Kapitel 8 Grundlegende Konzepte und Kinetik 8.1 Enzyme sind leistungsstarke und hochspezifische Katalysatoren Enzyme sind die Katalysatoren biologischer Systeme und nahezu immer Proteine. Sie sind hochspezifisch und besitzen große katalytische Stärke. Sie können Reaktionsgeschwindigkeiten um den Faktor 10^6 erhöhen. Viele Enzyme benötigen Cofaktoren für ihre Aktivität. Solche Cofaktoren können Metallionen oder Coenzyme – kleine organische Moleküle, die sich von Vitaminen ableiten – sein. Ein solches Enzym ohne seinen Cofaktor wird als Apoenzym bezeichnet; das vollständig katalytisch aktive Enzym heisst Holoenzym. Apoenzym + Cofaktor = Holoenzym Normalerweise katalysiert ein Enzym eine einzige oder eine Serie eng verknüpfter chemischer Reaktionen. Nebenreaktionen, die zur Bildung unnützer Nebenprodukte führen, finden bei enzymkatalysierten Reaktionen nur selten statt, im Gegensatz zu unkatalysierten Reaktionen. Die meisten Enzyme werden nach den Substraten und Reaktionen benannt, die sie katalysieren, wobei das Suffix „ase“ hinzugefügt wird. Somit ist eine ATPase ein Enzym, das ATP abbaut, und ATP-Synthase ein Enzym, das ATP synthetisiert. 8.2 Die freie Enthalpie ist eine wichtige thermodynamische Funktion zum Verständnis von Enzymen Die freie Enthalpie (G) ist die nützlichste thermodynamische Funktion, um zu bestimmen, ob eine Reaktion überhaupt eintreten kann, und um die Energetik der Katalyse zu verstehen. Eine Reaktion kann nur spontan ablaufen, wenn die Änderung der freien Enthalpie (G) negativ ist. Ein System befindet sich im Gleichgewicht und ein erkennbarer Umsatz kann nicht erfolgen, wenn G = 0 ist. Die Änderung der freien Enthalpie G einer Reaktion ist vom Weg der Umwandlung unabhängig. G sagt nicht über V der Reaktion aus. Wir müssen in der Lage sein G bei Reaktionen zu bestimmen: Reaktion: A+BC+D Änderung G gegeben durch: 1) G = G° + RTln [C] [D] / [A] [B] G° = Änderung der freien Enthalpie R = Gaskonstante T = Absolute Temperatur [A], [B],....= Molare Konzentrationen G°` = Änderung der freien Standardent. bei pH 7 Die Beziehung lässt sich leicht ableiten: 2) 0 = G°` + RTln RTln [C] [D] / [A] [B] 3) G° = - RTln RTln [C] [D] / [A] [B] Die Gleichgewichtskonstante K` unter Standardbedingungen ist definiert durch: 4) K` = [C] [D] / [A] [B] Setze 4) in 3) ein 5) G°` = - RTln K` 6) G°` = -2.303 RT log K` 7) K`= 10-G°`/ 2.303RT Einsetzen der Standardwerte 8) K` = 10 -G°`/5.71 Bei jeder zehnfachen Änderung in K`verändert sich G°` um -5.71 Kjmol-1. G kann für eine Reaktion positiv, negativ oder gleich 0 sein, das hängt jeweils von der Konzentration der Reaktionspartnern ab! Das Kriterium für eine spontan ablaufende Reaktion ist G und nicht G°`. Die Änderung der freien Enthalpie einer Reaktion unter Standardbedingungen – wenn die Reaktionspartner und die Produkte in einheitlicher Aktivität vorliegen – wird als Änderung der freien Standardenthalpie (G°) bezeichnet. Biochemiker verwenden gewöhnlich den Wert G°’, der die Änderung der freien Standardenthalpie bei pH 7 angibt. Enzyme ändern das Reaktionsgleichgewicht nicht; sie erhöhen vielmehr die Reaktionsgeschwindigkeit. 8.3 Enzyme beschleunigen Reaktionen durch Erleichterung der Bildung von Übergangszuständen Enzyme fungieren als Katalysatoren, indem sie die freie Aktivierungsenthalpie von chemischen Reaktionen herabsetzen. Sie beschleunigen Reaktionen durch Bereitstellung eines Reaktionsweges, bei dem der Übergangszustand (die energiereichste Spezies) eine geringere freie Enthalpie besitzt und daher schneller gebildet wird als bei der unkatalysierten Reaktion. Eine chemische Umwandlung des Substrats S in das Produkt P verläuft über einen Übergangszustand S ++, der eine höhere freie Enthalpie als S oder P besitzt. Das doppelte Kreuz bezeichnet eine thermodynamische Grösse des Übergangszustandes. Die Aktivierungsenergie mit dem Symbol G++ ist die Differenz zwischen der freien Enthalpie des Übergangszustands und der des Substrats. Die Reaktionsgeschwindigkeit V hängt von G++ ab: V = v [S++] = kT/ h [S] e-G++/RT Der erste Schritt der Katalyse ist die Bildung eines Enzym-Substrat-Komplexes. Enzyme binden Substrate in der Spalte ihres aktiven Zentrums, wo, sobald das Substrat gebunden hat, Wasser weitgehend ferngehalten wird. Die Spezifität der Enzym-Substrat-Interaktionen basiert hauptsächlich auf gerichteten Wasserstoffbrücken und auf der Form des aktiven Zentrums, die Moleküle ausschließt, welche nicht ausreichend komplementär sind. Die Substraterkennung durch Enzyme geht mit Konformationsänderungen im aktiven Zentrum einher, welche die Bildung des Übergangszustandes erleichtert 8.4 Das Michaelis-Menten-Modell erklärt die kinetischen Eigenschaften vieler Enzyme Das Michaelis-Menten-Modell erklärt die kinetischen Eigenschaften einiger Enzyme. In diesem Modell verbindet sich das Enzym (E) mit einem Substrat (S), sodass ein Enzym-Substrat-Komplex (ES) entsteht, der zu dem Produkt (P) führen oder in E und S dissoziieren kann: E + S ES E+P Die Geschwindigkeit V der Produktbildung ergibt sich aus der MM-Gleichung: V0 = Vmax [S] / ([S] +KM) Hierbei steht Vmax für die Geschwindigkeit bei völliger Substratsättigung des Enzyms und KM, die Michaelis-Konstante, für die Substratkonzentration, bei der die halbmaximale Reaktionsgeschwindigkeit erreicht wird. Die Maximalgeschwindigkeit Vmax ist gleich dem Produkt aus k2 oder kkat und der Gesamtkonzentration des Enzyms; die kinetische Konstante Kkat, die Wechselzahl, gibt die Anzahl von Substratmolekülen an, die pro Zeiteinheit von einem aktiven Zentrum in Produkt umgewandelt werden, wenn das Enzym mit Substrat gesättigt ist. Für die meisten Enzyme liegen die Wechselzahlen zwischen 1 und 104 pro Sekunde. Das Verhältnis kkat/Km ist ein aussagekräftiges Mass für die Enzymaktivität. Allosterische Enzyme stellen eine wichtige Klasse von Enzymen dar, deren katalytische Aktivität reguliert werden kann. Diese Enzyme, die nicht der MM-Kinetik gehorchen, besitzen mehrere aktive Zentren. Diese aktiven Zentren zeigen ein kooperatives Reaktionsverhalten, sodass die Auftragung der Reaktionsgeschwindigkeit gegen die Substratkonzentration eine sigmoide Kurve ergibt. 8.5 Enzyme können durch spezifische Moleküle gehemmt werden Spezifische kleine Moleküle oder Ionen können allosterische und nichallosterische Enzyme hemmen. Im Falle der irreversiblen Hemmung wird der Inhibitor entweder kovalent mit dem Enzym verknüpft oder zumindest so fest daran gebunden, dass seine Dissoziation vom Enzym sehr langsam vonstatten geht. Irreversible Inhibitoren ermöglichen die Strukturuntersuchung des aktiven Zentrums. Im Gegensatz dazu ist die reversible Hemmung durch eine schnelle Gleichgewichtseinstellung zwischen Enzym und Inhibitor gekennzeichnet. Ein kompetitiver Inhibitor verhindert die Substratbindung am aktiven Zentrum; er vermindert die Reaktionsgeschwindigkeit, indem er den Anteil der Enzymmoleküle, die Substrat gebunden haben, vermindert. Bei nichtkompetitiver Hemmung erniedrigt der Inhibitor die Wechselzahl. Zwischen kompetitiver und nichtkompetitiver Hemmung kann unterschieden werden, indem man prüft, ob sich die Hemmung durch Erhöhung der Substratkonzentration aufheben lässt. Der Grundzug der Katalyse besteht in der selektiven Stabilisierung von Übergangszuständen. Daher binden Enzyme den Übergangszustand fester als das Substrat. Übergangszustandsanaloge sind stabile Verbindungen, die bestimmte Eigenschaften dieser energiereichsten Formen nachahmen. Sie sind wirkungsvolle und spezifische Enzyminhibitore. Den Beweis dafür, dass die Stabilisierung des Übergangszustands ein Schlüsselaspekt der Enzymaktivität ist, liefert die Erzeugung von katalytischen Antikörpern. Analoga des Übergangszustands verwendet man als Antigene oder Immunogene, um katalytische Antikörper herzustellen. 8.6 Vitamine und Coenzyme Vitamine sind kleine Biomoleküle, die in geringen Mengen in der Nahrung von höheren Tieren vorhanden sein müssen. Zu den wasserlöslichen gehören das Vitamin C (Ascorbat, ein Antioxidans) und der Vitamin-B-Komplex ( Bestandteil von Coenzymen). Ascorbat wird für die Hydroxylierung von Prolinresten im Kollagen benötigt, einem Schlüsselprotein des Bindegewebes. Zu den fettlöslichen Vitaminen zählen Vitamin A (eine Vorstufe des Retinals), Vitamin D (ein Regulator des Calciumund Phosphorstoffwechsels), Vitamin E (ein Antioxidans in Membranen) und Vitamin K ( beteiligt an der Carboxylierung von Glutamat)