Materialien Friedrich II - Lise-Meitner

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Materialien Friedrich II. von Preußen
M2.1 Der Monarch der Aufklärung
„Die Aufrechterhaltung der Gesetze ... war der einzige Grund, der die Menschen bewog, sich
Obere zu geben; denn das bedeutet den wahren Ursprung der Herrschergewalt. Ihr Inhaber war
der erste Diener des Staates." Werke, Bd. 7, S. 226.
Der Herrscher repräsentiert den Staat; er und sein Volk bilden bloß einen einzigen Körper, der nur
insoweit glücklich sein kann, als Eintracht die einzelnen Glieder zusammenhält. Der Fürst ist
für den Staat, den er regiert, dasselbe, was das Haupt für den Körper ist: er muß für die
Allgemeinheit sehen, denken und handeln, um ihr jeglichen wünschenswerten Vorteil zu
verschaffen." Friedrich der Große, Die politischen Testamente, S. 229.
„Die erste Bürgerpflicht (devoir d'un citoycn) ist, seinem Vaterland zu dienen. Ich habe sie in
allen verschiedenen Lagen meines Lebens zu erfüllen gesucht. Als Träger der höchsten
Staatsgewalt (première magistrature) hatte ich die Gelegenheit und die Mittel, mich meinen Mitbürgern (concitoyens) nützlich zu erweisen." Friedrich der Große, Die politischen Testamente, S. 3.
1. Beschreiben Sie welche Vorstellungen Friedrich II. von seinem Herrscheramt hatte!
2. Wie sieht sein Verhältnis zu Staat und Gesellschaft aus?
M2.2 Die Konzeption der Aufklärungsphilosophie
Der Grundgedanke der Aufklärung war: die Vernunft mache das eigentliche Wesen des Menschen
aus und enthalte daher den allgemeingültigen Wertmaßstab für alle menschlichen Werke, Tätigkeiten und Lebensverhältnisse in sich ... Im Rechts- und Staatsleben erstrebte die Aufklärung ein
„natürliches Recht". Die Formen der Gesellschaft, besonders der Staat, wurden meist als
Vereinbarungen aufgefaßt, die zwischen den Einzelmenschen zum eigenen oder allgemeinen
Nutzen geschlossen worden sind (Gesellschaftsvertrag); da der Mensch auf seine Grundrechte nicht
verzichten kann, bleiben diese auch gegenüber dem Staat gültig (Menschenrechte). In der Verfassungslehre wurde außer den Rechten des einzelnen und den daraus folgenden Grenzen der
Staatsgewalt besonders die Lehre von der Gewaltenteilung herausgearbeitet. Diese wirkte stark auf
die Auflockerung des absoluten Staates und veranlaßte einige Monarchen zu Reformen
(aufgeklärter Absolutismus).
Brockhaus-Konversationslexikon. dtv~ Ausgabe, Bd. l.
1. Arbeiten Sie die Grundgedanken der Aufklärung heraus! 2. Überlegen Sie, inwieweit
aufgeklärtes Gedankengut in Friedrichs Aussagen zu finden ist!
M2.3 Die Umsetzung aufgeklärten Herrschaftsverständnisses
... Es ist daher die These aufgestellt worden, daß „in Preußen nicht nur mit Rücksicht auf einzelne,
gleichsam isolierbare Reformen im Sinne der Aufklärungsphilosophie vom aufgeklärten
Absolutismus gesprochen werden darf, sondern daß sein Wesen in erster Linie darin bestand, daß
er den Staat und die historisch überkommenen Institutionen in ein zweckrationales System zu
bringen suchte; nur was der Effizienz und Logik des Systems zuwiderlief, wurde abgebaut; nur
was er beförderte, wurde neu geschaffen". Aufklärung wäre damit mit Rationalisierung oder nach
einem heute üblichen, etwas verwaschenen Begriff mit „Modernisierung" identisch. Doch das ist
bloß die halbe Wahrheit. An den Zwecken der Macht ausgerichtete Rationalisierung ist wohl als
Staatsvernunft, Staatsräson auch im Bewußtsein Friedrichs...ein Element der Aufklärung, aber der
ursprüngliche aufklärerische Idealismus Friedrichs ging doch wohl davon aus, daß Staatsvernunft
in den Dienst höherer Zwecke wie Gerechtigkeit, Humanität, Glück zu treten habe ... (Sonst) wäre
er ein gewöhnlicher Machtpolitiker eines Mittelstaates geblieben und nicht ein Philosoph geworden, für den die Macht, mit der er handelte, immer auch ein Problem des Denkens gewesen ist.
Gerade dadurch wurde er ein Fürst des aufgeklärten Absolutismus.
Schieder, S. 307.
1. Untersuchen Sie, wie sich die Umsetzung von Friedrichs Vorstellungen entwickelt hat!
2. Beziehen Sie die Theorie in die Beurteilung mit hinein! Versuchen Sie eine vorläufige
Bewertung in Hinblick auf Friedrich als aufgeklärten Herrscher.
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Materialien Friedrich II. von Preußen
M2.5 Territoriale Machtgelüste
M2.5.1 Friedrichs H. Begründung für den Einmarsch in Schlesien:
Friedrich II. an seinen Minister Podewils
„Schlesien ist aus der ganzen kaiserlichen Erbschaft dasjenige Stück, auf welches wir das beste
Anrecht haben und das dem Hause Brandenburg am besten paßt. Es ist billig, seine Rechte zu
wahren und die Gelegenheit des Todes des Kaisers zu ergreifen, um sich in den Besitz des Landes
zu setzen. Die Überlegenheit unserer Truppen über die unserer Nachbarn, die Schnelligkeit, mit
der wir sie operieren lassen können, und überhaupt der Vorteil, den wir vor unseren Nachbarn
voraus haben, ist vollständig und gibt uns bei einer unvorhergesehenen Gelegenheit wie dieser eine
unbegrenzte Überlegenheit über alle anderen Mächte Europas. Wollten wir warten, bis Sachsen
und Bayern die Feindseligkeiten eröffnen, so würden wir Sachsen nicht daran hindern können,
sich zu vergrößern, was unseren Interessen allerdings ganz und gar zuwiderläuft, und wir hätten in
diesem Fall keinen guten Vorwand. Handeln wir dagegen jetzt, so halten wir Sachsen nieder und
setzen es außerstande, irgend etwas zu unternehmen, indem wir ihm den Ankauf von
Remontepferden unmöglich machen. -... Ich schließe aus dieser ganzen Erörterung, daß wir uns
noch vordem Winter in den Besitz Schlesiens setzen und während des Winters verhandeln
müssen. Es wird sich dann immer ein Vorteil dabei herausschlagen lassen, und wir werden mit
Erfolg verhandeln, wenn wir im Besitz sind, während wir bei anderem Verhalten alle unsere
Vorteile aus der Hand geben. Durch eine einfache Unterhandlung werden wir niemals etwas
erreichen, oder man wird uns höchst lästige Bedingungen auferlegen, um uns mit Kleinigkeiten
abzuspeisen."
Dickmann, Geschichte in Quellen, Bd. 3, München 1970.
M2.5.2 Friedrich an seinen Freund Jordan vor dem Einmarsch in Schlesien
Meine Jugend, die Glut der Leidenschaft, der Ruhmesdurst, ja selbst die Neugier, Dir nichts
zu verhehlen, kurz ein geheimer Instinkt hat mich den Freuden der Ruhe entrissen. Die Genugtuung, meinen Namen in den Zeitungen und später in der Geschichte zu sehen, hat mich
verführt... Der Besitz schlagfertiger Truppen, eines wohlgefüllten Staatsschatzes und eines lebhaften
Temperaments: das waren die Gründe, die mich zum Kriege bewogen.
Zit. nach v. Krockow, S. 64.
1. Fassen Sie mit eigenen Worten die Begründung für den Einmarsch zusammen!
2. Wie sehen Friedrichs persönliche Motive für diesen Schritt aus?
3. Sammeln Sie Eindrücke Ober diese Seite des Preußenkönigs!
M2.6 Friedrichs Kriegsunternehmungen
M2.6.1 Schlesische Kriege und österreichischer Erbfolgekrieg (1740-48)
Friedrich II. (der Große, 1740-1786) nahm die Gelegenheit der Thronbesteigung Maria Theresias
(1740-1780) wahr, um sich in den Besitz des strategisch -auch als Hinterland der preußischen
Wirtschaft- besonders wichtigen Schlesiens zu setzen. Der Drang, sich mit dem Rückhalt eines
starken Heeres und einem großen Staatsschatz zu bestätigen, war das eigentliche Motiv. Nach dem
klaren Sieg bei Mollwitz (1741) drängte England auf Ausgleich; Frankreich, Spanien, Sachsen und
Bayern, das Ansprüche auf das österreichische Erbe erhob, traten auf Preußens Seite. Damit
weitete sich der Krieg zu einem Erbfolgekrieg aus ... Tatsächlich konnte sich nach der Eroberung
von Prag Karl Albrecht von Bayern 1742 zum Kaiser Karl VII. krönen lassen.
Im selben Jahr mußte Maria Theresia im Frieden von Breslau Schlesien an Preußen abtreten, das
damit den Krieg einstellte.
Nun besserte sich die Lage Maria Theresias, außerdem bekam sie aktive Hilfe von England,
Sardinien und Sachsen, was allerdings den nun um seinen Besitzstand fürchtenden Friedrich
erneut auf den Plan rief. Nach Karls VII. Tod wurde zwar Maria Theresias Gemahl, Franz Stephan
von Lothringen-Toscana 1745 zum Kaiser Franz I. gekrönt, und Maximilian III. (Joseph) von
Bayern verzichtete auf alle Ansprüche; doch durch die Niederlage bei Hohenfriedberg (1745) sah
sich Wien im Frieden von Dresden (1745) genötigt, Friedrich endgültig Schlesien einzuräumen,
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Materialien Friedrich II. von Preußen
während dieser Franz I. anerkannte ...
Mit ihrer allseitigen Anerkennung setzte sich Maria Theresia zwar in Europa durch, mit dem
Machtzuwachs Preußens begann jedoch der Dualismus der beiden großen deutschen Mächte.
Büssem/Neher. S. 323f.
M2.6.2 Der Siebenjährige Krieg (1756-1763)
Maria Theresia war nicht bereit, den Verlust Schlesiens auf die Dauer hinzunehmen. Durch den
späteren Staatskanzler Kaunitz (1753-1792) knüpfte sie erneut Kontakte zu Frankreich ... Auf die
Nachricht von russischen Kriegsvorbereitungen hin schlug Friedrich überraschend los („besser
praevenire als praeveniri") und marschierte in Kursachsen ein, von dessen feindlicher Einstellung
er überzeugt war. Während die Mehrheit des Reiches Reichsbewaffung und Exekution gegen
Preußen beschloß, griff England erst nach dem Regierungsantritt William Pitts (des Älteren) als
Außenminister (1756-1762) ein ... Über Sachsen drang Friedrich bis nach Prag vor, wo er aber bei
Kolin (1757) eine Niederlage erlitt, die ihm den Ruf der Unbesiegbarkeit nahm und ihn in militärische Bedrängnis brachte, aus der er sich erst durch die Siege bei Roßbach (1757 gegen
Frankreich und Reichstruppen) und bei Leuthen (1757 gegen Österreich) retten konnte.
Dennoch verschlechterte sich seine Position in den folgenden Jahren, da er weitgehend auf sich
allein gestellt war. Die Wende kam, als nach dem Tod der Zarin Elisabeth (1762) ihr Nachfolger,
der Holsteiner Peter III., die Fronten wechselte und mit Preußen ein Bündnis schloß. Zwar zog
sich nun England zurück, Pitt wurde 1762 gestürzt, und Petcr III. wenig später abgesetzt und
ermordet, doch bestätigte seine Gattin und Nachfolgerin Katharina II. (1762-1796) den Frieden.
Darauf erklärten sich Preußens Gegner ebenfalls zum Frieden bereit, zumal England und Frankreich
bereits den Kampf eingestellt hatten.
Im Frieden von Hubertusburg (1763) wurde der jeweilige Besitzstand garantiert. Preußens einziges
Zugeständnis bestand in der Zustimmung zu einer künftigen Kaiserwahl Erzherzog Josephs, des
ältesten Sohnes Maria Theresias. Die Großmachtstellung Preußens war damit gefestigt.
Büssem/Neher, S. 324ff.
1. Verschaffen Sie sich einen knappen Oberblick über die Kriegsverläufe!
2. Versuchen Sie anhand der Bildaussage (M2.6.3) eine Vorstellung von der polnischen Teilung zu entwickeln!
M2.6.4 Wie konnte ein Land wie Preußen standhalten?
(Zunächst:) Seit den Tagen des Soldatenkönigs wird der preußische Staat bewußt und zielstrebig
im Dienste einer Leistungsfähigkeit organisiert, die in der militärischen Schlagkraft ihr Ziel hat.
Nicht von ungefähr, sondern symbolträchtig tragen die beiden großen Könige ständig den
„Sterbekittel", die Uniform.
Zweitens: Weil Preußen keinen „natürlich" gewachsenen Staat auf der Grundlage des Stammes
oder der Nation, vielmehr ein durch und durch künstliches Machtgebilde darstellt, wird es
durch Traditionen, Vorurteile, Privilegien, Standesrechte und sonstige Rück-Sichten weit weniger
gehemmt als seine Konkurrenten. Eben darum kann es, so buchstäblich wie doppelsinnig
rücksichtslos, sich mit einem Höchstmaß an kühl berechneter Rationalität auf seinen Machtzweck
hin organisieren. Das klassische Preußen ist so gesehen der bei weitem modernste Staat seines
Zeitalters, und es kann diesen Vorsprung an Modernität in die militärische Schlagkraft umsetzen.
Drittens: Der Vorsprung macht sich auch in der Rücksichtslosigkeit beim Krieg führen bemerkbar,
beim Werben und Drillen der Soldaten, bei der Belastung der eigenen Untertanen und - von
Sachsen bis Mecklenburg - beim Auspressen fremder Länder. Sogar vor der
Inflationsfinanzierung des Kriegführens durch Münzbetrug schreckt Friedrich nicht zurück.
Er betreibt sie mit der Hilfe der von seinem Wohlwollen abhängigen jüdischen Hofbankiers ...
Schließlich, viertens und vor allem, bleibt ein einzigartiger Faktor: Friedrich. Er hat nicht nur als
Diplomat schwere Fehler begangen, die Kaunitz‘ große Koalition seiner Gegner erst möglich
machen, sondern auch als Feldherr. Und nicht erst Napoleon, sondern schon sein Bruder hat sie
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Materialien Friedrich II. von Preußen
ihm vorgerechnet: Übereilung, Leichtsinn, Zersplitterung der Streitkräfte, mangelnde Berechnung
der Nachschubprobleme kosten Schlachten und ganze Feldzüge. Auf der Habenseite aber bleibt
nicht allein der einheitliche Oberbefehl, gegen den die Alliierten sich nie zu wirksam koordinierter
Kriegführung durchringen können. Es bleibt vor allem ein zäher Wille zum Durchhalten, koste es,
was es wolle. Dieser Wille mag aus dem Stolz stammen, dem ein Nachgeben Schlimmeres
bedeutet als den Tod, aus dem Wunsch, vor der Geschichte oder vor dem gespenstischen „ÜberIch" des Vaters zu bestehen, aus einem Pflichtgefühl, das die Kehrseite der Bitterkeit und der
Menschenverachtung, des Verzichts auf Lebensglück und Liebe bildet, wahrscheinlich aus einer
Mischung von alle-dem.
v. Krockow, S. 78f.
1. Beschreiben Sie Gründe und Ursachen für Friedrichs politische« Handeln
2. Welche Zielsetzung verfolgte Friedrich? Stellen Sie sie ins Verhältnis zum
aufgeklärten Monarchen!
3. Versuchen Sie eine vorläufige Bilanz zum „Regierungserfolg" Friedrichs, der nun
„der Große" genannt wird. Nehmen Sie die Karte (M2.4) hinzu!
M3.1 Wie ein Herrscher zu regieren hat
„Zwei Arten von Fürsten gibt es in der Welt: die einen wollen mit eigenen Augen sehen und
die Regierung ihrer Staaten selber in der Hand behalten, die anderen verlassen sich ganz auf die
Ehrlichkeit ihrer Minister und lassen sich von denen leiten, die Einfluß auf sie gewonnen haben. Die Herrscher von der ersten Gattung sind die Seele ihrer Staaten; auf ihnen allein ruht das volle
Gewicht der Regierung wie die Welt auf den Schultern des Atlas; sie regeln die äußeren wie die
inneren Angelegenheiten, alle Verordnungen, Gesetze, Erlasse gehen von ihnen aus ... alles, was nur
irgend für den Staat von Wichtigkeit sein kann, geht durch ihre Hand ... ihre Minister sind
eigentlich nur Werkzeuge in der Hand eines weisen und geschickten Meisters." , Werke, Bd. 7, S.
92.
„Unser Staat braucht einen Herrscher, der mit eigenen Augen sieht und selbst regiert. Wollte
das Unglück, daß es anders würde, so ginge alles zugrunde." Bardong, S. 112.
„In einem Staate wie Preußen ist es durchaus notwendig, daß der Herrscher seine Geschäfte
selbst führt. Denn ist er klug, wird er nur dem Staatsinteresse fol-gen, das auch das seine ist."
Friedrich der Große, Die politischen Testamente, S. 4l.
Jede Regierung bedarf eines Systems, und es ist ausgeschlossen, daß viele Köpfe so viele
verschiedenen Interessen einheitlich zusammenfassen und unverrückbar auf das gleiche Ziel
hinstreben können. Anders ein Herrscher, der in seiner Hand alle Zweige der Regierung vereinigt ..."
Friedrich der Große, Die polnischen Testamente, S. 4L
Beschreiben Sie, wie sich Friedrich die Regierung des Herrschers vorstellt!
M3.2 Friedrichs Regierungsweise
M32.1 Pflichterfüllung und Arbeflsethos
Im Sinne des Geistes der „Aufklärung" traf er vom Tage seiner Thronübemahme an „rasche
Entscheidungen", dabei „bis zur Grenze meiner Fähigkeiten mich ausgebend", wie er Voltaire
stolz mitteilte. Seine Kabinettsbefehle überraschten seine Umgebung nicht nur wegen ihres
Inhalts, sondern auch, weil sie täglich Schlag auf Schlag hintereinander erfolgten: Am ersten Tag
seiner Regierung sagte Friedrich seinen Generälen, daß die Armee „künftig nicht mehr mit
Absicht und Übermut das Volk schikanieren" solle. Am zweiten Tag ließ er wegen des kalten
Frühlings, der eine späte und schlechte Ernte erwarten ließ, die öffentlichen Kornkammern öffnen
und an die Armen das Korn zu vernünftigen Preisen verkaufen; ebenfalls am zweiten Tag noch
veranlaßte er die Berliner Buchhändler Haude und Spener, eine neue Zeitung herauszugeben, in
der er selbst - natürlich in französischer Sprache - veröffentlichte. Am dritten Tag verbot er das
„Fuchteln", das Stockschlagen bei den Kadetten, und stiftete den Orden „Pour le mérite". Am
vierten Tag schaffte er den Gebrauch der Folter bei Kriminalfällen ab, am fünften verbot er die
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„gewohnten Brutalitäten" bei der Soldatenwerbung. Und so ging es Tag für Tag weiter:
Kindsmörderinnen, die bis dahin in Säcke eingenäht ins Wasser geworfen worden waren,
„begnadigte" er zur Enthauptung; Heiraten unter entfernten Verwandten wurden erleichtert; die
Zensur beim nicht-politischen Teil der Zeitungen wurde mit der königlichen Einsicht „Gazetten,
wenn sie interessant sein sollen, dürfen nicht genieret werden" aufgehoben (jedoch sechs Monate
später wieder eingeführt!); die Garde der „Langen Kerls" seines Vaters wurde aufgelöst, weil ihr
Unterhalt zu teuer war; der Bauzwang wurde aufgehoben und die Bierbrauverbote wurden
erleichtert; im Generaldirektorium wurde eine Abteilung für Handel und Industrie errichtet .,.
Dollinge'r, S. 34f.
Vergleichen Sie die Arbeitshaltung Friedrichs mit derjenigen Ludwigs XIV.
M3.2.2 Bericht des Amtmannes Fromme
„Nun kamen Ihro Majestät zu Fehrbellin an, sprachen daselbst mit dem Leutnant Probst vom
Zieten'schen Husaren-Regiment und mit dem Fehrbellinischen Postmeister Hauptmann von
Mosch. Als angespannt war, wurde die Reise fortgesetzt, und da Ihro Majestät gleich danach an
meinen Gräben, die im Fehrbellinischen Luch auf königliche Kosten gemacht sind, vorbei
fuhren, so ritt ich an den Wagen und sagte: Ihro Majestät, das sind schon zwei neue Gräben, die
wir durch Ihro Majestät Gnade hier-erhalten haben, und die das Luch uns trocken erhalten. König: So, so; das ist mir lieb! Wer seid Ihr? - Fromme: Ihro Majestät, ich bin der Beamte hier in
Fehrbellin. -König: Wie heißt Ihr? - Fromme: Fromme. - König: Ha, ha! Ihr seid ein Sohn von
dem Landrat Fromme. - Fromme: Ihro Majestät halten zu Gnaden, mein Vater ist Amtsrat im
Amte Lehnin gewesen. - König: Amtsrat! Amtsrat! Das ist nicht wahr! Euer Vater ist Landrat
gewesen. Ich habe ihn recht gut gekannt. Sagt mir einmal, hat Euch die Abgrabung des Luchs hier
viel geholfen? - Fromme: O ja, Ihro Majestät! - König: Haltet Ihr mehr Vieh als Euer Vorfahr? Fromme: Ja, Ihro Majestät! Auf diesem Vorwerk halt' ich vierzig, auf allen Vorwerken siebzig Kühe
mehr! - König: Das ist gut. Die Viehseuche ist doch nicht hier in der Gegend? - Fromme: Nein, Ihro
Majestät! König: Habt Ihr die Viehseuche hier gehabt? - Fromme: Ja! - König: Braucht nur fein fleißig
Steinsalz, dann werdet Ihr die Viehseuche nicht wieder bekommen.
- Fromme: Ja, Ihro Majestät, das brauch ich auch; aber Küchensalz tut beinah' eben die Dienste.
- König: Nein, das glaubt nicht! Ihr müßt das Steinsalz nicht kleinstoßen, sondern es dem Vieh so
hinhängen, daß es dran lecken kann. - Fromme: Ja, es soll geschehen.
Z/V, nach v. Krockow, S. H8f.
M3.2.3 Die Hilfe der Administration
„Wir haben in Preußen das General-Direktorium, die Justizbehörden und die Kabinettsminister.
Tag für Tag senden sie an den König ihre Berichte mit eingehenderen Denkschriften über die
Gegenstände, die seine Entscheidung erfordern. In strittigen oder schwierigen Fällen erörtern die
Minister das Für und Wider selbst. Damit setzen sie den Herrscher in den Stand, seine
Entscheidung auf den ersten Blick zu treffen, vorausgesetzt, daß er sich die Mühe gibt, die
vorgetragenen Sachen gründlich und mit Verständnis zu lesen. Ein klarer Kopf erfaßt den
Kernpunkt einer Frage mit Leichtigkeit. Diese Methode der Geschäftsführung verdient den
Vorzug vor der sonst üblichen, wo der Herrscher im Ministerrat präsidiert; denn aus großen
Versammlungen gehen keine weisen Beschlüsse hervor..."
Friedrich der Große, Die polnischen Testamente, 1752.
A 1. Beschreiben Sie die Regierungswelse Friedrichs!
2. Welches Herrschaftsverständnis setzt sie voraus? Welche Rolle spielen die Beamten?
3. Beurteilen Sie Vorzüge wie Nachteile!
M3.3 Das Militärwesen
M3.3.1 Der Wert des Militärs
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Materialien Friedrich II. von Preußen
„In einem Land", schrieb Friedrich der Große unmittelbar nach Beendigung des Zweiten
Schlesischen Krieges, „in dem der Militair-Stand der vornehmste ist, wo der beste Adel in der
Armee dienet, wo die Offiziers Leuthe von Naissance und selbst die Landeseinwohner,
nehmlich die Söhne derer Bürger und derer Bauern Soldaten seynd, da kann man sich versichert
halten, dass bey dermassen eingerichtete Trouppen ein point d'honneur seyn müsse."
Z/V. nach Kroener, S. 92.
M3.3.2 Das Kantonsystem
Das „Kantonsystem", seit 1733 durch Friedrich Wilhelm I. eingeführt, Führte praktisch die
lebenslängliche Dienstzeit für den größten Teil der männlichen Bevölkerung - namentlich die
Bauern und die städtischen Unterschichten - ein. So wie sich Adlige und Bauern im zivilen
Leben als Gutsherren und bäuerliche Untertanen gegenüberstanden, so im Militär als Offiziere
und Kantonisten. (Dieser Zusammenhang bewirkte auch, daß das Kantonsystem im größten Teil
der westlichen Provinzen, wo das gutsherrlich-bäuerliche Verhältnis nicht existierte, nicht
durchgesetzt werden konnte.) Mindestens ein Drittel des preußischen Heeres setzte sich indessen
weiterhin aus - mehr oder weniger gewaltsam geworbenen - ausländischen Söldnern zusammen.
Parallel zur Beurlaubung der Kantonisten ging man dazu über, jene als „Freiwächter" an städtische
Handwerker und Manufakturunternehmer zu vermieten.
Preußen - Versuch einer Bilanz, Bd. 3, Rowohlt Verlag, Hamburg 1981, S. 40.
M3.3.3 Das Anwachsen des Heeres
Jahr
Heeresstärk Bevölkerun
e
g
1713
40000
1,65 Mül.
1740
1786
1806
80000
195000
260000
2,24 Mill.
5,8 Mill.
10,0 Mül.
A 1. Beschreiben Sie, nach welchem System sich das Heer rekrutierte! Welche Rolle nahm
das Militärwesen in Staat und Gesellschaft ein? 2. Machen Sie anhand der Tabelle
Aussagen a) zu dem prozentualen Anstieg der Heeresstärke, b) zur Bedeutung des Heeres
gegenüber den Zahlen der Bevölkerung insgesamt! 3. Treffen Sie eine Beurteilung über
Beurteilung und Notwendigkeit des Heeres! Nehmen Sie 2.6.4 hinzu.
Beschreiben Sie, welche Bedeutung Friedrich dem Heer beimißt!
M3.4 Die preußische Gesellschaft „unter" Friedrich II.
M3.4.1 Friedrichs Einstellung zu seinem Volk
... er soll darauf sinnen, wie er sein Volk glücklich mache, das ist meine Forderung! Ein zufriedenes
Volk wird niemals an Aufruhr denken, ein glückliches Volk bangt vor dem Verlust seines Herrschers,
der zugleich sein Wohltäter ist, mehr als dieser selbst vor einer Einbuße seiner Macht. Der Pöbel
verdient keine Aufklärung. Wenn acht Zehntel des Volkes über den Erwerb ihres Unterhalts nicht
zum Leben kommen, wenn ferner ein Zehntel aus Oberflächlichkeit, Leichtsinn oder Dummheit
nichts lernt, so ergibt sich, daß das bißchen Menschenverstand, dessen unser Geschlecht fähig ist,
sich nur im geringsten Bruchteil eines Volkes befindet.
Werke, Bd. 7, S. 229.,8.
„Denken wir uns eine beliebige Monarchie mit zehn Millionen Einwohnern. Davon ziehen wir
zunächst die Bauern, Fabrikarbeiter, Handwerker und Soldaten ab. Bleiben etwa 50 000 Männer und
Frauen. Davon ziehen wir 25 000 Frauen ab; der Rest bildet den Adel und den höheren Bürgerstand.
Prüfen wir nun, wie viele davon geistig träge, stumpf und schwachherzig oder ausschweifend sind,
so wird die Rechnung ungefähr ergeben, daß von einem sogenannten zivilisierten Volke kaum 1000
Personen gebildet sind - und auch da welche Unterschiede der Begabung! (Deshalb ist es) verlorene
Mühe, die Menschheit aufklären zu wollen, ja, oft ist es ein gefährliches Unterfangen. Man muß sich
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Materialien Friedrich II. von Preußen
damit begnügen, selber weise zu sein, wenn man es vermag, aber den Pöbel dem Irrtum überlassen
und nur danach trachten, ihn von Verbrechen abzubringen, die die Gesellschaftsordnung stören.
Briefe Friedrich der Große, hrsg. v. M. Hein, Bd. II. Berlin 1914, S. I79f.
1. Beschreiben Sie Friedrichs Einstellungen!
2. Passen die beiden Äußerungen zusammen?
3. Welche Rückschlüsse lassen sich daraus ziehen?
M3.4.2 Sozialstruktur der Ungleichheit die Stände
Anders als eine Pyramide, die man von der Basis bis zur Spitze erklettern kann, stellte sich die ähnlich
aufgebaute preußische Gesellschaft als ein Sozialgehäuse s dar, in dem die einzelnen Stockwerke
streng voneinander abgeschottet waren. Ein Übergang von einer zu einer anderen Etage war so gut wie
unmöglich, und partiell sich öffnende Passagen wurden umgehend wieder geschlossen. Das Stockwerk,
in dem man geboren wurde, blieb der vorgezeichnete Lebens- und Arbeitsbereich bis zum Tode. Da
das Gesamtgebäude - vor allem nach dem Überfall auf Schlesien - äußeren Gefährdungen ausgesetzt
war, waren alle innen- und gesellschaftspolitischen Maßnahmen den Zielen des Militärstaats
untergeordnet, der im Interesse von innerer Ruhe und Steuerzuwachs eine Konsolidierung der
bestehenden Verhältnisse betrieb. Das Ergebnis dieser rigoros verfochtenen Politik war ein System der
politischen Arbeitsteilung, das auf der verfestigten ständischen Gesellschaftsgliederung aufbaute: „Alle
Stände waren in den Dienst des Staates gestellt: der Adel, der die Offiziere und die höheren Beamten
lieferte, der Bürgerstand, der die Akzise bezahlte, der Bauernstand, der die Kontribution trug und die
Kantonisten stellte. Jeder wurde dafür in seiner Weise geschützt und bei seinen hergebrachten
Nahrungsquellen erhalten" (Hintze).
In diesem harmonisierenden Bild der altpreußischen Gesellschaft fehlt der Hinweis, daß der privilegierte
Adel nur eine schmale elitäre Minderheit darstellte, die im wesentlichen steuerfrei war. Die effektiven
Leistungen erbrachten die 95 Prozent Bauern und Bürger, denen immer neue Opfer auferlegt
wurden. Sie finanzierten die Armee und die Kriege des preußischen Staates, der zwischen 70 und 80
Prozent seiner Einnahmen für militärische Zwecke ausgab. In der Idylle der sozialen Arbeitsteilung
fehlt also -zweitens - der Militärstand, der nicht nur das Heer von 195 000 Mann (1786) umfaßte,
sondern auch die etwa gleich große Zahl von Soldatenfrauen und -kindern. Ganz unberücksichtigt
bleiben bei diesem Gesellschaftsbild schließlich die Randgruppen und Unterschichten: Tagelöhner,
Dienstpersonal, Gelegenheits- und ländliche Saisonarbeiter. Infolge des Bevölkerungsanstiegs und der
nicht in gleichem Maße wachsenden Beschäftigungsmöglichkeiten standen, besonders in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts, viele junge und arbeitsfähige Menschen vor der Arbeitslosigkeit und damit
vor dem sozialen Abstieg in die unteren Schichten, zu denen schon die Kranken, die Kriegsinvaliden
und die Armen gehörten.
Mieck, S. I16f.
1. Fassen Sie mit eigenen Worten die Merkmale der Sozialstruktur zusammen! Greifen
Sie hierbei noch einmal auf das aufgeklärteGedankengut Friedrichs, die Bedeutung des
Militärs, die Justizreform zurück!
2. Versuchen Sie zu einer Beurteilung zu kommen.
M 3.5 Justizreformen
M3.5.1 Rechts- und Staatsauffassung
In eigener Person Recht zu sprechen, ist eine Aufgabe, die kein Herrscher übernehmen kann...
Ich habe mich entschlossen, niemals in den Lauf des gerichtlichen Verfahrens einzugreifen;
denn in den Gerichtshöfen sollen die Gesetze sprechen, und der Herrscher soll schweigen.
Werke, Bd. 7, S. US.
(Der Mensch hat) einige Rechte, deren er sich unter keinerlei Umstanden begeben kann, und die
er also durch seinen Übertritt in die bürgerliche Gesellschaft nicht verlieren kann. Dies sind die
sogenannten unveräußerlichen Rechte der Menschheit... und es gibt keine gesetzgebende
Macht, die ihn deren zu berauben berechtigt wäre. Dies sind also die Schranken der
gesetzgebenden Macht.
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Materialien Friedrich II. von Preußen
Svarez, Vortrage über Recht und Staat, hrsg. v. H. Conraä/G. Kleinheyer, Westdeutscher
Verlag, Köln I960.
(Die gesetzgebende Macht hat) keine andere Regel, die sie bisher bindet, als den Zweck des
Staates, d.h. die Erhaltung und Befestigung der allgemeinen Ruhe und Sicherheit, die
Erleichterung und Befestigung der Mittel, wodurch einem jeden einzelnen die Gelegenheit
verschafft werden kann, seine Privatglückseligkeit ohne Beeinträchtigung und Beleidigung
anderer zu fördern, und die Aufrechterhaltung der Staatsverbindung selbst, als der
notwendigen Bedingung, unter welcher nur jene Zwecke erreicht werden können.
Svarez, ebd.
. Beschreiben Sie, welche Rechte und Pflichten das Gesetz, der König auf sich nehmen!
Welche Auffassung vom Recht und vom Staat stehen dahinter?
2. Vergleichen Sie diese Vorstellungen mit der realen Herrschaft Friedrichs und der gesellschaftlichen Situation!
M3.5.2 Der Müller-Amold-Prozeß
Der Prozeß um den Müller Arnold wurde durch den Eingriff des Königs berühmt. Der Müller war
seinem Grundherrn, dem Grafen von Schmettau, den Mühlenpachtzins schuldig geblieben, da er
sich aufgrund einer Flußregulierung um seine Arbeit gebracht sah. Friedrich ergriff infolge
einseitiger Berichterstattung zugunsten des Müllers Partei; er vermutete einen Fall von
Prozeßverschleppung und Rechtsbeugung auf Kosten eines armen Untertans, Seine
Kabinettsordre an den Justizminister, die Richter mit „Cassation und Vestungsarrest" zu bestrafen,
war eigentlich ein königlicher Justizirrtum, denn der Pächter Arnold war in Wahrheit ein
untüchtiger Müller und zahlungsunwilliger Schuldner. Der Kriminalsenat des Kammergerichts
verweigerte seinem König in der Sache Gefolgschaft. Friedrich fällte daraufhin als höchster
Richter selbst ein Urteil; es kam zur Entlassung dreier Richter, ja selbst des Großkanzlers vom Fürst:
„Marsch, seine Stelle ist bereits vergeben".
1. Beschreiben Sie, worin der Justizirrtum Friedrichs begründet liegt!
2. Wie beurteilen Sie des Königs Vorgehen im Hinblick auf die Justiz (s. M3.5.1) sowie im
Hinblick auf die Einstellung zu seinen Untertanen (s. Aufklärungsideale)?
3. Welche Änderungen mußten Ihrer Meinung nach in der Justiz erfolgen?
M3.5.3 Die Bedeutung des Allgemeinen Landrechts
Grundlage für das Gesetzbuch war die berühmt gewordene Kabinettsorder Friedrichs des
Großen vom 14. April 1780, „die Verbesserung des Justizwesens betreffend". Neben der
Verbesserung der Rechtspflege und der Reform der Prozeßordnung befahl Friedrich, ein
allgemeines subsidiarisch.es Gesetzbuch für die gesamte preußische Monarchie zu schaffen. Dieses
Gesetzbuch sollte eine Synthese bilden zwischen dem bislang geltenden ... römischen und
gemeinen Recht, dem Naturrecht und der bestehenden preußischen Verfassungs- und
Rechtsordnung. Ein jus certum, ein sicheres Recht, die Vereinfachung und Vereinheitlichung
des Rechts in den preußischen Provinzen, die Schaffung eines systematisch geordneten, in der
Volkssprache abgefaßten Gesetzbuches entsprachen dem politischen Willen und aufgeklärten
Geist des Königs und seines Justizministers.
Dabei fesselte das gesetzesstaatliche Ziel der Rechtssicherung angesichts der Vielfalt tradierter
Rechte und Privilegien allerdings auch den Reformwillen des preußischen Gesetzgebers. Da er
einen der vornehmsten Staatszwecke in der Sicherung der Eigentumsrechte sah, konnte es nicht in
seiner Absicht liegen, mit dem Allgemeinen Gesetzbuch Privilegien und statutarische Rechte
abzuschaffen und sich so mit dem Odium der Verletzung „wohlhergebrachter Rechte" zu
belasten. Er mußte deshalb die aus der Standesqualität des Adels fließenden Rechte ebenso wie
das bürgerliche Privateigentum schützen und so die noch geltende feudale Rechts Verfassung
rechtlich fortschreiben; und überhaupt hatte er die besonderen Rechte einer jeden preußischen
Provinz zu respektieren. Deshalb sollten an die Seite des für das gesamte Staatswesen geltenden
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Materialien Friedrich II. von Preußen
Gesetzbuches Sammlungen der besonderen Rechte einer jeden preußischen Provinz in eigens
zu schaffenden Provinzialgesetzbüchern treten, auf welche die Richter immer zuerst
zurückgreifen sollten ... Das allgemeine preußische Gesetzbuch hat zwar entgegen einem
verbreiteten Mißverständnis nicht das Fundament für einen Rechtsstaat im Sinne des
frühliberalen Konstitutionalismus gelegt; aber es war ihm von seinem Hauptschöpfer doch ein
verfassungsmäßiger Stellenwert zugedacht worden. In einem Staat, der „keine eigentliche
Grundverfassung" habe, müsse die allgemeine Gesetzgebung „die Stelle derselben
gewissermaßen ersetzen". Da das Gesetzeswerk, wie es im gedruckten Entwurf hieß, „die
Vorschriften" "enthalte, „durch welche die Rechte und Verbindlichkeiten der Mitglieder des Staats
überhaupt, sowohl gegen den Staat als auch unter sich selbst bestimmt werden", gewann es den
Charakter einer umfassenden Dokumentation der friderizianischen Staats- und Gesellschaftsverfassung. Es erstreckte sich auf nahezu alle Gebiete des materiellen Rechts und legte Zeugnis ab von
den aufgeklärten Prinzipien seiner naturrechtlich geschulten Verfasser: Das „allgemeine Wohl"
sei „der G rund der Gesetze"; der Staat könne „die natürliche Freiheit seiner Bürger nur insofern
einschränken, als das Wohl der gesellschaftlichen Verbindung solches erfordere; dem Staate wie
seinen Bürgern müßten „die wechselseitigen Zusagen und Verträge heilig" sein. Zu solchen
programmatischen, in der Lehre vom Gesellschaftsvertrag bindende Regelungen: Durch
Eingriffe des Königs oder seiner Minister in die Rechtsprechung der Gerichte, durch
„Machtsprüche1', sollte fortan niemand in seinen Rechten gekränkt werden. Zudem sah der
Entwurf die künftige Bindung der Zivilgesetzgebung an die beratende Mitwirkung einer
Gesetzeskommission vor, die als Sachverständigengremium von Fachjuristen und
Ministerialbeamten für die Einheit und Widerspruchsfreiheit der Gesetzgebung Sorge tragen sollte
und als Mittel der Selbstkontrolle und Selbstbeschränkung der Monarchie dienen konnte.
Birtsch. S. 137
1. Schildern Sie die Maßnahmen der Justizreform!
2. Beurteilen Sie die Bedeutung im Hinblick auf die Stellung des Monarchen, sowie im
Hinblick auf die Verfassung des neuzeitlichen Staates!
3. Verändert sich dadurch die Stellung des Monarchen? Worin liegt Ihrer Meinung nach
aufgeklärtes Gedankengut? Sind die preußischen Beamten nur Zuträger und -arbeiter des
Königs ohne eigene Vorstellungen?
M4.1 Friedrich II. historische Bedeutung
M4.1.1 Johann Gottfried Herder, 1774
(Ein) Monarch, dessen Namen unsre Zeit mehr trägt und zu tragen verdient als das Zeitalter
Ludwigs ...! Welch neue Schöpfung Europas hat er von seinem Flecke her in 30 kurzen Jahren
bewirkt! ... „Das Jahrhundert trägt sein Bild wie seine Uniform ..." ... „Indes wird auch eben die
Münze, das Brustbild, weggekehrt und das bloße Resultat seiner Schöpfung als Menschenfreund
und Philosoph betrachtet, ohne Zweifel einmal etwas mehr und anderes zeigen! Zeigen vielleicht,
wie durch ein natürlich Gesetz der Unvollkommenheit menschlicher Handlungen mit der
Aufklärung auch ebensoviel luxurierende Mattigkeit des Herzens - mit Sparsamkeit ihr Zeichen und
Gefolge Armut - mit Philosophie blinder kurzsichtiger Unglaube - mit Freiheit zu denken immer
Sklaverei zu handeln. Despotismus der Seelen unter Blumenketten -mit dem großen Helden,
Eroberer und Kriegsgeist Erstorbenheit, Römerverfassung, wie da Armeen alles waren. Verfall und
Elend sich haben verbreiten müssen! ..."
Z/r. nach Doilinger, S. 99.
M4.12 Der Berliner Aufklärer Nicolai, 1769
Aus Hamburg schrieb Lessing I769 dann an den Berliner Aufklärer Nicolai, der ihm gegenüber
die preußische „Freiheit" verteidigt hatte: „Sagen Sie mir ja nichts von ihrer Berlinischen Freiheit.
Sie reduziert sich einzig und allein auf die Freiheit, gegen die Religion soviel Sottisten zu Markte
tragen, als man will. Und dieser Freiheit muß sich der rechtliche Mann bald zu bedienen
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Materialien Friedrich II. von Preußen
schämen. Lassen Sie doch einmal einen in Berlin versuchen, über andere Dinge so frei zu
schreiben.
Lassen Sie ihn versuchen, dem vornehmen Hofpöbel die Wahrheit zu sagen. Lassen Sie einen in
Berlin auftreten, der für die Rechte der Untertanen und gegen die Aussaugung und den
Despotismus seine Stimme erheben wollte, und Sie werden bald die Erfahrung haben, welches
Land bis auf den heutigen Tag das sklavischste Land von Europa ist..."
ebd., S. 83.
M4.1.3 Der englische Gesandte Lord of Malmesbury, 1776
„Die Grundlage für die Handlungsweise des Königs von Preußen seit der Zeit seiner
Thronbesteigung bis auf diesen Tag scheint darin zu bestehen, daß er die Menschen im ganzen
und seine eigenen Untertanen im besonderen als Wesen betrachtet, die bloß geschaffen sind, um
seinem Willen dienstbar zu sein und zur Ausführung alles dessen beizutragen, was auf
Vermehrung seiner Macht und auf Erweiterung seiner Herrschaft abzielt ... Um bei diesem
System zu verharren, war es für ihn notwendig, sich des Mitleids und des Gewissens und damit
der Religion und Moral zu entäußern. An die Stelle der ersteren hat er Abglauben gesetzt, an die
Stelle der letzteren das, was man in Frankreich „Sentiment" nennt. Daraus läßt sich einigermaßen
jene buntscheckige Mischung von Barbarei und Humanität erklären, die seinen Charakter so
stark kennzeichnet ..."
ebd., S. 99f.
M4.2 Die heutige Bewertung
M4.2.1 Der Historiker M. Greiffenhagen
... so zeigt sich schon bei Friedrich eine Erscheinungsform dieses politischen Amoralismus. Wer
eine Lage nicht mehr nach moralischen und religiösen Gesichtspunkten beurteilen kann,
entscheidet „aus dem Nichts heraus". Was jetzt gilt, ist nur noch die Kraft zur Entscheidung
selbst. In Friedrichs Charakter zeigen sich Spuren dieses dezisionistischen Nihilismus, der sich mit
Entscheidungen aus dem Zwang der Praxis begnügt. Er ist die Kehrseite seiner vielgerühmten Risikobereitschaft. Die Verwegenheit des „Alles oder Nichts" nahm keine Rücksicht auf andere
Gesichtspunkte. Aus seinem schlesischen Hauptquartier schrieb Friedrich 1745 an seinen Minister
Graf Podewils: „Aber ich habe einmal den Rubikon überschritten und will nun meine Macht
behaupten, oder es mag alles zugrunde gehen und bis auf den preußischen Namen mit mir
begraben werden." - Wie im Falle von Friedrichs Arbeitswut und religiös motiviertem
Pflichtgefühl ist auch sein Dezisionismus in Deutschland stets Gegenstand hoher Begeisterung
gewesen. Im traditionellen deutschen Politikverständnis haben die Elemente „Entscheidung"
und „Tat" stets Vorrang vor Kompromissen und Verhandlungen. Das gilt bis in die Gegenwart
... Politischer Nihilismus wurde lange vor dem Nationalsozialismus politisch hoffähig. Während
andere Länder Europas noch aus der Tradition unbefragt übernommener Wertvorstellungen lebten, erlebte Preußen bereits eine Sinn-und Wertkrise, welche die europäischen Staaten erst im
späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert erfuhren ... Das Fehlen einer
naturrechtlichen Verankerung der Politik wirkte sich auch auf die Entwicklung des preußischen
Rechtsstaates aus. Zunächst konnten die rechtsstaatlichen Errungenschaften in Preußen für
ungeheuer modern gelten: Der Fürst verstand sich als Garant der Wohlfahrt seiner Bürger;
Willkürherrschaft verbot sich schon deshalb, weil sie das Prinzip nationaler Effizienz verletzt
hätte; Untertan und Herrscher standen in einer Leistungsgemeinschaft, die eine neue
Legitimitätsgrundlage des Staates abgab: anstelle unbekümmerter Genußsucht eiserne
Sparsamkeit, anstelle bedenkenloser Ausbeutung der Gesichtspunkt des Allgemeinwohls, anstelle
wirtschaftlichen Raubbaus langfristige Planung ökonomischen Wohlstands und Förderung
unterentwickelter Gebiete, Politisch bedeutete der preußische Rechtsstaat jedoch nichts anderes
als eine Untertanenkultur mit gewissen Freiheiten. Er war keine Staatsbürgerkultur auf der Basis
angeborener Freiheit und „vorstaatlicher" Menschenrechte. Der preußische Staat gab seinen
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Materialien Friedrich II. von Preußen
Untertanen zwar gewisse Rechtssicherheit, aber keine demokratischen Mitwirkungsrechte.
Die individuelle Freiheitssphäre galt als vom Staat „gewährt" (und war dies auch, was die
Regierungspraxis Friedrichs anbetraf). So modern und human der preußische Rechtsstaat sich im
Vergleich zu den meisten europäischen Staaten ausnahm: von dem Zeitpunkt an, wo anderswo das
demokratische Prinzip über den Absolutismus siegte, mußte er reaktionär werden.
Greiffenhagen, S. 18f.
M4.2.2 Der Historiker R. Vierhaus
Wo jedoch monarchische Herrschaft in so entschiedenem Sinne persönliches Regiment war,
mußte dem individuellen Element hohe Bedeutung zukommen. Die demütigenden Erfahrungen
seiner Jugend, die Verletzungen seines Stolzes durch die barbarische Strenge des Vaters und die
Dürftigkeit der Berliner Hofhaltung, der aufgezwungene kleine Dienst der Küstriner und Ruppiner
Jahre hatten den Kronprinzen in dem Willen bestärkt, sich gleichermaßen als Schriftsteller, als
Regent und Feldherr hervorzutun. Ruhmbedürfnis und intellektueller Hochmut, den er mit seiner
Schwester Wilhelmine teilte, sind stets starke Antriebe Friedrichs geblieben; hinzu trat ein
hochentwickeltes Herrscherbewußtsein, das sich vom Anfang seiner Regierung an mit einem
ausgeprägten Pflicht- und Verantwortungsgefühl verband. Ihm stand zur Seite der auch und gerade
in schwersten Zeiten sich bewährende Umgang mit der Literatur und der Musik. Auch als die
geistreiche Geselligkeit Rheinsbergs und der frühen Jahre in Sanssouci nach dem Siebenjährigen
Krieg immer weiter zurücktraten, ist Friedrich philosophierender Schriftsteller und mehr als ein
Dilettant auf der Flöte geblieben. Ein von der europäischen Aufklärung geprägter Geist, bei dem
allerdings die zunehmende Skepsis im Hinblick auf die Menschen und der Stoizismus im
Bestehen von Rückschlägen und Enttäuschungen jeglichen Optimismus aufzehrten; ein „absoluter"
Herrscher, der den schnellen Ruhm der ersten beiden Schlesischen Kriege in vollen Zügen
genoß, dann aber erleben mußte, wie der dritte Krieg um die neue Provinz seinen Staat aufs
schwerste gefährdete, und der danach von dem mühevollen und wenig spektakulären Werk des
Wiederaufbaus und der Sicherung des Erreichten völlig in Anspruch genommen wurde.
Vierhaus, S. 126.
M4.2.3 Der Historiker v. Krockow
Was bleibt von Friedrichs Erbe wirklich? Zunächst einmal die mühsame Arbeit, dieses Erbe zu
befreien vom zäh wuchernden Gestrüpp falscher Besitzansprüche. Friedrich ist nicht unser als
der Vorkämpfer deutscher Herrlichkeit und Einheit, und er ist nicht unser Feind als der Zerstörer
des Reiches und Verräter am deutschen Wesen. Die borussische Hymne, die vom
friderizianischen Preußen her Deutschland missionieren und den Nationalstaat wie in einem
Heilsplan der Geschichte angelegt sehen möchte, geht ebenso fehl, sie bleibt so unhistorisch wie
die Kritik, die - von Ernst Moritz Arndt über Werner Hegemann bis Rudolf Augstein - den
Verderber des Nationalgeistes anklagt. In all diesem Verherrlichen oder Verdammen ist kein
Fortkommen; wir werden Friedrichs Lebenswerk erst verstehen und es uns aneignen können,
wenn wir es als fremd und fern, als einmalig und unwiederholbar begreifen.
Das gilt vorab für die Institution, die Friedrich auf eine so glanzvolle Höhe geführt hat: für das
Königtum. Im „preußischen Modell" des 18. Jahrhunderts wird es ganz und gar auf die Leistung der
Herrscherpersönlichkeit gestellt, die der Vater und der Sohn, Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II.,
je auf ihre Weise verkörpern. Darin liegt beschlossen, daß Preußen unter unsäglichen Opfern und
gegen alle Wahrscheinlichkeit der Durchbruch zur europäischen Großmacht gelang. Aber darin
liegt auch schon ein Abbruch, ein Ende beschlossen. Denn Kontinuität kann immer nur durch
Institutionen, nie durch Personen garantiert werden; überragende Leistungsfähigkeit läßt sich nicht
vererben. Spitzt sich alles auf sie zu, so wird der Monarchie, die doch auf dem Erbprinzip beruht,
die Rechtfertigung entzogen. Ein König als der oft zitierte und stets gerühmte „erste Diener"
seines Staates lädt geradezu ein zu der Frage nach anderem, möglicherweise leistungsfähigerem
Dienstpersonal. Und er so lädt ein zur weiteren, konsequent sich anschließenden Frage: Warum,
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Materialien Friedrich II. von Preußen
wenn man die Leistung zum Maßstab nimmt, soll das Dienstpersonal eigentlich unkündbar
bleiben? Warum sollte es nicht auf Zeit 55 und Widerruf angestellt werden?
v. Krockow, S. 208f.
M4.2.4 Nachhal friderizianischer Machtpolitik
Völlig unkritisch wurde im deutschen Nationalstaat die preußische Militärtradition übernommen.
Das neue Reich verdrängte alle alten deutschen Traditionen s und machte aus Deutschland einen
auf höchste Effizienz abgestellten Macht-Staat ...
In dieser Tradition war der Führungsanspruch Preußens im Reich begründet: Bismarck war sich
der ungeheuren Gefahren bewußt, die auf einen militärischen Machtstaat im Zentrum Europas
zukommen konnten. Sein kompliziertes außenpolitisches System besaß nur das eine Ziel, vom
Reich kriegerische Verwicklungen abzuwenden. Die Lage wurde kritisch, als der säbelrasselnde
Wilhelm II. stärker auf die friderizianische Tradition zurückgriff. Man kann einen Herrscher nicht
dafür verantwortlich machen, was seine Nachfolger machen. Aber es war friderizianische
Tradition, die Schlieffen einredete, es sei im Notfall rechtens, ein neutrales Land zum
Aufmarschgebiet gegen einen Feind zu machen...
Eine zweite friderizianische Tradition spielte im weiteren Verlauf des Ersten Weltkriegs eine
böse Rolle: In unzähligen Variationen hatte Friedrich II. zwischen 1740 und 1763 beteuert, daß es
für ihn nur die „heroische" Alternative Sieg oder Untergang gäbe. Als Prinz Max von Baden
Ludendorff im Januar 1918 fragte, was geschähe, wenn die geplante Frühjahrsoffensive scheiterte,
antwortete der General, dann muß Deutschland eben zugrunde gehen. Was das bedeutet, hat
das deutsche Volk nach 1939 und vor allem 1945 am eigenen Leib erlebt. Fast drei Millionen
Menschen bezahlten 1945 den Zusammenbruch mit ihrem Leben ... Es war die preußische
Tradition, die man im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten her niederkämpfen und zu beseitigen
sich vorgenommen hatte. Was die Alliierten in seltener Einmütigkeit mit der Auflösung Preußens
1947 bezweckten, war das Ende der als verhängnisvoll erkannten preußischen Tradition. Wieweit
war das berechtigt?
Friedrich II. Politik war von einer ganzen Serie von Rechtsbrüchen gekennzeichnet. Seine
Überfälle auf Österreich 1740, Sachsen 1742 und 1756 geschahen ohne Kriegserklärung. Seine
Allianz mit Frankreich 1741 bis 1745 brach er mindestens viermal. Er galt als ein Mann, der
Verträge nicht einhält und Kriege ohne vorherige Warnung beginnt. Diese Art der Politik
glaubte man in der deutschen Außenpolitik 1914 und 1939 bis 1945 wiederzuerkennen ...
Betrachtet man Friedrichs M. Kriegführung genauer, so wird man eine Reihe von
Übereinstimmungen mit späteren Ereignissen feststellen. 1757 ging Friedrich nach einem
strategischen Plan vor, der frappante Ähnlichkeit mit dem Schlieffenplan und den Blitzkriegen Hitlers hatte. Er wollte innerhalb von drei Wochen den Hauptgegner Österreich in einer
Entscheidungsschlacht schlagen und sich dann auf die Franzosen werfen.
Die Niederlage von Kolin entsprach der Marneschlacht im Ersten Weltkrieg. In beiden Fällen
vermochte Preußen keine zweite strategische Konzeption zu entwickeln. Der Krieg ging bis zur
Erschöpfung weiter, nur mit dem Unterschied, daß „das Mirakel des Hauses Brandenburg"
Friedrich II. vor der sicheren Niederlage rettete. Auch den Irrglauben, daß Kriege durch
Schlachtensiege entschieden werden, vererbte Friedrich II. den preußisch-deutschen Generälen
bis 1945. Man wird also die friderizianische Militärtradition in ihren Auswirkungen sehr wohl
negativ beurteilen müssen.
v.Aretin,S.227f.
M4.2.5 Der Historiker Th. Schieder
Friedrich gehört neben Zar Peter I. von Rußland zu den wenigen, die zu ihren Lebzeiten den
Beinamen „der Große" erhielten. Doch war sein Ruhm von Anfang an ein umstrittener. Friedrich
war noch nicht aus der Zone der Geschichte herausgetreten, in der sich endgültige, bleibende
Urteile bilden. Und zudem war er eine Gestalt voller innerer Gegensätzlichkeiten, die ein
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Materialien Friedrich II. von Preußen
eindeutiges Urteil fast ausschließen. Diese Widersprüchlichkeit enthält ebenso viel Abstoßendes wie
Anziehendes, sie ist aber nur die Schattenseite eines enormen Reichtums von Anlagen und
Fähigkeiten. Das Rätsel dieses tief gespaltenen Charakters reizt zu Deutungen, mit denen sich seit
Voltaire viele versucht haben, die entweder fasziniert oder zurückgestoßen wurden, nicht zuletzt
im Blick auf die menschlich sympathischere Maria Theresia. Seine Gefühlskälte und sein
Zynismus waren oft erschreckend; doch anders als bei Peter dem Großen findet man bei ihm
keine gewalttätigen Exzesse und trotz aller Ausbrüche von Zorn und Rachsucht keine persönliche
Grausamkeit, die einer „Dispensation von dem gewöhnlichen Sittengesetz" bedürfen, wie
Burckhardt es den Großen der Weltgeschichte widerwillig zugesteht. Kriegsführung allerdings nahm
er ohne moralische Bedenken als unanfechtbares Recht hin, so sehr ihn die Schrecken des Krieges in
der Tiefe erschüttern konnten. Sein politisches Handeln bewegte sich auch im Umkreis
machiavellistischer Mißachtung von Recht und Herkommen. Der Verfasser des „Antimachiavell“
entwickelte sich sehr rasch zu einem Jünger Machiavellis auch insofern, als er sich immer nur rationale, berechenbare Ziele schuf. Er ist in dem Kontrast zwischen Glaubenslosigkeit und
Schicksalsgläubigkeit, die ihn innerlich zerrissen, kein Kind seines eigenen Zeitalters mehr, sondern
eher der modernen Welt ... Friedrich, der seine Zeit und seine fürstlichen Zeitgenossen weit
überragte und als die glänzendste Erscheinung des aufgeklärten Absolutismus in Europa gelten
kann, führte das System der absolutistischen Selbstherrschaft auf einen Gipfel, zu einem
Zeitpunkt, in dem deren Ende bereits sichtbar war. Der Selbstherrschaft versuchte er jedoch eine
Begründung zu geben, die über ihre bisherigen Formen hinausging und eher dazu beitrug, sie zu
untergraben. Er bezeichnete den Herrscher als Diener des Staates und identifizierte nicht den Staat
mit seiner Person, sondern ordnete seine Person dem Staat unter. Damit war die Verwandlung
der monarchischen Gewalt aus persönlicher Herrschaft zu einer Amtsgewalt eingeleitet.
Schicker, S. 488_ff.
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