1 Dasp – Reihe Nr. 105-106 (2002) Forum für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen, Entwicklungspolitik und Kultur der Gemeinschaft der Länder Portugiesischer Sprache Portugal Forum Nr. 2 Sonderdruck ISSN 0935-5480 Bonn 2002 2 Pedro Paulo Alves Pereira „Bemerkungen zur Subversion des liturgischen Theaters in Portugal durch profane Themen“ Bei meiner Behandlung des Themas gehe ich von zwei wesentlichen Thesen aus: 1. These: Obwohl es nur wenige Informationen über das liturgische Theater in Portugal gibt, kann an Hand indirekter Dokumente, wie Konziltexte und Synodalkonstitutionen behauptet werden, dass: Theatralische Manifestationen in unmittelbarer Verbindung mit der Liturgie des katholischen Ritus durch profane Themen eingedrungen sind. 2. These: Als Konsequenz der neuen philosophischen Betrachtung der Welt,1 und die daraus resultierende Entstehung einer neuen Theaterkonzeption, wird gegen Ende des Mittelalters das portugiesische liturgische Theater durch Einführung profaner Themen subversiert. 1 Einleitung Im 10. Jahrhundert und in enger Beziehung mit den wichtigsten Momenten der Passion erlebte man in Europa durch den Einfluss der Benediktiner (Ordensbrüder von Cluny) eine Art von Wiederauferstehung der darstellenden Kunst, welche seit Tertullians (210) als unmoralisch stigmatisiert war. Sie führten diese Tradition als Bestandteil der Liturgie ein. Die starke Theatralik einiger biblischer Episoden aus dem Alten, bzw. Neuem Testament, oder aus dem Jüngsten Gericht und deren Assoziation zu liturgischen Feierlichkeiten wie Weihnachten und Ostern, trugen wesentlich zur Verbreitung bekannter 1 Die Weltumsegelung von Fernão de Magalhães brachte eine neue Weltsicht und legte die Fundamente für den erweiterten Seehandel. Die Buchdruckkunst des Johann Gutenberg (1397-1468) revolutionierte in vielerlei Hinsicht die Welt und verhalf der intellektuellen Entwicklung zu einem entscheidenden Aufschwung. Die berühmten Thesen von Martin Luther aus dem Jahre 1517, führten zur Spaltung der Kirche. Es entbrannte ein Konflikt zwischen dem Feudalstaat und der merkantilistischen Bourgeoisie, die mehr Rechte für sich einforderte. Die aus der Renaissance stammenden philosophischen Interpretationen führten zu einer Vielfalt von Schulen und Methoden. 3 „Tropen“2 bei, wie z.B. dem berühmten „Quem quaeritis?“, welche in den Kirchen inszeniert wurden. Mit Hilfe des Theaters versuchte die Kirche den Menschen im Mittelalter der Doktrin eine sensible, didaktische und plastische Form zu verleihen. Das ganze Jahr über organisierte sie ein Repertoire, welches die zwei große Zyklen des liturgischen Kalenders entsprach. Zum Zyklus der Nativität oder „Officium Pastorum“, der in drei Teile gegliedert war – Propheten (die Vorankündigung des Messias), Nativität (Geburt Jesu) und die Epiphania (Dreikönigsfest) –, wurden Hirtenspiele und Krippenspiele organisiert. Zu dem Zyklus der Passion, bzw.„Visitatio Sepulchri“, ebenfalls in drei Teile geteilt (das Urbild der Kreuzigung, das bei Adam beginnt, die Passion und die Wiederauferstehung), wurden Osterspiele und Passionsspiele aufgeführt. In beiden Fällen führt die Frage „Quem quaeritis?“ – im ersten Fall an die Hirten gerichtet, die von dem Engel bis zur Krippe geleitet werden, und im zweiten Fall an die Pilger, die nach dem Grab von Jesus suchen – zum Dialog, der das Theater andeutet. Obwohl es bis jetzt nur wenige Informationen über dramatisch-liturgische Texte von Aufführungen in Portugal gibt, ist es dank indirekter Dokumente belegt, dass diese Art von Aufführungen existierten: Insbesondere sind es Konziltexte und Synodalkonstitutionen, die solche theatralische Manifestationen in unmittelbarer Verbindung mit der Liturgie des katholischen Ritus erwähnen. Als Papst Innozenz III. 1210 Theateraufführungen im Kircheninnern rigoros untersagte, wirkte sich dieses Verbot nur kurzfristig auf die Gattung aus. In dem vom Erzbischof von Braga – Don Frei Telo – im Jahre 1281 veröffentlichtem Statut wird der Klerus vor dem Kontakt mit „Possenreißern, Mimen und Narren“ gewarnt. Diese Tatsache beweist uns, dass bestimmte Aufführungen in Verbindung mit dem Gottesdienst existierten und in solchen Aufführungen profane Elemente vorhanden waren, sonst wären sie nicht verboten worden.3 In diesem Rahmen bestimmt im Jahre 1477 auch Don Luís Pires (Erzbischof von Braga), dass Männer, Frauen und Kleriker, die eine Pilgerfahrt unternehmen und in Klöstern aus Glaubensgründen Wache halten, sollten keine „Spiele, Mimen, Lieder und Tänze machen; Auch sollten sie Verkleidungen unterlassen, Männer sollten sich nicht als Frauen verkleiden und umgekehrt.“ Trotz verschiedener restriktiver Verordnungen ist es anzunehmen, dass diese Aufführungen weiter stattfanden, da spätere Konzildokumente sie mehrmals erwähnten und verbaten. Auch zu Beginn des 15. Jahrhunderts verlangte der Erzbischof von Lissabon – Don João Esteves da Azambuja –, dass „in den 2 Tropus,(aus dem griechischen; Pl. -pen), in der Musik: des Mittelalters in einen größeren liturgischen Gesang (Messteil) eingefügter textloser oder auch texterter Melodieabschnitt bzw. auch Textierung bisher noch textloser Musikteile desselben. Die Tropen, die nicht zur Grundliturgie zählen, sind in einem besonderen Tropar zusammengestellt, besonders gebräuchlich sind die Introitustropen. Aus den Tropen entwickelten sich auch die Sequenzen. 3 Luiz Francisco Rebello, „O primitivo teatro português”, Instituto de Cultura Portuguesa, Lisboa, 1977, S. 33. 4 Klöstern und Kirchen, weder gesungen, getanzt noch andere unehrenhafte Handlung stattfinden sollte“.4 „Verpönt war allgemein die Tendenz, burleske Episoden in religiöse Autos5 einzuführen, da diese das Lachen während der liturgischen Zeremonien verursachten oder Gläubige stören, bzw. verwirren konnten.“6 schreibt Luiz Francisco Rebello. Theatralische Manifestationen sowohl im Kircheninnern als auch außerhalb des kirchlichen Territoriums und der Liturgie waren nicht selten. Und heutzutage kann niemand mehr die romantische Idee akzeptieren, dass das portugiesische Theater erst mit Gil Vicente entstand und davor nichts existierte. „Es ist wissenschaftlich unglaubhaft, dass das portugiesische Theater ex nihilo entstand... “7 behauptet Luiz Francisco Rebello. Die engen Beziehungen Portugals mit vielen anderen europäischen Höfen lassen uns zu der Schlussfolgerung kommen, dass die darstellende Kunst sich nicht grundlegend von anderen Ländern unterschied. In der Tat, wenn das Jahr 1143 als Markstein der portugiesischen Nationalität angenommen wird, stellen wir fest, dass sich die portugiesische Kultur eigentlich galizisch-portugiesisch ausdrückte und erst ab dem 13. Jahrhundert einen eigenen nationalen Charakter annimmt. Der Kampf gegen den muslimischen „Feind“ im Süden steht einerseits in Einklang mit der westchristlichen Strategie und andererseits mit den inneren Bedürfnissen, sich vor dem anderen Feind - Kastilien - zu behaupten. Nach den Kriegen gegen Kastilien und Leon um die politisch erstrebte Unabhängigkeit und um die Eroberung maurischer Gebiete im Süden des Landes, erlebt man eine Auflösung regionaler Barrieren. „Troubadoure und Possenreißer bereisen sowohl Kastilien und Galizien, als auch Portugal und Leon. Sie verbreiten die selben Geschichten, die jedoch durch jede Gemeinschaft eine eigene Interpretation erhält.“8 Literatur- und Theaterforscher wie Aragão Morato, Alexandre Herculano und Teófilo de Braga stießen auf Informationen über Possen (Arremedilhos) während der Regentschaft von Don Sancho I (1185-1211) und über „Momos“9 (AP: Eine Mischung aus stummen Szenen, deren Kern auf einer choreographischen Komposition und kurzen Dialogen basiert) am Hofe von Don 4 Ibid. „Auto“: einaktiges geistliches Spiel des spätmittelalterlichen spanischen und humanistischen portugiesischen Theaters, aufgeführt an den Festtagen des Kirchenjahres (Auto sacramental); vollendete Form fand das Auto sacramental bei Lope de Vega Carpio, Tirso de Molina und besonders P. Calderón de la Barca. 6 Luiz Francisco Rebello, „O primitivo teatro português”, Instituto de Cultura Portuguesa, Lisboa, 1977., S.35. 7 Luiz Francisco Rebello, „História do Teatro Português”, Lisboa, Verlag Europa América, 1967, S. 1718. 8 José Mattoso, „Identifikation eines Landes, Essay über den Ursprung Portugals 1096-1325“, Lisboa, Verlag Estampa, 1985, S. 65. 9 Dieses dramatische Spiel ist durch seinen spektakulären Prunk gekennzeichnet und richtet sich nach der rhetorischen Phantasie der Thematik des jeweiligen Festes. 5 5 Afonso V und von Don João II und über „barcas“,10 „loas“11 und „Entremezes“12, welche Ende des 15. Jahrhunderts aus Italien zu uns kamen“,13 schreibt Pereira Dias. Trotz dieser Beiträge bleiben jedoch noch viele Schwierigkeiten bestehen, wenn man eine Theoretisierung über die großen Linien des portugiesischen mittelalterlichen Theaters aufstellen will. „Es fehlt in Portugal noch die breite Dokumentation, die Cohen in Frankreich, D´Ancona in Italien und Chambers in England ermöglicht, das Nationaltheater in verschiedenen Kategorien einzugliedern“.14 Die großen zyklischen Mysterien, die seit dem 14. Jahrhundert auch in Portugal aufgeführt werden, sind ganz wahrscheinlich bis Mitte des 16. Jahrhunderts die große Attraktion der Städter. Trotzdem tragen verschiedene Faktoren zur schwachen Vitalität des liturgischen Theaters auf der Iberischen Halbinsel bei: a) Die liturgische dramatische Produktion in Portugal ist von dem im Byzantinischen Reich praktizierten Ritus sowie von dem fränkisch-römischen Ritus, der in Katalonien und östlich dieser Region befolgt wurde, weit entfernt. In Portugal liegen die Wurzeln für den sogenannten mozarabischen und hispanischen Ritus, in dem der Einfluss des in Europa praktizierten liturgischen Theaters (bzw. die Tropen, die sich mit ihm verbinden) viel schwächer war. b) Die Ansiedlung des Ordens der Benediktiner auf portugiesischem Territorium im 11. Jahrhundert ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erst relativ spät erfolgt. c) Andererseits bestand das Hauptanliegen des Ordens zu Beginn ihrer Ansiedlung in der liturgischen Reform, zur „Reinigung“ des Kults von unerwünschten Praktiken. Erst 1435 liberalisiert der Abt von Alcobaça, Don Estêvão de Aguiar, die streng reglementierte Prozession des Fronleichnams. Damit betritt sie den städtischen Raum und wird zur Verkörperung spektakulärer Elemente.15 2 Liturgische Aufführungen in Portugal Der älteste Beweis für einen liturgischen mittelalterlichen Text in Portugal ist ein Tropus (AP: Einschub in den vorhandenen liturgischen Text) in Dialogform, 10 Von italienisch barcaruola, barca = »Boot«: Lied der Gondelführer (auch der Fischer) in Venedig, das zum Takt des Ruderschlagens und der schaukelnden Bewegung der Gondeln gesungen wurde. Die Barkarole basiert auf einem wiegenden 6/8-Rhythmus und hat weiträumige Melodiebögen. 11 Lobreden oder Prologe (spanisch »Lob«), mit einem Lob des Autors verbundenes Vorspiel älterer spanischer Dramenaufführungen. 12 Intermezzo: Zwischenspiel im Drama. 13 Pereira Dias, „Dos momos e arremedilhos ao cenário sintético”, in A Evolução do Teatro em Portugal, Lisboa, 1947, S. 25 (Konferenzreihe, von der Zeitung “Século“ gefördert). 14 Ibid., S. 25. Luciana Stegnagno Picchio, „História do Teatro Português”, Lisboa, Portugália Editora, 1969, S. 25. 15 Mário Martins, „Das liturgische Theater auf der Halbinsel im Mittelalter“, in Estudos de Cultura Medieval, Lisboa, Verlag Verbo, 1969, S. 25.“ 6 auf lateinisch, zwischen einem Priester und den Hirten, aus dem 14. Jahrhundert im Kloster von Santa Cruz de Coimbra von José Oliveira Barata erwähnt.16 Der Priester wendet sich an die Hirten mit folgenden Worten: „Hirten saget, was ihr gesehen habt und verkündet die Geburt des Herren“. Sie antworten ihm: „Wir sahen das Kind in Windeln gewickelt und einen Engelschor, der den Erlöser preiste“. Anschließend wurden der Psalm „Laudate Dominum“ und die Hymne „A solis hortus“ gesungen. Ohne Frage ist es wenig. Aber die im Text implizierte Personifizierung der Hirten und die Skizze eines Dialogs ist bereits Ankündigung von Theater und bildet das erste Kettenglied einer Tradition, die zwei Jahrhunderte später in den vicentinischen (von Gil Vicente) Autos „dem Weihnachts-Frühgottesdienst gewidmet“, ihren Höhepunkt erreicht. 17 Aber ist der Zyklus der Passion und insbesondere die Fronleichnamsprozession, die am meist das liturgische Theater in Portugal prägen. Auch wenn der frühst gefundene Text in Dialogform über die Depositio Christi (Aufbahrung) – aus einem Gebetsbuch der Stadt Braga – aus dem Jahr 1558 stammt, ist diese Zeremonie bereits ein Jahrhundert zuvor bekannt, wie man der Erwähnung des Königs Don Duarte in seinem Werk „Leal Conselheiro“ (AP: „Der treue Berater“), Kapitel 97, entnehmen kann. Die ältesten Berichte über solche Prozessionen – die große Popularität genießen – entstammen der Zeit der Regentschaft von Don João I (1385-1433). An ihnen nehmen kirchliche und weltliche Behörden, Vertreter der Gilden, Zünfte und Körperschaften teil, die durch bestimmte Kostüme verschiedene biblische oder allegorische Figuren darstellen sollen. Es ist anzunehmen, dass in Zusammenhang mit diesen Figuren kleine theatralische Episoden, kurze dramatische Szenen, Skizzen von Autos aufgeführt werden, mit einer festen rituellen Reglementierung: Die Rezitation soll langsam, gleichmäßig, rhythmisch und deutlich erfolgen; die Gesten, Kostüme und Anordnung der Arrangements entsprechen dem symbolischen Charakter des Rituals. (wird über das Paradies gesprochen, sollen die Schauspieler in die vorgesehene Richtung schauen und gestisch anzeigen; bei der Vertreibung Adam und Evas aus dem Paradies sollen die Schauspieler das Gesicht in deren Richtung wenden und mit einer Geste auf sie weisen, während der Chor „Ecce Adam quasi unus“ singt; die Tunika von Abel ist weiß, die von Kain rot; zu Beginn des Dramas trägt Gott die Dalmatika (lithurgisches Gewand der katholischen Diakone) als Symbol der Schöpfung; wenn Gott über Adam und Eva richtet, legt Er die Stola an, als Symbol der Justiz; Abel rechts von Gott bleibend, während Kain immer links steht. Der Teufel und die teuflisch inspirierten Figuren bleiben außerhalb dieser Reglementierung) Barata, José Oliveira, „História do Teatro Português”, Universidade Aberta, Lisboa, 1991 Siehe: José de Oliveira Barata, História do Teatro Português”, Coimbra, Verlag Universidade Aberta; Luciana Stegagno Picchio, „História do Teatro Português”, Lisboa, Verlag Portugália Editora, 1969, S. 26 und Luiz Francisco Rebello, „O primitivo teatro português“, Lisboa, Biblioteca Breve – Instituto de Cultura Portuguesa, 1977, S. 36. 16 17 7 Der Charakter dieser Aufführungen ist (zumindest aus heutigem Verständnis) durch ein Fehlen der „Einheit der Aktion“ gekennzeichnet, bzw. der Akt der Erlösung der Menschheit wird als „Einheit der Aktion“ begriffen. Das heißt, es beginnt mit der Schöpfung des ersten Menschen, mit der Erbsünde und endet mit der Kreuzigung Jesus und seinem anschließenden Abstieg in den Limbus.18 Auch Gil Vicente zeigt 1504 in der Einleitung seines Werkes über das Thema der Passion „Auto de São Martinho“, dass ihm diese Tradition des liturgischen Theaters bekannt ist, als er schreibt: „... wurde aufgeführt für die sehr barmherzige und fromme Frau Königin Donna Leonor in der Kirche von Caldas, während der Prozession des Fronleichnams“. Ebenfalls weist sein Werk „Breve Sumário da História de Deus“ (AP: „Kurze Zusammenfassung der Gottesgeschichte“) auf eine typisch mittelalterliche Struktur: die Thematik der Wiederfleischwerdung als zentraler Akt für alle existierenden Dinge. Vor der Erlösung besteht die Geschichte der Menschheit aus einer Anreihung von Symbolen und Episoden, die diese Erlösung voraussagen – eine Art ihres „Urbildes“. Die verschiedenen biblischen Figuren ziehen in einem chronologischen Zug vorüber: mehrere Opfer der selben Erbsünde werden nacheinander nach ihrem Tod in das Gefängnis „Limbus“ eingesperrt.. In dem Werk wird die Aufeinanderfolge der Episoden durch Allegorien ersetzt und die Aktion stellt eine gewisse Einheit her. Am Ende dieses Vorbeimarsches erheben alle ihre Stimme um zu singen: Von den Gefangenen sind wir die Stimmen, welche seit langer Zeit klagen Nur als eine kollektive Einheit werden sie zu Protagonisten – ein Kollektivum, das aus seinem Gefängnis nach dem Erlöser ruft. Gil Vicente vermeidet alle individuellen Episoden, um dieses Kollektivum/Ensemble nicht zu zerstören. Im Gegensatz zum „Jeu d´Adam“,19 wo die Einheit symbolisch ist, gibt es hier eine konkrete Aktion und nicht eine Aneinanderreihung von präfigurativen Episoden. Das Werk „Kurze Zusammenfassung der Gottesgeschichte“ ist ebenfalls durch seine szenische Architektur ein Beleg für seine Beziehung zur europäischen mittelalterlichen liturgischen Theatertradition und somit ein Hinweis darauf, dass Gil Vicente von ihr beeinflusst worden war. Auf der Spielfläche gab es 18 Limbus: der Ort beziehungsweise Zustand, in dem sich die vorchristlichen Gerechten (Limbus Patrum) und die ungetauft verstorbenen Kinder (Limbus Puerorum) befinden, die weder im Himmel noch in der Hölle oder im Fegefeuer sind; im traditionellen (mittelalterlichen) Sprachgebrauch die »Vorhölle«. Die Lehre vom Limbus kann nicht aus der Bibel begründet werden und wird heute von den meisten Theologen abgelehnt. In dem „Jeu d´ Adam des 12. Jahrhunderts erlebt man nach der Erbsünde einen prozessionsartigen Vorbeimarsch verschiedener Figuren der Propheten, ohne ihre Teilnahme an der Aktion, mit Ausnahme des Todes von Abel (die erste Präfiguration Christi). 19 8 „Häuser“ (kleinere Bühnen auf der Bühne), die den Himmel, die Hölle, etc. darstellen sollten; Einige dieser „Häuser“ hatten ein System von Vorhängen, die nach Bedarf der Aktion geöffnet oder geschlossen wurden, wie z.B. in einer Miniatur über das Mysterium der Passion“, von Hubert Cailleau und Jacques de Moelles, Valenciennes (1547), zu sehen ist.20 2.1 Der Zyklus der Passion und die „Laudes“ von André Dias Der Drang nach Frömmigkeit und insbesondere der Theatralisierung der Qual und der Verzweiflung und Schmerz Marias, als sie ihren gekreuzigten Sohn erblickt, hinterließ seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in der Dramatisierung der portugiesischen mittelalterlichen Liturgie sehr deutliche Spuren. So inspiriert von den „laudi“ des italienischen Mönchs Jacopone Todi, verfasst der Benediktiner André Dias (später Abt des Klösters von Santo André de Rendulfo und 1408 Bischof von Mégara und Ajácio) eine Liedersammlung „Pranto de Santa Maria“, 1435, (AP: „Die Wehklage Unserer Frau“), auch „Planctus“ genannt, deren naiver Mystizismus oft in dramatischer Form ausgedrückt wird. Die von ihm gewählte Liedersprache ist sehr schlicht und sollte „mit lauter Stimme“, während religiöser Zeremonien gesungen und getanzt werden und „durch Orgeln, Hörner und Lauten“ begleitet sein, was von seiner Tendenz zur Theatralik zeugt.21 Maria: Eu sou aquela virgem santa que tenho o coração muito triste por a morte do meu filho, meu prazer e esperança, e meu doce viso (AP: rosto), que foi cruelmente crucificado por cada um pecador... Cristo: Ó madre senhora, não choreis! Eu vos encomendo a meu primo João e meu parente, e a ele por filho recebereis. Siehe: Léon Moussinac, „Le Théâtre des Origines à nos Jours“, Amiot-Dumont, 1957, S. 88. Maria: Ich bin die Heilige Jungfrau / Der Tod meines Sohnes / Erfüllt mein Herz mit Trauer. / Er, der meine Freude, meine Hoffnung und meine Andacht war, / Wurde durch einen Sünder / grausam gekreuzigt ... Christus: Ach meine Mutter und meine Dame weinet nicht. / Ich empfehle Euch meinem Cousin Johannes. / Ihn werdet Ihr als Sohn jetzt haben. / Und Du, mein Cousin, diene meiner Mutter / Als guter und treuer Diener. Maria: Was für geizigen Tausch schlägst Du mir vor! / Der Verlust meines Sohnes und meiner Hoffnung / In großer und voller Trauer / Immer weinen werde ich. Chor: Auch wir weinen gemeinsam mit dieser Dame, / der Schmerz, der sie plagt. / Sie bitten wir jetzt, / dass Sie uns barmherzig sei. / Durch Sie erbitten und erhoffen wir, / die Gnade Ihres Sohnes, / den Schöpfer der Welt. / Amen. 20 21 9 E vós, meu primo, a minha mãe servireis, como bom e leal servidor. Maria: E que escambo (AP: troca, substituição) é este, mesquinha, porque sempre chorarei por ver o meu filho, e minha esperança de todo ser perdida com dolor?! Coro: E choraremos ora porém todos com esta senhora, que assim ora é muito dolorosa, e lhe demandemos agora que sempre nos seja piedosa, e tudo aquilo que lhe demandarmos nos seja muito graciosa, ante o seu filho, de todo o mundo fazedor. Amen. Die Qual, Verzweiflung und der Schmerz Marias werden nicht mehr erzählt. Statt dessen übernimmt der Text den direkten Diskurs. Das Gleichgewicht zwischen beiden Welten – der Welt der Dunkelheit und der Welt des Lichtes – des 12. Jahrhunderts kann nicht mehr aufrecht erhalten werden. Aus der Auflösung der alten symbolischen Einheit, die im Mysterium implizit ist, resultiert die Verselbständigung und Aufwertung jeder Episode. Anschließend trägt ein bestimmter Teil der Moralität (der Teil, der die Allegorie Humanum Genus zum Typ Everyman führt) wesentlich zur Verinnerlichung der Aktion bei. In dem Mirakel wird die Abhängigkeit vom Schicksal überwunden und daraus entsteht die Entwicklung der inneren Aktion, die zum Drama führen wird.22 Das Ausklingen der Herrschaft der Liturgie öffnet den Weg für die Individualisierung und Verselbständigung dramatischer Figuren. Das „Jeu de Pèlerinage Humaine“ aus dem 14. Jahrhundert belegt ein primitives Stadium der Moralitäten. Das Werk zeigt uns einen Pilger, der vor Antritt seiner Reise Gott um ein Mittel bittet, um der Müdigkeit und den Angriffen des Bösen zu widerstehen. Er bekommt von Ihm einen Quersack, der (als Zeichen des Glaubens) im Blut des Heiligen Stephans getränkt wurde, zwölf Glöckchen, die für die zwölf Glaubensgebote stehen, einen unbeschlagenen Wanderstab (die Hoffnung), einen Wams (die Geduld), einen Panzer (die Kraft), einen Helm (die Enthaltsamkeit), eiserne Handschuhe (den Anstand), ein Schwert (die Gerechtigkeit), dessen Scheide die Bescheidenheit symbolisiert. Der Pilger beichtet, dass er nicht das Gewicht eines so schweren Panzers tragen kann und bekommt deshalb einen Träger (das Gedächtnis), der ihm die gesamte Last abnimmt. Als Ergänzung zu dieser Thematik kommt ein anderes Motiv – der Kampf zwischen den Tugenden und den Lastern (ein Motiv aus einer anderen Moralität - „Moralité des Sept Péchés mortels et des Sept Vertus“, G. Cohen in Mystères et Moralités du manuscrit 711 de Chantilly). Aus der Fusion beider Themen entstehen Werke wie „Castell of Perseverance“ (1405) – (Englisch Miracle Plays, Moralities and Interludes, Pollard). Der Pilger heißt hier Humanum Genus und wird sowohl von den Lastern als auch von den Tugenden beansprucht. Der Pilger ist eine reine Allegorie ohne jeglichen Willen. Der Wille ist laut unserer dramatischen Vorstellung ein Prozess und konnte in dieser Art von Theater nur als eine Allegorie dargestellt werden, die neben dem Pilger läuft. Im 16. Jahrhundert heißt er Everyman. Während Humanum Genus eine Allegorie war, ist jetzt Everyman ein Mann, ein Individuum, ein 22 10 Wie bei dem Pilger, der in den Mirakeln und in den Mysterien zwischen dem Reich des Lichtes und dem Reich der Dunkelheit wandert, wird es immer unmöglicher, eine genaue Grenze zu etablieren. Deswegen wird die Intervention des Übernatürlichen allmählich zurückgesetzt. Die hieratischen Figuren werden immer mehr in profanen Haltungen dargestellt. Ihre Charakterisierung geht in Richtung Karikatur und des Grotesken und rebelliert gegen jegliches Ritual. 2.2 Das Thema der Passion durch profane Interpretation: Von Anrique da Mota zu Gil Vicente Inspiriert vom Zyklus der Passion verfasst Anrique da Mota, zwischen 1496 und 1506, auch ein Planctus „Lamento do Clérigo“ (AP: „Die Wehklage des Klerikers“), wo ein Kleriker sein umgekipptes Weinfass beweint, in der selben Weise, wie die Heilige Maria den Verlust Ihres gekreuzigten Sohnes bei André Dias beklagen würde. Durch Typisierung und bestimmte sprachliche Prozesse schafft Anrique da Mota schematische und knappe Aktionsbeschreibungen der sozialen Bräuche seiner Zeit, wo das Komische die Oberhand bekommt.23 Kleriker: Ai, ai, ai, ai! Que farei? Ai, que dores me cercaram! Ai, que novas me chegaram! Ai de mim! Onde me irei? Que farei, triste, mesquinho, com paixão? Tudo leva mau caminho, pois que vai todo o meu vinho pelo chão! Ó vinho, quem te perdera primeiro que te comprara! Typ. Er ergreift selber die Initiative; er sucht in seiner Sterbestunde die „Begleitung“, die „Verwandtschaft“, den „Reichtum“, die „Weisheit“ und beschwört dadurch direkt oder indirekt die „Schönheit“, die „Kraft“, die „fünf Sinne“ und die „guten Werke“. Ab jetzt handelt Everymann selbst für seine Erlösung. Der Pilger hat aufgehört eine Allegorie zu sein und beginnt allmählich ein Charakter sein zu wollen. 23 Kleriker: Ach, ach, ach, ach! Was soll ich tun? / Ach, was für Schmerzen mich umschlingen! / Ach, Donnerschlagsmeldungen haben mich überfahren! / Oh ich Armer! Was soll mir geschehen? / Wie aus der Passion? Ich traurige und kleine Gestalt. / Alles ist futsch, das Schicksal so ungnädig, / Mein Wein fließt am Boden! / Oh Wein, der du verloren gingest, / bevor ich dich ergattert habe! / Arm sind die, die dich nie gekostet, / oder die, die beim Verkosten starben / oder die Totgeborenen, die diese Welt nie betraten! / Unerreichbar ist / Ein solcher Wert, ohne gleiches, / So geliebt, so gut! / Oh meine erlesene Liebe, / Wie verkraften Eure Abwesenheit? / Vor einem solchen Verlust / Untröstlich und ungeduldig bleibe ich. / Oh du unwürdiges Fass, / das so fehlerhaft gebaut, / verdammt sei es in den Flammen der Hölle, / Da du nicht diese Rose aufbewahrt hast! / Wieso wurdet ihr Fassbänder gelockert? / Was für ein Fluch, verdammt! 11 Oh, quem nunca te provara ou, provando-te, morrera! Oh, quem nunca fôra nado neste mundo, pois vejo tão mal logrado um tal bem, tão estimado, tão profundo! Ó meu bem tão escolhido, que farei em vossa ausência? Não posso ter paciência por vos ver assim perdido! Ó pipa tão mal fundada, desditosa, de fogo sejas queimada por teres tão mal guardada esta rosa! Ó arcos, porque afrouxastes? Ó vimes de maldição, porque não tivestes mão assim como me ficastes! Ó mau vilão tanoeiro, desalmado, tu tens a culpa primeiro, pois levaste o meu dinheiro mal levado! Hier findet eine doppelte Profanierung statt: Es kommt zum Lächerlichmachen der Kreuzigung, wenn der Verlust des Weines mit der selben Haltung beklagt wird wie zuvor Maria ihren Sohn beweint und zu dem wird das für die Erlösung der Menschheit vergossene Blut Jesu, mit dem vergossenen Wein gleichgestellt. Bei genauerer Betrachtung des Klerikers, der den Verlust seines kostbaren Lieblingsgetränks beweint – „diese Rose!“, wie er den Wein bezeichnet –, sind wir verleitet, uns an die „Pranto de Maria Parda“ (AP: „Wehklage von Maria Parda“) zu erinnern, wo es heißt: „ ... in den Straßen von Lissabon die Tavernen zu wenig Zweige hatten und der Wein zu teuer war... “. Und der Verdacht eines Verhältnisses zwischen dem Kleriker und seiner schwarzen Dienerin (die er anklagt den Wein vergossen zu haben, aber aus Furcht, sie könnte dem Richter von ihrer Buhlschaft berichten, die Klage fallen lässt) erweckt dies nicht bei uns Assoziationen zum lustigen und ausschweifenden Mönch aus dem „Auto da Barca do Inferno“, oder zu dem Priester aus dem „Auto da Lusitânia“? In dieser Tradition verfasste auch Gil Vicente seinen einzigen Planctus, eine burleske Nachahmung der „Wehklagen Marias“, 1522, welche jedoch vom „Tavernenmilieu“ inspiriert ist. 12 Ein Exzerpt aus der „Pranto de Maria Parda“:24 Eu só quero prantear este mal que a muitos toca; que estou já como minhoca que puseram a secar. Triste desaventurada que tão alta está a canada para mi como as estrelas; ó coitadas das guelas! Ó guelas da coitada! ... Ó vinho mano, meu vinho, que má ora te gastamos. Ó travessa zanguizarra de Mata-porcos escura, como estás de má ventura, sem ramos de barra a barra. Porque tens há tantos dias as tuas pipas vazias, os tonéis secos em pé? ... vou-me morrer de sequia em cima dum almadraque. E ante de meu finamento Ordeno meu testamento ... A minha alma encomendo a Noé e a outrem não, e meu corpo enterrarão onde estão sempre bebendo. ... Der Monolog „Pranto de Maria Parda“ entspricht den sogenannten „sermons joyeux“, zu dem die französischen Werke „Dit de l´Herberie“ von Ruteboeuf und „Nicolausspiel“ von Jean Bodel gehören, die als Vorbilder diennten. 24 Nur dieses Leiden will ich beklagen, / welches viele bedrückt; / bald fühle ich mich wie ein Regenwurm, / dem die Flüssigkeit entzogen wurde. / Ein trauriges Unglück ist über mich gekommen: / Mein Lohn in Wein ist fern von mir, / so fern wie von mir die Sterne. / Oh arme Kehle! / Oh Kehle eines Armen! ... / Oh Weinbruder, mein Wein, / Verdammt sei die Stunde, immer / In der du ausgetrunken wirst. / Oh dunkle Gasse der Verwirrung, / und des Schweineschlachtens, / ein böses Omen ist über uns gekommen: / ohne Zweige an deinen Schenken. / Wieso sind leer die Fässer / Und trocken deine Tonnen / seit so vielen Tagen? ... / Vertrocknet auf einem Strohsack / werde ich verdursten und sterben. / Aber in der letzten Stunde / Verfüge ich mein Vermächtnis ... / Meine Seele empfehle ich / Noah und nicht einem anderen / Und mein Körper wird begraben / Am Ort des Betrinkens... 13 Wie Andrée Crabée Rocha behauptet, hatte das portugiesische Theater bis Ende des 15. Jahrhunderts „gestottert“, mit Anrique da Mota begann es „sich zu artikulieren“ und nur mit Gil Vicente erlangt es „volle Sprachbeherrschung“. 2.3 Der Zyklus der Nativität Die sichtbare und reale Welt – unperfekt, vergänglich und widersprüchlich – kann als Replik auf die perfekte, absolute und nicht sichtbare Welt verstanden und sogar als Opposition an ihr betrachtet werden. Daraus entsteht eine Art binomischer Betrachtung: sakral-profan oder ernst-komisch. Diese Gegensätze werden hauptsächlich in den Partnerbeziehungen zwischen Maria-Joseph, Engel-Teufel, Engel-Hirten dargestellt. Die profanen Figuren werden in dunklen Farben dargestellt, während die sakralen luftig und hell erscheinen. Trägt der Engel ein weißes Kleid, so sind die Farben des Teufels dunkel oder grell und seine Gesichtverzerrung kontrastiert mit den harmonischen Linien des ersten. Während die Heilige Maria und die Engel immer meditativ und rein dargestellt werden, wird der Heilige Joseph als dienstbarer alter Mann gezeigt, der wegen seiner menschlichen Schwäche unwürdig ist, an der Zeugung Jesus beteiligt zu sein. Im Vorspiel des „Auto da Mofina Mendes“ von Vicente, der „Sermão do Frade Sandeu“ (AP: “Predigt des närrischen Ordensbruders”), wird die Unbefleckte Empfängnis ins Lächerliche gezogen und der Heilige Joseph als beschränkter und unsensibler Trunkenbold dargestellt.25 ... Ó bruto animal da serra, ó terra filha do barro, como sabes tu, bebarro, quando ha de tremer a terra, que espantas os bois e o carro? ... se tens prenhe tua mulher, e per ti o composeste, queria de ti entender em que hora ha de nascer, ou que feições ha de ter, esse filho que fizeste. ... 25 Mönch: ...Oh du dummes Gebirgstier, / Oh du schlammige Erde! / Was weißt du, Trunkenbold, / ob und wann die Erde beben soll, / wenn du sogar Ochsen und Karre verscheuchst? ... / Falls du tatsächlich dein Weib geschwängert hast / Und das Kind zeugtest, / würde ich gern von dir wissen / zu welcher Zeit es geboren wird, / oder wem wird es ähneln, / dieser Sohn, den du machtest / ... 14 Die reale Welt, die damals als fiktive betrachtet wurde, gewinnt an Bedeutung und wird fassbarer. Die Auflösung der Einheit des religiösen Theaters trägt zur Selbständigkeit jeder Szene und zur Bildung einer Typisierung bei: Der Jude, der Hirte, die Bäuerin, der misstrauische Mann, etc. Die abstrakten Personifizierungen der Moralitäten werden ebenfalls zu Typen: Das Laster wird zum „Verdorbenen“, das Alter zum „alten Mann“, etc. In dem „Auto da Mofina Mendes“26 lesen die Tugenden, d.h. die Dienerinnen der Jungfrau Maria (die Lebensklugheit, die Armut, die Demut und der Glaube), in den Heiligen Schriften den Text der Prophezeiungen und der Präfigurationen. Sie fassen den gesamten ludus prophetarum vor der Szene der Mariäverkündigung zusammen. Als ihre gleichrangigen Partnerinnen treten die Prophetinnen der heidnischen Welt – die Sibylen – auf. Unter den Prophezeiungen soll folgende erwähnt werden: die Vision Cäsar Oktavianus, der in einem Stern ein Zeichen entdeckte und eine Sibyle berichtet, dass dies die Ankündigung des Messias sei. Diese Legende findet in dem „Auto da Mofina Mendes“ Erwähnung und wird zur Quelle für ein französisches Mysterium des 15. Jahrhunderts. 27 Als „Vorausdarstellungen“ taucht hier das Thema der Gesänge von Salomon an Sulamite (die eigentlich ein Lob an die Heilige Maria präfiguriert) auf. Zwei andere Präfigurationen betreffen den von Moses gesehenen brennenden Dornbusch, sowie die Himmelsleiter für Jakob – Scala coeli – (beide deuten die Erlösung durch Jesus Christus an). Wenn die Engel in der Szene der Nativität sich einer eleganten, fast lyrischen Sprache bedienen, so sprechen die Hirten rustikal und rau, gespickt mit Jargons, Flüchen, Metaphern und alltäglichen Bildern. Die Szene in der die Hirten von dem Engel geweckt werden, damit sie eilen das Jesuskind zu sehen, subvertiert die traditionelle Andachtsstimmung dieser Szene der früheren Krippendarstellungen: Statt sich über die Erscheinung des Engels zu wundern, oder zu dem Jesuskind zu eilen, wollen die Hirten lieber weiterschlafen und stellen sich so unbekümmert, dass sie den Engel sogar mit einem Schildknappen verwechseln.28 Das „Auto von Mofina Mendes“, oder „Mysterien der Jungfrau“ ist ein Werk, daß aus zwei Teilen besteht: „Mysterium der Mariaverkündung“ und „Mysterium der Nativität“. 27 «Mystère d´Oktavien et la Sybille», zit. von E. Mâle in «L´Art Réligieux de la Fin du Moyen Age en France», S. 255. 28 Engel: Erinnert euch Hirten! / André: Eh, Sie! Was wollt ihr von uns? / Engel: Dass ihr wachet. / André: Wieso, was ist geschehen? / Engel: Im Land von Judäa wurde Er geboren, / der Gott euer Erlöser ist nur einer. / André: Selbst wenn es drei wären, weiß ich nicht, was Ihr von uns wollt. / Engel: Dass ihr aufsteht. / André: Aufstehen will ich, um zu sehen was es ist. / Oh, immer beim Aufwachen vergesse ich das Bekreuzigen. / (die Engel singen) / Engel: Eh, ihr, Hirten! Hirten! / André: / Was wollt ihr Schildknappen von uns? / Engel: Wecke alle deine Kumpanen, / Und eilt zum Erlöser. / André: Schlaft nicht weiter Payo Vaz, / und hört wie das singt. / Payo: Eine Grille singet es, siehst du nicht? / Du spinnst, geh, / es zu hören, kümmert mich nicht. / André: Pessival wach auf jetzt. / Pessival: Weck lieber João den Henker... / André: Aufstehen, Trauriger Bart. / Bart: Was ist es oder was willst du? / André: Dass wir uns beim Sehen belustigen, / was weder du noch ich jemals sahen. / Bart: Bei Gott, geh du, wenn du willst, es sei denn, die werden mir bei der Feier / was zu Essen geben; / falls nicht, lass mich liegen, / weil dort werde ich nicht antanzen. / Wecke lieber Tibaldinho, / den Calveiro und 26 15 Anjo: André: Anjo: André: Anjo: André: Anjo: André: „Recordae, pastores!” Ou de lá, que nos quereis? „Que vos levanteis.“ Pera que, ou que vai lá? „Nasceu em terra de Judá Hum Deos só, que vos salvará.” E dou-lhe que fossem tres: eu não sei que nos quereis. „Que vos levanteis.” Quero-´eu erguer, em tanto veremos que isto quer ser. Sempre m´esquece o benzer cada vez que me levanto. (Os Anjos cantam) Anjo: André: Anjo: André: Payo: André: Pessival: ... André: Bar: André: Bar: „Ah pastor! ah pastor!” que nos quereis escudeiros? „Chama todos teus parceiros, vereis vosso Redentor.” Não durmaes mais, Payo Vaz, ouvireis cantar aquillo. Ora tu não ves que he grillo? vae-te d´hi, aramá vas, que eu não hei mister ouvi-lo. Pessival, acorda ja. Acorda tu a João Carrasco. Levanta-te, Barba Triste. Tu que has, ou que me queres? Que vamos ver os prazeres, que eu nem tu nunca viste. Pardeos, vae tu se quiseres, salvo se na refestelar me dessem bem de comer; senão leixa-me jazer, que não hei de bailar nella: vae tu lá embora ter. Acorda a Tibaldinho, E ó Calveiro e outros tres, e a mi cobre-me os pés; noch drei mehr, / mir decke die Füße zu; / dann setz deinen Weg fort, / einen Monat lang bewege ich mich nicht von der Stelle. / ... 16 então vae-te teu caminho, que eu hei de dormir hum mes. ... 2.4 Die Tradition gelangte bis in die Gegenwart: Die „Bonecos de Santo Aleixo" Ab dem 11. Jahrhundert, mit der Christianisierung Europas, entsteht eine neue, noch politisch und philosophisch schwache Ordnung, die wegen ihrer Ritualarmut für eine Vermischung mit den archaischen heidnischen Traditionen empfänglich ist. Es ist die Kirche selbst, die, um die sakralen Texte verständlich zu machen und um sich gegen die Feudalherren zu etablieren, auf das heidnische Ritual zurückgreift und es christianisiert. Es blieb ihr auch nichts anderes übrig, wenn sie das Volk für sich interessieren und bekehren wollte. Der wachsende Despotismus der Feudalherren verursacht außerdem ein Klima von Unzufriedenheit und Unruhe, was sich in theatralischen liturgischen Manifestationen in der Kirche oder in Aufführungen auf dem Markt widerspiegelt. Tropen, Mysterienspiele, Moralitäten, Interludien und Autos sind Etappen eines Weges, wo die Narrfigur im Widerspruch und in der Einheit von Phantasie und Realismus, Mythos und Erkenntnis, Besessenheit und Prophezeiung, eine große Rolle spielt. Der Verkehrungsmechanismus, d.h. die soziale und politische Verkehrung des Ranges und die zwangsläufige burleske Darstellung solcher Verkehrung, sowie die närrische Umkehrung durch die Verkehrung sprachlicher Ordnung, und zwar durch Anwendung grotesker Nonsens-Rede, Obszönität in der Wechselrede oder durch die scheinbare Sach- und Dialogbezogenheit, z.B. durch Benutzen von „dog-Latin“ ist noch heute in verschiedenen theatralischen Volksformen ländlicher Gemeinden in Portugal, insbesondere im Norden des Landes anzutreffen. Auch die „Bonecos de Santo Aleixo“, das typische Puppentheater in der südlichen Provinz Alentejo (Évora), sind ein Beleg für diese mittelalterliche Tradition, wo liturgische Thematik durch profane Elemente subversiert wird. In dem Puppentheaterstück „O Acto da Criação do Mundo“ (AP: „Der Akt der Weltschöpfung“) wird das Ernste parodiert und zwar: Als Adam und Eva auftreten, kommentiert der Lehrmeister zum Priester spöttisch, ans Publikum gewandt: „es gibt Nackedeien unter uns“ und ohne sich zurück zu halten, rennt er zur Eva, um an ihren Brüsten zu saugen. 17 2.5 Literarturverzeichnis Asencio, Eugenio, “De los momos cortesanos a los autos caballerescos de Gil Vicente”, Akten des 1. brasilianischen Kongresses über die im Theater gesprochene Sprache, Rio de Janeiro, 1958, S. 163-172 Aubailly, Jean-Claude, „Théâtre Médieval Profane et Comique”, Paris, Larousse, 1975 Barata, José Oliveira, „História do Teatro Português”, Universidade Aberta, Lisboa, 1991 Barata, José Oliveira, “Didáctica do Teatro. 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