Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2— 1 2 Ziele des Biologieunterrichts 2.1 Begriff und Taxonomien 2.1.1 Unterrichtsziele als die Axiome des (Biologie-) Unterrichts Die Schule ist eine Bildungseinrichtung mit staatlich fixiertem Bildungsauftrag. Er ist in den Zielsetzungen festgelegt. Diese Ziele lassen sich nicht objektiv herleiten, sondern sind Vorgaben, so wie die Axiome in der Mathematik (als gesetzte Grundannahmen, aus denen nach den Regeln des logischen Schließens das Gefüge der mathematischen Sätze und Aussagen abgeleitet werden). Eine der wesentlichen Aufgaben der didaktischen Diskussion ist es, die jeweils vorgegebenen Ziele zu aktualisieren, somit zu hinterfragen, zu ergänzen oder zu modifizieren (vgl. STAECK 1979). Der Bildungsauftrag der Schule umfaßt dabei nicht nur Fragen der Inhalte, ihrer Auswahl und Anordnung, sondern auch die Formen der Erkenntnisgewinnung und die Unterrichts-Prinzipien. Bildung bedeutet im Kern Verständnis und Verstehen von Zusammenhängen, das Bedenken der Vernetzungen bei Eingriffen an einer Stelle und ihrer Auswirkung an ganz anderer Stelle, das Abwägen und Gewichten konkurrierender Vorstellungen. Bildung ist damit das Gegenteil von Faktenwissen, muß aber am konkreten Beispiel erfahren werden. Dieser Bildungsauftrag der Schule ist auch mit dem Erziehungsauftrag verzahnt. Dabei geht es im Kern um die soziale Verantwortung des Menschen und um den Aspekt der Nachhaltigkeit. Es sollen die Einstellungen/ Geisteshaltungen, Wertevorstellung (Ethik) und ihre Umsetzung in Handlungen (Moral), die in einem freiheitlich-demokratisch/ liberalen (pluralistisch-toleranten) Gemeinwesen (von der Familie bis zum Staat) für das geordnete Zusammenleben unerläßlich sind, den Schülern als Grundwerte vermittelt, gestärkt und gefestigt werden. Dabei geht es vor allem um Verantwortung für die Folgen des eigenen Wollens und Tuns, also um Mündigkeit, und damit um Einschränkungen des vordergründigen Egoismus (Lustmaximierung/ Vorteilnahme zu Lasten anderer) zugunsten der Nachhaltigkeit und des Gemeinsinns. Das wurde klassisch in dem lateinischen Spruch zusammengefaßt: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem! Das heißt: Was auch immer Du tust, handle weise und bedenke die Folgen! Das entspricht dem KANT’schen Kategorischen Imperativ (als absolute Forderung der Vernunft in der „Praktischen Philosophie“ [= Ethik], 1785, 1788; KANT 1724-1804, Transzendental-Philosoph aus und in Königsberg, Professor seit 1770): „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten können“ Kinder lernen das (vereinfacht) mit dem Spruch: „Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu!“ Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2— 2 Hinzu kommen das Menschenbild und das naturwissenschaftliche (hier biologische) Weltbild, die erkenntnistheoretische Diskussion der naturwissenschaftlichen Aussagen unter Achtung der Glaubensfreiheit (bzw. der Freiheit zum Atheismus). Bildung ist also auf den Erwachsenen, auf später gerichtet, muß aber dem Schüler als Kind und Jugendlichem, als Heranwachsendem, also in einem Lebensabschnitt vermittelt werden, in dem der Bildungswert noch nicht (voll) verständlich ist. Bildung muß daher immer auch altersgerecht vermittelt werden. Im Skript wird dabei vom Bezug auf den „Adressaten“ gesprochen, da nicht nur die Altersstufe, sondern auch die Schulart zu berücksichtigen ist. Diese Prinzipien der adressaten-gerechten Vermittlung sind mit dem Bildungsauftrag verzahnt und unterliegen ebenfalls axiomatischen Zielvorstellungen. Beide werden daher nicht strikt getrennt. Für eine Reihe von Zielen (wie dem Primat der Originalerfahrung im Biologieunterricht) hat sich mit der Zeit (Kap. 6) ein Konsens ergeben, andere stehen im Kontext des Zeitgeistes oder der politischen Meinungsbildung. Dafür ist zu sensibilisieren. Die Grundsätze der Bildungsziele und des Erziehungsauftrages werden mit diesem Skript in diesem Kapitel „Ziele“ als Leit- oder Richtziele zusammengefaßt und somit vorangestellt (nicht mehr in unterschiedliche Sachkapitel integriert). Diese Ziele gelten z.T. fächerübergreifend, z.T. sind sie spezifisch für den Biologieunterricht. Nach Klärung des Begriffes „Unterrichtsziele“ und der Ziel-Taxonomien sowie der Problematik „operationalisierter Unterrichtsziele werden die Richtlinien NRW als staatliche Vorgabe für die Lehrer des Landes herausgestellt, dann eine Reihe allgemeiner Leitziele des Biologieunterrichtes in Deutschland spezifiziert. Literatur: STAECK, L. (Hrsg.): Texte zur Didaktik der Biologie. Erziehung & Didaktik. Westermann, Braunschweig 1979. 2.1.2 Zum Begriff Unterrichtsziele Die Unterscheidung in Lehrziele und in Lernziele differenziert nach den Positionen von Lehrer und Schüler. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Hier wird daher auf die Unterscheidung von Lehr- & Lernzielen nicht näher eingegangen, vielmehr wird (in Anlehnung an EKR 1996, S. 172) der Begriff Unterrichtsziel als Oberbegriff für alle Typen, Kategorien und Dimensionen von Zielen im BU verwendet. (Anm.: Dieses MS ist noch nicht auf die einheitliche Anwendung der Begriffe hin überprüft worden!). Beispiele für Lehrziele (auf Leitziel-Ebene) sind: Förderung der Kommunikationsfähigkeit, der Sozialisation Gruppenarbeit). Konzentration auf das Prinzipielle an ausgewählten Beispielen (als Methodenlernen oder nach den Kennzeichen des Lebendigen). (z.B. in Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2— 3 oder (verändert nach SCHAEFER 1972, S.5/6): Aktualität des Stoffes: Aufbereitung der gegenwärtigen biologischen Informationsflut und Vorbereitung auf eine Zukunft wachsender biotechnischer Probleme. Komplexität des Denkens: Übung im Umgang mit Lebewesen als hochkomplexen Systemem, deren Verhalten sich von dem einfacher mechanischer Systeme meist erheblich unterscheidet Formensehen: Öffnung des Blickes für biologische Gestalten und Strukturen. Natur „Sehen lernen“ als wirksames Training für eine empirische Grundhaltung. Objektivität: Saubere Trennung von naturwissen-schaftlich-objektivem und erlebnismäßig-subjektivem „Verstehens“ von Lebewesen/Natur mit situationsgerechter Anwendung der beiden Blickrichtungen (bei SCHAEFER: Methodenbewußtsein: Kenntnis der kalkülisierenden und der introspektiven (hermeneutischen) Art des „Verstehens“ von Lebewesen; saubere Trennung und situationsgerechte Anwendung der beiden Methoden), ferner kritische Trennung von kausaler und finaler Begründung Fächerintegration: Biologie als „Konvergenzfach“ mit notwendig fächerverbindender Betrachtung am gemeinsamen Objekt (z.B. der Mensch) und mit gemeinsamen Begriffen (z.B. Energie, Information). Literatur: SCHAEFER, G.: Kybernetik & Biologie. Metzler, Stuttgart 1972. 2.1.3 Gliederung nach Zielebenen Leitziele: Sie repräsentieren die oberste Zielebene und umfassen die gesamte Erziehung/Schulbildung. Sie werden auch Funktionsziele, allgemeine oder Globalziele genannt. Die klassischen Bildungsziele gehören auch hierher, z.B.: Der für Beruf und Gesellschaft gebildete, selbständig denkende und handelnde Mensch; Erziehung zum Verantwortungsbewußtsein (heute oft mißverständlich „Erziehung zur Mündigkeit“ genannt, Mündigkeit ist aber nur das Einstehen für das eigene Tun, auch wenn es unverantwortlich ist); Erziehung zum Demokraten, Erziehung zum naturwissenschaftlichen Denken (Kap. 2.4). Richtziele: umfassen breite Lerngebiete (z.B. die Humanbiologie in der S I), Grobziele: umfassen Teilthemen (z.B. die Verdauung des Menschen), Feinziele: sie beziehen sich auf einzelne Lernschritte (z.B. die Funktion des Magens). Eine genaue Ranghöhe der Zielebenen ist jedoch allgemein nicht festzulegen oder abzugrenzen, sie kann nur an einem konkreten Beispiel (hier für die Richt- bis Feinziel-Ebene nach Fakten aus der Humanbiologie) angegeben werden. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2— 4 Leitziele können mehr die kognitive, die psycho-motorische oder die affektiv/soziale Dimension betreffen. Eine Reihe von Leitzielen werden am Ende dieses Kapitels ausgeführt. Hier werden einige Beispiele in Form der Prinzipien des Biologieunterrichts bzw. von Bildungszielen aufgezählt: Ethik des naturwissenschaftlichen Arbeitens Vermeiden von Sachfehlern bei der didaktischen Reduktion Individuelle Optimierung des Unterrichts Anknüpfen an der Erfahrungswelt der Adressaten (Schüler) Ausgang vom Anschaulichen Primat der Erfahrung (der Beobachtung, des Untersuchens, des Experiments) Anleitung zum selbständigen Arbeiten Das ganzheitlich/inklusive Denken in Zusammenhängen Das Prinzip des Exemplarischen Transfer auf den Alltag, Einordnen in größere Zusammenhänge Kritisches Hinterfragen der Ergebnisse und Deutungen Die staatsbürgerliche Bildung/Erziehung Der fächerübergreifend orientierte Biologie-Unterricht Die Erziehung zur Verantwortung für den eigenen Körper (Gesundheit) den Partner und werdendes Leben (Sexualität) die intakte Umwelt 2.1.4 Ziel-Taxonomien Taxonomie bedeutet Klassifikation. Im engeren Sinne ist die Gliederung der Unterrichtsziele in 3 Kategorien oder Dimensionen und deren Untergliederungen gemeint. Schon PESTALOZZI (*1746 in Zürich, †1827) sah in der Erziehung und dem Lernen drei Kräfte zusammenwirken (vgl. BLÄTTNER 1966): die Kraft des Kopfes („Kopf“: Wissen, intellektuelle Bildung), die Kraft des Körpers („Hand“: Können, physisch-handwerkliche Bildung), die Kraft des Herzens („Herz“: Wollen, religiös/ sittliche Bildung). Diese 3 Kategorien wurden mit der Curriculum-Diskussion (der 60eer/ 70er Jahre, vgl. Kap. 6) aufgegriffen und (dem Zeitgeist entsprechend) wissenschaftlich formalisiert. Sie haben unter dem Aspekt der „Lernzieltaxonomie“, d.h. der Klassifikation der Unterrichtsziele nach Dimensionen (z.B. nach BLOOM et al. 1972, vgl. EKR 1996, S.172 ff., MAGER 1965), einen besonderen Stellenwert erhalten (zur Konkretisierung vgl. Tab. ##). Die Hauptkategorien oder -dimensionen lassen sich umschreiben mit: 1. Wissen/ intellektuelle Fertigkeiten/Denkvermögen: Kognitive Dimension. 2. (Praktische/s) Fertigkeiten/ Können Psycho-motorische Dimension. 3. Einstellungen/ Überzeugungen/ soziales Bewußtsein: Affektiv/ soziale Dimension. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2— 5 Die Begriffe decken sich allerdings nicht ganz. Unterschiedlich ist auch die Zuordnung geistiger Fertigkeiten (meistens wie oben zum kognitiven Bereich, seltener zum psycho-motorischen, der üblicherweise auf manuelle Anteile eingeschränkt wird), beim Experimentieren beispielsweise wird die Verzahnung besonders deutlich (Kap. 3.2). Die übliche Dimension der affektiven Ziele ist heute um die sozialen Ziele zu erweitern. Sie wird hier mit der affektiven Dimension vereint, um nicht eine 4. Dimension neu einzuführen. Die affektiv/ sozialen Ziele werden gesondert (Kap. 2.1.7) behandelt, da sie dem Fach Biologie fremd und somit spezifisch für die Biologiedidaktik sind. Hinweis: Der Begriff der „Lernziel-Dimension“ paßt zu dem Begriff Dimension in der Mathematik/ Physik (hier sind die n Dimensionen [eines n-dimensionalen Vektorraumes der Mathematik bzw. die 4 Dimensionen des dreidimensionalen geometrischen Raumes in Verbindung mit der Zeit als 4. Dimension in der Physik] aufgespannt durch je einen linear unabhängigen Vektor, d.h. – in die Alltagssprache übertragen – frei mit einander kombinierbar), da auch bei den Ziel-Dimensionen der Lerntheorie die kognitiven, die psycho-motorischen und die affektiven Ziele unabhängig von einander gesetzt und frei mit einander kombiniert werden können. Statt einer Diskussion der unterschiedlichen Einteilungen werden einige Beispiele gegeben: Ein Beispiel aus dem Bereich der Wirtschaft (nach BIGALKE 1969, ergänzt) sind die folgenden Bildungskategorien: Sachwissen und seine Erweiterung („Forschung“) und Lernqualifikationen (logisches und sachsystemarisches Denken, Befähigung zum Problemlösen, zur Kreativität) kognitive Lernziele Naturwissenschaftliche Arbeitsweisen psychomotorische Lernziele Grundeinstellungen (Ethik/Moral; Motivationen) affektiv/ soziale Lernziele Für die kognitive Dimension formulierte Der Deutsche Bildungsrat 1970 die folgenden Anforderungsstufen (EKR 1985, S. 81): 1) Reproduktion: Wiedergabe von Sachverhalten aus dem Gedächtnis. 2) Reorganisation: Selbständige Neuordnung bekannter Sachverhalte zu einer neuen, komplexen Struktur. 3) Transfer: Übertragen von bekannten Zusammenhängen auf eine Struktur neuer Sachverhalte. 4) Problemlösen: Lösen neuartiger Aufgaben bzw. Finden neuartiger Erklärungen für bekannte Sachverhalte, konstruktive Kritik bekannter Lösungsvorschläge. Literatur BIGALKE, ##: Fachdidaktik und Forschung & Lehre. MNU 22: 257-264 (1969). BLÄTTNER, F.: Geschichte der Pädagogik. Quelle & Meyer, Heidelberg, 12. Aufl. 1966. BLOOM, B. et al.: Taxonomie vorn Lernzielen im kognitiven Bereich. Beltz, Weinheim 1972. KRATHWOHL, D. et al.: Taxonomy of educational objectives: Affective domain. Handb.2. Longman, New York 1964. MAGER, R.: Lernziele und Programmierter Unterricht. Beltz, Weinheim 1965. MEYER, H.: Trainingsprogramm zur Lernzielanalyse. Fischer-TB (FAT 3101). Fischer, Frankfurt,1974. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2— 6 2.1.5 Untergliederung der 3 Zieldimensionen auf Richtzielebene Die Untergliederung der 3 Zieldimensionen auf Richtziel-Ebene wird an einem Beispiel spezifiziert (Tab. ###; nach EKR 1996, S.175). Tab. ##: Gliederung der Unterrichtsziele für die 3 Zieldimensionen auf Richtzielebene (nach EKR 1996, S.175). Kognitive Dimension (vgl. BLOOM u.a. 1972) 1. Kenntnisse 1.1 von konkreten Einzelheiten: Begriffe, Einzelfakten 1.2 von Wegen und Mitteln für den Umgang mit konkreten Einzelheiten: Übereinkünf-te, Trends und Abfolgen; Klassifikationen und Kate-gorien; Kriterien, Methodologie 1.3 der Universalien und Abstraktionen eines Gebiets: Prinzipien, Generalisationen; Theorien, Strukturen 2. Verständnis 2.1 Übertragung 2.2 Extrapolation 3. Anwendung 4. Analyse von 4.1 Elementen; 4.2 Beziehungen; 4.3 Organisationsprinzipien 5. Synthese 5.1 Schaffen einer einheitlichen Kommunikation; 5.2 Entwerfen eines Plans oder Programms für eine Reihe von Operationen; 5.3 Ableitung einer Reihe abstrakter Beziehungen 6. Beurteilung (Evaluation) 6.1 nach innerer Klarheit; 6.2 nach äußeren Kriterien Affektive Dimension (vgl. KRATHWOHL u.a. 1972) 1. Aufmerksamwerden, Beachten 1.1 Bewußtsein davon 1.2 Bereitwilligkeit dazu 1.3 ausgew. Aufmerksamkeit 2. Reagieren 2.1 Einwilligung ins Reagieren; 2.2 Bereitwilligkeit zum R. 2.3 Befriedigung beim R. 3. Werten 3.1 Akzeptieren eines Wertes 3.2 Bevorzugen eines Wertes 3.3 Verpflichtung dem Wert 4. Organisation 4.1 Begreifen eines Wertes 4.2 Organisation eines Wertsystems 5. Charakterisierung durch einen Wert oder eine Wertstruktur 5.1 Allgemeine Einstellung 5.2 Charakterisierung Psychomotorische Dimension (DAVE, vgl. MEYER 1974) 1. Imitation 1.1 Imitationsimpulse 1.2 beobachtbare Wiederholung 2. Manipulation 2.1 Befolgen einer Anweisung 2.2 Selektion 2.3 Festigung eines Handlungsablaufes 3. Präzision 3.1 Reproduzieren 3.2 Steuerung 4. Handlungsgliederung 4.1 Sequenz 4.2 Harmonie 5. Naturalisierung 5.1 Automatisierung 5.2 Interiorisierung Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2— 7 2.1.6 Eine pragmatische Leitziel-Konkretisierung Für die Ebenen der Leit-/ Richtziele wird hier der folgende Vorschlag für Leitziel im Biologieunterricht mit Gliederung nach den Ziel-Dimensionen (als eine pragmatische Konkretisierung) eingebracht: 1) Kognitive Dimension Formenkenntnis einer Artenauswahl (einschließlich deren Biologie & Ökologie) Biologisches Verständnis von funktionalen Beziehungsgefügen auf den verschiedenen Organisationsebenen molekulare Ebene (Zytologie, Molekulargenetik), Ebene der Organe & Organismen (funktionelle Morphologie oder morphologische Physiologie); Ebene der Ökosysteme Globale Ebene: Erdball und unter Einschluß der Eingriffe des Menschen Verständnis der Dynamik und Geschichtlichkeit des Lebendigen, insbesondere der Evolution der Arten und der phylogenetischen Systematik als Stammbaum-Rekonstruktion aus rezenten Taxa Hintergrundverständnis (wie Erkenntnistheorie, Naturphilosophie) 2) Biologische Techniken und Arbeitsweisen (psychomotorische Dimension, vgl. Kap. 3.2) 3) Affektiv/ soziale Dimension (vgl. die Erziehungsaufgaben) Emotionaler Bezug zu den Lebewesen (Ehrfurcht vor dem Leben, Freude am Naturerleben, Freude an der verantwortungsvollen Pflanzen-, Tierpflege), Natur-/Umweltethik & -moral, Handlungsbezug von Wissen und Moral, Erziehung zur Selbständigkeit und Eigenverantwortung in der Gemeinschaft (auch in der Gruppenarbeit oder bei der inneren Differenzierung Förderung von Schüleraktivitäten (einzeln und in Gruppen) durch Unterrichtsformen wie Unterrichtsgespräch, forschender Unterricht, projektorientierter Unterricht, Arbeitsunterricht, außerschulische Aufgaben: innere Differenzierung (etc.) Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2— 8 2.1.7 Anmerkungen zu affektiv/sozialen Leitzielen Die affektiv/soziale Dimension der Lernziel-Taxonomien wird in den „objektiven“ Naturwissenschaften bewußt ausgespart. Sie ist aber ein wesentlicher Parameter im Schulunterricht auch der naturwissenschaftlichen Fächer und damit ein spezifisches Thema der Fachdidaktik und eine Verbindungsstelle zu den Erziehungswissenschaften. Die empirische Basis für die didaktische Forschung zu affektiv/ sozialen Parametern und Unterrichtszielen wurde von der Psychologie entwickelt. Das betrifft sowohl statistische Vorhaben (Testpsychologie) als auch die individuelle Diagnose (und ggf. Therapie: Psychotherapie). Affektiv/ soziale Ziele enthalten immer auch Wertungen, damit eine Ethik und Moral, die in einer pluralistischen und liberalen Demokratie im öffentlichen Schulwesen mit Schulpflicht nur in den absolut unstrittigen Bereichen zulässig sind. Der Lehrer, den sich die Schüler ja nicht aussuchen können, muß das besonders beachten; Ideologisierungen sind abzuwenden. Zur Vertiefung sei besonders auf die (einführenden Kapitel) in den Richtlinien NRW hingewiesen. Die vier Richtlinien zu den Schularten in der S I setzen sehr unterschiedliche Schwerpunkte und sollten hierzu sorgfältig (in Eigenarbeit ergänzend zur Vorlesung und dem individuell ausgewählten Lehrbuch zur Biologiedidaktik) studiert werden. Hier sei nur hervorgehoben, daß in dem Bereich der affektiv/ sozialen Ziele des Biologieunterrichts heterogene Komponenten vereint sind: die Motivation und das Interesse für die Unterrichtsgegenstände und für die biologischen Arbeitsweisen als Grundlage effektiven Lernens; das Naturerlebnis als emotionaler Hintergrund für den Biologieunterricht und als Voraussetzung für die "Ehrfurcht vor dem Lebendigen", den pfleglichen Umgang mit der Natur und allgemein für Tier- und Naturschutz; die Einstellungsänderungen (Ethik) und die Handlungsbereitschaft gemäß dieser Ethik (Moral) durch die Erziehungsaufgaben des BU: Ethik und Moral des naturwissenschaftlichen Arbeitens Ethik und Moral, d.h. Verantwortlichkeit im Umgang mit dem eigenen Körper: Gesundheitserziehung dem Sexualpartner (und ggf. dem eigenen oder angenommenen Kind): Sexualerziehung, den Mitmenschen: Friedenserziehung, der Natur: Umwelterziehung; und die Motivation zum Handeln, also der tätigen Umsetzung der Moral im Rahmen der demokratischen Struktur des Gemeinwesens (staatsbürgerliche Erziehung). die soziale Komponente (Lernen in der Klassen-/ Kursgemeinschaft, in Arbeitsgruppen, aber auch die Form der persönlichen Interaktion von Schüler und Lehrer [einschließlich des Komplexes der Motivation zum Lernen durch die persönliche Ausstrahlung des Lehrers bzw. der Lernblockaden durch Animositäten]); Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2— 9 Anzuführen wären hier auch die allgemeinen (nicht an die einzelnen Schulfächer gebundenen) Leitziele zur Persönlichkeitsentwicklung der Schüler und zur Erziehung zum „mündigen“ (gemeint ist verantwortungsbewußten) Staatsbürger einer freiheitlichen Demokratie (Details in den Richtlinien, vgl. Kap. 2,10 Staatsbürgerliche Erziehung). Literatur: DULITZ, B. & U.KATTMANN: Bioethik. Fallstudien für den Unterricht. Stuttgart 1990. ERHARD; R., U.GÜTH, H.ROTH & W.WICHARD: Akzente. Materialien zur Ethik im BU. Aulis/ Deubner, Köln 1992. HEDEWIG, R. & W.STICHMANN (Hrsg.): Biologieunterricht und Ethik. Bericht der Tagung Sektion Fachdidaktik im VDBiol in Iserlohn 1987. Aulis/ Deubner, Köln 1988. MOHR, H.: Natur und Moral. Ethik in der Biologie. Wiss. Buchges., Darmstadt 1987. MOHR, H.: Biologie und Ethik aus der Sicht der Naturwissenschaften. S. 24-31 in: HEDEWIG, R. & STICHMANN, W. (Hrsg.): Biologieunterricht und Ethik. Aulis/ Deubner, Köln 1988. 2.2 Die Problematik der „operationalisierten“ Unterrichtsziele 2.2.1 Der Begriff „operationalisierte“ Unterrichtsziele Den Anspruch der Wissenschaftlichkeit der Biologiedidaktik bestimmten in den 60er und 70er Jahren die Normen der gerade aufblühenden (in den USA bereits etablierten) empirischen (d.h. statistisch gesicherten) Curriculum-Forschung und -Entwicklung (Kap. 6.11). Wesentlich war die Lernerfolgs-Kontrolle der Curricula nach den Regeln der Testpsychologie. Die Form der Tests mußten dabei erfahrene Testpsychologen kontrollieren, sie aber konnten nicht die Validität, d. h. die Konformität der Tests mit den Zielsetzungen garantieren; diese war von den Didaktikern dadurch zu sichern, daß die (Fein-) Lernziele in Form von abfragbaren Aufgaben, als „operationalisierte Lernziele“ zu formulieren waren. Zu den Anforderungen an die Operationalisierung von Lernzielen zitiere ich aus der Einführung in das Curriculum-Konzept, die den IPNCurricula Biologie vorangestellt ist (z.B. EULEFELD 1974, S. 8): „Auch in älteren Lehrplänen hat es Angaben darüber gegeben, welche Ziele ein Unterricht erreichen soll. Die Formulierungen waren jedoch fast immer zu allgemein, um Maßstäbe anzugeben, die es erlaubt hätten, das Erreichen der Ziele zu überprüfen. Auch aus diesem Grunde stand in der Curriculum-Entwicklung lange Zeit die Forderung im Vordergrund, Lernziele müßten in jedem Falle so formuliert werden, daß ihr Erreichen objektiv überprüfbar sei. MAGER (1969) stellte folgende Kennzeichen für operationalisierte Lernziele auf: a) Beschreibung des (beobachtbaren) angestrebten Verhaltens der Schülers, b) Bezeichnungen des Gegenstandes, an dem das Verhalten gezeigt werden soll, c) notwendige Bedingungen zum Erfüllen des Verhaltens. Diesen Kriterien entspricht z.B. das Lernziel: „Eine Nachweisreaktion für Zucker nennen können (rostroter Niederschlag nach dem Kochen mit Fehling'scher Lösung)“. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 10 Lernziele gelten im Sinne von MAGER nur dann als operationalisiert, wenn ein beobachtbares und also meßbares Schülerverhalten angegeben wird. Nur vermutete oder subjektiv erschließbare Vorgänge wie „Erkennen“ oder „Fühlen“ erfüllen diese Kriterien nicht. Die Testpsychologen bestimmten dann nach ihren Regeln die Auswahlkriterien und die Auswahl für Vortest, Test und Behaltenstest. Sie forderten auch die statistische Absicherung, also eine hinreichend hohe Zahl von Schülern (mindestens 1000, d. h. etwa 30-35 Klassen in der S I). Das wiederum bedingte die Computerauswertung und damit die computergerechte Testgestaltung (Auswahlantwortverfahren/ multiple choice). Überdies mußte der Unterricht für die 30-35 Klassen so normiert werden, daß die Vergleichbarkeit gesichert war. Der Unterricht war dementsprechend spezifiziert vorzugeben und mit genormten Materialien auszustatten (Zu grundsätzlichen Fragen der Evaluierung vgl. Kap. 2.5.3). 2.2.2 Formulierung von Leitzielen in operationalisierter Form in IPN-Curricula Das Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften an der Universität Kiel wurde in den 60er Jahren (mit Mitteln der VW-Stiftung) als länderübergreifendes Forschungsinstitut eingerichtet und dann als Einrichtung der Bundesländer fortgeführt. Am Anfang stand die Curriculumsentwicklung mit empirisch gesicherter Evaluierung des Lernerfolges im Mittelpunkt. Dazu gehörten die eingehend spezifizierten Lernziel-Kataloge. Sie sollen hier als ein konkretes Beispiel angeführt werden. Bei der lernzielorientierten Curriculumentwicklung gab es jedoch zahlreiche verschiedene Ansätze mit unterschiedlichen Ordnungsprinzipien/ -schemata oder Taxonomien für die Lernziel-Kataloge (vgl. dazu den früheren Direktor des IPN, Prof. Dr. K. FREY, z.B. 1971). Zu einer Einigung auf eine allgemeine und allgemein anerkannte, für alle Lernzielbereiche überzeugende Taxonomie von Lernzielen kam es aber nicht. So wurde für die IPN-Unterrichts-Einheitenbank „Curriculum Biologie“ beschlossen, verschiedene Taxonomien auf einer etwas einfacheren Stufe zu kombinieren und praxisgerecht zu spezifizieren (vgl. SCHAEFER 1973). Dabei sollten zunächst fächer-übergreifend die allgemeinen (nicht fachgebundenen) Fertigkeiten und Einstellungen formuliert werden. Sie geben im Sinne von Leitzielen die Intentionen der geplanten Curricula für naturwissenschaftliche Schulfächer an (vgl. SCHAEFER 1971). Diese Lernziel-Kataloge entstanden nach Diskussionen auf internationalen und regionalen Tagungen. Sie sind den IPN-Curricula Biologie im Rahmen einer Einführung in das Curriculum-Konzept im allgemeinen und in die gewählte Lernzieltaxonomie im besonderen vorangestellt. Eine wird hier als Beispiel zitiert (Tab. ##, nächste Seite; aus EULEFELD u.a. 1974, S. 15; ähnlich ist die Tab. 7-1, S. 179 in EKR 1996): Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 11 2.2.3 Auswirkung der Lernziel-Operationalisierung auf die Zielauswahl: Die Operationalisierung ist bei einfachen Wissens- und Sachfragen zwar mühsam, aber relativ einfach, Verständnisfragen und nicht-kognitive (insbesondere affektive) Ziele sind jedoch schwer in eine operationalisierte Form zu bringen und damit computergerecht abzufragen. Mit dem Training im Operationalisieren werden letztere daher immer mehr reduziert und treten damit bei der Curriculum-Entwicklung in den Hintergrund (Tab. ##). Tab. ##: :Spezifizierung von operationalisierten Lernzielen nach Zieldimensionen gegliedert für die IPN-Curricula Biologie (aus EULEFELD u.a. 1974, S. 15): Allgemeine Fertigkeiten auf der rein kognitiven Ebene (mit steigender Komplexität): B Beobachten können (ohne Deutung registrieren) A Abstrahieren können (Superzeichenbildung) T Transfer vollziehen können (Übertragung abstrahierter Strukturen auf neue Sachverhalte) S Systematisieren können (ordnen, klassifizieren) L Logisch schließen können F Form und Funktion verknüpfen können P Problem lösen können: (1. Problem erkennen; 2. Lösungshypothese aufstellen; 3. Konsequenzen aus der Hypothese deduzieren; 4. Wege zur empirischen Kontrolle der Konsequenzen finden; 5. Prüfung der Hypothese anhand der Konsequenzen) Fertigkeiten auf der gemischt-pragmatischen Ebene: D Diagramme anfertigen und lesen können J Informationen beschaffen können ("wissen, wo") R Situationen rasch bewältigen können (umschließt B bis P einschließlich des Zeitfaktors) U Umweltbezug herstellen können (Einordnung des Wissens und Könnens in den Gesamtzusammenhang des täglichen Lebens) V Verbalisieren können (sich sprachlich sachgemäß ausdrücken) M Manuell operieren können (handwerkliche und künstlerische Techniken) Allgemeine Einstellungen: a Aktivität (Bereitschaft zur Mitarbeit) e Entscheidungsfreudigkeit (Mut zum Setzen von Prioritäten und Wertungen) g Positive Einstellung zum Leben in der Gemeinschaft (Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft, Toleranz gegen Andersdenkende) k Aufgeschlossenheit für die Belange des eigenen Körpers (Bereitschaft zur Anwendung von Kenntnissen auf Körperhaltung und Körperpflege) l Bereitschaft zum ständigen Lernen und Umlernen o Offenheit zum sinnlichen Erleben (Ausgleich für die einseitig rationale Beanspruchung des Menschen in der technisierten Welt) s Bereitschaft zur Selbstkritik (Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit; Bereitschaft, eigene Fehler und Irrtümer zu korrigieren) Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 12 Tab. ##: Häufigkeit von Lernzielinhalten vor und nach dem Training von Lehrern im Operationalisieren (aus EULEFELD/ u.a. 1974:14). Inhalte/Zielkategorien Anteile vor dem Training Anteile nach dem Training Rohwerte % Rohwerte 7 4% % Ethische Ziele 31 21% Pflanzenkunde allg. Pflanzenkunde einzelne Gattungen 18 8 10 12% 5% 6% 70 47 23 42% 28% 14% Tierkunde Allgemeine Tierkunde einzelne Gattungen 16 7 9 11% 5% 6% 56 37 19 33% 22% 11% 9 9 6% 6% 14 7 8% 4% 12 9 21 14 4 4 8% 6% 14% 10% 3% 3% 2 2 -9 -3 1% 1% -5% -2% Menschenkunde Technik Naturverständnis Natur- u. Gewässerschutz Formale Ziele Fächerübergreifende Ziele Ästhetische Ziele Andere Summe affektiv/formale Zielkategorien Summe kognitive Zielkategorien Summe insgesamt 78 52% 11 6% 70 48% 159 94% 147 100% 170 100% 2.2.4 Zusammenfassende Würdigung Der Schulunterricht ist auf individuelle Optimierung und intuitive Bewertung des Unterrichtserfolges ausgerichtet, eine Evaluation (als statistisch gesicherte Ermittlung) des Lernerfolges ist in der Schulpraxis nicht durchführbar. Entscheidend ist die Benotung (als individuelle Bewertung der Leistungen [nicht des Lernerfolges!) der Schüler. Eine Operationalisierung von Unterrichtszielen ist daher Huldigung eines Mode-Schlagwortes, sachlich unnötig und nur belastend. Sachlich unerklärlich (und Zeichen mangelnder Einsicht in die Belange der Operationalisierung) ist daher die Forderung mancher Studienseminare (und verschiedener fachdidaktischer Publikationen) nach operationalisierten Lernzielkatalogen für Lehrproben (also für eine individuelle Unterrichtssituation) im vergangenen Jahrzehnt (vereinzelt sogar bis heute); viele wertvolle Arbeitskraft wurde so verschwendet! Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 13 Literatur EULEFELD, G., G. SCHAEFER & K. DYLLA: IPN-Einheitenbank Curriculum Biologie. Biologisches Gleichgewicht. Unterrichtseinheit für die Klassenstufen 6-8. Lehrerheft, Aulis/ Deubner, Köln 1974. FREY, K.: Theorien des Curriculums. Beltz, Weinheim 1971. SCHAEFER, G.: Probleme der Curriculum-Konstruktion. BU 7 (4): 6-17 (1971). SCHAEFER, G.: Informationstheoretische Bemerkungen zur Ableitung von Unterrichtszielen. PdB 22: 1-6 (1973). 2.3 Die Richtlinien als amtliche Leitziel-Setzungen und Rahmenpläne der Verbände 2.3.1 Richtlinien(& Lehrpläne) Biologie NRW Für die allgemeinbildenden Schulen werden die Unterrichtsziele politisch bestimmt. Zuständig sind in Deutschland die Bundesländer mit ihren Kultusministerien, die sich aber in gewissem Rahmen auf Bundesebene („Kultusminister-Konferenz“ KMK) abstimmen und zunehmend auch EG-Richtlinien zu beachten haben. Die Leitziel-Vorgaben für die Schulen sind in den Richtlinien (gesondert nach Schulstufen und -arten) als Verordnung festgelegt. Sie enthalten i.d.R. eine breite Begründung und Spezifizierung der (Leit-) Ziele (sowie weitere Hinweise und Erläuterungen sowie die Stoffpläne (Kap. 4). Die Richtlinien sind damit eine wertvolle und anregende Ergänzung der Lehr- und Handbücher zur Biologiedidaktik. Diese sind i.d.R. Minimalpläne, die ein Pflichtpensum ausweisen. Es läßt dem Lehrer noch Freiräume für die Vertiefung von Pflichtthemen oder für eigene Schwerpunkte (vgl. HEDEWIG 1980, HEDEWIG & RODI 1982). Von Lehramtsstudierenden kann die Anschaffung der Richtlinien aus dem angestrebten Lehramt (bei SI zu SII beispielsweise die Richtlinien Gymnasiale Oberstufe und zumindest SI im Gymnasium) erwartet werden, damit sie jederzeit zum Nachschlagen bereit stehen. Die Kenntnis und Verfügbarkeit der Richtlinie ist zugleich eine gute Vorbereitung auf das Referendariat. Hier werden die Richtlinien nicht weiter diskutiert. Die Richtlinien NRW sind erschienen in der Reihe: Die Schule in Nordrhein-Westfalen. [Bis 1993 Zusatz: Eine Schriftenreihe des Kultusministers]. Herausgeber: Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung (MSWWF) NRW (bis 1993 Kultusministerium), Völklinger Str. 49, 40 221 Düsseldorf. Druck und Verlag: Ritterbach-Verlag, Rudolf-Diesel-Str. 5-7, (ab 1999; davor Ritterbach-Verlagsges., Rudolf-Diesel-Str. 10-12), 50 226 Frechen (sofern nicht anders vermerkt). Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 14 Aktuell gültige Richtlinien NRW: Sekundarstufe II: Gymnasium/ Gesamtschule. Richtlinien und Lehrpläne Biologie. Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II Gymnasium/ Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, 1999. Schriftenreihe Schule in NRW, Heft 4722. 1. Aufl. 1999. DM 16,80. Gültig bis 1999: Richtlinien Biologie. Gymnasiale Oberstufe. 1989 (unveränderter Nachdruck der 1.Aufl. von 1981). Materialien zur Leistungsbewertung Biologie Gymnasiale Oberstufe. 1989 (unveränderter Nachdruck). Richtlinien und Lehrpläne Biologie Gymnasium S I, 1993 (unveränderter Nachdruck der Neubearbeitung von 1991, sie ersetzt die vorläufigen Richtlinien von 1978), DM 16,10. Best.Nr. 3413 Richtlinien und Lehrpläne Biologie Realschule, 1993 (Neubearbeitung), DM 12,80. Best.Nr. 3309 (geringfügige Überarbeitung 1999) Richtlinien Naturwissenschaften Gesamtschule SI, 1980 (unveränd. Nachdruck der Fassung von 1990), DM 14,30. Best.Nr. 3108 Unterrichtsempfehlungen für den Wahlpflichtbereich I, Naturwissenschaften Gesamtschule, 1982, (unveränderter Nachdruck der Fassung von 1991), DM 8,40. Best.Nr. 31081 Richtlinien Biologie (Lernbereich Naturwissenschaften) Hauptschule, 1992 (veränderter Nachdruck der 1. Aufl. von 1989), DM 14,90. Best.Nr. 3204/1 Empfehlung Naturwissenschaften (Kl. 9&10) Hauptschule, 1980 (Greven Verlag Köln). Best.Nr. 32043 Literatur: HEDEWIG, R.: Biologielehrpläne im Wandel. S. 15-26 in: BEYER, L., D.ESCHENHAGEN & A.MEFFERT (Hrsg.): Biologieunterricht als Realität. Themenheft UB 48/49, 1980. HEDEWIG, R. & D.RODI (Hrsg.): Biologielehrpläne und ihre Realisierung. Bericht über die Tagung der Sektion Fachdidaktik im VDBiol in Hofgeismar 1981 mit dem Thema: BU, Lehrpläne, Didaktische Modelle und ihre Realisierung. Aulis/ Deubner, Köln 1982. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 15 2.3.2 Rahmenpläne und Resolutionen der Fachverbände Die Fachverbände (wie VdBiol, MNU) bemühen sich ebenfalls um die Aktualisierung und Optimierung der Leitziele und Rahmenbedingungen des Unterrichts. So hat gerade der Deutsche Philologenverband, der Berufsverband der Gymnasiallehrer, einen Reformvorschlag für die gymnasiale Oberstufe vorgelegt (GLASER 1995; zur Geschichte und dem Anteil von MNU vgl. KLEIN 1991). Hier soll darauf nicht weiter eingegangen werden. Hingewiesen sei exemplarisch auf ASSELBORN 1993, BERCK & GRAF 1987, SCHAEFER 1973, WEIGELT & GRABINSKI 1992. Literatur: ASSELBORN, W. (Hrsg.): Positionen zum Unterricht in Mathematik, in den Naturwissenschaften und in Informatik. Beilage zu MNU 46 (8): IV-XXVI (Dez. 1993. BERCK, K. & D.GRAF (Hrsg.): Rahmenplan des Verband Deutscher Biologen für das Schulfach Biologie. VdBiol. 7, Bremen, 1987. GLASER, H.: Notoperation am Abitur. Ein Reformvorschlag des Deutschen Philologenverbandes. Forschung & Lehre (Hochschulverband) 1995: 66-68 (1995). KLEIN, A.: Ringen um die mathematisch-naturwissenschaftliche Bildung. Geschichte der Jahre 1945-1990 des Vereins MNU. Dümmler, Bonn, 1991. SCHAEFER, G. (Hrsg. f.d. VdBIOL, Schulausschuß): Rahmenplan des Verbandes Deutscher Biologen für das Schulfach Biologie. MNU 26: 202-211 (1973). WEIGELT, C. & E.GRABINSKI: Pro Biologie. VDBiol-Schulumfrage: Leistungsfähigkeit und Handlungsbedarf. Biologie heute 402: 1-4 (Okt. 1992); (ausführlichere Fassung im Selbstverlag der Autorinnen). 2.4 Leitziel Ethik & formale Bildung des naturwissenschaftlichen Arbeitens; Vermeiden von Sachfehlern bei der didaktischen Reduktion (Vereinfachung) 2.4.1 Ethik und formale Bildung des naturwissenschaftlichen Arbeitens Naturwissenschaft ist zwar prinzipiell wertfrei, dennoch gibt es Grundeinstellungen, also ethische Normen zum wissenschaftlichen Arbeiten. Sie sind als Leitziele auf die Schulbiologie zu übertragen. Hier gehören sie zum Erziehungsauftrag der naturwissenschaftlichen Schulfächer und werden von den Fachdidaktiken besonders herausgestellt, weit mehr als in den Naturwissenschaften selbst. Manche Studierende hören erst in der Fachdidaktik davon. Ethik und formale Bildungsziele des naturwissenschaftlichen Arbeitens/ Unterrichts wurde schon bei LÜBEN vor über 150 Jahren formuliert (vgl. das Zitat in Kap. 6.2 nach HÖRMANN 1965: 26) und in den 50er Jahren als „Wesen und Wert des naturwissenschaftlichen Unterrichts“ (so der Titel eines viel beachteten Buches von KERSCHENSTEINER 1953) oder als Bildungswert des Biologieunterrichts intensiv diskutiert (vgl. SIEDENTOP 1964: 11/12): „Reifere Schüler gewinnen wirksame Hinweise für ihre menschliche Haltung aus der Einsicht in die biologischen Gesetze, denen sie selbst unterworfen sind. Aus der Erkenntnis, daß sie Glieder einer Lebenskette sind, erwächst das Gefühl der Verpflichtung gegenüber kommenden Generationen. Das Erfahren der Begrenztheit unserer menschlichen Erkenntnis verhindert geistigen Hochmut und erzieht zur Bescheidenheit“. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 16 „Der Biologieunterricht wirkt bei der geistigen Formung der Schüler mit. Wie jede naturwissenschaftliche Betätigung bildet er, indem er zu sachlicher Haltung erzieht. Das Naturobjekt ist vorgegeben. Der Beobachter muß von sich selbst, seinen Ansichten und Wünschen Abstand gewinnen und versuchen, vorurteilsfrei durch Beobachtung, Zeichnung und Beschreibung [bzw. planvolles Experimentieren] den Sachverhalt zu erfassen; er erfährt dabei den Wert sorgfältigen, geduldigen und kritischen Bemühens.“ „Wer beobachtete Tatsachen richtig verknüpft, lernt folgerichtig zu denken. Von hohem Bildungswert ist dabei, daß die biologischen Schlußfolgerungen und Aussagen stets im Prinzip durch die Erfahrung nachprüfbar sein müssen. Wer denkt, kann sich also jederzeit von der Richtigkeit seiner Schlüsse überzeugen, unredliches Denken läßt sich leicht entlarven.“ Zur Ethik des naturwissenschaftlichen Arbeitens gehören somit: Sachbezogenheit, d.h. absoluter Vorrang der Naturerfahrung, der Kontrolle jeder Aussage an der Natur (statt an Lehrmeinungen: recht hat nicht die Autorität, es zählt allein die Übereinstimmung mit der Realität). Strikte Trennung von Natur-Wahrnehmung (Beobachtung, Meßergebnisse) und Schlußfolgerung (Deutung/ Diskussion im Sinne von Theoriebezug). Das hatte schon JUNGE (1885/1907: 18) angemahnt: „Immer aber werden Beobachtung und Schlußfolgerung, also das, was das Kind gesehen hat, und das, was es sich denkt, scharf auseinander gehalten“. Objektivität, d.h. das Ausklammern der eigenen Befindlichkeit (und überhaupt von Ego-/ Anthropozentrik) beim Erkennen der Natur. Aufdecken (und Hinterfragen) der Grenzen der Aussagen (z.B. durch die Angabe der Bedingungen der Erkenntnisgewinnung: Kap. „Material & Methoden“ in wissenschaftlichen .Arbeiten). Überprüfbarkeit (Verifikation/ Falsifikation/ Modifikation) der Ergebnisse durch die Allgemeinheit. Universalität, d.h. Beschränkung auf allgemein gültige Phänomene und Aussagen, zufällige Ereignisse und Phänomen sind nicht Gegenstand von Naturwissenschaft. Sachlogik. Engagierte, aber emotionsfreie Faktendiskussion, gemeint ist die unvoreingenommene Diskussion verschiedener, zur Faktenbasis passender Hypothesen („Fragekultur“ als Dialektik von These und Antithese mit dem Ziel der Synthese bzw. als Ringen um die Wahrheit), ohne daß die Entscheidung für oder gegen eine Variante auch eine emotionale Bewertung ihrer Verfechter, also eine Entscheidung für oder gegen deren Vertreter (im Sinne von gut/schlecht oder fähig/unfähig) mit sich bringen darf. Vorläufigkeit aller Forschungsergebnisse, also Gültigkeit nur solange, bis neue Fakten eine Revision (als Modifikation oder Falsifikation) erfordern; vgl. das Zitat von Max PLANCK: „Die Endlosigkeit des wissenschaftlichen Ringens sorgt unablässig dafür, daß dem forschenden Menschengeist seine beiden edelsten Antriebe erhalten bleiben: die Begeisterung und die Ehrfurcht“. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 17 Redlichkeit und Bescheidenheit, Ächtung von Eitelkeit als Konsequenz. „In der Wissenschaft gleichen wir alle nur Kindern, die am Rande des Wissens hier und da einen Kiesel aufheben, während sich der weite Ozean des Unbekannten vor unseren Augen erstreckt“ (ISAAK NEWTON). Nicht besonders hervorheben möchte ich die Erziehung zu Gewissenhaftigkeit, Sorgfalt und Ausdauer, die Wissenschaft und das Arbeiten im naturwissenschaftlichen Unterricht generell auszeichnen sollten (zur Vertiefung vgl. KATTMANN u.a. 1988, VOLLMER 1990, 1993). 2.4.2 Zur Verantwortung des Naturwissenschaftlers über das Fach hinaus (soziale Verantwortung der Wissenschaft) Aus den vorstehenden ethischen Prinzipien der Biologie erwächst die Frage nach der Verantwortung des Naturwissenschaftlers über die Biologie als Naturwissenschaft hinaus. Naturwissenschaft kann sich damit nicht mehr auf die wertfreie und positivistische Beschränkung auf das Erfahrbare (d.h. mit den Mitteln der Naturwissenschaft erforschbare), nur verpflichtet des sachlichen Richtigkeit (der „Wahrheit“) berufen, denn auch Naturwissenschaft ist eingebettet in das soziale Umfeld! Die Frage „was können wir tun?“ ist also zu ergänzen um die Frage „was dürfen wir tun?“ (vgl. z.B. MOHR 1993). Besonders brisant ist diese Frage derzeit in der Gen- und Biotechnologie. Besonderheiten der Biologie sind dabei: die Dialektik von Universalität und der Einmaligkeit (Individualität) in Raum und Zeit (Dynamik) komplexer, synergetischer lebender Systeme (wie Arten oder Ökosysteme), die Dialektik von reduktionistisch/ deterministisch/ typologischem Paradigma mit dem ganzheitlich/ synthetischen Erfassen komplexer Systeme (Kap. ##), das Denken in Vernetzungen und in Bandbreiten mit individuellem Entscheidungsspielraum, die Dimension der Geschichtlichkeit und Unumkehrbarkeit, die oft nur Indizienschlüsse und semiquantitative Aussagen zuläßt. Diese Systembiologie hat aber Modellcharakter und einen hohen formalen Bildungswert für die ähnlich strukturierten, aber noch komplexeren menschlichen Sozialsysteme. Nicht vergessen werden darf dabei die Dialektik von Bildung und Fachwissen (nach SCHLEICHER 1991): „Bildung ohne Fachwissen ist ohnmächtig, Fachwissen ohne Bildung ist gefährlich!“ Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 18 2.4.3 SpektakuläreVerstöße gegen die Redlichkeit in der biologischen Forschung In der Frage der Redlichkeit ist in jüngerer Zeit eine Aufweichung der Normen bei verschiedenen Wissenschaftlern zu beobachten (vgl. Kap. ##8.7##). Damit möchte ich nicht darauf anspielen, daß in einigen wenigen Einzelfällen vorsätzlich Forschungsergebnisse gefälscht (d.h. geschönt) worden sind, um die eigenen Chancen (in der Karriere oder für die Mitteleinwerbung) zu erhöhen (####). Es beginnt schon damit, daß das Überschreiten des eigenen Kompetenzbereiches nicht sorgfältig beachtet wird (vgl. MOHR 1993, aaO.), daß man sich also nicht in einem Bereich, in dem man nicht richtig kompetent ist, mit dem Anschein des Fachmannes äußert (heute verbreitet in Umweltfragen). Auch wird beim Zitieren in einer wissenschaftlichen Arbeit nicht selten eine Auswahl nach Freundes- oder Gesinnungskreisen getroffen („Zitier-Kartelle“), man kann (als Kenner) dann schon aus dem Literaturverzeichnis diese ablesen (vgl. Kap. 3.3.3, die dort genannten Arbeiten zum Nervenfunktionsmodell zitieren die ursprünglichen Arbeiten von SCHAEFER nicht). Es können Textpassagen, erst recht Abbildungen übernommen werden, ohne daß der Ursprung angegeben wird (z.B. Abb. 3 in MUDRACK & KUNST 1988, ohne jedes Zitat [und ohne jede Absprache mit dem Autor] übernommen aus SCHMIDT, E. Ökosystem See, 1974). In unseren Seminaren wird bei den Literaturzitaten und noch mehr bei den Quellenangaben zu Abbildungsvorlagen oft gesündigt: Wissenschaft lebt (im Gegensatz zur Wirtschaft mit Patentschutz) von der Publikation und unentgeltlichen Benutzung der Ergebnisse anderer, doch ist der Ursprung anzugeben! Das technisch einfache Abrufen aus dem Internet hat diese Problematik des geistigen Diebstahls noch verschärft! 2.4.4 Fatale Folgen von Fahrlässigkeit bei wissenschaftlichem Arbeiten Einführung. Vorsatz oder Fahrlässigkeit beim wissenschaftlichen Arbeiten haben verschiedentlich zu fatalen Folgen für die menschliche Gesellschaft geführt. Die großen Errungenschaften der Naturwissenschaften dürfen den Blick dafür nicht versperren, die besondere Sorgfaltspflicht für die Langzeit-Folgen muß eingefordert werden. Das Beispiel Bisam (und andere Aussetzungen weltweit). ## Aussetzen aus jagdlichen Gründen, wird noch ausgeführt ##. Für Probleme durch von Europäern importierte oder eingeschleppte Tiere aus ihrer Heimat (aus Nostalgie oder zur Jagd) oder durch verwilderte Haustiere gibt es Legionen von Beispielen (Katzen, Ratten z.B. auf Galapagos; Kaninchen, Pferde, Dromedare z.B. in Australien). Auch militante „Tier-, Natur-Schützer“ liefern unrühmlich Beispiele (z.B. Aufbrechen von Käfigen von Mink-Farmen in Westfalen/Lippe und Freilassen großer Zahl von Zuchttieren in eine für sie unpassende Umwelt). Selbst das Aussetzen der an sich gefährdeten Kleinfischart Moderlieschen durch den Naturschutz in Naturschutzgebieten kann durch Massenvermehrung der Fische, die hier keine Freßfeinde (wie Hechte) haben, dann die effektiven Großfiltrierer (wie Wasserflöhe) eliminieren, damit Wasserblüten (Massenvermehrung von Planktonalgen) erzeugen und so z.B. die submerse Vegetation vernichten, also den Schutzzweck konterkarieren! Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 19 Selbst die starke Verbreitung des Riesenbärenklaus (z.B. in den Ruhrauen in Essen), der durch „Verbrennungen“ (bei Berührung im Sonnenschein) Kinder und Freizeitnutzunger extrem gefährdet, soll auf Ansalbungen von Imkern zurückgehen, die über die großen Doldenblüten die hochsommerliche Bienenweide verbessern wollten. Mit dem Flußwasser werden dann die Samen flußabwärts ausgebreitet und können die Überschwemmungsbereiche flächendeckend besiedeln. Das dürfte auch für das Indische Springkraut (eine Gartenpflanze und Bienen-/ Hummelblume) gelten, die sich ebenfalls nicht nennenswert flußaufwärts ausbreiten kann. Das Beispiel Verseuchung der Honigbiene mit der ostasiatischen Varroa-Milbe. Fahrlässigkeit in der Forschung (hier in der Bienenforschung) verursachte die Verseuchung der europäischen Bienenstöcke mit der ostasiatischen Varroa-Milbe, einem gefährlichen Parasiten unserer Honigbiene, die an diesen Fremdling nicht angepaßt ist. ### noch auszuführen ###. Das Beispiel Verseuchung der Menschheit mit HIV (AIDS) durch ärztliche Maßnahmen/ Forschung & Entwicklung: AIDS, die oft tödliche Immunschwäche, eine Virus-Erkrankung (HIV: Human Immunodeficiency Virus), ist die größte aktuelle Herausforderung für die Infektionsmedizin (zu Details und zur Grundlage der nachstehenden Ausführungen vgl. FELDMEIER 2000). Die Infektion erfolgt über Blutkontakt oder Geschlechtsverkehr. Die Ansteckung durch Geschlechtsverkehr ist wirksam durch Kondome und Vermeidung von Promiskuität auszuschalten, die Übertragung von infizierten Schwangeren an ihr Kind im Mutterleib kann mit Medikamenten verhindert werden. Dennoch gab es 1999 ~35 Mio Infizierte, >5 Mio Neuinfektionen, und >2,5 Mio AIDS-Tote! Besonders betroffen ist Tropisch-Afrika mit fatalen Folgen für die betroffenen Staaten. Infektionen durch ärztliche Maßnahmen kamen selbst in Europa bei Bluttransfusionen in Krankenhäusern durch verseuchte Blutproben (aus Entwicklungsländern bei ungenügender Kontrolle) vor, das dürfte in Europa inzwischen „im Griff“ sein. In Entwicklungsländern bleibt das Risiko der Infektion über mangelhaft sterilisierte Spritzen. Das HI-Vorläufer-Virus ist ein Blutvirus bei afrikanischen Affen (wie Schimpansen), Infektionen von Affenjägern über das Blut erlegter Affen (auch beim Verzehr?) kamen bei afrikanischen Naturvölkern gelegentlich vor, sie breiteten sich aber wegen der Übertragung allein über Blutkontakte und der gefestigten, geschlossenen, immobilen Gruppenstruktur der Naturvölker praktisch nicht aus. Inzwischen hat das Virus aber auch den Infektionsweg über den Geschlechtskontakt erschlossen und die Virulenz gesteigert. Im Afrika der Nachkriegszeit ist die Mobilität aus den entlegenen Gegenden vor allem bei den jüngeren Männern durch den Straßenbau/ LKW-Verkehr, in die Ballungsräume zur Arbeitssuche oder auch durch die Rekrutierung für den Militärdienst mit zentraler Kasernierung extrem angestiegen. Gleichzeitig wurden Promiskuität und Prostitution üblich. Damit konnten selbst einzelne im Busch „auf natürlichem Weg“ infizierte Männer AIDS flächendeckend ausbreiten. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 20 EDWARD HOOPER, Journalist und UN-Mitarbeiter in Zentralafrika, kamen aus einer guten Kenntnis der Verhältnisse vor Ort Zweifel an dem „natürlichen Ursprung“ von AIDS: Er sammelte überzeugendes Indizien-Material dafür, daß AIDS die Folge eines eklatanten ärztlichen Fehlers bei der Entwicklung und Erprobung eines Impfstoffes gegen die Kinderlähmung ist, so daß dann ein glanzvoller Erfolg im Kampf gegen eine Seuche eine andere schlimme Seuche zum Problem gemacht hat! Bei der Entwicklung des Polio-Impfstoffes Anfang der 50er Jahre konkurrierten 2 Forscher aus den USA. Die Kultur von Polioviren konnte damals nur auf AffenNierenzellen erfolgen. Der eine der beiden Forscher, HILARY KOPROWSKI, benutzte dafür Tiere (wohl auch einzelne infizierte Schimpansen) aus seiner Station im Kongo (damals Belgisch-Kongo). Der Impfstoff wurde in Philadelphia hergestellt und an der erwachsenen Bevölkerung im Kongo (Kongo, Ruanda, Burundi) mit zwangsweiser Schluckimpfung erprobt (~1 Mio Menschen 1957-60). Am gleichen Ort zur gleichen Zeit traten dann die ältesten belegten AIDS-Fälle auf. Die Epidemologie paßt zu diesem Infektionsherd, auch wenn sichere Beweise nicht mehr zu erbringen sind (u.a. weil die Versuchsprotokolle untergegangen sind). Ethisch verwerflich ist im übrigen auch schon die Benutzung der ahnungslosen Eingeborenen als „Versuchskaninchen“. So ist gerade bei der medizinischen Forschung eine besondere Sorgfaltspflicht auch hinsichtlich der Nebenwirkungen einzufordern (vgl. Kap. 2.1.1: „Was auch immer Du tust, handle weise und bedenke die Folgen!“). Literatur FELDMEIER, H.: AIDS eine durch ärztliche Maßnahmen bedingte Infektion? Edward Hooper’s provokante These über den Ursprung der Immunschwäche in Afrika. Naturw. Rundschau 53 (11): 569-571 (2000). 2.4.5 Gravierende Sachfehler in Schulbüchern und in didaktischen Quellen Einführung: Die didaktische Reduktion (Vereinfachung im Blick auf die Adressatengruppe) und damit die didaktischen Rekonstruktion der fachlichen Inhalte kann so weit gehen, daß die Aussagen/ Beispiele sachlich falsch werden. Das widerspricht unstrittig den Prinzipien des Bildungswertes. Es erstaunt, wie oft sich dennoch gravierende Sachfehler in die didaktischen Materialien, selbst in die Richtlinien einschleichen. Die Lehrer sind daher (schon im Studium) aufgerufen, die Materialien für ihren Unterricht stets kritisch zu hinterfragen. Einfach und wirksam ist es, Querverbindungen herzustellen, also die Funktionalität von Zusammenhängen zu prüfen und die eigenen biologischen Erfahrungen aus anderem Kontext, insbesondere aus dem Alltag, mit heranzuziehen. Das wird ja sowieso von den Schülern verlangt, also sollte der Lehrer bei sich selbst bei der Unterrichts-Vorbereitung beginnen. An einigen wenigen Beispielen soll das Vorgehen aufgezeigt werden. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 21 Irreale Nahrungsketten/ Nahrungsnetze: Ein einfaches Beispiel für Sachfehler sind viele der üblichen Grafiken zu Nahrungsbeziehungen (wie Nahrungsketten/-netze). Dabei will ich gar nicht ansprechen, daß ungewichtete Pfeile ökologisch nichts bedeuten (vgl. REMMERT, H.: Ökologie. Ein Lehrbuch. Springer, Berlin, 5.Aufl. 1992), wesentlich ist vielmehr nur, ob durch den Fraß die Nahrungsquelle in ihrem Bestand deutlich verändert wird. Selektiver Fraß bevorzugter Pflanzen schaltet diese aus (z.B. Bergahorn-Jungwuchs im Flachland durch Rehe), Arten mit hohem Regenerationsvermögen werden gefördert, insbesondere wenn überlegene Konkurrenten durch den Fraß zurückgedrängt werden (Laubbaum-Nachwuchs in der Koppel), Fraßvermeidung bedeutet Förderung (Disteln & -Dorngebüsche in der Koppel). Oft werden (in der didaktischen Literatur) in den Nahrungsketten Arten verbunden, die sich wohl fressen könnten, sich aber in der freien Natur praktisch nicht begegnen (vgl. das Beispiel aus STAECK [1987, S. 112]: „Grünalge“ Wasserfloh Gelbrandkäferlarve Gründling Hecht Möwe): Der Begriff Grünalge ist hier zu vage, oft mit Fadenalgen assoziiert und dann nicht Nahrung für Wasserflöhe; große Gelbrandkäferlarven lauern Kaulquappen und Insektenlarven auf, aber nicht Wasserflöhen; Gründlinge sind Bodenfische offener Bereiche und treffen dort nicht auf Gelbrandkäferlarven oder Hechte, die wiederum nicht von Möwen erreicht/überwältigt werden können; so stimmt das Beispiel von vorn bis hinten nicht! Die BERGMANN‘sche Regel bei Pinguinen: Verdummung der Schüler als Chance zur ökologischen Vertiefung: Ausgang: STAECK (19874: 251), zum fachlichen Hintergrund vgl. URANIA-TIERREICH, Leipzig, [Bände Vögel, Tiergeographie 1995], als fachlich hervorragendes Sachbuch REINKE-KUNZE, C.: Pinguine. Westermann, Braunschweig, 1993, dito, aber als Kinderbuch mit guter Bebilderung und didaktisch wertvollem Frageschema: CULIK, B.: Pinguine. „Was ist was? – Band 107, Tessloff, Nürnberg 1998). Die BERGMANN'sche Regel (Größenzunahme von [terrestrischen] Warmblütlern zu den Polen hin) ist direkt plausibel (mit der Größe nimmt relativ das Volumen [Fähigkeit, Wärme zu erzeugen] zu, die Oberfläche [Wärmeverluste] ab, zugleich wird der Grundstoffwechsel ökonomischer). Das Beispiel Pinguine mit der linearen Abstufung vom Kaiserpinguin (1,2 m) auf dem antarktischen Festland bis zum Galapagos-Pinguin (0,5 m) am Äquator (W Ecuador) scheint gut zu passen und ist so in vielen Schulbüchern zu finden, oft zum Thema Evolution. Nun gibt es zu den fantastischen Anpassungen der Pinguine an den extremen Brutplatz in der Antarktis auch ausgezeichnete Naturfilme im Fernsehen, die viele Schüler kennen: Neben dem Kaiserpinguin (1,2 m) wird im Film auch die zweite, viel kleinere Art der Antarktis, der Adelie-Pinguin (0,7 m), gezeigt. Er paßt nicht in das Schema und wird in den Schulbüchern einfach unterdrückt. Das ist schlicht unredlich (Verdummung der Schüler) und widerspricht den Prinzipien der Didaktischen Rekonstruktion! Querdenker unter den Schülern müßten daher unbequem nachfragen. Zum Glück für die Lehrer bleiben die beiden Schubladen (Alltagserfahrung der Fernsehfilme und Schulunterricht) getrennt. Dabei wäre die Querverbindung spannend: Offenbar gibt es einen anderen wesentlichen Faktor (Nahrungserwerb/ Feindschutz), der die kleinere Art in der Antarktis begünstigt. Auch für den Inselring um die Antarktis (mit Falkland-Insel, Südgeorgien, Kerguelen) herum wird nur der zweitgrößte Pinguin, der Königspinguin (0,96 m) genannt. Dabei brütet er Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 22 mit verschiedenen anderen Arten (wie Eselpinguin, 0,76 m, Goldschopfpinguin, 0,71 m und Felsenpinguin, 0,63 m) zusammen. Die kleinste Pinguinart, der Zwergpinguin (0,4 m, mit eigentümlicher Brutbiologie und Tagesperiodik), wird im übrigen „natürlich“ auch nicht einbezogen, dabei liegen seine Brutplätze an der SKüste von Australien und auf Neuseeland auf der gleichen Breite wie die der deutlich größeren Esel-/Zügel-P. [0,76 m, z.T. dort zusammen mit dem Königs-P.!]. Brillen-P. [0,65 m, S-Afrika] und Humboldt-Pinguine [0,68 m, Chile] Das Pinguin-Beispiel ist jedoch auch schon deshalb kritisch, weil die Pinguine generell nur in Kaltwasserströmen (die über auftreibendes, nährstoffreiches Wasser plankton- und damit fischreich sind) vorkommen. Auch der Vorstoß bis zum Äquator bei den Galapagos-Inseln ist an den Perustrom gebunden. So ist die Zuordnung zum Klima unklar. Die Kritik muß das Pinguin-Beispiel auch als prinzipiell ungeeignet ansehen, denn die BERGMANN'sche Regel gilt nur für Unterarten ein und derselben Art, nicht für verschiedene Arten einer Ordnung (wie bei den Pinguinen): So sind bei der Art Braunbär die Unterarten Kodiakbär (Alaska) und der Kamtschatka-Bär (Ostsibirien) mit 3 m Länge in der Tat die größten Braunbären, größer als der Grizzly-Bär Nordamerikas (2,3 m); besonders klein sind der Isabellbär aus Südsibirien, dem Kaukasus und Kleinasien oder der Alpenbär (beide 1,8 m). So gesehen ist die schulübliche Darstellung der Pinguine als Beispiel für die BERGMANN'sche Regel nur als Verdummung der Schüler zu brandmarken. Sie kann aber auch als Herausforderung zu einer ökologischen Vertiefung angenommen werden: Sie erfordert eine Anschauungsbasis. Gut geeignet ist dafür der Zoo. Es werden (in offenen Anlagen) üblicherweise Brillen-Pinguine (Afrikanischer B., Humboldt-P.) gezeigt. Als Schutz gegen die Luftverschmutzungen hält z.B. der Zoo Wuppertal die empfindlichen Esels- und den Königspinguin in verglasten Hallen, im LöbbeckeMuseum Aquazoo Düsseldorf sind Eselspinguine im Kühlhaus zu sehen. Zu erarbeiten sind vor Ort die Gestalt, das aufrechte Gehen, das Schwimmen und Tauchen (Antriebe über die Flügel, Wendigkeit durch Füße/Schwanz), die systematische & geografische Einordnung der Art (vgl. Arbeitsbogen). Aus dem Verbreitungsbild der Pinguine ergibt sich ein Arten-Maximum von mittelgroßen Arten rund um den Südpol in der Packeiszone (ein 2. Artenmaximum liegt weiter nördlich im Raum S-Neuseeland/ S Australien/ Tasmanien; am weitesten nördlich lebt dort der Zwerg-P. als Höhlenbrüter, der nur nachts an Land (zu seinem Nest) geht; diese Arten sind nicht bei uns in den Zoos). Nach Norden hin paßt in Südamerika die umgekehrt formulierte BERGMANN'sche Regel (Kleinerwerden zum Äquator hin, dazu Brüten in Höhlen) für die 3 Brillenpinguin-Arten, also in einem Verwandtschaftskreis. Interessant ist der Vergleich der Antarktis-Brüter, also vom großen Kaiser- und vom kleineren Adelie-Pinguin. Sie stellen allein auf Grund ihrer Größe 2 verschiedene Ökotypen dar. Der Kaiserpinguin taucht tiefer, länger nach Fischen, der Adelie-P. nach Krill. Der Adelie-Pinguin legt 2 Eier auf das schneefreie antarktische Festland, die Jungen werden noch im kurzen antarktischen Sommer „flügge“ (schwimmfähig). Für den großen Kaiserpinguin reicht der antarktische Sommer nicht dafür. Er brütet in Festlandnähe auf dem im Winter mehrere 100 km breiten Eis. Paarung und Eiablage erfolgen im Herbst/ zu Beginn des Winters, die kehren dann ins Meer zurück, die sind im Trupp ohne Nahrungsaufnahme dem extremen Polarwinter im Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 23 Dauerdunkel ausgesetzt. Das überstehen sie nur dank ihrer Größe. Kaiserpinguine haben kein Nest, das Ei liegt auf den Füßen, überwallt von einer Bruttasche: Damit bleibt der brütende Pinguin mobil (kann z.B. brütend vom eisigen Rand des Trupps in die wärmere Mitte wechseln), eine einmalige Angepaßtheit bei Vögeln! Kurz nach dem Schlüpfen des Jungen wird es noch vom mit einem Sekret gefüttert, dann sollte das wieder mit Futter für 1 Monat zurückkehren und das ablösen. Zum Hochsommer hin löst sich die Eisscholle und treibt mit den noch nicht schwimmfähigen, aber schon mobilen Jungen aufs Meer hinaus; meistens löst sie sich erst auf, wenn die Jungen in das schwimmfähige Federkleid gewechselt sind. Auch beim Königspinguin reicht der Sommer nicht für das Flüggewerden der Jungen. Hier beginnt die Brut auf dem Festland im Frühjahr, die riesigen, fetten Dunenjungen müssen im Trupp den Polarwinter „ausstehen“, nur gelegentlich von den Eltern gefüttert, erst im nächsten Sommer werden sie schwimmfähig. Die beiden großen Pinguin-Arten können so nur 2 Bruten in 3 Jahren aufziehen, dazu müssen sie an Land den Polarwinter überstehen, das ist nur dank der Größe möglich, ein interessanter Zusammenhang, zu dem die Auseinandersetzung mit der hier nicht gültigen BERGMANN'schen Regel führen kann. Aus der verwerflichen Schülerverdummung wird damit ein spannendes Kapitel Ökologie. Die ALLEN’sche Regel: Die gleiche Kritik gilt im übrigen für die ALLEN'sche Regel (mit der umgekehrten Aussage über die Proportionen der Extremitäten) hinsichtlich des Beispiels Füchse, denn der Wüstenfuchs (Fenek) mit seinen großen Ohren ist ökologisch nicht mit unserem Fuchs oder dem Polarfuchs vergleichbar. Auch haben innerhalb der Gattung Equus z.B. das Wildpferd aus den mongolischen Kaltsteppen und das Steppenzebra aus den tropischen Savannen Afrikas bei gleicher Lebensweise etwa gleich kleine Ohren, Afrikanischer Wildesel und Grevy-Zebra aus der gleichen Region aber deutlich größere. Der Schneehase hat zwar kleinere Ohren als der Feldhase, aber viel größere als der Polarfuchs. Unter den Bären hat der tropische Malayenbär extrem kleine Ohren. Auch die ALLEN'sche Regel ist eben nicht auf (ökologisch) verschiedene Arten anwendbar! Literatur: HÖRMANN, M.: Methoden des BU. Die Bildungsarbeit der Volksschule. Methodik ihrer Stufen und Fächer. Kösel München, 2.Aufl. 1965. JUNGE, F.: Der Dorfteich als Lebensgemeinschaft. Lipsius & Tischer, Kiel, 1885. Nachdruck (der 3. Aufl. von 1907) mit Vorwort/ Einführung von JANßEN, W, W. RIEDEL & G. TROMMER. Lühr & Dircks, St. Peter-Ording 1985. KATTMANN, U., E.JUNGWIRTH. & D.WITTE: Beachten logischer Strukturen im BU. UB 139: 42-46, 1988. KERSCHENSTEINER, G.: Wesen und Wert des naturwissenschaftlichen Unterrichts. Oldenbourg, München, 1953, 5. Aufl. 1959. MOHR, H.: Die besondere Verantwortung des Wissenschaftlers was steckt eigentlich dahinter? Biologen in unserer Zeit (VdBiol.) Nr. 405 [1993 (2)]: 20-22 (1993). MUDRACK, K. & S.KUNST: Biologie der Abwasserreinigung. Fischer, Stuttgart 1988 SCHLEICHER, K: Umweltbildung, Umweltverantwortung, Umwelthandeln. S. 107-143 in: GÄRTNER, H. & M.HOEBEL-MÄVERS, (Hrsg.): Umwelterziehung - ökologisches Handeln in Ballungsräumen. Krämer, Hamburg 1991. SIEDENTOP, W.: Methodik & Didaktik des Biologieunterrichts. Quelle & Meyer, Heidelberg 1964. VOLLMER, G.: Naturwissenschaft Biologie . Aufgaben und Grenzen I, II. Biologie heute (VdBiol.) Nr. 371 (1990 [1]): 3-7, Nr. 372 [1990 [2]): 1-4 (1990). VOLLMER, G.: Warum haben wir keine Frage-Kultur? Wissenschaft lebt von Problemen. Forschung & Lehre (Hochschulverband) 1993: 148-152 (1993). Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 24 2.5 Leitziel individuelle Unterrichtsoptimierung statt Curriculum-Normierung 2.5.1 Einzelfall-Optimierung als Ziel akademischer Ausbildung Die Erfordernisse der Testtheorie bedingen die Normierung des Unterrichts (Primat der statistischen Sicherung!). Das ist jedoch dem didaktischen Prinzip der bestmöglichen Anpassung an die individuelle Unterrichtssituation diametral entgegen gesetzt. Sie widersprechen damit zugleich dem Grundsatz akademischer Berufspraxis: Die akademische Ausbildung soll ja den Praktiker dazu befähigen, die komplexe, nicht von einfachen Regeln erfaßbare individuelle Situation angemessen zu erkennen, zu bewerten und zu behandeln (individuelle Diagnose und Therapie). Das gilt für den Patienten des Mediziners gleichermaßen wie für den Klienten des Rechtsanwaltes oder den Delinquenten vor dem Richter, hier für die Unterrichtseinheit des Lehrers. In den 60er und 70er Jahren hatte die akademische Fachdidaktik diese Grundsätze aus Gründen formaler Kriterien für die Anerkennung als empirische Wissenschaft zurückgestellt. Auch beim IPN (Kap. 2.2) war die formgerechte Evaluation des Lernerfolg der entscheidende Maßstab für die Gutachter die Sicherung der InstitutsFinanzierung durch die VW-Stiftung. Zur Realisierung des Bildungsauftrages der Schule müssen aber die Adressaten, Kinder und Heranwachsende, optimal angesprochen und zur Mitarbeit motiviert werden. Dazu müssen sie als individuelle Persönlichkeiten gesehen und ihre besonderen Neigungen, Erfahrungen und Umfeldbezüge berücksichtigt werden. Dazu gehört auch das spezifische Beziehungsgefüge in der jeweiligen Lerngruppe. Auch aktuelle Bezüge sind in das Unterrichtskonzept mit einzuarbeiten. Jede (gelungene) Unterrichtsstunde zu dem gleichen Thema und in der gleichen Schule, aber mit verschiedenen Klassen muß daher verschieden sein. Normierte Unterrichtseinheiten (wie die IPN-Curricula, z.B. EULEFELD et al. 1974, KATTMANN et al. 1974 sowie ELLENBERGER 1993, MOSTLER et al. 1975) hatten verständlicherweise daher auf Dauer nur eine geringe Resonanz bei den Fachlehrern 2.5.2 Evaluation der Qualität einer Unterrichtseinheit, Utopie oder Realität? Im Sinne der empirischen Lehr-/Lernforschung ergibt sich bei der Konstruktion von Unterrichtseinheiten das Dilemma der Dialektik vom hier obligatorischen Prinzip der Allgemeingültigkeit und der individuellen Optimierung. Die für die statistische Sicherung notwendige Normierung des Unterrichts (z.B. für 1000 Schüler) und die Relativierung der Lehrerpersönlichkeit stehen in eklatantem Gegensatz zur individuellen Optimierung des Unterrichts (vgl. ELLENBERGER 1993). Bei dieser muß daher aus prinzipiellen Gründen eine objektive (empirisch gesicherte) Evaluation Utopie blieben. Das zeigt sich auch an den IPN-Unterrichtseinheiten (SCHROOTEN 1971), bei denen der hohe Entwicklungs-Aufwand vorwiegend in die Sicherung des Testapparates gegangen ist, während die Qualität der diesen Curricula zu Grunde liegenden inhaltlichen und methodischen Innovationen begrenzt bleiben mußte und mit der (wegen der Operationalisierung der Lernziele weitgehend auf die kognitiven Items beschränkten) Lernerfolgsmessung auch gar nicht objektiv und vergleichbar Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 25 bestimmt werden konnte. Überdies macht das individuelle Lernziel-Paket eines jeden Curriculums die statistisch gesicherten Lernerfolgs-Werte schon unter verschiedenen Curricula unvergleichbar. Diese Curriculums-Evaluationen waren damit vor allem akademisch interessant. In der empirischen Lehr-/Lernforschung wird dieses Problem dadurch umgangen, daß die Einstellungen der Schüler in den Mittelpunkt gestellt und (ggf. gesondert vom Schulunterricht: KATTMANN Nov. 1999 auf einem Kolloquiumsvortrag in der Chemiedidaktik der Uni Essen) empirisch untersucht werden. Der Erfolg von Einstellungsänderungen hängt allerdings von dem konkreten Unterricht (z.B. von der Optimierung der Anschauung am Objekt und des genetischen Prinzips) ab und kann ohne dessen Details nicht objektiviert werden. Beim entwickelnd-problemlösenden Unterricht erkennt der Lehrer im übrigen sehr wohl Schüler-Einstellungen und ihre Veränderung (wenn auch vornehmlich bei den Wortführern und nicht im repräsentativen Querschnitt der Lerngruppe). Die (statistisch gesicherte, objektive) Evaluation der Qualität einer Unterrichtseinheit ist damit eine Utopie. Sie kann nur intuitiv vom erfahrenen Lehrer erfaßt und über die verschiedenen Rückmeldungen der Schüler gesichert werden. Die Problematik der nur intuitiven Erfolgskontrolle sollte nicht zu hoch gespielt werden, denn auch in der Biologie gibt es Bereiche mit intuitiven Komponenten (z.B. bei faunistischen oder vegetationskundlichen Erfassungen oder taxonomischen Einordnungen oder bei Fragen der phylogenetischen Systematik). Literatur zu 2.4.1 & 2.4.2 ELLENBERGER, W. (Hrsg.): Ganzheitlich-kritischer Biologieunterricht. Für das Leben lernen. Cornelsen, Berlin 1993. EULEFELD, G., G.SCHAEFER & K.DYLLA: Biologisches Gleichgewicht. Unterrichtseinheit für die Klassenstufen 6-8. IPN-Einheitenbank (Curriculum) Biologie, Lehrerheft. Aulis/ Deubner, Köln 1974. KATTMANN, U. & S.STANGE-STICH: DER Mensch und DIE Tiere. Unterrichtseinheit für die Oreintierungsstufe (Klassenstufe 5 & 6). IPN-Einheitenbank (Curriculum) Biologie, Lehrerheft. Aulis/ Deubner, Köln 1974. MOSTLER, G., D.KRUMWIEDE & G.MEYER: Methodik und Didaktik des Biologieunterrichts. Quelle & Meyer, Heidelberg, 1975. SCHROOTEN, G. (Hrsg.): IPN-Curriculum-Entwicklung. Themenheft BU 7 (4). Klett, Stuttgart 1971. 2.5.3. Lernerfolgskontrolle (Evaluation) : Benotung Die Lernerfolgskontrolle oder Evaluierung ist ein wesentlicher Bestandteil der Curriculumsentwicklung (s. Kap. 6.11), denn der Lernerfolg ist das Maß für die Optimierung von curricularen Unterrichtseinheiten. Zur Sicherung der Validität müssen die Testaufgaben (Items) dabei in operationalisierter Form erstellt werden. Die Auswertung ist ökonomisch zu gestalten. Das begünstigt Antwortauswahlverfahren („multiple choice“-Items). Dadurch werden einfache Wissensfragen begünstigt, psychomotorische oder affektive Ziele und das Verständnis komplexer Zusammenhänge sind fast nicht überprüfbar. Bei diesen Lernerfolgsbestimmungen kommte es nur auf den Durchschnitt der Schülergruppe an, die Tests können also anonym abgeben werden. Damit lassen sich auch Korrelationen im Lösungserfolg zwischen verschiedenen Testaufgaben bestimmen, nicht aber die Leistungen den Individuen zuordnen. – Eine Sammlung von Test-Items zur Biologie, insbesondere zur Ökologie liefern PERROTT et al. (1979). Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 26 Einige grundlegende testtheoretische Begriffe seien hier angeführt: Objektivität: Übereinstimmung der Ergebnisse verschiedener Erhebungen (z.B. mit einer Kontrolluntersuchung) unter gleichen Bedingungen; gemessen wird, inwieweit der Test wirklich unabhängig ist von der Testdurchführung (z.B. dem Verhalten des Testleiters) und vom Auswerter (Durchführungs- & Auswertungs-Objektivität). Dazu verhelfen genaue Durchführungs-Anweisungen, die Objektivität ist an einigen Stichproben zu kontrollieren. Zuverlässigkeit oder Reliabilität: Grad der Genauigkeit, mit der der Test ein Merkmal mißt („Meßgenauigkeit“). Gültigkeit oder Validität: Kriterium dafür, inwieweit der Test wirklich das mißt, was gewünscht ist (vgl. die Operationalisierung der Lernziele als Sicherung der Validität von Lernerfolgstest). Testaufgabe: Frage, Aufgabe oder z.B. ein „multiple-choice“- (Antwortauswahl-) Block Item: Der Teil einer Aufgabe, für die es einen Punkt (ggf. eine Punkteinheit z.B. bei Vergabe halber Punkte, ggf. auch die ganze Aufgabe, wenn sie genau einen Punkt erhält) gibt. Schwierigkeitsindex eines Items: Prozentualer Anteil der richtigen Lösungen des Items an der Zahl der Testteilnehmer, d.h. vergebene Punktezahl für das Item im prozentualen Verhältnis zur möglichen Punktezahl in dem Test bzw. einfach der (relative) Lösungserfolg des Items. Trennschärfe eines Items: Korrelation des Lösungserfolgs eines Items mit dem des Tests insgesamt. Sie ist hoch, wenn die Schüler es gut lösen, die insgesamt gut abgeschnitten haben und umgekehrt. Lernerfolg eines Items: Verbesserung des Schwierigkeitsindex bei einer zweiten Testdurchführung mit der derselben Gruppe (z.B. vor und nach dem Unterricht zum Testgegenstand). Ein Lernerfolg von 60% ergibt sich beispielsweise bei einem Anstieg der richtigen Lösungen des Items bei 20% der Testteilnehmer im Vortest und 80% im Nachtest. Statistisch relevante Lernerfolgsmessungen werden vorzugsweise (aus ökonomischen Gründen) mit Testaufgaben nach dem Antwort-Auswahlverfahren („multiple choice“) vorgenommen. Sie erfordern einen hohen Aufwand für die Erstellung, sind aber (z.B. mit einem Rechner) einfach auszuwerten. Sie lohnen sich also nur bei einer hohen Teilnehmerzahl. Gegen einen hohen Lösungserfolg schon beim rein zufälligen Ankreuzen helfen eine hohe Anzahl von Alternativen und die (vorher bekannt zu gebende) Möglichkeit, daß mehrere oder auch gar keine Alternative richtig sein können. Interessant sind gegenläufige Stellungnahmen zu diesem Verfahren bei den Medizinern (vgl. TROST 1995 bzw. WUNDERLICH 1995). Ähnliche Verfahren wurden auch zur Überprüfung des Wissensstandes von Schulabgängern bzw. Studienanfängern eingesetzt (vgl. HESSE 1981 bzw. SCHILKE 1975). Die Problematik der Validität stellt sich besonders bei komplexen Zusammenhängen (wie bei LEICHT ###; vgl. Kap. 7.9). Die Lernerfolgskontrolle ist im Schulalltag unbedeutend. Hier geht es um die Notendifferenzierung auf Grund der individuellen Schülerleistung: Die Grenze zum Mangelhaften ist für die Versetzung von besonderer Bedeutung und muß daher besonders herausgearbeitet und (justitiabel) gesichert werden. Einen hohen Stellenwert hat auch die Notendifferenzierung von „Gut“ und „Sehr gut“, die durch abgestuft anspruchsvolle Leistungs-anforderungen zu ermitteln ist. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 27 Die Notenbestimmung kann vielfältig vorgenommen werden. Die Bewertung der Mitarbeit im Unterricht läßt viele Zweifelsfälle (z.B. bei „stillen“ Schülern) offen, gerade wenn der Lehrer die Klasse in der S I nur aus 2 Wochenstunden kennt (hilfreich ist ein 2. (Korrektur-) Fach in der Klasse mit hoher Stundenzahl (wie Mathematik). Das punktuelle Abfragen von Wissen ist bei Lehrern beliebt, kostet aber relativ viel Unterrichtszeit und ist mit Zufällen behaftet. Klausuren mit freien Antworten und Darstellungen ( informellen Tests, vgl. ZÖLLER 1973), experimentelle oder Untersuchungsaufgaben, Sonderleistungen sichern die Benotungsbasis, machen aber mehr Arbeit. Einen Vorschlag zur Objektivierung durch ein Punkte-Verfahren lieferte HEMMER (1979): Schriftliche Tests von etwa 20 min mit je 6 Punkten; zusammenhängende mündliche Reproduktions- und Reorganisations-Leistung zu unmittelbar vorausgegangenem Unterricht („Abhören“) mit 1 Punkt bei zufriedenstellender, 0,5 Punkten bei mäßiger und 0 Punkten bei nicht ausreichender Leistung; besondere Leistungen im Unterrichtsgespräch (wesentliche weiterführende Impulse, gute Transferleistungen, problemlösendes Denken mit 1 Punkt je Beitrag; freiwillige Hausarbeiten mit abgestuftem Punkteschlüssel; freiwillige Referate mit abgestuftem Punkteschlüssel; sonstige für den Unterricht wertvolle Leistungen (wie Materialbeschaffung, Aquarienpflege); Noten nach geometrischem Punkteschlüssel, werden mit den Schülern besprochen. Diese Punkteschlüssel lassen sich auch nach Binomialverteilungen normieren (vgl. HÄFNER 1977). Beispiele zu Bildtests zu morphologischen Kursthemen (wie Pflanzenanatomie, abgestuft nach Realität wie bei Mikrofotos bzw. Abstraktion wie bei Schemata) mit Formblättern für Auswertungsbögen, die die Vergleichbarkeit der Bepunktung sichern und zugleich den Lernerfolg mit erkennen lassen (vgl. SCHMIDT 1974) wurden in der Vorlesung demonstriert. Muster für Abituraufgaben sind im Handel erhältlich, den Richtlinien (wie bei denen für die gymnasiale Oberstufe NRW, vgl. auch die Materialien zur Leistungsbewertung dazu: Kap. 1), können Beispiele beigefügt sein (vgl.auch LIEB 1981). Literatur zur Lernerfolgs- & Leistungsmessung: BÖHMER, M. (Hrsg.): Lernerfolgskontrolle. Scriptor, Königstein/Ts. 1979 HÄFNER, P.: Testmodelle zur objektivierten Leistungsmessung; MNU 30: 460-464 (1977). HEMMER, H.: Ein Punktsystem zur Leistungsbewertung im Biologieunterricht der S I; MNU 32: 173-176 (1979). HESSE, M.: Wird CO2 in der Photosynthese reduziert oder oxidiert? Ein Beitrag zur Stellung der Chemie im Biologieverständnis von Studienanfängern. PdB 1981: 268-276 (1981). KLINCK, R. & K.ULLRICH: Leistungsprognose, Leistung & Sozialstatus in der Orientierungsstufe. Untersuchungen am Hans-Geiger-Gymnasium in Kiel. Kultusministerium, Kiel 1974. KULTUSMINISTERIUM SH (Hrsg.): Lehrer messen Leistung. Möglichkeiten, Grenzen, Entwicklungen. Kultusministerium, Kiel 1971. LEICHT, W.: Lebende Objekte (Tiere) und Tonbildreihen im BU. Biol.didact. 6 (2): 5-37, ###. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 28 LIEB, E.: BU & formale Bildung. Lassen sich die Anforderungen von Klausuraufgaben aus dem BU der Leistungskurse mit den Anforderungen anderer Fächer vergleichen? PdB 30: 129-134, 224 (1981). PERROTT, E., D.HUGHES-EVANS & D.CAMPELLI.: Resource book of test items in biology. Murray, London 1979. ROYL, W. (Hrsg.): Lernerfolgsmessung im Schulversuch. Didaktische Informationen aus Schulversuchen. Westermann, Braunschweig 1975. SCHILKE, K.: Der ökologische Anteil im biologischen Wissen von Schulabgängern erste Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. Verh. GfÖ Erlangen 1974: 291-306 (1975). SCHMIDT, E.: Bilddeutungen als informelle Tests zu morphologisch/anatomischen Übungen. NiU 22 (2): 80-87 (1974). TROST, G.: Als Meßinstrument unverzichtbar; "Multiple-Choice" gewährleistet hohes Leistungsniveau Forschung & Lehre (Hochschulverband) 1995 (3): 153-155 (1995). WUNDERLICH, P.: Non vitae sed scholae discimus; Faktenwissen und Denkvermögen. Forschung & Lehre (Hochschulverband) 1995 (3): 156-157 (1995). ZÖLLER, W.: Testähnliche Verfahren zur Ermittlung des Lehr- & Lernerfolges im BU. MNU 26: 501-506 (1973). 2.6 Leitziel der originären Begegnung und der Anschaulichkeit 2.6.1 Leitziel der orginären Begegnung mit dem Naturobjekt und des Arbeitens am Naturobjekt „Wer zur Quelle gehen kann, gehe nicht zum Wassereimer“ sagte schon das Universalgenie LEONARDO DA VINCI vor 500 Jahren (um 1500). Das Lernen an der Natur statt nach dem Buch kennzeichnet den Wechsel zum modernen Biologieunterricht. Originäre Naturerfahrung statt Buchwissen forderte (um 1630) seiner Zeit weit voraus schon COMENIUS. Das praktische Arbeiten am Naturobjekt arbeiteten LÜBEN (um 1830) und LEUNIS (um 1870) in bis heute gültiger Form didaktisch auf, im Sommer für die Untersuchung frischer Pflanzen aus dem Umfeld der Schule und aus dem Schulgarten, im Winter wurde an Tierpräparaten aus der Schulsammlung, dem „Naturalien-Kabinett, gearbeitet; überholt hat sich lediglich die damals vorherrschende systematische Fragestellung (als Bestimmen und Einordnen in das LINNÉsche System). Das praktische Arbeiten wurde von dann JUNGE (1885) in den anspruchvollen funktionalen (biologisch/ ökologischen) Zusammenhang am Beispiel von repräsentativen Wassertieren und Ufer-/ Wasserpflanzen eines norddeutschen Dorf-/ Mühlenteichs gestellt und didaktisch bis heute vorbildlich erschlossen (Kap. 6). So hat das Arbeiten am Naturobjekt schon damals didaktisch absoluten Vorrang im Biologieunterricht erhalten, Begründet wird das heute damit, daß zum Verständnis von Biologie als Naturwissenschaft nicht nur die Vermittlung der Fakten (Inhalte: kognitive Lernziele) gehört, sondern auch die der Arbeitsverfahren, mit denen sie gewonnen worden sind. Konsens besteht auch darin, daß es nicht ausreicht, diese Arbeitsverfahren nur kognitiv in den Unterricht einzubringen, sondern daß sie wirklich am konkreten Beispiel angewendet werden und zu biologischer Originalerfahrung führen müssen (Kap. 4). Eine treffliche Karrikatur der „Kreide“-Biologie so manchen naturfernen BiologieLehrers liefert das folgende Gedicht zum Bach im Unterricht: Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 29 Der Bach von HEINRICH SCHULMANN Der Lehrer nimmt den Bach durch. Er zeigt ein Bild. Er zeigt an die Wandtafel. Er beschreibt. Er schildert. Er erzählt. Er schreibt auf. Er diktiert ins Heft. Er gibt eine Hausaufgabe. Er macht eine Prüfung. Hinter dem Schulhaus fließt munter der Bach vorbei. Vorbei. Nach Leo HACKE, Pausenplätze machen Schule, Hitzkirch 1981 (Überschrift verändert), S. 369. [zit. nach WILHELMI 1993; vgl. auch FEY 1996, S.1]. Auch im Lehramtsstudium Biologie haben die Praktika/ praktischen Übungen und die Exkursionen einen festen Platz neben den Vorlesungen und Seminaren. So ist es eigentlich unverständlich, wenn das praktische Arbeiten im Biologieunterricht (anders als in der Chemie oder Physik) immer wieder in der Praxis des Schulalltages aus Bequemlichkeit oder wegen mangelnder Erfahrung des Lehrers (d.h. Mängel in seiner Qualifikation!) oder einfach aus Bequemlichkeit unterbleibt. Chemie und Physik können allerdings ihre im Vergleich zu biologischen Untersuchungen und Experimenten einfachen Schulversuche aus den Labormaterialien bestreiten. Die Vorbereitung liegt also eher auf dem Anspruchsniveau von LÜBEN und LEUNIS, weit unter dem von JUNGE. 2.6.2 Regeln für den Umgang mit der Natur und mit Lebewesen im BU Das praktische Arbeiten am Naturobjekt ist typisch ein Arbeiten in der Natur oder mit Lebewesen im Kursraum. Die Bevölkerung, gerade auch die Schüler (oder zumindest einzelne in jeder Klasse/ in jedem Kurs), sind heute für einen pfleglichen Umgang mit der Natur und den Lebewesen sensibilisiert. Durch die Umwelterziehung wird das noch verstärkt. In den Kursen und auf den Exkursionen der Universität wird das nicht so beachtet. Lehrer sind jedoch stärker in der Pflicht als die Universität. So wird beispielsweise das Einfangen von Insekten mit dem weißen Fangnetz (z.B. in den Ruhrauen) von der Bevölkerung nicht mehr interessiert betrachtet, nicht einmal mehr hingenommen, sondern geächtet. Ein Lehrer, der sich mit seiner Klasse darüber hinwegsetzt, wird in Argumentationsnöte geraten und riskiert den Verlust des Ansehens (und Anzeigen). Es sind inzwischen auch nicht nur ethische Verpflichtungen im BU wirksam, denn es ist der gesetzliche Schutz stark ausgeweitet worden. Lehrer müssen als Bürger und als Beamte diese Gesetze kennen und als Lehrer sie vorbildlich beachten! Das Befolgen dieser Schutzgesetze berührt gravierend die Glaubwürdigkeit im Hinblick auf die Umwelterziehung (vgl. Kap. 4.8) und ist schon damit ein wesentlicher Faktor für den Einsatz der biologischen Arbeitsweisen im BU. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 30 Die Erziehung zur Achtung vor dem Naturgeschöpf und der intakten Natur ist ein altes ethisches Gebot der Schule. Sie war ursprünglich als Achtung vor der Schöpfung Gottes in die Religion eingebunden. Heute ist sie ein Gebot der nachhaltigen Nutzung der Erde, der Verantwortung für die Weitergabe der Tier- und Pflanzenarten und ihrer Lebensräume an die künftigen Generationen. Tier-, Baum-, Arten- Umweltschutz sind daher gesetzlich oder durch Verordnungen geregelt. Der Biologieunterricht muß sie beachten. Das Tierschutzgesetz (vgl. LORZ 1992) schützt Tiere (insbesondere Wirbeltiere) vor Schmerzen und ähnlichem Streß vor allem bei der Haltung und bei der Arbeit mit den Tieren. Es wird bei der Massentierhaltung relativ großzügig, bei Labortieren für Forschung und Lehre aber inzwischen sehr restriktiv ausgelegt und schließt zahlreiche klassische Experimente für den Schulunterricht aus. Im Bundesnaturschutzgesetz (letzte Änderung 22.4.1993; Rahmengesetz für die entsprechenden Gesetze der Länder wie das Landschaftsgesetz NRW; vgl. EBERT & BAUER 1993) sind inzwischen eine Reihe von Biotoptypen (wie Röhrichte und naturnahe Ufer) generell geschützt und damit der Geländearbeit mit Schulklassen entzogen. Viele bekannte Tiergruppen (wie alle Amphibien, Großlaufkäfer, Wildbienen, Libellen, fast alle Tagfalter) stehen unter dem besonderen Artenschutz und dürfen auch zur Betrachtung nicht mehr gefangen werden. Damit entfallen die klassischen Untersuchungen zur Metamorphose von Grasfrosch oder Erdkröte oder zum Beutefangverhalten von Libellenlarven (was auch neue Didaktiken oft negieren, z.B. EKR 1996: S.306/307). Dabei sind eine Reihe von Artenschutz-Bestimmungen, die z.B. für scheue von den menschlichen Nachstellungen bedrohten Vogelarten notwendig sind, bei Amphibien oder Wirbellosen sachlich unsinnig, denn diese Arten haben eine völlig andere Fluchtdistanz und Reproduktion, sind weniger von direkten Nachstellungen als von Eingriffen in den Lebensraum bedroht. Besonders deutlich ist das bei der Entnahme von Froschlaich für die Untersuchung der Metamorphose in der Schule: Bei sachgemäßer Haltung erreichen fast alle Kaulquappen das Jungfroschstadium und können dann ausgesetzt werden, während im Naturraum die Mehrheit vorher Freßfeinden (wie Fischen oder Gelbrandkäferlarven) zum Opfer gefallen ist. Selbst Frösche im Gartenteich unterliegen den Artenschutzbestimmungen. In Verlegenheit kommt der Lehrer schon, wenn auf einem Schulausflug Schüler begeistert einem Frosch nachstellen, ihn fangen, um ihn aus der Nähe zu betrachten, und sich in eine wünschenswerte Begeisterung über das Tier steigern, dabei aber mit dem Gesetz in Konflikt geraten (vgl. SCHMIDT 1994). Der Lehrer muß aber als Beamter und staatsbürgerliches Vorbild für die Schüler auch unsinnige Gesetze einhalten! Besondere Schutzbestimmungen gelten beispielsweise für Naturdenkmale, Naturschutzgebiete, Nationalparke, Biosphären-gebiete. Den Fischfang, die Jagd sind durch besondere Gesetze geregelt, in vielen Städten gelten z.B. Baumsatzungen. Die besser bekannten „Roten Listen“ der gefährdeten Pflanzen- und Tierarten haben dagegen keine Gesetzeskraft, sind jedoch als moralische Verhaltensnorm vom Lehrer zu beachten. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 31 Die gesetzlichen oder ethischen Beschränkungen beim Arbeiten in der Natur oder am lebenden Organismus können bedingt durch den Medieneinsatz kompensiert werden (vgl. z.B. BLUME u.a. 1971, BURGHAGEN 1984, KUHN 1966, SCHMALE & ZÖLLRERT 1974). Besser ist die Nutzung käuflicher Exoten (z.B. Krallenfrosch statt einheimischer Froschlurch-Arten oder Kampffisch statt Stichling oder Schmuckschildkröten als Beispiel für ein [durch Aussetzungen von Heimtieren] häufiges Reptil im Ballungsraum: SCHMIDT et al. 1999), was angesichts des submediterranen Klimas in der Stadt und des (vor allem im Winterhalbjahr) subtropischen Klimas in den Räumen auch ökologisch angebracht ist. Bei der Geländearbeit erhält die „Stille Beobachtung“ (im Sinne einer Beobachtung unbemerkt vom Objekt) mit Fernglas und Kamera (statt quantitativer Erfassungen mit „Flurschaden“) einen besonderen Stellenwert (vgl. SCHMIDT 1996). Im Ballungsraum senkt sie auch das Risiko, durch die Geländearbeit bei anderen, für den Naturschutz sensibilisierten Menschen keinen Anstoß zu erregen. Sie hat didaktisch den besonderen Vorteil, besser die Lebensweise und die ökologischen Zusammenhänge der beobachteten Arten erkennen zu lassen. Das belegt schon der große, aktuell gebliebene wissenschaftlichen Erfolg des dänischen Naturforschers WESENBERG-LUND (1943, Vorwort, S.2/3), der bereits Anfang des Jahrhunderts das stille Beobachten propagiert hat: „Dieses Buch sollte vor allem ein Buch über die Natur sein. Es ist von einem Naturfreund geschrieben, der sie in Sturm und Stille kennen gelernt hat. Es ist auf Beobachtungen aufgebaut, die jeder machen kann, wenn er nur mit offenen Augen durch Feld und Wald streift. Nicht die langen Wege, bei denen die Muskeln ermüden, sondern das lange Verweilen an einer Stelle ergeben die meisten biologischen Resultate. Ein paar (Fang-, Beobachtungs-) Gläser, eine gute Lupe* und ein Kescher ist alles, was man als Instrumentarium braucht; je älter ich wurde, um so weniger benutzte ich den Kescher. Die meisten meiner Beobachtungen kamen bei wachem Ausruhen mit angespannten Sinnen ... zustande. Es kommt darauf an, nicht zu jagen, nicht zu töten, nicht mit einem Schmetterlingsnetz herumzurennen, nicht den Frieden der Natur zu stören. - Es sind auch keineswegs die zahlreichen Exkursionen zu vielen verschiedenen Fundorten, sondern viele, regelmäßig wiederholte Exkursionen zu einem oder ein paar Fundorten, die sichere Ergebnisse zeitigen. Mehr als anatomische Untersuchungen erfordern die biologischen Beobachtungen die Wiederholung.“ *Anm.: Heute sind Fernglas (8-10fach mit Nahpunkt bei 0,5-1 m) und Fotoapparat/ Videokamera hinzuzufügen! Heute wird vor allem in der Ornithologie dieses Stille Beobachten propagiert (vgl. ARDLEY & HAWKES 1979, BERTHOLD u.a. 1980, BEZZEL 1991, JOREK 1980, SPILLNER & ZIMDAHL 1990 oder Witt 1993 sowie LOVEGROVE & BARRET 1985, MEIER-PEITHMANN u.a. 1989), Stadtparks bieten (dank der hohen Dichte und der Vertrautheit vieler Arten) überraschend interessante Beobachtungsmöglichkeiten (z.B. an den Stockenten: SCHMIDT 1988, 1991), selbst Libellen können an passenden Stadtteichen "hautnah" und dennoch ungestört (ganz im Sinne der „Stillen Beobachtung“) studiert werden (SCHMIDT 1990). Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 32 Dieses „Stille Beobachten“ bringt Abstriche bei der Artbestimmung von Kleintieren mit sich, dafür ergibt sich der Vorteil, die Organismen im funktionalen Kontext zu erleben und zu erkennen. Bei Insekten auf Blüten läßt sich wirklich (mit dem Nahglas) der Einsatz der Mundwerkzeuge bzw. des Pollensammelapparates, der genaue Zugang zur Blüte und der Stil von An- und Abflug analysieren, damit die Angepaßtheit differenziert zu deuten. Dank der Geräteausstattung kommen auch unzugängliche und sonst kaum beachtete Objekte (wie Blüten von Bäumen) in den Blickpunkt und können (wie Anfängerexkursionen an der Uni belegen) für Überraschungensorgen. Damit überwiegen gerade im Ballungsraum die Vorteile. Auch bei WESENBERG-LUND war es ja nicht der Druck einer Naturschutz-Ethik, die ihn zum "stillen Beobachten" brachte, sondern der Gewinn beim Analysieren ökologischer Beziehungsgefüge. Dieses „Stille Beobachten“ gewinnt von der Kombination mit der Fotodokumentation (Kap. ##). Dabei ist die Dokumentation mit einer (Amateur-) Videokamera einfacher, lebendiger und preiswerter als die Fotodokumentation, aber an die Bildschirmprojektion gebunden. Literatur: ARDLEY, N. & B.HAWKES: Vögel beobachten. Maier, Ravensburg 1979. BERTHOLD, P., E.BEZZEL & G.THIELCKE: Praktische Vogelkunde. Ein Leitfaden für Feldornithologen. Empfehlungen für die Arbeit von Avifaunisten & Feldornithologen. Kilda, Greven (1974), 1980. BEZZEL, E.: Vögel beobachten. Praktische Tips, Vogelschutz, Nisthilfen, Fotografie. BLV, München, 3. Aufl. 1991. BLUME, D., G.THEILACKER & N.HERRMANN: Attrappenversuche beim Kleiber. Droh- & Angriffsverhalten gegen Nestfeinde. FWU- S 8- Farbfilm, FWU, Grünwald 1971. (Schemata dazu bei BLUME, D: So verhalten sich die Vögel. Neue Brehmbücherei 342. Ziemsen, Wittenberg 1971: 43, 105; 3. Aufl. 1973 unter dem Titel Ausdrucksformen unserer Vögel. Ein ethologischer Leitfaden: 43, 104-105). BURGHAGEN, H.: Neuroethologie des Beutefangs bei Kröten; eine quantitative Filmanalyse. PdB '84: 373384 (1984). EBERT, A. & E.BAUER: Naturschutzrecht. Bundesnaturschutzgesetz, Washingtoner Artenschutzabkommen mit Zustimmungsgesetz und allgemeinen,. Bundesartenschutzverordnung, Landesnaturschutzgesetze. Textausgabe mit Sachverzeichnis und einer Einführung. Beck, München, 6. Aufl. 1993. JOREK, N.: Vogelschutz-Praxis. Herbig, München 1980. KUHN, W.: Exemplarische Biologie in Unterrichtsbeispielen (1. Unterrichtsbeispiel: "Die Kinderstube des Drosselrohrsängers"; der Einsatz des Filmes im BU, S. 16 ff.). List, München 1966. LORZ, A.: Tierschutzgesetz. Beck, München, 4. Aufl. 1992. LOVEGROVE, R. & P.BARRETT: „Folg ich der Vögel wundervollen Flügen...". Vogelbetrachtungen im Jahreslauf. Gerstenberg, Hildesheim, 2.Aufl. 1985. MEIER-PEITHMANN, W., F.NEUSCHULZ & W.PLINZ: Lebensbilder aus der Vogelwelt zwischen Elbe und Drawehn. Avifaunist. AG Lüchow/ Dannenberg, Lüchow, 2.Aufl. 1989. SCHMALE, E. & W.ZÖLLRERT: Die Präparation von Rana temporaria im Unterricht - dargestellt anhand einer Diaserie. MNU 27: 178-180 (1974). SCHMIDT, E.: Stockenten auf Stadtteichen. Öko-ethologische Problematik der anthropogenen Massierung einer Wildvogelart (Anas platyrhynchos) in der Stadt. Tier & Museum (Bonn): 29-41 (1988). SCHMIDT, E.: Libellenbeobachtungen in der Stadt: Der Botanische Garten in Bonn. Tier & Museum (Bonn) 2: 42-52 (1990). SCHMIDT, E.: Ethologie am Stadtparkteich: Die Stockentenbalz. Biol. Schule 40: 409-417, Bildbeilage: 1-8 (1991). SCHMIDT, E.: Naturschutz & Formenkunde - Konflikte und ihre Bewältigung am Beispiel von Gewässeruntersuchungen durch Schüler. S. 297-301 in: BAYRHUBER, H., K.ETSCHENBERG, K.-H.GEHLHAAR, O.GRÖNKE, R.KLEE, H.KÜHNEMUND & J.MAYER (Hrsg.): Interdisziplinäre Themenbereiche und Projekte im Biologieunterricht. 9. Fachtagung der Sektion Fachdidaktik im VDBiol 1993 in Ludwigsfelde (bei Potsdam). IPN, Kiel 1994. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 33 SCHMIDT, E.: Ökosystem See; Bd.I: Der Uferbereich des Sees. Quelle & Meyer, Wiesbaden, 5.Aufl. 1996. SCHMIDT, E., K.BLOMENKAMP & J.KAMINSKI: Schmuckschildkröten im Vivarium. Unterrichtsmodell für die Sekundarstufe I (6./. Schülerjahrgang). UB 248 (23.Jahrg.): 21-26 (1999). SPILLNER, W. & W.ZIMDAHL: Feldornithologie. Eine Einführung. Dt. Landwirtschaftsverlag, Berlin 1990. WESENBERG-LUND, C.: Biologie der Süßwasserinsekten. Springer, Berlin 1943. WITT, R.: Vogelbeobachtungen durch das Jahr. Grundwissen, Projekte für jeden Monat, zahlreiche Tips, Vogelschutz. Mosaik/ Bertelsmann, München 1993. 2.6.3 Leitziel Formenkenntnis für den Biologieunterricht ############### wird noch ausgeführt ############# 2.7 Leitziele zur schüler-orientierten Stoffauswahl und zur Selbsttätigkeit und Gruppenarbeit der Schüler 2.7.1 Leitziel „am Schüler orientierte Prinzipien zur Stoffauswahl/ -anordnung im Biologieunterricht“ In den letzten 150 Jahren haben sich die folgenden allgemeinen Prinzipien zur Stoffauswahl im BU herauskristallisiert und sind unstrittig geworden: Vom Bekannten zum Unbekannten, vom Einfachen zum Schwierigen, vom (für den Schüler) Nahen zum (für den Schüler) Fernen (vgl. LÜBEN/ LEUNIS, Kap. 6.2). Zu beachten ist also, daß die Maßstäbe bei Kindern anders liegen können als bei Lehrern, auf dem Lande anders als in der Stadt: Dort können z.B. derzeit bei Schülern der Orientierungsstufe Dinosaurier besser bekannt sein als Feldhasen, [Zoo-] Elefanten besser als Igel. Anknüpfung an die Erfahrungswelt des Schülers, das Prinzip der Lebensnähe. Dazu muß der Lehrer muß die Erfahrungswelt der Schüler aber kennen; Prinzip der Lebensnähe bedeutet auch den Bezug zur Anwendung der Biologie im täglichen Leben und im Berufsleben, z.B. in Gärtnerei, Land- & Forstwirtschaft, Freizeitangeln/ Fischerei (vgl. Kap. 6.4 zu JUNGE 1885, S. 17: „Ihr Kollegen ... könnt beim Landmann, beim Fischer, beim Jäger etc. für manche Sachen Licht erhalten“). Die Anschauung muß Fundament der (naturwissenschaftlichen) Erkenntnis sein, auch wenn Verbalismus und „Kreide“-Biologie für den Lehrer viel einfacher sind (vgl. Kap. 6: COMENIUS, PESTALOZZI, LÜBEN, JUNGE und die Problematik der SCHMEIL'schen Biologiebücher). Prinzip der originalen Begegnung, Vorrang für das Beobachten in der freien Natur und für Untersuchungen an lebenden Organismen, zumindest an Naturobjekten. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 34 Das „Pflegerische“ als Leitidee der Schule Im BU soll nicht nur am lebenden Objekt gearbeitet, die Schüler sollen auch für den pfleglichen Umgang mit den Pflanzen und Tieren motiviert werden. Dazu gehört die verantwortungsvolle, sachkundige Pflege sowohl im Schulgebäude als auch draußen (z.B. im Schulgarten; vgl. WINKEL 1978, 1995). Begriffliche, logische und methodische Klarheit der Aussagen. Diese Unterrichtsprinzipien bedeuten wieder in erster Linie, daß die Fachstruktur von ihnen überformt und verändert wird. Das Schulfach unterscheidet sich damit nicht nur durch die didaktische Transformation und Rekonstruktion vom Fach, sondern auch und maßgeblich durch die am Schüler orientierte Anordnung der Inhalte. Der letzte Punkt (begriffliche Klarheit) kann durch kontroversen Begriffsgebrauch (ggf. schon bei verschiedenen Fachdisziplinen) Schwierigkeiten bereiten (nähere Ausführungen im Kap. Sprache 3.4). Als Beispiel angeführt sei: Der Begriff Biotop Biotop als die abiotische, Biozönose als die biotische Komponente eines Ökosystems (z.B. BICK 1989: 17). Röhrichte, Sumpfwälder, Zwergstrauch,-/ Wacholderheiden (u.a. Vegetationseinheiten) als besonders geschützte Biotope (Bundesnaturschutzgesetz § 20c). Biotop im Sinne des Gartenteiches in der Umgangssprache. „Der“ Biotop im Sinne der klassischen Ökologie, „das“ Biotop im Sinne der „political correctness“. Literatur: BICK, H.: Ökologie. Grundlagen, terrestrische und aquatische Ökosysteme, angewandte Aspekte. Fischer, Stuttgart 1989 (2. Aufl. 1993) JUNGE, F.: Der Dorfteich als Lebensgemeinschaft. Lipsius & Tischer, Kiel 1885. Nachdruck (der 3. Aufl. von 1907) mit Vorwort/ Einführung von W.JANßEN, W. RIEDEL & G. TROMMER. Lühr & Dircks, St. Peter-Ording 1985. WINKEL, G.: Das Pflegerische als Leitidee der Schule unter besonderer Berücksichtigung des Biologieunterrichts. NiU 26 (6): 163-170 (1978). WINKEL, G.: Umwelt und Bildung. Denk- und Praxisanregungen für eine ganzheitliche Natur- und Umwelterziehung. Kallmeyer, Seelze 1995. 2.7.2 Leitziele zur Selbsttätigkeit und Gruppenarbeit der Schüler Kreative Selbsttätigkeit der Schüler im sozialen Kontext sind hochrangige, aber nicht immer im Alltag einfach umzusetzende Leitziele des Biologieunterrichts: Leitziel Selbsttätigkeit der Schüler Leitziel forschend-entdeckendes Lernen Leitziel Gruppenarbeit der Schüler Diese Leitziele werden hier nur genannt und im Kap. 3.5 ausgeführt. Dazu gehören: 3.5.1.1 Arbeitsunterricht 3.5.1.2 Forschend-entdeckendes Lernen im Unterricht 3.5.1.3 Handlungsorientierter Unterricht 3.5.1.4 Projektunterricht 3.5.1.6 Sonderaufgaben/ innere Differenzierung 3.5.2 Sozialformen des BU 3.5.3.5 Impulse /Denkanstöße) setzendes Unterrichtsgespräch Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 35 2.8 Leitziele Verständnis statt enzyklopädischer Faktenanhäufung, inklusives statt exklusives Denken 2.8.1 Leitziel „Verständnis von komplexen Zusammenhängen“ durch „inklusives Denken“ Einführung: Die Forderung, die Schule soll mehr leisten, mehr Wissen vermitteln, ist hoch aktuell. Im internationalen Vergleich sollen die deutschen Schüler zu schlecht abschneiden („TIMM-Studie“). Dabei wird die Schule von der Faktenfülle erdrückt. Doch enzyklopädisches Faktenwissen hilft nicht in einer komplexen Welt. Wichtiger ist vielmehr die Fähigkeit, ein komplexes Beziehungsgefüge zu erkennen und zu verstehen. Das einfache lineare, formale Denken in starren Begriffen und Regeln, in Typologien und Schemata („Schubladen“), das Denken in isolierten Ausschnitten mit schematisiert-typologischer Zuordnung nach statischen Strukturmerkmalen mit Beschränkung auf den Augenblick, also das „exklusive (mechanistisch/ deterministische) Denken“ im Sinne von SCHAEFER (1978), reicht dafür nicht aus. Gefordert ist vielmehr das Denken in Vernetzungen (VESTER 1991), in funktionalen Beziehungsgefügen, das „inklusive (systemische) Denken“ im Sinne von SCHAEFER (1978) Inklusives Denken ist gekennzeichnet durch ganzheitlich „vernetztes“ Denken in Zusammenhängen, durch konkret differenzierte Individualanalyse unter Berücksichtigung der Dynamik von synergetischen (Chaos-) System-Beziehungen (s.u.) und dem Aspekt der Nachhaltigkeit (s.o.). Dieses inklusive Denken ist unbequem, aber als Leitziel des Biologieunterrichts unerläßlich. Die „Bau-Leistungs-Verschränkung“ als Beispiel für inklusives Denken: Bislang war undifferenziert vom inklusiven Denken als Denken in Zusammenhängen gesprochen worden. Gemeint sind damit in der Regel funktionale (unter Einschluß ökologischer) Zusammenhänge. Sie beginnen bei der organismischen Ebene. Exklusives Denken zeigt sich hier daran, daß (wie im Hochschul-Studium) Morphologie und Physiologie strikt (als verschiedene, alternative Teilgebiete!) getrennt werden. Inklusives Denken sucht dagegen der Zusammenhang von Gestalt und Funktion, der in der Biologiedidaktik mit dem Stichwort „Bau-LeistungsVerschränkung“ als ein hochrangiges Leitziel eingestuft ist. So ist in der Schule die Morphologie immer mit der Funktion zu verbinden. Das beginnt bei mikroskopischen Untersuchungen von Pflanzenorganen mit der Beschriftung der Zeichnungen, sie sind auch möglichst mit physiologischen Versuchen zu kombinieren (vgl. z.B. SCHMIDT 1996 zur Seerose). Dazu paßt das Leitwort in MOLISCH & HÖFLER (1954, erster Satz sinngemäß umgestellt): „Das Leben der Pflanze kann allein aus ihrem Bau nicht verstanden werden. Struktur und Leistung stehen regelmäßig im Einklang sowohl bei dem mikroskopischen Einzeller als auch bei dem turmhohen Mammutbaum“! Eine derartige morphologische Analyse im funktionalen Zusammenhang wird jedoch vom Hochschul-Studium viel zu wenig vorbereitet. Hier dominiert die Vermengung mit der Ebene der Systematik/ Evolutionsbiologie. Für diese ist die historische Dimension wesentlich, es geht um phylogenetische Zusammenhänge. Dazu gehört das Homologisieren von Gestaltsmerkmalen (wie Organen, vgl. z.B. das Praktikumsbuch zur Zoologie von „KÜKENTHAL“ 1996 mit dem von SCHOENICHEN 1930). Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 36 Im „KÜKENTHAL“ (1996) erfolgt bedauerlicherweise keine klare Trennung von Begriffen, die homologisieren (z.B. Oberkiefer/ Mandibel bei Insekten) und der Funktions-Angabe (wie beißende, Mundwerkzeuge, Saug-, Stechrüssel mit funktionaler Differenzierung, z.B. beim Stechrüssel der Stechmücken-Weibchen in 4 dünne Stechborsten [Ober-, Unterkiefer], Blutsaugrohr [Oberlippe], Speichel-„Spuckrohr“ [Innenlippe = Hypopharynx], kräftige Schutzhülle [Unterlippe]; nach SCHOENICHEN 1930). Konsequent funktional ist z.B. die Gestaltanalyse von Mückenlarven im ökologischen Kontext bei ESCHENHAGEN et al. (1991: 203-205; zu Kleintieren auf dem Stein im Bach vgl. FEY 1996). Inklusives Denken bedeutet hier also die saubere Trennung von funktionalen und phylogenetischen Zusammenhängen. Das ist keine neue Forderung, denn das konsequent funktionale Denken in Zusammenhängen bei Biologischen Arbeitsweisen zur Formenkunde hatte bereits JUNGE (1885) hervorragend didaktisch aufgearbeitet! Exklusives und inklusives Denken sei am Beispiel der Untersuchung eines Stadtbachs im Ökologiekurs erläutert: Beim exklusiven Denkansatz wird der Bach zunächst einem Gewässertyp zugeordnet, dann werden Meßdaten zu physikalischen und chemischen Parametern gesammelt und als Selbstwert genommen, Artenlisten (unbeschadet der Bestimmungsprobleme für Schüler) aufgenommen und aus diesen Daten mit Hilfe passender Listen Saprobienindices zu einem Wert für die Gewässergüte errechnet. Diese Daten („umsonst“ erhalten) mögen vielleicht den Bürgermeister des Ortes erfreuen, ökologische Zusammenhänge wurden nicht erfaßt. Beim inklusiven Denkansatz (vgl. FEY 1996) wird der Bach zunächst ganzheitlich in den Zusammenhang der Siedlung/ Nutzungen gestellt (z.B. Auswirkung der Nutzungen auf die Uferstrukturen, Gestalt der Aue mit Rückwirkung auf den Bach am Untersuchungsabschnitt). Dann wird ein überschaubares Teilsystem wie „das Kompartiment Stein im Bach oder am Ufer“ ausgewählt und auf die Einbettung in die Strömung untersucht, das Strömungsmuster am Stein registriert und dem Verteilungsmuster der auf dem Stein sitzenden nach Gestalt und Häufigkeit auffallenden Tieren der cm-Größenordnung („Makro-Evertebraten“) zugeordnet. Hinzu kommen die unten am/ unter dem Stein sitzenden beweglichen Tiere. Diese Tiere werden als Lebensformtyp im Kursraum näher auf die Raum-Einnahme (Anheftung am Substrat bzw. ihrer Bewegungsmöglichkeit am überströmten Stein bzw. der Bevorzugung strömungsarmer Regionen), ihrer Nahrungspräferenz (Filtrierer, die die Drift nutzen, oder Weidegänger am Aufwuchs oder Zerkleinerer als Vertilger von Fallaub oder „Räuber“ mit verschiedenen Strategien) und der Art der Nahrungsaufnahme und dem Feindschutz (bei festsitzenden Formen z.B. durch Gehäuse) untersucht und in den Kontext gestellt. Hohe Anteile von Filtrieren/ Driftfängern stehen in Zusammenhang mit der Erhöhung der Driftfracht z.B. durch Einleitung von geklärtem Abwasser oder Zufluß aus einem Wasserblüten-Fischteich, ein hoher Anteil von Zerkleinerern (wie Bachflohkrebse) ergibt sich bei Fallaub-Eintrag durch Ufererlen. Die chemischen Parameter werden auf die Funktion als limitierende Faktoren in den ökologischen Zusammenhang gestellt. Das Einwirken des Menschen ergibt sich dabei als Faktor der ökologischen Nische dieser Tiere. Für die Weidegänger ist der Aufwuchs näher zu untersuchen, für die beweglichen Formen sind überlegene, nur kurzfristig anwesende, aber das System kontrollierende Räuber der Spitze der Nahrungspyramide (wie Fische oder die Wasseramsel) mit einzubeziehen. Damit erhalten die Schüler einen Einblick in das ökologische Beziehungsgefüge, das auch Naturschutz-Maßnahmen ableiten läßt, sie lernen also Ökologie im realistischen Kontext, auch die Auswirkungen nur kurzfristiger Einwirkungen des Menschen (wie bei Einleitungen z.B. aus der Mischkanalisation)! Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 37 Literatur ESCHENHAGEN; D., U.KATTMANN & D RODI (Hrsg.): Umwelt im Unterricht. (auch unter dem Titel: Handbuch des Biologieunterrichts Sekundarbereich I, Band 8: Umwelt). Aulis/Deubner, Köln 1991. FEY, J.: Biologie am Bach. Praktische Limnologie für Schule und Naturschutz. BAB 48. Quelle & Meyer, Wiesbaden 1996. FEY, J. & R.MÜLLER (Schriftleitg): Die Ruhr. Elf flußbiologische Exkursionen. Naturschutzzentrum Märkischer Kreis (Hrsg.) & Galunder, Wiehl 1998. KÜKENTHAL, W. (Begründer), V. STORCH & U.WELSCH (Bearbeiter): Leitfaden für das Zoologische Praktikum. Fischer, Stuttgart, 22.Aufl. 1996. JUNGE, F.: Der Dorfteich als Lebensgemeinschaft. Lipsius & Tischer, Kiel 1885. Nachdruck der 3.Aufl. von 1907 [m. Einf. d. Hrsg. W. RIEDEL & G. TROMMER u. Vorwort v. W. JANßEN] bei Lühr & Dircks, St. Peter-Ording 1985) SCHMIDT, E.: Ökosystem See, Bd. 1: Der Uferbereich des Sees. BAB 12/1. Bd. 2:Freiwasserraum (Pelagial) und Tiefenzone (Profundal). Quelle & Meyer, Wiesbaden, 5.Aufl. 1996, 2000. SCHMIDT, E. & J.KAMINSKI: Wasserblüten eine Ökosystem-Simulation im Aquarium.Unterrichtsmodell für die Sekundarstufe I/II (8.-13. Schülerjahrgang). UB 248 (23 Jahrg.): 40-42 (1999). SCHOENICHEN, W.: Praktikum der Insektenkunde nach biologisch-ökologischen Gesichtspunkten. 3. Aufl. Fischer, Jena 1930. 2.8.2 Naturphilosophisch/ erkenntnistheoretischer Hintergrund für inklusives Denken Der Denkansatz des Forschers bestimmt die Fragestellung und den Arbeitsansatz: Wir sehen die Natur immer durch die Brille unserer Vorstellungen. Die biologischen Arbeitsweisen stehen damit im Kontext mit Vor-Urteilen und Paradigmen. Das formale Bildungsziel des kritischen Hinterfragens naturwissenschaftlicher Aussagen ist nur in Verbindung mit erkenntnistheoretisch/ naturphilosophischen Reflexionen zu erfüllen. Naturphilosophie müßte daher den naturwissenschaftlichen Unterricht ergänzen und schon in das Biologiestudium integriert sein (vgl. KATTMANN 1971). Die Dialektik des deterministischen („exakt naturwissenschaftlichen“) und des ganzheitlich/ systemischen Denkens (des analytischen und systemischen Ansatzes bei ELLENBERGER 1993, vgl. SCHMIDT 1991) gehört daher zu den Leitzielen des Biologieunterrichtes. Die bestechende Klarheit und Berechenbarkeit hat die klassische Physik NEWTONs (mit Mechanik und Astronomie) zum Vorbild für die "exakten" Naturwissenschaften und – mit der Etablierung der Physiologie – auch für die Biologie gemacht. Das begründete die Ideologie des Mechanismus bzw. Reduktionismus, also des Glaubens daran, daß auch die komplexen biologischen Phänomene und Systeme letzlich auf einfache physikalische oder chemische Vorgänge zurückgeführt werden können, in Verbindung mit dem Determinismus, also dem Glauben daran, daß die Natur im Kern auf klaren, d.h. mathematisch faßbaren Kausalitäten beruht und damit letztlich berechenbar ist. Die Natur ist danach nur analytisch, aus dem isolierten Teil heraus zu verstehen; dabei ist idealistisch und typologisch von den individuellen Eigenschaften abzusehen, das Generelle aus dem Gemeinsamen der Teile zu abstrahieren. Es gab aber stets auch Philosophen und Naturwissenschaftler, die in dem Ganzen (eines Organismus, eines Ökosystems, der Natur) mehr sahen als die Summe der Teile, die in der unberechenbaren Dynamik ("alles fließt": HERAKLIT) oder dem Beziehungsgefüge (A.v. HUMBOLDT), nicht in der strukturellen Organisation den Schlüssel zum Naturverständnis suchten, die also den ganzheitlichen Zugang als Gegenstück zur Detailsanalyse unter normierten Bedingungen postulierten (Holismus, vgl. z.B. THIENEMANN 1956, in der Didaktik z.B. VERFÜHRT 1987 oder VERBEEK 1978, aber auch die Gestaltswahrnehmung: BÄSSLER 1991), z.T. auch eine Kraft annahmen, die der Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 38 Natur (Entelechie bei ARISTOTELES) oder wenigstens dem Lebendigen zu einer Sonderstellung im Vergleich zum Anorganischen verhilft (Vitalismus: DRIESCH, vgl. WENZL 1951, der Vitalismus ist auf die Biologie beschränkter Holismus; Synthese mit dem Mechanismus ist die organismische Auffassung v. BERTALANNFYs, vgl. KATTMANN 1971, SACHSSE 1968, sowie EKR 1993;). Sie lassen den Positivismus (die Beschränkung auf das Erfahrbare als Grundeinstellung der Naturwissenschaftler), ggf. auch einen Mechanismus nur innerhalb der wissenschaftlichen Arbeit gelten und sind als Mensch aber der Metaphysik (der Philosophie des Transzendenten, d.h. des jenseits des Erfahrbaren liegenden) aufgeschlossen oder glauben an einen Gott (und seine Offenbarungen über das Jenseits und den Zugang dahin, wie ILLIES 1977 oder BIRCH 1986, vgl. auch das Schicksal des als Ketzer verurteilten GALILEO GALILEIs (1564-1642; vgl. CROMBIE 1977 sowie RICHTER 1994, WALDENFELS 1994; GALILEI wurde erst 1992 vom Papst Johannes Paul II rehabilitiert). Diese Dialektiken sind anschaulich in dem Festvortrag von dem Kollegen MARKL (1993) zum 175. Stiftungsjubiläum der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft zu Frankfurt/M. dargestellt worden. Dieser Denkansatz wirkt sich auch auf die bevorzugten Arbeitsweisen aus (z.B. Systemsimulation : Systemmodellierung; vgl. Kap. 4 sowie BAUHOFF 1976, HÄFNER 1988, HIERING 1988, 1990, KAISER 1985, KÖHLER 1985, KREMMETER 1972). 2.8.3 Synergetisches Systembild („Chaos-System“) als Hintergrund für inklusives Denken Nun steht die Physik aber selbst unter dem Schock der Erfahrung der Grenzen der deterministischen Ordnung. Dabei hatte sich die Atomphysik schon vor mehr als 100 Jahren mit statistischen, nicht mehr individuell zuordenbaren Aussagen (wie beim radioaktiven Atomzerfall) begnügen müssen, inzwischen erwiesen sich selbst so einfach erscheinende Phänomene wie der Rauch einer ausgepusteten Kerze im Lufthauch oder die Strömungsmuster im steinigen Bachbett beim Wechsel der Wasserführung als nicht mehr deterministisch, als „Chaos-System“. Das führte zu einem Paradigmawechsel, zur Theorie der („nicht-linearen“) synergetischen, der „Chaos“-Systeme. Zahlreiche Fernsehbeiträge und Sach-/ Fachbücher bzw. didaktische Aufsätze haben sie inzwischen didaktisch einem breiten Publikum und damit eigentlich auch der didaktischen Umsetzung erschlossen (z.B. BACKHAUS & SCHLICHTING 1990, BRIGGS & PEAT 1990, GEROK u.a. 1990, HASS 1991, 1992, SEIFRITZ 1989, VOLLMER 1988). Hier ist jedoch noch viel aufzuarbeiten. Der klassische Denkansatz für das naturwissenschaftliche Experiment (Kap. 5.1.6) steht immer noch als Idol über dem Denken in komplexen, nicht genau quantifizierbaren, nur ganzheitlich zu verstehenden synergetischen Beziehungsgefügen (wie in naturnahen Ökosystemen). Nun sind diese chaotischen Strukturen von biologischen Kommunikations- und Ökosystemen prinzipiell anders und komplexer als die gängigen Beispiele aus der Physik, auch als das Wetter, dessen Unvorhersagbarkeit (trotz hohen Aufwandes für Datenbeschaffung und Computermodellierung) wir allzuoft erleben, und als mathematische Konstrukte (wie fraktale Geometrien). Damit droht wieder die Gefahr, daß die komplexen und eigenartig evolvierten biologischen Systeme durch die enge Brille der mathematischen Konstrukte und anorganischen Systeme gesehen und dann in ihrem Wesen nicht angemessen verstanden wird. Die unermeßliche und faszinierende Vielfalt an Schutz- & Abwehrstrategien der Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 39 Organismen, an Überlebensstrategien in Belastungssituationen und an Rückwirkungen auf die Kontrahenten geht zwar zunehmend in die ökologischen Lehrbücher ein, wird aber noch nicht zu einer synergetischen Systemsicht zusammengefügt, liefert noch keine Modelle für die praktische Beherrschung lebendiger Chaossysteme (zum Transfer auf neuartige Waldschäden vgl. KULL 1993). Dabei ergäben sich (im Sinne formaler Bildung) Transfermöglichkeiten zu den ähnlichen (aber noch komplexeren) Ordnungsprinzipien in Wirtschafts-, Sozial- & Kultursystemen der Menschheit, auch in der Sprache (Kap. 3.4). Zu bedenken ist noch, daß deterministische Ordnung und unkalkulierbares Chaos die Pole eines kontinuierlichen Spektrums sind und in dialektischer Weise sich gegenseitig bedingen (MEYER-ABICH in HESKE u.a. 1954; Tab. ##). Reale Chaossysteme (wie das Wetter, Organismen oder Ökoysteme in ihrer Dynamik, vgl. REMMERT 1989, SCHUBERT 1991) sind unter bestimmten Bedingungen oder bei Betrachtung sehr kurzer Zeitabschnitte durchaus angemessen deterministisch zu erfassen; auch Laborversuche unter normierten Bedingungen, die computergesteuerte Massentierhaltung und standardisierte Laborkulturen sind Beispiel dafür. Sie lassen sich für die Computermodellierung (Kap. 5.1.9) durchaus didaktisch nutzen, jedoch ist das erkenntniskritische Hinterfragen der Aussagegrenzen besonders wichtig, aber auch besonders anspruchsvoll (vgl. BÄSSLER 1991). Einsicht in die eigentliche synergetische Systemstruktur ist jedoch dann unabdingbar, wenn die Ergebnisse in die komplexe Wirklichkeit übertragen werden sollen. Hier ist noch viel didaktisch aufzuarbeiten!. Dabei ist Unterricht selbst ein Chaossystem, das sich dem eher deterministischen Curriculum-Ansatz versperrt, das mit individuellen Fallstudien besser zu verstehen ist als mit den (wissenschaftlich eher akzeptierten) statischen Studien mit Kollektivaussage (Kap. ##)! Wir müssen uns damit der Dialektik von reduktionistisch/ idealistisch/ nomographisch / typologischem und von synergetisch/ holistisch (ganzheitlichem)/ pragmatisch auf das individuelle und auf seine Dynamik (Geschichtlichkeit) bezogenem Denken in Chaosstrukturen stellen. Sie zeigte sich schon in der Dialektik der klassischen Philosophien von EUKLID und SOKRATES, in der klassischen Physik später der von NEWTON und GALILEI. Das entspicht der Dialektik von exaktem (mechanistischem), Experiment mit Faktorenmanipulation und normierten / standardisierten Bedingungen, die sicher reproduzierbar die Kausalität aufdeckt, und von ganzheitlich-/ funktionalem Vergleichen naturnah komplexer Systeme unter naturnahen Bedingungen. Diese Arbeitsweisen sind an die Dialektik der zugehörenden Denkweisen gebunden, an das exklusive, statisch auf Systemstrukturen bzw. an das inklusive, auf dynamische Beziehungsgefüge ausgerichtete Denken in Vernetzung. Pädagogisch entspricht dem die Dialektik von (linear) darstellendem, bis ins Detail vorgeplantem Unterrichten (extrem in einer Vorlesung) und von genetisch forschendem, weitgehend offenem Unterricht nach dem exemplarischen Prinzip (WAGENSCHEIN 1973, vgl. Kap. 6.2.1; vgl. auch die Dialektik von Fallstudien und statistischen Studien mit Kollektivaussage: Kap. 2.3). Eine Übersicht vermittelt Tab. ##. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 40 Tab. ## : Schema zur Dialektik in den Systemtheorien. (Einige Begriffe in Anlehnung an SCHAEFER 1978*, WAHLERT 1975**, WAGENSCHEIN 1975***, BEGON u.a. 1991, KRATOCHWIL 1991****) Ordnungsstruktur, System-„Philosophie“ Denkansatz Deterministischer KOSMOS selektiv, reduktionistisch/ kausal, summativ; idealistisch/ typologisch; Systemgrenzen Gültigkeitsanspruch Differenzierung Darstellung eher statisch/strukturell ± geschlossenes System objektiv, universell vorwiegend exakt quantitativ exakte, verifizierbare, mathematisierte Formeln/ Regeln; komplexe Systeme als Computer-Simulation Typisierung diskrete Klassenbildung und abstrakte Schemata optimal für Detailanalysen, Lehrbuchschemata Anwendung Klassische Autoritäten Lehr/Lernmethoden*** Denkweise* gerichtet auf Beispiel: Definition Ökosystem akademische Lehre EUKLID/ NEWTON darstellend exklusiv Systemstruktur Interaktion aus Biotop & Biozönose**** Synergetisches „C H A O S“ integrativ, holistisch (ganzheitlich)funktional/ systemorientiert; pragmatisch/auf das INDIVIDUELLE bezogen; geschichtlich/ dynamisch, in Beziehungsgefügen offenes System exemplarisch vorw. qualitativ/ semiquantitativ wegen Erfassungsunschärfen ± intuitiv bewertetes, konkretes Interaktionsgefüge mit seiner individuellen Dynamik und Geschichtlichkeit** tritt zurück gegenüber der Individualisierung Verstehen von komplexen Zusammenhängen am konkreten Beispiel Praxis: Diagnose/ Therapie im konkreten Einzelfall SOKRATES/ GALILEI genetisch/forschend inklusiv Systemfunktion, -dynamik offenes System mit den Arten als Elementen und ihren ökologischen Nischen als den Relationen (Nischengefüge als Beziehungsgefüge) Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 41 Wir müssen uns damit der Dialektik von reduktionistisch/ idealistisch/ nomographisch / typologischem und von synergetisch/ holistisch (ganzheitlichem)/ pragmatisch auf das individuelle und auf seine Dynamik (Geschichtlichkeit) bezogenem Denken in Chaosstrukturen stellen. Sie zeigte sich schon in der Dialektik der klassischen Philosophien von EUKLID und SOKRATES, in der klassischen Physik später der von NEWTON und GALILEI. Das entspicht der Dialektik von exaktem (mechanistischem), Experiment mit Faktorenmanipulation und normierten / standardisierten Bedingungen, die sicher reproduzierbar die Kausalität aufdeckt, und von ganzheitlich-/ funktionalem Vergleichen naturnah komplexer Systeme unter naturnahen Bedingungen. Diese Arbeitsweisen sind an die Dialektik der zugehörenden Denkweisen gebunden, an das exklusive, statisch auf Systemstrukturen bzw. an das inklusive, auf dynamische Beziehungsgefüge ausgerichtete Denken in Vernetzung. Pädagogisch entspricht dem die Dialektik von (linear) darstellendem, bis ins Detail vorgeplantem Unterrichten (extrem in einer Vorlesung) und von genetisch forschendem, weitgehend offenem Unterricht nach dem exemplarischen Prinzip (WAGENSCHEIN 1973, vgl. Kap. 6.2.1; vgl. auch die Dialektik von Fallstudien und statistischen Studien mit Kollektivaussage: Kap. 2.3). Eine Übersicht vermittelt Tab. ##. Literatur (vgl. auch EKR 1993, ELLENBERGER 1993): BACKHAUS, U. & J.SCHLICHTING: Auf der Suche nach Ordnung im Chaos. MNU 43 (8): 456-466 (1990). BÄSSLER, U.: Irrtum & Erkenntnis. Fehlerquellen im Erkenntnisprozeß von Biologie & Medizin. Springer, Berlin 1991. BAUHOFF, E.: Ein mathematisches Modell in der Biologie. MNU 29 (4): 224-229 (1976). 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Aulis/ Deubner, Köln 1990,. ILLIES, J.: Der Mensch in der Schöpfung. Ein Naturwissenschaftler liest die Bibel. Interform, Zürich 1977 KAISER, H.: Simulation in der Ökologie. S. 387-401 in: WEIDEMANN, G. (Hrsg.): Verh. GfÖ. (Bd. 13, Jahrestagung Bremen 1983). GfÖ, Göttingen 1985. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 42 KATTMANN, U.: Behandlung von Grenzfragen zur Philosophie im BU. I: Grundsatzüberlegungen; II: Die Behandlung des Vitalismusproblems in Kl. 13 unter Berücksichtigung von Grenzfragen. MNU 24: 262-268, 335-342 (1971). KÖHLER, H.: Computer als Herausforderung - zur Sklavenarbeit? MNU 38 (1): 1-9; 38 (2): 65-73 (1985). KRATOCHWIL, A.: Die Stellung der Biozönologie in der Biologie, ihre Teildisziplinen und ihre methodischen Ansätze. S. 1-7 in: KATOCHWIL, A. (Hrsg.): 2. Tagung des Arbeitskreises "Biozönologie" in Freiburg vom 6.-7. Mai 1989. Beiheft 2 zu den Verh. der Gesellschaft für Ökologie. GfÖ, Berlin 1991. KREMMETER, A.: Wissenschaftstheoretische Aspekte der Biologie. Kennzeichen biologischer Systeme und biologischer Theorien. MNU 25 (8): 453-458 (1972). KULL, U.: Luftschadstoffwirkungenauf Pflanzen als Streßeffekte. MNU 46: 460-466 (1993). MARKL, H.: Naturforschung aus Liebe zur Natur. Natur & Museum 123: 129-156 (1993). REMMERT, H.: Ökologie. Springer, Berlin, 4.Aufl. 1989. RICHTER, P.: Papst Johannes Paul II und Galileo Galilei. Forschung & Lehre (Hochschulverband) 1994: 102-103 (1994; vgl. CROMBIE 1994, WALDENFELS 1994). SACHSSE, H.: Die Erkenntnis des Lebendigen. Vieweg, Braunschweig 1968. SCHAEFER, G.: Inklusives Denken - Leitlinie für den Unterricht. S. 10-29 in TROMMER & WENK (Hrsg.): Leben in Ökosystemen. Westermann, Braunschweig 1978. SCHMIDT, E.: Umdenken beim Ökosystemverständnis. Ökosystemanalyse nach dem Lebensform-/ Nischenkonzept. PdN-B 40 (5): 1-7 (1991). SCHUBERT, R. (Hrsg.): Lehrbuch der Ökologie. 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H.: Christlicher Glaube & Wissenschaft. Forschung & Lehre (Hochschulverband) 1994: 96-101 (1994; vgl. CROMBIE 1994, RICHTER, 1994.) WENZL, A. (Hrsg.): HANS DRIESCH, Persönlichkeit und Bedeutung für Biologie & Philosophie von heute. Reinhardt, München 1951. ___________________________________________________________________________ NOTIZEN: Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 43 2.9 Leitziel „Das Prinzip des Exemplarischen“ 2.9.1 Herleitung am Exemplum statt enzyklopädischem Überblick, Beziehungsgefüge statt Struktur-Typologie Einführung: Für das Fach Biologie ist die Abstraktion der Einzelphänomene zum Typus ein wichtiges Anliegen. Die andere Seite dieser Medaille ist der enzyklopädische Überblick der Phänomene. Das entspricht dem exklusiven Denken. Dafür ist im BU kein Raum. Im Sinne des inklusiven Denkens muß im BU das Verständnis von Zusammenhängen im Mittelpunkt stehen. Das gelingt im Biologieunterricht nur an ausgewählten Beispielen. Sie sollten zunächst anschaulich als biologisches Phänomen erfaßt und erst dann auf allgemeine biologische Zusammenhänge hin problematisiert werden. Das Frageschema zum Erkennen dieser Zusammenhänge/ des Beziehungsgefüges soll zugleich modellhaft als ein Lösungsschema für vergleichbare Phänome angelegt sein und so zur formalen Bildung im BU beitragen. Dabei stehen vom Inhaltlichen her Beziehungen (also Relationen oder Funktionen) und Zusammenhänge im Mittelpunkt, Strukturen bilden nur den Rahmen dazu, sie dürfen nicht zum Selbstzweck werden. Gestalt und Funktion werden so zu einer Funktionseinheit. So ist z.B. der Darm als Abfolge von Funktionseinheiten mit spezifischen Anteilen an der Verdauung herzuleiten, er darf nicht in auf einen morphologisch definierten und differenzierten Schlauch reduziert werden. Als Transfer bietet es sich im o.g. Beispiel an, danach zu fragen, welche Nahrungsbestandteile wo wie aufgeschlossen und resorbiert werden, was kaum verändert wird und was wo hinzukommt und wie und wo wieder resorbiert bzw. ausgeschieden wird. Damit ergibt sich die Ausrichtung auf eine ganzheitliche Darstellung und das Denken in Zusammenhängen/ Vernetzungen, kurz das inklusive Denken (s.o.). Auch das ist wieder ein fundamentaler Unterschied im Denkansatz zwischen dem Fach Biologie und dem Schulfach Biologie. Dazu sei das folgende Beispiel vom Gartenteich und seiner Veränderung durch Fischbesatz angeführt. Dabei wird der strukturell/ typologische Ansatz (Vegetationszonen, Artenspektren) durch den funktionell/ systemaren Ansatz (wie und wodurch wirkt sich was auf was aus) ersetzt: Abwasserzulauf 1m Kontrollschacht aktiv wirksamer Wurzelkörper Vorfluter Stauhorizont Abb. ##: Funktionsschema einer Röhrichtpflanzen-Wurzelbettkläranlage (nach KLEE) Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 44 Abb. ## Nährstoffeliminierung (Gesamt-Phosphor) durch Teichbinsen T (gestrichelte Linie) und Rohrglanzgras R (ausgezogene Linie; K: Kontrolle) im Kulturversuch (nach SCHUBERT). Nach etwa 3 Wochen ist die Abbaukapazität im makrophytenfreien Kontrollbecken K (punktierte Linie) erschöpft, in den Röhrichtpflanzen-Kulturbecken R, T läuft die Eliminierung fort. Fischfutt er Abb. ##: Versuchsaufbau zur Simulation der Nährstoffbindung im Aquarium mit Zyperngras in einem Zeitraum von 10-14 Tagen. In den Aquarien mit Fischen wird das Fischfutter über die Ausscheidungen der Fische zu Pflanzendünger umgesetzt. Diese Düngung wird rechts vom Zyperngras genutzt und damit aus dem Wasser entfernt, ohne Zyperngras führt sie zu einer dichten Wasserblüte; links Kontrolle ohne Fische, aber mit Fischfutter: hier bleiben die Nährstoffe in den Futterflocken gebunden, dort kommen Ciliaten zur Massenvermehrung, sie transportieren ihre Ausscheidungen aber nicht in das freie Wasser, so daß sich (vorerst) keine Wasserblüte entwickeln kann. Das Beziehungsgefüge „Fische im Gartenteich“: Ein fischfreier Gartenteich mit einer Zier-Seerose als Vegetation hat klares Wasser (und eine reiche Kleintierwelt, z.B. Wasserläufer, Rückenschwimmer, Libellen). Ein „lieber“ Freund setzt heimlich einige Goldfische ein, um den Teich zu beleben. Leider verschwinden die Rückenschwimmer rasch, das Wasser wird innerhalb von wenigen Wochen trüb grün: Eine Wasserblüte stellt sich ein (die Wasserläufer bleiben, die Libellen nehmen ab). Wasserblüten sollen eine Eutrophierung, also einen Nährstoffeintrag von außen, anzeigen (Bioindikation). Die Fische werden aber nicht gefüttert, sie müssen sich aus dem Teich ernähren. Der Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 45 Nährstoffgehalt ist also für das Ökosystem insgesamt gleich geblieben. Die Lösung liegt im Kurzschluß im Kreislauf der Stoffe, der von den Fischen ausgelöst wird: Die Fische mobilisieren beim Fressen Nährstoffe, die vorher am Grund, in Bodentieren oder in Pflanzen gebunden waren. Sie geben proportional zur Nahrungsaufnahme Kot/ Harn ab und verteilen durch ihre Bewegungen die Ausscheidungen im freien Wasser. Die Schlüsselnährstoffe N, P sind im Kot/ Harn (z.B. als Harnstoff, Ammonium, Phosphat) für Wasserpflanzen direkt verfügbar und damit für Planktonalgen optimal verteilter Dünger. Das ermöglicht ihnen hohe Vermehrungsraten bei kurzer Lebensdauer im damit rasant beschleunigten Kreislauf der Stoffe. Bäume mit Wasserwurzeln, Schilf oder Tauchblattpflanzen binden dagegen die Pflanzennährstoffe langfristig (im Winter in ihrem langlebigen Rhizom) und können so die Fischwirkung abpuffern (Abb. ##, Anwendung in den Wurzelbett-Kläranlagen: Abb. ##). Im pflanzenreichen Gartenteich bleibt die Wasserblüte daher auch bei (mäßigem) Fischbesatz aus. Das läßt sich mit einem Modellversuch im Aquarium simulieren (vgl. Abb. ## und SCHMIDT & ESCHENHAGEN 1991; alle 3 Abb. aus SCHMIDT 1996). 2.9.2 Das Prinzip des exemplarischen Lehrens/ Lernens Das Prinzip des Exemplarischen (oder Paradigmatischen) ist ein Verfahren zur Bewältigung der Stoffülle. Es wurde von dem Physik-Didaktiker WAGENSCHEIN (1959, 1962, 1970, 1977) strukturiert und fand schnell Eingang auch in die Biologiedidaktik (SIEDENTOP 1964). Das Prinzip des Exemplarischen (im Sinne von WAGENSCHEIN) bedeutet aber nicht einfach die Beschränkung auf repräsentative Beispiele (z.B. auf die Weinbergschnecke als Beispiel für ein Weichtier). „Exemplarisch“ heißt, „das Wesentliche der UnterrichtsGegenstände zu durchdringen und am Einzelbeispiel grundlegende Phänomene (der geistigen Welt) sichtbar zu machen“ (Tübinger Resolution 1951, vgl. SIEDENTOP 1964: 44 ff.); es ist in diesem Sinne eine Form der formalen Bildung. Das zeigt sich an den folgenden (Funktions-) Zielen (in Anlehnung an WAGENSCHEIN 1959; vgl. EKR 1993: 47 oder SIEDENTOP 1964: 46 ff), die früher vorherschende „Stoffziele“ ablösen sollen. Das Prinzip des Exemplarischen stellt in den Mittelpunkt: 1) Verstehen einer Einzelerscheinung (durch Einordnen in einen Zusammenhang), sie erklären, einer Ursache zuordnen; 2) Ausdenken eines Experiments als „Frage an die Natur“ mit den Schritten vermutete Antwort (Arbeitshypothese); dann Planung, Durchführung des Experiments und beobachtetes/registriertes Ergebnis; sodann Auswertung als Bestätigung, Verwerfen oder Veränderung der Ausgangs-Vermutung (Hypothese), damit Ableitung einer Regel oder eines Gesetzen (d.h. einer Hypothese/Theorie); Anwendung auf das Alltagsleben; 3) die Verbindung eines biologischen Teilgebietes mit anderen zu einem Zusammenhang/ Ordnungssystem; 4) Arbeiten mit Modellvorstellungen bei komplexen Phänomenen und Zusammenhängen; 5) das erkenntnistheoretische Hinterfragen der Grenzen der angewendeten Arbeitsweisen und der damit gewonnenen Aussagen; Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 46 6) Erfahren der geisteswissenschaftlichen Bedeutung biologischer Begriffe und Denkweisen (wie des Begriffes der Ganzheit, der Evolution, der Metamorphose, des Bauplanes); 7) Aufdecken des geschichtlichen Wandels von biologischen Begriffen (als Ausdruck von Paradigmenwechsel; vgl. den Begriff der „ökologischen Nische“) und Auffassungen und ihre Einflüsse auf kulturelle und zivilisatorische Entwicklungen der Völker (vgl. den Rassenbegriff). Es geht also darum, an einem repräsentativen (komplexen) Beispiel das „Fragen“ (im Sinne von Problemstellung, -vertiefung und -lösung) in einer auf den Schüler (der jeweiligen Zielgruppe) abgestimmten Form zu üben, an dem Fallbeispiel die biologischen Arbeits- und Denkweisen deutlich zu machen (formale Bildung am Exemplum). So hat GOLDSCHMIDT schon 1927, vom Beispiel des Spulwurms ausgehend, eine anschauliche Einführung in die Biologie nach dem exemplarischen Prinzip gegeben, auch die neuere Einführung in die Vogelkunde durch BERGMANN (1987) läßt sich hier anführen, beide sind (in Ergänzung zu den Hochschullehrbüchern) den Lehramtskandidaten sehr zum Selbststudium zu empfehlen. Hinweisen möchte ich auf das Thema „Regenbogen“ bei VOLLMER (2000). Korrelation Hormone Stammesentwicklung Steuerung Entwicklung Nervensystem Einzelentwicklung Vergleichende Anatomie Anatomie Bau der Atmungsorgane Extremitätenbildung homologeanaloge Organe Morphologie Fische Lurche Kriechtiere progressive Metamorphose regressive Rückbildung Verwandlung der Amphibien Anpassung an Lebensraum KiemenLungen- Atmung HautFunktion der Atmungsorgane Land- und Wasserleben Physiologie Systematik Ökologie Abb. ##: „Der exemplarische Fall als Beispiel des Ganzen (Erkenntnisganzheit)“, dargestellt am Thema „Verwandlung der Amphibien“ [aus ESSER 1969: 44]. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 47 Das Prinzip des Exemplarischen bedeutet somit Methoden-Lernen, (und Verstehen von Zusammenhängen am konkreten Beispiel) statt Fakten-Anhäufen (im Sinne enzyklopädischer Typologien). Das lineare Vorgehen der Fachsystematik wird dabei in ein Netzwerk aufgelöst, in das auf verschiedene Weise (nämlich an unterschiedlichen Endpunkten des Netzwerkes oder auch an unterschiedlichen Knotenpunkten, vgl. Abb. ##) eingestiegen werden kann und das auf sehr unterschiedlichen Wegen (entsprechend den jeweils auftauchenden Fragen) aufgerollt werden kann (Abb. ##, vgl. auch das „offene Unterrichtsgespräch“ Kap. 5). Das Verfahren bietet sich besonders für die Erarbeitung des Beziehungsgefüges in einem Ökosystem an (vgl. die Gliederung bei SCHMIDT [1996] mit BREHM & MEIJERING [1990] für ein aquatisches Ökosystem). Das exemplarische Prinzip ist dann mit dem Konzept des „offenen Unterrichts“ (als Idealfall des schülerzentrierten Unterrichts, der einen vom Lehrer vorgegebenen Unterrichtsgang weitgehend gegenüber den Anregungen aus der Klasse zurückstellt) und des „forschenden“ bzw. „problemlösenden Unterrichts“ (Ausgang von Problemen, die wissenschafts-propädeutisch gelöst werden sollen) eng verbunden (EKR 1993, S.182 ff.), dazu gehört das „entdeckende Lernen“ (vgl. STAROSTA 1990) mit dem inklusiven Denken (SCHAEFER 1978), dem Denken in Vernetzungen (VESTER 1991) und in synergetischer Systemorganisation („Chaossystem“) [vgl. EKR 1993, ELLENBERGER 1993, S. 188 ff. sowie Kap.5.1.2]. An den Lehrer stellt dieses Unterrichtsprinzip außerordentlich hohe Anforderungen, denn er muß die Schüler dazu anregen, sich vom (logisch einfachen) linearen Denken (der Fachwissenschaft) zu lösen, dabei selbst zu fragen, statt nur Fragen des Lehrers zu beantworten, muß prüfen, ob die Fragen richtig gestellt ist und sich unter den gegebenen Bedingungen beantworten läßt und ob die gefundene Lösung auch tragfähig ist. Dazu muß bereits ein Wissen vorliegen, müssen Beobachtungs- und Untersuchungstechniken bekannt sein und die Einzelergebnisse zum Netz verknüpft werden (vgl. SIEDENTOP 1964: 47). Vom Studium her ist der Lehrer darauf oft nur ungenügend vorbereitet. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 48 2.9.3 Kriterien für die Beispiel-Wahl nach dem Prinzip des Exemplarischen. Die Kriterien für die didaktische Rekonstruktion (im Sinne von Beispielwahl, Stoffauswahl und Unterrichtsform) nach dem Prinzip des Exemplarischen hat BERCK (1999) vorbildlich strukturiert und ausführlich diskutiert. Sie sollen hier (etwas verändert/ ergänzt) stichwortartig vorgestellt werden: Inhaltlich (kognitiv) das Elementare und das Fundamentale: Elementare Bedeutung des Exemplums für das fachlichen Verständnis von Biologie (Fachrelevanz) und fundamentale Bedeutung des Exemplums für das Selbst- und Weltverständnis des Menschen (Gesellschaftsrelevanz als naturwisssenschaftliche Bildung). Anschaulicher Ausgang von einem biologischen Phänomen aus dem Umfeld der Adressaten mit biologischen Arbeitsweisen (als psychomotorischer Komponente): Originäre Begegnung als Anschauungsgrundlage für den Schüler. Dahinter steht auch das für die Naturwissenschaften elementare Prinzip des Vorrangs des Objektes gegenüber der Deutung und Buchwissen (vgl COMENIUS [1632 ff.], zit. nach BLÄTTNER 1966). Methodisch das entdeckend [forschend/ fragend] problemlösende („genetische“) Lernen: Am Ausgangsphänomen erwächst ein elementar/ fundamentales Teilproblem, das (gemäß dem Schema für das Experiment im Biologieunterricht) einer Teillösung zugeführt wird, die immer wieder ein neues Teilproblem aufwirft, also zu einer Fragekette führt, bis das Exemplum „aufgearbeitet“ ist (mustergültig schon bei JUNGE 1885, Goldhamster-Beispiel bei WERNER 1973). Ganzheitlich-inklusiver (auf das Verständnis von Zusammenhängen gerichteter), dynamisch/ funktionaler Denkansatz Affektiv (Einstellungen verändernd bei passendem Thema, z.B. zur Umwelterziehung im ökologischen Kontext) und sozial erziehend (bei interaktivem Arbeiten, besonders bei Gruppen-/ Projektarbeit). Beitrag zum (erkenntnis-) kritischen Hinterfragen und zum Transfer auf das Alltagsleben (unter dem ganzheitlichen Aspekt). Auch formal bildend: Das Prinzip des Exemplarischen Lernens vermittelt durch das Prinzip des genetischen Lernens über das konkrete Beispiel hinaus ein allgemeineres, transfer-fähiges Verfahren des naturwissenschaftlichen ProblemLösens und ist damit ein Beitrag zur formalen biologischen Bildung. Literatur (zu 2.9): BERCK, K.-H.: Fundamentalthemen – notwendiges oder nutzloses Element von Biologiecurricula? MNU 29 (8): 471-474 (1976). BERCK, K.-H.: Biologieunterricht – exemplarisch für das Exemplarische. ZfDN 2 (3): 17-24 (1996) BERCK, K.-H.: Biologiedidaktik. Grundlagen und Methoden. Quelle & Meyer, Wiebelsheim 1999 BERGMANN, H.: Die Biologie des Vogels. Eine exemplarische Einführung in Bau, Funktion und Lebensweise. Aula, Wiesbaden 1987. BLÄTTNER, F.: Geschichte der Pädagogik. Quelle & Meyer, Heidelberg, 12. Aufl. 1966 BREHM, J. & M.MEIJERING: Fließgewässerkunde. Eine Einführung in die Limnologie der Quellen, Bäche & Flüsse. Biologisches Arbeitsbuch 36. Quelle & Meyer, Heidelberg, 2.Aufl. 1990. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 49 ELLENBERGER, W. (Hrsg.): Ganzheitlich-kritischer Biologieunterricht. Für das Leben lernen. Cornelsen, Berlin 1993. ESSER, H.: Der Biologieunterricht. Handbuch der Realschule. Schroedel, Hannover, 3. Aufl. 1969. GOLDSCHMIDT, R.: Einführung in die Wissenschaft vom Leben oder Ascaris. Verständliche Wissenschaft. Springer, Berlin, 1927, 3. Aufl. 1954. JUNGE, F.: Der Dorfteich als Lebensgemeinschaft. Lipsius & Tischer, Kiel 1885. Nachdruck (der 3. Aufl. von 1907) mit Vorwort/ Einführung von JANßEN, W, W. RIEDEL & G. TROMMER:. Lühr & Dircks, St. Peter-Ording 1985. SCHAEFER, G.: Inklusives Denken – Leitlinie für den Unterricht. S.10-29 in TROMMER & WENK (Hrsg.): Leben in Ökosystemen. Leitthemen, Beiträge zur Didaktik der Naturwissenschaften 1/78. Westermann, Braunschweig 1978. SCHMIDT, E. (mit D.ESCHENHAGEN): Binnengewässer. S. 170-215 in ESCHENHAGEN, D., U. KATTMANN & D. RODI (Hrsg.): Umwelt im Unterricht. Aulis, Köln 1991. SCHMIDT, E.: Ökosystem See. Bd. 1: Der Uferbereich des Sees. Biologische Arbeitsbücher 12.1. Quelle & Meyer, Wiesbaden, 5. Aufl. 1996. SIEDENTOP, W.: Methodik und Didaktik des Biologieunterrichts. Quelle & Meyer, Heidelberg 1964. STAROSTA, B.: Erkundungen der belebten Natur nach dem Prinzip des entdeckenden Lernens didaktische Konzepte und Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. S. 316-323 in: KILLERMANN & STAECK (Hrsg.): Methoden des Biologieunterrichts. Bericht über die Tagung der Sektion Fachdidaktik des VDBiol. Herrsching 1989. Aulis/ Deubner, Köln 1990. VESTER, F.: Leitmotiv vernetztes Denken. Für einen besseren Umgang mit der Welt. Heyne TB. Heyne, München, 2.Aufl. 1991. VOLLMER, M.: Das ist ein seltsam wunderbares Zeichen! Ein Streifzug durch die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte des Regenbogens. Naturwiss. 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Diese Bestrebungen fanden eine Stütze in der stärkeren Verzahnung der Naturwissenschaften in den komplexen Anwendungsbereichen von Medizin & (Umwelt-) Technik und bei den Umweltproblemen. Nun sind Biologie generell und die Ökologie im besonderen von Natur aus integrativ angelegt. Dabei werden die Nachbardisziplinen jedoch als Hilfswissenschaft eingebracht, also unter dem Aspekt der jeweiligen Fragestellung kanalisiert (und verengt), ihre spezifische Systematik kommt nicht oder nur unzureichend zum Tragen. So müssen wir die Fotosynthese im Biologieunterricht schon einführen, lange bevor Chemieunterricht überhaupt, geschweige denn die entsprechende organische Chemie, behandelt sein können und die Chemie entsprechend auf das für das biologische Verständnis Notwendige verkürzen; die Integration der beiden Fächer hilft also nicht. Umgekehrt ist es bei der Umweltanalytik, wo die Chemie Meßverfahren schon früh bereitstellen kann (oder auch selbst einsetzt), aber nicht sensibilisiert ist für die ökologisch entscheidende Frage der Bedeutung des Meßwertes (wie der Belastbarkeit von Organismen), oft nicht einmal wahrnimmt, daß die Meßgröße maßgeblich biologisch bestimmt ist und (wie der pH-Wert im Gewässer als Ausdruck der Fotosynthese- und Atmungsrhythmen in Rückkopplung mit dem Karbonatsystem und abhängig von der biologischen Aktivität: SCHMIDT 1996) daher z.B. von der Organismendichte und dem Tages-/Jahresgang ihrer entsprechenden Aktivität abhängt, was bei den Messungen zu beachten ist. Insgesamt führt ein integrierter naturwissenschaftlicher Unterricht dazu, daß biologische Anteile reduziert werden und integrationsfähige Randthemen ein zu hohes Gewicht erhalten. Damit ist die Frage „Integrative Biologie“ oder Integrierte Naturwissenschaft nicht objektiv zu klären, sondern nur durch axiomatische Setzung zu entscheiden. Die beiden Alternativen haben damit den Charakter alternativer Leitziele. Hier sollen noch die Argumenten pro und contra zusammengestellt und (aus persönlicher Sicht) bewertet werden. Dieses Kapitel war ursprünglich unter „Spezieller Biologiedidaktik“ eingeordnet worden, in dieser Sicht gehört sie zu den LeitzielDiskussionen dieses Kapitels und ist da ein gutes Beispiel für die didaktische Problematik. Bei integrierten Studiengängen (wie im Studiengang Lehramt Primarstufe, Lernbereich Naturwissenschaften unter Einschluß auch der physischen Geographie) erhalten die einzelnen Naturwissenschaften formal gleiche Anteile ohne Rücksicht auf ihren Beitrag zum Bildungsauftrag: Biologie mit dem breiten Feld (wie der grundschulrelevanten Formenkunde, Gesundheits- & Umwelterziehung) hat dann den gleichen Stellenwert wie die (auf diese Stufe eher vordergründig/ technische) Physik. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 51 Integrierte Naturwissenschaft ist (trotz dieser Vorbehalte) in der Primarstufe etabliert, in der S I gibt es Ansätze (wie im IPN-Curriculum "Wasserverschmutzung": EULEFELD u.a. 1979), in der S II hat sie sich „Dauerbrenner“ der akademischen didaktischen Diskussion (vgl. BAYRHUBER u.a. 1994) mit Rückwirkungen auch auf die Richtlinien (vgl. RL NRW). Die festgefügte Fachstruktur des Schulunterrichtes, die sich in den weiterführenden Schularten schon aus der Fachkompetenz ergibt, sorgt hier (erfreulicherweise) dafür, daß „der Boden unter den Füßen bleibt“. Für die naturwissenschaftliche Bildung in der gymnasialen Oberstufe ist dabei allerdings der Kurswahlmodus deshalb fatal, weil ein breiter naturwisssenschaftlicher Fächerkanon (mit Mathematik, Physik, Chemie und Biologie mit je 3-6 Wochenstunden wie im Naturwissenschaftlichen Zweig der 60er Jahre) ausgeschlossen worden war und erst jetzt krasse Fehlentwicklungen langsam korrigiert werden. Die Problematik wird klar bei SCHAEFER (1976) herausgestellt: Gründe für das Schulfach „Integrierte Naturwissenschaft“ sind: Integrierte Naturwissenschaft als Gegenpol zur Aufsplitterung in Fachdisziplinen; Überwindung des „Fachidioten“ als Bildungsziel; Hypothese der besseren Lernökonomie; Abbau der Fachgrenzen zur Verbesserung der „Chancengleichheit“ der Schüler; Mythos der Integrierten Naturwissenschaft als Ausgleich für den desintegrierten, zersplitterten Menschen der Industriegesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Gegengründe sind: 1. Organisatorische Probleme (wie die Festschreibung der Stundentafeln und Lehrpläne); 2. viele Schüler bevorzugen den Fachunterricht; 3. viele Lehrer fühlen sich auf Grund ihrer einseitigen Ausbildung überfordert; 4. Verteilungskämpfe um die Stundenanteile zwischen den herkömmlichen Fächern, 5. Schwierigkeiten bei der inhaltlichen Konkretisierung der Themen. 6. „Trojanisches Pferd“ der Fachlobby von Fächern, die unter dem Stichwort „integrierte Naturwissenschaft“ (zu Lasten der Biologie) ihren Anteil erhöhen (wie die Physik in der Orientierungsstufe oder im Sachunterricht) oder sich überhaupt neu etablieren wollen. Die Integrationsansätze lassen sich klassifizieren in: 1. Der konzept- oder begriffsorientierte Ansatz (z.B. die Begriffe „Fliegen, Schwimmen, Schweben/ Gleiten“ in Biologie, Physik, Sport, Technik). 2. Der prozeß-. oder methodenorientierte Ansatz (z.B. „Chaostheorie“ in Mathematik, Physik, Biologie, Wirtschaft, Soziologie, Sprachforschung). 3. Der theorieorientierte Ansatz (z.B. Evolutionstheorie in Biologie, Geologie, Technik, Soziologie). 4. Der objektorientierte Ansatz (z.B. das „Waldsterben“ in Biologie/Ökologie, Geographie, Klimatologie, Technik, Wirtschaft). 5. Der problemorientierte Ansatz (z.B. Umweltschutz). 6. Der umweltorientierte Ansatz. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 52 Besondere Eignung von Biologie als integrierende Naturwissenschaft (mit dann höheren Stundenanteilen neben den konventionellen Anteilen für die Fächer Physik und Chemie): Sensibilisierung für die Problematik der Abgrenzung von Kausalität & Finalität (die einfachere Fachstruktur in Physik & Chemie ermöglicht dort die völlige Eliminierung von Finalität); Förderung des Denkens in komplexeren „Chaos- Systemen“ mit höheren Unschärfen (vgl. Kap. ##); Sensibilisierung für die Dialektik von exklusivem & inklusivem Denkansatz. Die (nachhaltig zu unterstützende) Konsequenz ist also die Forderung nach mehr (und mehr integrierender) Biologie im konventionellen Fächerkanon statt integrierter Naturwissenschaft (und fortlaufenden Stundenkürzungen für das Schulfach Biologie), was allerdings die fachlichen Anforderungen an die „Lehrämtler“ Biologie und an die Biologielehrer stark erhöht! Literatur: BAYRHUBER, H., K.ETSCHENBERG, K-H.GEHLHAAR, O.GRÖNKE R.KLEE, H.KÜHNEMUND & J.MAYER (Hrsg.): Interdisziplinäre Themenbereiche und Projekte im Biologieunterricht. 9. Fachtagung der Sektion Fachdidaktik im VDBiol 1993 in Ludwigsfelde (bei Potsdam). IPN, Kiel 1994. BÖMEKE, R.: Integrierter Ökologie-Unterricht im dreigliedrigen Schulsystem. Biol.Did. 7: 29-45 (1985). DALHOFF, B.: Freizeitverhalten fatal in Werl? Bericht über ein Projekt zum Umgang mit Natur in der Freizeit in der S II. UB 188: 43-47 (1993). EULEFELD, G., D.BOLSCHO, W.BÜRGER & K.HORN: Probleme der Wasserverschmutzung. Unterrichtseinheit für die 8.-10. Klassenstufe. IPN Einheitenbank Curriculum Biologie. Lehrerheft. Aulis/ Deubner, Köln 1979. HECHT, K.: Überlegungen zu integrierten naturwissenschaftlich-technischen Grundkursen der Studienstufe. MNU 27: 129-135 (1974). LINDER, H.: Zehn Jahre Programmierte Instruktion. MNU 26 (8): 477-481 (1973). ROBINSON, S.: Bildungsreform als Revision des Curriculums. Luchterhand, Neuwied 1969. SCHAEFER, G.: Integrierte Naturwissenschaft oder mehr Biologie? MNU 29: 271-276 (1976). SCHMIDT, E.: Ökosystem See. Bd. I Der Uferbereich des Sees. Quelle & Meyer, Wiesbaden, 5. Aufl. 1996. SCHORR, E.: Integrierte Umwelterziehung am Beispiel einer Unterrichtseinheit "Fließgewässer". Biol. Schule 40: 329-335 (1991). Vgl. auch die Reihe „Leitthemen, Beiträge zur Didaktik der Naturwissenschaften“ bei Westermann, Braunschweig mit Bänden wie: Wachsende Systeme, 1976, Hrsg.: G.SCHAEFER, G.TROMMER & K.WENK; Naturerscheinung Energie, 1977, Hrsg.: G.TROMMER & K.WENK; Denken in Modellen, 1977, Hrsg.: G.SCHAEFER, G.TROMMER & K.WENK; Leben in Ökosystemen, 1978, Hrsg.: G.TROMMER & K.WENK; Unterrichten mit Modellen, 1979, Hrsg.: G.TROMMER & K.WENK; Information & Ordnung, 1984, Hrsg.: G.SCHAEFER. oder umgeschrieben als: SCHAEFER, G. (Hrsg.): Information & Ordnung. Leitthemen, Beiträge zur Didaktik der Naturwissenschaften 1/78. Westermann, Braunschweig 1984. SCHAEFER, G., G.TROMMER & K.WENK (Hrsg.): Wachsende Systeme. Leitthemen, Beiträge zur Didaktik der Naturwissenschaften. Westermann, Braunschweig 1976. SCHAEFER, G., G.TROMMER & K.WENK (Hrsg.): Denken in Modellen. Leitthemen, Beiträge zur Didaktik der Naturwissenschaften. Westermann, Braunschweig 1977. TROMMER, G. & K.WENK (Hrsg.): Naturerscheinung Energie. Leitthemen, Beiträge zur Didaktik der Naturwissenschaften. Westermann, Braunschweig 1977. TROMMER, G. & K.WENK (Hrsg.): Leben in Ökosystemen. Leitthemen, Beiträge zur Didaktik der Naturwissenschaften. Westermann, Braunschweig 1978. TROMMER, G. & K.WENK (Hrsg.): Unterrichten mit Modellen. Leitthemen, Beiträge zur Didaktik der Naturwissenschaften. Westermann, Braunschweig 1979. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 53 2.11 Fächerübergreifende Erziehungsaufgaben 2.11.1 Einführung Alle Richtlinien Biologie NRW stellen das Leitziel „Erziehung zum mündigen Demokraten“ als fächerübergreifende Erziehungsaufgabe besonders heraus. Diese staatsbürgerliche Erziehung/ Bildung wird daher hier an den Anfang gestellt. Es folgen die Friedens-, Gesundheits-/ Sexualerziehung und die Umwelterziehung, die inhaltlich stärker Bezug auf den BU bezogenen sind Die Richtlinien Realschule NRW (von 1993) haben die inhaltliche Aufteilung von fächerübergreifenden Erziehungsaufgaben auf die einzelnen Schulfächer und damit die Koordination der einzelnen Unterrichtsfächer am besten vorgegeben. Sie sollen daher hier als Modell dienen. Im 3. Abschnitt der Richtlinien werden dabei der Gesundheitsund der Umwelterziehung eigene Kapitel gewidmet [„Fächerübergreifendes Lehren und Lernen“ (S.93-143); vorangestellt sind: 1. Abschnitt „Richtlinien“ (S.11 ff.), 2. Abschnitt „Lehrplan“ (S.35 ff.)]; die Friedensund die Sexualerziehung sind allerdings nicht mit aufgenommen worden. Die beiden Kapitel werden dabei gegliedert in „Aufgaben & Ziele“, eine Themenübersicht für die einzelnen Schulfächer, Strukturdiagramme zu Aspekten, Themenkreisen und Themen und eine Wabengrafik zu einem ausgewählten Stichwort (z.B. „Alkohol Droge Nr. 1“ für die Gesundheitserziehung oder „Ursachen & Auswirkungen von Waldschäden“ für die Umwelterziehung jeweils in der Jahrgangsstufe 7/8). Bei diesen Erziehungsaufgaben sollen Wertvorstellungen (im Sinne einer Ethik) so vermittelt und gefestigt werden, daß auch ihre Umsetzung (im Sinne einer Moral) aus eigenem Antrieb erfolgt (Handlungsbezug der Erziehung), daß also im Ideal die Wertvorstellungen gelebt werden. In einer pluralistischen Gesellschaft können dabei im öffentlichen Schulwesen nur solche Erziehungsaufgaben eingebracht werden, die für die ganze Gesellschaft unstrittig sind. Das gilt ohne Zweifel für die Erziehung zum friedlichen Zusammenleben im Staat und mit den anderen Staaten (Friedenserziehung), für die Erziehung zum verantwortungsvollem Umgang mit dem eigenen Körper (Gesundheitserziehung), mit dem (Geschlechts-) Partner und der Zeugung/ Empfängnis als Beginn neuen menschlichen Lebens (Sexualerziehung) und mit der Natur und der Umwelt (Umwelterziehung). Für diese Erziehungsaufgaben hat die Schule kein Monopol, auch haben die Lehrer dafür nicht in jedem Falle oder von Amts wegen die bessere Qualifikation. Diese Erziehungsaufgaben werden (vor allem bei der Gesundheitserziehung) zunächst maßgeblich von den Eltern, die den Kindern ja auch persönlich besonders verbunden sind, wahrgenommen, auch später wirken sie neben der Schule weiter. Darüber hinaus nimmt sich auch die Öffentlichkeit ihrer an; sie kann sich dabei auch mit ganz anderen Zielvorstellungen einmischen. Zu nennen sind neben dem von den Kindern ± selbst gewählten Bekannten-/ Freundeskreis vor allem die Massenmedien. Der fachliche Hintergrund bei den didaktischen Rekonstruktionen muß hier also auch den Sachstand und vor allem die Wertehaltung dieser außerschulischen Einwirkungen berücksichtigen. Darauf wird hier vor allem bei der Umwelterziehung eingegangen. Sie ist ein Arbeitsgebiet in unserer Arbeitsgruppe, hoch aktuell, wird daher hier vertieft und erhält aus praktischen Gründen (wie Übersichtlichkeit der Dezimalklassifikation) ein eigenes Kapitel (2.8). Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 54 2.11.2 Erziehung zum verantwortungsbewußten Demokraten (= staatsbürgerliche oder politische Bildung) Das (alle Schulfächer betreffende) Leitziel „Erziehung zum mündigen Demokraten“ (staatsbürgerliche Erziehung/ Bildung) stellen alle Richtlinien Biologie (SI wie SII) NRW nachdrücklich, aber ohne den fächerübergreifenden Aspekt und ohne inhaltliche Konkretisierungen heraus. Die Richtlinien für die gymnasiale Oberstufe formulieren das (auf S. 14) als: „In der gymnasialen Oberstufe bilden, bezogen auf ihre Unterrichts- und Erziehungsaufgaben, zwei Zielfelder da Zentrum aller schulischen Arbeit. Sie sind definiert durch den Doppelauftrag, dem Schüler eine wissenschaftspropädeutische Ausbildung zu vermitteln; dem Schüler Hilfen zur Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung zu geben.“ Dabei werden drei Schwerpunkte gesetzt (s.17): (1) Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung ist nicht erreichbar ohne die Bereitschaft und Fähigkeit, sich mit anderen zu verständigen. (2) Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung ist nicht erreichbar ohne die Bereitschaft und Fähigkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten. (3) Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung ist nicht erreichbar ohne die Bereitschaft und Fähigkeit, sich mit Werten und Wertsystemen auseinanderzusetzen, zu urteilen und sich zu entscheiden. Die Richtlinien für die S I im Gymnasium formulieren den Doppelauftrag ähnlich (S. 12 ff.): Hilfen geben zur Entwicklung einer mündigen und sozial verantwortlichen Persönlichkeit und grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermitteln. Dabei werden für den ersten Punkt die folgenden Aufgaben spezifiziert: Entfaltung individueller Fähigkeiten; Aufbau sozialer Verantwortung; Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft; Orientierung an Grundwerten; kulturelle Mitgestaltung; verantwortliche Tätigkeit in der Berufs- und Arbeitswelt. Auch die Richtlinien Biologie in der Realschule NRW stellen unter dem Stichwort Mündigkeit die personale & soziale Erziehung einerseits und die fachliche Bildung andererseits als miteinander verknüpfte und aufeinander bezogene Aufgaben in den Mittelpunkt der Leitlinien für den Erziehungs- und Bildungsauftrag dieser Schulart. Stichpunkte dazu sind: Entfaltung und Individualität und Aufbau sozialer Verantwortung: Individuelles Selbst- & Weltverständnis, Übernahme von Verantwortung, gemeinsames Leben & Lernen, Rollenverständnis von Mädchen & Jungen. Kulturelle Teilhabe: Kultur als Teil der Lebenswirklichkeit, Einfluß der Medien, Bedeutung von Freizeit. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 55 Ethisches Urteilen und Handeln: Auseinandersetzung mit Normen & Werten, Sinnfragen menschlicher Existenz, Verantwortung für Gegenwart & Zukunft. Verantwortliche Tätigkeit in der Berufs- & Arbeitswelt: Bedeutung der Arbeit, technologischer Wandel, lebenslanges Lernen, Berufswahl-orientierung, Gleichberechtigung. Mitbestimmung & Mitverantwortung in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft: Verantwortliches Handeln, Schule als Erfahrungsraum. Dazu dient der erziehende Unterricht (S. 17) mit Zukunfts,- Wissenschafts-, Erfahrungs- & Handlungs-orientierung. Die Richtlinien Hauptschule setzen ähnliche Schwerpunkte, die Richtlinien Naturwissenschaften in der Gesamtschule stellen überdies die besondere Förderung der leistungsschwächeren Schüler heraus, denn „sie dient damit der Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes des Grundgesetzes, indem sie die Lebens- & Berufschancen der heranwachsenden Generation aus der häufig gegeben Bindung an Herkunft und Bildungserwartungen löst“. Diese allgemeinen (nicht an die einzelnen Schulfächer gebundenen) Leitziele zur Persönlichkeitsentwicklung der Schüler und zur Erziehung zum verantwortungsbewußten Staatsbürger einer freiheitlichen Demokratie („staatsbürgerliche Bildung“) wurden früher als „politische Bildung“ (im BU) bezeichnet (GRAVE 1965). Aspekte dazu werden unter den folgenden fächerübergreifenden Erziehungsaufgaben (Friedens,- Gesundheits-, Sexual- und Umwelterziehung) konkretisiert. Anmerkung zum Begriff „Mündigkeit“: Statt verantwortungsbewußt wird heute der Begriff „mündig“ gebraucht. Mündigkeit i.e.S. ist die Volljährigkeit, i.w.S. die Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Mündig sein heißt damit eigentlich nur verantwortlich sein (also beispielsweise für eigenes [ggf. vorsätzliches] Fehlverhalten einzustehen). Ein Alltagsbeispiel möge den Unterscheid erläutern: Parkt man im Halteverbot und motzt die Politesse an, so ist man unmündig, zahlt jedoch willig das Knöllchen, so ist man wohl mündig (Einstehen für Fehlverhalten), aber noch lange nicht ein verantwortungsbewußter Staatsbürger (also noch nicht politisch reif im Sinne der Ziele der staatsbürgerlichen/ politischen Bildung). Literatur: GRAVE, G.: Politische Bildung im Biologieunterricht. Der Biologieunterricht 1 (1): 48-63 (1965). Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 56 2.11.3 Friedenserziehung Die Friedenserziehung (Details bei EKR 1996, Kap.4.4, S.112ff.; vgl. auch CALLIEß & LOB 1987) ist logisch die Fortsetzung der Erziehung zum mündigen Demokraten unter dem besonderen Aspekt der Eliminierung der Gewalt nicht nur innerhalb des Gemeinwesens, sondern auch zwischen den Staaten. Im Biologieunterricht ist Friedenserziehung mehr ein Unterrichtsprinzip, die inhaltlichen Anteile der Biologie sind eher beschränkt. EKR 1996 (S.116) heben hervor: Auf der individuellen Ebene die Themen "Aggression", "Gehorsam & Autorität", "Signale der Kommunikation", "Kooperation & gegenseitige Hilfe in Gruppen"; Auf der sozialen Ebene die Themen "Außenseiter", "Verhalten gegenüber Randgruppen", "Rassenvorurteile & -diskriminierung"; Auf der globalen Ebene die Themen "Welternährung & Hunger", "Bevölkerungswachstum & Überbevölkerung". Dabei sind die biologischen Inhalte eng mit emotionalen und ethischen Fragen zu verknüpfen (vgl. LOHR 1983). Friedenserziehung ist auch ein Ausdruck der Mentalität der 70er Jahre mit dem festen Glauben daran, durch Erziehung die Gewalt aus der Welt schaffen (oder zumindest drastisch einschränken) zu können. Der Zusammenbruch des Ost-WestKonflikts Ende der 80er Jahre schien das zu bestärken; mit dem Golf-Krieg, dem Terror im ehemaligen Jugoslawien und (u.a.) in Teilen des ehemaligen SowjetImperiums und Afrikas oder in Palästina kam Ernüchterung und auch Ratlosigkeit (stummes, hilfloses Schweigen). Literatur: CALLIEß, J. & R.LOB (Hrsg.): Praxis der Umwelt- und Friedenserziehung. 3 Bände. Schwann, Düsseldorf 1987. LOHR, S. (verantw. Red.): Frieden. Anregungen für den Ernstfall. Sonderheft der pädagogischen Zeitschriften des Friedrich Verlages, Seelze 1983. 2.11.4 Gesundheits- & Sexualerziehung Die Gesundheitserziehung war schon immer ein Anliegen der Grundschule und der SI, hier oft im Sinne praktischer Lebenshilfe als Anwendung des Sachwissens zur Humanbiologie. Zu Einzelheiten verweise ich auf EKR 1996 (Kap 4.2, S.93ff.) und vor allem auf die Richtlinien Realschule NRW (S.101-111). Die Sexualerziehung wurde dagegen bis in die 60er Jahre im Biologieunterricht eher am Rande und oft mehr als sachliche "Aufklärung" behandelt (aber vgl. dagegen SIEDENTOP 1964). Die Emanzipationsbewegung der 60er und 70er Jahre beförderte auch die sexuelle Befreiung von "alten Tabus" und suchte die Schule als Forum (z.T. kaschiert mit der These vom Abbau von Komplexen und Störungen als Folge des "Versagens" der als eher "konservativ [wertebewußt]/ verkrustet" eingestuften Eltern und Großelterngeneration). Eine Bejahung der Sexualität ("Sexualität ist Lebenskraft": ELLENBERGER 1993, S.288) als ein Ziel der Sexualerziehung in der Schule, die Möglichkeiten der Verhütung als Verantwortung gegenüber der Empfängnis/ dem neu entstehenden Leben (wenn sie auch manchmal eher als Umgehen der biologischen Funktion gesehen werden) gehören zu den Erziehungszielen für den Biologieunterricht aus dieser Zeit (mehr z.B. bei EKR 1996). Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 57 Die Achtung anderer individueller Wertvorstellungen (z.B. in den ländlichkatholischen Regionen der Kölner Bucht und des Münsterlandes) wurde unbeschadet des Propagierens der Meinungs- und Wertevielfalt in einer pluralistischen Gesellschaft bei manchmal geradezu missionarischem Eifer nicht immer gewahrt, die Eignung eines jeden (in der Regel für die Sexualerziehung gar nicht ausgebildeten) Lehrers für die Umsetzung wurde im Überschwang des Bildungseifers eher idealisiert (die Eignung der Familie dafür eher diffamiert), das Selbstbestimmungsrecht der Jugendlichen in diesen oft sehr persönlichen Fragen nicht immer hinreichend beachtet. Auch wurde bei der Auswahl der Inhalte nicht immer die Gewichtung nach komplexen Sachverhalten (wie der hormonellen Steuerung), die der Erfahrung des Fachlehrers bedürfen und damit in den Schulkanon gehören, und nach Alltagserfahrungen (wie z.B. Bindentypen nach Industrie-Werbepackungen oder Arbeitsbögen zu erogenen Zonen: STAECK 1987, S.203), die nicht in der Schule behandelt werden müssen, vorgenommen. Inzwischen hat sich ein Mittelweg eingespielt (zu Details vgl. EKR 1996, Kap.4.3). Neu hinzugekommen ist die Aids-Problematik, die aber oft (u.a. bei EKR) der Gesundheitserziehung zugerechnet wird. Insgesamt haben sich die Anteile von Gesundheits- & Sexualerziehung und der Menschenkunde überhaupt am Pensum der Grundschule und der SI seit den 60er Jahren bei allgemeinen Kürzungen der Stundentafel (zu Lasten der Biologie im engeren Sinne) deutlich erhöht. Literatur: ELLENBERGER, W. (1993): Ganzheitlich-kritischer BU. Cornelsen, Berlin 1993. SIEDENTOP, W.: Methodik und Didaktik des BU. Quelle & Meyer 1964, 4. Aufl. 1972. STAECK, L.: Zeitgemäßer Biologieunterricht. Eine Didaktik. Metzler, Stuttgart, 4. Aufl. 1987. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 20.1.2001 Kap. 2, Ziele BU 2 — 58 2.11.5 Umwelterziehung Der Begriff Umwelterziehung steht hier stets für Umwelterziehung und Umweltbildung. Sie ist eine fächerübergreifende Erziehungsaufgabe der Schule mit besonderer Aktualität und Brisanz. Die bisherigen Ansätze zur Umwelterziehung (vgl. BONATZ & HORST 1987, ENGELHARDT 1977, MIELKE 1974, PREUß 1966, WINKEL u.a. 1978, ZABEL 1988) sind dabei zu überdenken. Das gilt vor allem für die Ziel- und Schwerpunktsetzungen und ihre praktische Umsetzung (EULEFELD & JARITZ 1995, WINKEL 1995 sowie WEIGMANN u.a. 1995). Dazu liegt ein breites Feld an Bestandsaufnahmen, Zielvorstellungen und Modellversuchen mit unterschiedlichem Grad an Realitätsbezug und Praktikabilität vor (vgl. BOLSCHO et al. 1980, 1994 in Verbindung mit BECK 1984, BERTLEFF & EULEFELD 1989, EULEFELD & GÜLLEKES 1990, EULEFELD & GUTTE 1991, EULEFELD et al. 1992, 1993, GÄRTNER & HOEBEL-MÄVERS 1991, MIKELSKIS 1990, PROBST & SCHAUSER 1994, SEYBOLD & BOLSCHO 1993, WINKEL 1995). Hinzu kommen noch die außerschulische Umweltbildung an öffentlichen Institutionen (z.B. in Volkshochschulen und an Biologischen Stationen) und die außerinstitutionelle Umweltbildung in Privatinitiative (wie über Sachbücher, z.B. MOSER 1983, NACHTIGALL 1979, REICHHOLF 1988, 1993). Aktuelle Ereignisse (vor allem sensationelle Störfälle [wie Tankerunfälle]) und Geschehnisse aus dem Alltagsleben (wie TrinkwasserKontaminierungen oder Probleme beim Müllsortieren) werden vielfach von den Massenmedien aufgegriffen und dabei auch bewertet. Die Diskussion ist aber oft abgehoben von Umweltkenntnis und Verständnis der Beziehungsgefüge und damit entfernt von einem rationalen Ansatz zur Problemlösung bzw. Kompromißfindung. Damit ergibt sich eine Herausforderung gerade für den BU hinsichtlich der ökologischen Basis der Umwelterziehung (vgl. dazu SCHMIDT 1995, sowie SCHMIDT 1997 und das Vorwort bei SCHMIDT 1996). Umwelterziehung im BU soll daher in dieser Vorlesung ausführlicher behandelt werden. Das erfolgt jedoch im Kap. 4 (Spezielle Biologiedidaktik). Dort ist auch die vorstehend zitierte Literatur spezifiziert.