Das ‚Drei-Kaiser

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Rösch – Deutsche Geschichte von 1848 bis heute / VL 5: Kaiserreich / Erster Weltkrieg P
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Grundzüge der Politik des Kaiserreichs und der
Ausbruch des Ersten Weltkriegs
(1)
Die ‚Wilhelminische‘ Epoche
Das ‚Drei-Kaiser-Jahr‘ 1888
Am 9. März 1888 starb Wilhelm I. Am 15. Juni 1888 starb nach 99 Tagen der
Kronprinz Friedrich Wilhelm (Friedrich III.). Kaiser wurde Wilhelm II. (27.1.1859 –
4.6.1941; verh. seit 1881 mit Auguste Victoria) im Alter von 29 Jahren.
Die 90er Jahre als Epochenzäsur
Realismus in der Literatur (Fontane,
Storm, Meyer, Keller) – nachklassische
und historische Dramen
Mythisierender Idealismus,
Historienmalerei (Böcklin, Lenbach,
Stuck, Makart)
Richard Wagner
Eklektischer Historismus in der
Architektur
Naturalismus (Hauptmann, Vor
Sonnenaufgang, 1889; Henrik Ibsen;
G.M. Conrad)
Impressionismus (Max Liebermann, Die
Netzflickerinnen, 1888/89)
Gustav Mahler, Richard Strauss
Jugendstil, Wiener Moderne
Die Entlassung Bismarcks
Auseinandersetzung über den Bergarbeiterstreik an der Ruhr (begann am 2. Mai
1889 im Ruhrrevier; 90000 Bergarbeiter beteiligten sich daran bis Ende Mai).
Sozialistengesetz (25.1.1890 durch den Reichstag nicht verlängert); Reichstagswahl
am 20.2.1890 (stärkste Fraktion: Zentrum; Sozialdemokraten auf Anhieb 23 Sitze).
Streit um die Kabinettsordre über die Immediatvorträge beim Monarchen; Streit über
die außenpolitische Berichterstattung (Bismarck habe Wilhelm einen Bericht über
russische Truppenbewegungen an der österreichischen Grenze nicht vorgelegt).
Bismarck bat um die Entlassung am 18. März 1890, der Kaiser entließ ihn am 20.
März. Der „Alte“ zog sich nach Friedrichsruh zurück und griff bis zu seinem Tod noch
mittelbar, über lancierte Presseartikel, in die deutsche Politik ein.
Seine Nachfolger sind
1890 – 1894: Leo von Caprivi
1894 – 1900: Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst
1900 – 1909: Bernhard von Bülow
1909 – 1917: Theobald von Bethmann Hollweg
‚Persönliches Regiment‘ Wilhelms II.
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„Er besaß eine schnelle Auffassungsgabe, eine bewegliche Phantasie, die Fähigkeit
zum Überblick, einen Sinn fürs Moderne. Und: Er war selbstherrlich, bis zum
Despotischen hin, voller Vorurteile und Haßgefühle, unfähig, Widerspruch und Kritik
zu ertragen.“ (Nipperdey 2, 476). In seiner Auffassung vom Kaisertum vermischten
sich das absolutistisch gedeutete Gottesgnadentum mit der Tradition der
preußischen Militärkönige, zugleich ein populistisches und damit modernes Bedürfnis
nach Kontakt mit der Öffentlichkeit. Daraus erklären sich die zahlreichen Auftritte und
Reden, die natürlich pathetisch im Stil der Zeit, aber darüber hinaus auch oft taktlos,
arrogant und aggressiv waren. Einige seiner Äußerungen waren in ihrer Zeit schon
berüchtigt: „Eine Kunst, die sich über die von Mir bezeichneten Gesetze und
Schranken hinwegsetzt, ist keine Kunst mehr.“ – „Der Dreizack gehört in unsere
Faust“ (Nipperdey 2, 477).
Zu den von ihm forcierten Schwerpunkten der Politik gehörten der weitere Erwerb
von Kolonien und der Bau einer Flotte, um Deutschlands Anspruch auf Weltpolitik
durchzusetzen.
(2)
Neue Bündniskonstellationen zwischen Rußland, England und
Frankreich
Bismarck hatte an die „Kriegsvermeidung durch sich überlagernde Bündnisse“
(Nipperdey 2, 622) geglaubt. Abkommen mit England im Juli 1890 (Helgoland gegen
Ansprüche in Ostafrika getauscht). Bismarck hatte damit die europäische Position
gestärkt, koloniale Ansprüche waren nachrangig.
Verständigung zwischen Rußland und Frankreich
Rückversicherungsvertrag zwischen Deutschland und Rußland 1890 nicht mehr
erneuert. Militärkonvention zwischen Rußland und Frankreich im August 1892; im
Dezember 1893/Januar 1894 wurde sie ratifiziert. Annäherung durch wirtschaftliche
Beziehungen, russische Anleihe von über einer Milliarde Rubel in Paris.
Englands neue Position
1902 Bündnis mit Japan.
Entente cordiale mit Frankreich 1904; Ende der ‚splendid isolation‘ gegenüber dem
Kontinent. 1907 Vertrag von Petersburg (Ausgleich zwischen Rußland und England
über Persien), ab da Triple Entente. 1911 Verständigung der Generalstäbe beider
Länder über das Vorgehen im Mittelmeer und in der Nordsee.
(3)
Flottenbau und Kolonialpolitik in Deutschland
Treibend war Alfred von Tirpitz (1849-1930), der seit 1897 Staatssekretär im
Reichsmarineamt war. Durch zwei Flottengesetze trieb er den Ausbau der Marine
von der Kreuzerflotte hin zu einer Schlachtflotte voran (erstes Flottengesetz 1897/98:
Bau von Schlachtschiffen beginnt; zweites Flottengesetz 1900). Ziel war der two
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power standard, d.h. die deutsche Kriegsmarine sollte sich zur englischen 1 : 2
verhalten. Die Flottenpolitik war also im Grunde gegen England gerichtet, denn die
sehr geringen kolonialen Erfolge rechtfertigten sie nicht.
Erwerbungen in (1) China, wo es 1897 nach der Ermordung von zwei Missionare
Kiautschou besetzt und gepachtet hatte; damit hatte es Zugang zum Hinterland
sowie einen Stützpunkt für die Kreuzerflotte zu haben.
Ein aussichtsreicheres koloniales Konzept stellte der Versuch dar, (2) Länder
wirtschaftlich zu erschließen und damit zu Einflußgebieten zu machen. Ab 1888
bemühte sich die deutsche Bank um die Konzession für den Bau einer Eisenbahn
durch Anatolien und dann weiter nach Bagdad; diese Bahn wurde ab 1904 gebaut.
(4)
Radikalisierter Nationalismus
Traditionen und Rituale um die Reichsgründung
Zu diesen symbolischen Akten der Erinnerung und nationaler Traditionsstiftung traten
vor 1900 auch Agitationsverbände, die nationales Pathos mit konkreten politischen
Zielen verbanden. Zu ihnen zählten:
Alldeutscher Verband (gegr. 1891)
Deutscher Flottenverein (gegr. 1898), der als die erste imperialistische
Massenorganisation angesehen werden darf; denn er hatte vor 1914 mehr als eine
Million Mitglieder.
(5)
Krisen an der Peripherie
(1)
Erste Marokko-Krise 1905/06
(2)
Bosnische Krise 1908 / Annexion von Bosnien und Herzegowina
(3)
Zweite Marokko-Krise 1911 / ‚Panthersprung‘ nach Agadir
(4)
Balkankrise 1912
(6)
Kalendarium des Kriegsausbruchs
Datum
28. Juni
Deutschland - Donaumonarchie
Franz Ferdinand und seine Frau in
Sarajevo erschosssen
6. Juli
Blankovollmacht: D versichert
unbedingte Bündnistreue
20.-23. Juli
23. Juli
25. Juli
Entente – Mächte
Poincaré versichert in Petersburg
die franz. Bündnistreue
Österr. Ultimatum an Serbien
Ö bricht die Beziehungen zu
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28. Juli
29. Juli
30. Juli
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Serbien ab, weil die Bedingungen
nicht erfüllt wurden
Österreich erklärt Serbien den
Krieg
Öster. Truppen beschießen Belgrad
Generalmobilmachung in
Rußland
31. Juli
Deutschland stellt ein Ultimatum an
Rußland (Mobilmachung einstellen)
und Frankreich (soll neutral bleiben)
– Rußland reagiert nicht.
1. August
Deutschland erklärt Rußland den
Krieg und macht mobil
3. August
Deutschland erklärt Frankreich den
Krieg
3./4. August Deutsche Truppen marschieren in
Belgien ein
4. August
England verlangt die Beachtung
der belgischen Neutralität
6. August
Serbien erklärt Deutschland den
Krieg; Österreich erklärt Rußland
den Krieg
11. August
Frankreich erklärt ÖsterreichUngarn den Krieg
12. August
England erklärt ÖsterreichUngarn den Krieg
(7)
Zur Frage der Kriegsschuld
Deutschland trug durch seinen Blankoscheck zur Verschärfung der Krise bei, weil
es durch diese diplomatische Offensive die Situation der Mittelmächte verbessern
wollte. Vor allem sollte durch das Risiko der Kriegsbereitschaft der Mittelmächte
diplomatisch zur Kooperation auf dem Balkan gezwungen werden; das hätte die
schwache Position Österreich-Ungarns wieder stabilisiert. Bethmann Hollweg ging
präventiv-defensiv vor, nicht expansionistisch; vor allem hoffte er darauf, daß
England Rußland zum Einlenken bewegen würde. Gleichzeitig war aber der
Schlieffen-Plan des Generalstabs für den Zwei-Fronten-Krieg auf einen Konflikt mit
England angelegt. Durch die russische Kriegserklärung war Deutschland die
angegriffene Macht und konnte innenpolitisch den Kriegseintritt als defensiven Schritt
verständlich machen.
Österreich wollte einen schnellen Krieg mit Serbien und verzichtete auf Vermittlung.
Rußland betrieb auf dem Balkan eine Politik der Stärke und hatte wie Deutschland
1913 seine Armee verstärkt; zudem wuchs die Bevölkerung stärker als die deutsche,
so daß die militärisch-demographische Überlegenheit absehbar war. Mit der
allgemeinen Mobilmachung am 29. Juli begannen die Kriegsvorbereitungen; Angst
vor einem russ. Überraschungssieg.
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England verhandelte im Sommer 1914 geheim mit der zaristischen Regierung über
eine Marinekonvention, so daß der deutsche Reichskanzler Bethmann Hollweg den
Eindruck gewann, England werde nicht wie in den Balkankriegen befriedend auf
Rußland einwirken, sondern plane ein Bündnis gegen das Kaiserreich.
Der britische Kriegseintritt zeigte die tiefe Entfremdung zwischen England und
Deutschland, das als stärkste Wirtschaftsmacht des Kontinents und militärischer
Konkurrent galt. Um sich gegen die deutsche Hegemonie zu schützen und seinen
Verbündeten nicht zu entfremden, hat England die Aggression Rußlands geduldet.
Frankreich würde Rußland stützen.
FAZIT Bethmann Hollwegs Strategie scheiterte, weil Rußland nicht einlenkte und es
auch England nicht in diesem Sinne beeinflußte. Aber der deutsche Blankoscheck
waren ebenso verhängnisvoll wie die russische Mobilmachung.
Schlaglicht
Bertha von Suttner, geb. Gräfin Kinsky
(9.Juni 1843 - 21. Juni 1914)
Die Waffen nieder!
(Roman, 2 Bde., 1889)
Literatur
Bilder aus der Kaiserzeit. Historische Streiflichter 1897 bis 1917. Hrsg. v. Willibald
Gutsche und Baldur Kaulisch. Köln 1985.
Born, Karl Erich: Von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg. 10. Aufl.
München 1985 (Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte 16).
Figes, Orlando: Die Tragödie eines Volkes. Die Epoche der russischen Revolution
1891 bis 1924. Berlin 1998.
Glaser, Hermann: Die Kultur der Wilhelminischen Zeit. Topographie einer Epoche.
Frankfurt 1984.
Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 1: Arbeitswelt und
Bürgergeist. 2. Aufl. München 1991; Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie.
München 1992.
Wehler, Hans-Ulrich: Das Deutsche Kaiserreich 1871 – 1918. 5. durchges. u. bibl.
erg. Auflage Göttingen 1983 (Deutsche Geschichte 9).
Winkler, Heinrich August: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reichs bis zum
Untergang der Weimarer Republik. Bd. 1: Der lange Weg nach Westen.
München 2000.
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