Differentielle Psychologie WS 2009/2010 1. Persönlichkeitspsychologie im Alltag 2. Psychoanalytisches Paradigma 3. Behavioristisches Paradigma 4. Eigenschaftsparadigma 5. Informationsverarbeitungsparadigma 6. Neurowissenschaftliches Paradigma 7. Dynamisch-Interaktionistisches Paradigma 8. Evolutionsbiologisches Paradigma 1. Persönlichkeitspsychologie im Alltag Unsere Erfahrungen und Erwartungen engen unsere Wahrnehmungsmöglichkeiten im Alltag ein. Alltagspsychologie ist ein System kulturell tradierter Überzeugungen über menschliches Erleben und Verhalten und dessen Ursachen. Im Vergleich zu anderen Alltagswissenschaften ist die Alltagspsychologie besonders ausgefeilt. Dadurch ist die Skepsis gegenüber der Wissenschaft Psychologie besonders groß! Die Trennung zwischen Psychologie und Alltagspsychologie ist besonders wichtig. Struktur der Alltagspsychologie: Naive Persönlichkeitstheorie 1 Laucken unterschied zwei Komponenten der alltagspsychologischen Erklärungen: 1. naive Prozesstheorie: Vorstellungen über aktuell ablaufende Prozesse der Informationsverarbeitung 2. naive Dispositionstheorie: Vorstellungen über überdauernde Merkmale von Personen ( Dispositionen – beschreibt Verhaltensregelmäßigkeiten, nicht direkt beobachtbar) Persönlichkeit besteht aus mittelfristig stabilen Dispositionen, die Menschen dazu bringen, in bestimmten Situationen sich in bestimmter Weise zu verhalten. Dasselbe alltagspsychologische Verhalten kann sowohl auf Prozesse als auch auf Dispositionen zurückgeführt werden. Bsp.: Warum verlässt X sein Büro? Um Zigaretten zu holen. (Prozess) Weil er immer um die Zeit geht. ( Disposition) Dispositionsarten nach Laucken Dispositionsarten Beispiele Aktbefähigend Intelligenz, Geschick, Einfühlungsvermögen, Kraft Aktgestaltend Umsicht, Vorsicht, Trägheit, Wankelmut, Humor Wissensvorrat Alltagsphysik, Selbstbild, Sprachkenntnisse Neigungsdisposition Aggressivität, Reiselust, Geiz Fremdenfeindlichkeit Normdisposition Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit Tischmanieren Gefühlsdisposition Ängstlichkeit, Lustigkeit, Erregbarkeit, Schamhaftigkeit Die Dispositionen sind horizontal (gemeinsames Auftreten) und vertikal (Allgemeinheitsgrad) miteinander gekoppelt. Zusätzlich werden auch körperliche statische Merkmale als Persönlichkeitseigenschaften betrachtet (wenn sie psychologisch relevant sind) Gestalteigenschaften Persönlichkeit=Dispositionen + Gestalteigenschaften in denen sich Menschen derselben Altersgruppe und Kultur unterscheiden. Persönlichkeit bezieht sich auf individuelle Besonderheiten, schließt also universelle Merkmale aus. Bewertung der naiven Persönlichkeitstheorie: Ist sie eine Theorie im Sinne der empirischen Wissenschaften? Diese Frage kann anhand der 8 Kriterien für Theorien in den empirischen Wissenschaften überprüft werden. Kriterien: 1. 2. 3. 4. 5. 2 Explizitheit Empirische Verankerung: Operationalisierung Widerspruchsfreiheit Prüfbarkeit: Widerlegbarkeit, nicht Beweisbarkeit Vollständigkeit 6. Sparsamkeit 7. Produktivität 8. Anwendbarkeit Die naive Persönlichkeitstheorie ist praktisch für die Erklärung und Vorhersage von Verhalten im Alltag, aber unbrauchbar als Theorie im Sinne der empirischen Wissenschaften. Sie liefert aber eine erste Definition der Persönlichkeitstheorie als empirische Wissenschaft: Persönlichkeitspsychologie ist die empirische Wissenschaft von den überdauernden, nichtpathologischen, verhaltensrelevanten individuellen Besonderheiten von Menschen innerhalb einer bestimmten Population. Ein Wissenschaftsparadigma ist ein in sich einigermaßen kohärentes, von vielen Wissenschaftlern geteiltes Bündel aus theoretischen Leitsätzen, Fragestellungen und Methoden, das längere historische Perioden in der Entwicklung einer Wissenschaft überdauert. (Normale Wissenschaft Anomalien: Krise unlösbar oder Paradigmenwechsel) Klassische Paradigmen: Psychoanalyse, Behaviorismus Aktuelle Paradigmen: Eigenschafts-, Informationsverarbeitungs-, Neurowissenschaftl.-, DynamischInteraktionistisches- und Evolutionspsychologisches Paradigma 2. Psychoanalytisches Paradigma Sigmund Freund 1856 – 1939 Allgemeines Menschenbild (Triebmodell heute meist abgelehnt) Alle menschliche Aktivität und das "Seelenleben" beruht auf der Verarbeitung von psychischer Energie. Sie wird aus angeborenen Trieben gespeist, die nach Triebbefriedigung an Triebobjekten drängt. Freund interessiert sich besonders für den Sexualtrieb, der die Libido und den Aggressionstrieb speist. Energieverarbeitung in 3 psychischen Instanzen: - ES (Lustprinzip) ICH (Realitätsprinzip) ÜBER-ICH ( Gewissen) 3 Freud konstruierte Phasenmodell der psychischen Entwicklung: 1. 2. 3. 4. 5. Phase: orale Phase: 1. Lebensjahr Anale Phase: 2. – 3. Lebensjahr Phallische Phase: 3. – 5. Lebensjahr Ödipuskonflikt ( Jungs), Penisneid (Mädchen) Latenzphase: 6. Lebensjahr – Pubertät Genitalphase: ab Pubertät Persönlichkeitsbild Persönlichkeit = Charakter, dieser formt sich in der frühen Kindheit durch 2 Prozesse 1. Fixierung durch zu große Triebbefriedigung oder zu starke Einschränkung in einer bestimmten Phase. ( orale: Abhängigkeit von Anderen, anale: Zwangscharakter, phallische: Ödipuskomplex) 2. Entwicklung typischer Abwehrprozesse als Verarbeitung von Angst durch das Ich: reale Gefahr Realangst, ES – Impulse neurotische Angst, Versagen gegenüber Über – Ich Moralische Angst Abwehrmechanismen 4 Mechanismus Wehrt ab Durch Verdrängung Innere und äußere Reize Verdrängung ins Unbewusste Projektion Innere Reize Projektion eigener Triebimpulse Verschiebung Innere Reize Verschiebung des Triebziels auf ein anderes Objekt Reaktionsbildung Innere Reize Verkehrung ins Gegenteil Verleugnung Äußere Reize Nicht wahrhaben wollen Rationalisierung Eigenes Verhalten Umdeutung in akzeptables Verhalten Sublimierung Innere Reize Befriedigung der Triebimpulse durch akzeptable Ersatzhandlungen Regression Trauma Rückzug auf frühkindliche Stufe der Triebregulation Persönlichkeit ist die individualtypische Ausformung der weitgehend unbewusst ablaufenden Triebdynamik. Die besondere Kombination von Fixierung und Abwehrmechanismen macht die individuelle Persönlichkeit aus. ( Ab der phallischen Phase weitgehend konstant) Neue psychoanalytische Ansätze distanzieren sich von Freud und betonen die prägende Rolle früher Objektbeziehungen für die Charakterentwicklung. ( Objekt = enge Bezugsperson) Methodik Freie Assoziationen, Kindheitserinnerungen und z.T. Träume von erwachsenen Patienten werden gedeutet, insb. bzgl. Fixierung und Abwehrmechanismen und deren Entwicklung. Kritik: Gefahr der Immunisierung der Deutung ( von Grünbaum 1988, u.a.) - Pat. akzeptiert Deutung Bestätigung - Pat. akzeptiert Deutung nicht Wiederstand, Abwehrmechanismen Durch suggestive Wirkungen können Deutungen zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden. Freud war sich dessen bewusst, seine Lösungen: 1. Neurosen lassen sich nur durch Bewusstmachen der zugrundeliegenden Konflikte dauerhaft beseitigen. 2. Nur die psychoanalytische Methode ist dazu in der Lage. 3. Deshalb ist jeder Therapieerfolg eine Bestätigung, dass die Deutungen in der Therapie korrekt waren. Dagegen sprechen Spontanremissionen und Erfolge anderer Therapien. Probleme der Erklärung der Charakterentwicklung: 1. Sie beruht auf Kindheitserinnerungen von Erwachsenen und ist von daher wegen der inzwischen bekannten Erinnerungsverzerrungen inakzeptabel als Methode einer empirischen Wissenschaft. 2. Problem der verzerrten Stichproben (nur neurotische Patienten, die verbal eloquent sind und die teure Therapie bezahlen können). 3. Problem der fehlenden empirischen Verankerung der Grundkonzepte Energie, Ich/Es/Über-Ich, Abwehrmechanismus => deshalb Missbrauchsmöglichkeit in Deutungen! Aufgrund zahlreicher Probleme ist die Psychoanalyse keine empirische Wissenschaft, sondern eine hermeneutische Geisteswissenschaft. Empirische Bewährung Trotz Methodenproblemen können Aussagen der Psychoanalyse zutreffen. Empirische Prüfungen in den 50er und 60er Jahren ergaben jedoch: 5 1. Die meisten Aussagen sind empirisch nicht überprüfbar, weil die zu prüfenden Konzepte unklar definiert oder nicht operationalisierbar sind 2. Die empirisch prüfbaren Aussagen sind meist falsch, insbesondere die Charakterentwicklung (z.B. gibt es keinen Zusammenhang zwischen Problemen bei der Sauberkeitserziehung und späterem Zwangscharakter; Kinder mit Gaumenspalten zeigen später nicht vermehrt orale Charakterzüge) Einige Konzepte der Psychoanalyse sind jedoch sehr fruchtbar für die heutige empirische Persönlichkeitspsychologie: - Konzept der unbewussten Kognitionen und Motive - Konzept der assoziativen Informationsverarbeitung - Konzept der Abwehrmechanismen - Konzept der wichtigen Rolle früher Objektbeziehungen für spätere soziale Beziehungen Bsp.: für Operationalisierung von Angstverdrängung: Weinberger et al.: niedrige Ängstlichkeit gepaart mit starker Tendenz zu sozial erwünschten Antworten weißt auf Präferenz von Angstverdrängung hin. Bewertung Das klassische psychoanalytische Paradigma ist empirisch ungeeignet als Paradigma der Persönlichkeitspsychologie, hat jedoch heuristischen Wert. Freud sah die Psychoanalyse jedoch als Naturwissenschaft und vertrat in seiner 2. Lebenshälfte eine orthodoxe, gegen jede Kritik immunisierte Haltung. 3. Behavioristisches Paradigma John B. Watson (1878 – 1958) und Burrhus Skinner (1904 – 1990) Allgemeines Menschenbild Behaviorismus übt Kritik am Introspektionismus und der Psychoanalyse. Er beschränkt sich auf direkt beobachtbare Reaktionen R und direkt beobachtbare auslösende Stimuli S. S R Psychologie, S Black Box R John Locke: Ein Neugeborenes ist ein unbeschriebenes Blatt (mit Spontanaktivität und Reflexen), alles andere Verhalten ist erlernt. 3 Lernformen des Behaviorismus: klassisches u. operantes Konditionieren, Nachahmungslernen. Persönlichkeitsbild 6 Überdauernde individuelle Besonderheiten im Verhalten sind Resultat der individuellen Lerngeschichte(Beispiel: Hundeangst). Damit ist die Person Opfer ihrer Umwelt. Persönlichkeitsveränderungen können (nur) durch Veränderungen der Verstärkungs- oder Beobachtungsbedingungen herbeigeführt werden Watsons Optimismus: "Man gebe mir ein Dutzend gesunder Säuglinge und eine von mir gestaltete Umwelt, um sie aufzuziehen, und ich würde garantieren, dass ich jeden trainieren könnte zu jeder beliebigen Spezialität -Arzt, Anwalt, Künstler, Händler und, ja sogar Bettler und Dieb, unabhängig von seinen Talenten, Tendenzen, Fähigkeiten, Berufungen und der Rasse seiner Vorfahren. Ich gebe zu, dass ich hiermit mein faktisches Wissen überschreite, aber genau das tun auch die Vertreter der gegenteiligen Meinung seit vielen tausend Jahren." (Watson, 1930) Methodik Prüfung lerntheoretischer Hypothesen über Erwerb und Aufrechterhaltung von Reaktionen durch Lernexperimente. Das Problem liegt in asymmetrischen Lernsituationen. Die Absicht des Experimentators, ein Experiment durchzuführen, die Planungseiner Durchführung und die Erwartungen der Ergebnisse können nicht behavioristisch operationalisiert werden. Probleme: 1. Schwierigkeiten entstehen bei der Rekonstruktion individueller Lerngeschichten. 2. Einseitige Interpretation beobachteter Kontingenzen, z.B.: Rigider Erziehungsstil Aggressivität des Kindes 3. Einflüsse der Lernenden auf ihre Lernumwelt werden ignoriert. Bewährung 1. Erfolge der Verhaltenstherapie insbesondere bei Phobien (bestätigen Behaviorismus aber nicht!). 2. Neugeborene sind kein "unbeschriebenes Blatt", sondern weisen große Temperaments-und Intelligenzunterschiede auf. 3. Lerneffekte oft wenig stabil trotz intensivem Lernen. 4. One Trial Learning, z.B. bei schlechter Nahrung. 5. Problem: Planen und Belohnungsaufschub; Kritik führte zum Informationsverarbeitungsparadigma. Cook & Mineka 1989: Genetische Prädisposition zum Beobachtungslernen bei Rhesusaffen Lernen ist fähigkeitsabhängig und auch beim Menschen teilweise genetisch prädisponiert. (Bsp.: Erwerb von Ängsten und Phobien) Generell gilt: Die Persönlichkeit des Lernenden nimmt Einfluss auf den Lernprozess und ist deshalb nicht nur Lernresultat, sondern auch Lernvoraussetzung. Bewertung: 7 Die gute Operationalisierbarkeit von Reiz und Reaktion wurde durch sträfliche Vernachlässigung der Inhalte der Black Box „erkauft“, aber dadurch wurde die Reichweite der Theorie extrem eingeschränkt. Die Grundannahme des unbeschriebenen Blattes und der universellen Gültigkeit der Lerngesetze sind falsch. Außerdem ist Watsons Optimismus unberechtigt, durchzieht aber immer noch Pädagogik und Werbung. 4. Eigenschaftsparadigma William Stern (1871 – 1938) und Gordon W. Allport (1897 – 1967) Allgemeines Menschenbild Das Eigenschaftsparadigma knüpft an die naive Persönlichkeitspsychologie an und füllt die „Black Box“ mit Eigenschaften, die zwischen Situation und Verhalten vermitteln. Situation Eigenschaft Verhalten (oder Verhalten = f (Eigenschaft, Situation)) Die Eigenschaften sind nicht beobachtbar, aber aus Verhaltensregelmäßigkeiten erschließbare Verhaltensdispositionen. Persönlichkeitsbild Persönlichkeit wird verstanden als das System aller individualtypischen Eigenschaften. Es gibt 2 Ansätze zur Erfassung von Eigenschaften: 1. Individuumzentrierter Ansatz: Die Eigenschaften eines Individuums werden unabhängig von Eigenschaften anderer Individuen beschrieben (z.B. Körpergröße in cm). Alltagspsychologisch werden Eigenschaften durch entsprechende Eigenschaftsworte oder durch komplexere Eigenschaftsbeschreibungen mitgeteilt. Die Eigenschaften müssen aber operationalisiert werden, z.B. durch Testergebnisse. Zusätzlich muss die Stabilität der Eigenschaftsausprägungen über kürzere Zeiträume nachgewiesen werden. Der individuumzentrierte Ansatz kann komplexe Einzelfallanalysen beinhalten. ( z.B. Simonton 1998 politische und persönliche Belastung von König George III.) Belastungsveränderungen sagen Gesundheitsveränderungen 9 Monate später vorher. Es ist aber unklar ob das nur für König George III., für Politiker oder für alle gilt. Generell gilt: Rein individuumzentrierte Eigenschaftsbeschreibungen sagen nichts über die Persönlichkeit aus! Bsp.: An un(geraden) Tagen berichtete Konfliktstärke mit Bezugspersonen im Interaktionstagebuch eines Studenten. naheliegende Interpretation: Der Konflikt ist ungewöhnlich stark beim Vater und der Lebensgefährtin. 8 (Es handelt sich hier um Mittelwerte aus 144 Erstsemestern.) 2. Differentieller Ansatz: Eigenschaftsdifferenzen innerhalb einer Population werden beschrieben, d.h. individuelle Eigenschaften werden relativ zu den Eigenschaften anderer betrachtet (z.B. IQ) Ohne einen Vergleich mit einer Referenzpopulation lässt sich nichts über die Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen sagen. Deshalb können Persönlichkeitsaussagen sich ändern, wenn die Referenzpopulation sich ändert. Bsp.: Aggressivität eines 20jährigen Skinheads in versch. Referenzpopulationen: 20jährige Skinheads, 20jährige Deutsche, 80jährige Deutsche… Referenzpopulationen der Persönlichkeitspsychologie sind Peers (Altersgleiche) derselben Kultur. Vier differentielle Ansätze nach Stern (1911) Variablenorientiert: - Variationsforschung: 1 Merkmal, viele Personen - Korrelationsforschung: 2 Merkmale, viele Personen Personenorientiert: - Psychographie: 1 Person, viele Merkmale - Komparationsforschung: 2 Personen, viele Merkmale 9 Beispiele für die vier Arten in den Folien: Eigenschaftsparadigma 14 -17!!! Stark sozial (un)erwünschte Merkmale sind meist schief verteilt. (Variationsforschung, Folie 14) Je ähnlicher die Verteilungen über Personen sind, desto höher ist ihre Korrelation, d.h. desto ähnlicher differenzieren beide Variablen zwischen Personen. (Korrelationsforschung, Folie 15) Psychographie, Folie 16 Personen lassen sich nach der Ähnlichkeit ihrer Persönlichkeitsprofile in Persönlichkeitstypen einteilen. Methodik Individuumzentrierte Datenerhebung Merkmale einer Person werden unabhängig von ihrer Ausprägung bei anderen Personen erhoben. „weiche Methoden“ freie Beschreibung, Biographie … „Harte Methoden“ erfordern die Messung der Merkmale Zuordnung der Merkmale zu Merkmalswerten Unterschiede zwischen den Werten repräsentieren Unterschiede zwischen den Zahlen. Role Construct Repertory (Rep) von Kelly Generierung persönlicher Konstrukte Nr. Ähnlich Ähnlichkeits- Unähnlich Konstrukt 1 Chef Konstrukt Beziehung zu mir begehrte Person Ohne Beziehung Unglücklich intelligente Person Zufrieden Vater Ruhig bemitleidete Person Nervös Geliebter Lehrer Unbekümmert Mutter Überkritisch erfolgreiche Person 2 Gegensatz- abweisende Person bemitleidete Person 3 4 10 Überspannt Freund Freundlich Schwester 5 Ex –Freund Minderwertig- bemitleidete Person keitsgefühle Freund Selbstsicher Q-Sort von Stephanson (1953): Sortierung von Eigenschaften einer Person nach Salienz (wie typisch für eine Person): Q – Sort Profil Beruht eine individuumzentrierte Datenerhebung auf Beurteilungen, so gehen indirekt immer auch differentielle Überlegungen der Beurteiler ein. Beim Q-Sort z.B. wird die Salienz eines Merkmals meist extrem beurteilt, wenn es in Vergleich zu anderen Peermitgliedern besonders extrem ausgeprägt ist. Q-Sorts sind immer „differentiell verunreinigt“. Im strengen Sinne erfordern individuumzentrierte Messungen absolute Messungen wie z.B. Körpergröße in cm, Sehschärfe in Dioptrien usw. 3 Hauptmethoden zur Erhebung von Merkmalen im Vergleich zu anderen Personen, vor allem Peers: 1. Beurteilung auf Persönlichkeitsskalen ( die oft in Persönlichkeitsinventaren gruppiert sind) Persönlichkeitsskalen bestehen aus mehreren Items, die dieselbe Eigenschaft erfassen sollen. Jedes Item wird auf einer Antwortskala beurteilt, z.B. Ja – Nein 1=gar nicht; 2=wenig; 3= etwas; 4=stark; 5=sehr stark Oder 1=nie; 2=selten; 3=manchmal; 4=oft; 5=sehr oft Es gibt mehrere Items, um durch Mittelung den Messfehler zu reduzieren. Persönlichkeitsinventare bestehen aus mehreren Persönlichkeitsskalen, deren Items gemischt werden, z.B. NEO-FFI (Neo Fünf-Faktor Inventar, Borkenau & Ostendorf 1993) Bsp.: Neurotizismus: 1. Ich fühle mich oft angespannt und nervös. 11 2. Manchmal fühle ich mich völlig wertlos. 3. Ich Zu häufig bin ich entmutigt und will aufgeben, wenn etwas schief geht. 4. Ich bin selten traurig oder deprimiert. 5. Ich fühle mich oft hilflos und wünsche mir eine Person, die meine Probleme löst. Persönlichkeitsskalen werden durch Selbstbeurteilung (Person selbst) und durch Fremdbeurteilung (Eltern, Partner usw.) beurteilt Probleme: Die Situationen werden nicht vorgegeben oder systematisch variiert. Die Zuordnung von Verhaltenstendenzen zu Situationen wird Urteilern überlassen. Lösung: Situations-(Reaktions-)Inventare, in denen Situationen (und Reaktionen) systematisch variiert werden und alle Urteile pro Person gemittelt werden. 2. Beurteilung in Situations-(Reaktions-)Inventare Beispiel: Fear Survey Schedule von Wolpe & Lange (1964) Siehe Folie 26 bei Eigenschaftsparadigma 3. Verhaltensbeobachtung, Profile Werden auch Reaktionen variiert, können nicht nur typische Situationsprofile (welche Reaktion löst wie viel Angst aus), sondern auch typische Reaktionsprofile (Stärke der Angstreaktion wie Herzschlag, Zittern) einer Person erstellt werden. Hierbei handelt es sich jedoch um die Beurteilung hypothetischer Situationen, die Erinnerungsfehler enthalten. Besser (aber aufwändiger) ist die direkte Verhaltensbeobachtung in realen Situationen durch anwesende Beobachter oder Beurteilungen von Videoaufnahmen. (Privates Erleben, intime Situationen sind kaum beobachtbar) Beurteilung des Erlebens Situationsnahe Beurteilungen des Erlebens können durch Beurteilung direkt nach der Situation oder auch durch videounterstütztes Erinnern erfolgen, bei dem die Person ihr Erleben in der Situation anhand einer Videoaufnahme ihres Verhaltens in der Situation einschätzt. Hierbei kann sie z.B. gefragt werden, alle 10 sec zu beurteilen, wie sie sich gerade gefühlt hat, oder gebeten werden, die Aufnahme anzuhalten, wenn bestimmte Kognitionen oder Emotionen auftraten, und diese dann zu beurteilen. Beurteilungsfehler Persönlichkeitsbeurteilungen können zahlreichen Fehlern unterliegen: - mangelhaftes Verständnis der Items, der Antwortskala, der Person - selektive Kenntnis der relevanten Situationen - Erinnerungsverzerrungen, z.B. optimistischer Bias - Tendenz zu sozial erwünschten Antworten (Kontrolle durch Erwünschtheitsskala schwierig, Paulhus: Trennung Selbst- und Fremdtäuschung) - Halo – Effekte, z.B. Schönheit – IQ - schlechte Beobachtbarkeit der Eigenschaften Die meisten Fehler gelten auch für globale Verhaltensbeurteilungen; Alternative: Kodierung spezifischer Verhaltensweisen 12 Beschreibung von Verteilungen Mittelwert M; Median; Modalwert; Schiefe; Verteilungsbreite (min, max); Standardabweichung SD: Wurzel aus Varianz - Varianz = (Summe(x-M)²)/n Invarianz von Verteilungen gegenüber linearen Transformationen: Deshalb z-Transformation zur Standardisierung: resultiert in M=0, SD=1 und macht damit Verteilungen vergleichbar. Z= (x-M)/SD Illustration: Persönlichkeitsunterschiede mit Mitte 20 Siehe Folie 32 - Korrelation von Eigenschaften Korrelationen beschreiben den Zusammenhang von zwei Variablen X,Y. Sie beruhen auf zWerten z(X), z(Y): R=(Summe(z(X)*z(Y)))/n d.h. Korrelation ist das mittlere Produkt aller einander zugeordneten z-transformierten X und YWerte in der Stichprobe. (Graphische Darstellungen siehe Folie 34) Beispiele für Korrelationen: Positive Korrelation: Körpergröße und –gewicht, Attraktivität und Berufserfolg Negative Korrelation: Alter und Lebenserwartung, Rauchen und Gesundheit Nullkorrelation: Stilldauer und Intelligenz, Attraktivität und Intelligenz Unsinnige Korrelation: Geburtsrate und Anzahl der Störche Anwendung z.B. auf die Stabilität von Eigenschaften oder die Stabilität von individuellen Reaktionsprofilen (siehe Folie 36 und 37) - Reliabilität von Eigenschaftsmessungen Reliabilität bedeutet Messgenauigkeit; Ansatz der Reliabilitätsbestimmung: Messung 1 Wahre Variable Fehler 1 Reliabilität 13 Fehler 2 Messung 2 Reliabilität = Wahre/ beobachtete Varianz Bestimmung durch Korrelation zwischen zwei parallelen Messungen mit gleich großem Fehler oder Schätzung einer solchen Korrelation. Messverfahren Messung Dasselbe Parallele Gleichzeitig - Interne Konsistenz Wiederholt Retestreliabilität Paralleltestreliabilität Cronbach-Alpha schätzt interne Konsistenz des Gesamttests aufgrund der Korrelation zwischen k parallelen Testteilen. Dabei wird die Spearman-Brown-Formel genutzt: Rk=(k*R)/(1+(k-1)*R) (Grafik Folie 40) - Validität von Eigenschaftsmessungen Validität = Gültigkeit, d.h. es wird gemessen was gemessen werden soll. Es ist damit begrenzt durch die Reliabilität. Konstruktvalidität Kriteriumsvalidität Konvergent Inhaltsvalidität Diskriminant - Konvergente Validität = Korrelation mit Kriterium sollte hoch sein - Diskriminante Validität = Korrelation mit anderen Variablen sollte niedrig sein Beispiel der konvergenten und diskriminanten Validierung siehe Folie 42 Es besteht die Gefahr eines Zirkelschlusses bei Kriteriumsvalidität: Test A ist valide, weil A mit B korreliert, B mit C, und C wiederum mit A. Alternative Sichtweise: nomologisches Netzwerk Ein Netzwerk korrelierter Messungen beschreibt ein Konstrukt, z.B. Schüchternheit .46 4-ItemSkala .38 .58 Fremdbeurteilung Verhalten .53 14 .53 Selbstbeurteilung .49 Aggregationsprinzip Die Spearman – Brown – Formel beschreibt ganz allgemein das Aggregationsprinzip, nach dem die Reliabilität und deshalb auch die Validität von Eigenschaftsmessungen durch Aggregation (= Mittelung) über viele Messungen erhöht werden kann. Aggregiert werden kann z.B. über parallele Items eines Tests, Situationen, Reaktionen, Beobachter, Zeitpunkt. Das Aggregationsprinzip hat seine Grenzen in der Voraussetzung paralleler Messungen und der Interpretierbarkeit der aggregierten Messungen. Beispiel siehe Folie 45 Bewährung Beurteilerübereinstimmung Diese liegt bei Verhaltensbeobachtungen von relevantem Verhalten zwischen .60 - .80, so dass 1-2 Beurteiler meist ausreichen. Sie liegt bei Beurteilungen in Persönlichkeitsskalen und Q – Sorts selten höher als .50, z.B. zwischen Selbst, Eltern, Freunde, Partner. Dies liegt vor allem an der unterschiedlichen Kenntnis relevanter Situationen. Diskrepanzen zwischen Selbst, Freunden und Partner können nicht durch Aggregation minimiert werden!!! Interne Konsistenz Durch Eliminierung von ungeeigneten Items können interne Konsistenzen von .75 - .85 erreicht werden, bei Leistungstests auch .90 - .95. Bei der Itemselektion wird die Trennschärfe jedes Items bestimmt (Korr. mit Rest der Skala), und Items mit zu geringer Trennschärfe werden weggelassen, bis die interne Konsistenz ausreichend ist. Dann muss die Reliabilität erneut in einer weiteren Stichprobe von Personen kreuzvalidiert werden, da insbesondere bei kleinen Stichproben zufällig hohe Trennschärfen die Reliabilität überschätzen. Validität Die Validität von Persönlichkeitsskalen werden durch die Beurteilerübereinstimmung begrenzt und erreichen damit nicht mehr als .50. Tests im Leistungsbereich können höhere Validitäten erreichen. Die Validität von Verhaltensbeobachtungen liegen selten höher als die von Persönlichkeitsskalen; dies liegt daran, dass die Eigenschaften meist in nur wenigen Situationen beobachtet werden. Zeitliche Stabilität Persönlichkeitsskalen erreichen regelmäßig Retest-Reliabilitäten über wenige Wochen von .75 -.85. Allerdings wird so eigentlich nur die Stabilität der Urteile erfasst, nicht die Stabilität des Verhaltens. Bei Leistungstests können auch .90 erreicht werden. 15 Bei ausreichend langer Beobachtung können auch bei Verhaltensbeobachtungen .75 -.85 erreicht werden. Transsituative Konsistenz Das bezeichnet die Korrelation von Verhaltensdispositionen zwischen verschiedenen Situationen. Bereits 1928 zeigten Hartshorne & May, dass Ehrlichkeit nicht ausreichend konsistent ist: Siehe Folie 50, 51 und 52 oben Auf der Grundlage bis dato vorliegender Studien postulierte Mischel (1968)die "magische Grenze" von .30 für die transsituative Konsistenz von Eigenschaftsmessungen und zog daraus den Schluss, dass es keine Eigenschaften gebe; es handle sich um Fiktionen der Alltagspsychologie. Dies löste eine jahrelange Konsistenzdebatte in der Persönlichkeitspsychologie aus und brachte die Persönlichkeitspsychologie insgesamt in Misskredit. Die Kritik von Mischel (1968) beruhte auf dem Missverständnis, dass eine hohe transsituative Konsistenz notwendig für den Eigenschaftsbegriff sei. Notwendig ist jedoch nur eine hohe zeitliche Stabilität; Unterschiede in stabilen Situationsprofilen sind mit dem Eigenschaftsbegriff vereinbar: (fiktive Profile) Shoda et al. (1994) beobachteten Aggressivität in verschiedenen Situationen bei 53 Kindern in 6wöchigen Ferienlagern (Beobachtungsdauer pro Kind 167 Std). Die transsituative Konsistenz der Aggressivität betrug unter .30, aber die mittlere Stabilität der Situationsprofile betrug immerhin .47. Lösungen des Problems der mangelnden transsituativen Konsistenz: 1. Unterscheidungen von Situationsprofil-Typen, z.B. aggressiver gegenüber Kindern als gegenüber Erwachsenen 2. Differenzierung einer Disposition in untergeordnete situationsspezifischere Dispositionen, z.B. "aggressiv gegenüber Kindern/Erwachsenen" Reaktionskohärenz 16 Bezeichnet die Korrelation zwischen eigenschaftstypischen Reaktionen. Sie ist oft niedrig, z.B. bei physiologischen Stressreaktionen: individuelle Reaktionshierarchien (Lacey 1950): In physiologischen Stress-Studien und bei Induktion sozialer Angst im Labor zeigten gut 50% der Personen zeitlich stabile Reaktionshierarchien(Foerster et al., 1983). Manchmal lassen sich Reaktionshierarchien vorhersagen, z.B. Diskrepanzen zwischen berichteter und physiologisch/mimisch gezeigter Angst bei Repressern (Asendorpf & Scherer, 1983). Reaktions-Inkohärenzen lassen sich durch Bildung von Profiltypen oder durch reaktionsspezifischere Dispositionen auflösen (analog zu transsituativen Inkonsistenzen). Bewertung Im Eigenschaftsparadigma wurde der alltagspsychologische Begriff der Persönlichkeitseigenschaft präzisiert und messbar gemacht. Wird klar zwischen beobachtbarem Verhalten und daraus erschlossener Disposition unterschieden, ist der Begriff der Eigenschaft nicht zirkulär. Da Persönlichkeitseigenschaften individuelle Besonderheiten beschreiben, ist eine rein individuumzentrierte Erfassung nicht möglich; notwendig sind Vergleiche mit anderen Personen einer Referenzpopulation. Dadurch werden alle Aussagen im Eigenschaftsparadigma populationsabhängig. Das Eigenschaftsparadigma hat 3 Probleme: 1. Keine Aussagen über Prozesse der Situationsverarbeitung: die "Black Box" des Behaviorismus enthält Eigenschaften, nicht aber Prozesse, die Situationen in Reaktionen umsetzen. 2. Der Eigenschaftsbegriff ist statisch: keine Aussagen über Persönlichkeitsveränderungen. 3. Die Eigenschaften werden oft aus der Alltagspsychologie entlehnt oder diagnostischen Anforderungen entnommen, z.B. Fahrtüchtigkeit. Keine Begründung dafür, warum sich Menschen in bestimmten Eigenschaften unterscheiden. 17 5. Informationsverarbeitungsparadigma Allgemeines Menschenbild Kritik an Behaviorismus, Psychoanalyse und Introspektionismus, weil: Vernachlässigung der Prozesse in der Black Box Informations- statt Energieverarbeitung Informationsverarbeitung statt bewussten Erlebens Es gibt eine Analogie zur sequentiellen Verarbeitung im Computer, später finden auch parallele Verarbeitung und neurowissenschaftlich orientierte Modelle (neuronale Netzwerke) statt. Die Verarbeitungsprozesse sind weitestgehend unbewusst; das Problem ist nicht das Unbewusste, sondern das was Bewusstsein ist. Unterscheidung zwischen 2 Modi der Informationsverarbeitung: Emotional – rational; affektiv – kognitiv; intuitiv – analytisch; impulsiv – reflektiv; spontan – willentlich; implizit – explizit Die Unterscheidungen sind ähnlich aber nicht identisch. Bsp.: Modell von Strack und Deutsch 2004 Es gibt 3 Arten der Verhaltenssteuerung: 1. spontan durch impulsives System 2. automatisiert Delegation an impulsives System 3. willentlich reflektives System Bsp.: lateralisiertes willentliches, nicht lateralisiertes spontanes lächeln bei zentrales Lähmung der Gesichtsmuskulatur (Rinn, 1984) 18 Persönlichkeitsbild Im Informationsverabeitungsparadigma können Persönlichkeitsunterschiede auf … beruhen: 1. Architektur der Informationsverarbeitung Annahme: Die Grundlegende Architektur der Informationsverarbeitung ist bei allen Menschen gleich, bestenfalls Geschlechtsunterschiede. Biologische Argumente dafür: Architektur beruht auf sehr vielen Genen. Gäbe es grundlegende Unterschiede, würde es Probleme bei der Durchmischung der Gene von Mutter und Vater geben. Aber Unterschiede in der Feinstruktur des Gehirns: Stärker vernetzte Neuronen bei Ratten, die in anregender Umgebung aufwuchsen (neuronale Plastizität) Intelligenzunterschiede beruhen auf Unterschieden in der neuronalen Plastizität (Hypothese von Garlick, nicht empir. bestätigt) 2. Parametern der Informationsverarbeitung Unterschiede in der allgemeinen Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung (z.B. bedingt durch untersch. Myellinisierung, Bezug zu allg. Intelligenz) Unterschied im Zugriff zum Kurzzeitgedächtnis, Langzeitgedächtnis, Arbeitsgedächtnis usw. (Bezug zu allg. Intelligenz) Schwelle für Wahrnehmung, Einspeichern, Erinnern Unterschiedliche Schwellen für die Aktivierung physiolog. Erregungs-/ Hemmungsprozesse: Bezug zu Temperament Unterschiedliche Sollwerte für die Regulation von Bedürfnissen 3. Wissen Stabiles Wissen ist Grundlage für Persönlichkeitsunterschiede. Relevante Unterschiede: Deklaratives Wissen (was) prozedurales Wissen (wie) Oder Explizites Wissen implizites Wissen Methodik Erfassung allgemeiner Verarbeitungsgeschwindigkeit: 1. Mental Speed Tests: _____ ____ welche Linie ist länger? Reaktionszeit erfasst Langsamkeit. 2. Zugriff zum Kurzzeitgedächtnis: Sternberg Paradigma: a k n d k i b Reaktionszeit erfasst Schnelligkeit des Zugriffs. kam b vorher vor? 3. Zugriff zum verbalen Langzeitgedächtnis: NI-PI Paradigma AA Aa AB -semantisch oder physikalisch gleich? Differenz NI -PI erfasst Schnelligkeit des Zugriffs. Erfassung der Fähigkeit zum komplexen Problemlösen: Dynamisch komplexes System 19 Gemeinde wird auf Computer simuliert Die VPn soll das unbekannte System hinsichtlich mehrerer Kriterien optimieren. Das Ergebnis nach vielen Entscheidungen ist das Maß der Problemlösefähigkeit. Erfassung expliziten Wissens Fragebogen, Interview…(z.B. wer bin ich) Erfassung impliziten Wissens Erschließung aus Verhalten, z.B. durch kognitive Modellierung, durch affektives oder semantisches Priming oder durch Impliziten Assoziationstest (IAT) ( Bsp.: Folie 15, 16 und 17) Bewährung Die zeitliche Stabilität von Parametern, die aus typischen allgemeinpsychologisch orientierten Experimenten gewonnen werden, ist oft unzureichend. Beispiel: Komplexes Problemlösen: Retestreliabilität nur ca. .50. Lösung: mehrere strukturell sehr ähnliche, inhaltlich aber verschiedene (d.h. parallele) Szenarien verwenden. Beispiel: Priming. Die interne Konsistenz und Retestreliabilität ist meist sehr niedrig (unter .50). Beim IAT ist die interne Konsistenz ausreichend (um .80), die Retestreliabilität aber regelmäßig deutlich niedriger (um .65). Lösung steht noch aus. Bewertung Positiv: Es werden letztlich Eigenschaften bestimmt, aber diese sind als Prozessparameter eingebettet in ein Modell der Informationsverarbeitung. Wegen dieses Vorzugs wird das Problem der Parameterstabilität oft übersehen, bes. in der primär allg. psycholog. orientierten Forschung. So werden unreliable Maße der Fähigkeit zum komplexen Problemlösen oft in der Personalauswahl und -entwicklung verwendet. Probleme: - Unverbindlichkeit der gegenwärtigen Informationsverarbeitung - Statische Eigenschaften 6. Neurowissenschaftliches Paradigma Allgemeines Menschenbild Untersuchung der Informationsverarbeitung im Nervensystem und damit in Wechselwirkung stehenden Systemen, besonders: Motorisches (Muskeltonus, Bewegungen), Hormonelles (Psychoendokrinologie), Herz – Kreislauf (kardiovaskuläre Psychophysiologie), Immunsystem (Psychoneuroimmunologie) 20 Nervensystem Zentrales Gehirn Peripheres Rückenmark Somatisches Sensorisch motorisch Autonomes Sympathikus Parasympathikus Hormonelles System Anatomie des Gehirns Grenzen von Lokalisationsannahmen - Jedes Neuron im intakten Gehirn ist prinzipiell mit jedem anderen Neuron verbunden. Emotionen finden nicht nur im limbischen System statt (im ganzen Körper) Am rationalen Denken sind rechte und linke Hirnhälfte beteiligt 21 - An komplexeren psychischen Funktionen sind weiträumige Erregungs- und Hemmungsprozesse des NS beteiligt, die oft in Wechselwirkung mit anderen Systemen jenseits des NS stehen Psychoneuroendokrinologie Substanz Typ Funktion u.a. Dopamin Neurotransmitter Anreizmotivation Serotonin Neurotransmitter Stimmungsregulation Adrenalin Neurotransmitter Angriff / Flucht Noradrenalin Neurotransmitter, Hormon Aktivierung, Aufmerksamkeitssteuerung Kortisol Hormon (Nebennierenrinde) Stressabhängige Aktivierung Testosteron Männl. Geschlechtshormon Männl. Attribute Östradiol, Progesteron Weibl. Geschlechtshormon Weibl. Attribute Prolaktin Hormon (Hypophyse) Immunsystem-Stimulation Oxytocin Hormon (Hypophyse) Bindung, Sexualität Hormon (Hypophyse) Schmerzhemmung - Endorphin - Substanzwirkung variiert stark räumlich und zeitlich und steht mit Wechselwirkungen mit anderen Substanzen deshalb keine einfache Zuordnung mgl. Vorteil des biochemischen Ansatzes vor allem in der experimentell – pharmakologischen Beeinflussbarkeit Bsp.: Behinderung der Dopaminaufnahme durch Rezeptorblocker in EG, Placebo in KG Interaktionistische Sichtweise Biologistische Auffassung: Ursachen psych. Phänomene primär biologisch Psychologistische Auffassung: Ursachen biolog. Phänomene primär psychologisch Bsp.: Sex vergrößert daran beteiligte Neuronen!; Es gibt keine „Krebspersönlichkeit“! Interaktionistische Sichtweise gilt Erleben / Verhalten Psychologie Nervensystem Biologie Zeit Persönlichkeitsbild Persönlichkeitsunterschiede beruhen auf der: 1. Architektur der biologischen Systeme 2. Anatomischen Feinstruktur der biolog. Systeme 3. Physiologischen Aktivität der biolog. Systeme 22 Architektur der biolog. Systeme wird als universell abgenommen, Ausnahme Geschlechtsunterschiede - Feinstruktur variiert deutlich Bsp.: Umweltabhängige Vernetzung von Neuronen, Myellinisierungshypothese der Intelligenz Am meisten wird nach Unterschieden in physiologischen Aktivierungsparametern gesucht, z.B. autonomes NS bei Stress Methodik 4 grundlegende methodische Zugänge zu Persönlichkeitsunterschieden: 1. Korrelativer Ansatz Wichtig: - Parameter der Physiologie, des Erlebens und Verhaltens müssen zeitstabil sein - Messung muss in eigenschaftsrelevanten Situationen erfolgen (z.B. bei Aggressivität) Bsp.: Herz – Kreislauf – Reaktion bei Ärger Befund: Korrelation zwischen Defensivität, chronischer Angstunterdrückung und diastolischem Blutdruck Feindseligkeit und koronarer Herzerkrankung Interpretation 1: Ärgerverarbeitung Blutdruck Herzerkrankung Alternative? Interpretation 2 Genetische Disposition / Umweltbedingungen Erhöhter Blutdruck bei Ärger, Herzerkrankung Feindseligkeit Fazit: Der korrelative Ansatz kann dies nicht entscheiden Generell sind im korrelativen Ansatz Aussagen über Wirkungsrichtungen nicht möglich. Bsp.: Folie 18 ( Neuroparadigma) 2. Multivariate Psychophysiologie Mehrere physiologische Reaktionen, mehrere Situationen Die Hoffnung war, interindividuell kovariierende Reaktionen in bestimmten Situationen (z.B. Angst, Ärger…) zu finden. „Freiburger Schule“ (Fahrenberg, Myrtek, Stemmler) Problem: Trotz hoher intraindividueller Korrelation nur geringe interindividuelle Korrelation Tabelle Folie 20 3. Systemorientierter Ansatz Ausgangspunkt: ein mgl. genau umschriebenes System (Anatomie, Biologie, Physiologie) Interindividuelle Unterschiede in der Reaktivität des Systems werden auf beurteilte oder beobachtete Persönlichkeitsdispositionen bezogen. Prüfung: indem Systemparameter experimentell situativ und / oder pharmakologisch manipuliert werden abhängige Variablen = Systemparameter; aktuelles Erleben und Verhalten = Situation 23 Beispiel: Wacker et al. (2006) Dopaminerges System wurde aktiviert durch Belohnung bei Bearbeitung kognitiver Aufgaben. „Challenge-Test“ behinderte pharmakologisch in Experimentalgruppe Dopaminausschüttung, Kontrollgruppe erhielt Placebo. Positive Emotionalität wurde vorher selbstbeurteilt. AV: EEG-und Reaktionszeitmaße Wie auf der Basis von Vorläuferstudien erwartet, bearbeiteten unter Placebo die positiv Emotionalen die Aufgaben schneller als die weniger positiv Emotionalen, während es bei Dopamin-Blockierung zu einer Umkehrung kam; entsprechendes ergab sich für linksfrontale EEG-Aktivierung. 4. Ambulantes Monitoring Physiologische Reaktionen werden i Alltag („Feld“) mit tragbaren Gräten gemessen, nicht im Labor. Technik wurde in der Medizin zum Monitoring von Herz – Kreislauf – Patienten entwickelt. Beispiel: Kaganet al. (1987): gehemmte Kinder reagieren mit erhöhter Herzrateauf unbekannte Situationen im Labor; Asendorpf & Meier (1993): An normalen Schultagen sprachen gehemmte Kinder in Schulpausen und auf Spielplätzen weniger, aber Herzrate war normal; Sprechen erhöhte im Alltag Herzrate um 9 Schläge/min. Wiederspruch zwischen Labor und Feld erklärbar? Kein Wiederspruch gehemmte Kinder sprechen einerseits in hemmenden Situationen weniger, waren aber andererseits stärker erregt: Trade – off von 2 Wirkungen auf Herzrate Ohne Prüfung der Laborbefunde im Feld sind beide Ergebnisse nicht auf den Alltag verallgemeinerbar. Bsp.: Panik – Patienten, subjektiv lebensbedrohlich erlebte Herzattacken nicht im ambulanten Herz – Monitoring nachweisbar, aber gehen vs. Sitzen, gehen vs. Treppensteigen nachweisbar Bewährung Korrelativer Ansatz: siehe Folie 26 Insgesamt Korrelation zwischen Physiologie und selbstbeurteilter Persönlichkeit gering, da: - physiologische Messungen oft nicht ausreichend aggregiert sind - Selbstbeurteilungen Verzerrungstendenzen unterliegen (z.B. zu sozial erwünschten Antworten) 24 - individuelle Reaktionshierarchien die Korrelationen dämpfen (z.B. niedrige Herzrate bei Sportlern) - Messungen oft dem technisch Machbaren folgen anstatt systemspezifisch zu sein und so meist durch viele unterschiedliche physiologische Systeme beeinflusst werden (z.B. Herzrate) Multivariater Ansatz Haupteffekt der Personen meist gering relativ zu statistischen Interaktionen Personen * Reaktionen, bei situationaler Variation auch Interaktionen mit Situationen, z.B.: Anteile der durch Personen P, Situationen S, Reaktionstypen R und deren Wechselwirkung aufgeklärten Varianz im mittleren Niveau und der Aktivierung in einer Studie von Stemmler (1992) Variationsquelle Niveau Aktivierung Personen P 4% 2% Situationen S 1% 5% Reaktionstypen R 0% 9% P *S 0% 4% P*R 65% 17% P*S*R 0% 15% S*R 4% 17% Messfehler 25% 31% Systemorientierter Ansatz - wenig verfolgt, wegen fehlenden Wissens über physiologische Systeme und deren Wechselwirkungen => Erscheint aber vielversprechend Ambulantes Monitoring Intraindividuelle Variabilität im Alltag ist größer als im Labor. Effekte kognitiver und emotionaler Belastung sind ähnlich schwach wie im Labor. Interindividuelle Nullkorrelationen zwischen subjektivem Erleben oder selbsteingeschätzter Persönlichkeit und physiologischen Messungen im Alltag bestätigen Laborbefunde (z.B. Subjektive Beschwerden und H – K – Parameter sind meist unkorreliert) Bewertung Hauptproblem: Graben zwischen dem neurowissenschaftlich Messbaren und dem subjektiv-verbalen Berichtbaren erscheint derzeit unüberwindlich. Überwindung erfordert Lösung des Bewusstseinsproblems und des Gedächtnisproblems, und selbst dann verbleiben vermutlich klare Unterschiede aufgrund emergenter Eigenschaften der psychologischen Ebene. Ertrag der Neurowissenschaft für das inhaltliche Verständnis von Persönlichkeitsunterschieden ist derzeit gering. 25 7. Dynamisch – Interaktionistisches Paradigma Allgemeines Menschenbild Grundannahmen: Person und Umwelt sind mittelfristig konstant. Person und Umwelt können sich langfristig ändern. Diese Veränderungen beruhen auf: Veränderungen innerhalb der Person Veränderungen innerhalb der Umwelt Einflüsse der Umwelt auf die Person Einflüsse der Person auf die Umwelt Modell der Umwelt von Bronfenbrenner (1979) Folie 4 (dynamische Interaktion) Individuum (z.B. Kind) Mikrosystem (Mutter) Mesosystem (Familie) Exosystem (soziale Schicht) Makrosystem (Kultur) 4 Entwicklungsmodelle: 1. Umweltdetermination 2. Entfaltung U0 U1 U2 U3 U0 U1 U2 U3 P0 P1 P2 P3 P0 P1 P2 P3 3. Kodetermination 4. Dynamische Interaktion U0 U1 U2 U3 U0 U1 U2 U3 P0 P1 P2 P3 P0 P1 P2 P3 Persönlichkeitsbild - Unterschied zum alltagspsychologischen, psychoanalytischen und behavioristischen Entwicklungskonzept ist vor allem die Berücksichtigung von Einflüssen der Person auf ihre Umwelt Dadurch kann es zu einer kontinuierlichen Wechselwirkung (Transaktion) kommen. 3 Einflussarten: - Auswahl, z.B. Partnerwahl - Herstellung, z.B. Beziehungen knüpfen: Dating, Mating, Relating… - Veränderung, z.B. heiraten, sich scheiden 26 2 Interaktionskonzepte Statistische Interaktion: X und Y wirken nichtadditiv auf Y, z.B. Person Verhalten Situation Dynamische Interaktion: X und Y beeinflussen sich wechselseitig im Zeitverlauf, z.B. bei sozialer Interaktion oder Person(1) Person(2) Person(3)… Umwelt(1) Umwelt(2) Umwelt(3)… Die Persönlichkeit verändert sich nur, wenn es differentielle Veränderungen gibt. Bsp.: differentielle Veränderung bei individuell konstanten Aggressivitätswerten Siehe Folie 8 Deshalb thematisiert dieses Paradigma nur differentielle Veränderungen der Persönlichkeit und der Umwelt, denn auch die Umwelt ändert sich: Persönlichkeit(1) Persönlichkeit(2)… Umwelt(1) Umwelt(2) … Methodik Einflussmessung Umwelt Persönlichkeit durch den Vergleich einer Experimentalgruppe mit Intervention mit einer Kontrollgruppe ohne Intervention. Problem der Umweltintervention, besonderes Problem bei Umkehrung Persönlichkeit Umwelt. Grafik siehe Folie 10 - Nutzung naturalistischer Experimente (Quasiexperimente) Bsp.: Wirkung erster stabiler Partnerschaft auf Neurotizismus (Neyer & Asendorpf, 2001) Alternative: Korrelationen Persönlichkeit – Umwelt (Grafik siehe Folie 12) 27 Problem: - Mehrdeutigkeit von Korrelationen Bsp.1: Korrelation .60 zwischen Storchenzahl / km² und Geburten / km² im 19. Jahrhundert in Preußen Bsp.2: Korrelation um.30 zwischen kindlicher Aggressivität und rigide – autoritärem Erziehungsstil der Mutter - Mehrdeutigkeit von Korrelationen zwischen gleichzeitig erhobenen Variablen X <= Y X Y X => Y X Y Z Verbesserung: Korrelation über die Zeit Wenn X (1) => Y (2) gilt, kann Y (2) nicht X (1) beeinflusst haben. Trotzdem Problem: Fortpflanzung von Einflüssen bei stabilen Merkmalen muss kontrolliert werden! Kreuzkorrelationen können nicht direkt interpretiert werden, wenn Stabilitäten unterschiedlich sind. Vielmehr müssen Pfadkoeffitienten interpretiert werden: Bewährung Bsp.1: Umwelteffekte auf die Intelligenzentwicklung 28 Bsp.2: Persönlichkeitseffekte auf soziale Beziehungen (Asendorpf & Wilpers, 1998) Insgesamt mehr Persönlichkeitseffekte auf Beziehungen als umgekehrt ab dem Jugendalter. - Vereinfachung: Katapultmodell - Frühe Umwelt späte Persönlichkeit - Problem: Fehlende kontrolle früher Persönlichkeit - ist angemessen, wenn es sensitive Perioden in der Entwicklung gibt. - Bsp.: Unterscheidung r / l bei japanischen Kindern Bewertung Das Dynamisch-interaktionistische Paradigma ist ein umfassendes Modell der Persönlichkeitsentwicklung. Die empirische Analyse von Einflüssen durch (naturalistische) Experimente und Kreuzkorrelationsstudien ist aber sehr aufwändig, deshalb dominieren einfache korrelative Designs, z.B. Katapultmodell. Es gibt bisher wenige Untersuchungen zu den Prozessen, die zwischen Persönlichkeit und Umwelt vermitteln. 8. Evolutionspsychologisches Paradigma Allgemeines Menschenbild Menschliches Erleben und Verhalten ist das Resultat der Evolution, d.h. des Prozesses der genetischen Anpassung der Lebewesen an die jeweils vorherrschenden Umweltbedingungen. deshalb bessere Anpassung an die Umwelt unserer Vorfahren als an die heutige Umwelt (Bsp.: Fettkonsum, Ängste) Darwin (1859): Entstehung der Arten (Phylogenese) 29 Variation wird durch Genetik erklärt Selektion nicht durch „survival of the fittest“, sondern durch Fortpflanzungserfolg in einer bestimmten Umwelt auf der Ebene einzelner Gene: Fitness = f (Gen, Umwelt) (Dawkins : „selfish gene“) Die Annahme ist falsch, dass angesichts des medizinischen Fortschritts heutzutage die evolutionären Prozesse des Menschen keine Rolle mehr spielen: Einfluss auf die Kinderzahl über: Partnerwahl, Schwangerschaftsverhütung, Investition in die eigenen Kinder Reproduktionsrelevant sind nicht nur Klima, Nahrungsangebot, Krankheitserreger usw., sondern vor allem soziale Umweltbedingungen, z.B. Partnerpräferenzen des anderen Geschlechts, Rivalität mit eigenem Geschlecht auf dem Partnermarkt. Darwin (1871): intersexuelle und intrasexuelle Selektion Inklusive Fitness Hamilton 1964 Dt.: genetische Gesamtfitness = genetischer Erfolg, misst sich an der Anzahl der eigenen Gene, die an die nachfolgende Generation weitergegeben werden. Setzt sich zusammen aus direkter Fitness = Anzahl der eigenen weitergegebenen Gene; und der indirekten Fitness = Anzahl der eigenen Gene, die über Verwandte weitergegeben werden Soziobiologie vs. Evolutionspsychologie Wilson (1975): Soziobiologie auf der Grundlage rein ultimater Erklärungen (evolutionsbiologisch, grundlegend Ursachen = Angepasstheit unter vermuteten Umweltbedingungen der Vergangenheit): lange Kontroverse mit Sozialwissenschaften Evolutionspsychologie (Cosmides et al., 1992): immer auch Angabe proximater Mechanismen (aktuell, unmittelbar Ursachen) in Form von bereichs- und kontextspezifischen, genetisch fixierten evolvierten psychologischen Mechanismen (EPM). Beispiel: starke Schlangenangst bei 25% der Mitteleuropäer Bsp.: für ultimate und proximate Erklärungen: Studie von Neyer & Lang 2003 Eingeschätzte emotionale Nähe zu Bezugspersonen korreliert intraindividuell im Mittel .50 mit dem genetischen Verwandtschaftsgrad r. EPM für Hilfeleistung 30 - Emotionale Nähe scheint mehr mit Vertrautheit als mit genetischer Verwandtschaft zusammenzuhängen Hypothese: Vertrautheit emotionale Nähe Hilfeleistung Genetische Verwandtschaft Proximate Erklärung des Zusammenhangs zwischen genetischer Verwandtschaft und Hilfeleistung, ultimat abgeleitet aus Überlegungen zur inklusiven Fitness Tatsächlicher Zusammenhang von Hilfeleistung mit emotionaler Nähe stärker als mit genetischer Verwandtschaft Proximate und ultimate Erklärungen können teilweise divergieren Vaterschaftunsicherheit Aus ultimaten Überlegungen können neue psychologische Mechanismen abgeleitet werden. Bsp. Unterstützung durch Verwandte: Unterstützung durch mütterliche Linie sollte stärker sein wegen Vaterschaftsunsicherheit (westl. Kultur ca. 10% „Kuckuckskinder“) Unterstützung durch mütterlicherseits väterlicherseits Großmutter 5.16 4.09 Großvater 4.52 3.70 Tante 4.75 3.96 Onkel 3.65 3.28 Persönlichkeitsbild Erklärung von Persönlichkeitsunterschieden durch: I. Genetische Variationen (Mutation, sexuelle Rekombination…): Variation ist hoch wegen fluktuierender Umwelt (z.B. Wettrennen Wirt – Parasit) II. Umweltunterschiede, die durch EPM vermittelt sind (damit geht Erklärung über dynamischen Interaktionismus hinaus) 3 spezifische Erklärungsprinzipien: 1. Frequenzabhängige Selektion - Fitness eines Gens hängt von seiner Häufigkeit in der Population ab Bsp.: Geschlechtsverhältnis ist 1:1 zum Zeitpunkt der maximalen Fruchtbarkeit (ca. 18. Lj) => vorher mehr ♂, später mehr ♀ wegen höherer Sterblichkeit des männl. Geschlechts) - Frequenzabhängige Auslese muss nicht in 1:1 Verhältnis resultieren, führt aber zu evolutionäre stabilem Verhältnis. - Bei sonstigen Umweltänderungen kann sich aber auch dieses Verhältnis ändern. Bsp.: Soziosexualität von Frauen 2 Kriterien der Partnerwahl von Frauen 31 a. Investition des Mannes in die Kinder b. „gute Gene“ bzgl. Gesundheit und sexueller Attraktivität (beides fördert Reproduktionserfolg) Problem: sexuell attraktive Männer sind weniger treu und investieren deshalb weniger in ihre Kinder. Intrasexuelle Rivalität führt zu zwei alternativen, frequenzabhängigen Strategien: a. Restriktiv: Sicherung eines investierenden Mannes b. Unrestriktiv: viele Männer mit „guten Genen“ Wenn es frequenzabhängige Auslese gibt, bedeutet dies, dass es keine absolute Fitness einer Persönlichkeitseigenschaft gibt. Fitness muss vielmehr relativ zu alternativen Eigenschaften gesehen werden. 2. Konditionale Entwicklungsstrategie - Genetisch fixiert EPM, die die Individualentwicklung in Abhängigkeit von alternativen Umweltbedingungen der Kindheit in jeweils adaptive Richtung lenken: Umwelt 1 Eigenschaft 1 Umwelt 2 Eigenschaft 2 Bsp.: väterliche Investition in eigene Kinder: Reiche Umwelten geringe Investition Arme Umwelten starke Investitionen Hypothese von Draper & Harpending 1982 Väterliche Anwesenheit in der frühen Kindheit ist Umweltmerkmal, das zu erwartende väterliche Investition signalisiert und deshalb zu konditionaler Entwicklungsstrategie bei Mädchen führe: Vater anwesend späte Geschlechtsreife, späterer erster Sex, weniger Sexpartner. Vater abwesend frühe Geschlechtsreife, früher erster Sex, viele Sexpartner. Bei Jungen seien keine Unterschiede zu erwarten, weil mütterliche Investition immer hoch sein sollte. Wurde in mehreren Kulturen bestätigt (Geary, 2000). Z.B. Korrelation .43 zwischen positive Vater-Tochter-Beziehung in Kindheit und Zeitpunkt 1. Regelblutung Mögliche proximate Mechanismen (Ellis et al., 1999): 1. Beschleunigung der weiblichen Reifung durch Geruchsstoffe nichtverwandter männlicher Artgenossen bei vielen Tierarten und auch beim Menschen (Korrelation des Zeitpunktes der 1. Regelblutung stärker mit Anwesenheit von Stiefvätern und Freunden der Mutter als mit Abwesenheit des Vaters) 2. Hemmung der weiblichen Reifung durch Geruchsstoffe des eigenen Vaters (weniger gut bei anderen Tierarten belegt) 3. Alternative Erklärung durch interindividuell variierende Gene, die Väter und Töchter teilen. Kann durch Adoptionsstudien entschieden werden. 3. Strategische Spezialisierung 32 - Tendenz zu alternativen Reproduktionsstrategien, z.B. in Form frequenzabhängiger Selektion oder konditionaler Entwicklungsstrategien Bsp.: Geschwisterposition (Sulloway, 1997) Erstgeborene besetzen "Nischen" innerhalb der Familie und zwingen so Spätergeborene zu höherer sozialer Kompetenz und größerer Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen. diese Tendenzen sind auch nach Verlassen des Elternhauses nachweisbar: konditionale Entwicklungsstrategie. Geschwisterposition und Offenheit Empirische Belege: 1. Korrelation zwischen Geschwisterposition und Offenheit vs. Konservatismus .20 (Problem: Altersunterschiede beeinflussen Beurteilungen) 2. Historische Analysen der Akzeptanz wissenschaftlicher Neuerungen, z.B. Akzeptanz der Evolutionstheorie von Darwin durch 405 Wissenschaftler seiner Zeit. - Problem der historischen Analyse: Bisher keine unabhängige Bestätigung - Alternativerklärung: Geburtspositionseffekt Nach der 1. Geburt verschiebt sich der Hormonstatus der Mutter durch Immunisierung gegenüber den männlichen Hormonen des 1. Kindes in weibliche (deshalb mehr homosexuelle Männer, wenn Bruder vorher geboren und Geburtsabstand bis 2 Jahre). Hierfür sprechen 2 Adoptionsstudien, in denen nur biologisch Erstgeborene untersucht wurden, wobei der Zusammenhang zwischen Geschwisterposition (Position des adoptierten Kindes) und Offenheit etc. jeweils minimal war. Methodik - Entscheidend: Qualität des Nachweises, dass ein psychologischer Mechanismus ein EPM ist. - Ultimate Erklärungen sind recht spekulativ, da die Umwelten der Vergangenheiten wenig bekannt sind Kriterien für EPM: 1. Angabe des gelösten adaptiven Problems der Vergangenheit 2. Angabe des psychologischen/physiologischen Mechanismus 3. Plausibilität der genetischen Fixiertheit des Mechanismus 4. Kriterien für adaptives Design erfüllt, z.B. Ökonomie, Effizienz, Zuverlässigkeit 33 - Förderlich, nicht aber notwendig für den Nachweis eines EPM ist auch der Nachweis homologer EPM bei verwandten Arten, z.B. Menschenaffen und andere Primaten. - Homologie = Ähnlichkeit und Vorkommen bei gemeinsamen Vorfahren, schwer nachzuweisen für Verhalten. - Nicht erforderlich für den Nachweis eines EPM ist, dass er unter heutigen Umweltbedingungen adaptiv ist. - Interessant sind gerade EPM, die ehemals adaptiv waren, heute aber nicht mehr adaptiv sind, z.B. Präferenzen für fette und süße Nahrung. Bewährung Dieses Paradigma ist noch zu jung, um definitive Aussagen über seine Eignung für die Persönlichkeitspsychologie zu machen. Jedenfalls derzeit sehr aktives und innovatives Forschungsfeld. Bewertung 1. Chance, Persönlichkeitsunterschiede und ihre Abhängigkeit von Gen-Verteilungen und Umweltbedingungen besser zu verstehen. 2. Anforderungen an Erklärung gehen über alltagspsychologische Überlegungen zu Kosten und Nutzen von Persönlichkeitseigenschaften und Einräumung eines Stellenwerts in Informationsverarbeitungsmodellen hinaus. 3. Risiko von Scheinerklärungen: Bekanntes wird evolutionär verständlich gemacht durch Erfindung adaptiver Erfolgsgeschichten 4. EPM schwer zu trennen von zufälligen, selektiv neutralen Varianten, relativ seltenen nicht adaptiven Varianten und nicht adaptiven Ergebnissen seltener oder neuer Umweltbedingungen Was ist das Eigenschaftsparadigma? In einem stockdunklen Raum eine tote schwarze Katze finden! Was ist das Informationsverarbeitungsparadigma? In einem stockdunklen Raum ein schwarzes Katzenhirn finden! Was ist das dynamisch – interaktionistische Paradigma? In einem stockdunklen Raum 20 Jahre lang einer schwarzen Katze hinterherlaufen! Was ist das evolutionspsychologische Paradigma? In einem stockdunklen raum eine Tür finden, hinter der sich ein stockdunkler Gang verliert; dort nach den Vorfahren schwarzer Katzen suchen. 34 2. Semester 9. Persönlichkeitsfaktoren, Persönlichkeitstypen, Persönlichkeitsstörungen Klassifikationen der Persönlichkeit - alle Klassifikationen beziehen sich auf stabile Eigenschaften - Die Klassifikation von kontinuierlichen Eigenschaftsvariablen führt zu Persönlichkeitsfaktoren - Die Klassifikation von Persönlichkeitsprofilen führt zu Persönlichkeitstypen - Die Klassifikation von pathologischen Symptomen führt zu Persönlichkeitsstörungen - Die Klassifikation von Gestaltmerkmalen eignet sich nicht zur Persönlichkeitsbeschreibung! - Klassifikationen können genutzt werden z.B. zur Personalauswahl, klinischen Diagnostik, usw Persönlichkeitsfaktoren = statistisch durch Faktorenanalyse gewonnene Eigenschaftsdimensionen Diese sollen untereinander möglichst wenig korrelieren und Persönlichkeitsunterschiede insgesamt oder in einem eingegrenzten Bereich der Persönlichkeit erfassen. Bsp.: 16 Skalen des 16 PF (Sixteen Personality Factors Questionnaire) von Cattell 3 Skalen des EPI (Eysenck Personality Inventory) von Eysenck - Die Faktoren wurden jeweils durch 3 Schritte gewonnen: 1. Eingrenzung des Bereichs (z.B. 16PF: berufsrelevante Eigenschaften; EPI: Temperament und Kontrolle sozial erwünschter Antworten) 2. Erstellung einer Eigenschaftsliste in Form von Fragebogenitems 3. Reduktion der Liste auf wenige Faktoren durch Faktoranalyse Faktoranalyse = statistisches Verfahren, um Variablen aufgrund ihrer Korrelation untereinander in Gruppen hoch korrelierender Variablen einzuteilen. 35 - Jede Gruppe wird durch ein gewichtetes Mittel aller Variablen, den zugehörigen Faktor, charakterisiert. - Die Gewichte der einzelnen Variablen sind die Faktorenladungen. Sie sind nichts anderes als Korrelationen der Variablen mit dem Faktor. - Die Variablen der jeweiligen Gruppe haben hohe Ladungen, die Variablen anderer Gruppen niedrige Ladungen. - Die Faktoren können so definiert werden, dass sie untereinander nicht korrelieren („orthogonale Faktoren“). Auf diese Weise wird eine große Variablenmenge auf wenige unabhängige Variablen reduziert. Bsp.: Interkorrelationen von 6 Variablen Eigenschaft Kontaktfreudig 1 Lebenslustig 2 Schüchtern 3 Überempfindlich 4 Ängstlich 5 Selbstsicher 6 2 3 4 5 6 0,52 -0,56 -0,24 -0,18 0,41 -0,53 -0,19 -0,15 0,31 0,29 0,32 -0,56 0,48 -0,44 -0,51 Bsp.: Faktorladungen der 6 Variablen (d.h. Korrelationen mit übergeordneten Faktoren) Eigenschaften Faktoren 1 2 3 4 5 Kontaktfreudig 1 .79 -.03 -.17 -.09 .02 Lebenslustig 2 .81 .07 -.05 .11 .08 schüchtern 3 -.75 .07 .37 .00 -.07 Überempfindlich 4 -.015 -.25 .75 .03 .01 Ängstlich 5 -.08 -.11 .81 .00 -.12 selbstsicher 6 .42 -.10 -.67 -.18 .20 - Die Faktoren repräsentieren "fundamentale Eigenschaften", die inhaltlich durch die auf dem jeweiligen Faktor stark positiv/negativ ladenden Variablen interpretiert werden können. - Im Beispiel kann Faktor 1 als Extraversion, Faktor 3 als Neurotizismus interpretiert werden. 36 - Je heterogener die Variablen sind und je repräsentativer die Stichprobe der Personen ist, die diese Variablen für sich selbst oder andere beurteilen, desto eher handelt es sich um fundamentale Faktoren der alltagspsychologischen Persönlichkeitsbeschreibung. Lexikalischer Ansatz - beruht auf der Sedimentationshypothese = Persönlichkeitsunterschiede „sedimentieren“ in Sprachen in Form von Eigenschaftsworten. - Das gesamte Lexikon einer Sprache wird systematisch auf Worte zur Persönlichkeitsbeschreibung durchsucht. - Diese werden durch Ausschluss von Synonymen auf praktikable Zahlen reduziert. - Diese Items werden dann von vielen Personen selbst- und fremdbeurteilt. - Die Interkorrelationen werden durch Faktoranalyse auf wenige fundamentale Faktoren reduziert, die dann inhaltlich interpretiert werden. Bsp.: englische Sprache: 1. Schritt: Webster's New International Dictionary 550.000 Worte 2. Schritt: 18.000 Eigenschaftsworte 3. Schritt: 2.800 gebräuchliche ohne Bezug auf Gesundheit und nicht stark wertend 4. Schritt: 339 nicht stark synonyme Worte 5 Schritt: Faktorenanalyse: 5 Faktoren ("Big Five"),100 Markieritems siehe auch www.personality-project.org Big Five Faktoren Englisch Deutsch Neuroticism Neurotizismus Emotional instability Emotionale Instabilität Extraversion, Surgency Extraversion Untergeordnete Eigenschaften Nervosität Ängstlichkeit, Erregbarkeit Geselligkeit, Schüchternheit, Impulsivität Agreeableness Conscientiousness Liebenswürdigkeit Wärme, Hilfsbereitschaft Verträglichkeit Toleranz Gewissenhaftigkeit Ordentlichkeit, Beharrlichkeit Zuverlässigkeit Culture Kultur Gebildetheit Openness to experience Offenheit für Erfahrung Kreativität Intellect Gefühl für Kunst Intellekt - Diese 5 Faktoren wurden in germanischen Sprachen (GB, D, NL) gefunden - Sie sind aber bereits in romanischen Sprachen nicht klar replizierbar 37 - Im Deutschen oft genutzt, auch zur Beschreibung von Kindern. In den letzten Jahren: - Erweiterung um stark positiv / negativ bewertete Eigenschaften => Big Seven - Beschränkung auf 3 besonders gut interkulturell replizierbare Faktoren: Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit => Big Three - Erweiterung um 6. Faktor: Ehrlichkeit / Bescheidenheit => Big Six Häufigste Big Five Fragebogen für Erwachsene - NEO – FFI mit 5*12 Items - NEO –PI –R : Big Five, jeweils 6 Unterfaktoren mit je 8 Items = 5*6*8 = 240 Items - Der NEO –FFI ist ein Teiltest des NEO – PI – R ohne Unterscheidung von Unterfaktoren Beispiele für Facetten des NEO –PI –R - Facetten des Neurotizismus: Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Depression, Soziale Befangenheit, Impulsivität, Verletzlichkeit - Facetten der Extraversion: Herzlichkeit, Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Aktivität, Erlebnishunger, Frohsinn Exkurs: Big Five u. interpersonaler Zirkumplex Differenzierung des Extraversions-Verträglichkeits-Raums durch interpersonellen Zirkumplex von Wiggins (Revised Interpersonal Adjective Scales, IAS-R, deutsch von Ostendorf, 2001) Exkurs: Geometrische Darstellung der Korrelation - 38 Jede Korrelation zwischen 2 Variablen lässt sich durch 2 Vektoren mit einem genau definierten Winkel darstellen. Korrelieren 2 Variablen mit 0, entspricht dies dem Cosinus eines Winkels von 90o. Winkel < 90oentsprechen positiven Korrelationen. Winkel > 90oentsprechen negative Korrelationen. Kritik des lexikalischen Ansatzes Eine Parabel: Die Alchemisten des Mittelalters waren auf der Suche nach der Formel für Gold. Sie nahmen an, dass sich Gold aus anderen Elementen synthetisieren ließe. Ihre Strategie war: Klassifiziere Stoffe nach ihren Eigenschaften, finde Grundeigenschaften heraus und reduziere so die Möglichkeiten der Stoffkombinationen für die Syntheseversuche auf ein praktikables Minimum. Hätten die Alchemisten gearbeitet wie die Faktoranalytiker, hätten sie sinnlich leicht wahrnehmbare Oberflächeneigenschaften gefunden, das Periodensystem der elemente wäre aber nie entstanden. Bewertung der Big Five - Die Big Five sind eine präzise Reproduktion alltagspsychologischer Persönlichkeitsbeschreibungen. - Die Big Five besitzen eine gute Validität. - Aber: Das Big Five Modell ist keine Persönlichkeitstheorie! Persönlichkeitstypen Aus personorientierter Sicht besteht das Klassifikationsproblem der Persönlichkeitspsychologie darin, Personen in eine überschaubare Zahl von Persönlichkeitstypen einzuteilen Ansatz 1: Extremgruppenbildung nach 2 Variablen, z.B. Represser – Niedrig / Hochängstlich (Represser sind Personen, die mit Bedrohung assoziierte Reize häufig vermeiden oder deren Existenz leugnen) hoch hoch 39 Ansatz 2: Prototypen – Beispiel: Internetsuche nach Stichwort Madonna Ermittlung Prototypen durch Q – Faktoranalyse - Bei der Q-Faktorenanalyse werden Q-Sort-Profile von Personen faktorenanalysiert (Komparationsforschung nach Stern), nicht wie im üblichen Fall Eigenschaftsvariablen (Korrelationsforschung nach Stern). - Die resultierenden Faktoren beschreiben deshalb Prototypen von Persönlichkeiten. Reale Personen können dann aufgrund ihres Q-Sort-Profils dem ähnlichsten Prototyp zugeordnet werden. - Dieses Verfahren funktioniert nur, wenn Mittelwert und SD jedes Q-Sorts für alle Personen identisch ist (deshalb erzwingt man beim Q-Sort Gleich-oder Normalverteilung über die Salienzkategorien). 3 Persönlichkeitsprototypen von Kindern Big Five Profile für die Prototypen bei Kindern (Asendorpf et al., 2001) - In kulturvergleichenden Studien erwies sich die 3-Prototypenlösung selbst bei demselben Fragebogen (NEO –PI – R) als nur mäßig replizierbar (Asendorpf et al., 2002) - Auch scheiterten Versuche, replizierbare Untertypen zu finden, um so eine differenziertere Typenlehre zu begründen. - Der Vorzug des Typenansatzes besteht weniger in seiner empirischen Begründung als in der besseren Kommunizierbarkeit an ein breites Publikum, weil die Aussagen sich auf 40 Personengruppen beziehen, nicht auf Variablengruppen Persönlichkeitstypen sind der Alltagspsychologie verständlicher als Persönlichkeitsdimensionen!!! Persönlichkeitsstörungen = stabile, pathologische Persönlichkeitsmuster, die: -seit Beginn des Erwachsenenalters bestehen -breite Bereiche des Erlebens, Verhaltens und der sozialen Beziehungen betreffen -entweder mit subjektiven Beschwerden oder mit subjektiven Beschwerden oder mit Leistungseinbußen der Betroffenen einhergehen -nicht auf ein Intelligenzdefizit zurückführbar sind -Sie sind im DSM-IV (Diagnostisch-Statistisches Manual IV) und im ICD-10 (International Classification of Diseases) (z.B. in D: Abrechnung mit Krankenkassen) klassifiziert. ICD – 10 Definition Persönlichkeitsstörungen Es treffen mindestens 3 der folgenden Kriterien zu: 1. Deutliche Unausgeglichenheit in mehreren Funktionsbereichen (Erleben, Verhalten, soziale Beziehungen) 2. Das Persönlichkeitsmuster ist stabil. 3. Es ist tiefgreifend und in vielen Situationen eindeutig unangemessen. 4. Störungsbeginn in Kindheit oder Jugend, Manifestation auf Dauer im Erwachsenenalter. 5. Störung führt zu deutlichem subjektiven Leiden. 6. Störung ist mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden Bsp.: Ängstliche Persönlichkeitsstörung a. Die Kriterien einer Persönlichkeitsstörung müssen erfüllt sein. b. Mindestens 4 der folgenden Kriterien treffen zu: 1. Andauernde, umfassende Gefühle von Anspannung und Besorgtheit; 2. Überzeugung, selbst sozial unbeholfen, unattraktiv oder minderwertig zu sein; 3. Übertriebene Sorge vor Kritik oder Ablehnung; 4. Persönliche Kontakte nur bei Sicherheit, gemocht zu werden; 5. Eingeschränkter Lebensstil wegen des Bedürfnisses nach körperlicher Sicherheit; 6. Vermeidung beruflicher oder sozialer Aktivitäten aus Furcht vor Kritik oder Ablehnung. Spezifische Persönlichkeitsstörungen 41 ICD – Nr. Störung Kurzbeschreibung F60.0 Paranoide Misstrauen und Argwohn gegenüber anderen F60.1 Schizoide Distanziertheit in sozialen Beziehungen und eingeschränkter emotionaler Ausdruck F60.2 Dissoziale Missachtung und Verletzung der Rechte anderer, keine dauerhaften Beziehungen F60.3 Emotional-instabile Instabilität in Gefühlen und Verhalten F60.30 Impulsiver Typ Impulsive Handlungen, starke Stimmungsschwankungen F60.31 Borderline Typ Instabiles Selbstbild und Beziehungen F60.4 Histrionische Heischen nach Aufmerksamkeit und übertriebener Emotionsausdruck F60.5 Zwanghaft Ständige Beschäftigung mit Ordnung, Perfektion und Kontrolle F60.6 Ängstliche Besorgtheit, Überempfindlichkeit, Minderwertigkeitsgefühle F60.7 Abhängige Unselbstständigkeit, anklammerndes Verhalten, Angst vor Alleinsein F60.8 Andere spezifische z.B. narzisstische Persönlichkeitsstörung: Selbstüberschätzung, mangelnde Empathi - Persönlichkeitsstörungen werden typischerweise durch Behandelnden diagnostiziert aufgrund eines strukturierten Interviews. - Z.B. International Personality Disorder Examination, IPDE - Die Antworten zu den einzelnen Fragen werden auf einer 3-stufigen Skala 0 – 1 – 2 kodiert, deren Werte itemspezifisch variieren. - Die Beurteilerübereinstimmung für Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung ist für identische Interviews ausreichend (kappa=.64), ebenso für Zahl der erfüllten Kriterien für eine spezifische Störung (Korrelationen .73 -.91). Probleme: 1. Nur Übereinstimmung für dasselbe videografierte Interview mit demselben Interviewer. Unreliabilitäten aufgrund der unterschiedlichen Interviewstile verschiedener Interviewer bei denselben Patienten werden nicht erfasst! 2. Problem der Mehrfachinterviews bei denselben Patienten. - 42 Die Prävalenz (% Vorkommen innerhalb einer bestimmten Population) von P.störungen liegt bei 10% in repräsentativen Stichproben, in allgemeinärztlichen Stichproben bei 25%; in klinischen Stichproben ist sie erheblich höher (um 40%). - Allgemein variiert die Prävalenz spezifischer P.-Störungen zwischen 2% (z.B. schizoide, narzisstische) und 15% (z.B. ängstliche, Borderline). - Es besteht eine starke Komorbidität (gleichzeitiges Vorkommen unterschiedlicher Persönlichkeitsstörungen bei denselben Patienten), die zwischen 70% (zwanghafte) und 100% (paranoide) variiert. - Beziehung zu Persönlichkeitstypen: Unterkontrolliert: dissoziale, emotionale – instabile Überkontrollierte: ängstliche, abhängige Beziehung zu Big Five (Metaanalyse von Saulsman & Page, 2004) - Bis auf Offenheit zeigen alle Big Five Faktoren systematische Beziehungen zu Persönlichkeitsstörungen. - Aber: Nur 30 – 50% der Störungsvarianz können durch Big Five Facetten vorhergesagt werden. - Zwar reicht es nicht aus, P-Störungen als Extremvarianten normaler P-Variation zu betrachten, aber: Persönlichkeitsstruktur kann die Suche nach möglichen PStörungen eingrenzen. - Hierzu gibt es von McCrae et al. (2005) einen Katalog persönlichkeitstypischer spezifischer Störungen. - Beispiel niedrige Gewissenhaftigkeit: finanzielle Probleme, gesundheitsgefährdendes Verhalten 10. Gestalt, Temperament, Intelligenz Gestalt Gestalteigenschaften = stabile, unmittelbar wahrnehmbare (dadurch sozial relevante) körperliche Merkmale, z.B. Größe, Gewicht, Körperbau, Physiognomie des Gesichts, Schönheit Gestalt = Gesamtheit aller Gestalteigenschaften Frage: Gibt es tatsächlich Zusammenhänge zwischen Gestalt und sonstiger Persönlichkeit? - Typologie von Kretschmer 1921: leptosom, athletisch, pyknisch - Zusammenhang mit psychiatrischer Diagnose 43 Schizophren Epileptisch Manisch – depressiv Typ n= 5233 n=1505 n= 1361 leptosom 50,3% 25,1% 19,2% athletisch 16,0% 28,9% 6,7% pyknisch 13,7% 5,5% 64,6% Sonstige 20,0% 40,5% 9,5% - Der Zusammenhang mit psychiatrischen Diagnosen ist ein Scheinzusammenhang wegen der Konfundierung mit dem Alter. - Innerhalb stark eingegrenzter Altersgruppen gab es keinen Zusammenhang zwischen Körperbau und psychiatrischer Erkrankungen - Spätere Untersuchungen von Sheldon zum Zusammenhang zwischen Körperbau und Charakter: Beurteilungsfehler durch Beurteiler, die beides beurteilten (Halo-Effekte; sie waren nicht blind bzgl. Hypothese) - Durch die Fehler von Kretschmer und Sheldon und Missbrauch von CharakterKlassifikationen in der Nazizeit (jüdischer, arischer Typ etc.) geriet die psychologische Untersuchung des Körperbaus in Misskredit. - Zusammenhänge gibt es vor allem für Schönheit (physische Attraktivität), daneben neuerdings subtile körperliche Asymmetrien (z.B. Fingerlängenverhältnis D2:D4; siehe später bei Geschlechtsunterschiede) Physische Attraktivität Mittelhohe Beurteilerübereinstimmung: - Die Korrelation zwischen dem Urteil über Schönheit und dem Urteil über Intelligenz beträgt um .30. Sie geht auf einen Halo-Effekt zurück, da die Korrelation Schönheit IQ nahe Null ist. - Korrelation: Schönheit mit beobachteter sozialer Kompetenz .25, mit Beliebtheit in der Klasse .31, mit selbstbeurteilter Einsamkeit -.15, mit selbstbeurteiltem Selbstwertgefühl: nahe Null - Bei alten Menschen Umkehrung des Schönheitsvorteils: negative Korrelation ehemalige Schönheit in der Jugend mit aktuellem Selbstwertgefühl: intraindividueller Kontrasteffekt. Attraktivität des Gesichts Der Attraktivitätseindruck beruht wesentlich auf dem Gesicht. Morphing – Studien ergaben zwei zentrale Gesichtsmerkmale für den Attraktivitätseindruck: - Durchschnittlichkeit - Symmetrie Infos: www.beautycheck.de - 44 Asymmetrie führt zum Eindruck von Hässlichkeit, während perfekte Symmetrie nicht maximal schön wirkt. Das ist evolutionär gut erklärbar. - Alternative: Symmetrie erleichtert Infoverarbeitung. - Wesentlich ist die Reinheit der Haut Attraktivität des Körperbaus Körperbau und Attraktivitätseindruck: - Frauen: Taille – Hüfte – Verhältnis nahe 0,7 - Männer: Taille – Schulter – Verhältnis nahe 0,6 Temperament Das Temperament beschreibt die Art und Weise, wie ein Lebewesen agiert und reagiert, seinen Verhaltensstil also. Buss & Plomin (1987): „a set of inherited personality traits that appear early in life“; early = during the first year of life. - Mehr Definitionen siehe Folie 2 (Temperament) - Eysencks Theorie: Das PEN - Modell - Eigenschaften in Verbindung mit Psychotizismus - Beispielitems (EPQ – R): Würde es sie sehr aus der Fassung bringen, wenn sie ein Kind oder ein Tier leiden sehen? Sind gute Manieren sehr wichtig? - Eigenschaften in Verbindung mit Extraversion - Beispielitems (EPQ – R) Sind die sehr gesprächig? 45 Lassen sie sich auf einer lebhaften Party gern gehen und amüsieren sie sich? - Eigenschaften in Verbindung mit Neurotizismus - Beispielitems (EPQ – R) Haben sie sich jemals ohne Grund „ganz elend“ gefühlt? Sind ihre Gefühle leicht verletzt? - Persönlichkeit als testbares Modell - Biologische Antezedenzen Eigenschaft System Psychotizismus Neurotrans- Hypothese mittersystem Extraversion ARAS Introvertierte haben höheres Aktivitätsniveau, d.h. chronisch höhere kortikale Erregung Neurotizismus Limbisches Niedrige Erregungsschwelle bei neurotischen Personen; höhere autonome Aktivation System 46 -Extraversion und Arousal -Arousal = der allgemeine Grad der Aktivierung des ZNS beim Menschen und Wirbeltieren Beziehung zwischen Stimulationsniveau und Gefühlston als Funktion der Extraversion -Stimulation im Kortex = f (obejktive Intensität Stimulus * Arousal) - Reizhunger vs. Reizabwehr Bsp. 1: sensorische Deprivation: Wer kann dies länger tolerieren? Eher divergente Befunde Bsp. 2: Schmerztoleranz In 7 von 10 Studien mind. Tendenz, dass E > I Bsp. 3: gewählte Stimulusintensität Konforme Befunde - Konzept der transmarginalen Hemmung: - Wenn Reize zu stark sind tritt eine „Schutzhemmung“ auf 47 Bsp.1: Speichelproduktion bei Zitronensaft auf der Zunge vs. Zitronensaft schlucken Bsp.2: Erregung (gemessen an Hautleitfähigkeit) in Abhängigkeit von Tonintensität - Probleme der Theorie: - Post-Hoc-Erklärungen - Impulsivitätsproblem - Tageszeitenproblem (Revelle et al.: Leistung in verbalen Fähigkeitstest in Abhängigkeit von Koffein, Extraversion und Tageszeit) - Operationalisierung von Arousal - Die Theorie von Gray: Das BIS – BAS – Modell - 3 Subsysteme Konditionierte aversive Reize Neue, intensive Reize Angeborene Angststimuli BIS Behavioral Inhibition System Verhaltenshemmung Arousal steigt Aufmerksamkeit steigt Konditionierter aversive Reize: Signal für Strafe / Signale für Nichtbelohnung BIS als Grundlage für Ängstlichkeit Konditionierte appetetive Reize BAS Behavioral Activation System Annährung Arousal steigt Konditionierte appetetive Reize: Signale für Belohnung / Signale für Nichtbestrafung BAS als Grundlage für Impulsivität 48 FFS Fight / Flight System Unkonditionierte aversive Flucht / Reize Aggresion Grays Originaltheorie: Unabhängigkeit der Systeme Gray und Eysenck – 30° Rotation - Zuckermanns Theorie zum Sensation Seeking (Marvin Zuckermann) = Bedürfnis nach abwechslungsreichen, neuen und komplexen Eindrücken mit der Bereitschaft, dafür physische und soziale Risiken in Kauf zu nehmen -Mischung aus Eysencks P und E -Sensation Seeking Scale SSS - Thrill and Adventure Seeking (TAS) = Tendenz zu risikoreichen Aktivitäten in Sport und Freizeit mit hohem Erlebniswert - Experience Seeking (ES) = Tendenz zu neuen Erfahrungen durch Reisen, Kunst, Personen - Disinhibition (DIS) = Tendenz zur Enthemmung in sozialen Situationen, d.h. Übertretung von Regeln und Normen 49 - Boredom Suspectibility (BS) = Tendenz, monotonen, sich wiederholenden Darbietungen und Tätigkeiten sowie langweiligen Personen aus dem Weg zu gehen -Neurobiologische Korrelate - Häufig diskutiert: Monoaminoxidase (MAO) - MAO = Enzym, welches z.B. Noradrenalin (MAO-A), Serotonin (MAO-A) und Dopamin (vorw. MAO-B) abbaut - Hohe SensSeek – Disposition in Zusammenhang mit einer niedrigen MAOKonzentration -Konsistent mit Geschlechtsunterschieden -Bsp.: Selbstberichte von Tagesaktivitäten: Personen mit niedriger MAO – Aktivität höheres Interesse an neuen (Museen…) oder stimulierenden (Rockkonzerte) Erfahrungen vs. Personen mit hoher MAO – Aktivität schlafen und fernsehen mehr - Temperamentsdimensionen nach BUSS und Plomin -EAS – Modell - Emotionalität: Dimension stoische Ruhe – intensive, unbeherrschte emotionale Reaktionen - Aktivität: Komponenten: Tempo und Vitalität Dimension lethargisch – energisch - Soziabilität: Bevorzugt man die Anwesenheit anderer vs. Bevorzugt man allein zu sein; Ungleich Schüchternheit: Schüchternheit als Umgang mit Fremden oder Personen, die man selten sieht, scheint eher Teilaspekt der Emotionalität (Angst) zu sein - Temperamentstheorie von Thomas und Chess 50 - Interviewfragen – Beispiele - Aktivitätslevel: Wenn sie Windeln wechseln und bemerken, dass das Puder zu weit weg steht, können sie es holen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass das Kind herumklettert und vom Wickeltisch fällt? Haben Sie Probleme beim anziehen, weil das Baby sich windet oder können Sie darauf zählen, dass es ruhig liegen bleibt? - Anpassungsfähigkeit: Wenn ihre / seine Reaktion auf eine unbekannte Person negativ war, wie lang braucht dann Ihr Kind, um sich an die Person zu gewöhnen? - Reaktionsbereitschaft: Wie würden Sie die Sensibilität Ihres Kindes für Geräusche, Hitze und Kälte, Dinge, die es sieht oder schmeckt, oder Eigenschaften der Kleidung beschreiben? - Reaktionsintensität: Woran haben Sie erkannt, dass Ihr Kind hungrig war oder es eine bestimmte Nahrung nicht mochte? - Dimensionen werden zu drei Clustern zusammengefasst: - Leichtes Temperament ca. 40% der Kinder Annährungsverhalten und Anpassungsfähigkeit an neue Stimuli Hohe Regelmäßigkeit Schwacher bis mittelstarker Affekt, der meist positiv ist - Schwieriges Temperament ca. 10 – 15% der Kinder Stark negative Reaktionen, die leicht ausgelöst werden können Langsame Adaptivität Unregelmäßigkeit - „Slow – to – warm – up“ - >Temperament ca. 15% der Kinder Schwach negative Reaktionen bei neuen Reizen Langsame Adaptivität 51 Das „Goodness of Fit“ – Modell - Kompatibilität zwischen den Eigenschaften des Individuums und den Anforderungen und Erwartungen der Umwelt - Liegt Inkompatibilität vor, können Verhaltensstörungen resultieren Dunedin – Studie - Caspi (2000): Längsschnitt von 3 – 21 Jahren (Neuseeland), nur 3% Dropout; 1023 Kinder - Im Alter von 3 Jahren 90minütige Sitzung, VL schätzten Verhalten auf verschiedensten Dimensionen ein, z.B. Aktivität, Emotionalität (Valenz, Stärke), Selbstvertrauen, Schüchternheit… - Die Kinder konnten darauf aufbauend in 5 Cluster unterteilt werden, wobei 3 davon den Temperamentstypen von Thomas und Chess entprechen - Well – adjusted (= leichtes Temperament): hohe Selbstkontrolle, selbstsicher, angemessen bei neuen Situationen (405 Kinder) - Undercontrolled (= schwieriges T.): impulsiv, unruhig, negativ, labil, leicht ablenkbar (106 Kinder) - Inhibited (=slow-to-warm-up): ängstlich, in sozialen Situationen still und zurückhaltend (80 Kinder) - Confident: impulsiv, passt sich schnell an, nicht negativ (281 Kinder) - Reserved: unbehaglich in Situation, dies interferierte aber nicht mit Aufgabenorientierung (151 Kinder) -Einige Ergebnisse der Dunedin – Studie Intelligenz Einschub Fähigkeiten - Fähigkeit = Persönlichkeitseigenschaften, die Leistungen ermöglichen - Leistungen = Ergebnisse von Handlungen, nach Gütemaßstab bewertbar; das Ergebnis ist gut oder schlecht 52 - Leistung hängt von Fähigkeiten und Anstrengung ab - Leistungsunterschiede können nur als Fähigkeitsunterschiede interpretiert werden, wenn sich alle Getesteten maximal anstrengen (Kompetenz – Performanz – Problem) - Fähigkeiten werden deshalb durch maximale Leistung zu erfassen gesucht (andere P-Merkmale dagegen durch typisches Verhalten) - Das Fähigkeitskonzept ist mit dem alltagspsychologischen Konzept der Begabung verwandt. - Es wird in der Psychologie kaum verwendet, weil es Annahmen über Ursachen (angeboren, durch Lernen kaum veränderbar) enthält, die nicht Teil der Definition sein sollten, sondern der empirischen Prüfung überlassen werden sollten. - Eine Ausnahme wird aber im Zusammenhang mit extrem hohen Fähigkeiten (ca. 2% Besten der Bevölkerung) gemacht; in diesem Fall wird auch in der Psychologie von Hochbegabung gesprochen. - Es gibt viele Fähigkeitsbereiche (intellektuelle, soziale, emotionale, musikalische, literarische, tänzerische, sportliche etc.). - Psychologisch besser untersucht sind nur die intellektuellen, sozialen und emotionalen Fähigkeiten (Ausnahme: Sportpsychologie als angewandte Disziplin). - Intellektuelle Fähigkeiten sind im Fünffaktorenmodell der Persönlichkeit im Faktor Intellekt(auch Kulturoder Offenheit für neue Erfahrungengenannt) repräsentiert. - Faktorenanalysen von Items des Offenheitsfaktors ergeben oft 3 Unterfaktoren: Intelligenz, Kreativität und Nachdenklichkeit. Hiervon sind die beiden ersten psychologisch besser untersucht. Intelligenz „Intelligenz ist, was Intelligenztests messen“ – was messen Intelligenztests? - 1884 öffentliche Sinnesprüfung von Francis Galton im „anthropometrischen Labor“. Intelligenzmessung - Von Galton untersuchte spezifische Sinnesleistungen (Reaktionszeit, Wahrnehmungsschwelle, Sehschärfe usw.) korrelieren nur minimal untereinander. - MacKeen Cattell Testungen an Columbia University, keine substanzielle Korrelation mit dem Studieerfolg - = Sackgasse der Intelligenzforschung 53 - Alternative: höheres Komplexitätsniveau im Binet – Simon – Test (1905), ursprünglich in Paris entwickelt zur Einweisung von Kindern in Sonderschulen. (Alfred Binet 1857 – 1911) Binet und Simon - Intelligenz auf mittleres Intelligenzniveau eines Geburtsjahrgangs bezogen Intelligenzalter eines Kindes durch mittelschwere Aufgaben für benachbarte Altersgruppen getestet - Intelligenzalter = Grundalter + 12*k/n Grundalter (in Monaten) = Alter, bis zu dem alle Aufgaben gelöst wurden k = Zahl der zusätzlich gelösten Aufgaben n = Zahl der zu lösenden Aufgaben pro Alter - Aufgaben für Altersgruppe von 3 – 15 Jahren - Bsp.: Binet – Simon – Aufgaben Altersstufe 6 Altersstufe 10 1. Erkennt das hübschere 1. Konstruiert einen sinnvollen Gesicht aus jedem von Satz aus den Worten Paris, Glück 3 Paaren Rinnstein 2. Kennt rechts und links 2. Kennt die Monate des Jahres (zeigt auf das richtige Ohr) in der richtigen Reihenfolge 3. Wiederholt einen Satz von 3. Erinnert sich an 9 16 Silben - Geldstücke Bsp.: Testergebnis eines 7-jährigen Jungen Altersstufe Aufgabe 6 54 => Ergebnis: Das 7 8 9 10 11 Intelligenzalter 1 + + - + - - dieses Jungen 2 + + + + + - ist 8 Jahre 3 + + + - - - (Grundalter 6 72 Monate, 10 4 + - + - - - zusätzl. gelöste Aufg., 5Altersst. 5 + + - - - - 72+12*10/5=96 96/12=8 J.) - Problem des Binet u. Simon Ansatzes: Intelligenzunterschiede sind zwischen Altersgruppen nicht vergleichbar, da der Leistungszuwachs in Intelligenztests mit wachsendem Alter geringer wird! Deshalb Vorschlag von William Stern 1911: Intelligenzquotient (IQ) IQ = 100 * Intelligenzalter / Lebensalter Empirisch hatten die IQ – Werte eine ähnliche Standardabweichung von etwa 15 innerhalb von Altersgruppen im Bereich 3 – 13 Jahre und waren deshalb zwischen Altersgruppen vergleichbar. ABER: Auch die Sternschen IQ – Werte erwiesen sich als problematisch für höhere Altersgruppen als 13, weil dort wiederum der IQ – Zuwachs nichtlinear verläuft: Lösung: Wechsler (1939) führte die sog. Normierung innerhalb von Altersgruppen ein: IQ = 100+15*z z = z-transformierte erzielte Gesamtpunktzahl im Test in einer umfänglichen Normstichprobe mit gleichem Geburtsjahr Anhang der Testmanuale: Tabellen, pro Altersgruppe IQ – Wert für best. Gesamtpunktzahl IQ – Messung erlaubt nur noch differentielle Aussagen! Beziehung zwischen IQ, z – Wert und Prozentrang 55 0,1 2,3 15,9 50 84,1 97,7 99,9 Prozentränge Säkularer Trend der Intelligenz Problem dieser Normierung: Säkularer Trend (lat.: saeculum = Zeitalter) zu höherer Intelligenzleistung in westlichen Kulturen im 20. Jahrhundert (Flynn, 1987) Fazit: Tests müssen immer wieder neu normiert werden, da sonst der IQ die tatsächliche Intelligenz zunehmend überschätzt. Da die Schulleistung diesem Trend oft nicht folgt (z.B. USA und BRD 19702000), ergeben sich zusätzliche Probleme z.B. bei der Legastheniemessung durch Differenz IQ minus Lese/Rechtschreibleistung: bis zur Neunormierung des IQ nimmt die Zahl der Legastheniker zu, dann wieder ab. Intelligenzstruktur - Intelligenztests bestehen aus verschiedenen Untertests, die spezifische Leistungen erfassen, z.B. sprachlich, mathematisch, räumliches Vorstellungsvermögen - Spearman 1904: Zwei – Faktoren – Theorie mit globalem g – Faktor und untereinander nicht korrelierten spezifischen Faktoren: 56 - Folgerung aus Zwei – Faktoren – Theorie: Untertests können nach g-Ladung so hierarchisch angeordnet werden, dass ihre Interkorrelationen von links nach rechts und oben nach unten abnehmen: Test 1 2 3 4 5 .45 .37 .32 .29 .35 .28 .25 .26 .22 2 3 4 .20 Nicht bestätigt Theorie trifft nicht zu!!! - Struktur von Intelligenztests ist eine empirische Frage, die von den speziellen Untertests abhängt. - Typische Unterscheidungen: verbale – nichtverbale Intelligenz; fluide – kristalline Intelligenz - Einzelnen Untertests korrelieren untereinander typischerweise um r = .30 - Bei ausreichend großer Zahl ist der Gesamttest durchaus intern konsistent (Cronbach – Alpha um .90) Nutzung des Aggregationsprinzips. Bsp.: Wechsler – Test für Erwachsene (HAWIE) Skala Bsp. einer mittelschweren Aufgabe Allgemeines Wissen Was ist der Koran? Zahlen nachsprechen Die Zahlen 6, 1, 9, 4, 7, 3 vorwärts und rückwärts nachsprechen Wortschatztest Die Bedeutung des Wortes „Parlament“ erklären Rechnerisches Denken 2 Bananen kosten 31 Cent, was kostet ein Dutzend Bananen? Allgemeines Verständnis 2 Begründungen für das gesetzliche Arbeitsverbot für Kinder geben Gemeinsamkeiten finden Was haben Auge und Ohr gemeinsam? Bilderergänzen Herausfinden, dass bei einer Brillen – Zeichnung der Nasenbügel fehlt 57 Bilderordnen Bilder so ordnen, dass sich daraus eine sinnvolle Geschichte ergibt Mosaiktest Die Teile eines Mosaiks nach einem Vorbild richtig anordnen Figurenlegen Ein Puzzel aus 7 Teilen innerhalb von 35 Sekunden zusammensetzen Zahlen-Symbol-Test Innerhalb von 60 sec. mgl. viele Symbole zu Zahlen nach einer Zahl – Symbol – Liste zuordnen Berliner Intelligenzstrukturmodell BIS (Jäger et al., 1997) 4 Operationen * 3 Inhalte = 12 Untertesttypen Operationen: 1. Bearbeitungsgeschwindigkeit, 2. Gedächtnis, 3. Einfallsreichtum, 4. Verarbeitungskapazität Inhalte: 1. figural – bildhaft, 2. Verbal, 3. Numerisch Pro Typ 3 – 5 Untertests als „Baukasten“ Intelligenztests Bsp.: Culture Fair Intelligence Test (CFI) Welche der rechten Figuren passt am besten zu den 3 linken Figuren? 58 Bei welcher der rechten Figuren könnte ein Punkt so liegen wie auf der linken Figur? Verbale und nichtverbale Intelligenz Typische Korrelationen zwischen verbalem und nichtverbalem IQ, sozialer Schicht und Schulnote. Alter verbal mit Soziale Schicht mit Schulnote mit (Jahre) nichtverbal verbal nichtverbal 5–6 .38 .19 .18 - - 7–8 .44 .36 .12 - - 9 – 10 .50 .35 .14 -.50 11 – 12 .43 .33 .16 - verbal nichtverbal -.48 - Verbaler IQ korreliert stärker mit sozialer Schicht als nichtverbaler IQ; mittlere Schulnote korreliert gleichhoch mit beidem. Validität des IQ - Korrelation mit Grundschulgesamtnote: um .50 - Korrelation mit Abitur – Gesamtnote: um .30 - Korrelation mit Bildungsniveau: um .70 - Korrelation mit Berufsprestige bei Männern im Alter von 40 Jahren: um .70 Warum ist die Korrelation mit Grundschulnote höher als mit Abiturnote, aber geringer als mit Bildungsniveau oder Berufsprestige? Welche Korrelation zw. Berufsprestige und IQ lässt sich für spezifische Berufsgruppen erwarten, z.B. Bauer vs. Professor? - Die meisten Zulassungstests zum Studium sind verkappte IQ – Tests (z.B. Medizinertest) nur wegen der Akzeptanzprobleme von IQ – Tests in der Öffentlichkeit nicht so genannt - Beim Studienerfolg (Note) besitzen Zulassungstests inkrementelle Validität gegenüber der Abiturnote Inkrementelle Validität = Beitrag eines Tests zur Verbesserung der Vorhersage eines Kriteriums über einen anderen Test hinaus 59 - Bsp.: Vorhersage medizinische schriftliche Vorprüfung bei 27.000 Studierenden (Trost, 1994) Abiturnote: .48; Medizinertest: .53; Abinote + Medizinertest: .58 - Weitere Korrelationen des IQ mit: - Schnelligkeit Unterscheidung ---versus ----Korrelation nichtverbaler IQ: .45, verbaler IQ: .18 - Schnelligkeit Zugriff zum verbalen Kurzzeitgedächtnis:Korrelation nichtverbaler IQ: .05, verbaler IQ: .43 - Der IQ misst auch, aber keineswegs ausschließlich, die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung bei einfachen Aufgaben. - Er erfasst auch komplexere Fähigkeiten, die Nachdenken erfordern. - Er ist deshalb so valide, weil er beides erfasst. Definition von Sternberg (1985) Intelligenz ist die Fähigkeit, kontextuell angemessenes Verhalten in neuen Situationen oder während der Automatisierung des Umgangs mit bekannten Situationen zu zeigen. Insofern erfasst Intelligenz auch Lernfähigkeit. Neurophysiologische Grundlagen 1. Myelinisierungshypothese 2. Neuronale Platizitätshypothese 3. Weitere Ansätze (Schulter & Neubauer, 2005): kürzere Latenz evozierter Potenziale im EEG, Befundlage uneinheitlich neuronale Effizienz: geringere räumliche Kohärenz der korikalen EEGAktivierung, geringerer Energieverbrauch (gemessen mit PET und MRT) Kausalfrage ungelöst: IQ Effizienz, Effizienz IQ, Drittvariable? - Multiple Intelligenz Gardner (1983) kritisierte das psychologische Intelligenzkonzept als zu eng und schlug eine Erweiterung auf 7 „multiple Intelligenzen“ vor: 1.Sprachliche, 2. Logisch – Mathematisch, 3. Räumlich, 4. Musikalisch, 5. Körperlich – kinästhetisch, 6. Interpersonale, 7. Intrapersonale 60 Damit verwechselt er Intelligenz mit Fähigkeiten; eine Gleichsetzung würde das Intelligenzkonzept verwässern. 11. Kreativität und soziale emotionale Kompetenzen Kreativität Das Neun – Punkte – Problem Verbinde alle 9 Punkte durch 4 Linien ohne abzusetzen! Die Lösung erfordert eine „Erweiterung des Problemlöseraums“ - hier im wörtlichen Sinne. Kreativitätstheorie von Guilford (1950) 1. Intelligenz erfordert konvergentes Denken, Kreativität dagegen divergentes Denken. 2. Vier Komponenten des divergenten Denkens - Sensitivität gegenüber Problemen - Flüssigkeit des Denkens - Originalität des Denkens - Flexibilität des Denkens 3. Schwellenmodell für Zusammenhang Intelligenz – Kreativität: Bis zu einer IQ – Schwelle starker Zusammenhang, bei höherem IQ kein Zusammenhang (Kreativität Erfordert Minimal – IQ) Empirische Bewährung der Theorie von Guilford 1. Problem: Verschiedene Kreativitätstests korrelieren untereinander nur mäßig. 2. Diese Korrelation geht vor allem auf Korrelationen mit dem IQ zurück; nach statistischer Kontrolle sind Korrelationen der Kreativitätstests untereinander oft geringfügig oder gar Null. Kreativitätstest 1 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -Kreativitätstest 2 IQ 3. Problem: Das Schwellenmodell für Zusammenhang IQ – Kreativität konnte nicht empirisch bestätigt werden. 4. Problem: Was sind gute Validitätskriterien für die Validierung von Kreativitätstests? z.B.: kreative Schüler; beurteilt von Lehrern? z.B.: kreative Architekten, beurteilt durch Berufskollegen? z.B.: kreative Ingeneure, Kriterium Zahl der angemeldeten Patente? 61 Es gibt bisher keine validen Kreativitätstests für Leistungen innerhalb eines Berufs. ABER: Vorhersage, Ausübung kreativer Beruf mit 52 Jahren durch Prädiktoren bei Abschluss der Kunsthochschule mit 24 durch CPI – Selbstbeurteilung (CPI = California Personality Inventory) „Kreatives Temperament“ (Helson et al., 1995) Prädiktor Skala Kreatives Temperament (Gough, 1992) Nominierung als kreativ durch Dozenten Tendenz zur Verdrängung Ambiguitätstoleranz (Ambiguitäten = Wiedersprüchlichkeiten) Studienleistung - - Korrelation .48 .41 -.43 .40 .31 Selbst- und fremdbeurteilte Kreativität sind also valide, zumindest was die Berufswahl angeht. Es fehlen aber „objektive“, nicht verfälschbare Kreativitätstests, die dasselbe leisten und möglicherweise sogar die mehr oder weniger kreative Ausübung desselben Berufs vorhersagen. Von daher ist die Kreativitätsforschung bisher weniger erfolgreich als die Intelligenzforschung. Soziale Kompetenz Soziale Kompetenz ist die Fähigkeit, mit anderen gut zurecht zu kommen. - In der Regel werden 2 Komponenten angenommen: 1. Durchsetzungsfähigkeit 2. Beziehungsfähigkeit Oder 1. Sensitivität (Empathie) 2. Handlungskompetenz - Erstes Problem: beide Komponenten korrelieren nur geringfügig, denn: - Durchsetzungsfähigkeit bedroht gute Beziehung - Gute Beziehung bei Aufgabe eigener Interessen - Hoch sensitive, handlungsfähige Menschen - Aktivisten, die „über Leichen gehen“ - Ein zweites Problem ist der komplexe Gegenstand. Bsp.: Prototypisch sozial kompetentes Verhalten (Amelang et al., 1989): 62 - Konvergente und diskriminante Validität von Beurteilungen verschiedener Kompetenzen (Amelang et al., 1989): Bekanntenurteil Verbal Abstrakt – theo. Sozial verbal .38 .03 .04 Selbsturteil abstrakt – theoretisch .06 .27 -.11 sozial -.08 .03 .28 Sozialkompetenz ist also alltagspsychologisch klar von Intelligenz trennbar. Messung soziale Kompetenz - Zur Messung sozialer Sensitivität wurden diverse Empathietests entwickelt. Bsp.: Videoclips über soziales Verhalten anderer soll korrekt interpretiert werden (z.T. sehr kurze Clips wie im Profile of Nonverbal Sensitivity Test-PONS -von Rosenthal et al., der zur Auswahl von FBI-Agenten eingesetzt wurde). Problem: Die Tests korrelieren nur geringfügig untereinander, wobei diese Korrelation wiederum meist über den IQ vermittelt ist (dasselbe Problem wie bei Kreativitätstests). - Zur Messung von Handlungskompetenz werden drei Verfahren verwendet: 1. Lösen hypothetischer sozialer Probleme Ad 1: Tests vom Typ 1 („Was würden Sie tun, wenn Sie in Situation X wären?“) korrelieren „zu hoch“ mit dem IQ. Zudem erwiesen sie sich als weitgehend invalide beim Vergleich mit tatsächlich gezeigter sozialer Kompetenz. Denn sozial sensitive, aber handlungsinkompetente menschen erzielen hier auch hohe Werte. 63 2. Selbstbeurteilung sozialer Fertigkeiten Ad 2: Selbstbeurteilung sozialer Kompetenz sind (ähnlich wie Selbstbeurteilungen der Intelligenz, die nur um .30 mit dem tatsächlichen IQ korrelieren) wenig valide, vor allem wegen unterschiedlichen Tendenzen zu sozial erwünschten Antworten. Bsptest: Interpersonal Competence Questionnaire (ICQ; Riemann et al., 1993) mit den Skalen: 1. Initiierung von Interaktionen 2. Durchsetzungsfähigkeit 3. Preisgabe persönlicher Informationen 4. Emotionale Unterstützung anderer 5. Regelung von Konflikten 3. Beobachtung tatsächlicher Kompetenzen in inszenierten Situationen Ad 3: Beobachtung der Handlungskompetenz A. Beobachtung elementarer sozialer Fertigkeiten in Verhaltenstests (z.B. bei Selbstsicherheitstrainings) differenzieren nicht zwischen mittlerer und hoher Kompetenz. B. Rollenspiele von Konfliktsituationen aus dem beruflichen Alltag (z.B. aufgebrachte Kunden besänftigen, im Rahmen der Personalauswahl und fortbildung): Künstliche Situation, die wenig Aufschluss über typisches Verhalten gibt. C. Präsentation vor Publikum: valide, erfasst aber nur sehr spezifische Kompetenz. D. Gruppenverhalten (z.B. Diskussion von "Abteilungsleitern", welcher von 5 Kandidaten aus verschiedenen Abteilungen an einer Fortbildung teilnehmen darf): etwas künstliche Situation, gibt nur begrenzt Aufschluss über typisches Verhalten. - Obwohl trainierte Beurteiler durchaus Reliabilitäten von .50 erreichen können, bei Mittelung von 3 Beurteilern also eine Reliabilität von .75 erreicht wird, ist die transsituative Konsistenz der Urteile gering und die Korrelation zwischen unterschiedlichen Urteilsdimensionen aufgrund von Halo-Effekten überhöht. - Unterscheiden lassen sich meist nur 2 Faktoren: Selbstvertrauen/Dominanz und Freundlichkeit/Kooperativität. Emotionale Kompetenz - 64 Das Konzept einer einheitlichen „emotionalen Intelligenz“ (abk. EQ, Analog zu IQ) wurde vom Journalisten Goleman (1995) publik gemacht. - - Ähnlich wie Gardners „multiple Intelligenz“ handelt es sich um einen von Intelligenz zu trennenden Fähigkeitsbereich, der besser emotionale Kompetenz genannt werden sollte. Nach Mayer et al. (2000) lassen sich unterscheiden: 1. Wahrnehmung von Emotionen bei sich und anderen, emotionale Expressivität 2. Förderung des Denkens durch Emotionen 3. Verstehen und Analysieren von emotionen 4. Regulation von Emotionen Erfassung durch: Meyer – Salovey – Caruso Emotional Intelligence Test (MSCEIT) von Mayer et al. (2000) Angemessene Antworten für hypothetische emotionale Situationen werden erfragt, wobei die Testautoren festlegten, was angemessen ist. eher geringe Reliabilität; unklare Validität (vgl. soziale Kompetenzmessung durch hypothetische Situationen) Bsp.: Matthews et al. (2006) brachten MSCEIT und NEO-FFI in Konkurrenz bei Vorhersage Erleben und Verhalten bei Leistungsstress. Ergebnis: NEO-FFI sagte Erleben vor dem Stress gut vorher; MSCEIT erklärte nur 5% zusätzliche Varianz. Paradoxerweise korrelierte MSCEIT mit Zunahme erlebter Belastung während Stress und überhaupt nicht mit Leistung unter Stress; diese wurde aber durch Gewissenhaftigkeit und Offenheit vorhergesagt. - - - Fazit: MSCEIT besaß keine Validität! Analyse von Selbst- und Fremdbeurteilungen emotionaler Kompetenz (85 Items) von Van der Zee et al. (2002) ergab 2 unabhängige Faktoren für emot. Kompetenz, die nicht oder sogar negativ mit IQ korrelierten: 1. Empathie für Emotionen 2. Emotionale Kontrolle klare Parallele zu den beiden Hauptfaktoren der sozialen Kompetenz, soziale Sensitivität und Handlungskontrolle Trierweiler et al. (2002) zeigte zudem, dass emotionale Expressivität nicht konsistent zwischen versch. Emotionen ist (wer Ärger klar ausdrückt, tut dies nicht unbedingt bei Angst etc.) Insgesamt, ähnlich wie bei sozialer Kompetenz, kein einheitliches Konstrukt „der“ emotionalen Kompetenz mehrere unabhängige Dimensionen emotionaler Kompetenzen. Assessment Center Definition AC: 65 - - In der Personalauswahl für gehobene Positionen verwendete Sequenz von Situationen, in denen die Teilnehmer alleine oder in Kleingruppen zusammen mit anderen Teilnehmern und Beobachtern berufsrelevante Aufgaben bearbeiten, insbesondere solche, die soziale Kompetenzen erfordern. Dauer: 1 – 3 Tage Akzeptanz bei Teilnehmern und Unternehmensführung höher als bei Tests Verfahren trotz hoher Kosten weit verbreitet Typische Aufgaben: - Präsentation bei kurzer Vorbereitungszeit - Rollenspiele bei Konfliktsituationen - Gruppendiskussion - Postkorb (Aufgaben in optimale Sequenz ordnen) Validität Thorton et al. (1987): Metaanalysen von 50 Studien, mittlerer Validität für das Vorgesetztenurteil nach Kontrolle von Unreliabilität und Varianzeinschränkung .37, allerdings große Heterogenität der Ergebnisse zwischen den Studien. - Validität variiert mit Beurteilungskriterien u. –zielen: Beurteilungskriterien Beurteilungsziele Kriterium Validität Ziel Validität Leistungspotential .53 Forschung Leistung .36 Frühe Identifikation Karriere .36 Personalauswahl Fortbildung .35 Beförderung - - 66 Metaanalyse von Schmitt & Hunter (1998): Beim Vergleich von IQ und AC erbrachte das AC gegenüber dem IQ nur eine minimale inkrementelle Validität (Anstieg der „wahren“ Korrelation mit dem Vorgesetztenurteil von .51 auf .53). Fazit: Aufwand lohnt eigentlich nicht! Geringe diskriminante Validität von AC gegenüber dem IQ auch deutlich durch eine Studie von Scholz & Schuler (1993): .48 .46 .41 .30 Korrelat IQ Soziale Kompetenz Leistungsmotiv Selbstvertrauen Dominanz Mittlere wahre Korrelation mit Gesamturteil Gruppendiskussion Postkorb .43 .46 .18 .41 .39 .10 .40 .25 .04 .32 .38 .24 .30 .34 .23 - Allerdings: Je geringer die Intelligenzunterschiede zw. Getesteten, desto eher sind AC geeignet, zusätzlich zum IQ das Vorgesetztenurteil vorherzusagen. - Bsp.: Studie von Schuler et al. (1995) an Entwicklungsingenieuren („wahre“ Korrelationen): - Vorhersage durch IQ, Fragebögen und AC: .57 - Vorhersage durch IQ und Fragebögen: .46 Fazit: Bei hoher Bildung der Getesteten oder hohen Kosten von Fehlentscheidungen sind AC ok. 12. Bedürfnisse, Motive, Interessen 67