Der Autor Peter Geißler hat sich im vorliegenden Band vorgenommen, dem Begriff der Regression nachzugehen, der im Verlauf der Geschichte der Psychoanalyse verschiedene Bedeutungen angenommen hat und heute – auch in anderen psychotherapeutischen Richtungen – in verschiedenster Weise verwendet wird. Aus der Vielfalt der behandelten Themen werden im folgenden einige mir besonders wesentlich erscheinende herausgegriffen: Regression ist psychologisch „das Wiederauftreten entwicklungsgeschichtlich früherer Erlebnis- und Handlungsweisen bei Abbau eines höheren Niveaus“ (Brockhaus)... Das kann Änderungen des Verhaltens betreffen wie sie in dieser Definition genannt oder auch konkreter so beschrieben werden: „... das Zurückgehen auf den Zustand einer onto- oder phylogenetisch früheren Stufe (kann) vorübergehend (sein) wie bei einem kindlichen Wutanfall, oder länger dauernd, manchmal endgültig. Regression kann den ganzen Menschen betreffen, wie z. B. beim Kindisch-werden im Alter, oder sie kann einzelne Funktionen erfassen, z. B. beim Zurückfallen eines zu klarer Begrifflichkeit entwickelten Denkens auf eine rein emotionale und bildhafte Wahrnehmung der Welt, oder von einem vernünftig-moralisch besonnenen Verhalten in Richtung reiner Triebhaftigkeit“ (Geißler). Während die eben genannten Phänomene heute eher der „strukturellen Regression“ zugeordnet werden, griff Freud in der frühen Zeit der Psychoanalyse den Begriff der Regression zur Erklärung des Traumes auf („Bilder statt Gedanken“). Etwas später wurde er dann auch zu einem zentralen theoretischen Begriff der Neurosenentstehung: In einer belastenden Lebenssituation, etwa einem Triebkonflikt, ist eine „progressive“ Lösung, die in diesem Moment weitere Entwicklungsschritte erlauben würde, nicht möglich, das Individuum kehrt zu früheren Befriedigungsmöglichkeiten und hier besonders zu „Fixierungspunkten der Libido“ zurück („zeitliche Regression“). Die damit mobilisierten oralen, analen, phallisch-ödipalen Triebregungen geraten in Konflikt mit anderen seelischen Instanzen und müssen verdrängt werden. Der Begriff der Regression war auch insofern zentral für das Denken der Psychoanalyse, als in ihm Freuds frühe Annahme enthalten ist, dass einmal gebildetes Psychisches grundsätzlich nicht wieder verloren geht, und weiterhin seine Wirkung in der seelischen Dynamik entfaltet, besonders – so die damalige Annahme – wenn der Fluss der Entwicklung an bestimmten Punkten ins Stocken gerät und dort fixiert bleibt. Freud schildert das bekanntlich mit dem plastischen Bild einer Armee, die im Feindesland vorrückt, jeweils an bestimmten Stellen Truppenkontingente zurücklässt und sich dann auf diese Stellen bei Gefahr zurückzieht. Diese „zeitliche Regression“ geht dann sozusagen linear den vorher beschrittenen progressiven Entwicklungsweg bis zu den Fixierungspunkten zurück. Obwohl Freud in der Regression zunächst eher ein negatives Phänomen, einen „Umweg“ gesehen habe, hatte dieser (deskriptive) Begriff schon zu Beginn eine Doppelbedeutung: den a) pathogen wirkenden Rückzug auf die frühen Fixierungspunkte, die, mobilisiert, dann dysfunktional wirken, und b) den zur „Auflösung“ der alten Fixierungspunkte notwendigen regressiven Rückweg im therapeutischen Prozess (einschließlich der Übertragung), in dem diese unbewusste Dynamik durch die Deutung bewusst gemacht wird. In der Epoche der Ichpsychologie traten neue Akzentuierungen auf: Das „Ich“ als steuernde Instanz erhielt eine stärkere Bedeutung, und konnte als nicht regredierter Anteil z. B. in der „Regression im Dienste des Ich“ (Kris) unbewusste Triebimpulse und Fantasien in den Dienst künstlerischer Produktion stellen. Wichtiger wurde aber im weiteren auch die Regression zu früheren Entwicklungsstadien, deren Schwerpunkt nicht mehr allein auf der Ödipalität als relativ spätem Zeitpunkt der kindlichen Entwicklung lag. Auch die Bedeutung der hypostasierten libidinösen Fixierungspunkte ging zurück, an ihre Stelle traten frühe Beziehungssituationen. Die Objektbeziehungs-, später auch die Selbstpsychologie (Ferenczi, Winnicott, Balint, Kohut) sahen nun die erlebende psychische Einheit des „Selbst“ in der frühen Kindheit vielfältigen prägenden, oft verletzenden Situationen ausgesetzt. Aus den daraus resultierenden Defiziten sollte nach Balint im therapeutischen Prozess für den Patienten ein „Neubeginn“ möglich sein. Daher musste zunächst eine Regression auf den Zustand der primären Liebe möglich werden. Diese Verbindung der Übertragung mit dem Regressionsbegriff wurde insofern akzentuiert, als Freud die im Patienten ablaufende Regression noch als ein rein intrapsychisches Geschehen im Patienten gesehen hatte und den Analytiker dabei als relativ distanzierten Beobachter dieser Vorgänge (ähnlich dem Beobachter eines Experiments) betrachtete. Aber es wurde immer deutlicher, dass die früheren Objektbeziehungen sich nur im Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung aktualisieren und damit auch vom Therapeuten beeinflusst werden konnten. Auch das Verhalten des Analytikers hatte nun einen (oft unbewussten) Einfluss auf die Art der Regression – eine Annahme, die sich später ausgeprägt in der Sicht der Intersubjektivisten zeigen würde. Die Regression „muss folglich als eines unter mehreren Symptomen der Interaktion zwischen Patient und Analytiker angesehen werden“ (Balint). Hatte die IchPsychologie noch die therapeutische Ich-Spaltung betont, das Ich als eine „Insel der Vernunft“ gesehen, so trat jetzt, besonders unter dem Einfluss der britischen Objektbeziehungspsychologie, die Beziehung zwischen Patient und Außenwelt, besonders zwischen Patient und Analytiker in den Vordergrund. Der Analytiker wird in den Prozess mit einbezogen und wird so zeitweilig auch die Regression des Patienten mitvollziehen müssen. Die Objektbeziehungstheorie hatte insofern auch Einfluss auf den Stil der analytischen Behandlung, als den oft defizitären, traumatischen frühen Objektbeziehungen der Patienten, die sich in der Übertragung zeigten, nun durch eine Auflockerung des „bisweilen streng und asymmetrisch“ wirkenden analytischen Settings begegnet wurde, da dieses in manchen Fällen frühe Traumatisierungen wiederholte. Statt eines sozusagen linearen Rückganges zu frühen Fixierungsstadien wurden regressive Bewegungen damit auch eher unter dem Gesichtspunkt des „Oszillierens“ zwischen verschiedenen seelischen Zuständen gesehen: Therapeut und Patient agieren zeitweilig gemeinsam auf der Bühne, können aber nach einiger Zeit wieder den Zuschauerraum aufsuchen und sich selbst beobachten, wie es Thomä und Kächele formulierten. Es trat die Bedeutung der Regression als einer „Erholungsphase“ nach Stress, eines zeitweiligen Rückzuges nach Belastung, als „Schonhaltung“ mehr in den Vordergrund. Also nicht der tendenziell pathologische Rückgang zu frühen Fixierungspunkten, sondern eher eine zeitweilige adaptive Rückkehr zu anderen, früheren, eventuell kindlicheren Verhaltensweisen, wurde bedeutsam – wenn sich nicht eine „maligne Regression“ (Balint) entwickelte. Die Fortentwicklung der psychoanalytischen Theorien und besonders die Einflüsse der Säuglingsforschung führte dann zur Annahme früh gespeicherter Interaktionserfahrungen, die schon früh strukturbildend wirken und Erwartungshaltungen des präverbalen Säuglings gegenüber der Umwelt auslösen. Der heute bevorzugte Begriff der strukturellen Regression enthalte deshalb nicht nur „eine chronologische Rückkehr zu früheren Objekt- und Subjektbildern, die auf den Analytiker übertragen werden“, sondern eine „Aktivierung früherer Erlebnisstrukturen, die auf innere Schemata mit jeweils altersgemäß unterschiedlichen Verarbeitungsmodi und Abstraktionsebenen zurückgehen.“ Theoretische Bezugspunkte sind dabei die „RIGs“ von Daniel Stern (representations of interaction generalized). Dabei geht es um innere Bildungen, die aus dem häufig wiederholten Erleben von Interaktionen des kindlichen Selbst mit einer anderen Person, zunächst meist der Mutter, entstanden sind, und die sich dann in der weiteren Entwicklung abwandeln und differenzieren. Ist also der Begriff Regression ein Mythos? Die frühe Annahme Freuds, dass nichts von dem, was einmal erlebt wurde, wieder verloren geht, bleibt als Hintergrund des Regressionsbegriffs erhalten. Es geht aber heute kaum, wie schon erwähnt, um einen Rückgang „in der Zeit“, sondern eher um einen längeren oder kürzeren Wechsel zu früheren Funktionsweisen und Strukturen. Dieser Rückgang kann erzwungen oder gewollt sein, er kann sich pathologisch, also dysfunktional, oder adaptiv, progressiv, ja auch kreativ auswirken. Die Metapher des „Rückgangs“ ist dabei nicht unbedingt mehr zwingend – man kann auch das Bild „nebeneinander“ anwesender oder jeweils als „Vordergrund und Hintergrund“ bereitliegender Funktionsweisen nutzen. Die weitere Bedeutung des Begriffs Regression wird, wie ich meine, auch von einer weiteren, wahrscheinlich interdisziplinären Klärung dessen abhängen, was bei regressiven Vorgängen im Gehirn geschieht. So z. B. auch bei dem vorübergehenden Auftauchen globaler Denkweisen, die pathologisch sein, oder auch (positiv) das Finden neuer Zusammenhänge begünstigen können. Insofern wird der Begriff zumindest deskriptiv wohl in der Praxis weiterbestehen. Eine veränderte Auffassung der Regression wird nach Meinung des Autors auch durch die Erkenntnis der Gedächtnisforschung begünstigt, dass es neben dem dynamischen Unbewussten ein „implizites Unbewusstes“ gibt, in dem u. a. die frühen Beziehungserfahrungen in nichtsprachlicher Weise als sensomotorische, affektive und Wahrnehmungserfahrungen gespeichert werden. Bei manchen Patienten sind diese Anteile im analytischen Prozess jedoch schwer zu erreichen. Sie werden häufig nur durch nonverbale Zeichen, also Gesten, Körperhaltungen, Art der Atmung etc. bemerkbar werden. Die Beachtung der eigenen – auch gerade körperlich bemerkbaren – Gegenübertragung des Therapeuten kann dabei besonders wichtig sein. In diesen Wahrnehmungen können die oft nur atmosphärisch spürbaren impliziten Niederschläge frühester Interaktionen erlebbar werden, und in diesem Zusammenhang können dann auch szenische oder körperbezogene Interaktionen zweckmäßig eingesetzt werden, um z. B. dissoziierte psychische Anteile zu erreichen. Zuweilen wird damit eine strukturelle (begrenzte) „kontrollierte“ Regression ausgelöst, die auch die Chance bieten kann, eine Rückkehr zu traumatischen frühkindlichen Situationen auszulösen, die für die Überwindung der Fixierung notwendig ist, wie Fürstenau meint. So kommt Geißler von der Besprechung des Regressionsbegriffs aus gegen Ende seines Buches auch auf neue Entwicklungen an den Schnittstellen von Psychoanalyse, Säuglingsforschung und Gedächtnisforschung, in denen, wie er feststellt, der Regressionsbegriff seine zentrale Stellung verloren hat. Er wird aber weiterhin wichtig sein, um die vielfältigen Bewegungen psychischer Dynamik zu beschreiben, in denen sich unser psychisches Leben abspielt – auf den entwicklungsgeschichtlich spät entwickelten kognitiven wie auch auf den früheren global und emotional empfindenden Ebenen, die dennoch stets im alltäglichen Leben mitschwingen und ihre Bedeutung behalten. Dieser Band ist ein beeindruckender und ausgedehnter Streifzug durch die verschiedenen Entwicklungen des Begriffs Regression, die hier nur angedeutet werden konnten. Die Darstellung der vielfältigen Ausformungen des Begriffs in verschiedensten Gebieten, die durch sehr ausführliche Zitate unterstützt wird, könnte im ersten Drittel des Buchs an verschiedenen Stellen gekürzt und durch übergreifende Gedanken gestrafft werden. In der jetzigen Form kann dieser Teil dem Nachschlagen dienen. Dafür wäre – trotz des differenzierten Inhaltsverzeichnisses – ein Register nützlich. Geißler hat den Weg von einer körperbezogenen Psychotherapieform (Bioenergetik) zur Psychoanalyse gemacht und in Wien mit Kollegen den Arbeitskreis für analytische körperbezogene Psychotherapie gegründet, den er sehr aktiv fortentwickelt. Im Text des Buches merkt man die Selbsterfahrung des Autors in diesen beiden psychotherapeutischen Verfahren, und meint auch, etwa ab dem ersten Drittel, ein weiteres Interesse zu spüren, dem auch explizit das letzte Kapitel gilt: den Konsequenzen nachzugehen, die sich theoretisch und praktisch aus einer erweiterten psychoanalytischen Technik und der Anwendung neuer interdisziplinärer Einsichten ergeben könnten. Wenn das so ist, könnte diese Linie, die ich andeutungsweise in der Rezension aufzugreifen versuchte, im gesamten Buch noch stärker am Beispiel der Regression herausgearbeitet werden, vielleicht unter Fortfall anderer referierter Inhalte. Aber auch in der jetzigen Form handelt es sich um ein in vieler Hinsicht anregendes Buch, das in farbiger Weise Themen benennt, die man sich als wichtige Bestandteile einer künftigen Psychoanalyse vorstellen kann. Hans Müller-Braunschweig