Biologische Intuition Für einige biologische Prozesse (Wachstum, Vererbung, Krankheit) ähneln die biologischen Intentionen von Kindern dem Wissen von Erwachsenen: Vorschulkinder glauben, dass biologische Merkmale wahrscheinlich vererbt werden (psychologische nicht) und dass ein interner Mechanismus für Vererbung zuständig ist. Sie erwarten bei Mitgliedern der gleichen Familie (Tier oder Mensch) gemeinsame physiologische oder anatomische Merkmale (Springer & Keil, 1991: Springer, 1992) Vorschulkinder haben eine Intuition über angeborene Potenziale einer Spezies, das sich unabhängig von der Umwelt entwickelt, z.B. dass ein Kalb auf jeden Fall zur Kuh wird, auch wenn es bei Schweinen aufwächst (Gelman & Wellman, 1991). Aber: Erst 7-jährige trennen systematisch zwischen biologischen und psychologischen Merkmalen und leiten biologische Merkmale eines Adoptivkindes aus den Merkmalen leiblicher Eltern ab (Solomon et al... 1996). Biologische Domäne Scheinbar entwickelt sich erst im Grundschulalter eine rein biologische Domäne. Vorher existiert eine undifferenzierte biologisch-psychologische Domäne. Das heißt aber nicht, dass das biologische Wissen vorher völlig unzusammenhängend ist: Schon 4-jährige können kohärente Erwartungen über Organismen ausbilden, wenn sie wissen, dass das Objekt ein biologisches Merkmal hat. Bsp.: Sagt man, dass x wächst, schließen sie daraus, dass x nicht aus Schrauben und Nägeln zusammengesetzt ist (Backscheider, 1994: Backscheider et al., 1993). Wahrscheinlich kennen Kinder früh einige Merkmale die zusammenhängen, verstehen aber erst im Grundschulalter die Basis für das Zusammentreffen dieser Merkmale gut genug, um eine biologische Domäne auszubilden Expertiseansatz und Theorie-Theorie Interpretationen der Befunde sind konsistent mit der Theorie-Theorie und dem Expertiseansatz (wenn man annimmt, dass das Wissen zumindest teilweise durch Anleitung erworben wird) Carev (1985): Erwerb der intuitiven Biologie zwischen 4 und 10 Jahren sei ein radikaler Theoriewandel im Sinne eines Paradigmenwechsels, weil es zum Teil keine Entsprechungen zwischen kindlichen Annahmen und dein Begriffssystem der Erwachsenen gäbe. Neuere Befunde sind mit schwächeren Thesen über den Theoriewandel vereinbar- z. B: Vorschulkinder haben eine biologische Theorie in Grundzügen. aber nicht genug Wissen über die Gemeinsamkeiten zwischen Pflanzen und Tieren, um diese Theorien auf Pflanzen auszudehnen Modularitätstheorie Es wird ein angeborenes biologisches Modul angenommen. Es umfasst die Gruppierung in Arten, die hierarchische Struktur der Klassifikation biologischer Arten. die Annahme physiologischer Mechanismen und Essenzialismus (Atran, 1994: Pinker. 1994) Aber: Da es keine Methoden zur Erfassung biologischen Wissens bei präverbalen Kindern gibt, hat die Säuglingsforschung bislang nicht viel zur Klärung der Frage beigetragen. Es ist also umstritten, ob es angeborenes biologisches Wissen gibt oder ob erst im Rahmen des Spracherwerbs z.B. die Klassifikationshierarchien entstehen. 0.3.6 Megabegriffliches Wissen Wissen und Überzeugungen über den Wissenserwerb selbst, über menschliches Denken und Lernen. Es gibt ein Metagedächtnis - „metamemoriales Wissen"- das sich fördernd auf die Gedächtnisleistung auswirkt: und es gibt ,.metabegriffliches" Wissen, das den Erwerb bereichsspezifischen Wissens fördert- insbesondere beim Erwerb naturwissenschaftlicher Konzepte (Carey et al., 1989: Carey & Smith. 1993). Entwicklung zum kritischen Rationalismus Es gibt Belege für eine allg. epistemologische Naivität (= naive Vorstellung über das Zustandekommen von Wissen; z.B. „Lehrer sind im Besitz absoluter Wahrheit“)von Kindern und Jugendlichen: insb. aus Studien zum Verständnis von anderen Standpunkten u. Interpretationen (Chandler et al.. 90; Kuhn et al. 88) Erste Ebene = naiv-realistische Ebene der mittleren Kindheit: Interpretationskonflikte und Meinungsunterschiede werden verneint oder als Missverständnisse abgetan. Zweite Ebene: andere Standpunkte werden zur Kenntnis genommen, aber als x-beliebige Meinung abgetan (Jeder kann denken, was er will`). Die Verallgemeinerung führt zum radikalen Relativismus. Sowohl Dogmatismus als auch Skeptizismus bei Jugendlichen können als Hinweis für eine noch nicht gemeisterte relativistische Krise angesehen werden. Reifer Umgang: kritischer Rationalismus: Standpunkte werden vor dein Hintergrund der rationalen Ableitung und Begründung von Argumenten geprüft. Anerkennung der Relativität von Wahrnehmungs- und Erkenntnisperspektiven Drei Ebenen des Verständnisses von Wissenschaft In Interviewstudien von Carey et al. (1989). Smith et al. (2000), Sodian et al. (1999) mit 11- bis 20jährigen Probanden zeigte, dass es drei Verständnisebenen von Wissenschaft gibt: Erste Ebene: kein Unterscheiden zwischen Vermutungen, Ideen und Theorien einerseits und Daten andererseits. Wissenschaft wird im Sinne einer konkreten Aktivität („etwas ausprobieren"...) oder von Datensammlung verstanden. Zweite Ebene: Es wird zwischen Hypothesen/Theorien und empirischer Evidenz unterschieden. Die Pbn haben Grundverständnis von Hypothesentesten und verstehen Wissenschaft als Suche nach Erklärungen. Dritte Ebene: die Pbn thematisieren die Rolle von Theorien im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Wissenschaft wird als zyklischer und kumulativer Prozess der Theoriebildung, -prüfung und -revision verstanden. Übergänge: Übergang von Ebene 1 zu Ebene 2 zwischen 11 und 16 Jahren. Antworten auf Ebene 3 waren auch bei jungen Erwachsenen selten - Scheinbar gehört ein Konzept von Interpretationsrahmen oder Theorien nicht zum intuitiven Wissenschaftsverständnis von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Aber: Das intuitive Wissenschaftsverständnis ist sehr instruktionsabhängig (Smith et al.. 2000). Der Zusammenhang zwischen Veränderungen auf metakonzeptioneller Ebene und dein Erwerb bereichsspezifischen Wissens ist bislang kaum untersucht worden. Man verspricht sich Aufschluss über das Zusammenwirken von bereichsspezifischen und bereichsübergreifenden Veränderungen in der kognitiven Entwicklung. Könnte auch für pädagogische Psychologie interessant sein, da die Erkenntnisse darüber Aufschluss geben könnten, ob die Förderung des allgemeinen metakonzeptionellen Verständnisses für den Erwerb spezifischer inhaltlicher Kenntnisse von Bedeutung ist.