Analysis Carsten Schütt July 11, 2014 2 Contents 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . Mathematische Logik . . . . . . . . . . . . Das Axiomensystem von Zermelo-Fraenkel Relation und Ordnung . . . . . . . . . . . Die natürlichen Zahlen N . . . . . . . . . . Mathematische Induktion . . . . . . . . . Mächtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Zahlen 2.1 Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Folgen in Körpern . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Reelle Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Folgen in R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Di↵erenzengleichungen . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Supremum und Infimum . . . . . . . . . . . . . 2.7 Reihen in R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Bedingt konvergente Reihen - Satz von Riemann 2.9 Das Problem von Basel . . . . . . . . . . . . . . 2.10 p-adische Entwicklungen reeller Zahlen . . . . . 2.11 Kettenbrüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Funktionen einer reellen Veränderlichen 3.1 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Gleichmäßige Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . 3.3 Monotone Funktionen und Umkehrfunktionen 3.4 Potenz, Exponentialfunktion und Logarithmus 3.5 Di↵erenzierbare Funktionen . . . . . . . . . . 3.6 Der Satz von Rolle und der Mittelwertsatz . . 3.7 Lokale Extrema . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Die Formel von L’Hôpital . . . . . . . . . . . 3.9 Gleichmäßige Konvergenz . . . . . . . . . . . 3.10 Unstetige Ableitungen . . . . . . . . . . . . . 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 7 14 19 23 25 29 32 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 39 42 44 46 60 65 71 87 90 91 99 . . . . . . . . . . 107 . 107 . 118 . 120 . 121 . 130 . 139 . 149 . 149 . 157 . 165 . . . . . . . 4 CONTENTS 4 Metrische Räume 167 4.1 Metrische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 4.2 Normierte Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4.3 Stetige Abbildungen zwischen metrischen Räumen . . . . . . . . . . . 181 5 Integralrechnung 5.1 Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Riemannsche Summen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Riemann-messbare Mengen und die Cantor-Menge . . 5.4 Hauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung . . . 5.5 Substitution und partielle Integration . . . . . . . . . 5.6 Mittelwertsatz der Integralrechnung . . . . . . . . . . 5.7 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8 Gammafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9 Bogenlänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.10 Die trigonometrischen Funktionen . . . . . . . . . . . 5.11 Das Produkt von Wallis . . . . . . . . . . . . . . . . 5.12 Partialbruchzerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.13 Integralkriterium für Reihen . . . . . . . . . . . . . . 5.14 Unendliche Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.15 Die Formel von Stirling . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.16 Der Satz von Taylor und Taylorreihen . . . . . . . . . 5.17 Gleichmäßige Konvergenz und Integral . . . . . . . . 5.18 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.19 Rationale, irrationale, algebraische und transzendente 6 Funktionen mehrerer reeller Variablen 6.1 Zusammenhängende Mengen im Rn . . 6.2 Richtungsstetigkeit, Richtungsableitung 6.3 Di↵erenzierbarkeit im Rn . . . . . . . . 6.4 Partielle Ableitungen höherer Ordnung 6.5 Abbildungen vom Rn in den Rm . . . . 6.6 Kettenregel . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Mittelwertsatz . . . . . . . . . . . . . . 6.8 Der Satz von Taylor . . . . . . . . . . 6.9 Bogenlänge . . . . . . . . . . . . . . . 6.10 Extremwerte . . . . . . . . . . . . . . . 6.11 Umkehrabbildungen . . . . . . . . . . . 6.12 Implizite Funktionen . . . . . . . . . . 6.13 Lagrangesche Multiplikatoren . . . . . 6.14 Di↵erentiation in Banachräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . und Partielle Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 . 187 . 198 . 199 . 211 . 217 . 218 . 219 . 221 . 224 . 228 . 235 . 238 . 238 . 242 . 244 . 249 . 256 . 262 . 271 . . . . . . . . . . . . . . 279 . 279 . 287 . 289 . 297 . 301 . 303 . 305 . 307 . 310 . 315 . 329 . 338 . 344 . 347 CONTENTS 7 Integration im Rn 7.1 Iterierte Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Riemann-Integral auf beschränkten Mengen . . . . . . . . . 7.3 Das Maß von Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Berechnung von Integralen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Transformationsformel für Integrale . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Unstetigkeitsmengen von Funktionen und ihren Ableitungen 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 . 352 . 358 . 359 . 365 . 366 . 371 6 CONTENTS Chapter 1 1.1 Einführung Wie man studiert Sie sollten nur ein Fach studieren, das Ihnen auch gefällt. Wir wollen in der Vorlesung drei Dinge lernen: 1. Die mathematische Sprache Hier lernen wir, was ein Beweis ist und wie er aufgeschrieben wird. 2. Methoden zur Lösung von Problemen Hier lernen Sie Standardmethoden zum Bearbeiten von mathematischen Problemen kennen. Sie lernen, Probleme zu analysieren. 3. Ergebnisse der Mathematik Sie werden sehr bald feststellen, dass der Arbeitsumfang sehr groß ist. Dies tri↵t für Ihr Studium im Allgemeinen wie auch insbesondere für diese Vorlesung zu. Sie werden Ihr Studium nur dann bewältigen, wenn Sie kontinuierlich arbeiten. Um sicher zu stellen, dass Sie auch kontinuierlich arbeiten, werden jede Woche Übungsaufgaben ausgeben. Diese Übungsaufgaben werden in den Übungsgruppen besprochen. Im Laufe der Wochen werden Sie so mit einer großen Zahl von Beispielen vertraut. Das Verständnis vom Sto↵ hängt davon ab, ob man Beispiele kennt. Es ist besser, in kleinen Gruppen zu arbeiten. Ich möchte stark davon abraten, allein zu arbeiten. Wenn Sie mit anderen zusammen arbeiten, werden Sie anderen Ihre Überlegungen und Ideen erläutern. Dies ist ein guter Weg, die die eigenen Gedanken und Argumente zu überprüfen. In der Vorlesung werden Beispiele vorgerechnet. Die Aufgaben sind häufig ähnlich, manchmal dienen sie als Vorlage. Jede Woche werden Übungsaufgaben ausgegeben, die innerhalb einer Woche zu bearbeiten sind. Besprochen werden die Aufgaben in den Übungsgruppen. Sie müssen sich selbst beim Studium einbringen, Sie müssen die Initiative ergreifen. Das Studium der Mathematik ist sicherlich schwer, es bringt aber auch viel Spaß. 7 8 CHAPTER 1. Neben Lehrbüchern steht auch Software zum Erarbeiten des Sto↵es zur Verfügung. Mathematica und Maple sind sehr zu empfehlen, wobei ich Mathematica den Vorzug gebe. Es ist aber nicht notwendig, einen Computer und diese Software zur Verfügung zu haben. Sie können den Vorlesungssto↵ auch ohne diese Dinge bewältigen. Außerdem möchte ich Sie auf das Textverarbeitungssysten TEX aufmerksam machen. Mit diesem System können Sie mathematische, physikalische und chemische Texte schreiben. Die Software ist frei im Internet erhältlich. Wenn Sie sich mit mir unterhalten wollen, können Sie dies z.B. direkt im Anschluss an die Vorlesung tun, oder aber auch in meiner Sprechstunde. Wir können auch einen Gesprächstermin vereinbaren. Falls Sie meinen, dass Sie im Studium Probleme haben, sollten Sie mit mir sprechen. Literatur • G. Berendt und E. Weimar: Mathematik für Physiker, VCH • J. Dieudonne: Grundlagen der modernen Analysis, • K.Endl und W. Luh: Analysis I,II, Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden • F. Erwe: Di↵erential- und Integralrechnung I,II, BI Hochschultaschenbücher • G.M. Fichtenholz: Di↵erential- und Integralrechnung I,II,III, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin • H. Fischer und H. Kaul: Mathematik für Physiker, B.G. Teubner, Stuttgart • O. Forster: Analysis 1,2, vieweg studium, Braunschweig/Wiesbaden • W. Grauert und I. Lieb: Di↵erential- und Integralrechnung I, Springer-Verlag • W. Grauert und W. Fischer: Di↵erential- und Integralrechnung II, SpringerVerlag • H. Heuser: Lehrbuch der Analysis, Teil 1 und 2, B.G. Teubner, Stuttgart • S. Lang: Analysis I,II, Addison-Wesley • von Mangoldt und Knopp: Einführung in die höhere Mathematik, S. Hirzel Verlag, Stuttgart • W. Smirnow: Lehrgang der höheren Mathematik, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin • M. Spiegel: Advanced Calculus, Schaum’s Outline Series. McGraw Hill • W. Walter: Analysis I,II,Springer-Verlag 1.1. EINFÜHRUNG 9 Prüfungen, Klausuren und Übungen Am Ende des Semesters (10.2.2014) findet eine Klausur statt. Diese Klausur wird auch am Beginn des darau↵olgenden Semesters angeboten (10.4.2014). Danach wird diese Klausur erst ein Jahr später angeboten. Sie erhalten die Zulassung zur Klausur, wenn Sie hinreichend viele Aufgaben der Übungen richtig bearbeitet haben. Jede Woche wird ein Übungszettel mit 3-5 Aufgaben herausgegeben. Die letzte Aufgabe ist immer nur von den Studenten des 1-Fach-Bachelorstudiums zu bearbeiten. Die Teilnahme an den Übungen ist Pflicht. Die Aufgaben sollen zu zweit schriftlich bearbeitet werden und am Mittwoch vor der Vorlesung um 8:15 abgegeben werden. Jede zweite Woche findet für eine halbe Stunde eine Korrektur in Anwesenheit statt. Während dieser halben Stunde sollen Sie dem übungsleiter erklären, was Sie aufgeschrieben haben. Während dieser halben Stunde kann man i.A. nicht alle Aufgaben besprechen. Wenn Sie nicht erklären können, was Sie aufgeschrieben haben, gilt dies als falsch. Um zur Klausur zugelassen zu werden, müssen Sie 50% der Aufgaben richtig bearbeitet haben und es müssen 50% der Aufgaben richtig sein, die Sie in der Korrektur in Anwesenheit besprechen. Vorlesungssto↵ Ein großer Teil der Vorlesung befasst sich mit dem Aufbau des Zahlsystems. Wir gehen von den natürlichen Zahlen N aus. Die Existenz der natürlichen Zahlen kann man aus dem Axiomensystem von Zermelo-Fraenkel der Mengenlehre herleiten. Aus den natürlichen Zahlen erhält man durch Hinzufügen von 0 und der negativen Zahlen die ganzen Zahlen Z. Durch Quotientenbildung erhält man die rationalen Zahlen Q. Daraus konstruieren wir schließlich die reellen Zahlen R. Diese letzte Konstruktion ist nicht einfach. Anschaulich handelt es sich bei den reellen Zahlen um den unendlichen Zahlenstrahl, so etwas wie ein unendlich langes Lineal. Dies ist sicherlich eine gute Veranschaulichung, wir brauchen aber eine Darstellung der reellen Zahlen, die es uns erlaubt mit ihnen zu rechnen. Zunächst stellt sich die Frage, ob es überhaupt reelle Zahlen gibt, die keine rationalen Zahlen sind. p Wir betrachten 2, pum die Probleme zu erklären. Aus der Anschauung sind wir sicher, dass die Zahl 2 existiert: Sie ist die Länge der Diagonale des Quadrates mit der Kantenlänge 1. Was aber ist dann eine reelle Zahl? Jede Länge, die wir in einem geometrischen Objekt wie einem Quadrat messen können? Was ist dann mit der Zahl e? p Nehmen wir einmal an, dass 2 eine wohldefinierte, reelle Zahl p ist. Es lässt sich durch ein geschicktes, aber sehr kurzes Argument zeigen, dass 2 keine rationale Zahl ist (Satz 2.0.1). p Nun eine historische Bemerkung zu der Tatsache, dass 2 irrational ist. Pythagoras war der Führer einer philosophischen Gemeinschaft, der Pythagoräer. Sie glaubten, dass der Natur harmonische Prinzipien zu Grunde liegen. So beobachteten sie, dass zwei Saiten harmonisch klingen, wenn der Quotient ihrer Längen als Quotient zweier 10 CHAPTER 1. kleiner natürlicher Zahlen ausgedrückt werden kann. Sie glaubten, dass die in der Natur vorkommenden Zahlen rationale Zahlen sind. Sie waren erschüttert, als sie p feststellten, dass 2 eine irrationale Zahl ist. Sie beschlossen, dies geheim zu halten. p Ein Mitglied ihrer Gemeinde, Hippasus, beschloss, der Welt mitzu teilen, dass 2 eine irrationale Zahl ist. Daraufhin wurde er umgebracht [74, 89]. Außerdem sind ⇡ und e keine rationalen Zahlen, dies ist aber deutlich schwieriger nachzuweisen. Weiter ist in diesem Zusammenhang wichtig, eine Darstellung für reelle Zahlen zu finden. Die übliche Darstellung ist die Dezimaldarstellung. Auf Taschenrechnern wird diese Darstellung benutzt, wobei nur ca. 10 Zi↵ern benutzt werden. Dem unvoreingenommenen Benutzer von Taschenrechnern kommt der Verdacht, dass 10 Zi↵ern vielleicht nicht ausreichen. Vielleicht kommt man mit 20 Zi↵ern aus? Vielleicht macht man einen Fehler, aber der ist so klein, dass er in aller Regel keine Rolle spielt? Können wir also unser Zahlsystem so einschränken, dass wir höchstens 20 Zi↵ern zu verwenden haben? Bei der Umwandlung eines Bruches in eine Dezimalzahl treten Dezimalzahlen mit unendlich vielen Stellen auf. So z.B. 1 = 0, 3333 . . . 3 Ist der rechte Ausdruck aber sinnvoll? Auf einem Taschenrechner haben nicht unendlich viele Zahlen Platz und wir sind auch nicht in der Lage, unendlich viele Zi↵ern aufzuschreiben. Multiplizieren wir nun beide Seiten mit 3, erhalten wir 1 = 0, 999 . . . Ist das noch vernünftig? Wenn ja, dürfen wir eine Dezimalzahl in dieser Weise multiplizieren? Sind die Zahlen 1 und 0, 9999 . . . tatsächlich gleich? Wenn ja, warum? Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Bestimmung des Flächeninhaltes. Hierzu entwickeln wir die Di↵erential- und Integralrechnung. Wir gehen davon aus, dass die Fläche eines Rechteckes das Produkt der Seitenlängen ist. Wir können dann die Fläche zwischen Graphen von Funktionen bestimmen. Es stellt sich die Frage, ob wir jeder Teilmenge des R2 einen Flächeninhalt zuordnen können? Eine weitere Aufgabe ist die Bestimmung der Länge einer Kurve. Beispiele hierfür sind der Umfang eines Rechteckes oder der Umfang eines Kreises. Wir geben hier mathematische Probleme an, die von besonderem Interesse sind. Einige werden wir in der Vorlesung behandeln. Konvergenz von Folgen Konvergieren die Folgen: 1.1. EINFÜHRUNG (i) (ii) 11 s r r q q q p p p p 1, 1 + 2, 1 + 2 + 3, 1 + 2 + 3 + 4, . . . ✓ ◆2 ✓ ◆3 ✓ ◆4 1 1 1 (1 + 1) , 1 + , 1+ , 1+ ,... 2 3 4 1 Bewegungsgleichung eines Pendels und eines Doppelpendels Brachistochronen Problem Man konstruiere eine Bahn, auf der sich eine Kugel nur unter Wirkung der Schwerkraft am schnellsten von einem Punkt zu einem anderen bewegt. Schwerkraft eines hohlen Planeten Wir betrachten einen Planeten, der innen hohl ist. Wie groß ist die Schwerkraft innnen und außen? Schwingende Saite Eine Saite wird angezupft. Wie lassen sich die Schwingungen, die die Saite vollführt, ausrechnen? Kann man die Form einer Trommel hören? Kann man nur am Ton der Trommel hören, welche Form ihre Bespannung hat? 12 CHAPTER 1. Temperaturverteilung in einer kreisrunden Metallscheibe Eine kreisrunde Metallscheibe ist zu einem gegebenen Zeitpunkt unterschiedlich erhitzt. Wie entwickelt sich die Temperaturverteilung im Laufe der Zeit? ⇡ ist eine irrationale Zahl Wir zeigen, dass sich ⇡ nicht als Quotient zweier ganzen Zahlen schreiben lässt. Dreiteilung eines Winkels Kann man nur mit Hilfe von Zirkel und Lineal einen beliebigen Winkel in drei gleiche Teile teilen? Quadratur des Kreises Kann man nur mit Hilfe von Zirkel und Lineal ein Quadrat konstruieren, das dieselbe Fläche wie ein gegebener Kreis hat? Banach-Tarski Paradoxon Man kann eine Kugel so in endlich viele Teile zerlegen, dass man diese wiederum zu zwei Kugeln derselben Größe zusammensetzen kann. Auf diese Weise verdoppelt man das Volumen. Dies kann nicht sein. Wie erklärt sich dieser Widerspruch? Wir zerlegen die Kugel in Teile, denen sämtlich kein Volumen zugeordnet werden kann, also Mengen, die nicht messbar sind. Kakeya Problem (1917) Wir legen eine Nadel auf eine Ebene und bewegen sie nun so, dass sie wieder in derselben Position zu liegen kommt, wobei allerdings die beiden Endpunkte der Nadel vertauscht sind. Wir möchten die Nadel so bewegen, dass eine mglichst kleine Fläche von der Nadel überstrichen wird. Wie klein kann diese Fläche sein? Gibt es ein Minimum? Vermutung von Fermat Es sei n 2 N. Für n 3 gibt es keine x, y, z 2 N mit xn + y n = z n . Für n = 2 erfüllen x = 3, y = 4, z = 5 die Gleichung. Berechnung von Volumina, Schwerpunkten, Kurvenlängen, Oberflächen 1.1. EINFÜHRUNG 13 Peano-Kurve Es gibt eine stetige Kurve, die ein ganzes Quadrat ausfüllt. Wir wollen uns noch ein Beispiel für einen mathematischen Beweis ansehen. Satz 1.1.1 (Pythagoras)[74, 89] Es seien a und b die Längen der Katheten in einem rechtwinkligen Dreieck und c die Länge der Hypothenuse. Dann gilt a2 + b2 = c2 . Beweis. b a c Wir betrachten ein Quadrat mit der Kantenlänge a + b. Einbeschrieben ist ein Quadrat der Kantenlänge c. a b c Wir sehen nun, dass sich die Fläche des Quadrates mit der Kantenlänge a+b aus einem Quadrat der Kantenlänge c und vier rechtwinkligen Dreiecken mit Katheten a und b und Hypothenuse c zusammensetzt. Es folgt a·b (a + b)2 = c2 + 4 = c2 + 2ab. 2 Deshalb gilt a2 + 2ab + b2 = c2 + 2ab. Also a2 + b2 = c2 . 14 CHAPTER 1. Alternativ können wir den Beweis auch geometrisch beenden. Wir arrangieren die Dreiecke neu in dem Quadrat an. Es folgt, dass die Fläche, die nicht von den Dreiecken überdeckt wird gleich c2 ist. Andererseits setzt sich die Fläche aus zwei Quadraten der Kantenlänge a und b zusammen. a b 2 Pythagoras wurde um 570 v. Chr. auf Samos geboren und starb nach 510 v. Chr. in Metapont in Süditalien. Er war Philosoph und Gründer einer religiösphilosophischen Bewegung. In seiner Jugend reiste er zu Studienzwecken u.a. nach Ägypten und Babylon. Um 530 v. Chr. wanderte er nach Croton in Süditalien aus, weil er sich mit dem Herrscher auf Samos überworfen hatte. Der Satz von Pythagoras war sehr wahrscheinlich schon vor Pythagoras Zeit den Ägyptern, Indern und Chinesen bekannt. In China ist der Satz unter dem Namen GouGu-Dingi bekannt. Gou heißt Breite, Gu heißt Länge und Dingi Lehrsatz. Es gibt sehr viele Beweise des Satzes, die aber im Wesentlichen nicht allzu verschieden sind. Der amerikanische Präsident James A. Garfield (1831-1881) hat auch einen Beweis geliefert. 1.2 Mathematische Logik Die mathematische Logik bietet systematische und formale Entscheidungsmethoden dafür an, ob eine Aussage wahr oder falsch ist (oder auch, ob eine Aussage weder wahr noch falsch ist, also nicht entscheidbar ist). Da diese Methoden formal sind, gehen sie nicht auf die Bedeutung und den Sinn der vorliegenden Aussage ein. Sie liefern objektive Verfahrensweisen zur Entscheidung, ob eine Aussage wahr oder falsch ist. Wir können Aussagen zusammensetzen. Dazu stehen uns die folgenden Verknüpfungen zur Verfügung. 1.2. MATHEMATISCHE LOGIK 15 Aussage Verknüpfung Aussage Bedeutung A ⇒ B A folgt B A ⇔ B A gilt genau dann, wenn B gilt A ∧ B A und B gelten A ∨ B A oder B gelten (einschliessendes ”oder”) Außerdem bedeutet ¬A die Verneinung der Aussage A. Wir ordnen Aussagen A und B die Wahrheitszeichen W und F für wahr und falsch zu. Für zusammengesetzte Aussagen gelten die folgenden Regeln. A ¬A W F F W Wenn A wahr ist, dann ist die Verneinung ¬A natürlich falsch. A ∧ B W W W W F F F F W F F F A und B sind nur dann wahr, wenn beide Aussagen wahr sind. A ∨ B W W W W W F F W W F F F Da das Symbol _ das einschließende ”oder” ist, braucht nur eine der beiden Aussagen wahr zu sein, damit die Gesamtaussage richtig ist. Als Beispiel hierfür die Aussage: Das Haus ist rot oder das Haus ist nicht rot. 16 CHAPTER 1. A ⇒ B W W W W F F F W W F W F Falls A und B wahr sind, so ist auch die Gesamtaussage wahr. Falls A wahr ist und B falsch, so ist die Gesamtaussage falsch, da aus einer wahren Aussage keine falsche folgen kann. Andererseits kann aus einer falschen Aussage durchaus eine wahre Aussage folgen. Wenn wir von der falschen Aussage 1 = 2 ausgehen so folgt durch Addition 2+1=1+2 also die wahre Aussage 3 = 3. A ⇔ B W W W W F F F F W F W F A ist genau dann wahr, wenn B wahr ist. Ebenso ist A genau dann falsch, wenn B falsch ist. Dies sind die beiden wahren Implikationen. Wir sagen, dass zwei Aussagen A und B logisch äquivalent oder tautologisch sind, falls A , B immer wahr ist. Beispiel 1.2.1 (i) (A ) B) und (¬B ) ¬A) sind logisch äquivalent. A ⇒ B ⇔ ¬B ⇒ ¬A W W W W F W F W F F W W F F F W W W F W W F W F W W W W (ii) (A , B) und ((A ^ B) _ (¬A ^ ¬B)) sind logisch äquivalent. (A ⇐⇒ B) ⇐⇒ ((A ∧ B) (¬A W W W W W W W W F F F W F F W W F F F F F W F F W W F F W F W F F F W F W F F F W W W W ∨ ∧ So lässt sich die Verknüpfung , durch _ und ^ ausdrücken. (iii) Die Aussagen ¬(A _ B) und ¬A ^ ¬B sind logisch äquivalent. ¬B)) 1.2. MATHEMATISCHE LOGIK 17 Die Aussagen ¬(A ^ B) und ¬A _ ¬B sind logisch äquivalent. (iv) Die Aussage ”Entweder gilt A oder B” lässt sich formelmäßig durch (A ^ ¬B) _ (¬A ^ B) erfassen. Entweder gilt A oder B heißt ja gerade, dass A gilt und nicht B oder A gilt nicht und B gilt. Die Wahrheitstafel ist (A ∧ ¬B) ∨ (¬A ∧ B) W F F F F F W W W W W F F F F F F W W W W F W F W F F F Wenn wir die Wahrheitstafeln vergleichen, stellen wir fest, dass die Aussage (A , B) logisch äquivalent zu ¬((A ^ ¬B) _ (¬A ^ B)), also der Verneinung der Entweder-Oder Aussage. Die Aussage ¬((A ^ ¬B) _ (¬A ^ B)) ist logisch q̈uivalent zu (¬A _ B) ^ (A _ ¬B). Wir wollen uns nun einem komplizierteren Beispiel zuwenden. Beispiel 1.2.2 Wenn Anton raucht, dann raucht auch Fridolin. Christa oder Dora rauchen. Entweder raucht Fridolin, oder es raucht Emil. Christa und Emil rauchen beide, oder beide rauchen nicht. Wenn Dora raucht, dann rauchen auch Christa und Anton. Bruno raucht nur, wenn Fridolin nicht raucht. Wer raucht und wer raucht nicht? Wir haben die folgenden Aussagen. A = Anton raucht B = Bruno raucht C = Christa raucht D = Dora raucht E = Emil raucht F = Fridolin raucht Wir übersetzen nun die Aussagen. Wenn Anton raucht, dann raucht auch Fridolin : Christa oder Dora rauchen : Entweder raucht Fridolin, oder es raucht Emil : Christa und Emil rauchen beide, oder beide rauchen nicht : Wenn Dora raucht, dann rauchen auch Christa und Anton : Bruno raucht nur, wenn Fridolin nicht raucht : A)F C _D (E ^ ¬F ) _ (¬E ^ F ) (C ^ E) _ (¬C ^ ¬E) D ) (A ^ C) B , ¬F 18 CHAPTER 1. A B C D E F W W F W W F W A⇒F D∨C (E∧¬F )∨(¬E∧F ) (E∧C)∨(¬E∧¬C) D ⇒ (A∧C) W F W F W W W F F W W F F W F F W W F F W W W F W W F F W W W W W W F F W F F W W W F W W F F F W W F F W F W F W F W F W F W F W F W F W F W F W F W F W F F F W F W F W F W F W F W F W F W F W F W F F W F F F W F W W W F W W W F W W F F W F F F F Wir erstellen zwei Tabellen, mit der wir sämtliche Möglichkeiten überprüfen. Da wir 6 elementare Aussagen haben, aus denen sich die anderen Aussagen zusammensetzen, ergeben sich insgesamt 26 = 64 Möglichkeiten. Wir stellen fest, dass es nur eine Möglichkeit gibt, in der alle zusammengesetzten Aussagen richtig sind: Anton raucht nicht, Bruno raucht, Christa raucht, Dora raucht nicht, Emil raucht, Fridolin raucht nicht. Darüberhinaus benötigen wir zwei Quantoren. 8 heißt ”für alle” 9 heißt ”es existiert ein” Wenn wir eine zusammengesetzte Aussage haben, in der auch Quantoren vorkommen, und wir zur Verneinung dieser Aussage übergehen wollen, dann kehren sich 1.3. DAS AXIOMENSYSTEM VON ZERMELO-FRAENKEL 19 die logischen Symbole um. Es gibt eine Stadt, in der alle Häuser rot oder grün sind. 9 S 8 H : (H ist rot) _ (H ist grün) Als Verneinung erhalten wir 8 S 9 H : (H ist nicht rot) ^ (H ist nicht grün) In jeder Stadt gibt es ein Haus, das weder rot noch grün ist. Über die Jahrhunderte gab es immer Versuche, die Existenz Gottes mit der Logik nachzuweisen. Hier nun die Argumentation von Anselm von Canterbury (10331109). Er interpretiert Gott als etwas, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Statt größer kann man auch vollkommener sagen. Er nimmt an, dass es Gott nicht gibt. Es existiert also das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, nicht in Wirklichkeit, sondern nur in unserer Vorstellung. Hieraus folgt, dass es zu jeder Vorstellung eine größere gibt, die auch existiert. Dies ist ein Widerspruch. Andere Gottesbeweise stammen von René Descartes (1596-1650) und Kurt Gödel (28.4.1906-14.1.1978). 1.3 Das Axiomensystem von Zermelo-Fraenkel Georg Cantor (1845-1918) hat Ende des 19. Jahrhunderts die Mengenlehre begründet. Er definiert eine Menge als eine Gesamtheit von wohlunterschiedenen Objekten des Denkens und der Wahrnehmung. Die Objekte werden als Elemente und die Gesamtheit als Menge bezeichnet. Falls x ein Element einer Menge M ist, so schreiben wir x2M Cantor hat drei Axiome verwendet, ohne diese explizit aufzuführen: Axiomensystem von Cantor (i) Zwei Mengen sind gleich, wenn sie dieselben Elemente besitzen. (ii) Für jede Eigenschaft gibt es eine Menge, deren Elemente genau diese Eigenschaft erfüllen. Unter einer Eigenschaft verstehen wir eine Aussage der mathematischen Logik, die die Elemente betri↵t. Wir schreiben auch für die Menge {x| (x)} falls die fragliche Eigenschaft ist. (iii) Auswahlaxiom (dies wird später definiert.) 20 CHAPTER 1. Die Vereinigung von zwei Mengen A und B ist A [ B = {x| x 2 A _ x 2 B} und von einer Menge von Mengen A [ A = {x|9A 2 A : x 2 A} A2A Der Durchschnitt von zwei Mengen A und B ist A \ B = {x| x 2 A ^ x 2 B} und einer Menge von Mengen A \ A = {x|8A 2 A : x 2 A} A2A Das Komplement einer Teilmenge A einer Menge M ist Ac = {x 2 M | ¬(x 2 A)} = {x 2 M | x 2 / A}. Wir sagen, dass A Teilmenge von B ist, wenn für alle x 2 A gilt, dass x 2 B. Wir schreiben dann A ✓ B. Bertrand Russell (1872-1970, mit vollem Namen: Bertrand Arthur William Russell, 3rd Earl Russell of Kingston Russell, Viscount Amberley of Amberley and of Ardsalla) wies mit einem einfachen Beispiel nach, dass das Axiom (ii) zu Widersprüchen führt. Er fand das folgende nach ihm benannte Paradoxon. Als Eigenschaft einer Menge M betrachten wir M ist nicht Element von sich selbst. Gemäß (ii) müsste es also eine Menge A geben, deren Elemente aus denjenigen Mengen M bestehen, die nicht Element von sich selbst sind. Dies führt sofort zu einem Widerspruch: Ist A Element von sich selbst? Falls A nicht Element von sich selbst ist, dann muss A gemäß der Eigenschaft Element von sich selbst sein. Umgekehrt, falls A Element von sich selbst ist, dann muss A die Eigenschaft erfüllen, dass A nicht Element von sich selbst ist. Man kommt in jedem Fall zu einem Widerspruch. Eine vergleichbare Paradoxie ist der folgende Satz: Ich lüge immer. Wenn ich immer lüge, dann ist der Satz gelogen und ich sage manchmal die Wahrheit. Dies widerspricht dem Satz. Das Axiomensystem von Cantor ist weiterentwickelt worden, um solche Widersprüche auszuschließen. Es gibt heute mehrere Systeme, die man als vernünftig erachtet. Wir wollen hier das System von Zermelo-Fraenkel benutzen. Wie von Cantor eingeführt, haben wir zwei binäre Verknüpfungen 2 und =. x2M 1.3. DAS AXIOMENSYSTEM VON ZERMELO-FRAENKEL 21 bedeutet, dass x ein Element, M eine Menge und x Element von M ist. Falls M und K zwei Mengen sind, bedeutet M =K dieselbe Menge sind. Es gelten die folgenden Axiome: Axiomensystem von Zermelo-Fraenkel (i) Falls zwei Mengen dieselben Elemente besitzen, dann sind sie gleich. (8x : x 2 M , x 2 K) ) M = K (ii) Es gibt eine Menge, die keine Elemente enthält. Wir bezeichnen diese Menge als Nullmenge ;. (iii) Es gibt eine Menge M , so dass ; 2 M und so dass für alle x 2 M auch {x} 2 M gilt. Hierbei bezeichnet {x} die Menge, die nur aus dem Element x besteht. (iv) (Potenzmenge) Für jede Menge M existiert die Menge P(M ), die aus allen Teilmengen von M besteht. Wir nennen P(M ) die Potenzmenge von M . (v) Es sei M eine S Menge, deren Elemente wiederum aus Mengen bestehen. Dann gibt es eine Menge M , die aus allen Elementen der Elemente von M besteht. Wir nennen diese Menge die Vereinigungsmenge. (vi) (Regularität) Falls M eine nichtleere Menge ist, dann gibt es ein x 2 M , so dass x\M =; In Quantorenschreibweise M 6= ; =) 9x : x 2 M ^ (8y : y 2 x ) y 2 / M) (vii) Falls eine Eigenschaft ist und M eine Menge, dann gibt es eine Menge, die aus genau den x, x 2 M , besteht, die die Eigenschaft erfüllen. {x|x 2 M ^ (x)} (viii) (Ersetzung )Es sei eine Eigenschaft, die von zwei Mengen M und K abhängt. Wir nehmen an, dass es für jedes x 2 M genau ein y 2 K gibt, so dass (x, y) gilt. Dann gibt es eine Menge {y|9x 2 M : (x, y)} (ix) (Auswahlaxiom) Es sei M eine Menge paarweise disjunkter, nichtleerer Mengen. Dann gibt es eine Menge A mit folgender Eigenschaft: Jedes Element von A ist Element einer der Mengen M und für jedes M 2 M gibt es genau ein x 2 M mit x 2 A. Wir nennen A die Auswahlmenge. In (iii) beachte man, dass immer ; ✓ M gilt. Hier wird aber gefordert, dass ; 2 M. 22 CHAPTER 1. Einige Bemerkungen zum Axiom (vi). Die Bedingung x\M ist nicht mit {x}\M zu verwechseln. O↵enbar haben wir {x} \ M = {x}. Der Durchschnitt ist also nie leer. Falls es ein Element x 2 M gibt, das selbst keine Menge ist, so folgt x \ M = ;. Die Menge M = {1, 2, {1, 2}} liefert ein Beispiel dafür, dass es ein x 2 M geben kann, so dass x \ M 6= ;. Wir wählen x = {1, 2}. Wir erhalten dann x \ M = {1, 2} \ {1, 2, {1, 2}} = {1, 2} Mit Hilfe von Axiom (vi) können wir das folgende Lemma beweisen. Lemma 1.3.1 Es sei M eine Menge. Dann gilt M 2 / M. Beweis. Wir nehmen an, dass M 2 M gilt. Da M 2 {M } gilt, folgt, dass M 2 M \ {M } Das Axiom der Regularität besagt, dass es ein x 2 {M } gibt mit x \ {M } = ; Da {M } nur ein Element enthält, nämlich M , folgt x = M . Somit gilt M \{M } = ;, was der Aussage M 2 M \ {M } widerspricht. 2 Die Frage, ob man das Auswahlaxiom zum Axiomensystem hinzufügen soll oder nicht, ist sehr kontrovers dikutiert worden. Die Annahme des Auswahlaxioms ist sehr hilfreich und eine große Anzahl von mathematischen Aussagen beruht darauf. Andererseits erzeugt man dadurch auch solche bizarren Resultate wie das BanachTarski Paradoxon. Gödel zeigte 1938, dass das Auswahlaxiom mit dem Axiomensytem von ZermeloFraenkel konsistent ist. Er zeigte, dass man jedes Paradoxon, das man aus dem Auswahlaxiom erhält, so modifizieren kann, dass man es auch ohne das Auswahlaxiom erhält. Cohen zeigte 1963, dass die Verneinung des Auswahlaxiomes ebenso konsistent mit dem Axiomensystem von Zermelo-Fraenkel ist. Um eine Auswahlmenge anzugeben, muss man durch eine Formel oder Vorschrift festlegen, welches Element man aus welcher Menge entnimmt. Dass man aus jeder einzelnen Menge jeweils ein Element auswählen kann, reicht dazu nicht aus. In einigen Fällen braucht man das Auswahlaxiom nicht, um die Existenz einer Auswahlmenge sicherzustellen. (a) Falls jedes M 2 M nur ein einziges Element enthält. (b) Falls M nur endlich viele M enthält. (c) Falls jedes M 2 M eine endliche Menge reeller Zahlen ist. Dann wählen wir als x 2 M das maximale Element. Andererseits kann man zeigen, dass es eine Menge M gibt, so dass alle M 2 M nur aus zwei Elementen bestehen, und so dass sich ohne das Auswahlaxiom nicht die Existenz einer Auswahlmenge herleiten liesse. 1.4. RELATION UND ORDNUNG 1.4 23 Relation und Ordnung Es seien M und K Mengen. Dann heißt die Menge der geordneten Paare M ⇥ K = {(x, y)|x 2 M ^ y 2 K} das Cartesische Produkt von M und K. Eine Relation R auf M ist eine Teilmenge von M ⇥ M . Wir sagen, dass x in Relation zu y steht, wenn (x, y) 2 R. Ein typisches Beispiel für eine Relation ist die Relation auf den reellen Zahlen. Die Relation x ≤ y x x=y y Wir sagen, dass (i) R reflexiv ist, falls für alle x 2 M gilt, dass xRx. (ii) R symmetrisch ist, falls für alle (x, y) 2 M mit xRy auch yRx gilt. (iii) R transitiv ist, falls für alle x, y, z 2 M mit xRy und yRz auch xRz gilt. Eine Relation heißt Äquivalenzrelation, falls sie reflexiv, symmetrisch und transitiv ist. Es sei M eine Menge mit der Äquivalenzrelation ⇠. Die Mengen {x|x ⇠ y} heißen Äquivalenzklassen. Eine Relation R heißt antisymmetrisch, falls für alle (x, y) mit (x, y) 2 R und (y, x) 2 R folgt, dass x = y. Eine Funktion von einer Menge M in eine Menge K ist eine Teilmenge f von M ⇥ K, so dass für alle x 2 M genau ein y 2 K existiert mit (x, y) 2 f . Dafür schreiben wir auch f : M ! K und f (x) = y. Wir sagen, dass eine Funktion surjektiv ist, falls für alle y 2 K ein x 2 M mit f (x) = y existiert. Wir schreiben auch f (M ) = K. f ist injektiv, falls für alle x, y 2 M mit f (x) = f (y) gilt, dass x = y. f ist ein Isomorphismus, falls f injektiv und surjektiv ist. Eine Relation R auf M ist eine Halbordnung, falls sie reflexiv, antisymmetrisch und transitiv ist. 24 CHAPTER 1. Eine Halbordnung R ist eine Ordnung, falls für alle x, y 2 M gilt, dass (x, y) 2 R oder x=y oder (y, x) 2 R Wir schreiben für eine Menge mit einer Halbordnung oder Ordnung auch (M, ). Als Beispiel für eine Menge mit einer Halbordnung, die keine Ordnung ist, lässt sich das folgende angeben. Wir betrachten die Menge aller Tupel reeller Zahlen {(s, t)|s, t 2 R} mit der Halbordnung (s, t) (u, v) falls s u und t v Dies ist keine Ordnung, weil (1, 0) und (0, 1) nicht vergleichbar sind, d.h. das eine ist nicht kleiner als das andere und umgekehrt. Eine Wohlordnung ist eine Ordnung mit der Eigenschaft, dass jede nichtleere Teilmenge K von M ein kleinstes Element besitzt, d.h.es gibt ein x 2 K, so dass für alle y 2 K gilt, dass x y. Dieses Element ist eindeutig. Die übliche Relation auf den reellen Zahlen ist eine Ordnung aber keine Wohlordnung. Dies liegt daran, dass die Menge {x 2 R|0 < x} kein minimales Element besitzt. K sei eine Teilmenge einer Menge mit einer Halbordnung. Wir sagen, dass x 2 K ein minimales (maximales) Element von K ist, falls x 2 K und für alle y 2 K gilt, dass y ⌅ x (x ⌅ y). Minimale und maximale Elemente sind nicht notwendig eindeutig. Ausserdem folgt aus x ⌅ y nicht notwendig y x. x ist eine untere (obere) Schranke von K, falls für alle y 2 K gilt, dass x < y oder x = y x > y oder x = y. Falls M eine Teilmenge K enthält, die mit der Halbordnung von M eine geordnete Menge ist, dann nennen wir K eine Kette. Lemma 1.4.1 Die folgenden Aussagen sind äquivalent. (i) (Auswahlaxiom) Es sei M eine Menge paarweise disjunkter, nichtleerer Mengen. Dann gibt es eine Menge A mit folgender Eigenschaft: Jedes Element von A ist Element einer der Mengen M 2 M und für jedes M 2 M gibt es genau ein x 2 M mit x 2 A. (ii) (Hausdor↵s Maximum Prinzip) Jede Menge mit einer Halbordnung enthält eine maximale Kette (d.h. eine Kette, die in keiner echten Teilmenge einer anderen Kette enthalten ist). (iii) (Zorns Lemma) Jede nichtleere Menge mit einer Halbordnung, in der jede Kette eine obere Schranke hat, hat ein maximales Element. (iv) Man kann jede Menge wohlordnen. Die natürlichen Zahlen sind in ihrer natürlichen Ordnung wohlgeordnet, das gilt jedoch nicht für die reellen Zahlen. Lemma 1.4.1 versichert nur, dass es auf den 1.5. DIE NATÜRLICHEN ZAHLEN N 25 reellen Zahlen eine Wohlordnung gibt, es liefert kein Konstruktionsverfahren für eine solche Wohlordnung. Eine solche Wohlordnung ist sehr schwer vorstellbar. Beweis. (ii) ) (iii) : Nach (ii) gibt es eine maximale Kette K in M . Nach Annahme von (iii) hat diese Kette eine obere Schranke s. Wir behaupten nun, dass s ein maximales Element von M ist. Falls dem nicht so wäre, so gibt es ein s0 mit s < s0 . Damit ist aber K [ {s0 } eine Kette, die K als echte Teilmenge enthält. Also ist K nicht maximal. Dies ist ein Widerspruch. (iv) ) (i) : Wir betrachten die Vereinigungsmenge [ M. M 2M Diese Menge enthält alle M 2 M als Teilmengen. Nach (iv) können wir die Menge S M 2M M wohlordnen. Da jede Teilmenge ein kleinstes Element hat, hat insbesondere auch jedes M 2 M ein kleinstes Element xM . Als Auswahlmenge nehmen wir nun {xM |M 2 M}. 2 1.5 Die natürlichen Zahlen N Wir wollen nun die natürlichen Zahlen so einführen, wie Zermelo dies getan hat. Aus Axiom (ii) folgt, dass die leere Menge ; existiert und aus Axiom (iii) folgt, dass es eine Menge M gibt, so dass ; 2 M und so dass {x} 2 M , falls x 2 M . Dies bedeutet, dass ;, {;}, {{;}}, {{{;}}}, . . . Elemente von M sind. Diese Elemente kann man zur Definition der natürlichen Zahlen N benutzen. John von Neumann hat vorgeschlagen, die Mengen {;}, {;, {;}}, {;, {;}, {;, {;}}}, . . . zur Einführung der natürlichen Zahlen zu benutzen. Wir bezeichnen {;} mit 1, {;, {;}} mit 2, {;, {;}, {{;}}} mit 3 u.s.w.. Die Menge ;, {;}, {;, {;}}, {;, {;}, {;, {;}}}, . . . bezeichnen wir als die um die 0 erweiterten natürlichen Zahlen N0 . Hierbei bezeichnen wir ; mit 0. Wir sagen, dass m 2 N0 unmittelbarer Nachfolger von n 2 N0 ist, wenn m = {0, . . . , n}. 1 ist der unmittelbare Nachfolger von 0, 2 von 1, 3 von 2, u.s.w.. 26 CHAPTER 1. Wir sagen, dass m ein Nachfolger von n ist, falls m aus n durch den Mengenbildungsprozess hervorgegangen ist. Wir definieren n < m, falls m ein Nachfolger von n ist. Lemma 1.5.1 (N0 , ) ist eine wohlgeordnete Menge. Peano hatte ein Axiomensystem für die natürlichen Zahlen vorgeschlagen. Dieses Axiomensystem sichert Existenz und elementare Eigenschaften der natürlichen Zahlen. Diese Eigenschaften lassen sich auch aus dem Axiomensystem von Zermelo-Fraenkel herleiten. Lemma 1.5.2 (Axiomensystem von Peano) Die erweiterten, natürlichen Zahlen haben die folgenden Eigenschaften. (i) Jedes n 2 N0 hat genau einen unmittelbaren Nachfolger. (ii) Jedes n 2 N ist unmittelbarer Nachfolger von genau einem m 2 N0 . (iii) Für alle m, n 2 N0 , deren unmittelbare Nachfolger gleich sind, gilt n = m. (iv) Für alle n 2 N0 gilt, dass 0 nicht unmittelbarer Nachfolger von n ist. (v) Falls M eine Teilmenge von N0 ist, so dass 0 2 M und falls mit jedem m 2 M auch der unmittelbare Nachfolger in M ist, dann gilt M = N0 . Wir definieren Addition und Multiplikation natürlicher Zahlen. Es seien n, m 2 N und k 0 bezeichne den unmittelbaren Nachfolger k. Wir setzen für alle n, m 2 N0 0+n m0 + n =n = (n + m)0 0·n=0 m0 n = mn + n Lemma 1.5.3 Die Addition in N0 erfüllt folgende Eigenschaften. (i) (Assoziativität) Für alle m, n, p 2 N0 gilt m + (n + p) = (m + n) + p (ii) (Kommutativität) Für alle m, n 2 N0 gilt m+n=n+m (iii) Für alle m, n, p 2 N0 gilt p+m=p+n , m=n , mn (iv) Für alle m, n, p 2 N0 gilt p+mp+n (v) Für alle m, n 2 N0 mit m n gibt es ein p 2 N0 mit m+p=n (vi) Für alle m, n 2 N0 mit m + n = 0 gilt m = 0 = n. 1.5. DIE NATÜRLICHEN ZAHLEN N 27 Beweis. (i) Es seien n, p 2 N und M = {m 2 N0 |m + (n + p) = (m + n) + p} O↵ensichtlich gilt, dass 0 2 M . Nun prüfen wir nach, dass mit m 2 M auch der Nachfolger m0 von m in M liegt. Da m 2 M , folgt m0 +(n+p) = (m+(n+p))0 = ((m+n)+p)0 = (m+n)0 +p = (m+n)0 +p = (m0 +n)+p Nun wenden wir Lemma 1.5.2 auf M an und erhalten M = N0 . (v) Es seien m, n 2 N0 mit m n. Wir betrachten M = {k 2 N0 |k + m n} M ist nicht leer, weil n 2 M . Da N0 wohlgeordnet ist, hat M ein kleinstes Element p. Falls p + m = n gilt, ist der Beweis beendet. Falls nicht, so gilt p+m>n Es folgt, dass p 6= 0. Nach Lemma 1.5.2 ist p Nachfolger eines Elementes q. Es gilt also q 0 = p und n < q 0 + m = (q + m)0 Hieraus folgt nq+m Somit gilt q < p und deshalb q 2 M . Dies ist ein Widerspruch, also ist unsere Annahme, dass p + m 6= n gilt, falsch. 2 Lemma 1.5.4 Die Multiplikation in N0 erfüllt die folgenden Eigenschaften. (i) (Assoziativität) Für alle m, n, p 2 N0 gilt m(np) = (mn)p (ii) (Kommutativität) Für alle m, n 2 N0 gilt mn = nm (iii) (Distributivität) Für alle m, n, p 2 N0 gilt m(n + p) = mn + mp und (n + p)m = nm + pm (iv) Für alle m, n, p 2 N0 mit p 6= 0 gilt m<n () pm < pn (vi) Für alle m, n 2 N0 mit mn = 0 gilt m=0 oder n=0 28 CHAPTER 1. Eine natürliche Zahl heißt Primzahl, wenn sie größer oder gleich 2 ist und nur durch 1 oder sich selbst ganzzahlig teilbar ist. Beispiel 1.5.1 Es gibt unendlich viele Primzahlen. Beweis. Wir nehmen an, es gäbe nur endlich viele Primzahlen p1 , . . . , pn Wir behaupten nun, dass n Y i=1 pi ! +1 auch eine Primzahl ist. Wenn dem so ist, dann sind wir fertig. Wir nehmen nun an, das es keine Primzahl ist. Dann gibt es zwei Zahlen k und p mit ! ! n n Y Y 1 < k, p < pi + 1 und kp = pi + 1 i=1 Wir betrachten die Menge ( k 1 < k, p < i=1 n Y i=1 pi ! + 1 ^ 9p : kp = n Y i=1 pi ! +1 ) Diese Menge hat ein kleinstes Element k0 . k0 ist eine Primzahl, anderfalls wäre sie nicht das kleinste Element. Also gilt k0 = pi0 für ein i0 mit 1 i0 n und ! n Y pi0 p = pi + 1 i=1 Wir setzen nun p̃ = n Y pi i=1 i6=i0 Dann gilt p̃ < p und pi0 p = pi0 p̃ + 1 Da p̃ < p gibt es ein p̃˜ 1 mit ˜ = pi0 p̃ + 1 pi0 (p̃ + p̃) Es folgt, dass pi0 p̃˜ = 1 und damit pi0 = 1 Dies ist ein Widerspruch. ⇤ Beispiel 1.5.2 Die Zahlen 2n 1, n 2 N, werden Marsenne-Zahlen genannt. Es ist eine o↵enes Problem, ob es unendlich viele Marsenne-Primzahlen gibt. Man weiss, dass n eine Primzahl sein muss, falls 2n 1 eine Primzahl ist. Man weiss nicht, ob es unendlich viele Primzahlen n gibt, so dass 2n 1 keine Primzahl ist. 1.6. MATHEMATISCHE INDUKTION 29 Wir definieren 0! = 1 und n! = n · (n 1)! ✓ ◆ n n! = k k!(n k)! Falls n, k 2 N , dannn schreiben wir nk := n | · n{z· · · n} k Für n 2 N0 setzen wir n0 = 1. Gegen Ende der der 1630er Jahre notierte Pierre de Fermat auf dem Rand einer Buchseite, dass er einen wunderbaren Beweis für die folgende Behauptung gefunden habe: Es sei n 2 N mit n 3. Dann gilt für alle x, y, z 2 N xn + y n 6= z n Mitte der 90er Jahre wurde dies von Andrew Wiles bewiesen. 1.6 Mathematische Induktion Die vollständige Induktion ist ein Beweisverfahren. Wir nehmen an, dass wir für jedes n 2 N eine Aussage A(n) haben, und wir wollen zeigen, dass alle diese Aussagen richtig sind. Es reicht nicht aus, ein paar Fälle, z.B. für n = 1, . . . , 10 die Aussagen A(n) nachzuweisen. Hierzu das folgende Beispiel, das bereits von Leonhard Euler betrachtet wurde. Beispiel 1.6.1 (i) Ist für alle n 2 N die Zahl n2 n + 41 eine Primzahl? Für n = 1, . . . , 11 erhalten wir die Zahlen 41, 43, 47, 53, 61, 71, 83, 97, 113, 131, 151. Dies sind alles Primzahlen. Allerdings erhalten wir für n = 41 die Zahl 412 , was keine Primzahl ist. (ii) Ist die Zahl nk n für alle n 2 N und alle ungeraden k 2 N durch k ganzzahlig teilbar? Man weiss, dass n3 n durch 3 teilbar ist, n5 n durch 5 und n7 n durch 7. Man könnte nun schließen bzw. vermuten, dass dies für alle ungeraden natürlichen Zahlen gilt. Dies ist nicht der Fall, weil 29 2 = 510 und diese Zahl ist nicht durch 9 teilbar. (Kleiner Satz von Fermat: Dies gilt, falls k eine Primzahl ist.) Mathematische Induktion (i) Wir beweisen, dass A(1) gilt. (ii) Wir beweisen, dass unter der Annahme, dass A(n) gilt, auch A(n + 1) gilt. Nach Lemma 1.5.2 (v) haben wir dann alle Aussagen gezeigt. Dieses Beweisprinzip gleicht Dominosteinen, die wir in einer Reihe aufstellen. Wenn wir den ersten Dominostein anstoßen, kippt er gegen den nächsten, der dann umkippt. In einer Welle fällt die gesamte Reihe. 30 CHAPTER 1. Beispiel 1.6.2 Für alle n 2 N ist die Zahl 23n Beweis. Für n = 1 erhalten wir die Zahl 231 11 teilbar ist, dann ist auch 23k+1 1 durch 11 teilbar. 1 = 22, die durch 11 teilbar ist. Falls 23k 1 = 23 · 23k 1 = 22 · 23k + (23k 1) durch 11 teilbar. 2 Beispiel 1.6.3 (i) Für alle n 2 N gilt n X k= k=1 (ii) Für alle n 2 N gilt n X k2 = k=1 n(n + 1) . 2 1 n(n + 1)(2n + 1). 6 Beweis. (i) Wir überprüfen A(1). 1= 1(1 + 1) 2 Wir nehmen an, dass A(n) wahr ist, also n X k=1 k= n(n + 1) 2 Nun zeigen wir, dass dann auch A(n + 1) wahr ist. n+1 X k= k=1 n X k + (n + 1) = k=1 n(n + 1) (n + 1)(n + 2) + (n + 1) = 2 2 (ii) Der Induktionsanfang: 1 X k=1 k2 = 1 = 1 1 · 2 · 3. 6 Der Induktionsschritt n+1 X k 2 = k=1 n X k=1 = = k 2 ! + (n + 1)2 = 1 n(n + 1)(2n + 1) + (n + 1)2 6 1 (n + 1) {n(2n + 1) + 6n + 6} 6 1 (n + 1) 2n2 + 7n + 6 6 Wir beobachten 2n2 + 7n + 6 = (n + 2)(2n + 3) = (n + 2)(2(n + 1) + 1). Es folgt n+1 X k=1 2 k2 = 1 (n + 1)(n + 2)(2(n + 1) + 1). 6 1 durch 1.6. MATHEMATISCHE INDUKTION Beispiel 1.6.4 Für alle n 2 N gilt 31 n X 1 2 k2 k=1 1 n Beweis. Wir zeigen den Induktionsanfang. 1 X 1 =12 k2 1 . 1 k=1 Nun der Induktionsschritt. Mit der Induktionsannahme folgt ! n+1 n X 1 X 1 1 1 1 = + 2 + . 2 2 2 k k (n + 1) n (n + 1)2 k=1 k=1 Es bleibt zu zeigen, dass für alle n 2 N 1 1 n+1 n 1 (n + 1)2 gilt. 2 Mathematische Induktion, 1. Variation (i) Wir beweisen, dass A(k0 ) gilt. (ii) Wir beweisen, dass unter der Annahme, dass A(n) gilt, auch A(n + 1) für k0 n gilt. Nach Lemma 1.5.2 (v) haben wir dann alle Aussagen gezeigt. Beispiel 1.6.5 Für alle n 2 N mit 5 n gilt n2 < 2n Beweis. Für n = 5 erhalten wir 25 < 32. Nun der Induktionsschritt 2n+1 = 2 · 2n > 2 · n2 . Für alle n 5 gilt (n + 1)2 22 . In der Tat, 2n2 Der letzte Ausdruck ist für n Beispiel 1.6.6 Für alle n (n + 1)2 = n2 2n 1 = (n 1)2 2 3 strikt positiv. 2 4 gilt 2n n! Beweis. A(4) ist wahr: 24 = 16 < 24 = 4! Wir nehmen an, dass 2n n! gilt. Mit dieser Ungleichung und der Ungleichung 2 < n + 1 folgt 2n+1 = 2 · 2n 2n! (n + 1)n! = (n + 1)! 2 32 CHAPTER 1. Mathematische Induktion, 2. Variation (i) Wir beweisen, dass A(1) gilt. (ii) Wir beweisen, dass unter der Annahme, dass A(1), . . . , A(n) gelten, auch A(n + 1) gilt. Wiederum nach Lemma 1.5.2 (v) haben wir dann alle Aussagen gezeigt. Beispiel 1.6.7 Alle Katzen haben dieselbe Augenfarbe. Das folgende Argument ist falsch, wo liegt der Fehler? Eine Katze allein hat dieselbe Augenfarbe. Nun der Schritt von n auf n + 1. Es seien n + 1 Katzen gegeben. Nach Induktionsannahme haben jeweils n davon dieselbe Augenfarbe, damit auch n + 1. Der Fehler liegt beim Schluss von 1 auf 2. 1.7 Mächtigkeit Wir wollen den Begri↵ der Anzahl für endliche und unendliche Mengen definieren. Es seien K und M zwei Mengen. Wir sagen, dass K und M dieselbe Mächtigkeit oder Kardinalität haben, wenn es einen Isomorphismus zwischen K und M gibt. Symbolisch schreiben wir dies als card(K) = card(M ). Allgemeiner sagen wir, dass die Mächtigkeit von K kleiner oder gleich der von M ist, falls K bijektiv zu einer Teilmenge von M ist. Anders formuliert, card(K) card(M ), falls es eine injektive Abbildung von K nach M gibt. Zwei endliche Mengen M und K haben genau dann dieselbe Kardinalität, wenn sie dieselbe Anzahl von Elementen besitzen. Lemma 1.7.1 Es seien K und M Mengen. Dann gelten (i) Es gibt eine injektive Abbildung von K nach M oder von M nach K. (ii) Es gibt genau dann eine injektive Abbildung von K nach M , wenn es eine surjektive Abbildung von M nach K gibt. (iii) (Schröder-Bernstein) Falls es eine injektive Abbildung von K nach M und eine surjektive Abbildung von K nach M gibt, dann gibt es einen Isomorphismus zwischen K und M . (iii) besagt, dass aus card(K) card(M ) und card(K) card(M ) folgt, dass card(K) = card(M ) gilt. Wir sagen, dass eine Menge M abzählbar ist, falls card(M ) card(N). Falls eine Menge nicht abzählbar ist, dann nennen wir sie überabzähbar. 1.7. MÄCHTIGKEIT 33 Beweis. (i) Es sei I die Menge aller Injektionen von einer Teilmenge von X in eine Teilmenge von Y . Wir führen auf I eine Halbordnung ein: Wir setzen I J, falls Def(I) ✓Def(J) und J|Def(I) = I. Wir wenden das S Lemma von Zorn an (Lemma 1.4.1). Jede Kette K in I hat eine obere Schranke I0 : I2K Def(I) ! Y I0 (x) = I(x) falls x 2 Def(I) Deshalb gibt es ein maximales Element Imax . Der Definitionsbereich Def(Imax ) ist gleich X oder der Bildbereich Bild(Imax ) ist gleich Y . Falls nicht, so gibt es x0 2 X \ Def(Imax ) y0 2 Y \ Bild(Imax ) Nun definieren wir I˜max (x) = ( Imax y0 x 2 Def(Imax ) x = x0 Also ist Imax kein maximales Element. (ii) Es sei I : X ! Y eine Injektion und x0 2 X. Dann ist S : Y ! X mit ( x I(x) = y S(y) = x0 y2 / Bild(I) eine Surjektion. Es sei S : Y ! X eine Surjektion. Wir betrachten das Mengensystem {y|S(y) = x} x2X Nach dem Auswahlaxiom gibt es eine Auswahlmenge A = {yx |x 2 X} Wir definieren nun die Injektion I : X ! Y durch I(x) = yx . 2 Lemma 1.7.2 (Cantor) Es sei M eine Menge. Dann gilt card(M ) < card(P(M )). Die Potenzmenge der leeren Menge hat genau ein Element, nämlich die leere Menge. Die Potenzmenge einer Menge mit n Elementen besitzt 2n Elemente. Beweis. Wir zeigen zunächst card(M ) card(P(M )). Wir geben dazu eine Injektion von M nach P(M ) an. Die Abbildung j : M ! P(M ) sei durch j(x) = {x} 34 CHAPTER 1. gegeben. Sie ist o↵ensichtlich eine Injektion. Wir zeigen nun, dass card(M ) 6= card(P(M )). Wir nehmen an, dass es einen Isomorphismus i : M ! P(M ) gibt. Wir betrachten die Menge f = {x 2 M |x 2 M / i(x)}. f kann durchaus die leere Menge sein.) Da i ein Isomorphismus ist, gibt es ein x0 (M f. Dazu betrachten wir zwei Fälle. Falls x0 2 M̃ , dann mit i(x0 ) = M f = {x 2 M |x 2 x0 2 M / i(x)}. f, was ein Widerspruch ist. Falls x0 2 f, dann Es folgt, dass x0 2 / i(x0 ) = M /M f = {x 2 M |x 2 x0 2 /M / i(x)}. f erfüllt, also x0 2 M f, Dies bedeutet, dass x0 nicht die Bedingung x0 2 / i(x0 ) = M was wiederum ein Widerspruch ist. Also gibt es keinen Isomorphismus. 2 Beispiel 1.7.1 (i) card(N ⇥ N) = card(N) (ii) card(N) < card(P(N)) (iii) card(N) = card(Q) Beweis. (i) Die Abbildung ist ein Isomorphismus. Wir zeigen, dass sie injektiv ist. Es seien `, `0 , k, k0 2 N mit ` 6= `0 . Wir nehmen an, dass (k, `) = (k0 , `0 ), d.h. 2` 1 (2k 0 1) = 2` 1 (2k0 1) Wir können annehmen, dass ` > `0 . Dann folgt 2` `0 (2k 1) = (2k0 1) Dann ist die Zahl auf der linken Seite gerade und die auf der rechten Seite ungerade. Also sind sie nicht gleich. Es bleibt der Fall ` = `0 und k 6= k0 . Dann folgt aus 2` 1 (2k 0 1) = 2` 1 (2k0 1) die Gleichung 2k 1 = 2k0 1 0 und damit k = k . Damit ist die Abbildung injektiv. Wir zeigen nun, dass die Abbildung surjektiv ist. Falls n eine ungerade Zahl ist, dann gilt für k = n+1 2 und ` = 1 n = 2` 1 (2k 1) und s gilt (k, `) = n. Nun der Fall, dass n eine gerade Zahl ist. Nach der Primzahlzerlegung können wir jede natürliche Zahl n als n = 2m 1 p schreiben, wobei m 2 N und p 2 N eine ungerade Zahl ist. p ist ein Produkt von Primzahlen, die sämtlich größer oder gleich 3 sind. 1.7. MÄCHTIGKEIT 35 Entspechend wählen wir ` = m und k = p+1 2 . (iii) Es reicht zu zeigen, dass eine eine injektive Abbildung von N nach Q gibt und eine injektive von Q nach N. Wir wenden dann (i) an. 2 Wir bezeichnen card(N) auch mit @0 . Falls eine Menge dieselbe Mächtigkeit wie N hat, sagen wir, dass die Menge abzählbar ist. Wenn die Mächtigkeit der Menge strikt größer als die von N ist, dann sagen wir, dass sie überabzählbar ist. Die Kontinuumshypothese besagt, dass es keine Menge M gibt, so dass card(N) < card(M ) < card(P(N)). Der Name Kontinuumshypothese rührt daher, dass die Menge P(N) dieselbe Mächtigkeit hat wie die reellen Zahlen R. Da man die reellen Zahlen mit der Zahlengeraden identifiziert spricht man hier vom Kontinuum. Die Kontinuumshypothese kann als weiteres Axiom dem Zermelo-Fraenkel Axiomensystem hinzugefügt werden. Gödel zeigte, dass die Kontinuumshypothese konsistent mit den Axiomen der Mengenlehre ist. Cohen zeigte, dass auch die Verneinung der Kontinuumshypothese konsistent mit den Axiomen der Mengenlehre ist. Als Kardinalzahl einer Menge führt man die Äquivalenzklasse aller Mengen ein, die dieselbe Mächtigkeit haben. Hierbei legen wir eine Universalmenge zugrunde. Anderenfalls wäre dies Funktion auf der Menge aller Mengen definiert, also auf einer Menge, die es nicht gibt. Wenn wir überdies noch vorziehen, Kardinalzahlen als Mengen zu definieren, so müssen die Äquivalenzklassen durch einen jeweiligen Repräsentanten ersetzen. 36 CHAPTER 1. Chapter 2 Zahlen Mit Hilfe der Mengenlehre haben wir die natürlichen Zahlen N eingeführt. Hieraus bilden wir die ganzen Zahlen Z durch Hinzunahme der negativen, ganzen Zahlen. Dann erhalten wir die rationalen Zahlen Q durch Quotientenbildung. Jede Messung und insbesondere Längenmessung verbinden wir mit einer reellen Zahl. Dabei stellen wir fest, dass sich nicht jede Zahl durch einen Quotienten ganzer Zahlen darstellen lässt. So ordnen wir dem Umfang eines Kreises mit Radius 1 die Länge 2⇡ zu und in einem Quadrat mit Seitenlänge 1 p die Länge der Diagonalen p ergibt sich zu 2. Beide Zahlen, ⇡ und 2, können wir nicht mit rationalen Zahlen identifizieren. Diese Zahlen sind nicht rational oder, wie wir sagen irrational. Wir p wollen hier den eleganten und alten Beweis für die Irrationalität von 2 angeben. p Satz 2.0.1 2 ist eine irrationale Zahl. Dazu benötigen wir das folgende Lemma. Lemma 2.0.3 Eine natürliche Zahl n ist genau dann gerade, wenn deren Quadrat n2 gerade ist. Beweis. Es sei n eine gerade Zahl, dann gilt n = 2m. Also gilt n2 = 2(2m2 ). Dies ist eine gerade Zahl. Falls n eine ungerade Zahl ist, dann gibt es ein m 2 N0 mit n = 2m + 1. Deshalb ist n2 = (2m + 1)2 = 4m2 + 4m + 1 = 2(2m2 + 2m) + 1. Dies ist eine ungerade Zahl. 2 p Beweis von Satz 2.0.1. Falls 2 = pq gilt, wobei p, q 2 N und p und q keine gemeinsamen Teiler besitzen, dann gelten 2= p2 q2 oder 2q 2 = p2 . Deshalb ist p2 eine gerade Zahl und somit auch p. Also gilt p = 2k und 2q 2 = 4k 2 oder 37 q 2 = 2k 2 . 38 CHAPTER 2. ZAHLEN Damit sind auch q 2 und q gerade Zahlen. Somit gelten p = 2k und q = 2l. Also sind p und q nicht teilerfremd. Dies steht im Widerspruch zu unserer Wahl von p und q. 2 Wir geben auch noch ein geometrisches Argument an [Apo]. Beweis. Wir betrachten ein rechtwinkliges Dreieck ABC, dessen Seiten AC und BC p die Länge 1 haben. Nach p dem Satz von Pythagoras hat die Seite AB die Länge 2. Wir nehmen an, dass 2 eine rationale Zahl ist. Dann finden wir ein Dreieck derselben Form, dessen Seiten alle ganzzahlige Längen haben (wir multiplizieren jede Seite mit einem entsprechenden Faktor). Unter allen solchen Dreiecken gibt es ein kleinstes. Wir zeigen nun, dass auch das Dreieck ADE von derselben Form ist und ganzzahlige Seitenlänge hat, im Widerspruch zu unser Wahl. B B √ 2 1 D A 1 C A E C Die Länge der Seite AD ist gleich der Di↵erenz der Seitenlängen von AB und CB, also ganzzahlig. AD und DE haben dieselbe Länge. Außerdem sind DE und CE gleich lang. 2 Dieser Beweis ist elementar und einfach. Um zu zeigen, dass ⇡ und die Eulersche Zahl e irrational sind, muss man einige Hilfsmittel zur Verfügung stellen. Von der Zahl , die auch nach Euler benannt ist, ist nicht bekannt, ob sie irrational ist. Sie ist durch den Grenzwert ! n X 1 = lim ln n n!1 k k=1 definiert. Wir sagen, dass eine Zahl algebraisch ist, wenn sie Nullstelle eines Polynoms mit ganzzahligen Koeffizienten ist. O↵ensichtlich sind alle rationalen Zahlen algebraisch. Eine Zahl, die nicht algebraisch ist, heisst transzendent. e und ⇡ sind Beispiele für transzendente Zahlen [EyL]. Auch die Zahl 0, 11000100 . . . bei der an der k! Stelle hinter dem Komma eine 1 steht, ist transzendent (Liouville). p Beispiel 2.0.2 Es sei n 2 N und n 2. n ist genau dann rational, wenn n eine Quadratzahl ist, d.h. wenn es ein m 2 N mit n = m2 gibt. 2.1. KÖRPER 39 Beweis. Wir benutzen den Satz über die Eindeutigkeit der Primzahlzerlegungen. Dieser besagt, dass es für jede natürliche Zahl n paarweise verschiedene Primzahlen ni , i = 1 . . . , k und natürliche Zahlen si , i = 1, . . . , k, gibt, so dass k Y n= nsi i . i=1 Diese Darstellung ist eindeutig bis auf die Reihenfolge der ni , si , i = 1, . . . , k. Falls alle si , i = 1, . . . , k, gerade Zahlen sind, dann ist n eine Quadratzahl. Wir p betrachten nun den Fall, dass es ein i0 gibt, so dass si0 ungerade ist. Wir nehmen nun an, dass n eine rationale Zahl ist, d.h. p p n= p, q 2 N q Es seien p= Ỳ ptii und q= i=1 m Y qiri i=1 die Primzahlzerlegungen von p und q. Also gilt n= p2 q2 bzw. k Y i=1 nsi i m Y i=1 qi2ri = Ỳ i p2t i . i=1 Falls für alle i = 1, . . . , m gilt, dass qi 6= ni0 , dann gibt es wegen der Eindeutigkeit der Primzahlzerlegung ein i1 , so dass ni0 = pi1 und si0 = 2ti1 . Dies kann nicht sein, da si0 ungerade ist. Falls es ein i1 mit ni0 = qi1 gibt, dann gibt es ein i2 , so dass ni0 = qi1 = pi2 und si0 + 2ri1 = 2ti2 Auch dies kann nicht sein, da si0 eine ungerade Zahl ist. Damit haben wir einen Widerspruch und p n ist keine rationale Zahl. ⇤ 2.1 Körper Eine Menge K mit zwei Verknüpfungen +, · und mit mindestens zwei Elementen bildet einen Körper (K, +, ·), wenn für alle x, y 2 K die Verknüpfungen x+y 2K xy 2 K eindeutig definiert sind und wenn für alle x, y, z 2 K die folgenden Eigenschaften gelten. (i) x + y = y + x (ii) (x + y) + z = x + (y + z) (iii) Es gibt ein Element 0 2 K, so dass für alle x 2 K die Gleichung x + 0 = x gilt. 40 CHAPTER 2. ZAHLEN (iv) Zu jedem Element x 2 K gibt es ein Element gilt. x 2 K, so dass x + ( x) = 0 (v) xy = yx (vi) (xy)z = x(yz) (vii) Es gibt ein Element 1 2 K, so dass 1 6= 0 und so dass für alle x 2 K gilt, dass 1 · x = x. (viii) Für alle x 2 K mit x 6= 0 gibt es ein Element 1 x 2 K mit x x1 = 1. (ix) (x + y)z = xz + yz Beispiel 2.1.1 (i) N und Z bilden mit der üblichen Addition und Multiplikation keinen Körper. Es gibt keine multiplikativen inversen Elemente. (ii) Q ist ein Körper. (iii) K = {0, 1} ist mit den folgenden Verknüpfungen ein Körper. 0+0=0 0+1=1 1+1=0 0·0=0 0·1=0 1·1=1 Ein Körper mit einer Ordnung heißt geordneter Körper, falls gelten: (i) Für alle x, y, z 2 K mit x < y gilt x + z < y + z. (ii) Für alle x, y, z 2 K mit x < y und 0 < z gilt, dass xz < yz. Q ist mit der üblichen -Ordnung ein von x 2 K ist durch 8 > < x 0 |x| = > : x geordneter Körper. Der Absolutbetrag falls x > 0 falls x = 0 falls x < 0 definiert. Lemma 2.1.1 Für alle x, y 2 K gelten (i) x |x| (ii) |x| = 0 genau dann, wenn x = 0. (iii) (Dreiecksungleichung) |x + y| |x| + |y| (iv) 0 · x = 0 (v) (Inverse Dreiecksungleichung) ||x| |y|| |x + y| Beweis. (i) Wir haben drei Fälle. Falls x > 0, dann gilt nach Definition x = |x|. Falls x = 0, dann folgt |x| = 0 = x. Falls x < 0, dann gilt |x| = x. Im letzten Fall müssen wir zeigen, dass 0 < x, falls x < 0. Wir nehmen an, dies sei nicht so, also x<0 und x0 2.1. KÖRPER 41 Dann folgt x + ( x) x, also 0 x. Dies kann nicht sein. (ii) folgt direkt aus der Definition des Absolutbetrages. (iii) Wir haben wiederum drei Fälle. Falls x + y > 0, dann gilt |x + y| = x + y Wegen (i) folgt nun |x + y| = x + y |x| + |y| Falls x + y = 0, dann folgt wieder wegen (i) |x + y| = 0 = x + y |x| + |y| Falls x + y < 0, dann gilt |x + y| = (iv) Mit (x + y) = ( x) + ( y) | x| + | y| = |x| + |y| (x · 0) bezeichnen wir das additive inverse Element zu x · 0. Dann gilt 0 = x · 0 + ( (x · 0)) = x(0 + 0) + ( (x · 0)) = x · 0 + x · 0 + ( (x · 0)) = x · 0. (v) Mit der Dreiecksungleichung folgt |(x + y) y| |x + y| + |y|. Also gilt |x| |y| |x + y|. |y| |x| |x + y|. ||x| |y|| |x + y|. Nun vertauschen wir die Rollen von x und y und erhalten Aus beiden Ungleichungen folgt 2 Ein geordneter Körper K heißt Archimedisch, wenn für alle x, y 2 K mit 0 < x < y ein n 2 N existiert, so dass yx · · · + x} . | + x{z n Lemma 2.1.2 (Archimedes, 287-212 v. Chr.) Q ist ein Archimedischer Körper. Beweis. Es seien x, y 2 Q mit 0 < x < y. Dann gibt es p, q, k, l 2 N mit x= p q und y= k . l Wegen x < y gilt pl < kq. Wir wählen n = kq. Dann gilt p x | +x+ {z· · · + x} = nx = kq q = kp n 2 k k = y. l 42 2.2 CHAPTER 2. ZAHLEN Folgen in Körpern Definition 2.2.1 Es sei K ein Körper. Eine Folge in K ist eine Abbildung I : N ! K. Wir ordnen also jedem n 2 N ein Element an 2 K zu. a1 , a2 , a3 , . . . Wir schreiben auch {an }1 n=1 oder {an }n2N . Eine Folge {an }n2N in einem geordneten Körper heißt konvergent zum Grenzwert a 2 K, wenn für alle ✏ 2 K mit ✏ > 0 ein N✏ 2 N existiert, so dass für alle n > N✏ |an a| < ✏ gilt. (Quantorenschreibweise: 8✏ > 0 9N✏ 2 N 8n > N✏ : |an Wir schreiben hierfür auch a = lim an . a| < ✏.) n!1 Dies bedeutet anschaulich, dass sich die Folge der Zahl a annähert. Wenn wir N✏ nur hinreichend groß wählen, dann haben sämtliche Folgenglieder an mit n > N✏ einen Abstand zu a, der kleiner als ✏ ist. Wenn man eine konkrete Folge vorliegen hat und will deren Konvergenz beweisen, dann wird man N✏ als Funktion von ✏ bestimmen. Beispiel 2.2.1 K = Q (i) Es gilt lim n!1 (ii) Es sei Dann gilt 8 <1 an = n : 1000 1 =0 n für n 2 N und n 6= 1000 für n = 1000 lim an = 0 n!1 (iii) Es gilt lim n!1 (iv) Es gilt 1 =0 n2 ✓ ◆ 1 1+ =1 n!1 n lim (v) Die Folge {( 1)n }n2N konvergiert nicht. Beweis. (i) Es sei ✏ 2 Q, ✏ > 0. Da Q Archimedisch ist, gilt: 9N✏ 2 N : ✏N✏ > 1. 2.2. FOLGEN IN KÖRPERN 43 Hieraus folgt 9N✏ 2 N : ✏ > 1 . N✏ Damit folgt 9N✏ 8n > N✏ : 1 < ✏. n Hieraus ergibt sich 9N✏ 8n > N✏ : 1 n 0 < ✏. (ii) wird genauso bewiesen. (iii) Dies ist o↵ensichtlich, weil n12 n1 gilt und limn!1 durch die Argumente durchgehen. Es sei ✏ 2 Q, ✏ > 0. Da Q Archimedisch ist, gilt: 1 n = 0. Wir wollen aber noch einmal 9N✏ 2 N : ✏N✏ > 1. Hieraus folgt 9N✏ 2 N : ✏ > 1 . N✏ Damit folgt 9N✏ 8n > N✏ : 1 < ✏. n Es folgt 9N✏ 8n > N✏ : Da n 1 1 < ✏. 2 n n 1 gilt, folgt 9N✏ 8n > N✏ : Und schließlich 9N✏ 8n > N✏ >: 1 < ✏. n2 1 n2 0 < ✏. (iv) Da Q Archimedisch ist, gilt 8✏ > 09N✏ 8n > N✏ : 1 < ✏. n Es folgt 8✏ > 09N✏ 8n > N✏ : 1 + Also 1 n 1 < ✏. 1 = 1. n konvergiert, bedeutet lim 1 + n!1 (v) Die Aussage, dass eine Folge {an }n2N 9a8✏ > 0 9N✏ 2 N 8n > N✏ : |an a| < ✏. Die Verneinung dieser Aussage ist 8a 9✏ > 0 8N✏ 2 N 9n > N✏ : |an a ist gegeben. Wir unterscheiden zwei Fälle a ✏ = 14 und n ungerade. Dann gilt |an a| = |( 1)n a| = | a| ✏. 0 und a < 0. Es sei zunächst a 1 a| = 1 + a 1> 1 . 4 0. Wir wählen 44 CHAPTER 2. ZAHLEN Falls a < 0, dann wählen wir ✏ = |an 1 4 und n gerade. Dann folgt a| = |( 1)n a| = |1 a| = 1 + |a| 1> 1 4 2 Definition 2.2.2 Eine Folge {an }n2N in einem geordneten Körper K heißt CauchyFolge, falls für alle ✏ 2 K mit ✏ > 0 ein N✏ 2 N existiert, so dass für alle n, m > N✏ |am an | < ✏ gilt. (Quantorenschreibweise: 8✏ > 0 9N✏ 8n, m > N✏ : |an am | < ✏.) Bemerkung 2.2.1 (i) Jede konvergente Folge in Q ist eine Cauchy-Folge. (ii) Es gibt Cauchy-Folgen in Q, die nicht (in Q) konvergieren, z.B. 8 für n = 1 <1 an = 1 1 : an 1 + für n 2 2 an 1 ✓ ◆n 1 an = 1 + für n 2 N n Beweis. (i) Es sei {an }n2N eine konvergente Folge. Ihren Grenzwert bezeichnen wir mit a. Also gilt 8✏ > 0 9N✏ 8n > N✏ : |an a| < ✏. Es folgt 8✏ > 0 9N✏ 8m, n > N✏ : |an a| < ✏ und |am 8✏ > 0 9N✏ 8m, n > N✏ : |an a| + |am a| < ✏ a| < 2✏ Mit der Dreiecksungleichung folgt 8✏ > 0 9N✏ 8m, n > N✏ : |an am | < 2✏. 2 2.3 Reelle Zahlen Wir erhalten die reellen Zahlen R aus den rationalen Zahlen Q durch einen Vervollständigungsprozess. Unabhängig voneinander haben dies Cantor, Dedekind und Weierstraß ausgearbeitet. Dedekind führte die nach ihm benannten Schnitte ein und benutzte diese zur Konstruktion der reellen Zahlen. Die anderen orientierten sich mehr an der Idee der Vervollständigung eines metrischen Raumes. Wir wollen zunächst diese Konstruktion darstellen. 2.3. REELLE ZAHLEN 45 Wir verbinden mit jeder Längenmessung eine reelle Zahl. Wir stellen fest, dass die rationalen Zahlen nicht vollständig p ausreichen, jeder Längenmessung eine Zahl zuzuordnen. Das liegtp daran, dass z.B. 2 und ⇡ keine rationalen Zahlen sind. Andererseits können wir 2 und ⇡ beliebig gut durch rationale Zahlen approximieren. p Dies können wir auch so formulieren: Es gibt Folgen rationaler Zahlen, die gegen 2 oder ⇡ konvergieren. Dies legt uns nahe, reelle Zahlen mit Cauchy-Folgen rationaler Zahlen zu identifizieren. Da es aber viele Cauchy-Folgen gibt, die gegen dieselbe Zahl konvergieren, fassen wir alle diese in einer Äquivalenzklasse zusammen und identifizieren diese mit der reellen Zahl. Wir führen auf der Menge aller Cauchy-Folgen in Q eine Äquivalenzrelation ein. Die Folgen {xn }n2N und {yn }n2N sind äquivalent, falls lim (xn n!1 yn ) = 0 gilt. Es ist leicht nachzuprüfen, dass dies eine Äquivalenzrelation ist. Die Äquivalenzklasse von {xn }n2N ist durch n o [{xn }n2N ] = {yn }n2N lim (xn yn ) = 0 n!1 gegeben. Eine solche Äquivalenzklasse ist eine reelle Zahl. Addition und Multiplikation werden durch [{xn }n2N ] + [{yn }n2N ] [{xn }n2N ] [{yn }n2N ] = [{xn + yn }n2N ] = [{xn yn }n2N ] erklärt. Wir müssen einsehen, dass Addition und Multiplikation wohldefiniert sind. Falls {xn }n2N und {x0n }n2N äquivalent sind und ebenso {yn }n2N und {yn0 }n2N , dann gilt [{xn + yn }n2N ] = [{x0n + yn0 }n2N ] Dazu muss man nur beobachten, dass lim ((xn + yn ) n!1 (x0n + yn0 )) = 0 Eine ähnliche Überlegung stellt man für die Multiplikation an. Wir wollen noch darauf eingehen, was die Dedekindschen Schnitte sind. Es sei M eine Menge mit einer Ordnungsrelation . Ein Paar von Teilmengen (A, A) von M heißt Dedekindscher Schnitt in M , falls (i) Jedes Element von M gehört einer der beiden Teilmengen A und A an. (ii) Keine der beiden Mengen A und A ist leer. (iii) Wenn x 2 A und y 2 A, dann gilt x < y. (iv) A besitzt kein kleinstes Element. A heißt Unterklasse und A Oberklasse des Schnittes. Falls M = Q, so identifizieren wir jeden Dedekindschen Schnitt mit einer reellen Zahl. Eine reelle Zahl (A, A), deren Unterklasse A ein größtes Element besitzt, wird mit einer rationalen Zahl identifiziert. 46 CHAPTER 2. ZAHLEN Definition 2.3.1 Wir sagen, dass ein geordneter Körper vollständig ist, falls jede Cauchy-Folge konvergiert. Satz 2.3.1 R ist ein geordneter, Archimedischer Körper. Satz 2.3.2 R ist vollständig. 2.4 Folgen in R Definition 2.4.1 Eine Folge {xn }n2N heißt nach oben (unten) beschränkt, wenn es eine Konstante C 2 R gibt, so dass für alle n 2 N xn C (xn C) gilt. Die Folge heißt beschränkt, wenn sie sowohl nach unten als auch nach oben beschränkt ist. Lemma 2.4.1 Eine konvergente Folge in R ist beschränkt. Beweis. Es sei {xn }n2N eine konvergente Folge. Dann 9x0 8✏ > 09N✏ 2 N8n N✏ : |x0 xn | < ✏. Wir wählen ✏ = 1. Dann 9x0 9N1 2 N8n N1 : |x0 Mit der inversen Dreiecksungleichung folgt für alle n xn | < 1. N1 |xn | < 1 + |x0 |. Es folgt, dass für alle n 2 N |xn | max{1 + |x0 |, max{|x1 |, . . . , |xN1 |}}. 2 Lemma 2.4.2 Eine konvergente Folge in R hat genau einen Grenzwert. 2.4. FOLGEN IN R 47 Beweis. Wir nehmen an, dass es eine Folge {xn }n2N gibt, die zwei verschiedene Grenzwerte x und x0 hat. Dann gilt 8✏ > 09N✏ 8n > N✏ : 8✏ > 09N✏0 8n > N✏0 : |xn |xn x| < ✏ x0 | < ✏. Es sei Ñ✏ = max{N✏ , N✏0 }. Dann folgt 8✏ > 09Ñ✏ 8n > Ñ✏ : |xn x| + |xn x0 | < 2✏. Mit der Dreiecksungleichung folgt x0 | < 2✏ 8✏ > 09Ñ✏ 8n > Ñ✏ : |x und schließlich 8✏ > 0 : |x x0 | < 2✏. Es folgt x = x0 . 2 Beispiel 2.4.1 (i) Es sei {an }n2N eine reelle, konvergente Folge. Dann konvergiert {an+1 }n2N und die Grenzwerte sind gleich. (ii) Es sei {an }n2N0 eine reelle, konvergente Folge. Dann konvergiert {an 1 }n2N konvergiert und die Grenzwerte sind gleich. Beweis. (i) Die Folge konvergiere gegen a 8✏ > 09N✏ 8n N✏ : |an a| < ✏. Es folgt sofort 8✏ > 09N✏ 8n N✏ : |an+1 a| < ✏. (ii) Die Folge konvergiere gegen a 8✏ > 09N✏ 8n N✏ : |an a| < ✏. Damit folgt 8✏ > 09N✏ 8n N✏ + 1 : |an a| < ✏. 1 Wir wählen als Ñ✏ = N✏ + 1. Dann gilt 8✏ > 09Ñ✏ 8n Ñ✏ : |an 1 a| < ✏. 2 Lemma 2.4.3 Die rellen Folgen {xn }n2N und {yn }n2N konvergieren in R gegen die Grenzwerte x und y. Dann gelten: (i) {xn + yn }n2N konvergiert gegen den Grenzwert x + y. (ii) {xn yn }n2N konvergiert gegen den Grenzwert xy. (iii) Falls für alle n 2 N gilt, dass yn 6= 0, und falls y 6= 0, dann konvergiert { xynn }n2N gegen xy . 48 CHAPTER 2. ZAHLEN Beweis. (i) Da die Folge {xn }n2N gegen x konvergiert, gibt es für alle ✏ > 0 ein N✏ 2 N, so dass für alle n > N✏ die Ungleichung |xn x| < ✏ gilt. Ebenso gibt es für alle ✏ > 0 ein N✏0 2 N, so dass für alle n > N✏0 die Ungleichung |yn y| < ✏ gilt. Also gelten 8✏ > 0 9N✏ 2 N 8n > N✏ : 8✏ > 0 9N✏0 2 N 8n > N✏0 : |xn |yn x| < ✏ y| < ✏. Wir gehen wieder zu Ñ✏ = max{N✏ , N✏0 } über. Damit gilt 8✏ > 0 9Ñ✏ 2 N 8n > Ñ✏ : 8✏ > 0 9Ñ✏ 2 N 8n > Ñ✏ : |xn |yn x| < ✏ y| < ✏. Wir addieren die beiden Ungleichungen 8✏ > 0 9Ñ✏ 2 N 8n > Ñ✏ : |xn x| + |yn y| < 2✏. Mit der Dreiecksungleichung folgt 8✏ > 0 9Ñ✏ 2 N 8n > Ñ✏ : |(xn + yn ) (x + y)| < 2✏. (ii) Nach Lemma 2.4.1 gilt 9C8n 2 N : |yn | < C. Wir nehmen zunächst an, dass x 6= 0. Außerdem gilt 8✏ > 09N✏ 8n > N✏ : |xn 8✏ > 09N✏0 8n > N✏0 : |yn ✏ x| < 2C ✏ y| < 2|x| Wir setzen nun Ñ✏ = max{N✏ , N✏0 } und erhalten |xn yn xy| = |xn yn xyn + xyn xy| = |(xn x)yn + x(yn y)| |(xn x)yn | + |x(yn y)| = |yn ||xn x| + |x||yn y| < C ✏ ✏ + = ✏. 2C 2 Nun der Fall x = 0. Dann gilt |xn yn (iii) Wir setzen z = 1 y und zn = xy| = |xn yn | C|xn |. 1 yn und wenden (ii) an. 2 Eine Folge {xn }n2N heißt monoton wachsend (fallend), falls für alle n 2 N xn xn+1 gilt. (xn+1 xn ) 2.4. FOLGEN IN R 49 Lemma 2.4.4 (i) Es seien {an }n2N und {bn }n2N zwei reelle, konvergente Folgen. Weiter gelte für alle n 2 N die Ungleichung an bn . Dann lim an lim bn . n!1 n!1 (ii) Es seien {an }n2N und {cn }n2N zwei reelle, konvergente Folgen mit limn!1 an = limn!1 cn . Weiter sei {bn }n2N eine reelle Folge und es gelte für alle n 2 N an bn cn . Dann konvergiert die Folge {bn }n2N und lim an = lim cn = lim bn . n!1 n!1 n!1 Beweis. (i) Die Folge {an }n2N konvergiere gegen a und die Folge {bn }n2N konvergiere gegen b. Dann konvergiert die Folge {bn an }n2N konvergiert gegen b a. 8✏ > 09N✏ 8n N✏ : |(bn an ) (b a)| < ✏. 8✏ > 09N✏ 8n N✏ : (bn an ) (b a) < ✏. Es folgt Hiermit folgt 8✏ > 09N✏ 8n N✏ : 0 (bn an ) < ✏ + (b a). Also gilt für alle ✏ > 0 ✏<b Somit gilt a b. (ii) Die Folge {cn a. an }n2N ist eine Nullfolge. Also gilt 8✏ > 09N✏ 8n Wegen an bn cn folgt für alle n |cn N✏ : |cn an | < ✏. N✏ bn | |cn an | < ✏. Also gilt 8✏ > 09N✏ 8n N✏ : |cn bn | < ✏. Dies bedeutet, dass die Folge {bn cn }n2N eine Nullfolge ist. Da die Folge {cn }n2N eine konvergente Folge ist, so ist die Folge {bn ebenfalls konvergent. 2 cn + cn }n2N = {bn }n2N 50 CHAPTER 2. ZAHLEN Beispiel 2.4.2 (i) Die Folge { n1 }n2N ist monoton fallend. (ii) Die Folge {1 1 n2 }n2N ist monoton wachsend. (iii) Die Folge {xn }n2N mit xn = 1 für alle n 2 N ist monoton wachsend und fallend. Lemma 2.4.5 Eine reelle, nach oben beschränkte, monoton wachsende Folge konvergiert in R. Ebenso konvergiert eine reelle, nach unten beschränkte, monoton fallende Folge in R. Beweis. Es sei {xn }n2N eine beschränkte, monoton wachsende Folge. Die Schranke sei mit C bezeichnet, d.h. 8n 2 N : (2.1) |xn | C. Es reicht zu zeigen, dass {xn }n2N eine Cauchy-Folge ist. Wir nehmen an, dass {xn }n2N keine Cauchy-Folge ist, d.h. 9✏ > 0 8N✏ 9n, m > N✏ : |xn xm | ✏ Hieraus leiten wir her, dass zwei Folgen ni 2 N, und mi 2 N, i 2 N, existieren, so dass für all i 2 N mi < ni < mi+1 < ni+1 und ✏ < xni xmi gelten. Wir weisen dies mit Induktion nach. Da {xn }n2N keine Cauchy-Folge ist, folgt, dass für N✏ = 1 gilt: 9n1 > m1 : |xn1 xm1 | ✏. xm1 ✏. Da die Folge monoton wächst, folgt 9n1 > m1 : xn1 Nun der Induktionsschritt. Nach Induktionsannahme haben wir die Zahlen n1 , . . . , nk und m1 , . . . , mk gefunden. Wir wählen N✏ = nk + 1. Dann gibt es Zahlen nk+1 und mk+1 mit nk+1 > mk+1 N✏ und |xnk+1 xmk+1 | ✏. xmk+1 ✏. Da die Folge monoton wächst, folgt xnk+1 Da die Folge monoton wachsend ist, folgt aus ni 1 < mi die Ungleichung xni Deswegen erhalten wir, dass für alle k 2 N mit k 2 xnk xn1 k X = (xni i=2 xni 1 ) k X (xni i=2 xmi ) ✏(k 1) 1 xmi . 2.4. FOLGEN IN R 51 gilt. Nun wählen wir k so groß, dass ✏(k 1) > C x1 . xnk xn1 > C x1 Damit erhalten wir bzw. xnk > C x1 + xn1 C. Dies ist widerspricht aber (2.1). 2 Lemma 2.4.6 (Bernoulli-Ungleichung) Für alle x 2 R mit 1 + x > 0 und x 6= 0 und für alle n = 2, 3, . . . gilt 1 + nx < (1 + x)n . Beweis. Wir benutzen Induktion. Da x2 > 0 gilt, folgt (1 + x)2 = 1 + 2x + x2 > 1 + 2x. Wir nehmen an, diese Aussage sei für n richtig und schließen auf n + 1. (1 + x)n+1 = (1 + x)n (1 + x) > (1 + nx)(1 + x) = 1 + (n + 1)x + nx2 > 1 + (n + 1)x. 2 Mit der Bernoulli-Ungleichung werden wir nun das folgende Beispiel beweisen. Beispiel 2.4.3 (i) (1 + n1 )n , n 2 N, ist eine monoton wachsende Folge. (ii) (1 + n1 )n+1 , n 2 N, ist eine monoton fallende Folge. (iii) Beide Folgen konvergieren gegen denselben Grenzwert. Wir nennen diesen Grenzwert die Eulersche Zahl e. Die Zahl e ist von großer Bedeutung in der Mathematik. Wir werden später eine Reihe von Ergebnissen kennenlernen, die diese Zahl betre↵en. Beweis. (i) Mit der Bernoulli-Ungleichung folgt ✓ ◆n ✓ ◆n ✓ 1 1 1+ 1 = 1 n n Also gilt bzw. ✓ ◆n ✓ 1 1+ 1 n ✓ ◆n ✓ 1 1+ 1 n 1 n ◆n 1 n 1 n2 ◆n >1 ◆n >1 1 n 1 > 1. 1 . n 52 CHAPTER 2. ZAHLEN Es folgt ✓ ◆n 1 1+ > n 1 1 1 n 1 n = ✓ n n 1 ◆n 1 ✓ = 1+ 1 n 1 ◆n 1 . (ii) Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung 1 1+ 1 n n 1 Weiter folgt n 1 n12 ✓ ◆n ✓ ◆n 1 1 1 = 1+ 2 > 1+ 2 >1+ . n 1 n n ✓ und schließlich 1 = 1 n n n n ✓ 1+ 1 ◆n 1 n 1 ✓ ◆n+1 1 > 1+ n ◆n ✓ ◆n+1 1 > 1+ n (iii) Die beiden Folgen (i) und (ii) sind beschränkt. Man sieht sofort, dass beide Folgen von unten durch 1 beschränkt sind. Andererseits ist (1 + n1 )n+1 eine monoton fallende Folge. Deshalb gilt für alle n 2 N ✓ ◆n+1 ✓ ◆n 1 1 4 1+ 1+ n n Nach Lemma 2.4.5 konvergieren sie beide. Wir definieren ✓ ◆n 1 e = lim 1 + n!1 n Nach Lemma 2.4.3 konvergiert die Folge ✓ ◆n+1 ✓ ◆n 1 1 1+ 1+ n n Wegen ✓ ◆n+1 1 1+ n gilt lim n!1 ✓ ◆n+1 1 1+ n Die letzte Gleichung gilt, weil n1 1 + Wir wenden Lemma 2.4.3 an. 2 n2N ✓ ◆n ✓ ◆n 1 1 1 1+ = 1+ n n n ✓ ◆n ! ✓ ◆n 1 1 1 1+ = lim 1+ =0 n!1 n n n 1 n , n n 2 N, das Produkt von zwei konvergenten Folgen ist. Mit Beispiel 2.4.3 können wir für die Zahl e folgende Abschätzungen bekommen. n=1: n=2: n=3: n = 1000 : 2 2, 25 ✓ ◆3 4 2, 37... = 3 2, 716923... e 4 e 3, 375 ✓ ◆4 4 e = 3, 16... 3 e 2, 71964... Die Zahl e spielt in der Zinsrechnung eine Rolle. Ein Geldbetrag G sei pro Jahr mit r Prozent verzinst. Nach einem Jahr erhält man also G(1 + r). Werden die Zinsen 2.4. FOLGEN IN R 53 r 12 jedoch monatlich ausgezahlt, so erhält man G(1 + 12 ) am Ende des Jahres. Falls r 365 eine Bank bereit ist, die Zinsen täglich auszuzahlen, so erhält man G(1 + 365 ) am Ende des Jahres. Werden also die Zinsen k mal im Jahr ausgezahlt, so erhält man G(1 + kr )k am Ende des Jahres. O↵ensichtlich erhält man desto mehr Geld, je häufiger die Zinsen während des Jahres ausgezahlt werden. Eine Verallgemeinerung von Beispiel 2.4.3 besagt, dass man nie mehr als Ger am Ende des Jahres erhält. Der Betrag Ger würde ausgezahlt, wenn die Zinsen stetig ausgezahlt würden. p Die Quadratwurzel x einer reellen, positiven Zahl x soll genau diejenige positive Zahl sein, die, wenn man sie mit sich selbst multipliziert, x liefert. Die Existenz einer solchen Zahl wird durch das nächste Beispiel geliefert. Die Eindeutigkeit ist o↵ensichtlich. Beispiel 2.4.4 (i) (Heron von Alexandrien) Wir setzen a1 = 1 und für n ✓ ◆ 1 2 an+1 = an + . 2 an Dann gilt lim an = n!1 p 2. (ii) (Newton Iteration) Es sei x > 0. Wir setzen a1 = 1 und für n ✓ ◆ 1 x an+1 = an + . 2 an Dann gilt lim an = n!1 und für alle n = 2, 3, . . . gilt 1 1 p x p x x an . an Insbesondere existiert die Quadratwurzelfunktion, d.h. es gibt eine Funktion w : [0, 1) ! [0, 1), so dass für alle x 2 [0, 1) (w(x))2 = x gilt. Die Funktion w ist monoton wachsend. Die im Beispiel angegebene Folge stellt ein Iterationsverfahren dar, mit dem man die Wurzel einer Zahl berechnen kann. Es stammt von dem griechischen Mathematiker Heron von Alexandrien (ca. 60 n. Chr.). Das Iterationsverfahren besteht darin, dass der Mittelwert von zwei Zahlen gebildet wird, deren Produkt x ist. Das Verfahren konvergiert schnell, wenn man mit einem guten Anfangswert a1 wie z.B. a1 = 1 beginnt. Dann erhält man bei jeder Iteration zwei genaue Dezimalstellen. Wenn der Anfangswert nicht gut gewählt wird, konvergiert das Verfahren langsam. (ii) ist ein Spezialfall des Verfahrens von Newton zum Auffinden einer Nullstelle einer Funktion. n) 2 Hierbei setzt man xn+1 = xn ff0(x x. (xn ) . In dem vorliegenden Beispiel wählt man f (t) = t Bevor wir die Behauptungen beweisen,p wollen wir eine einfache Überlegung anstellen, die sofort p zeigt, warum der Grenzwert der Folge (i) 2 ist, bzw. im Fall (ii) x. Wir nehmen an, dass der Grenzwert existiert und verschieden von 0 ist. Dann folgt (2.2) lim an+1 = n!1 1 1 lim an + 2 n!1 limn!1 an 54 CHAPTER 2. ZAHLEN Wir bezeichnen den Grenzwert der Folge mit a und erhalten a= 1 1 a+ 2 a Also gilt a2 = 2 Für den Beweis des Beispiels benötigen wir die folgende Abschätzung. Lemma 2.4.7 Für alle s, t 2 R gilt 4st (s + t)2 . Dies ist eigentlich die Abschätzung zwischen dem geometrischen und arithmetischen Mittel p s+t st . 2 Da wir hier erst die Existenz der Wurzel nachweisen, haben wir die Ungleichung ohne die Wurzel formuliert. Beweis. Es gilt 0 (s t)2 = s2 2st + t2 . Es folgt 4st s2 + 2st + t2 = (s + t)2 . 2 Beweis von Beispiel 2.4.4. Wir überlegen uns zuerst, dass die Folge wohldefiniert ist. Dazu müssen wir zeigen, dass kein an , n 2 N, gleich 0 ist. Wir zeigen, dass für alle n 2 N die Ungleichung 0 < an gilt. Dies zeigen wir durch Induktion. Der Induktionsanfang liefert a1 = 1. Im Induktionsschritt nehmen wir an, dass an > 0 und erhalten an+1 = 1 1 an + > 0. 2 an Wir zeigen, dass {an }1 n=2 eine monoton fallende Folge ist. Da wir bereits wissen, dass die Folge nach unten beschränkt ist, konvergiert sie (Lemma 2.4.5). Dazu zeigen wir, dass für alle n 2 N mit n 2 2 a2n gilt. Mit Lemma 2.4.7 folgt für n 2 N a2n+1 = ✓ 1 1 an + 2 an ◆2 1 1 4 an = 2. 2 an Wir zeigen nun, dass die Folge monoton fallend ist. Aus a2n n 2 1 1 an . an 2 Wir addieren auf beiden Seiten 12 an 1 1 an + an . 2 an Also gilt für alle n = 2, 3, . . . an+1 an . 2 und an > 0 folgt, dass für alle 2.4. FOLGEN IN R 55 Aus an > 0 und a2n 2 folgt, dass an 1. Hieraus folgt, dass der Grenzwert größer oder gleich 1 ist, also nicht 0. Aus Lemma 2.4.3 (iii) folgt dann, dass (2.2) gilt und wir erhalten p lim an = 2. n!1 (ii) wird genauso hergeleitet. Wir erhalten hier ✓ ◆2 1 x a2n+1 = an + 4 an an x =x an Hieraus ergibt sich dann für n = 2, 3, . . . x an an oder an + x 2an an Also an+1 an Also ist eine monoton fallende Folge und somit { axn }1 n=2 eine monoton wachsende Folge. p Beide Folgen konvergieren gegen x. 2 p Für 2 wollen wir noch die numerischen Werte der ersten Folgenglieder festhalten. {an }1 n=2 p 4 2 3 = 2 a2 = = 1, 5 3 a2 2 p 24 2 17 1, 41176... = = 2 a3 = = 1, 41666... 17 a3 12 p 816 2 577 1, 41421... = = 2 a4 = = 1, 41421... 577 a4 408 1, 333... = Das Heron Verfahren lässt sich auf allgemeine, ganzzahlige Wurzeln verallgemeinern. Beispiel 2.4.5 Es sei x eine positive, reelle Zahl und k 2 N mit 2 k. Weiter seien a1 = 1 und für n 1 (k 1)(an )k + x an+1 = . k(an )k 1 Dann gilt lim (an )k = x. n!1 Der Grenzwert der Folge ist also die k-te Wurzel von x. Beweis. Es gilt an+1 k(an )k 1 = (k 1)(an )k + x. lim an+1 k(an )k 1 = lim (k Deshalb n!1 und somit k Wir erhalten schließlich ⇣ lim an n!1 ⌘k ⇣ = (k 1) lim an ⌘k n!1 2 n!1 ⇣ 1)(an )k + x. lim an n!1 = x. ⌘k + x. 56 CHAPTER 2. ZAHLEN Beispiel 2.4.6 (Schriftliches Wurzelziehen) Wir beschreiben hier ein Verfahren, um die Quadratwurzel aus einer natürlichen Zahl zu ziehen. Der Radikand wird in Gruppen von zwei Zi↵ern unterteilt, wobei wir rechts beginnen. Nun betrachten wir die erste Zahlengruppe, die Gruppe, die ganz links steht. Sie kann aus einer oder zwei Zi↵ern bestehen. Zu dieser ein- oder zweistelligen Zahle suchen wir die größte (einstellige) Zahl, deren Quadrat kleiner oder gleich dieser Zahl ist. Diese Zahl ist die erste Zi↵er der Quadrat wurzel. Nun ziehen wir die Quadratzahl von der ersten Gruppe ab und ergänzen die Di↵erenz mit den folgenden beiden Zi↵ern. Beispiel 2.4.7 Es sei a1 2 R und n2N an+1 = an + a2n Dann konvergiert diese Folge für alle a1 mit divergiert die Folge. 1 a1 0 gegen 0. Für alle anderen Werte Beweis. Die Folge ist monoton wachsend an+1 = an + a2n an und für alle n 2 N gilt 1 an 0, falls 1 a1 0. Wir weisen dies mit Induktion nach. Es gilt nach Voraussetzung 1 a1 0. Wir nehmen nun an, dass 1 an 0. Dann gelten 0 1 + an 1, an+1 = an + a2n = an (1 + an ) 0 und an+1 = an + a2n = an (1 + an ) 1. Damit ist die Folge für 1 a1 0 monoton wachsend und beschränkt und nach Lemma 2.4.5 konvergent. In diesem Fall folgt für den Grenzwert ⇣ ⌘2 lim an = lim an+1 = lim an + lim an n!1 n!1 n!1 n!1 also lim an = 0. n!1 Wir betrachten nun die anderen Fälle. Es sei 0 < a1 . Dann gilt für alle an , n 2 N, an a1 . Falls die Folge konvergiert, dann gilt also 0 < a1 lim an . n!1 Wir hatten uns aber bereits überlegt, dass der Grenzwert 0 sein muss. Falls a1 < a2 = a1 + a21 1, dann = a1 (1 + a1 ) > 0. Nun verfahren wir wie im Fall a1 > 0. 2 Beispiel 2.4.8 [50, 72] (i) Es sei {an }n2N eine Folge positiver, reeller Zahlen. Die Folge r q p a1 + a2 + · · · + an n2N konvergiert genau dann, wenn es eine Zahl c > 0 gibt, so dass für alle n 2 N die Ungleichung n an c(2 ) gilt. (ii) Insbesondere konvergiert r q p x + x + ··· + x q für x > 0 und der Grenzwert ist 12 + x + 14 . 2.4. FOLGEN IN R 57 Beweis. (i) Wir überlegen uns zunächst, dass für alle Folgen {an }n2N und {bn }n2N , so dass für alle n 2 N die Ungleichungen 0 an bn gelten, r r q q p p a1 + a2 + · · · + an b1 + b2 + · · · + bn für alle n 2 N gelten. Wir zeigen dies mit Induktion. Der Induktionsanfang folgt, weil die Wurzelfunktion monoton wachsend ist (Beispiel 2.4.4(ii)). Nun der Induktionsschritt. Die Aussage gilt für alle Folgen der Länge n. Wir wenden diese Aussage auf die Folgen p p a1 , . . . , an 1 , ãn = an + an+1 und b1 , . . . , bn 1 , b̃n = bn + bn+1 an. Wir zeigen, dass die Bedingung notwendig ist. Wenn wir a1 , . . . , an wir für alle n 2 N r q q p p a1 + a2 + · · · + an · · · an . 1 durch 0 ersetzen, erhalten n Falls es zu jedem c > 0 ein n 2 N mit an > c(2 ) gibt, dann gilt r q p c a1 + a2 + · · · + an und die Folge ist unbeschränkt, kann also nicht konvergieren. Wir zeigen nun, dass die Bedingung hinreichend ist. Falls es eine Zahl c gibt, so dass für alle n n 2 N die Ungleichung an c(2 ) gilt, dann folgt für alle n 2 N r r r q q q p p p n) 2 4 (2 a1 + a2 + · · · + an c + c + · · · + c = c 1 + 1 + · · · + 1. Weiter gilt q p p 2 + 2 = 2 + 2 + 2 = ··· r r q q p p = 2 + 2 + · · · + 2 + 2 > 1 + 1 + · · · + 1. 2 = Damit ist die Folge nach oben beschränkt. Außerdem ist sie monoton wachsend. s r r q q p p a1 + a2 + · · · + an < a1 + a2 + · · · + an + an+1 Mit Lemma 2.4.5 folgt, dass die Folge konvergiert. (ii) Wir wenden (i) an, um festzustellen, dass die Folge konvergiert. Die Folge lässt sich auch so schreiben: p p b1 = x bn+1 = x + bn . Dies bedeutet, dass für alle n 2 N b2n+1 = x + bn gilt. Mit Lemma 2.4.3 folgt ⇣ lim bn n!1 ⌘2 = lim b2n+1 = x + lim bn . n!1 n!1 Es folgt für den Grenzwert b der Folge also b = 1 2 b2 = x + b, q ± x + 14 . Da der Grenzwert positiv sein muss, folgt b = 1 2 + q x + 14 . 2 58 CHAPTER 2. ZAHLEN Definition 2.4.2 Es sei I : N ! R eine reelle Folge und J : N ! N eine strikt wachsende Abbildung, d.h. für alle i 2 N gilt J(i) < J(i + 1). Dann sagen wir, dass die Folge I J eine Teilfolge der Folge I ist. Wie üblich bezeichnen wir auch das Bild von I, also {an }n2N als Folge. Entsprechend bezeichnen wir {ani }i2N als Teilfolge, wenn n1 < n2 < n3 < · · · gilt. Satz 2.4.1 (Bolzano-Weierstraß) Jede beschränkte Folge in R hat eine konvergente Teilfolge. Die Folge an = ( 1)n , n 2 N, konvergiert nicht, aber die Teilfolge a2k , k 2 N, konvergiert. Beweis. Es sei {an }n2N eine beschränkte Folge. Wir zeigen, dass es eine Teilfolge gibt, die entweder monoton fallend oder monoton wachsend ist. Mit Lemma 2.4.5 folgt dann die Behauptung. Es sei I = {n 2 N|8` n : a` an }. Falls I eine unendliche Menge ist, so ist {an }n2I eine monoton fallende Folge, wobei die Elemente von I der Größe nach geordnet sind: I = {n1 , n2 , n3 , . . . } mit n1 < n2 < n3 < · · · Wir überlegen uns, dass die Folge {ani }i2N monoton fallend ist. Es gilt ani ani+1 , weil ni 2 I und ni < ni+1 . Wir nehmen nun an, dass I eine endliche Menge ist. Wir konstruieren nun durch Induktion eine monoton strikt wachsende Folge. Als m1 wählen wir eine natürliche Zahl, die strikt größer als alle Zahlen in I ist. Wir nehmen an, dass wir bereits k Elemente der Folge am1 , . . . , amk und m1 < m2 < · · · < mk gewählt haben. Nun wählen wir das k + 1-ste Element. Da mk 2 / I, gilt mk 2 {n 2 N|9` n : a` > an }. Deshalb gibt es ein mk+1 mit mk+1 > mk und amk+1 > amk . 2 Beispiel 2.4.9 (i) Für alle x 2 R mit |x| < 1 gilt lim xn = 0. n!1 (ii) lim n!1 (iii) Für alle x 2 R gilt n! =0 nn xn = 0. n!1 n! lim 2.4. FOLGEN IN R 59 Beweis. (i) Gegeben sei ✏ > 0. Nun wählen wir N✏ , so dass für alle n > N✏ gilt ✓ ◆ 1 1 <n 1 ✏ |x| 1 Dies ist möglich, weil R Archimedisch ist und 1 < |x| . Damit und mit der Bernoulli-Ungleichung folgt, dass ✓ ✓ ◆◆n ✓ ◆ ✓ ◆ 1 1 1 1 1 = 1+ 1 1+n 1 >n 1 > |x|n |x| |x| |x| ✏ Also gilt für alle n > N✏ |xn 0| < ✏ Wir geben noch einen alternativen Beweis an. Die Folge {xn }n2N ist für x mit 0 x < 1 monoton fallend und beschränkt. Es gilt für alle n 2 N 0 xn < 1. Da die Folge monoton fallend und beschränkt ist, konvergiert sie nach Lemma 3.4.7. Weiter gilt lim xn = lim xn+1 = x lim xn . n!1 n!1 n!1 Es folgt lim xn = 0. n!1 (ii) Es gilt 0 (iii) Die Folge xn n! , n! 1 nn n n 2 N, ist für n > x monoton fallend: Es gilt für n > x xn n! xn+1 (n + 1)! weil dies zu n+1 x äquivalent ist. Damit ist die Folge nach oben beschränkt. Außerdem ist die Folge nach unten durch 0 beschränkt. Mit Lemma 2.4.5 folgt, dass die Folge konvergiert. Da limn!1 n1 = 0 folgt xn ⇣ x⌘ = lim n!1 n! n!1 n lim 2 ✓ xn 1 n!1 (n 1)! lim ◆ = ⇣ x⌘ n!1 n lim ✓ xn n!1 n! lim ◆ = 0. Lemma 2.4.8 Es sei {xn }n2N eine beschränkte Folge reeller Zahlen, die nicht konvergiert. Dann gibt es zwei konvergente Teilfolgen, die gegen verschiedene Grenzwerte konvergieren. Beweis. Da {xn }n2N beschränkt ist, hat sie nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß (Satz 2.4.1) eine konvergente Teilfolge {xnk }k2N mit Grenzwert x0 . Da {xn }n2N nicht konvergiert, konvergiert sie insbesondere nicht gegen x0 . Also gilt (2.3) 9✏ > 0 8N 2 N 9m N: |xm x0 | ✏. 60 CHAPTER 2. ZAHLEN Wir wenden diese Aussage auf N = 1 an. Also gibt es ein m1 1 mit |xm1 x0 | ✏. Wenn wir bereits m1 < m2 < · · · < mn gewählt haben, so dass für alle j = 1, . . . , n ✏ |xmj x0 | gilt, dann wenden wir die Aussage (2.3) für N = mn + 1 an. Insgesamt erhalten wir eine Teilfolge {xmj }j2N , so dass für alle j 2 N |xmj x0 | ✏ gilt. Da {xmj }j2N beschränkt ist, hat sie eine konvergente Teilfolge. Der Grenzwert ist von x0 verschieden. 2 2.5 Di↵erenzengleichungen Wir bezeichnen den Vektorraum aller reellen Folgen mit R1 . Es seien a1 , . . . , ak 2 R und {xn }1 k die Gleichungen n=0 eine reelle Folge. Falls für alle n mit n xn + a1 xn 1 + · · · + ak xn k =0 gelten, dann sagen wir, dass die Folge die Di↵erenzengleichung mit den Koeffizienten a1 , . . . , ak erfüllt. Man überlegt sich leicht, dass die Menge aller Lösungen ein linearer Teilraum des Vektorraumes aller unendlichen Folgen ist. Di↵erenzengleichungen liefern interessante Beispiele von Folgen, für die wir Konvergenz untersuchen. Das bekannteste Beispiel sind die Fibonacci Zahlen (Beispiel 2.5.2), die die Entwicklung einer Kaninchenpopulation beschreiben. Interessant ist bei diesem Beispiel, dass der Goldene Schnitt auftaucht. Darüber hinaus gibt es viele Beispiele aus Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Soziologie in der der Goldene Schnitt erscheint. Satz 2.5.1 (Di↵erenzengleichung) Es seien a1 , . . . , ak 2 R und wir nehmen an, dass 1 , . . . , k 2 R paarweise verschiedene Nullstellen des Polynoms (2.4) tk + a1 tk 1 + · · · + ak 1 t + ak = 0 sind. Dann ist {( n 1 i )n=0 |i = 1, . . . , k} eine Basis des Lösungsraumes der Di↵erenzengleichung xn + a1 xn Das Polynom tk + a1 tk der Di↵erenzengleichung. Beweis. Falls 1 1 + · · · + ak xn k =0 n k. + · · · + ak 1 t + ak heißt das charakteristische Polynom eine Nullstelle des Polynoms tk + a1 tk 1 + · · · + ak 1 t + ak 2.5. DIFFERENZENGLEICHUNGEN ist, so ist ( n 1 )n=0 61 eine Lösung. Dies ist o↵ensichtlich: Aus k folgt für alle n 2 N mit n n k k 1 + · · · + ak + ak = 0 1 k ( also für alle n 2 N mit n n + a1 k + a1 k 1 + · · · + ak 1 + ak ) = 0 k + a1 n 1 + · · · + ak 1 n k+1 + ak n k = 0. Daraus folgt, dass das Erzeugnis von {(( i )n )1 n=0 |i = 1, . . . , k} im Lösungsraum enthalten ist. Außerdem sind die Vektoren (( i )ni )1 n=0 i = 1, . . . , k im Raum R1 linear unabhängig. Dazu müssen wir zeigen, dass aus der Gleichung k X ci (( i )ni )1 n=0 = 0 i=1 folgt c1 = c2 = · · · = ck = 0. Es reicht also zu zeigen, dass aus k X ci (( i )ni )kn=01 = 0 i=1 folgt c1 = c2 = · · · = ck = 0. Deshalb 0 1 0 1 B 1 C B B C B B 2 C B B 1 C,B B .. C B @ . A @ k 1 1 reicht es aus nachzuweisen, dass die Vektoren 1 0 1 1 1 C B k C 2 C B C 2 C B 2 C 2 C,...,B k C B .. C .. C @ . A . A k 1 2 k 1 k im Raum Rk linear unabhängig sind. Dazu zeigen wir, dass die Determinante dieser Matrix von 0 verschieden ist. Es handelt sich um die Vandermondesche Determinante, die sich zu Y ( i j) i>j berechnet. Da alle i paarweise verschieden sind, ist die Determinante von 0 verschieden. Es bleibt noch zu zeigen, dass die Dimension des Raumes aller Lösungen kleiner oder gleich k ist. Jede Lösung ist durch die ersten k Koordinaten x0 , . . . , xk 1 bestimmt. Dies folgt aus der Rekursionsformel. Also ist die Dimension des Raumes gleich k. 2 62 CHAPTER 2. ZAHLEN Lemma 2.5.1 Es seien a1 , . . . , ak 2 R und wir nehmen an, dass Nullstelle der Vielfachheit ` des charakteristischen Polynoms (2.5) tk + a1 tk 1 2 R eine reelle + · · · + ak 1 t + ak = 0 ist. Dann sind (nj n 1 )n=0 |j = 0, . . . , ` 1 Lösungen der Di↵erenzengleichung xn + a1 xn 1 + · · · + ak xn =0 k n k. Lemma 2.5.2 Es seien a1 , . . . , ak 2 R und wir nehmen an, dass r(cos ✓ + i sin ✓) eine komplexe Nullstelle der Vielfachheit ` des charakteristischen Polynoms (2.6) tk + a1 tk 1 ist. Dann sind für alle b 2 R + · · · + ak 1 t + ak = 0 {(rn cos(n✓ + b))1 n=0 |j = 0, . . . , ` 1} Lösungen der Di↵erenzengleichung xn + a1 xn 1 + · · · + ak xn =0 k n k. Man beachte, dass mit r(cos ✓+i sin ✓) auch r(cos ✓ i sin ✓) Nullstelle des charakteristischen Polynoms ist. Beispiel 2.5.1 Es seien a, b 2 R. Wir setzen x0 = a, x1 = b und für n = 2, 3, . . . xn = 1 (xn 2 1 + xn 2) dann gilt lim xn = n!1 1 2 a+ b 3 3 Beweis. Wir wenden Satz 2.5.1 an. Das charakteristische Polynom der Di↵erenzengleichung ist t2 12 t 12 . Die Nullstellen sind 1 und 12 . Deshalb ist 1 n 1 2 n=0 (1)1 n=0 eine Basis des Lösungsraumes. Wir bestimmen nun die Koeffizienten c1 und c2 , so dass a = x0 = c1 + c2 1 2 c2 b = x1 = c1 Also b=a 1 2 c2 c2 c2 = 23 (a c1 = a c2 = a b) 2 3 (a b) = 13 a + 23 b. Damit ist die Folge 2 ( 13 a + 23 b)(1)1 n=0 + 3 (a b) ( 1 n 1 2 ) n=0 die Lösung und lim ( 13 a + 23 b) + 23 (a n!1 2 b)( 1 n 2) = 13 a + 23 b. 2.5. DIFFERENZENGLEICHUNGEN 63 Beispiel 2.5.2 Die Fibonacci Zahlen sind durch die Rekursion xn+2 = xn+1 + xn mit x0 = 0 und x1 = 1 gegeben. Dann gilt p xn+1 1+ 5 lim = = 1, 6180... n!1 xn 2 (2.7) p Die Zahl 1+2 5 bezeichnet man als den Goldenen Schnitt. Zwei Strecken a und b mit a < b stehen im Verhältnis des Goldenen Schnittes, wenn sich die größere zur kleineren Strecke verhält wie die Summe aus beiden zur größeren a b = . b a+b Der Goldene Schnitt spielt in der Architektur eine Rolle. Mit Hilfe dieser Zahlenfolge hat Leonardo Fibonacci (1180-1241) das Wachstum einer Kaninchenpopulation beschrieben. Hierbei hat er folgende Annahmen gemacht: (i) Jedes Paar Kaninchen wirft pro Monat ein weiteres Paar Kaninchen. (ii) Ein neugeborenes Paar bekommt erst im zweiten Lebensmonat Nachwuchs. (iii) Die Tiere sind isoliert. Die Zahl der Kaninchen Paare in einem gegebenen Monat setzt aus den Paaren zusammen, die im Vormonat gelebt haben und den neugeborenen Paaren. Die Anzahl der neugeborenen Paare ist gleich der Anzahl der Paare, die im Vorvormonat gelebt haben. Beweis. Wir benutzen den Satz über die Lösungen der Di↵erenzengleichungen. Wir müssen die Nullstellen des Polynoms t2 t 1 = 0 bestimmen. Die Nullstellen sind p 1+ 5 2 Somit ist 1 und p !n !1 1+ 5 2 1 n=0 p 5 . 2 p !n !1 5 2 n=0 eine Basis des Lösungsraumes. Nun wählen wir die Koeffizienten c1 und c2 , so dass p p 1+ 5 1 5 c1 + c2 = 0 und c1 + c2 = 1. 2 2 Es folgt c2 = c1 und damit Also p 1+ 5 c1 2 c1 1 p 5 = 1. 2 1 c1 = p . 5 Als Lösung erhalten wir 1 p 5 p !n !1 1+ 5 2 n=0 1 p !n !1 ! 5 2 n=0 64 CHAPTER 2. ZAHLEN Damit erhalten wir lim n!1 Es gilt Wegen ⇣ p ⌘n+1 1+ 5 2 ⇣ p ⌘n 1+ 5 2 xn+1 = lim n!1 xn ⇣ p ⌘n+1 5 2 ⇣ p ⌘n 1 5 2 ⇣ p ⌘n+1 1+ 5 2 ⇣ p ⌘n 1+ 5 2 1 = ⇣ ⇣ p ⌘n+1 5 2 ⇣ p ⌘n . 1 5 2 1 ⇢ 1 ⇣ p ⌘n n 1+ 5 1 2 p ⌘n+1 1+ 5 2 ⇣ p ⌘n+1 1 p5 1+ 5 ⇣ p ⌘n o 1 p5 1+ 5 . p 1 5 1 p . 2 1+ 5 gilt lim n!1 p !n 1 5 p = 0. 1+ 5 Hiermit folgt nun (2.7). 2 Beispiel 2.5.3 ([44], S. 156) Wir betrachten ein Nachrichtenübertragungssysten, dem zwei Signale S1 und S2 zur Verfügung stehen. Die Nachrichten werden zunächst zu Folgen von S1 und S2 codiert. Das Signal S1 benötigt die Zeit t1 , um übertragen zu werden, und S2 die Zeit t2 . Es sei Nt die Anzahl aller möglichen Nachrichten, die man in einer Zeit t übertragen kann. Wir wollen nun die Zahl Nt bestimmen. Dazu stellen wir eine Di↵erenzengleichung auf. Wir betrachten alle jene Nachrichten, die mit einem S1 enden. Für alle jene Nachrichten, die mit S1 enden gibt es Nt t1 Möglichkeiten, entsprechend Nt t2 , wenn die Nachricht mit S2 endet. Wir erhalten also Nt = Nt t1 + Nt t2 Falls t1 = t2 = 1, dann handelt es sich um die Fibonacci Zahlen (Beispiel 2.5.2) und wir erhalten Nt = C1 p !t 1+ 5 + C2 2 1 p !t 5 . 2 Die Konstanten C1 und C2 sind durch N0 und N1 festgelegt. Berücksichtigen wir die Bedeutung von Nt wählen wir N0 = 0 und N1 = 1. Wir erhalten 1 C1 = p 5 und C2 = 1 p . 5 Die Kapazität eines Nachrichtenkanals wir von Shannon durch C = lim t!1 log2 Nt t definiert. Wir wollen etwas auf diese Definition eingehen: Um ein Wort besteht aus einer Folge von S1 und S2 . Jede Wahl von S1 oder S2 liefert die Information 2 insgesamt also Nt = 2k . Wir erhalten p 1+ 5 C = log2 ⇠ 0, 7. 2 Beispiel 2.5.4 Es sei die Di↵erenzengleichung xn 3 2 xn 1 + 12 xn 2 =0 n 2 mit x0 = a und x1 = b gegeben. Die Folge konvergiert und der Grenzwert ist 2b a. 2.6. SUPREMUM UND INFIMUM 65 Beweis. Die charakteristische Gleichung ist t2 3 2t + 1 2 =0 Die Nullstellen sind 1 und 12 . Damit ist ⇢ {1}1 n=0 1 2n 1 n=0 eine Basis des Lösungsraumes. a = x0 = c1 + c2 1 b = x1 = c1 + c2 2 Also b=a c2 = 2(a Der Grenzwert ist 2b 2.6 1 c2 + c2 2 b) c1 = 2b a a. 2 Supremum und Infimum Definition 2.6.1 Es sei {xn }n2N eine reelle Folge. Eine Zahl x 2 R heißt Häufungswert der Folge, falls zu jedem ✏ > 0 unendlich viele Elemente der Folge in der Menge (x ✏, x + ✏) liegen. Definition 2.6.2 Es sei M ✓ R. C heißt obere Schranke von M , falls für alle x 2 M gilt, dass x C. C heißt untere Schranke von M , falls für alle x 2 M gilt, dass C x. ⇠ heißt kleinste obere Schranke oder Supremum von M ⇠ = sup M falls (i) ⇠ obere Schranke von M ist (ii) Für alle oberen Schranken C von M gilt, dass ⇠ C. ⇠ 2 R heißt größte untere Schranke oder Infimum von M ⇠ = inf M falls (i) ⇠ untere Schranke von M ist (ii) Für alle unteren Schranken C von M gilt, dass ⇠ C. 66 CHAPTER 2. ZAHLEN Beispiel 2.6.1 (i) Es sei M = [a, b] = {x 2 R|a x b}. Dann gilt inf M = a sup M = b (ii) Es sei M = (a, b) = {x 2 R|a < x < b}. Dann gilt inf M = a (iii) Es sei M = { 1 n |n 2 N}. Dann gilt inf M = (iv) Es sei M = { 1 n |n sup M = b 1 sup M = 0 2 N} [ {0}. Dann gilt inf M = 1 sup M = 0 (v) Die leere Menge ; besitzt weder Supremum noch Infimum, weil jede reelle Zahl sowohl untere als auch obere Schranke der leeren Menge ist. Lemma 2.6.1 Jede nicht-leere, nach oben beschränkte Menge besitzt ein Supremum und jede nicht-leere, nach unten beschränkte Menge besitzt ein Infimum. Der Beweis von Lemma 2.6.1 benutzt das Prinzip der Intervallschachtelung: Ein Intervall wird in zwei gleiche Teilintervalle unterteilt. Je nachdem in welchem Teilintervall sich noch ein Punkt der Menge befindet, wird mit dem entsprechenden Teilintervall fortgefahren. Man teilt dieses wieder in zwei gleiche Intervalle. Auf diese Weise wird ein gesuchter Punkt ”eingeschachtelt.” Beweis. Es sei M eine nach oben beschränkte Menge. Es gibt also ein b1 2 R, so dass für alle x 2 M gilt, dass x b1 . Wir wählen nun a1 2 M und betrachten a1 + b1 a1 + b1 a1 , und , b1 2 2 Wir setzen a2 = 8 > > < a1 > > : a1 + b1 2 8 < a1 + b1 2 b2 = : b1 Für n = 2, 3, . . . definieren wir 8 > > < an an+1 = > > : an + bn 2 falls M \ a1 + b1 , b1 = ; 2 sonst falls M \ sonst falls M \ sonst a1 + b1 , b1 = ; 2 an + bn , bn = ; 2 2.6. SUPREMUM UND INFIMUM bn+1 Wir erhalten: (i) Für alle n 2 N 8 < an + bn 2 = : bn 67 falls M \ sonst an + bn , bn = ; 2 a1 a2 · · · an bn · · · b2 b1 (ii) bn an = b1 a1 2n 1 (iii) bn , n 2 N, sind obere Schranken von M . (iv) Für alle n 2 N gilt: Es gibt ein xn 2 M mit an xn bn . Da {an }n2N eine beschränkte, monoton wachsende Folge und {bn }n2N eine beschränkte, monoton fallende Folge ist, so konvergieren diese Folgen (Lemma 2.4.5). Wegen (ii) gilt lim bn n!1 lim an = lim (bn n!1 n!1 b1 a1 = 0. n!1 2n 1 an ) = lim Also sind beide Grenzwerte gleich. b = limn!1 bn ist eine obere Schranke von M , weil alle bn , n 2 N, obere Schranken von M sind: Falls es ein x0 2 M mit b < x0 gäbe, dann gibt es ein N mit x0 b 8n > N : |bn b| < . 2 Wegen bn x0 folgt x0 b x0 b bn b < . 2 Also x0 < b Falls b keine kleinste, obere Schranke ist, dann gibt es ein c mit c < b, so dass für alle x 2 M gilt x c. Wegen (iv) gibt es ein n 2 N mit c < xn bn . Also ist c keine obere Schranke. 2 Lemma 2.6.2 Jede reelle, beschränkte Folge hat einen größten und einen kleinsten Häufungswert. Beweis. Nach Satz 2.4.1 hat jede beschränkte Folge eine konvergente Teilfolge. 2 Lemma 2.6.3 Eine reelle, beschränkte Folge konvergiert genau dann, wenn sie genau einen Häufungswert besitzt. 68 CHAPTER 2. ZAHLEN Definition 2.6.3 Es sei {xn }n2N eine Folge reeller Zahlen. Wir setzen für k 2 N yk = sup{xn |k n} = sup{xk , xk+1 , xk+2 , . . . }. Der Limes Superior der Folge {xn }n2N ist lim sup xn = lim yk . k!1 n!1 Analog setzen wir für k 2 N zk = inf{xn |k n} = inf{xk , xk+1 , xk+2 , . . . }. Der Limes Inferior der Folge {xn }n2N ist lim inf xn = lim zk . n!1 k!1 Lemma 2.6.4 Für jede beschränkte Folge existieren Limes Inferior und Limes Superior. Beweis. Die Folge k2N yk = sup{xn |k n} ist beschränkt und monoton fallend, also konvergent (Lemma 2.4.5). Also existiert der Limes Superior. 2 Lemma 2.6.5 Der Limes Superior einer Folge ist der größte Häufungswert der Folge. Der Limes Inferior ist der kleinste Häufungswert der Folge. Lemma 2.6.6 Eine Folge konvergiert genau dann, wenn Limes Inferior und Limes Superior existieren und gleich sind. Beweis. Wir nehmen an, dass die Folge {xn }n2N , gegen den Grenzwert x konvergiert. Dann gilt 8✏ > 09N 8n N : |xn x| < ✏ bzw. 8✏ > 09N 8n N: x ✏ < xn < x + ✏. Wir zeigen, dass der Limes Superior der Folge gleich x ist. 8✏ > 09N 8n N: x 8✏ > 09N 8n ✏ sup{xk |k N : |x sup{xk |k Man zeigt genauso, dass der Limes Inferior gleich x ist. n} x + ✏ n}| ✏ 2.6. SUPREMUM UND INFIMUM 69 Wir nehmen nun an, dass Limes Inferior und Limes Superior der Folge {xn }n2N existieren und gleich sind. Wir bezeichnen den Limes Superior und Limes Inferior mit x0 . Dann gilt 8✏ > 09N 8n 8✏ > 09N 8n N : sup xk x0 < ✏ k n N : xn sup xk < ✏ + x0 k n Ebenso 8✏ > 09M 8n 8✏ > 09M 8n M : x0 M : xn inf xk < ✏ k n inf xk > k n ✏ + x0 Wir setzen Ñ = max{N, M }. Dann gilt 8✏ > 09Ñ 8n Ñ : x0 ✏ < xn < x0 + ✏. Somit 8✏ > 09Ñ 8n ⇤ Ñ : |x0 xn | < ✏. Beispiel 2.6.2 (i) xn = ( 1)n , n 2 N. Dann gelten lim sup xn = 1 und n!1 lim inf xn = n!1 1. (ii) xn = n, n 2 N. Dann existieren lim sup xn und n!1 lim inf xn n!1 nicht. (iii) xn = n + ( 1)n n, n 2 N. Dann gilt lim inf xn = 0 n!1 und lim sup xn existiert nicht. n!1 Lemma 2.6.7 Es seien {an }n2N und {bn }n2N beschränkte Folgen. Dann gilt lim sup(an + bn ) lim sup an + lim sup bn . n!1 n!1 n!1 Es seien {an }n2N und {bn }n2N beschränkte Folgen. Dann gilt lim inf (an + bn ) n!1 lim inf an + lim inf bn . n!1 n!1 Beweis. lim sup(an + bn ) = lim sup{ak + bk |n k} n!1 n!1 Weiter gilt sup{ak + bk |n k} sup{ak |n k} + sup{bk |n k} 70 CHAPTER 2. ZAHLEN Wir überlegen uns dies. Es seien ⇠ das Supremum von sup{ak |n k} und ⌘ das Supremum von sup{kk |n k}. Dann gelten für alle k mit n k ak ⇠ und Also gilt für alle k mit n k bk ⌘. ak + bk ⇠ + ⌘. 2 Beispiel 2.6.3 Für die Folgen an = 1 + ( 1)n , n 2 N und bn = 1 + ( 1)n+1 , n 2 N gilt 2 = lim sup(an + bn ) < lim sup an + lim sup bn = 4 n!1 n!1 n!1 Lemma 2.6.8 Seien {an }n2N und {bn }n2N nach oben beschränkte Folgen in [0, 1). Dann gilt lim sup(an bn ) lim sup an lim sup bn . n!1 n!1 n!1 Beweis. Es gilt für alle n 2 N (2.8) sup{ak bk |n k} sup{ak |n k} sup{bk |n k}. Wir weisen dies nach. Es gelten für alle j mit n j aj sup{ak |n k} und bj sup{bk |n k}. Da für alle j 2 N die Ungleichungen 0 aj und 0 bj gelten, folgt für alle j n aj bj sup{ak |n k} sup{bk |n k} Hiermit folgt (2.8). Weiter folgt lim sup{ak bk |n k} n!1 lim (sup{ak |n k} sup{bk |n k}) ⇣ ⌘⇣ ⌘ = lim sup{ak |n k} lim sup{bk |n k} . n!1 n!1 2 n!1 Beispiel 2.6.4 Wir betrachten die Folgen an = 1 + ( 1)n , n 2 N, und bn = 1 + ( 1)n+1 , n 2 N. Dann gilt (1 + ( 1)n ) · (1 + ( 1)n+1 ) = 0 und damit lim sup an bn = 0. n!1 Andererseits gilt (lim sup an )(lim sup bn ) = 1. n!1 n!1 2.7. REIHEN IN R 2.7 71 Reihen in R Wir stellen hier einige Kriterien zur Konvergenz von Reihen zusammen. Das Wurzelkriterium brauchen wir im Zusammenhang mit Potenzreihen. Definition 2.7.1 Es sei {xk }k2N eine Folge in R. Wir bezeichnen die von {xk }k2N erzeugte Folge n X sn = xk n2N k=1 als die unendliche Reihe von {xk }k2N . Wir bezeichnen sn als die n-te Partialsumme der Reihe. Die Reihe von {xk }k2N heißt konvergent, falls die Folge {sn }n2N konvergiert. Wir schreiben dann für den Grenzwert 1 X xk . k=1 Eine Folge konvergiert genau P dann in R, falls sie eine Cauchy-Folge ist. Für Reihen bedeutet dies: Eine Reihe 1 n=1 xn konvergiert genau dann, wenn zu jedem ✏ > 0 ein N✏ existiert, so dass für alle n, m N✏ , n < m, die Ungleichung m X xk < ✏ k=n gilt. P n Die Reihe 1 ist ein klassisches Beispiel. Man kann sich mit Hilfe der n=0 2 folgenden Anekdote überlegen, dass diese Reihe konvergiert und der Grenzwert 2 ist. Herkules und eine Schildkröte laufen um die Wette. Die Schildkröte erhält einen Vorsprung von 1 Kilometer. Herkules läuft doppelt so schnell wie die Schildkröte. O↵ensichtlich wird die Schildkröte bei Kilometer 2 von Herkules eingeholt. Andererseits hat die Schildkröte 1 + 12 Kilometer zurückgelegt, wenn Herkules 1 Kilometer gelaufen ist. Wenn Herkules 1 + 12 Kilometer gelaufen ist, dann ist die Schildkröte 1 + 12 + 14 Kilometer gelaufen. Dieses setzt sich entsprechend fort und man schließt, dass Herkules die Schildkröte P nieneinholt. Wenn die Schildkröte die Strecke 1 2 gelaufen ist, so ist auch Herkules n=0P n diese Strecke gelaufen und man sieht, dass 1 = 2. n=0 2 Beispiel 2.7.1 (Geometrische Reihe) Für alle x 2 R mit |x| < 1 gilt 1 X n=0 Diese Reihe heißt geometrische Reihe. xn = 1 1 x . 72 CHAPTER 2. ZAHLEN Lemma 2.7.1 Für alle x 2 R mit |x| < 1 und für alle n 2 N gilt n X xn+1 . 1 x 1 xk = k=0 Beweis. (1 x) n X xk = k=0 2 n X n X xk k=0 xk+1 = 1 xn+1 k=0 Beweis von Beispiel 2.7.1. Nach Lemma 2.7.1 gilt n X xk = 1 k=0 xn+1 . 1 x Nach Beispiel 2.4.9 gilt lim n!1 1 xn+1 1 = 1 x 1 x 1 1 lim xn+1 = x n!1 1 1 x . 2 Lemma 2.7.2 (Verdichtungskriterium von Cauchy) Es sei an ,P n 2 N, eine monoton fallende Folge positiver Zahlen. Dann konvergiert die Reihe 1 n=1 an genau dann, wenn 1 X 2k a2k k=1 konvergiert. Außerdem gilt 1 X k=0 k 2 a2k+1 1 X n=1 an 1 X 2k a2k , k=0 falls eine der beiden Reihen konvergiert. Man nennt dieses Lemma Verdichtungskriterium, weil in der zweiten Reihe sehr viel weniger Summanden der ersten Reihe auftreten. P Beweis. Die Reihe 1 n=1 an konvergiert genau dann, wenn es ein C gibt, so dass für alle N 2 N N X an C n=1 gilt. Dies gilt, weil die Folge der Partialsummen monoton wachsend und beschränkt P1 ist (Lemma 2.4.5). Dieselbe Aussage gilt für die Reihe k=0 2k a2k . Da die Folge monoton fallend ist, gelten für alle k = 0, 1, 2, . . . und alle n mit 2k n 2k+1 1 die Ungleichungen a2k+1 an a2k . Deshalb gilt für alle k = 0, 1, . . . 2k+1 X1 k 2 a2k+1 an 2k a2k . n=2k 2.7. REIHEN IN R 73 Hieraus folgt N X k=0 bzw. Falls P1 k=0 k+1 2 a2k+1 N X k=0 k k N 2X1 X k=0 n=2k k 2 a2k+1 +1 1 2NX n=1 an an N X 2k a2k k=0 N X 2k a2k . k=0 2 a2k konvergiert, dann folgt mit Lemma 2.4.5 1 X n=1 2 an 1 X 2k a2k . k=0 Beispiel 2.7.2 Die Reihe 1 X 1 n n=1 heißt harmonische Reihe. Sie konvergiert nicht. Die Reihe heißt harmonisch, weil die Wellenlängen der Obertöne einer schwingenden Saite jeweils 12 , 13 , 14 ... der Wellenlänge des Grundtons sind. Es wurde zuerst im 14.ten Jahrhundert von Nicole Oresme beobachtet, dass die harmonische Reihe divergiert. Dies geriet aber in Vergessenheit. Im 17.ten Jahrhundert wurde dies von Pietro Mengoli, Johann und Jacob Bernoulli bewiesen. Beweis. Wir erhalten das Ergebnis unmittelbar aus Lemma 2.7.2. Die Reihe 1 X k=0 2k 1 X 1 = 1 k 2 k=0 konvergiert nicht. Wir geben auch noch einen Beweis an, der nicht Lemma 2.7.2 benutzt. Wir zeigen, dass die Folge der Partialsummen n X 1 n2N k k=1 keine Cauchy-Folge ist, d.h. 9✏8N 9n, m Wir wählen ✏ = 1 4 N: n X 1 k ✏. k=m+1 und n = 2m. Dann gilt 2m X 1 1 1 1 >m = > = ✏. k 2m 2 4 k=m+1 2 Beispiel 2.7.3 Man stapelt Dominosteine übereinander und bildet einen halben Torbogen. Alle Steine werden durch die Schwerkraft im Gleichgewicht gehalten. Welche Strecke kann dieser halbe Torbogen maximal überspannen, ohne dass Steine aus dem Gleichgewicht geraten? Antwort: Der Torbogen kann eine beliebig große Strecke überspannen. 74 CHAPTER 2. ZAHLEN Beweis. Wir benutzen hier eine Formel der Physik. Der Schwerpunkt eines Objektes K wird mit g(K) bezeichnet. Das Gewicht von K bezeichnen wir mit G(K). Der gemeinsame Schwerpunkt von n Objekten K1 , . . . , Kn ist n X 1 G(Ki )g(Ki ). i=1 G(Ki ) i=1 Pn Wir nehmen an, dass das Gewicht eines Dominosteines 1 ist und seine Länge ebenfalls 1. Der Schwerpunkt hat 3 Koordinaten, uns interessiert hier aber nur die Koordinate parallel zur Erdoberfläche und in Richtung des Torbogens. Bei der Konstruktion des Torbogens können wir den obersten Stein so positionieren, dass sich der Mittelpunkt des obersten Steins direkt über dem Endpunkt des darunterliegenden Steins befindet. Entsprechend soll sich der gemeinsame Schwerpunkt der n obersten Steine direkt über dem Endpunkt des darunteliegenden Steins befinden. Wir berechnen nun die Länge der überspannten Strecke vom gemeinsamen Schwerpunkt aller Steine bis zum Endpunkt des obersten Steines. Wir werden zeigen, dass diese Länge für n Steine gleich ✓ ◆ 1 1 1 1 1 + + + ··· + 2 2 3 n ist. Wir zeigen dies durch Induktion. Der Induktionsanfang: Der oberste Stein kann zur Hälfte über den darunterliegenden Stein herausragen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Man gewinnt also 12 . Der gemeinsame Schwerpunkt der n obersten Steine liegt nach Induktionsannahme bei ✓ ◆ 1 1 1 1 1 + + + ··· + 2 2 3 n Das der n obersten Steine ist n. Der Schwerpunkt des n + 1-ten Steins liegt bei PnGewicht 1 1 . Der gemeinsame Schwerpunkt der n + 1 obersten Steine liegt bei k=1 k 2 !! n n n+1 1 nX1 1 1X1 1X1 + + = . n+1 2 k 2 2 k 2 k k=1 k=1 k=1 ⇤ Beispiel 2.7.4 Die Reihe 1 X 1 2 n n=1 konvergiert. Der Grenzwert liegt zwischen 1 und 2. Das Beispiel wird ausführlicher behandelt (Satz 2.4.3). Beweis. Die Reihe 1 X 2 k =2 k=0 konvergiert nach Beispiel 2.7.1. Nach Lemma 2.7.2 gilt 1 1 1 X X X 1 k 1 2 = 2 n2 22k n=1 k=0 k=0 Andererseits gilt 1 1 X 1 . n2 n=1 k = 2. 1 2 + 2.7. REIHEN IN R 75 Lemma 2.7.3 Es sei {xn }n2N eine Folge reeller Zahlen. Falls die Reihe konvergiert, dann gilt lim xn = 0. P1 n=1 xn n!1 Beweis. Die Folge ( n X xk k=1 ) n2N ist konvergent, also insbesondere eine Cauchy-Folge. Es gilt also n X 8✏ 9N 8n, m > N : xk < ✏. k=m+1 Insbesondere können wir n = m + 1 wählen. Damit erhalten wir 8✏ 9N 8m > N : |xm+1 | < ✏. 2 Lemma 2.7.4 Es seien r 2 R. Dann gelten (i) P1 n=1 1 X xn und xn + n=1 1 X n=1 P1 n=1 yn Reihen, die in R konvergieren, und 1 X yn = (xn + yn ) n=1 (ii) r 1 X xn = n=1 1 X rxn . n=1 Beweis. (i) 1 X xn + n=1 n=1 Mit Lemma 2.4.3 folgt 1 X xn + n=1 ⇤ 1 X 1 X n=1 yn = lim N !1 N X xn + lim N !1 n=1 N X yn n=1 N 1 X X yn = lim (xn + yn ) = (xn + yn ). N !1 n=1 n=1 Lemma 2.7.5 (Leibniz) Es sei {xn }n2N eine Folge positiver, reeller Zahlen, die monton fallend ist und gegen 0 konvergiert, d.h. lim xn = 0 n!1 und Dann konvergiert 1 X ( 1)n xn . n=1 xn xn+1 für n 2 N. 76 CHAPTER 2. ZAHLEN Beweis. Wir zeigen, dass (2n 1 ) X ( 1)k xk k=1 n2N eine monoton wachsende, beschränkte Folge ist und ( 2n ) X ( 1)k xk k=1 n2N eine monoton fallende, beschränkte Folge ist. Wir prüfen nach, dass die erste Folge monoton wachsend ist. Da x2k x2k+1 gilt, folgt für alle n = 0, 1, . . . 2n X1 k=1 k ( 1) xk 2n X1 k ( 1) xk + (x2k x2k+1 ) = k=1 2n+1 X ( 1)k xk . k=1 Genauso überprüft man, dass die zweite Folge monoton fallend ist. Außerdem gilt für alle n, m = 1, 2, . . . 2n 2m X1 X k ( 1) xk ( 1)k xk . k=1 k=1 Dazu wählen wir N = max{n, m}. Es gilt 2N X1 2N X ( 1) xk ( 1)k xk . k=1 k k=1 Da die eine Folge monoton wächst und die andere monoton fällt, gelten 2n X1 k=1 ( 1)k xk 2N X1 ( 1)k xk und k=1 2N 2m X X ( 1)k xk ( 1)k xk . k=1 k=1 Also gilt für alle n, m 2 N 2n X1 k=1 2m X ( 1) xk ( 1)k xk . k k=1 Hieraus folgt x1 2n X1 k=1 2m X ( 1) xk ( 1)k xk k x1 + x2 . k=1 Also sind beide Folgen beschränkt. Damit sind beide Folgen konvergent. Es bleibt zu zeigen, dass sie gegen denselben Grenzwert konvergieren. Mit Lemma 2.7.4 folgt 2n X lim ( 1)k xk n!1 k=1 lim n!1 2n X1 ( 1)k xk = lim x2n = 0. k=1 n!1 2.7. REIHEN IN R 77 Es sei s der Grenzwert der Folge der Partialsummen 2X̀ s2` = ( 1)k xk k=1 bzw. s2` 1 = 2` X1 ( 1)k xk . k=1 Dann gelten 8✏ > 09N✏1 8` N✏1 : |s s2` | < ✏ und 8✏ > 09N✏2 8` N✏2 : |s s2` 1 | < ✏. Hieraus folgt 8✏ > 09N✏ 8n N✏ : |s sn | < ✏. 2 Beispiel 2.7.5 Die Reihen 1 X ( 1)n n n=1 1 X ( 1)n p n n=1 und sind konvergent. Die erste Reihe heißt alternierende, harmonische Reihe. Man kann sogar ihren Grenzwert bestimmen, es gilt 1 X ( 1)n = ln 2. n n=1 Dies kann man aus der Taylorreihe des Logarithmus herleiten (Beispiel 5.16.1). Definition 2.7.2 Wir sagen, dass eine Reihe P1 n=1 |xn | konvergiert. P1 n=1 xn absolut konvergiert, falls Es gibt Reihen, die konvergieren und die nicht absolut konvergieren. Ein Beispiel dafür ist 1 X ( 1)n n n=1 Lemma 2.7.6 Falls eine reelle Reihe absolut konvergent ist, so ist sie auch konvergent. Beweis. Es sei P1 k=1 xk eine absolut konvergente Reihe. Wir zeigen, dass die Folge ( n )1 X xk k=1 n=1 78 CHAPTER 2. ZAHLEN eine Cauchy-Folge ist. Da die Reihe absolut konvergent ist, ist ( n )1 X |xk | k=1 n=1 eine Cauchy-Folge. Also n X 8✏ > 09N 8n, m > N : k=m+1 |xk | < ✏. Mit der Dreiecksungleichung folgt n X 8✏ > 09N 8n, m > N : xk < ✏. k=m+1 2 Beispiel 2.7.6 Es gibt eine Reihe in Q, die nicht in Q konvergiert, aber absolut in Q konvergiert. 1 n! Beweis. Wir betrachten die Folge x2n = + 1 2n 1 X und x2n+1 = 1 n! 1 2n . Dann gilt xk = e k=0 Aber für n 4 gilt n! 2n und somit | Deshalb 1 n! 1 X k=8 2 1 1 |= n 2n 2 |xk | = 1 n! 1 X 1 n 2 n=8 Lemma 2.7.7 (Majorantenkriterium) P Es seien {xn }n2N und {yn }n2N zwei Folgen nichtnegativer Zahlen. Es konvergiere 1 n=1 xn und für alle n 2 N gelte yn xn . Dann konvergiert auch 1 X yn . n=1 Beweis. Wir zeigen, dass eine Cauchy-Folge ist. Da P1 n=1 ( n X k=1 yk )1 n=1 xn konvergiert, gilt 8✏ > 09N 8n, m > N : n X k=m+1 xk < ✏. 2.7. REIHEN IN R 79 Wegen 0 folgt n X k=m+1 yk n X xk k=m+1 8✏ > 09N 8n, m > N : n X yk < ✏. k=m+1 2 Lemma 2.7.8 (Quotientenkriterium) Es seien 0 < ✓ < 1 und {xn }n2N eine Folge reeller Zahlen, so dass für alle n 2 N die Ungleichungen xn 6= 0 und xn+1 ✓ xn gelten. Dann konvergiert 1 X xn . n=1 Man beachte, dass die Zahl ✓ nicht von n abhängt. Siehe dazu das Beispiel 2.7.7. Man kann auch zeigen, dass die Ungleichung xxn+1 1, n 2 N, die Divergenz n impliziert. P Beweis. Wegen Lemma 2.7.6 reicht es zu zeigen, dass 1 n=1 |xn | konvergiert. Wir zeigen durch Induktion, dass für alle n 2 N |xn | |x1 |✓n 1 gilt. Es gilt |x2 | |x1 |✓. Wir führen nun den Induktionsschritt durch. Falls |xn | |x1 |✓n 1 , so folgt |xn+1 | |xn |✓ |x1 |✓n Damit istP{|x1 |✓n 1 }n2N eine Majorante von {|xn |}n2N . Wegen Beispiel P 2.7.1 kon1 n 1 vergiert n=1 |x1 |✓ und damit nach dem Majorantenkriterium auch 1 n=1 |xn |. 2 Beispiel 2.7.7 Man beachte, dass man das Quotientenkriterium nicht auf die Reihe wenden kann. Zwar gilt für alle n 2 N, dass 1 n+1 1 n = P1 1 n=1 n n <1 n+1 gilt, aber es gibt kein ✓ < 1, so dass für alle n 2 N n ✓ n+1 gilt. Ebenso kann man das Quotientenkriterium nicht auf die Reihe P1 1 n=1 n2 anwenden. an- 80 CHAPTER 2. ZAHLEN P Lemma 2.7.9 (Wurzelkriterium) Die Reihe 1 n=1 xn konvergiert absolut, falls der 1 Limes Superior der Folge {|xn | n }n2N existiert und 1 lim sup |xn | n < 1. n!1 1 Die Reihe divergiert, falls der Limes Superior der Folge {|xn | n }n2N nicht existiert oder falls er existiert und 1 lim sup |xn | n > 1 n!1 gilt. (Falls der Limes Superior gleich 1 ist, so können beide Fälle auftreten.) P n Das Wurzelkriterium ist eine Verallgemeinerung der Aussage, dass 1 n=1 q konvergiert, falls |q| < 1 gilt, und die Reihe divergiert, falls |q| > 1. Falls nämlich 1 |xn | < q n bzw. |xn | n < q gilt, so erhalten wir 1 X |xn | n=1 1 X n=1 q n < 1. Das Wurzelkriterium ist ein relativ grobes Kriterium, das in komplizierteren Fällen wie z.B. 1 X 1 n(ln n)2 n=2 versagt. Das Integralkriterium ist ein feineres Mittel. Für die Zwecke, die wir hier betrachten, reicht uns das Wurzelkriterium. Beweis. Wir betrachten den Fall ✓ ◆ 1 k lim sup |xn | = lim sup |xk | = c < 1. 1 n n!1 n!1 nk Dann gilt 8✏ > 0 9N 2 N 8n > N : Wir wählen nun ✏ = 1 (1 2 1 |c sup |xk | k | < ✏. k n c) und setzen q = c + ✏ = 9N 2 N 8n > N : |c 1+c 2 < 1. Es folgt 1 sup |xk | k | < ✏ = 12 (1 c). k n Hieraus folgt 9N 2 N 8n > N : Somit erhalten wir 1 sup |xk | k < c + 12 (1 c) = k n 1 9N 2 N 8n > N : |xn | n q und somit 9N 2 N 8n > N : |xn | q n . 1+c = q. 2 2.7. REIHEN IN R 81 P P n Also ist die Reihe 1 für die Reihe 1 n=1 q eine MajoranteP n=1 |xn |. Nach Beispiel 1 n 2.7.1 konvergiert die geometrische Reihe n=1 q . Es bleibt das Majorantenkriterium anzuwenden (Lemma 2.7.7). 1 Falls der Limes Superior der Folge {|xn | n }n2N nicht existiert, dann ist die Folge unbeschränkt und es gibt eine Teilfolge von {xn }n2N , die nicht gegen 0 konvergiert. Nach Lemma 2.7.3 divergiert die Reihe. 1 Wir betrachten nun den Fall, dass der Limes Superior der Folge {|xn | n }n2N existiert und dass 1 lim sup |xn | n = c > 1. n!1 Dann gilt 8✏ > 0 9N 2 N 8n > N : Wir wählen ✏ = 12 (c 1) und q = c c k n ✏ = 12 c + 9N 2 N 8n > N : 1 sup |xk | k < ✏. 1 2 > 1. Damit gilt 1 sup |xk | k < 12 (c c 1) k n und 9N 2 N 8n > N : 1 1 < q < sup |xk | k . k n Weiter folgt 1 9N 2 N 8n > N 9k > n : 1 < q |xk | k . Deshalb gibt es eine Teilfolge von xn , n 2 N, die nicht gegen 0 konvergiert. P1 Somit konvergiert die Folge xn , n 2 N, selbst nicht gegen 0 und die Reihe n=1 xn divergiert. 2 Joseph Ludwig Raabe (15.5.1801-22.1.1859) war schweizer Mathematiker. Lemma 2.7.10 (Raabe-Kriterium) (i) Es sei {an }n2N eine Folge strikt positiver, reeller Zahlen. Es gebe ein c > 1 und ein n0 2 N, so dass für alle n n0 (2.9) an+1 1 an c n gilt. Dann konvergiert die Reihe 1 X an . n=1 (ii) Es sei {an }n2N eine Folge strikt positiver, reeller Zahlen. Falls es ein n0 gibt, so dass für alle n n0 (2.10) gilt, dann divergiert die Reihe. an+1 an 1 1 n 82 CHAPTER 2. ZAHLEN Beweis. (i) Aus (2.9) folgt sofort, dass für all n n0 (2.11) nan+1 (c 1)an (n 1)an gilt. Da c > 1 gilt, so folgt 0 < (n 1)an nan+1 und damit (n 1)an < nan+1 . Also ist die Folge {nan+1 }1 n=n0 monoton fallend. Außerdem ist sie nach unten durch 0 beschränkt. Deshalb konvergiert die Folge {nan+1 }1 n=n0 . Wir bezeichnen den Grenzwert mit ↵. Wir zeigen nun, dass die Reihe 1 X (2.12) ((n 1)an nan+1 ) n=n0 kovergiert. Wir betrachten die Partialsummen sN = N X ((n 1)an nan+1 ) = (n0 1)an0 N aN +1 n=n0 Die letzte Gleichung gilt, weil die Partialsummen Teleskopsummen sind. Es folgt 1 X ((n 1)an nan+1 ) = lim sN = (n0 N !1 n=n0 1)an0 Wegen (2.11) ist die Reihe (2.12) eine Majorante für die Reihe (ii) Aus (2.10) folgt sofort für alle n n0 (n ↵. P1 n=n0 (c 1)an . 1)an nan+1 . Deshalb ist die Folge {nan+1 }1 n=n0 monoton wachsend und für alle n mit n n0 gilt n0 an0 +1 nan+1 und somit Die Reihe P1 1 n=1 n n0 an0 +1 an+1 . n konvergiert nicht, also konvergiert die Reihe Beispiel P1 1 2.7.8 Man kann mit dem Raabe-Kriterium nachweisen, dass n=1 n2 konvergiert. P1 n=1 P1 an nicht. 2 1 n=1 n divergiert und 2.7. REIHEN IN R 83 Beweis. Statt der Reihe P1 1 n=1 n 1 n 1 n = n 1 und 1 (n+1)2 1 n2 Für n = n2 =1 (n + 1)2 1 1 n =1 n P1 1 n=2 n 1 . betrachten wir die Reihe Es gelten 3 2n + 32 =1 (n + 1)2 2n + 1 1 (n + 1)2 3 2 n+1 . 5 gilt Also gilt für alle n 3 2 5 4 n+1 n . 5 1 (n+1)2 1 n2 5 4 1 n . Lemma 2.7.11 (Cauchy-Produkt) Es seien vergente Reihen. Dann konvergiert auch P1 2 1 n 1 X X (2.13) n=2 n=1 xk yn k=1 k P1 xn und n=1 ! yn zwei absolut kon- und es gilt (2.14) 1 X xn n=1 ! 1 X yn n=1 ! = 1 n 1 X X n=2 xk yn k=1 k ! . Dieser Satz gilt auch schon für den Fall, dass eine der Reihen absolut konvergiert und die andere konvergiert, also nicht notwendig absolut konvergiert. Diese Verallgemeinerung geht auf Mertens zurück. Den Ausdruck (2.13) bezeichnet man als Cauchy-Produkt. Man beachte, dass sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite der Gleichung (2.14) sämtliche Produkte xi yj , i, j 2 N aufsummiert werden. Sie sind auf den verschiedenen Seiten in verschiedener Reihenfolge P1 aufsummiert. P Wenn man Reihen n=0 xn und 1 n=0 yn betrachtet, dann nimmt die Gleichung (2.14) die Form ! 1 ! ! 1 1 n X X X X (2.15) xn yn = xk yn k n=0 n=0 n=o k=0 an. Mit Lemma 2.7.11 kann man die Gleichung ex+y = ex ey beweisen. Beweis. Wir zeigen, dass ( n ! n ! X X xk yk k=1 k=1 n k 1 X X k=2 `=1 x` yk ` !) n2N 84 CHAPTER 2. ZAHLEN eine Nullfolge ist. Es gilt n X xi i=1 n X = ! n X yk k=1 ! k=2 n k 1 X X xi yj i,j=1 k=2 n k 1 X X x` yk ` `=1 x` yk ` `=1 ! = ! n X xi yj (i,j)2I wobei I = {(i, j)|0 i, j n und n < i + j} P Die letzte Gleichung ergibt sich wie folgt. In der Summe ni,j=1 xi yj treten alle Produkte xi yj mit 1 i, j n auf. Von diesen müssen alle jene eliminiert werden, die in der zweiten Summe auftreten. Dies sind alle Produkte xi yj mit i + j = k und 1 k n. Es gilt n o n o n n I ✓ (i, j) 1 i n und j n [ (i, j) 1 j n und in . 2 2 n n Dies ist richtig, weil aus i + j n folgt, dass i oder j gilt. Hiermit folgt 2 2 weiter ! ! ! n n n k 1 X X X X xk yk x` yk ` k=1 = X (k,j)2I n X k=1 k=1 |xk yj | X 1kn n jn 2 k=2 `=1 |xk yj | + 1 !0 X |xk | @ |yj |A + n jn 2 X 1jn n kn 2 n X j=1 |xk yj | 1 !0 X |yj | @ |xk |A n kn 2 Da die beiden Reihen absolut konvergieren, folgt ! ! ! n n n k 1 X X X X xk yk x` yk ` k=1 k=1 k=2 0 1 `=1 1 ! !0 1 1 X X X X |xk | @ |yj |A + |yj | @ |xk |A n jn 2 k=1 n kn 2 j=1 Außerdem gibt es zu jedem ✏ ein N✏ , so dass für alle n, m N✏ n n X X |xk | < ✏ und |xk | < ✏ k=m+1 k=m+1 gelten. Also gibt es ein N✏ , so dass für alle n N✏ ! ! ! n n n k 1 X X X X xk yk x` yk ` k=1 1 X k=1 !k=1 |xk | ✏ + k=2 1 X j=1 ! |yj | ✏ `=1 2.7. REIHEN IN R 85 gilt. Also n X lim n!1 xk k=1 ! n X yk k=1 Hiermit folgt nun (2.14). 2 ! n k 1 X X k=2 x` yk `=1 ` !! = 0. Beispiel 2.7.9 Es sei ( 1)n xn = p n Dann konvergiert P1 n=1 n2N xn , aber das Cauchy-Produkt 1 X n X1 n=2 xk xn k k=1 ! divergiert. Beweis. Es gilt n X1 xk xn = k k=1 n X1 k=1 Für alle k mit 1 k n 1 gilt p p p k n k n p 1 n ( 1)n p p . k n k k p n p 1 n 1=n 1. Daher folgt n X1 xk xn k = k=1 n X1 k=1 1 p p k n n X1 k k=1 1 n 1 = 1. Nach Lemma 2.7.3 konvergieren die Summanden einer konvergenten Reihe gegen 0. Dies liegt hier nicht vor. 2 Beispiel 2.7.10 Es gelten 1 (1 x)2 = 1 X nxn 1 1 und x)3 (1 n=1 = 1 X (n + 1)(n + 2) n x . 2 n=0 Weiter gilt 1 X n2 . 2n n=1 Wir wollen hier das Cauchy-Produkt verwenden, um die Reihen zu berechnen. Man kann dies natürlich auch machen, indem man die Reihen di↵erenziert. Beweis. Es gilt nach Vorlesung 1 1 x = 1 X xn n=0 Es folgt 1 (1 x)2 = 1 X n=0 n x !2 86 CHAPTER 2. ZAHLEN Wir setzen ak = xk und bn k = xn n X k . Mit dem Cauchy-Produkt folgt ak bn k = k=0 n X xk xn k k=0 Weiter folgt 1 (1 Für x = 1 2 x)2 = 1 n X X n=0 ak bn Also k=0 = 1 X (n + 1)xn n=0 1 1 1 X X X n+1 n+1 n = 4 = 4 n n+2 n+1 2 2 2 n=0 n=0 n=1 (2.16) 1= 1 X k (k + 1)x k=0 ! 1 X k x k=0 ! = = 1 X n . n+1 2 n=1 1 X n X ((k + 1)xk xn n=0 k=0 1 n X X n x n=0 1 2 k ! ergibt sich 4= Für x = = (n + 1)xn (k + 1) = k=0 k ) 1 X (n + 1)(n + 2) n x 2 n=0 folgt 8 = = = 1 (1 1 3 2) = 1 1 X (n + 1)(n + 2) X n2 + 3n + 2 = 2n+1 2n+1 n=0 n=0 1 1 1 X X X n2 3n 2 + + n+1 n+1 n+1 2 2 2 n=0 n=0 n=0 1 X n2 +3+2 n+1 2 n=0 Es folgt Es folgt weiter 2 1 X n2 = 3. 2n+1 n=0 1 X n2 = 6. 2n n=0 Wir haben bereits in Beispiel 1.5.1 gezeigt, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. Das P folgende Beispiel liefert einen weiteren Beweis hierfür. Wir nutzen dabei 1 aus, dass 1 n=1 n divergiert. Beispiel 2.7.11 Es gibt unendlich viele Primzahlen Beweis. Es gibt P1verschiedene Beweise, wir stellen hier einen Beweis von [96] dar, der benutzt, dass die Reihe n=1 n1 nicht konvergiert. 2.8. BEDINGT KONVERGENTE REIHEN - SATZ VON RIEMANN 87 Wir nehmen an, dass es nur endlich viele Primzahlen p1 , . . . , pk gibt. Dann gibt es zu jedem n 2 N natürliche Zahlen `1 , . . . , `k mit n = p`11 · · · p`kk Somit folgt 1 1 X X 1 = n m=1 n=1 Da 2 pi Damit würde P1 1 n=1 n 1 1 X X 1 n m=1 n=1 X 1 `1 p · · · p`kk `1 +···+`k =m 1 X `1 +···+`k =m 1 X 1 mk = <1 2m m=1 2m konvergieren, was nicht richtig ist. 2 Beispiel 2.7.12 [65] p X Primzahl 1 =1 p Aus diesem Ergebnis folgt auch, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. Wir werden dieses Beispiel später behandeln, wenn wir die notwendigen Hilfsmittel wie Logarithmus und Integral bereit gestellt haben (Beispiel 3.6.4). 2.8 Bedingt konvergente Reihen - Satz von Riemann In diesem Abschnitt geht es darum, den Umordnungssatz von Riemann zu beweisen. Eine Permutation von N ist eine bijektive Abbildung von N auf sich. P Satz 2.8.1 (Riemann) Es sei n2N xn eine konvergente Reihe, die nicht absolut konvergiert. Dann existiert für jedes x 2 R eine Permutation ⇡, so dass X x= x⇡(n) . n2N Definition 2.8.1 Wir sagen, dass eine Reihe für jede Permutation ⇡ von N die Reihe 1 X n=1 konvergiert. x⇡(n) P1 n=1 xn unbedingt konvergiert, falls 88 CHAPTER 2. ZAHLEN P Lemma 2.8.1 Es sei n2N xn eine konvergente, aber nicht absolut konvergente Reihe. {pk }k2N sei die Folge natürlicher Zahlen, so dass xpk die k-te nichtnegative Zahl der Folge {xn }n2N ist. Entsprechend seien {nk }k2N die Indices der negativen Folgenglieder: xnk ist die k-te negative Zahl. Dann divergieren die Reihen X X xnk und xpk . k2N k2N Beweis. Wir zeigen, dass die Reihe absolut konvergiert, falls eine der beiden Reihen P P x und x konvergiert. Dazu überlegt man sich zunächst, dass beide k k k2N nP k2N pP ReihenP k2N xnk und k2N xpk konvergieren, wenn nur eine konvergiert, weil die Reihe n2N xn konvergiert. P P Wir können also annehmen, dass beide Reihen k2N xnk und k2N xpk konvergieren. Nun betrachten wir die Reihen X X x0n und x00n , n2N die durch x0n = ⇢ n2N xn xn 0 0 xn < 0 x00n = ⇢ xn xn < 0 0 x 0 gegeben sind. Falls diese beiden Reihen konvergieren, dann konvergiert auch X X X X xn = x0n x00n = |xn |. n2N P n2N n2N n2N P P P Wir zeigen nun, dass n2N x0n und n2N x00n konvergieren, falls k2N xnk und k2N xpk Pm 0 konvergieren. Die Folge der Partialsummen n=1 xn , m 2 N, ist monoton wachsend und es gilt für alle m 2 N m X X x0n xpk . n=1 k2N Damit ist diePFolge der Partialsummen auch beschränkt und somit konvergent. Also P konvergiert n2N x0n . Für n2N x00n wird der Beweis genauso geführt. 2 Lemma 2.8.2 Eine Reihe ist genau dann unbedingt konvergent, wenn sie absolut konvergent ist. P Falls eine Reihe 1 n=1 xn unbedingt konvergiert, dann gilt für alle Permutationen ⇡ 1 1 X X xn = x⇡(n) . n=1 n=1 Beweis. Wir nehmen an, dass die Reihe absolut konvergiert, also 8✏ > 09N 8n, m > N : n X k=m |xk | < ✏. 2.8. BEDINGT KONVERGENTE REIHEN - SATZ VON RIEMANN 89 Wir wählen nun N 0 so groß, dass {k|1 k N } ✓ {⇡(k)|1 k N 0 }. Dann folgt 8✏ > 09N 0 8n, m > N 0 : n X k=m x⇡(k) n X k=m |x⇡(k) | < ✏. Also konvergiert die Reihe unbedingt. Wir zeigen nun, dass die Reihe nicht unbedingt konvergiert, wenn sie nicht absolut konvergiert. Falls die Reihe nicht dann divergieren nach P absolut konvergiert, P Lemma 2.8.1 die beiden Teilreihen k2N xnk und k2N xpk . Wir wählen mj 2 N mit 1 = m1 < m2 < · · · und mj+1 1 X xpi 1. i=mj Für j = 1, 2, 3, . . . wählen wir ⇡(mj +j (2.17) 1) = nj und für i = mj +j, . . . , mj+1 +j 1 ⇡(i) = pi j . Wir überzeugen uns davon, dass ⇡ eine Permutation ist. Wir zeigen, dass ⇡ surjektiv ist. Dazu beachten wir, dass N = {nk |k 2 N}[{pk |k 2 N}. Wegen ⇡(mj +j 1) = nj für j 2 N werden alle Elemente in {nk |k 2 N} getro↵en. Wegen (2.17) werden für festes j die Indices pmj , . . . , pmj+1 1 getro↵en. Dann gilt mj+1 +j 1 mj+1 +j 1 mj+1 1 X X X x⇡(i) = xpi j = xpi 1. i=mj +j i=mj +j P i=mj Somit konvergiert die Reihe n2N x⇡(n) nicht. Wir zeigen nun, dass für alle Permutationen ⇡ 1 X xn = n=1 1 X x⇡(n) n=1 P gilt. Wir ⇡ die Reihe 1 n=1 x⇡(n) absolut konvergiert, P1überlegen uns, dass für alleP 1 wenn x absolut konvergiert. x konvergiert genau dann absolut, n=1 n n=1 P1⇡(n) wenn für alle Permutationen die Reihe n=1 x ⇡(n) konvergiert. Dies gilt aber, weil ⇡ eine Permutation ist. Wir zeigen, dass 1 X (xn x⇡(n) ) = 0 n=1 gilt. Für alle ✏ > 0 existiert ein N , so dass für alle k 1 X n=k |xn | < ✏ N 90 CHAPTER 2. ZAHLEN gilt. Nun wählen wir N 0 so groß, dass {1, . . . , N } ✓ {⇡(1), . . . , ⇡(N 0 )}. 0 N X (xn 0 x⇡(n) ) = n=1 n=N +1 |xn | + X X xn x⇡(n) {n|1nN 0 ,⇡(n)>N } n=N +1 0 N X N X {n|1nN 0 ,⇡(n)>N } |x⇡(n) | 1 X n=N +1 |xn | + 1 X n=N +1 |xn | 2✏. 2 Beweis von Satz 2.8.1. Wir betrachten zuerst den Fall, dass x Lemma 2.8.1. Wir wählen m1 , so dass m 1 1 X k=1 xpk x < m1 X 0. Wir benutzen xpk . k=1 Entsprechend sind die ersten m1 Indices unserer Folge p1 , . . . , pm1 . Nun wählen wir `1 , so dass m1 `1 m1 `1 X X X X xpk + xnk < x xpk + xnk 1 . k=1 k=1 k=1 k=1 Die nächsten Indices `1 unserer Folge sind n1 , . . . , n`1 2 2.9 Das Problem von Basel (Euler und die Springbrunnen von Sanssouci [31]) Pietro Mengoli (1625-1686) stellte das Problem im Jahr 1644, den Grenzwert der Reihe 1 X 1 n2 n=1 zu finden. Das Problem wurde bekannt, als Jakob Bernoulli im Jahr 1689 darüber berichtete. Es stellte sich heraus, dass es ein sehr schwieriges Problem ist. Bis in die 1730er Jahre hatten die besten Mathematiker der Zeit versucht, es zu lösen. Euler hat zunächst den Grenzwert der Reihe auf 6 Stellen hinter dem Komma genau berechnet. Später war erin der Lage, die Zahl auf 17 Stellen genau zu berechnen. Da Euler sehr gut rechnen konnte, vermutet man, dass er erkannt hat, dass die 2 Zahl ⇡6 sein sollte. Im Jahr 1735 fand er einen Beweis dafür. Satz 2.9.1 [36] 1 X 1 ⇡2 = n2 6 n=1 2.10. P-ADISCHE ENTWICKLUNGEN REELLER ZAHLEN 91 Beweise hierfür findet man in [19], [21], [55], [49], [59], [90] [108], [113] und [37], p.87. Man kann dieses Ergebnis mit Hilfe des Residuenkalküls beweisen. Jakob Bernoulli (1654- 1705) leitete im Jahr 1689 die Aufmerksamkeit auf dieses Problem. Leibniz behauptete bei einem Besuch in London, dass er den Grenzwert jeder Reihe berechnen könne. Daraufhin zeigte man ihm diese Reihe und er konnte den Grenzwert nicht berechnen. Euler löste das Problem im Jahr 1735 [Dun]. Eulers Methode funktioniert für geradzahlige Exponenten. So lässt sich zeigen, dass 1 X 1 ⇡4 = n4 90 n=1 Der Grenzwert der Reihe und 1 X 1 ⇡6 = . n6 945 n=1 1 X 1 n3 n=1 ist nicht bekannt. 1978 zeigte Roger Apéry, dass der Grenzwert eine irrationale Zahl ist [29]. 2.10 p-adische Entwicklungen reeller Zahlen Unter der Dezimalbruchdarstellung einer reellen Zahl versteht man eine Folge von natürlichen Zahlen zwischen 0 und 9, z.B. 154, 14879... Diese Folge kann abbrechen. Wir wollen hier eine Definition für diese Dezimalbruchdarstellung geben. Die Dezimalbruchdarstellung entspricht der unendlichen Reihe 1 4 8 1 · 100 + 5 · 10 + 4 + + + + ··· 10 100 1000 Allgemein entspricht der Zahl nk nk+1 . . . n0 , n1 n2 n3 . . . die Reihe 1 X ni 10i i=k wobei k 2 Z gilt. k kann also durchaus negative Werte annehmen, wie dies bei dem Beispiel der Fall ist. Zunächst ist nicht klar, dass jede reelle Zahl eine Dezimalbruchdarstellung besitzt. Das wird in diesem Abschnitt bewiesen. Wir beschränken uns allerdings nicht nur auf Dezimalbruchdarstellungen, sondern wir behandeln hier allgemeine p-adische Darstellungen. 92 CHAPTER 2. ZAHLEN Satz 2.10.1 Es sei p 2 N mit p 2 und k 2 Z. {xn }1 n=k sei eine Folge von natürlichen Zahlen zwischen 0 und p 1. Dann konvergiert 1 X xn n=k pn in R. Umgekehrt gibt es für jede reelle, positive Zahl x eine solche Folge {xn }1 n=k , so dass 1 X xn x= pn n=k Beweis. Nach Beispiel 2.7.1 wissen wir, dass 8✏ > 09N 8n, m Somit folgt wegen x` < p für alle n, m n X x` `=k p` m X x` `=k p` = Damit ist n X N: p `+1 <✏ `=m+1 N n n n X X X x` x` 1 = < <✏ ` ` ` 1 p p p `=m+1 `=m+1 `=m+1 ( n ) X x` `=k p` n2N eine Cauchy-Folge und konvergent. Wir zeigen nun, dass jede positive, reelle Zahl eine solche Darstellung besitzt. Mit [x] bezeichnen wir die größte ganze Zahl, die kleiner oder gleich x ist. Falls x = 0, dann können wir als Darstellung die Nullfolge wählen. Wir nehmen nun an, dass 0 < x gilt. Wir bestimmen k 2 Z, so dass 1 1 x< k 1 k p p gilt und setzen xk = [xpk ] Restk (x) = x xk pk Eine solche Zahl k existiert: Da die Folge p1j , j 2 N, gegen 0 konvergiert, gibt es ein j mit p1j x. Nun nehmen wir als k das Minimum von allen Zahlen j 2 Z mit 1 x. pj Weiter setzen wir für n = k, k + 1, . . . xn+1 = [Restn (x)pn+1 ] Restn+1 (x) = Restn (x) xn+1 pn+1 2.10. P-ADISCHE ENTWICKLUNGEN REELLER ZAHLEN Wir stellen fest, dass xn 2 {0, 1, . . . , p 93 1} und 0 Restn (x) < 1 . pn Wir zeigen dies für n = k. Es gilt Da 0 xpk [xpk ] 1 = k xpk k p p xk =x pk Restk (x) = x [xpk ] . [xpk ] < 1, folgt 0 Restk (x) < 1 . pk Nun für n > k. Es gilt = Da 0 Restn (x)pn+1 1 Restn (x)pn+1 pn+1 [Restn (x)pn+1 ] pn+1 xn+1 = Restn (x) pn+1 Restn+1 (x) = Restn (x) [Restn (x)pn+1 ] . [Restn (x)pn+1 ] < 1, folgt 0 Restn+1 (x) < Wir zeigen nun, dass für alle n 2 Z mit n x= n X x` `=k p` 1 pn+1 . k + Restn (x). Es gilt xk + Restk (x). pk Wir führen nun den Induktionsschritt durch. x= x= n X x` `=k p` + Restn (x) = n X x` `=k p` + xn+1 + Restn+1 (x) pn+1 Hieraus folgt nun x n X x` `=k 2 p` = |Restn (x)| < 1 . pn Für p = 10 ist die unendliche Summe gerade die Dezimalbruchdarstellung von x. Für p = 2 erhält man die dyadische Darstellung. Man beachte, dass diese Darstellungen nicht eindeutig sind. 1 X p n=0 1 pn = (p 1 X 1 1) = (p pn n=0 1) 1 1 1 p =p 94 CHAPTER 2. ZAHLEN Wir erhalten z.B. für p = 10, dass 9, 999 · · · = 10, und für p = 2, dass 1, 111 · · · = 10. 2 in der dyadischen Darstellung geschrieben ist 10. Allgemeiner lässt sich sagen, dass sich eine reelle Zahl durch genau eine p-adischen Entwicklung darstellen lässt, bei der nicht fast alle Zi↵ern gleich p 1 sind. ”Fast alle” bedeutet ”bis auf endlich viele”. Bemerkung 2.10.1 (i) Jede reelle Zahl lässt sich durch genau einen p-adischen Bruch darstellen, bei dem nicht fast alle Zi↵ern gleich p 1 sind. (ii) Eine reelle Zahl ist genau dann rational, wenn ihre p-adische Entwicklung periodisch ist, d.h. es gibt ein m 2 N und ein `0 2 N, so dass für alle ` `0 xm+` = x` gilt. Beispiel hierfür sind die folgenden Dezimalbruchdarstellungen: 13 = .3, 16 = .16, 1 = .142857. Der Strich über den Zi↵ern legt die Periode fest. 7 Wenn eine reelle Zahl in der Dezimalbruchdarstellung gegeben ist und die Dezimalbruchdarstellung ist periodisch, dann kann man auf die folgende Weise die rationale Zahl finden, die dargestellt wird. Wir benutzen dazu, dass 1 1 1 0.1 = 0.01 = 0.001 = u.s.w. 9 99 999 Für 0.5 und 0.736 erhalten wir dann 5 736 0.5 = 5 ⇥ 0.1 = 0.736 = 736 ⇥ 0.001 = . 9 999 Beweis. (i) Wir überlegen uns zuerst, dass es eine solche Darstellung gibt. Wir können eine Darstellung, bei der fast alle Koeffizienten gleich p 1, in eine Darstellung verwandeln, bei der fast alle Koeffizienten 0 sind. Wir nehmen dazu an, es gäbe eine reelle Zahl x, die sich durch zwei verschiedene p-adische Brüche darstellen lässt, deren Koeffizienten nicht bis auf endlich viele gleich p 1 sind. Es seien also 1 1 X X v` w` x= und x = . ` ` p p `=k `=k Es sei `0 die kleinste Zahl, so dass v`0 6= w`0 . Wir können annehmen, dass v`0 > w`0 . Dann gilt `X 1 1 0 1 X X w` w` w`0 w` x= = + `0 + ` ` p p p p` `=k `=k `=` +1 0 Nach Voraussetzung gibt es ein ` > `0 mit w` < p x < `X 0 1 `=k = `X 0 1 `=k 1. Deshalb folgt `0 1 1 X w` w`0 p 1 X w` w`0 1 + `0 + = + `0 + `0 ` ` ` p p p p p p `=` +1 `=k 0 1 w` w`0 + 1 X v` + = x. p` p`0 p` `=k 2.10. P-ADISCHE ENTWICKLUNGEN REELLER ZAHLEN 95 Dies ist ein Widerspruch. (ii) Wir überprüfen nun,S dass x rational ist, falls die p-adische Entwicklung von x periodisch ist. Weil N0 = 1 1}, gilt j=0 {jm, jm + 1, . . . , (j + 1)m x= 1 X x` `=k p` = `X 0 1 `=k `X 1 1 (j+1)m 0 1 x` X x` x` X X + = + p` `=` p` p` j=0 `=jm `=k 1 x`0 +` . p`0 +` 0 Hieraus folgt x= `X 0 1 `=k `X 1 m 1 m 1 1 0 1 x` X X x`0 +jm+` x` X X x`0 +jm+` + = + . ` `0 +jm+` p` j=0 `=0 p`0 +jm+` p p `=k `=0 j=0 Weil die p-adische Entwicklung periodisch mit der Periode m für ` wir x = `X 0 1 `=k = `X 0 1 `=k `0 ist, erhalten m 1 1 x` X X x`0 +` + p` p`0 +jm+` `=0 j=0 `X m 1 1 m 0 1 x` X x`0 +` X 1 x` X x`0 +` pm + = + . p` p`0 +` j=0 pjm p` `=1 p`0 +` pm 1 `=0 `=k Der letzte Ausdruck ist eine endliche Summe rationaler Zahlen, also wiederum eine rationale Zahl. Umgekehrt, falls x rational ist, dann ist die p-adische Entwicklung periodisch: Dies gilt, weil als Rest bei der Division nur endlich viele verschiedene Zahlen auftreten können. 2 Beispiel 2.10.1 Die folgende Zahl ist in Dezimalbruchdarstellung. 0, n1 n2 n3 . . . wobei ni = 1 gilt, wenn i eine Quadratzahl ist, für alle anderen i gilt ni = 0. Diese Zahl ist irrational. Beweis. Diese Zahl ist nicht rational, weil ihre Dezimalbruchentwicklung nicht periodisch ist. Wir weisen nach, dass sie nicht periodisch ist. Dazu nehmen wir an, dass sie periodisch ist. Also gibt es ein m 2 N und ein `0 , so dass für alle ` `0 n` = n`+m gilt. Zu `0 gibt es eine Quadratzahl j mit j `0 und m2 < j. Es folgt nj = nj+m = 1 und damit, dass j + m eine Quadratzahl ist. Es gibt also ein k 2 N mit k2 = j und (k + 1)2 j + m. Es folgt k2 + 2k + 1 j + m. Wegen k2 = j und wegen m2 < j Wegen k2 = j 2k + 1 m 4k2 + 4k + 1 m2 < j. 3j + 4k + 1 < 0. Das kann nicht sein. Also ist j + m keine Quadratzahl. 2 96 CHAPTER 2. ZAHLEN Satz 2.10.2 card(R) = card(P(N)) Insbesondere gilt card(Q) < card(R). Lemma 2.10.1 Die reellen Zahlen R und das Intervall (0, 1) = {x 2 R|0 < x < 1} haben dieselbe Mächtigkeit. Beweis. Wir zeigen zuerst, dass das Intervall ( 1, 1) = {x 2 R||x| < 1} und R dieselbe Mächtigkeit haben. Die Abbildung f : ( 1, 1) ! R mit 8 x < 1+x x 2 ( 1, 0] f (x) = : x x 2 (0, 1) 1 x ist bijektiv. Wir überlegen uns, dass die Abbildung surjektiv ist. Wir zeigen, dass es für alle y > 0 ein x 2 (0, 1) mit y = 1 x x gibt. In der Tat, diese Gleichung ist äquivalent zu y x = 1+y . Ebenso verfahren wir für y < 0. Nun zeigen wir, dass ( 1, 1) und (0, 1) dieselbe Mächtigkeit haben. Die Abbildung g : ( 1, 1) ! (0, 1) mit x+1 g(x) = 2 ist bijektiv. 2 Beweis von Satz 2.10.2. Wir zeigen zuerst, dass card(R) card(P(N)). Nach Lemma 1.7.1 reicht es dazu zu zeigen, dass es eine injektive Abbildung von P(N) nach R gibt. Es sei I : P(N) ! {{xi }i2N |xi 2 {0, 1}} durch ( 1 falls i 2 M I(M ) = {xi }i2N mit xi = 0 falls i 2 /M O↵ensichtlich ist I eine bijektive Abbildung. Nun betrachten wir die Abbildung J : {{xi }i2N |xi 2 {0, 1}} ! R, die durch 1 X xi J({xi }i2N ) = 10i i=1 gegeben ist. Nach Bemerkung 2.10.1 ist die Abbildung J injektiv, weil hier kein Dezimalbruch auftritt, in dem fast alle Koeffizienten gleich 9 sind. Die Zahl 9 tritt überhaupt nicht auf, es treten nur 0 und 1 auf. J ist natürlich nicht surjektiv, dies ist für das Argument unerheblich. Die Abbildung J I ist injektiv, also gilt card(P(N)) card(R). 2.10. P-ADISCHE ENTWICKLUNGEN REELLER ZAHLEN 97 Wir zeigen die Umkehrung. Nach Lemma 2.10.1 haben (0, 1) und R dieselbe Mächtigkeit. Wir zeigen card((0, 1)) card(P(N)). Nach Lemma 1.7.1 reicht es zu zeigen, dass es eine injektive Abbildung von (0, 1) nach P(N). Wir definieren h : (0, 1) ! P(N) auf die folgende Weise. Es sei x 2 (0, 1). Dann hat x genau eine dyadische Darstellung, in der nicht fast alle Koeffizienten gleich 1 sind x= 1 X xn n=1 2n . Wir setzen h(x) = {n 2 N|xn = 1}. Die Abbildung h ist injektiv. 2 Korollar 2.10.1 Zwischen je zwei reellen, verschiedenen Zahlen gibt es sowohl eine rationale als auch eine irrationale Zahl, d.h. für alle reellen Zahlen x und y mit x < y gibt es eine rationale Zahl q mit x < q < y und eine irrationale Zahl w mit x < w < y. Die Aussage dieses Korollars mag dazu verleiten anzunehmen, dass es genauso viele rationale Zahlen wie irrationale Zahlen gibt, bzw. etwas formaler, dass die Menge der rationalen Zahlen und die der irrationalen Zahlen dieselbe Mächtigkeit besitzen. Dies ist nach Satz 2.10.2 falsch. Tatsächlich ist die Mächtigkeit der rationalen Zahlen gleich der von den natürlichen Zahlen und die der irrationalen Zahlen gleich der der reellen Zahlen. Die Menge der rationalen Zahlen ist also abzählbar und die der irrationalen Zahlen überabzählbar. Es gibt sehr viel mehr irrationale Zahlen als rationale. Beweis. Wir zeigen, dass zwischen zwei reellen Zahlen x und y mit x < y immer eine rationale Zahl liegt. Dabei können wir annehmen, dass 0 x < y. Falls nämlich x < 0, dann gibt es ein n 2 N mit x + n > 0 und wir betrachten die Zahlen x + n < y + n. Man beachte, dass x + n genau dann rational ist, wenn x rational ist. Dasselbe gilt für y. Falls beide Zahlen rational sind, dann wählen wir x+y . Falls x rational ist und y 2 irrational, dann gibt es ein n 2 N mit x+ n1 < y und wir wählen x+ n1 . Entsprechend falls x irrational und y rational. Wir nehmen nun an, dass beide Zahlen irrational sind. Wir betrachten die Dezimalbruchentwicklungen von x und y. Also x= 1 X xk 10k k=` und y= 1 X yk , k 10 k=m wobei `, m 2 Z und xk , yk 2 {0, 1, . . . , 9}. Außerdem nehmen wir an, dass in den Dezimalbruchdarstellungen nicht fast alle Zahlen gleich 9 sind und dass x` 6= 0 und ym 6= 0. 98 CHAPTER 2. ZAHLEN ym Der erste Fall ist m < `. Dann wählen wir z = 10 m und es gilt x < z < y und z ist rational. Wir weisen dies nach. O↵ensichtlich gilt 1 X ym yk z= m . 10 10k k=m Andererseits gilt 1 1 1 X X xk 1 9 X 1 9 1 1 x= 9 = ` = ` 1 = k k k 10 10 10 k=0 10 10 1 10 10` k=` k=` 1 1 = z. 10m Also gilt x z y. Da x und y irrational sind und z rational, folgt weiter x < z < y. Der zweite Fall ist m > `. Dies kann nicht eintreten, weil in diesem Fall y x gilt, was falsch ist. Man zeigt dies mit einer ähnlichen Rechnung wie beim ersten Fall. Der dritte Fall ist m = `. Dazu zeigt man zunächst, dass für alle k mit ` k xk yk gilt. Nun wählen wir als `0 die kleinste Zahl, so dass x`0 < y`0 und z= `0 X yk 10k k=m Dann ist z rational und x z y. Dies wird wie im ersten Fall gezeigt. Da x und y irrational und z rational, so folgt x < z < y. Wir zeigen nun, dass zwischen zwei reellen Zahlen x und y mit x < y eine irrationale Zahl liegt. p Wir betrachten den Fall, dass sowohl x als auch y rational sind. Die Zahl 2 ist irrational und somit sind für alle n 2 N p 2 x+ n irrational. Wegen gibt es ein n0 mit p 2 lim =0 n!1 n p 2 x<x+ < y. n0 Falls eine der Zahlen x und y rational sind, dann finden wir nach dem ersten Teil eine rationale Zahl q mit x < q < y. Falls x rational ist, dann finden wir nach obiger Überlegung eine irrationale zwischen x und q. Genauso im Fall, dass y rational ist. Falls beide Zahlen x und y irrational sind, dann finden wir zunächst eine rationale Zahl q mit x < q < y und verfahren, wie bereits dargelegt. 2 2.11. KETTENBRÜCHE 99 Beispiel 2.10.2 Die Mengen R und R \ Q haben dieselbe Mächtigkeit. Beweis. Da R \ Q ✓ R, so gilt card(R \ Q) card(R). Wir geben nun eine injektive Abbildung von R nach R \ Q an. Wir wissen, dass (0, 1) dieselbe Mächtigkeit wie R besitzt. Also gibt es eine bijektive Abbildung g von R nach (0, 1). Wir definieren f : (0, 1) ! R \ Q durch ⇢ xp x 2 (0, 1) \ Q f (x) = x+ 2 (0, 1) \ Q f ist injektiv und bildet in die irrationalen Zahlen ab. Damit ist f von R nach R \ Q. 2 2.11 g eine injektive Abbildung Kettenbrüche Es sei x1 eine ganze Zahl und x2 , x3 , . . . seien positive, ganze Zahlen. Dann bezeichnen wir die Folge 1 x1 + 1 x2 + 1 x3 + ... + x1n als Kettenbruch. Dies führt auf eine weitere Darstellung der reellen Zahlen durch natürliche Zahlen. Häufig wird der Begri↵ eines Kettenbruches etwas allgemeiner gefasst, man lässt nicht nur positive, ganze Zahlen zu. Der holländische Astronom und Physiker Christian Huygens hat Kettenbrüche dazu benutzt reelle Zahlen durch rationale Zahlen möglichst gut zu approximieren. Er hat ca. 1680 ein Modell des Sonnensystems gebaut, das durch Zahnräder angetrieben 35 wurde. Er legte zu Grunde, dass das Jahr aus 365 144 Tagen besteht und berechnete die Umlaufperioden der Planeten bezogen auf ein Erdjahr: Merkur 25335 105190 Venus 64725 105190 Erde Mars 197836 105190 1 Jupiter 1247057 105190 Saturn 3095277 105190 Er entwickelte diese Zahlen in Kettenbrüche und benutzte diese dann, um die Zahnradverhältnisse zu bestimmen. Lemma 2.11.1 Es seien x1 eine ganze Zahl und xn , n es seien p 1 = 0, p0 = 1, q 1 = 1, q0 = 0 und pn = xn pn qn = xn qn + pn + qn 1 1 2 2 2, natürliche Zahlen und n2N 100 CHAPTER 2. ZAHLEN Dann gelten für alle n 2 N und alle (2.18) 1 cn = x1 + 1 x2 + 1 x3 + dass (i) cn = ... + x1n pn qn (ii) pn+1 qn pn+2 qn = ( 1)n+1 = xn+2 ( 1)n+1 pn qn+1 pn qn+2 (iii) cn+1 cn = ( 1)n+1 qn+1 qn und cn+2 cn = xn+2 ( 1)n+1 qn+2 qn (iv) c1 < c3 < · · · < c2n 1 < c2n < c2n 2 (v) Die Folge {cn }n2N konvergiert. < · · · < c4 < c2 Die Zahlen qn sind für n 1 positiv, die Zahlen pn können jedoch negativ sein. Wenn auch x1 positiv ist, dann sind auch die pn positiv. Beweis. Wir benutzen vollständige Induktion. (i) Wir zeigen hier, dass die Behauptung nicht nur für positive, ganze Zahlen xn , n 2, sondern für positive, reelle Zahlen gilt. (Der Induktionsschritt verlangt auch, dass wir den Beweis für den allgemeineren Fall führen.) Es gilt c1 = x1 p1 = x1 p0 + p 1 = a1 q1 = x1 q0 + q =1 1 Also gilt p1 q1 Wir nehmen an, dass die Aussage für n richtig ist. Wir wenden dies auf die Folge 8 k = 1, . . . , n 1 < xk x̃k = 1 : xn + k=n xn+1 c1 = an. Es seien p̃k und q̃k die zu x̃ gehörigen Koeffizienten. Dann gilt für k = 1, . . . , n 1, dass p̃k = pk . Außerdem gilt nach Induktionsannahme, dass cn+1 p̃n x̃n p̃n = c̃n = = q̃n x̃n q̃n = xn+1 (xn pn xn+1 (xn qn + p̃n 1 + q̃n 1 2 2 + pn 2 ) + pn 1 + qn 2 ) + qn 1 = 1 1 (xn + (xn + = 1 )pn 1 xn+1 1 )q xn+1 n 1 xn+1 pn + pn xn+1 qn + qn + pn 2 + qn 2 1 1 = pn+1 qn+1 2.11. KETTENBRÜCHE 101 (ii) Es gilt p1 = x1 , p0 = 1, q0 = 0 und q1 = 1. Hieraus ergibt sich sofort p1 q0 p0 q1 = 1 Wir nehmen an, dass die Behauptung für n richtig ist und schließen auf n + 1. pn+1 qn pn qn+1 = (xn+1 pn + pn 1 )qn pn (xn+1 qn + qn 1 ) = pn 1 qn pn qn 1 = ( 1)n+1 Nun leiten wir die zweite Gleichung her. Es gilt p2 q0 pn+2 qn p0 q2 = q2 = x2 pn qn+2 = (xn+2 pn+1 + pn )qn pn (xn+2 qn+1 + qn ) = xn+2 (pn+1 qn qn+1 pn ) = xn+2 ( 1)n+1 (iii) Wir benutzen (ii). cn+1 cn+2 cn = cn = pn qn pn+1 pn qn+1 ( 1)n+1 = = qn qn+1 qn qn+1 qn pn+1 qn+1 pn qn pn+2 pn qn+2 xn+2 ( 1)n+1 = = qn qn+2 qn qn+2 qn pn+2 qn+2 (iv) Wir stellen fest, dass alle qn , n 2 N, positive, ganze Zahlen sind. Wir überprüfen dies. Es gilt q 1 = 1, q0 = 0 und q1 = 1. Weiter gilt q2 = x2 q1 + q0 = x2 Nun machen wir den Induktionsschritt qn+1 = xn+1 qn + qn 1 Da xn+1 , qn und qn 1 positive, ganze Zahlen sind, so ist auch qn+1 eine positive, ganze Zahl. Für n = 2k folgt aus (iii) c2k+2 c2k = x2k+2 ( 1)2k q2k+2 q2k 1 <0 Also gilt c2k+2 < c2k . Genauso verfahren wir für c2k+1 > c2k 1 . (v) Nach (iv) sind {c2k }k2N und {c2k+1 }k2N zwei monotone, beschränkte Folgen. Somit sind es konvergente Folgen. Es gilt für alle n 2 N qn n 1 Wir haben q 1 = 1, q0 = 0, q1 = x1 q0 + q1 = q 1 = 1. Da xn natürliche Zahlen sind, gilt insbesondere, dass 1 xn , und es folgt für n = 2, 3, . . . qn = xn qn 1 + qn 2 qn 1 + qn 2 n 1 102 Aus qn CHAPTER 2. ZAHLEN n 1, n 2 N, folgt 1 =0 n!1 qn lim Deshalb gilt wegen (iii) lim c2k = lim c2k+1 k!1 k!1 2 Falls eine reelle Zahl x gegeben ist, dann berechnen wir die Kettenbruchentwicklung von x so: Zu x wählen wir x1 als die größte, ganze Zahl, die kleiner oder gleich x ist. Falls x = x1 , dann bricht der Kettenbruch ab. Falls x > x1 , dann setzen wir x = x1 + 1 r2 wobei 0< 1 <1 r2 (r1 tritt nicht auf, wir beginnen mit r2 .) Allgemein wählen wir xn als die größte, ganze Zahl, die kleiner als rn ist, und definieren rn+1 durch rn = xn + 1 wobei rn+1 0< 1 rn+1 <1 Also gilt für alle n = 2, 3, . . . , dass 1 < rn und 1 xn . Falls x eine rationale Zahl ist, so bricht die Kettenbruchentwicklung ab. Der nächste Satz stellt die Konvergenz dieses Verfahrens für irrationale Zahlen sicher. Satz 2.11.1 Es sei x eine irrationale Zahl und pn , qn , n 2 N, wie in Lemma 2.11.1 definiert. Dann gilt für alle n 2 N 1 < x 2qn qn+1 pn 1 < qn qn qn+1 und die Kettenbruchentwicklung von x konvergiert gegen x. Man kann auch zeigen, dass die Kettenbruchentwicklung eindeutig ist. Beweis. Es gilt für alle n 2 N 1 x = x1 + 1 x2 + x3 + 1 ... + r1n Außerdem folgt aus der Iteration rn = xn + dass 1 1 < rn xn 1 rn+1 und und xn < rn rn xn + 1 xn+1 2.11. KETTENBRÜCHE 103 Hieraus erhalten wir 1 1 > xn rn 1 1 xn + xn+1 Es folgt xn 1 + 1 > xn xn 1 + 1 rn xn 1 1 + 1 xn + Hiervon bilden wir nun die Kehrwerte 1 1 < 1 1 xn xn 1 + xn 1 + xn rn xn+1 1 1 + 1 xn + 1 xn+1 Dieses Argument kann so oft wiederholen, bis wir x1 erreicht haben. Man beachte, dass sich beim Anwenden des Argumentes die Ungleichheitszeichen umkehren. Wir setzen 1 cn = x1 + 1 x2 + 1 x3 + ... + x1n und erhalten für ungerades n cn x cn+1 . (Für gerades n gelten die umgekehrten Ungleichungen.) Mit Lemma (iii) folgt |x cn | 1 qn+1 qn oder |x pn 1 | . qn qn+1 qn 2 Lemma 2.11.2 ([3] p.47) Es sei ⇥ eine irrationale Zahl und pn und qn seien die ganzen Zahlen wie in Satz 2.11.1 gegeben. Dann sind die Zahlen pn und qn beste Approximationen in dem folgenden Sinne: Es seien p, q ganze Zahlen mit 0 < q < qn+1 . Dann gilt |qn ⇥ pn | |q⇥ p|. Beweis. Es seien u, v ganze Zahlen mit p = upn + vpn+1 q = uqn + vqn+1 Dann gilt u 6= 0. Außerdem haben u und v verschiedene Vorzeichen, falls v 6= 0. Da qn ⇥ pn qn+1 ⇥ pn+1 verschiedene Vorzeichen haben, folgt |q⇥ 2 p| = |u(qn ⇥ pn ) + v(qn+1 ⇥ pn+1 )| |qn ⇥ pn | 104 CHAPTER 2. ZAHLEN Beispiel 2.11.1 Es gilt (i) p 2=1+ 1 1 2+ 2+ 1 + 1 . 2 + .. (ii) p 2 47321 1 1 = 33461 33461 · 80782 2703046502 bzw. p 2 = 1, 41421356237 ± 10 9 Beweis. (i) Wir berechnen x1 und r2 : p 1 2 = x1 + r2 p wobei x1 die größte, ganze Zahl kleiner oder gleich 2 ist. Also gilt x1 = 1. Daraus ergibt sich p 1 = 2 r1 p 1 r2 = p = 2+1 2 1 p x2 ist die größte, ganze Zahl, die kleiner oder gleich r2 = 2 + 1 ist, also x2 = 2. r3 wird aus der Gleichung 1 r2 = x2 + r3 p Wir erhalten wieder r3 = 2 + 1. Mit Induktion erhalten wir, dass für alle n 2 gilt p xn = 2 und rn = 2 + 1 (ii) Es gilt p 1 = 0, p0 = 1, q 1 1 oder = 1, q0 = 0 und für n = 2, 3 . . . pn = xn pn qn = xn qn + pn + qn 1 1 n pn qn 1 0 1 0 1 0 1 1 1 2 3 2 3 7 5 4 17 12 5 41 29 6 99 70 7 239 169 8 577 408 9 1393 985 10 3363 2378 11 8119 5741 12 19601 13860 13 47321 33461 14 114243 80782 2 2 2.11. KETTENBRÜCHE 105 Damit erhalten wir 47321 : 33461 = 1, 414213562 33461 13860 133844 4756 33461 14099 133844 7146 66922 4538 33461 11919 100383 18807 167305 20765 200766 6884 66922 1918 2 Satz 2.11.2 ([9],p. 399 ) Falls p und q positive, ganze Zahlen mit q gilt q 42 < ⇡ 2 sind, dann p q Kettenbruchentwicklungen haben Anwendungen in der Elektrotechnik. Die Impedanzfunktion Z(s), s 2 C, des Netzwerkes 106 CHAPTER 2. ZAHLEN lässt sich als Kettenbruch schreiben 1 Z(s) = L1 + 1 C2 + 1 L3 + 1 C4 + ... + 1 Ln Der Vorteil eines solchen Leiternetzwerkes ist seine große Stabilität. So kann man Kosten sparen, indem man billigere Bauteile mit größeren Toleranzen verwendet. Ebenso kann man solche Netzwerke in Apparaten verwenden, in denen große Hitze entsteht. Beispiel 2.11.2 1 e=2+ 1 1+ 1 2+ 1 1+ 1 1+ 1 4+ 1 1+ 1+ 1 6 + ··· Die Folge der Koeffizienten weist eine gewisse Regelmässigkeit auf. 2, 1, 2, 1, 1, 4, 1, 1, 6, 1, 1, 8, 1, 1, 10, . . . Beweis.[23, 83] 2 Satz 2.11.3 (Euler) Ein periodischer, regelmäßiger Kettenbruch stellt eine irrationale Zahl dar, die einer quadratischen Gleichung mit rationalen Koeffizienten genügt. Chapter 3 Funktionen einer reellen Veränderlichen 3.1 Stetigkeit Vereinfachend lässt sich sagen, dass eine Funktion stetig ist, wenn sie sich nicht sprunghaft ändert. Dies lässt sich auch so formulieren: Man kann den Graphen einer stetigen Funktion zeichnen, ohne den Bleistift vom Blatt abzuheben. Definition 3.1.1 Es sei X eine Teilmenge von R und f : X ! R eine Funktion von X nach R. f heißt stetig in x0 2 X, wenn es zu jedem ✏ > 0 ein > 0 gibt, so dass für alle x 2 X mit |x x0 | < |f (x) f (x0 )| < ✏ gilt. In Quantorenschreibweise sieht das so aus: 8✏ > 0 9 > 0 8x 2 X, |x x0 | < : |f (x) f (x0 )| < ✏ f heißt stetig auf X, wenn f in allen Punkten von X stetig ist. Beispiel 3.1.1 (i) f : R ! R, f (x) = c, ist auf R stetig. (ii) f : R ! R, f (x) = x, ist auf R stetig. (iii) f : (0, 1) ! R, f (x) = x1 , ist auf (0, 1) stetig. (iv) f : R ! R f (x) = ( 0 1 für x 0 für x > 0 ist nicht in 0 stetig, aber in allen anderen reellen Punkten stetig. (v) f : R \ {0} ! R f (x) = ( 0 1 für x < 0 für x > 0 107 108 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN ist eine stetige Funktion. (vi) (Dirichlet) D : R ! R D(x) = ( 0 1 falls x irrational ist falls x rational ist ist in allen Punkten unstetig. Wir werden später (Beispiel 5.1.1) feststellen, dass die Einschränkung dieser Funktion auf das Intervall [0, 1] nicht Riemann integrierbar ist. Diese Funktion wurde von Peter Gustav Lejeune Dirichlet eingeführt. Er wurde am 13. Februar 1805 in Düren geboren und starb am 5. Mai 1859 in Göttingen. Er lehrte in Berlin und Göttingen. (vii) Die Funktion f : R ! R mit f (x) = x2 ist in allen Punkten stetig. (Den Graphen dieser Funktion bezeichnet man als Parabel. Ein springender Ball beschreibt eine Parabel, ebenso das Wasser in einem Springbrunnen.) Beweis. (i) Zu gegebenem x0 und ✏ müssen wir ein entsprechendes angeben. Da f konstant ist, ist dies besonders einfach. Wir können irgendeine Zahl für wählen, z.B. 100. Für alle x 2 R mit |x x0 | < 100 gilt |f (x) f (x0 )| = 0 < ✏. In diesem Beispiel hängt weder von ✏ noch von x0 ab. (ii) Zu gegebenen x0 und ✏ wählen wir = ✏. Für alle x mit |x |f (x) f (x0 )| = |x x0 | < x0 | < gilt = ✏. In diesem Beispiel hängt zwar nicht von x0 , aber von ✏ ab. (iii) Zu gegebenen x0 und ✏ wählen wir ⇢ x0 x20 ✏ = min , . 2 2 Für alle x mit |x x0 | < |f (x) Wegen |x x0 | < x0 2 gilt f (x0 )| = gilt x0 1 x x< 1 |x x0 | x2 ✏ x0 = < 0 = ✏. x0 xx0 xx0 2xx0 2x x0 2 und deshalb |f (x) x0 2 < x. Damit folgt nun f (x0 )| < ✏ . (iv) Die Stetigkeit in einem Punkt x0 bedeutet 8✏ > 09 > 08x 2 X, |x x0 | < : |f (x) f (x0 )| < ✏. x0 | < : |f (x) f (x0 )| Die Negation dieser Aussage ist 9✏ > 08 > 09x 2 X, |x ✏. In diesem Beispiel ist x0 = 0. Wir wählen ✏ = 12 . Die Zahl ist gegeben. Wir wählen x = gilt |x x0 | = |x| = 12 < . 1 2 . Es Weiter gilt |f (x) f (0)| = |f ( 12 ) f (0)| = 1 0> 1 2 = ✏. (vi) Wir verwenden hier, dass es zwischen zwei reellen Zahlen sowohl eine rationale, als auch eine irrationale Zahl gibt. Wir wählen in jedem Fall ✏ = 12 . 3.1. STETIGKEIT 109 Falls x0 rational ist, dann wählen wir ein irrationales x mit |x |D(x) D(x0 )| = 1 > Falls x0 irrational ist, wählen wir ein rationales x. (vii) Wir wählen p = ✏ + |x0 |2 Man beachte, dass x0 | < . Dann gilt 1 = ✏. 2 |x0 | . > 0. Dann gilt 2 ✏= + 2 |x0 | und wir erhalten |f (x) f (x0 )| = |x2 x20 | = |x x0 ||x + x0 | = |x x0 ||x x0 + 2x0 |. Mit der Dreiecksungleichung folgt |f (x) f (x0 )| |x x0 |(|x x0 | + 2|x0 |) < (2|x0 | + ) = ✏. 2 Satz 3.1.1 Es sei X eine Teilmenge von R und f : X ! R eine Funktion. f ist genau dann in x0 2 X stetig, wenn für jede Folge {xn }n2N ✓ X mit limn!1 xn = x0 lim f (xn ) = f (x0 ) n!1 gilt. Beweis. f sei stetig in x0 , d.h. 8✏ > 0 9 > 0 8x, |x x0 | < : |f (x) f (x0 )| < ✏ . Weiter gelte limn!1 xn = x0 , also 8⌘ > 0 9N 2 N 8n N: |xn x0 | < ⌘ . Wir zeigen nun, dass limn!1 f (xn ) = f (x0 ). Wir wählen ⌘ = 9N 2 N 8n N: |xn x0 | < und erhalten . Wegen der Stetigkeit von f folgt aus |xn x0 | < die Ungleichung |f (xn ) f (x0 )| < ✏. Deshalb 9N 2 N 8n > N : |f (xn ) f (x0 )| < ✏ . Also lim f (xn ) = f (x0 ) . n!1 Wir zeigen nun die Umkehrung, d.h. ⇣ ⌘ 8{xn }n2N , lim xn = x0 : lim f (xn ) = f (x0 ) =) f ist in x0 stetig n!1 n!1 110 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Wir zeigen die äquivalente Implikation: f ist nicht in x0 stetig ⇣ ⌘ =) 9{xn }n2N , lim xn = x0 : f (x0 ) ist nicht Grenzwert der Folge {f (xn )}n2N n!1 f ist nicht in x0 stetig: 9✏ > 0 8 > 0 9x, |x Wir wählen nun für x0 | < : |f (x) f (x0 )| ✏. die Werte n1 , n 2 N. Damit erhalten wir 9✏ > 0 8n 2 N 9xn , |xn x0 | < 1 : n |f (xn ) f (x0 )| ✏. Also gilt lim xn = x0 n!1 und f (x0 ) ist nicht Grenzwert der Folge {f (xn )}n2N . 2 Lemma 3.1.1 Es seien X und Y Teilmengen von R und f : X ! Y und g : Y ! R seien Funktionen, die in x0 bzw. f (x0 ) stetig sind. Dann ist auch g f : X ! R mit (g f )(x) = g(f (x)) in x0 stetig. Beweis. Nach Satz 3.1.1 gelten ⇣ ⌘ f ist in x0 stetig () 8{xn }n2N , lim xn = x0 : lim f (xn ) = f (x0 ) n!1 n!1 und ⇣ ⌘ g ist in f (x0 ) stetig () 8{yn }n2N , lim yn = f (x0 ) : lim g(yn ) = g(f (x0 )) . n!1 n!1 Wir setzen nun yn = f (xn ) und erhalten 8{xn }n2N , lim xn = x0 : lim g(f (xn )) = g(f (x0 )) n!1 n!1 Damit ist g f in x0 stetig. 2 Lemma 3.1.2 Es seien X eine Teilmenge von R und f, g : X ! R Funktionen, die in x0 stetig sind. Dann gelten (i) f + g ist in x0 stetig. (ii) f · g ist in x0 stetig. (iii) Wenn überdies g 6= 0 auf X gilt, dann ist f g in x0 stetig. 3.1. STETIGKEIT 111 Beweis. Wir benutzen wieder Satz 3.1.1 und Lemma 2.4.3. 2 Beispiel 3.1.2 (i) Es sei n 2 N und f : R ! R mit f (x) = xn . f ist auf R stetig. (ii) Alle Polynome p : R ! R p(x) = n X ak xk k=0 sind auf R stetig. (iii) Alle rationalen Funktionen p q sind auf R \ {x|q(x) = 0} stetig. Beweis. (i) folgt, weil f (x) = x nach Beispiel 3.1.1 stetig ist und weil Produkte von stetigen Funktionen nach Lemma 3.1.2 stetig sind. (ii) folgt aus (i) und Lemma 3.1.2 (i). (iii) folgt aus (ii) und Lemma 3.1.2 (iii). ⇤ Definition 3.1.2 Wenn es ein ⇠ 2 R gibt, so dass für alle Folgen {xn }n2N mit limn!1 xn = x0 der Grenzwert lim f (xn ) = ⇠. n!1 angenommen wird, so schreiben wir auch dafür lim f (x) = ⇠. x!x0 Dies ist äquivalent zu (3.1) 8✏ > 0 9 > 0 8x, |x x0 | < : |f (x) ⇠| < ✏. Hierbei muss es nicht so sein, dass x0 im Definitionsgebiet von f liegt. Obwohl man i.A. 1 bzw. bolisch (3.2) 1 nicht als Grenzwerte zulässt, schreibt man sym- lim f (x) = 1 x!x0 und lim f (xn ) = 1, n!1 falls 8K > 0 9N 2 N 8n > N : Entsprechend für f (xn ) > K. 1. Satz 3.1.2 Es seien a, b 2 R mit a < b und f : [a, b] ! R eine stetige Funktion. Dann hat f auf [a, b] ein Minimum und ein Maximum, d.h. es gibt xmin , xmax 2 [a, b], so dass für alle x 2 [a, b] f (xmin ) f (x) f (xmax ) gilt. 112 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Wichtig bei diesem Satz ist neben der Stetigkeit der Funktion, dass das Intervall beschränkt und abgeschlossen ist, d.h. die Endpunkte gehören zum Intervall. Beispiel 3.1.3 (i) f : (0, 1] ! R mit f (x) = x1 ist in allen Punkten stetig, besitzt aber kein Maximum. Man beachte, dass die Voraussetzung, dass [a, b] ein abgeschlossenes Intervall sein soll, nicht gegeben ist. (ii) f : [ 1, 1] ! R mit f (x) = x2 ist stetig und hat Minimum und Maximum. Das Minimum ist gleich 0 und wird in 0 angenommen. Das Maximum ist gleich 1 und wird in 1 und 1 angenommen. Beweis von Satz 3.1.2. Wir beweisen, dass f auf [a, b] sein Maximum annimmt. Der Beweis für das Minimum wird genauso geführt. Wir zeigen, dass die Menge {f (x)|x 2 [a, b]} nach oben beschränkt ist, also nach Lemma 2.6.1 ein Supremum besitzt. Dann zeigen wir, dass das Supremum angenommen wird, also tatsächlich ein Maximum ist. Wir nehmen an, dass f nicht nach oben beschränkt ist: (3.3) 8n 2 N 9xn : n f (xn ) . Da die Folge {xn }n2N in [a, b] enthalten ist, ist sie beschränkt. Nach Satz 2.4.1 besitzt sie deshalb eine konvergente Teilfolge {xnk }k2N . Wir bezeichnen diesen Grenzwert mit x0 . Nach Lemma 2.4.4 (i) gilt x0 2 [a, b]. Also gelten x0 2 [a, b] und lim xnk = x0 . k!1 Da f stetig ist, folgt lim f (xnk ) = f (x0 ) . k!1 Hieraus folgt 9K 2 N 8k > K : |f (xnk ) 9K 2 N 8k > K : f (xnk ) < 1 + f (x0 ) . f (x0 )| < 1 und damit Mit (3.3) folgt 9K 2 N 8k > K : nk < 1 + f (x0 ) . Da n1 < n2 < · · · , kann dies nicht sein. Also ist die Menge {f (x)|x 2 [a, b]} nach oben beschränkt und hat ein Supremum, das wir mit ⇠ bezeichnen. Nun wählen wir eine neue Folge {xn }n2N : Da ⇠ das Supremum der Menge {f (x)|x 2 [a, b]} ist, gibt es zu jedem ✏ > 0 ein x mit ⇠ f (x) + ✏. Wäre 3.1. STETIGKEIT 113 dies nicht so, dann würde es ein ✏ > 0 geben, so dass für alle x 2 [a, b] die Abschätzung ⇠ > f (x) + ✏ gilt. Dann wäre aber ⇠ ✏ eine obere Schranke der Menge {f (x)|x 2 [a, b]}. Also gilt 1 8n 2 N 9xn 2 [a, b] : ⇠ f (xn ) + . n Wiederum folgt mit Satz 2.4.1, dass {xn }n2N eine konvergente Teilfolge {xnk }k2N besitzt. Wiederum mit Lemma 2.4.4 folgt, dass es ein x0 2 [a, b] mit lim xnk = x0 k!1 gibt. Da f stetig ist, folgt lim f (xnk ) = f (x0 ) . k!1 Da für alle k 2 N gilt, dass ⇠ f (xnk ) + n1k , folgt ✓ ◆ 1 ⇠ lim f (xnk ) + = f (x0 ) ⇠ . k!1 nk Also erhalten wir f (x0 ) = ⇠. 2 Lemma 3.1.3 Es seien a, b 2 R mit a < b und f : [a, b] ! R sei eine stetige Funktion. Es gelte f (a)f (b) < 0. Dann gibt es mindestens ein ✓ 2 (a, b) mit f (✓) = 0. Die Bedingung f (a)f (b) < 0 bedeutet, dass f (a) und f (b) verschiedene Vorzeichen besitzen. Man kann also annehmen, dass f (a) < 0 und f (b) > 0. Da f stetig ist, kann man den Graphen von f zeichnen, ohne den Bleistift vom Papier zu heben. Der Punkt (a, f (a)) befindet sich unter der x-Achse, weil f (a) < 0, und der Punkt (b, f (b)) befindet sich über der x-Achse, weil f (b) > 0. Wenn man also den Graphen zeichnet, muss an zumindest an einer Stelle die x-Achse kreuzen. Beispiel 3.1.4 Die Funktion f (x) = x3 ist auf [ 1, 1] stetig und es gilt f ( 1)f (1) = Stelle ✓ = 0 gilt f (0) = 0. 1. An der Beweis von Lemma 3.1.3. Wir können annehmen, dass f (a) < 0 und f (b) > 0. Wir betrachten die Menge A = {x|x 2 [a, b] und f (x) 0}. A ist nicht leer, weil a 2 A und A hat ein Supremum, weil A nach oben durch b beschränkt ist. Wir setzen ⇠ = sup A und behaupten, dass f (⇠) = 0. Es gibt eine Folge {xn }n2N ✓ A mit lim xn = ⇠, n!1 weil ⇠ das Supremum von A ist. Wegen der Stetigkeit von f folgt lim f (xn ) = f (⇠). n!1 114 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Wegen {xn }n2N ✓ A gilt für alle n 2 N, dass f (xn ) 0. Also folgt f (⇠) 0. Wir zeigen nun, dass auch f (⇠) stetig ist, gilt 0 gilt. Wir nehmen an, dass f (⇠) < 0 gilt. Da f 8✏ > 0 9 > 0 8x, |x ⇠| < : |f (x) f (⇠)| < ✏. Wir wählen ✏ = 12 |f (⇠)|. Es folgt 9 > 08x, |x ⇠| < : f (⇠)| < 12 |f (⇠)|. |f (x) Da f (⇠) < 0, folgt 9 > 08x, |x ⇠| < : f (x) f (⇠) < 1 f (⇠) 2 und 9 > 08x, |x Nun wählen wir x = ⇠ + 1 2 ⇠| < f (x) < 12 f (⇠) < 0. : und erhalten f (⇠ + 1 2 ) < 0. Damit folgt ⇠+ 1 2 Dies ist ein Widerspruch. 2 sup A = ⇠. Satz 3.1.3 (Zwischenwertsatz) Es seien a, b 2 R mit a < b und f : [a, b] ! R eine stetige Funktion. Für alle ⌘ mit inf{f (x)|x 2 [a, b]} ⌘ sup{f (x)|x 2 [a, b]} existiert mindestens ein ⇠ 2 [a, b] mit f (⇠) = ⌘. Beweis. Nach Satz 3.1.2 gibt es xmin und xmax mit f (xmin ) = inf{f (x)|x 2 [a, b]} f (xmax ) = sup{f (x)|x 2 [a, b]} Wir können also annehmen, dass f (xmin ) < ⌘ < f (xmax ). Wir setzen F (x) = f (x) ⌘. Dann gelten F (xmin ) < 0 und F (xmax ) > 0. Nach Lemma 3.1.3 gibt es ein ⇠ 2 [xmin , xmax ] bzw. ⇠ 2 [xmax , xmin ] mit F (⇠) = 0 (je nachdem, ob xmin < xmax oder umgekehrt). Also gilt f (⇠) = ⌘. 2 3.1. STETIGKEIT 115 Beispiel 3.1.5 Es sei p : R ! R ein Polynom p(x) = n X ak xk , k=0 bei dem der höchste Exponent n ungerade ist und der Koeffizient an 6= 0. Dann hat p mindestens eine reelle Nullstelle. Beweis. Es gibt zwei Punkte x1 und x2 mit p(x1 ) < 0 und p(x2 ) > 0. Mit dem Zwischenwertsatz folgt dann, dass es ein ⇠ 2 (x1 , x2 ) mit p(⇠) = 0 gibt. Wir zeigen nun, dass es solche Punkte x1 und x2 gibt. n n X X1 p(x) = ak xk xn |ak ||x|k k=0 Für x k=0 1 folgt p(x) xn xn 1 n X1 k=0 |ak | = xn 1 n X1 x k=0 Pn 1 Für x 1 und x > k=0 |ak | gilt p(x) > 0. Umgekehrt gilt für alle x mit x 1 n X p(x) = k=0 |x|n + |x|n = Somit gilt für x mit x ak xk xn + 1 und |x| > 1 n X1 k=0 n X1 k=0 Pn 1 k=0 |ak | |ak ||x|k xn + |x|n |ak | = |x|n 1 |x| ! 1 n X1 k=0 n X1 k=0 |ak | ! |ak | |ak | p(x) < 0. 2 Beispiel 3.1.6 (i) Es sei f : [0, 1] ! [0, 1] eine stetige Abbildung. Dann hat f einen Fixpunkt, d.h. es gibt ein x 2 [0, 1] mit f (x) = x. (ii) Es sei f : [0, 2] ! R eine stetige Funktion derart, dass f (0) = f (2) ist. Dann existiert ein x 2 [0, 1], für das f (x) = f (x + 1) gilt. Beweis. (i) Wir betrachten die Funktion g : [0, 1] ! R mit g(x) = f (x) x. Es gelten g(0) = f (0) 0 0 und g(1) = f (1) 1 0. Nach dem Zwischenwertsatz nimmt die stetige Funktion g alle Werte zwischen g(0) und g(1) an, also auch 0. (ii) Wir betrachten die Funktion g : [0, 1] ! R mit g(x) = f (x) f (x + 1). Dann gelten g(0) = f (0) f (1) g(1) = f (1) f (2) = f (1) f (0) Also g(0) = g(1) Nun wenden wir den Zwischenwertsatz an. 2 Beispiel 3.1.7 Es sei f : (0, 1) ! R 8 falls x irrational <0 f (x) = 1 m : falls x = und m und n teilerfremd sind n n Dann ist f in allen irrationalen Punkten stetig und in allen rationalen Punkten unstetig. 116 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Beweis. Wir zeigen, dass f in allen rationalen Punkten, die von 0 verschieden sind, unstetig ist. 1 m Es gilt f ( m n ) = n , aber in jeder Umgebung von n findet man einen irrationalen Punkt. Wir zeigen nun, dass f in allen irrationalen Punkten x stetig ist. Wir nehmen an, dass es einen irrationalen Punkt x0 gibt, in dem f nicht stetig ist Dann gibt es eine Folge {xn }n2N mit limn!1 xn = x0 , so dass die Folge {f (xn )}n2N nicht gegen f (x0 ) = 0 konvergiert. Dies bedeutet, dass es eine Teilfolge {xnk }k2N rationaler Zahlen gibt, die gegen x0 konvergiert. n Wir können also annehmen, dass es eine Folge rationaler Zahlen { m kn }n2N gibt, so dass lim n!1 mn = x0 kn und so dass die Folge { k1n }n2N nicht gegen 0 konvergiert. Dann gibt es eine Teilfolge knj , j 2 N, die beschränkt ist: Da die Folge { k1n }n2N nicht gegen 0 konvergiert, gilt 1 9✏ > 08N 9n N : ✏ kn Wir wählen zu N = 1 ein n1 mit 1 n1 und 1 kn1 ✏. Nachdem wir n1 < · · · < nj gewählt haben, wählen wir nj+1 . Zu N = nj + 1 gibt es ein nj+1 mit 1 ✏. knj+1 Damit gilt für alle j 2 N N 1 ✏ mn und die Folge ist beschränkt. Insgesamt erhalten wir also eine Folge { kn j }j2N mit knj j mnj lim = x0 n!1 knj und so dass die Folge {knj }j2N beschränkt ist. Dann gibt es in der Menge {knj |j 2 N} nur endlich viele verschiedene Zahlen. Außerdem ist die Folge mnj , j 2 N, beschränkt, weil anderenfalls die mn konvergente Folge kn j , j 2 N, nicht beschränkt wäre, was nach Lemma 2.4.1 nicht sein kann. j Somit nimmt auch die Folge {mnj }j2N nur endlich viele Werte an. Somit nimmt ⇢ mnj knj j2N nur endlich viele Werte {↵1 , . . . , ↵r } an. Dann gilt mnj lim 2 {↵1 , . . . , ↵r } j2N knj und damit rational. Der Grenzwert ist aber gleich der irrationalen Zahl x0 . 2 P Beispiel 3.1.8 Es sei {an }n2N eine Folge positiver, reeller Zahlen, so dass n2N an konvergiert. Außerdem sei q : N ! Q eine Bijektion. Für x 2 R definieren wir ( an falls q(n) x x an = 0 falls q(n) > x und f (x) = X axn n2N f ist eine positive, beschränkte, strikt monoton wachsende Funktion, die in den rationalen Punkten unstetig und in den irrationalen Punkten stetig ist. 3.1. STETIGKEIT 117 Beweis. Etwas kürzer und prägnanter lässt sich f so definieren X f (x) = aq qx Wir zeigen (i) Für alle x, y 2 R mit x < y gilt f (x) < f (y). P (ii) Für alle x 2 R gilt 0 < f (x) < n2N an . (iii) f ist in allen rationalen Punkten unstetig. (iv) f ist in allen irrationalen Punkten stetig. (i) Für alle x, y 2 R mitx < y existiert ein z 2 Q mit x < z < y. Für alle n 2 N gilt axn ayn und f (y) f (x) = X n2N ayn X axn = n2N X 9✏ > 08 > 09x, |x 1 (x ) 0 f (x0 ) ayq axn ) ayq 1 (z) 1 (z) = aq 1 (z) >0 n2N (iii) Es sei x0 2 Q. Wir haben zu zeigen Wir wählen ✏ = aq (ayn x0 | < : |f (x) und x < x0 . Dann gilt X f (x) = (axn0 axn ) axq 0 1 (x0 ) axq f (x0 )| 1 (x ) 0 ✏. = axq 0 1 (x0 ) = ✏. n2N (iv) Wir zeigen 8x0 8✏ > 09 > 08x, |x x0 | < : |f (x) f (x0 )| < ✏ Wir wählen zu gegebenen x0 und ✏ das . Es gilt 8✏ > 09N 8n > N : 1 X ak < k=n ✏ 2 Wir setzen = min{|x0 q(n)| |n = 1, 2, . . . , N } Dann gilt für alle x mit |x x0 | < und alle n = 1, 2, . . . , N , dass axn = axn0 . Wir prüfen dies nach. Falls x0 < q(n), dann gilt axn0 = 0. Es gilt für alle n = 1, . . . , N q(n) x0 oder Also gilt für alle n = 1, . . . , N und alle x mit |x x0 + qn . x0 | < x < q(n). Damit gilt für alle n = 1, . . . , N und alle x mit |x x0 | < axn = 0. Nun betrachten wir den Fall q(n) < x0 . Es gilt axn0 = an . Es gilt für alle n = 1, . . . , N x0 q(n) oder Deshalb folgt für alle n = 1, . . . , N und alle x mit |x q(n) < x. qn x0 x0 | < . 118 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Also gilt für alle n = 1, . . . , N und alle x mit |x x0 | < axn = an . Damit folgt für alle x mit |x |f (x) x0 | < f (x0 )| = axn axn0 = 2 1 X n=N 1 X axn axn0 n=N n2N 3.2 X |axn | + 1 X n=N |axn0 | 2 1 X n=N |an | < ✏. Gleichmäßige Stetigkeit Es sei X eine Teilmenge von R. Eine Funktion f : X ! R heißt gleichmäßig stetig auf X, wenn es zu jedem ✏ > 0 ein > 0 gibt, so dass für alle x1 , x2 2 X mit |x1 x2 | < |f (x1 ) f (x2 )| < ✏ gilt. In Quantorenschreibweise 8✏ > 0 9 > 0 8x1 , x2 2 X, |x1 x2 | < : |f (x1 ) f (x2 )| < ✏. Mit dieser Eigenschaft werden wir zeigen, dass jede stetige Funktion Riemann integrierbar ist. dem Riemann-Integral. Beispiel 3.2.1 (i) Falls f auf X gleichmäßig stetig ist, dann ist f auf X stetig. (ii) f (x) = x ist auf R gleichmäßig stetig. 1 x ist auf (0, 1) nicht gleichmäßig stetig. p (iv) f (x) = x ist auf [0, 1) gleichmäßig stetig. (iii) f (x) = Beweis. (i) Da f gleichmäßig stetig ist, gilt 8✏ > 09 > 08x1 , x2 2 X, |x1 x2 | < : |f (x1 ) f (x2 )| < ✏. Für festes x0 = x1 gilt damit 8✏ > 09 > 08x2 2 X, |x0 (ii) ✏ ist gegeben. Wir wählen x2 | < : |f (x0 ) f (x2 )| < ✏. = ✏. Dann gilt für alle x1 , x2 2 R mit |x1 |f (x1 ) f (x2 )| = |x1 x2 | < x2 | < = ✏. (iii) Die Verneinung der gleichmäßigen Stetigkeit bedeutet 9✏ > 08 > 0 9x1 , x2 2 X, |x1 Wir wählen ✏ = 1. ist gegeben. Wir wählen ⇢ 1 x1 = min , 2 x2 | < und : |f (x1 ) f (x2 )| x2 = 1 x1 . 2 ✏. 3.2. GLEICHMÄSSIGE STETIGKEIT 119 Dann gelten |x1 und |f (x1 ) f (x2 )| = x2 | = |x1 1 x1 1 2 x1 | 1 1 = x2 x1 = | 12 x1 | < 2 1 = x1 x1 2 > 1 = ✏. (iv) Wir benötigen die folgende Abschätzung. Für alle x, y 2 [0, 1) mit y < x gilt p p p x y < x y. p p Wir nehmen an, dass dies falsch ist. Dann gibt es x, y mit y < x, so dass x y Dann gilt p p p p p 2 x y = ( x y)2 ( x y) = x 2 x y + y. Hieraus folgt p p 2 x y 2y und somit p x y. x y. Dies ist ein Widerspruch, da y < x. Zu gegebenem ✏ wählen wir = ✏2 . Dann gilt für alle x, y 2 [0, 1) mit y < x und |x p p p p |f (x) f (y)| = | x y| < x y < = ✏. y| < 2 Satz 3.2.1 Es seien a, b 2 R mit a < b und f : [a, b] ! R sei eine stetige Funktion. Dann ist f auf [a, b] gleichmäßig stetig. Beweis. Wir nehmen an, dass f nicht gleichmäßig stetig ist. Dann existiert ein ✏ > 0, so dass für alle > 0 Punkte x und y mit |x y| und |f (x) f (y)| ✏ existieren. Somit gibt es ein ✏ > 0, so dass für alle n 2 N Punkte xn und yn mit |xn yn | n1 und |f (xn ) f (yn )| ✏ existieren. Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß (Satz 2.4.1) besitzt die Folge xn , n 2 N, eine konvergente Teilfolge xnk , k 2 N. Wir setzen ⇠ = lim xnk . k!1 Es gilt ⇠ 2 [a, b], weil xnk 2 [a, b] für alle k 2 N. Wegen |xnk ynk | xnk + ynk , k 2 N, eine Nullfolge und somit konvergiert ynk , k 2 N, gegen ⇠. ⇠ = lim ynk . k!1 Da f stetig ist, folgt lim (f (xnk ) k!1 f (ynk )) = f (⇠) f (⇠) = 0. Dies steht aber im Widerspruch zu 8k 2 N : 2 |f (xnk ) f (ynk )| ✏. 1 nk ist 120 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN 3.3 Monotone Funktionen und Umkehrfunktionen Definition 3.3.1 Es sei X eine Teilmenge von R. Eine Funktion f : X ! R heißt (streng) monoton wachsend, falls für alle x, y 2 X mit x < y f (x) f (y) (f (x) < f (y)) gilt. Eine Funktion f : X ! R heißt (streng) monoton fallend, falls für alle x, y 2 X mit x < y f (x) f (y) (f (x) > f (y)) gilt. Definition 3.3.2 Es sei X eine Teilmenge von R und f : X ! R. Wir bezeichnen die Menge f (X) = {f (x)|x 2 X} als Bild von f . Wir sagen, dass f eine Umkehrabbildung oder Inverse f falls es eine Funktion f 1 : f (X) ! X gibt, so dass für alle x 2 X 1 f Man erhält den Graphen von f y = x spiegelt. 1 1 besitzt, (f (x)) = x . , indem man den Graphen von f an der Geraden Lemma 3.3.1 Es sei X eine Teilmenge von R und f : X ! R sei streng monoton wachsend oder streng monoton fallend. Dann gelten (i) Die Umkehrabbildung f (ii) f ist. (iii) f 1 1 1 : f (X) ! R existiert. ist auf f (X) streng monoton wachsend, falls f streng monoton wachsend ist auf f (X) streng monoton fallend, falls f streng monoton fallend ist. Proof. Es reicht zu zeigen, dass die Abbildung f injektiv ist. Dazu ist zu zeigen: Falls x 6= y, dann gilt f (x) 6= f (y). Falls x 6= y, dann gilt x < y oder y < x. Also gilt f (x) < f (y) oder f (y) < f (x) und damit f (x) 6= f (y). 2 Satz 3.3.1 Es seien a, b 2 R mit a < b und f : [a, b] ! R sei eine stetige, streng monoton wachsende Funktion. Dann gilt f ([a, b]) = [f (a), f (b)] und f 1 : [f (a), f (b)] ! [a, b] existiert, ist stetig und streng monoton wachsend. Für stetige, streng monoton fallende Funktionen gilt eine entsprechende Aussage. 3.4. POTENZ, EXPONENTIALFUNKTION UND LOGARITHMUS 121 Beweis. Da f streng monoton wachsend ist, gilt für alle x 2 [a, b] f (a) f (x) f (b). Mit dem Zwischenwertsatz (Satz 3.1.3) folgt f ([a, b]) = [f (a), f (b)]. Mit Lemma 3.3.1 folgt, dass f 1 existiert und streng monoton wächst. Es bleibt zu zeigen, dass f 1 stetig ist. Es sei {yn }n2N eine Folge in [f (a), f (b)] mit limn!1 yn = y0 . Wir müssen zeigen, dass lim f 1 (yn ) = f 1 (y0 ) . n!1 Wir zeigen zunächst, dass {f 1 (yn )}n2N konvergiert. Falls die Folge nicht konvergiert, so gibt es nach Lemma 2.4.8 zwei konvergente Teilfolgen {f 1 (ynk )}k2N und {f 1 (ymj )}j2N , deren Grenzwerte x0 und x̄0 verschieden sind. Da f stetig ist, folgen lim f (f 1 k!1 (ynk )) = f (x0 ) und lim f (f 1 j!1 (ymj )) = f (x̄0 ). Hieraus folgen f (x0 ) = lim f (f 1 f (x̄0 ) = lim f (f 1 k!1 (ynk )) = lim ynk = y0 k!1 j!1 (ymj )) = lim ymj = y0 . j!1 Also gilt f (x0 ) = f (x̄0 ). Da f streng monoton wachsend ist, so ist f injektiv und es folgt x0 = x̄0 im Widerspruch zu unserer Annahme. Also konvergiert {f 1 (yn )}n2N . Wir bezeichnen den Grenzwert mit x0 . Es folgt wegen der Stetigkeit von f y0 = lim yn = lim f (f n!1 Also gilt x0 = f 1 1 n!1 (yn )) = f (x0 ) . (y0 ). Nun folgt f 1 (y0 ) = x0 = lim f n!1 1 (yn ) . 2 3.4 Potenz, Exponentialfunktion und Logarithmus Wir führen hier die Potenzfunktion, Exponentialfunktion und Logarithmus ein. Wir definieren für alle x 2 R und alle n 2 N xn = x | · x{z· · · x} n 122 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN und x0 = 1. Dies bedeutet, dass wir auch 00 = 0 setzen. Dies ist eine willkürliche Definition. Ein Argument dafür ist, dass limx!0 xx = 1 gilt (Beispiel 3.8.5). Andererseits gilt für alle x 6= 0, dass 0x = 0. Dies könnte man als ein Argument gegen diese Definition ansehen. Falls x 6= 0, dann setzen wir 1 x n = n. x Definition 3.4.1 (i) Für n 2 N nennen wir pn : R ! R mit pn (x) = xn die n-te Potenzfunktion. xn heißt die n-te Potenz von x. (ii) Die n-te Wurzel oder die n1 -te Potenzfunktion p 1 : (0, 1) ! R definieren wir n 1 als die Umkehrfunktion der n-ten Potenzfunktion. p 1 (x) = x n nennen wir die n-te n Wurzel von x. (iii) Für pq , p, q 2 N und p und q teilerfremd, definieren wir die pq -te Potenzfunktion p pq : (0, 1) ! R durch 1 p pq (x) = (x q )p . 1 p Wir schreiben für (x q )p auch x q . Man beachte, dass p und q eindeutig sind, weil sie als teilerfremd angenommen werden. Dies folgt aus der Eindeutigkeit der Primzahlzerlegung. p 1 Wir schreiben für (x q )p auch x q . Damit haben wir die Potenz xs für strikt positive, reelle Zahlen x und rationale Zahlen s definiert. Wir wollen nun zeigen, dass wir mit dieser Definition gut rechnen können. Lemma 3.4.1 Es seien p, q 2 N teilerfremd. Dann gilt für alle x 2 (0, 1) 1 1 (x q )p = (xp ) q . Beweis. Es gilt 1 1 xp = ((x q )q )p = ((x q )p )q . Deshalb 1 1 (xp ) q = (x q )p . 2 Lemma 3.4.2 (i) Es seien n, m 2 N und x 2 (0, 1). Dann gilt 1 1 1 x n·m = (x m ) n . (ii) Es sei x 2 (0, 1). Es seien n, m, p, q 2 N mit pq = Dann gilt 1 1 1 (xn ) m = (x q )p = (x m )n . n m und p und q teilerfremd. 3.4. POTENZ, EXPONENTIALFUNKTION UND LOGARITHMUS 123 Beweis. (i) Es gilt 1 y = x n·m genau dann, wenn y n·m = x. Weiter gilt x = y n·m = (y n )m . Hieraus folgt 1 1 (x m ) n = y. (ii) Es gibt ein k 2 N mit kp = n und kq = m. Dann gelten wegen (i) 1 1 1 1 (x kq )kp = (((x q ) k )k )p = (x q )p und 1 1 1 (xkp ) kq = (((xp )k ) k ) q . 2 Lemma 3.4.3 Es sei s 2 Q und s 6= 0. Die Potenzfunktion ps : (0, 1) ! R mit ps (x) = xs ist auf (0, 1) stetig. Die Funktion ist streng monoton wachsend für s > 0 und sie ist streng monoton fallend für s < 0. Beweis. Für jedes n 2 N ist die Potenzfunktion pn stetig und streng monoton wachsend. Mit Satz 3.3.1 folgt, dass für jedes m 2 N die Potenzfunktion p 1 stetig m und streng monoton wachsend ist. Damit ist für alle n, m 2 N die Potenzfunktion p mn = pn p 1 stetig und streng monoton wachsend. 2 m Lemma 3.4.4 (i) Es seien p, q, n, m 2 N und x 2 (0, 1). Dann gilt p p n n xq · xm = xq+m . (ii) Es seien p, q 2 N und x, y 2 (0, 1). Dann gilt p p p x q · y q = (x · y) q . (iii) Es seien p, q, n, m 2 N und x 2 (0, 1). Dann gilt p p n n (x q ) m = x q · m . Beweis. (i) Wegen Lemma 3.4.2 (ii) gilt p n pm nq 1 1 1 p n x q x m = x qm x mq = (x qm )pm (x mq )nq = (x qm )pm+nq = x q + m . 2 124 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Lemma 3.4.5 (i) Es seien x 2 R mit x > 1 und r, s 2 Q mit 0 < r < s. Dann gilt xr < xs . (ii) Beispiel 3.4.1 Für alle x 2 R mit x > 0 gilt 1 lim x n = 1. n!1 Beweis. Wir betrachten den Fall x > 1. Mit der Bernoulli-Ungleichung (Lemma 2.4.6) ⇣ x ⌘n 1+ n 1 + x > x. Es folgt x n 1+ und damit 1 xn Falls x < 1, dann betrachten wir die Folge x 1 n 1 xn x . n . 2 Definition 3.4.2 Es seien r 2 (0, 1) und pn , qn 2 N, n 2 N, mit r = limn!1 Dann definieren wir (3.4) pn . qn pn xr = lim x qn . n!1 Die Potenzfunktion pr : (0, 1) ! R ist durch pr (x) = xr definiert. Weiter gilt p r (x) = x1r . Man muss die Wohldefiniertheit überprüfen. Hierzu müssen wir zeigen: Der Grenzwert pn lim x qn n!1 existiert und er hängt nur von r, aber nicht von der speziellen Folge { pqnn }n2N ab. Definition 3.4.3 Es sei a > 0. Die Exponentialfunktion expa : R ! R zur Basis a ist durch expa (x) = ax definiert. Lemma 3.4.6 Es sei x 2 (0, 1) und {rn }n2N eine konvergente Folge rationaler Zahlen. Dann konvergiert die Folge {xrn }n2N . 3.4. POTENZ, EXPONENTIALFUNKTION UND LOGARITHMUS 125 Beweis. Der Fall x = 1 ist uninteressant. Nun der Fall x > 1. Da die Folge {rn }n2N konvergiert, ist sie nach Lemma 3.4.7 beschränkt. Deshalb gibt es ein C 2 Q, so dass für alle n 2 N xn C gilt. Wegen Lemma 3.4.5 gilt für alle n 2 N xrn xC . Wir zeigen, dass die Folge {xrn }n2N eine Cauchy Folge ist. O.E.d.A. sei rn Es gilt |xrn xrm | = |xrm ||xrn rm 1| C|xrn rm 1| Zu jedem k 2 N gibt es ein N 2 N, so dass für alle n, m folgt für alle n, m N 1 n |xr xrm | C|x k 1| N gilt |rn rm . rm | < k1 . Es Mit Beispiel 3.4.7 folgt, dass {xrn }n2N eine Cauchy Folge ist. Der Fall 0 < x < 1 wird ähnlich behandelt. 2 Lemma 3.4.7 Es sei x 2 (0, 1) und {rn }n2N und {tn }n2N seien zwei Folgen rationaler Zahlen mit lim rn = lim tn . n!1 n!1 Dann gilt lim xrn = lim xtn . n!1 n!1 Beweis. Wegen Lemma 3.4.6 wissen wir, dass lim xrn lim xtn und n!1 n!1 existieren. Außerdem gilt lim |rn n!1 tn | = 0. Nach Beispiel 3.4.7 gilt lim x|rn n!1 tn | =1 2 Lemma 3.4.8 Es seien a 2 R mit a > 0 und tn , t 2 Q, n 2 N, mit limn!1 tn = t. Dann gilt lim atn = at . n!1 Beweis. Wir betrachten zuerst den Fall t = 0 und zeigen, dass lim atn = a0 = 1 n!1 126 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN 1 Nach Beispiel 3.4.1 gilt limn!1 a n = 1, d.h. 8✏ > 09N 8n 1 N: |a n 1| < ✏ Wegen limn!1 tn = 0 gilt 8 > 09M 8n M: |tn | < 8N 2 N9M 8n M: |tn | < Insbesondere 1 N Es folgt 8✏ > 09N 8n Es sei nun t beliebig. Dann gilt limn!1 (tn atn = a(tn |atn N: t)+t 1| < ✏. t) = 0. Mit Lemma 3.4.4 = atn t at und somit lim atn = lim atn t at = at lim atn n!1 n!1 n!1 t = at . 2 Lemma 3.4.9 (i) Es seien x1 , x2 2 R und a > 0. Dann gilt ax1 ax2 = ax1 +x2 . (ii) Es seien x 2 R und a, b > 0. Dann gilt ax bx = (ab)x . (iii) Es seien x1 , x2 2 R und a > 0. Dann gilt (ax1 )x2 = ax1 x2 . Lemma 3.4.10 (i) Es sei r 2 R mit r 6= 0. Die Potenzfunktion pr : (0, 1) ! R mit pr (x) = xr ist auf (0, 1) streng monoton und stetig. (ii) Es sei a 2 R mit a > 0 und a 6= 1. Die Exponentialfunktion expa : R ! R mit expa (x) = ax ist auf R streng monoton und stetig. Lemma 3.4.11 Die Umkehrfunktion von expa existiert und ist auf (0, 1) definiert und stetig. Wir nennen die Umkehrfunktion den Logarithmus zur Basis a und schreiben loga . Wir nennen den Logarithmus zur Basis e = limn!1 (1 + n1 )n den natürlichen Logarithmus und schreiben für loge den Ausdruck ln. 3.4. POTENZ, EXPONENTIALFUNKTION UND LOGARITHMUS 127 Korollar 3.4.1 (i) Für alle x, y > 0 gilt loga (xy) = loga x + loga y. (ii) Für alle x > 0 und alle y 2 R gilt loga xy = y loga x. (iii) loga (a) = 1. Beweis. (i) Wir setzen x = av und y = aw . Dann gilt loga (xy) = loga (av aw ) = loga (av+w ) = v + w = loga x + loga y. 2 Lemma 3.4.12 Es sei {xn }n2N eine Folge mit limn!1 xn = 0 und 1 + xn > 0, xn 6= 0 für alle n 2 N. Dann gilt 1 lim (1 + xn ) xn = e n!1 Beweis. Wir benutzen die Definition ✓ ◆n 1 e = lim 1 + n!1 n und 1 . N O.E.d.A. können wir annehmen, dass für alle n 2 N die Ungleichung 0 < |xn | < 1 gilt. Dann gibt es zu jedem n 2 N ein kn 2 N mit 8N 2 N 9M 2 N 8n M: |xn | < 1 1 |xn | < . kn + 1 kn Dann gilt für xn > 0 (1 + 1 1 1 )kn (1 + xn ) xn (1 + )kn +1 kn + 1 kn 2 Korollar 3.4.2 Für alle x 2 R gilt ⇣ x ⌘n lim 1 + = ex n!1 n 128 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Beweis. Falls x = 0, dann gelten ✓ ◆n 0 1+ =1 n 1 = e0 . und Falls x 6= 0, so gilt für fast alle n x <1 n bzw. 1+ x > 0. n Außerdem ist xn = nx , n 2 N, eine gegen 0 konvergente Folge. Mit Lemma 3.4.12 folgt 1 ⇣ ⇣ x ⌘ nx ⇣ x ⌘n ⌘ x e = lim 1 + = lim 1 + . n!1 n!1 n n 2 Beispiel 3.4.2 (i) Die Reihe 1 X 1 n(ln n) n=2 divergiert. (ii) Die Reihe 1 X 1 n(ln n)2 n=2 konvergiert. (iii) Die Reihe 1 X 1 n(ln n)(ln(ln n)) n=3 divergiert. (iv) Die Reihe 1 X 1 n(ln n)(ln(ln n))2 n=3 konvergiert. P1 1 Beweis. (i) Nach dem Verdichtungssatz konvergiert die Reihe n=2 n ln(n) genau dann, wenn die Reihe 1 1 1 X X 2k 1 1 X1 = = 2k ln(2k ) k ln 2 ln 2 k k=1 k=1 k=1 P1 konvergiert. Die Reihe k=1 k1 divergiert. P1 1 (ii) Nach dem Verdichtungssatz konvergiert die Reihe n=2 n(ln n)2 genau dann, wenn die Reihe 1 1 1 X X 2k 1 1 X 1 = = 2k (ln(2k ))2 k2 (ln 2)2 (ln 2)2 k2 k=1 k=1 k=1 P1 konvergiert. Die Reihe k=1 k12 konvergiert. P1 1 (iii) Nach dem Verdichtungssatz konvergiert die Reihe n=3 n(ln n)(ln(ln n)) genau dann, wenn die Reihe 1 X k=2 1 1 k=2 k=2 X 2k 1 1 X 1 = = k k k 2 (ln 2 )(ln(ln 2 )) k(ln 2)(ln k(ln 2)) ln 2 k(ln k + ln(ln 2)) 3.4. POTENZ, EXPONENTIALFUNKTION UND LOGARITHMUS 129 konvergiert. Die letzte Reihe konvergiert genau dann, wenn die Reihe 1 X k=2 1 k(ln k) konvergiert. Nach (i) divergiert diese Reihe. (iv) 1 X k=3 1 1 k=3 k=3 2k 1 X 1 1 X 1 = = k k k 2 2 2 (ln 2 )(ln(ln 2 )) (ln 2) k(ln k(ln 2)) (ln 2) k(ln k + ln(ln 2))2 Diese Reihe konvergiert genau dann, wenn die Reihe 1 X k=3 1 k(ln k)2 konvergiert. Nach (ii) konvergiert diese Reihe. 2 Beispiel 3.4.3 Die Folge s r q p xn = 1! 2! 3! · · · n! n2N konvergiert. Beweis. Wir zeigen, dass die Folge {xn }n2N monoton wachsend und nach oben beschränkt ist. xn = n Y 1 (k!) 2k < k=1 n+1 Y 1 (k!) 2k = xn+1 k=1 Damit ist die Folge monoton wachsend. xn = n Y (k!) k=1 1 2k n Y (k) k 2k k=1 = n Y k=1 ! ✓ ◆ n X k k ln k exp (ln k) k = exp 2 2k k=1 Es bleibt zu zeigen, dass 1 X k ln k k=1 2k konvergiert. Dazu verwenden wir das Quotientenkriterium. ✓ ◆✓ ◆ (k+1) ln(k+1) ln(1 + k1 ) 1 (k + 1) ln(k + 1) 1 1 2k+1 = = 1+ 1+ k ln k 2 k ln k 2 k ln k 2k 2 Beispiel 3.4.4 Es sei n 2 N. Es bezeichne bxc die größte, ganze Zahl, die kleiner als x ist und dxe die kleinste ganze Zahl, die größer als x ist. Gilt ⇠ ⇡ ⌫ 2n 2 = ? 1 log2 2 2n 1 Man kann zeigen, dass die Di↵erenz 2n log2 2 monoton gegen 1 wächst. 2 1 2n 1 130 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN 3.5 Di↵erenzierbare Funktionen Wir wollen hier Funktionen betrachten, deren Graph eindeutige Tangenten besitzen. Wir wollen die Steigung dieser Tangente berechnen, d.h. die Steigung der Kurve in dem Punkt der Tangente berechnen. Diese Steigung werden wir als Ableitung der Funktion bezeichnen. Anschaulich ist eine Funktion in einem Punkt di↵erenzierbar, wenn ihr Graph eine eindeutige Tangente besitzt. So ist eine Funktion, deren Graph eine Ecke besitzt, nicht di↵erenzierbar. Ebenso ist eine Funktion nicht di↵erenzierbar, wenn sie einen Sprung besitzt. Intuitiv mag man annehmen, dass jede stetige Funktion ”fast überall” di↵erenzierbar ist. Dazu lassen sich aber Beispiel konstruieren, die dies widerlegen. Zuallererst eine stetige Funktion, die in keinem Punkt di↵erenzierbar ist (Beispiel 3.9.3, Beispiel 5.10.1). Darüber hinaus kann man sich die Frage stellen, inwieweit man vorschreiben kann, wo eine stetige Funktion di↵erenzierbar ist und wo nicht? Dazu das Beispiel einer stetigen Funktion, die in allen irrationalen Punkten di↵erenzierbar ist und in allen rationalen Punkten nicht di↵erenzierbar ist (Beispiel 5.4.2). Die Cantor Funktion (Beispiel 5.3.2) ist eine wachsende, stetige Funktion, die in allen Punkten der Cantor Menge nicht di↵erenzierbar ist und in allen anderen Punkten di↵erenzierbar. Definition 3.5.1 Es sei I ein Intervall in R und f : I ! R eine Funktion. f heißt in x0 2 I di↵erenzierbar, falls der Grenzwert (3.5) lim x!x0 f (x) x f (x0 ) x0 existiert. In dieser Form erscheint die Definition durchgängig in der Literatur. Wir wollen noch limx!x0 entsprechend interpretieren und die Definition genauer aufschreiben. Definition 3.5.2 Es sei I ein Intervall in R und f : I ! R eine Funktion. f heißt in x0 2 I di↵erenzierbar, falls ein ⌘ 2 R existiert, so dass für alle Folgen {xn }n2N mit limn!1 xn = x0 und xn 6= x0 für alle n 2 N lim n!1 f (xn ) xn f (x0 ) =⌘ x0 gilt. Die Di↵erenzierbarkeit von f in x0 in Quantorenschreibweise ist ⇣ ⌘ f (xn ) 9⌘ 2 R8{xn }n2N , lim xn = x0 ^ 8n 2 N : xn 6= x0 : lim n!1 n!1 xn f (x0 ) =⌘ x0 bzw. 9⌘ 2 R8{hn }n2N , ⇣ ⌘ lim hn = 0 ^ 8n 2 N : hn 6= 0 : n!1 f (x0 + hn ) n!1 hn lim f (x0 ) = ⌘. 3.5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN 131 Wir bezeichnen den Grenzwert (3.5) mit df (x0 ) dx und f 0 (x0 ). Wir nennen diesen Grenzwert die Ableitung von f im Punkt x0 . Falls x0 linker bzw. rechter Endpunkt von I ist, so heißt f in x0 linksseitig bzw. rechtsseitig di↵erenzierbar. Falls f auf I di↵erenzierbar ist, so heißt die Funktion f 0 : I ! R, die jedem x 2 I die Ableitung von f in diesem Punkt zuordnet die Ableitung von f . Falls f 0 auf I stetig ist, so heißt f auf I stetig di↵erenzierbar. Die höheren Ableitungen sind durch f 00 = (f 0 )0 und f (n) = (f (n 1) )0 n 2 N definiert. Lemma 3.5.1 (Binomische Formel) Für alle x, y 2 R und alle n 2 N gilt n ✓ ◆ X n n k k n (x + y) = x y k k=0 wobei die Binomialkoeffizienten durch ✓ ◆ n n! = k k!(n k)! gegeben sind. Beweis. Wir benutzen Induktion. Für n = 1 ist die Aussage o↵ensichtlich richtig. Nun machen wir den Induktionsschritt von n auf n + 1. Es gilt n ✓ ◆ X n n k k n (x + y) = x y k k=0 Hieraus folgt (x + y)n+1 = (x + y)(a + y)n n ✓ ◆ n ✓ ◆ X n n+1 k k X n n k k+1 = x y + x y k k k=0 k=0 ✓ ◆ ◆ ✓ ◆ n ✓ ◆ n ✓ X n n+1 n n k+1 k X n n n+1 n+1 k k = x + x y + x y + y 0 k k 1 n k=1 k=1 ✓ ◆ ✓ ◆◆ ✓ ◆ n ✓✓ ◆ X n n+1 n n n n+1 n+1 k k = x + + x y + y . 0 k k 1 n k=1 Weiter gilt ✓ ◆ ✓ ◆ ✓ ◆ n n n+1 + = k k 1 k 132 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN weil ✓ ◆ ✓ ◆ n n n! n! + = + k k 1 k!(n k)! (k 1)!(n k + 1)! ✓ ◆ n!((n k + 1) + k) n+1 = = . k!(n k + 1)! k Somit n+1 (x + y) 2 ◆ n+1 ✓ X n + 1 n+1 k k = x y . k k=0 Beispiel 3.5.1 (i) f : R ! R, f (x) = c. Dann gilt f 0 (x) = 0. (ii) f : R ! R, f (x) = xm , m 2 N. Dann gilt f 0 (x) = mxm 1 . (iii) f : (0, 1) ! R, f (x) = ln x. Dann gilt f 0 (x) = 1 . x (iv) f : (0, 1) ! R, f (x) = loga x. Dann gilt f 0 (x) = 1 1 = loga e . x ln a x (v) f : R ! R, f (x) = |x|. Dann ist f nicht in 0 di↵erenzierbar. Beweis. (i) f 0 (x0 ) = lim x!x0 f (x) x f (x0 ) 0 = lim =0 x!x x0 x0 0 x (ii) Wir setzen x = x0 + h. f (x0 ) f (x0 + h) f (x0 ) = lim h!0 x0 h (m ✓ ◆ 1 1 X m m = lim {(x0 + h)m xm x 0 } = lim h!0 h h!0 h k 0 k=0 m ✓ ◆ m ✓ ◆ X 1X m m k k m m k k = lim x h = lim x h h!0 h h!0 k 0 k 0 f 0 (x0 ) = lim x!x0 f (x) x k=1 k k h 1 xm 0 = mxm 0 ) 1 k=1 (iii) Wir setzen x = x0 + h. f (x) f (x0 ) f (x0 + h) = lim h!0 x x0 h 1 = lim {ln(x0 + h) ln x0 } h!0 h f 0 (x0 ) = lim f (x0 ) x!x0 D.h. dass für alle Folgen {hn }n2N mit limn!1 hn = 0 und mit hn 6= 0 für alle n 2 N f 0 (x0 ) = lim n!1 1 {ln(x0 + hn ) hn ln x0 } 3.5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN 133 gelten muss. Wir führen die Rechnung fort ✓ ◆ 1 x0 hn f (x0 ) = lim = lim ln 1 + n!1 n!1 x0 hn hn x0 ! ✓ ◆ hx0 1 hn n = lim ln 1+ . n!1 x0 x0 ln(1 + 0 hn x0 ) Da der Logarithmus eine stetige Funktion ist, gilt weiter ✓ ◆ x0 ! hn hn lim 1 + . n!1 x0 1 f (x0 ) = ln x0 0 Nach Lemma 3.4.12 und Korollar 3.4.1 f 0 (x0 ) = Insgesamt erhalten wir ln0 (x0 ) = (iv) Wir benutzen 1 1 ln e = . x0 x0 1 x0 . loga x = ln x . ln a Diese Gleichung folgt aus x = aloga x . (v) f di↵erenzierbar in x0 bedeutet 9⌘ 2 R 8{hn }n2N , lim hn = 0 : f (x0 + hn ) hn f (x0 ) f (x0 + hn ) n!1 hn f (x0 ) lim n!1 n!1 = ⌘. f ist nicht in x0 di↵erenzierbar heißt 8⌘ 2 R 9{hn }n2N , lim hn = 0 : lim n!1 6= ⌘. In dem vorliegenden Beispiel ist x0 = 0. Wir betrachten zuerst den Fall, dass ⌘ 0. Wir wählen hn = n1 , n 2 N. Dann gilt 1 f (x0 + n1 ) f (x0 ) 0 n = = 1. 1 1 n Für ⌘ 0 wählen wir hn = 1 n. n Dann erhalten wir f (x0 1 n) 1 n f (x0 ) = 1 n 0 1 n = 1. 2 Satz 3.5.1 Es sei I ein Intervall und f : I ! R sei di↵erenzierbar in x0 . Dann ist f stetig in x0 . Beweis. Es sei {xn }n2N eine Folge mit limn!1 xn = x0 und mit xn 6= x0 für fast alle n 2 N. Da f in x0 di↵erenzierbar ist, folgt f (xn ) n!1 xn lim f (x0 ) = f 0 (x0 ). x0 134 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Hieraus folgt lim (xn n!1 x0 ) f (xn ) xn f (x0 ) = lim f 0 (x0 )(xn n!1 x0 x0 ) = 0. Es folgt lim f (xn ) n!1 f (x0 ) = 0. und damit lim f (xn ) = f (x0 ). n!1 für alle Folgen mit limn!1 xn = x0 und mit xn 6= x0 für alle n 2 N. Es bleibt zu zeigen, dass wir auf die Einschränkung xn 6= x0 für fast alle n 2 N verzichten können. Falls für fast alle n 2 N die Gleichung xn = x0 gilt, gilt o↵ensichtlich limn!1 f (xn ) = f (x0 ). Wir betrachten nun die Teilfolge {xnk }k2N mit xnk 6= x0 für alle k 2 N (für alle anderen xn gelte xn = x0 ). Nach obigem Argument gilt lim f (xnk ) = f (x0 ). k!1 Deshalb hat die Folge {f (xnk )}k2N genau einen Häufungswert, nämlich f (x0 ). Folglich hat die Folge {f (xn )}n2N auch nur den Häufungswert f (x0 ) Nach Lemma 2.6.3 konvergiert die Folge gegen f (x0 ). 2 Bemerkung 3.5.1 (i) Aus der Stetigkeit folgt nicht die Di↵erenzierbarkeit. Ein Beispiel dafür ist die Funktion f (x) = |x| im Punkt 0. (ii) Es gibt Funktionen, die auf einem Intervall stetig sind, aber in keinem Punkt di↵erenzierbar. (iii) Falls eine Funktion auf einem Intervall di↵erenzierbar ist, so muss die Ableitung nicht stetig sein. Lemma 3.5.2 Es seien f, g : I ! R Funktionen, die in x0 di↵erenzierbar sind. Dann gelten (i) f + g ist in x0 di↵erenzierbar und (f + g)0 (x0 ) = f 0 (x0 ) + g 0 (x0 ). (ii) (Produktregel) f · g ist in x0 di↵erenzierbar und (f g)0 (x0 ) = f 0 (x0 )g(x0 ) + f (x0 )g 0 (x0 ). (iii) (Quotientenregel) Ist g 6= 0 auf dem Intervall I, so existiert in x0 di↵erenzierbar. Es gilt ✓ ◆0 f f 0 (x0 )g(x0 ) f (x0 )g 0 (x0 ) (x0 ) = . g g 2 (x0 ) f g auf I und f g ist 3.5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN 135 Beweis. (ii) Es sei {xn }n2R eine reelle Folge mit limn!1 xn = x0 . Es gilt f (xn )g(xn ) f (x0 )g(x0 ) xn x0 f (xn )g(xn ) f (xn )g(x0 ) f (xn )g(x0 ) f (x0 )g(x0 ) = + xn x0 xn x0 g(xn ) g(x0 ) f (xn ) f (x0 ) = f (xn ) + g(x0 ) . xn x0 xn x0 Da f di↵erenzierbar ist, ist f insbesondere stetig (Satz 3.5.1). Somit folgt aus der Di↵erenzierbarkeit von f und g g(xn ) xn g(x0 ) = f (x0 )g 0 (x0 ) x0 f (xn ) xn f (x0 ) = f 0 (x0 )g(x0 ) x0 lim f (xn ) n!1 lim g(x0 ) n!1 Also gilt f (xn )g(xn ) n!1 xn lim f (x0 )g(x0 ) = f (x0 )g 0 (x0 ) + f 0 (x0 )g(x0 ). x0 2 Beispiel 3.5.2 (i) Es sei pn : R ! R die n-te Potenzfunktion, die durch pn (x) = xn definiert ist. Dann gilt (pn )0 (x) = nxn 1 . (ii) Alle Polynome p : R ! R mit p(x) = n X ak xk k=0 sind auf R di↵erenzierbar. (iii) Alle rationalen Funktionen p q sind auf R \ {x|q(x) = 0} di↵erenzierbar. Beweis. (i) Wir haben diese Aussage in Beispiel 3.5.1 bereits bewiesen. Dabei haben wir die binomische Formel benutzt. Wir wollen hier die Aussage beweisen, ohne die binomische Formel zu benutzen. Wir verwenden Induktion. Wir zeigen die Aussage für n = 1: lim x!x0 p1 (x) x p1 (x0 ) x = lim x!x0 x x0 Wir nehmen an, wir haben bereits (pn )0 (x) = nxn folgt 1 x0 = 1. x0 gezeigt. Mit der Produktregel (Lemma 3.5.2) (pn+1 )0 (x) = (pn · p1 )0 (x) = (pn )0 (x)p1 (x) + pn (x)(p1 )0 (x) = nxn 1 · x + xn = (n + 1)xn . (ii) Nach (i) sind alle Monome bzw. Potenzfunktionen auf R di↵erenzierbar. Nach Lemma 3.5.2 auch Summen von Monomen. (iii) Es sei x0 ein Punkt mit q(x0 ) 6= 0. Da q stetig ist, gibt es ein Intervall [x0 ✏, x0 + ✏] auf dem q von 0 verschieden ist. Nun wenden wir (ii) und die Quotientenregel an (Lemma 3.5.2). 2 136 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Satz 3.5.2 (Kettenregel) Es seien I und J Intervalle und f : I ! J und g : J ! R Funktionen, die in x0 bzw. f (x0 ) di↵erenzierbar sind. Dann ist g f in x0 di↵erenzierbar und es gilt (g f )0 (x0 ) = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ). Beweis. Es sei {xn }n2R eine reelle Folge mit limn!1 xn = x0 und mit xn 6= x0 für alle n 2 N. Da f in x0 di↵erenzierbar ist, so ist f auch in x0 stetig und es gilt lim f (xn ) = f (x0 ). n!1 Wir betrachten drei Fälle. Falls für fast alle n 2 N gilt, dass f (xn ) 6= f (x0 ), dann gibt es ein N , so dass für alle n > N (g f )(xn ) (g f )x0 g(f (xn )) = xn x0 f (xn ) g(f (x0 )) f (xn ) f (x0 ) xn f (x0 ) x0 gilt. Da g di↵erenzierbar und f stetig ist, gilt lim n!1 g(f (xn )) f (xn ) g(f (x0 )) = g 0 (f (x0 )). f (x0 ) Insgesamt erhalten wir (g f )(xn ) n!1 xn lim (g f )(x0 ) = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ) . x0 Der zweite Fall ist, dass für fast alle n 2 N gilt f (xn ) = f (x0 ). Dann gibt es ein N 2 N, so dass für alle n N gilt f (xn ) = f (x0 ). Deshalb (g f )(xn ) n!1 xn lim (g f )(x0 ) = 0. x0 Andererseits gilt auch f (xn ) n!1 xn f 0 (x0 ) = lim f (x0 ) = 0. x0 Es folgt (g f )(xn ) (g f )(x0 ) = 0 = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ) . n!1 xn x0 Nun der dritte Fall: Es gibt unendlich viele n 2 N mit f (xn ) = f (x0 ) und unendlich viele n 2 N mit f (xn ) 6= f (x0 ). Also gibt es zwei Teilfolgen {xnk }k2N und {xmj }j2N mit N = {nk |k 2 N} [ {mj |j 2 N} lim und f (xnk ) = f (x0 ) für alle k 2 N und f (xmj ) 6= f (x0 ) für alle j 2 N. Es folgt f (xnk ) k!1 xnk f 0 (x0 ) = lim f (x0 ) = 0. x0 3.5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN 137 Wie im ersten Fall erhalten wir lim k!1 (g f )(xnk ) xnk (g f )(x0 ) = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ). x0 und wie im zweiten Fall erhalten wir (g f )(xnj ) j!1 xnj lim (g f )(x0 ) = 0 = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ). x0 Also konvergieren beide Teilfolgen gegen den Grenzwert g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ). Hiermit folgt (g f )(xn ) (g f )(x0 ) lim = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ). n!1 xn x0 2 Satz 3.5.3 Es seien I und J Intervalle und f : I ! J sei eine Funktion, die in x0 di↵erenzierbar sei und für die f (I) = J gilt. Es gelte f 0 (x0 ) 6= 0 und es existiere die Umkehrfunktion f 1 : J ! I. Dann ist f 1 in f (x0 ) di↵erenzierbar und es gilt (f 1 0 ) (f (x0 )) = 1 f 0 (x0 ) . Beweis. Es sei {yn }n2N eine Folge in J mit limn!1 yn = y0 und yn 6= y0 für n 2 N. Wir setzen xn = f 1 (yn ) für n = 0, 1, 2, . . . . Dann gilt für alle n 2 N mit xn 6= x0 , weil f und f 1 injektiv sind. Weiter gilt f 1 (yn ) yn f 1 (y0 ) f = y0 1 (f (xn )) f (xn ) f 1 (f (x0 )) xn = f (x0 ) f (xn ) x0 = f (x0 ) Deswegen erhalten wir lim n!1 f 1 (yn ) yn f 1 (y0 ) = lim n!1 y0 1 f (xn ) f (x0 ) xn x0 = 1 f 0 (x0 ) . 2 Beispiel 3.5.3 Es sei f : [ 1, 1] ! R durch 8 < x2 cos x⇡2 f (x) = : 0 falls x 2 [ 1, 1] und x 6= 0 falls x = 0 gegeben. Dann ist f auf [ 1, 1] di↵erenzierbar und f 0 ist in 0 unstetig. Beweis. Falls 0 6= x gilt, dann kann man die Kettenregel anwenden und erhält f 0 (x) = 2x cos ⇣ ⇡ ⌘ 2⇡ ⇣⇡⌘ + sin . x2 x x2 1 f (xn ) f (x0 ) xn x0 . 138 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Für x = 0 rechnet man aus x2 cos x!0 x f 0 (0) = lim ⇡ x2 = lim x cos x!0 ⇣⇡⌘ =0 x2 f ist also auf ganz [ 1, 1] di↵erenzierbar. Wir weisen nun nach, dass f 0 in 0 nicht stetig ist. Wir betrachten die Punkte 1 xn = q 2n + Dann gelten n 2 N. 1 2 lim xn = 0 n!1 und 0 1 f (xn ) = 2 q 2n + 1 2 r r ✓ ✓ ◆◆ ✓ ✓ ◆◆ 1 1 1 1 cos ⇡ 2n + + 2⇡ 2n + sin ⇡ 2n + = 2⇡ 2n + . 2 2 2 2 Also konvergiert die Folge {f 0 (xn )}n2N nicht. 2 Beispiel 3.5.4 (i) ex ist auf R di↵erenzierbar und (ex )0 = ex . (ii) Es sei a > 0. Dann ist ax auf R di↵erenzierbar und (ax )0 = (ln a)ax . (iii) Es sei ↵ 6= 0 und f : [0, 1) ! R, f (x) = x↵ . Die Funktion f ist auf (0, 1) di↵erenzierbar und es gilt (x↵ )0 = ↵x↵ 1 . (iv) Es sei f : [0, 1) ! R f (x) = ( 1 xx falls x = 0 falls x > 0 f ist di↵erenzierbar auf (0, 1) und f 0 (x) = xx (1 + ln x). 2 1.8 1.6 1.4 1.2 0.5 1 1.5 2 0.8 Beweis. (i) ln x ist auf (0, 1) di↵erenzierbar und ex ist die Umkehrfunktion. Nach Satz 3.5.3 gilt (f 1 0 ) (f (x)) = 1 . f 0 (x) 3.6. DER SATZ VON ROLLE UND DER MITTELWERTSATZ 139 Also gilt für f mit f (x) = ln x (f 1 0 ) (ln x) = 1 = x. f 0 (x) Mit y = ln x folgt (f 1 0 ) (y) = ey . (ii) Es gilt x ax = eln(a ) = ex ln a . (iii) Da der Logarithmus ln und die e-Funktion di↵erenzierbar sind ist auch die zusammengesetzte Funktion ↵ x↵ = eln(x ) = e↵ ln x nach der Kettenregel di↵erenzierbar und es gilt (x↵ )0 = (e↵ ln x )0 = e↵ ln x (↵ ln x)0 = ↵ ↵ ln x xe = ↵ ↵ xx = ↵x↵ 1 . (iv) Wir verwenden die Gleichung x xx = eln x = ex ln x . 2 3.6 Der Satz von Rolle und der Mittelwertsatz Michel Rolle (ausgesprochen: Roll) wurde am 21.4.1652 in Ambert in der Auvergne geboren. Er war Sohn eines Krämers und erhielt nur eine elementare Ausbildung und arbeitete zunächst als Schreiber. Er ging 1675 nach Paris und wurde Hauslehrer. Ab 1699 erhielt er als Mitglied der Pariser Akademie ein reguläres Gehalt. Er arbeitete vorwiegend auf dem Gebiet der Algebra. Er starb am 8.11.1719 in Paris. Definition 3.6.1 Es sei X ✓ R und f : X ! R. Wir sagen, dass f in x0 ein lokales Maximum (Minimum) hat, wenn es ein > 0 gibt, so dass für alle x 2 X mit |x x0 | < f (x) f (x0 ) (f (x) f (x0 )) gilt. Wir sagen, dass f ein lokales Extremum besitzt, falls es ein lokales Minimum oder Maximum besitzt. Lemma 3.6.1 Es sei f : [a, b] ! R in x0 2 (a, b) di↵erenzierbar. Hat f in x0 ein lokales Extremum, so gilt f 0 (x0 ) = 0 . Beweis. f habe in x0 ein lokales Maximum. Dann gilt 9N 2 N 8n > N : f (x0 + n1 ) f (x0 ) und f (x0 1 ) n f (x0 ). 140 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Hieraus folgen 0 f (x0 ) = f 0 (x0 ) = f (x0 + n1 ) lim 1 n n!1 lim f (x0 )) 1 ) n f (x0 f (x0 )) 1 n n!1 0 0. Also gilt f 0 (x0 ) = 0. Für ein lokales Minimum wird genauso argumentiert. 2 Satz 3.6.1 (Rolle) Es sei f : [a, b] ! R auf [a, b] stetig und auf (a, b) di↵erenzierbar. Es gelte f (a) = f (b). Dann gibt es mindestens ein ⇠ 2 (a, b) mit f 0 (⇠) = 0. Ein Beispiel für den Satz von Rolle ist f : [ 1, 1] ! R mit f (x) = x2 . Es gilt f ( 1) = f (1) = 1 und f 0 (0) = 0. Beweis. Falls f auf [a, b] konstant ist, dann gilt für alle x 2 (a, b), dass f 0 (x) = 0. Wir können also annehmen, dass es mindestens einen Punkt gibt, an dem der Wert von f nicht gleich f (a) = f (b) ist. Da f stetig ist, nimmt f auf [a, b] das Minimum in xmin und das Maximum in xmax an. Da f nicht konstant ist, gilt f (xmin ) < f (a) = f (b) oder f (xmax ) > f (a) = f (b). Also gilt xmin 2 (a, b) oder xmax 2 (a, b) und wir können Lemma 3.6.1 anwenden. 2 Satz 3.6.2 (Mittelwertsatz) Es sei f : [a, b] ! R auf [a, b] stetig und auf (a, b) di↵erenzierbar. Dann gibt es mindestens ein ⇠ 2 (a, b) mit f 0 (⇠) = f (b) b f (a) . a Beweis. Wir definieren F : [a, b] ! R durch F (x) = f (x) f (a) f (b) b f (a) (x a a). Dann ist F auf [a, b] stetig, auf (a, b) di↵erenzierbar und es gilt F (a) = F (b) = 0. Damit können wir den Satz von Rolle anwenden und es gibt ein ⇠ 2 (a, b) mit F 0 (⇠) = 0. Also gilt f (b) f (a) 0 = F 0 (⇠) = f 0 (⇠) . b a 2 3.6. DER SATZ VON ROLLE UND DER MITTELWERTSATZ 141 0.6 0.4 0.2 -2 -1 1 2 -0.2 -0.4 -0.6 Beispiel 3.6.1 Es sei f : [ 1, 1] ! R mit f (x) = x3 . Es gilt f (1) f ( 1) = 1. 1 ( 1) Es gibt zwei Punkte ⇠ = p1 3 und ⇠ = p1 3 mit f 0 (⇠) = 1. Satz 3.6.3 Es sei f : [a, b] ! R auf [a, b] stetig und auf (a, b) di↵erenzierbar. Es gelte für alle x 2 (a, b), dass f 0 (x) = 0. Dann ist f eine konstante Funktion. Beweis. Es sei x 2 (a, b]. Nach dem Mittelwertsatz (Satz 3.6.2) gibt es ein ⇠ 2 (a, x) mit f (x) f (a) f 0 (⇠) = . x a Da f 0 (⇠) = 0 gilt, folgt f (x) = f (a). 2 Korollar 3.6.1 Es seien f, g : [a, b] ! R auf [a, b] stetig und auf (a, b) di↵erenzierbar. Außerdem gelte für alle x 2 (a, b), dass f 0 (x) = g 0 (x). Dann gibt es eine Konstante c 2 R, so dass für alle x 2 [a, b] f (x) g(x) = c gilt. Beweis. Wir wenden Satz 3.6.3 auf die Funktion f g an. 2 Satz 3.6.4 (Verallgemeinerter Mittelwertsatz) Es seien f, g : [a, b] ! R auf [a, b] stetig und auf (a, b) di↵erenzierbar. Außerdem gelte für alle x 2 (a, b), dass g 0 (x) 6= 0. Dann gilt (i) g(a) 6= g(b) (ii) Es gibt ein ⇠ 2 (a, b) mit f 0 (⇠) f (b) = 0 g (⇠) g(b) f (a) . g(a) 142 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Dieser verallgemeinerte Mittelwersatz hat auch eine geometrische Interpretation. Die Kurve : [a, b] ! R2 mit (t) = (f (t), g(t)) besitzt eine Tangente, die parallel zu der Geraden durch die Punkte (a) und (b) ist. Beweis. (i) Falls g(a) = g(b), dann gibt es nach dem Mittelwertsatz (Satz 3.6.2) ein ⇠ 2 (a, b) mit g(b) g(a) g 0 (⇠) = = 0. b a (ii) Wir wenden den Satz von Rolle auf die Funktion F (x) = f (x) f (a) f (b) g(b) f (a) (g(x) g(a) g(a)) an. Die Voraussetzungen des Satzes von Rolle sind erfüllt, weil F (a) = F (b) = 0 gilt. Also gibt es ein ⇠ 2 (a, b) mit F 0 (⇠) = 0. Hiermit folgt 0 = F 0 (⇠) = f 0 (⇠) und damit f (b) g(b) f 0 (⇠) f (b) = 0 g (⇠) g(b) f (a) 0 g (⇠) g(a) f (a) . g(a) 2 Lemma 3.6.2 Die Funktion f : [a, b] ! R sei auf [a, b] stetig und auf (a, b) differenzierbar. (i) Gilt für alle x 2 (a, b), dass f 0 (x) > 0, dann ist f streng monoton wachsend auf [a, b]. (ii) Gilt für alle x 2 (a, b), dass f 0 (x) < 0, dann ist f streng monoton fallend auf [a, b]. Beweis. (i) Es sei a x < y b. Wir zeigen nun, dass f (x) < f (y). Nach dem Mittelwertsatz gibt es ein ⇠ 2 (x, y) mit f (y) y Also gilt f (y) f (x) = f 0 (⇠) > 0. x f (x) > 0. 2 Beispiel 3.6.2 (i) Die Funktion f : [0, 1] ! R, f (x) = x2 , ist auf [0, 1] streng monoton wachsend. (ii) Die Funktion f : [ 1, 1] ! R, f (x) = x3 , ist auf [ 1, 1] streng monoton wachsend. (iii) ex ist auf R streng monoton wachsend. (iv) ln ist auf (0, 1) streng monoton wachsend. 3.6. DER SATZ VON ROLLE UND DER MITTELWERTSATZ 143 Beweis. (i), (iii) und (iv) folgen unmittelbar aus Lemma 3.6.2. (ii) können wir nicht unmittelbar aus Lemma 3.6.2 folgern, weil f 0 (0) = 0 gilt. Wenn wir jedoch, das Intervall [ 1, 1] in zwei Teilintervalle [ 1, 0] und [0, 1] zerlegen, können wir Lemma 3.6.2 anwenden. 2 Lemma 3.6.3 (i) Für alle x mit x 2 (0, 1) gilt ex < 1 1 x . (ii) Für alle x mit x 2 (0, 1) gilt 1 + x < ex . (iii) Für alle x 2 (0, 1) gilt x < ln(1 + x) < x. 1+x Beweis. (i) Wir wenden den Mittelwertsatz auf die Funktion f : [0, x] ! R, f (t) = et an. Dann gibt es ein ⇠ 2 (0, x), so dass f (x) f (0) x = f 0 (⇠) ex bzw. 1 x = e⇠ gilt. Nach Beispiel 3.6.2 ist die e-Funktion streng monoton wachsend. Also gilt e⇠ < ex . Wir erhalten ex 1 = e⇠ < ex . x Hieraus folgt für alle x 2 (0, 1) 1 ex < . 1 x (ii) Wir wenden den Mittelwertsatz auf die Funktion f : [0, x] ! R, f (t) = et an. Dann gibt es ein ⇠ 2 (0, x), so dass f (x) f (0) x = f 0 (⇠) bzw. ex 1 x = e⇠ gilt. Nach Beispiel 3.6.2 ist die e-Funktion streng monoton wachsend. Deshalb gilt e⇠ > e0 . Wir erhalten ex 1 = e⇠ > e0 = 1. x Es folgt 1 + x < ex . (iii) Nach (ii) gilt 1 + x < ex . Wir nehmen auf beiden Seiten den Logarithmus und erhalten ln(1 + x) < x. y Nach (i) gilt ex < 1 1 x . Wir setzen x = 1+y und erhalten y e 1+y < 1 + y. Nun nehmen wir auf beiden Seiten den Logarithmus. Da der Logarithmus streng monoton wachsend ist, bleibt die Ungleichung erhalten. 2 144 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Beispiel 3.6.3 (Euler-Mascheroni Konstante) [99] Die Folge ( n ) X1 ln n k k=1 n2N konvergiert. (Der Grenzwert wird als Euler-Macheroni Konstante bezeichnet und ist verschieden von der Zahl e.) Insbesondere gilt n X 1 1 ln 2 + ln n 1 + ln(n + 1). k k=1 Pn Wir erhalten hier die Größenordnung der Partialsumme k=1 k1 . Dies kann man auch mit Hilfe des Integralkriteriums bekommen (Beispiel 5.13.1). Es ist nicht bekannt, ob ide Euler-Mascheroni Konstante rational oder irrational ist. Die Dezimalbruchentwicklung ist = 0, 577215664901532...... Lorenzo Mascheroni wurde am 13. Mai 1750 bei Bergamo geboren und er starb am 14. Juli 1800 in Paris (Sein Name spricht sich Maskeroni aus). Er war Professor an der Universität Pavia und wurde dort Rektor der Universität. Beweis. Wir setzen xn = yn = n X 1 k k=1 n X k=1 ln(n + 1) 1 k n2N ln n Wir zeigen, dass die Folge {xn }n2N monoton wachsend und nach oben beschränkt ist, die Folge {yn }n2N monoton fallend und nach unten beschränkt ist. Wir zeigen, dass {xn }n2N monoton wächst. Es gilt genau dann xn xn+1 , wenn n X 1 k k=1 ln(n + 1) n+1 X k=1 1 k ln(n + 2). Dies äquivalent zu ln(n + 2) Dies wiederum ist äquivalent zu ln ✓ ln(n + 1) n+2 n+1 ◆ 1 . n+1 1 . n+1 Wegen Lemma 3.6.3 (iii) gilt aber ln(1 + n1 ) n1 und die letzte Ungleichung ist wahr. Wir zeigen nun, dass {yn }n2N monoton fallend ist. Es gilt genau dann yn yn+1 , wenn n X 1 k ln(n) k=1 n+1 X k=1 Dies ist äquivalent zu ln ✓ n+1 n ◆ 1 k ln(n + 1). 1 . n+1 Diese Ungleichung gilt aber nach Lemma 3.4.7 (iii). Wir zeigen, dass {xn }n2N nach oben beschränkt ist. Für alle n 2 N gilt xn < yn . Hiermit folgt für alle n 2 N, dass xn < yn y1 = 1. Genauso zeigt man, dass {yn }n2N nach unten beschränkt 3.6. DER SATZ VON ROLLE UND DER MITTELWERTSATZ 145 ist. Nach Lemma 2.4.5 konvergiert eine reelle, nach oben beschränkte, monoton wachsende Folge in R. Wir wollen noch anmerken, dass die beiden Folgen {xn }n2N und {yn }n2N gegen denselben Grenzwert konvergieren. Dazu zeigen wir, dass die Folge {xn yn }n2N eine Nullfolge ist. Es gilt xn yn = ln n ln(1 + n1 ). ln(n + 1) = Mit Lemma 3.6.3 (iii) folgt 1 1 ln(1 + n1 ) . n+1 n Damit ist {ln(1 + n1 )}n2N eine Nullfolge. 2 Beispiel 3.6.4 [65] Es sei P die Menge der Primzahlen und für alle n 2 N sei Pn die Menge aller Primzahlen, die kleiner oder gleich n sind. Dann gilt ⇣ X 1 n⌘ ln 1 + ln <2 . 2 p p2Pn Insbesondere divergiert die Reihe X1 p2P p . Aus diesem Ergebnis folgt auch, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. Beachte auch den Primzahlsatz [100]. Beweis. Mit Beispiel 2.7.1 Y p2Pn p p 1 = Y p2Pn 1 1 1 Y X 1 . pk = 1 p p2Pn k=0 Wir wollen nun einsehen, dass 1 Y X 1 pk p2Pn k=0 n X 1 . k k=1 Dazu schreiben wir die Primzahlen, die kleiner oder gleich n sind, als Produkt von allen Primzahlen p1 , . . . , pjn , die kleiner oder gleich n sind. Es sei k 2 N mit 1 k n. Nach dem Primzahlzerlegungssatz lässt sich k als Produkt von Primzahlen schreiben. Keine dieser Primzahlen kann strikt größer als k sein. Also gibt es Zahlen k1 , . . . , kjn 2 N0 mit k= jn Y pki i i=1 Wir beobachten, dass alle Zahlen k1 , . . . , kjn kleiner oder gleich n sind. Dies gilt, weil 2 die kleinste Primzahl ist und k n < 2n gilt. Also gilt 8 9 jn <Y = k {1, . . . , n} ✓ pj j 0 k1 , . . . , kjn n : ; j=1 Hiermit folgt jn X 1 1 Y X Y 1 1 = kj pk j=1 kj =0 pj p2Pn k=0 jn X n Y 1 k j j=1 kj =0 pj = n X k1 ,...,kjn =0 0 @ jn Y j=1 1 k pj j A 1 . 146 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Also Y p p2Pn Weiter folgt 0 ln @ Y p2Pn p 1 > n X 1 . k k=1 1 ! n X p A 1 > ln . p 1 k k=1 Mit Lemma 3.6.3 folgt ! ◆ n X X ✓ p ◆ X ✓ X 1 X 2 1 1 ln < ln = ln 1 + . k p 1 p 1 p 1 p k=1 p2Pn p2Pn Mit Beispiel 3.6.3 p2Pn p2Pn ⇣ X 2 n⌘ ln 1 + ln < . 2 p p2Pn 2 ⇡(n) ist die Anzahl der Primzahlen, die kleiner oder gleich n sind. Beispiel 3.6.5 [114] Es gibt ein n0 2 N, so dass für alle n n0 2 n n ⇡(n) 1, 7 3 ln n ln n gilt. Tatsächlich kann man zeigen, dass lim n ⇡(n) n ln n = 1. Beweis. Wir zeigen die rechte Ungleichung durch Induktion. Wir betrachten 2n n . Wegen ✓ ◆ ✓ ◆ ✓ ◆ ✓ ◆ ✓ ◆ 2n 2n 2n 2n 2n = (1 + 1)2n = + + ··· + ··· + n 0 1 n 2n gilt 2n n 22n . Weiter gilt Es folgt, dass 2n n ✓ ◆ 2n (2n)! (2n) · (2n 1) · · · 2 · 1 = = 2 n (n!) n · (n 1) · · · 2 · 1 durch jede Primzahl teilbar ist, die zwischen n und 2n liegt. ✓ ◆ Y 2n n⇡(2n) ⇡(n) < p < 22n n n<p2n Es folgt (⇡(2n) ⇡(n)) ln n < 2n ln 2 < 1, 39n. Nach Induktionsannahme gilt ⇡(n) < 1, 7 lnnn . Es folgt für alle n > 1200 ⇡(2n) = (⇡(2n) ⇡(n)) + ⇡(n) 1, 39 n n n 2n + 1, 7 = 3, 09 1, 7 . ln n ln n ln n ln 2n Damit gilt der Satz auch für 2n. Wegen ⇡(2n + 1) ⇡(2n) + 1 < 3, 09 Nun die linke Ungleichung. n 2n + 1 + 1 < 1, 7 ln n ln(2n + 1) 3.6. DER SATZ VON ROLLE UND DER MITTELWERTSATZ Lemma 3.6.4 Es sei p eine Primzahl und p⌫p die größte Potenz von p, die p⌫p n. Beweis. Die größte Potenz von p, die n! teilt, ist n [n p ]+[ p2 ]+··· p , wobei [x] der ganzzahlige Teil von x ist. Deshalb ist X✓ n k ⌫p = [ r] [ r] p p [ n r 1 k pr ◆ ] In dieser Summe ist jeder Summand gleich 0 oder 1, und gleich 0 für r> weil dann [ ln n , ln p n ] = 0. pr Es folgt ⌫p [ ln n ] ln p und damit die Behauptung. 2 Korollar 3.6.2 Für jeden Binomialkoeffizienten nk gilt ✓ ◆ Y n p⌫p n⇡(n) . k pn Mit dem Korollar folgt 2n = (1 + 1)n = n ✓ ◆ X n k=0 Deshalb k (n + 1)n⇡(n) n ln 2 ln(n + 1) + ⇡(n) ln n n ln 2 ln n ln(n + 1) ⇡(n) ln n Für n > 200 folgt 2 n ⇡(n) 3 ln n 2 Beispiel 3.6.6 (i) Die Folge divergiert. (ii) Es gilt ⇢✓ ◆n 1 1+ p n n2N ✓ ◆n 1 1+ 2 = 1. n!1 n lim (iii) Es gilt ✓ ◆n 1 lim 0.999 + = 0. n!1 n 147 n k teilt. Dann gilt 148 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Um einen Eindruck zu erhalten, um welche Größenordnungen es sich handelt, macht man in (i) die folgende Beobachtung ✓ ◆pn 1 (3.6) lim 1 + p = e. n!1 n Hieraus folgt heuristisch mit etwas Mut und Vertrauen ✓ ◆n p 1 1+ p ⇠ e n. n Dieser Schluss führt hier zu einem richtigen Ergebnis, obwohl man i.A. durch einen solchen Schluss auch falsche Ergebnisse bekommen kann. Für (ii) kann man ähnlich argumentieren. Beweis. (i) Mit der Bernoulli Ungleichung (Lemma 2.4.6) ✓ ◆n p 1 1+ p 1 + n. n Die Folge ist unbeschränkt und divergiert deshalb. Wir wollen noch einen Beweis liefern, der unsere Beobachtung (3.6) benutzt. Da e > 2, so gibt es ein N 2 N, so dass für alle n N ✓ ◆pn 1 2< 1+ p . n Somit p n 2 (ii) Mit 1 + x ex 1 Da die e-Funktion stetig ist, gilt ✓ ◆n 1 < 1+ p . n ✓ ◆n 1 1 1 1+ 2 (e n2 )n = e n . n 1 lim e n = e0 = 1. n!1 Auch hier finden wir ein alternatives Argument mit der Beobachtung ✓ ◆n2 1 lim 1 + 2 = e. n!1 n Wegen e < 3 gibt es ein N 2 N, so dass für alle n N ✓ ◆n2 1 3> 1+ 2 n gilt. Es folgt 3 Da 3x eine stetige Funktion ist, folgt 1 n ✓ ◆n 1 > 1+ 2 . n 1 lim 3 n = 30 = 1. n!1 (iii) Für alle n 104 gilt 0.999 + 1 n 0.9991 < 1. Also gilt für alle n ✓ ◆n 1 0.999 + 0.9991n . n Weiter gilt lim 0.9991n = 0. n!1 2 104 3.7. LOKALE EXTREMA 3.7 149 Lokale Extrema Satz 3.7.1 (i) Es sei f : (a, b) ! R eine di↵erenzierbare Funktion mit einem lokalen Extremum in x0 . Dann gilt f 0 (x0 ) = 0. (ii) Es sei f : (a, b) ! R eine zweimal stetig di↵erenzierbare Funktion. Es sei x0 2 (a, b) mit f 0 (x0 ) = 0 und f 00 (x0 ) > 0. Dann besitzt f in x0 ein lokales Minimum. Falls f 0 (x0 ) = 0 und f 00 (x0 ) < 0 gelten, dann hat f in x0 ein relatives Maximum. 3.8 Die Formel von L’Hôpital Guillaume Francois Antoine Hôpital, Marquis de Sainte-Mesme wurde 1661 in Paris geboren. 1696 verö↵entlichte L’Hôpital das erste französische Lehrbuch der Analysis überhaupt Analyse des infiniment petits. Tatsächlich geht es auf Johann I. Bernoulli zurück. L’Hôpital bezahlte Bernoulli für wissenschaftliche Ergebnisse und deren Publikationsrechte. So stammt die Formel bzw. Regel von L’Hôpital tatsächlich von Bernoulli. L’Hôpital starb am 3.2.1704 in Paris. Nach dem Tod von L’Hôpital ging Bernoulli damit an die Ö↵entlichkeit. Satz 3.8.1 (L’Hôpital) Es seien f, g : (a, b) ! R stetig di↵erenzierbare Funktionen. Es sei x0 2 (a, b) und g und g 0 seien für alle x 2 (a, b) mit x 6= x0 von 0 verschieden. Es gelte f 0 (x) f (x0 ) = g(x0 ) = 0 und lim 0 existiere. x!x0 g (x) Dann gilt lim x!x0 f (x) f 0 (x) = lim 0 . g(x) x!x0 g (x) Insbesondere gilt lim x!x0 f (x) f 0 (x0 ) = 0 , g(x) g (x0 ) falls g 0 (x0 ) 6= 0. Beweis. Es sei {xn }n2N eine Folge mit limn!1 xn = x0 . Nach Satz 3.6.4 gibt es dann zu jedem n 2 N ein ⇠n mit ⇠n 2 (xn , x0 ) oder ⇠n 2 (x0 , xn ), so dass f 0 (⇠n ) f (xn ) = 0 g (⇠n ) g(xn ) f (x0 ) . g(x0 ) Wegen f (x0 ) = g(x0 ) = 0 folgt f 0 (⇠n ) f (xn ) = . 0 g (⇠n ) g(xn ) 150 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Da ⇠n 2 (xn , x0 ) bzw. ⇠n 2 (x0 , xn ) gilt, folgt limn!1 ⇠n = x0 . Nach Voraussetzung existiert f 0 (x) lim 0 . x!x0 g (x) Deshalb folgt lim x!x0 f 0 (x) f 0 (⇠n ) f (xn ) = lim = lim . 0 0 g (x) n!1 g (⇠n ) n!1 g(xn ) Wir betrachten nun den Fall, dass g 0 (x0 ) 6= 0. Da f 0 und g 0 nach Voraussetzung stetig sind, gilt f 0 (x) limx!x0 f 0 (x) f 0 (x0 ) lim 0 = = . x!x0 g (x) limx!x0 g 0 (x) g 0 (x0 ) 2 Beispiel 3.8.1 lim ex x!0 1 x2 x 1 2 = Beweis. Wir müssen zweimal di↵erenzieren. Es gilt ex 1 = . x!0 2 2 lim Deshalb gilt ex 1 1 = . x!0 2x 2 lim Hieraus folgt lim ex x!0 1 x2 x = 1 . 2 ⇤ Satz 3.8.1 kann dahingehend verallgemeinert werden, dass auch x0 = a oder x0 = b zugelassen wird. Wir hatten bereits in (3.2) definiert, wann eine Folge gegen 1 konvergiert. Eine Folge xn , n 2 N, konvergiert gegen 1, wenn 8C > 09N 8n N: xn C. Satz 3.8.2 Es seien f, g : (a, b) ! R stetig di↵erenzierbar. Es sei g(x) 6= 0 für alle x 2 (a, b). (i) Es gelte lim f (x) = lim g(x) = 0 x!a und x!a Dann gilt f (x) f 0 (x) = lim 0 . x!a g(x) x!a g (x) lim f 0 (x) x!a g 0 (x) lim existiere. 3.8. DIE FORMEL VON L’HÔPITAL 151 (ii) Es gelte lim g(x) = 1 f 0 (x) x!a g 0 (x) und x!a lim existiere. Dann gilt f (x) f 0 (x) lim = lim 0 . x!a g(x) x!a g (x) Beweis. Es sei ✏ > 0. Wir bestimmen ein > 0, so dass für alle y 2 (a, a + ) f 0 (y) f 0 (x) < lim +✏ g 0 (y) x!a g 0 (x) gilt. Nach dem Mittelwertsatz (Satz 3.6.4) gibt es für alle v, w 2 (a, a+ ) mit v < w ein ⇠ 2 (v, w) mit f 0 (⇠) f (w) f (v) = . 0 g (⇠) g(w) g(v) existiert. Es folgt f (w) f (v) f 0 (x) < lim + ✏. g(w) g(v) x!a g 0 (x) Wir können v so nahe bei a wählen, dass f (w) f 0 (x) < lim 0 + 2✏. g(w) x!a g (x) 2 Satz 3.8.3 Es seien f, g : [a, 1) ! R di↵erenzierbare Funktionen mit limx!1 f (x) = 0 und limx!1 g(x) = 0. Weiter existiere f 0 (x) . x!1 g 0 (x) lim Dann gilt f (x) f 0 (x) = lim 0 . x!1 g(x) x!1 g (x) lim Beispiel 3.8.2 (i) Es gilt lim x!0 ln(1 + x) = 1. x (ii) Es gilt lim x ln x = 0. x!0 (iii) Es sei ↵ > 0. Dann lim x↵ ln x = 0. x!0 (iv) Es sei ↵ > 0. Dann gilt lim x!1 ln x = 0. x↵ 152 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Beweis. Mit der Formel von L’Hospital folgt (i) Mit Satz 3.8.1 ln(1 + x) 1 lim = lim = 1. x!0 x!0 1 + x x (ii) Mit Satz 3.8.2 lim x ln x = lim x!0 x!0 ln x = lim ( x) = 0. 1 x x!0 (iii) Mit Satz 3.8.2 1 ln x x = lim x!0 x ↵ x!0 ( ↵)x lim x↵ ln x = lim x!0 = lim ↵ 1 x!0 1 ( ↵)x = 0. ↵ (iv) 1 ln x x = lim x!1 x↵ x!1 ↵x↵ lim 1 = 0. x!1 ↵x↵ = lim 1 2 Manchmal kann die Regel von L’Hôpital nicht erfolgreich angewendet werden, weil sich die Ausdrücke nicht entscheidend ändern. In dem Fall muss eine geschickte Substitution durchgeführt werden. Beispiel 3.8.3 (i) ex + e x!1 ex e lim x x =1 Beweis. Wenn wir L’Hôpital zweimal anwenden erhalten wir ex + e x!1 ex e lim x x ex e x!1 ex + e = lim x x ex + e x!1 ex e x = lim x . Wir erhalten also immer dieselben Ausdrücke, was zu keiner Lösung führt. Wir substituieren y = ex . y + y1 1 + y12 ex + e x lim x = lim = lim 1 =1 x!1 e x!1 1 e x x!1 y y1 y2 2 Beispiel 3.8.4 (i) ln(1 + x) p =0 5 x!0 x lim (ii) lim x x!0 ln(1 + x) 1 = x2 2 (iii) p 1 lim 1 + 12 x x x2 x!0 Beweis. (i) 1 4 ln(1 + x) 5x 5 p lim = lim 11+x4 = lim =0 5 x!0 x!0 x 5 x!0 1 + x x 5 (ii) lim x x!0 (iii) lim x!0 2 1 1 1+x ln(1 + x) = lim = lim 2 x!0 x!0 x 2x p 1 1 + 12 x x x2 = lim x!0 1 2 (1 1+x 1 1+x x) 2x 2x 1 2 = lim x!0 + 1 2 x 1+x 2x = lim x!0 = lim x!0 1 4 (1 1 1 = 2(1 + x) 2 x) 2 3 2 = 1 8 = 1 8 3.8. DIE FORMEL VON L’HÔPITAL Beispiel 3.8.5 Es sei f : [0, 1) ! R f (x) = ( 153 1 xx falls x = 0 falls x > 0 (i) f ist di↵erenzierbar auf (0, 1) und f 0 (x) = xx (1 + ln x). (ii) f ist auf [0, 1) stetig. (iii) Die rechtseitige Ableitung von f in 0 existiert nicht (sie ist (iv) f besitzt in 0 ein lokales Maximum und in ist. 1 e 1). ein lokales Minimum, das auch globales Minimum (v) Man kann die obigen Ergebnisse benutzen, um zu entscheiden, welche der beiden Zahlen 100101 und 101100 die größere ist. Beweis. (i) Da ln und e-Funktion di↵erenzierbare Funktionen sind, ist auch die zusammengesetzte Funktion xx = ex ln x di↵erenzierbar. 2 1.8 1.6 1.4 1.2 0.5 1 1.5 0.8 (ii) f ist in 0 stetig. Mit der Formel von L‘Hôpital folgt lim (x ln x) = 0. x!0 Also gilt lim xx = lim ex ln x = exp( lim x ln x) = e0 = 1. x!0 x!0 t (iii) Für alle t 2 (0, 1) gilt e xx 1 x 1 1 t. Hiermit erhalten wir ex ln x x = x!0 1 Falls lim x!0 1 1 x ln x x xx 1 = ln x . 1 x ln x 1 x existieren würde, so wäre die Folge ln n1 1 n1 ln n1 n2N 2 154 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN nach unten beschränkt. Dies ist nicht der Fall, da lim x ln x = 0 x!0 und ln n1 , n 2 N, nicht nach unten beschränkt ist. (iv) Die lokalen Extrema sind in 0 und 1e . (xx )0 = (ex ln x )0 = ex ln x (1 + ln x) = xx (1 + ln x) Wir erhalten, dass genau dann (xx )0 = 0 gilt, wenn 1 + ln x = 0 bzw. x = 1e . Genauer gilt (xx )0 < 0 , 0<x< (xx )0 = 0 , x= (xx )0 > 0 , 1 e 1 e 1 x> e Deshalb ist xx nach Lemma 3.6.2 auf [0, 1e ] streng monoton fallend und auf [ 1e , 1) streng monoton wachsend. Also hat xx in 0 ein lokales Maximum und in 1e ein lokales Minimum, das tatsächlich ein globales Minimum ist. (v) Da xx auf [0, 1e ] streng monoton fallend ist, gilt ✓ Es folgen 1 100 ✓ 1 ◆ 100 1 100 < ✓ < ✓ ◆101 1 101 1 ◆ 101 1 101 . ◆100 und 101100 < 100101 . 2 Wir wollen nun die Folge betrachten, die durch iteriertes Potenzieren entsteht. Es sei x eine positive Zahl. Wir betrachten die Folge xx x x x(x ) (xx ) x(x ) ...... Beispiel 3.8.6 [1] Es sei x eine positive, reelle Zahl. Wir setzen a1 = x an+1 = xan n2N Die Folge an , n 2 N, konvergiert genau dann, wenn e e x e1/e . 1 Falls die Folge konvergiert, dann ist der Grenzwert gleich y mit x = y y . Beweis. Es sei 1 < x e1/e . Dann gilt für alle n 2 N an < an+1 . Wir zeigen dies durch Induktion. Es gilt a1 < a2 , d.h. x < xx , weil ln x < x ln x. Nun der Induktionsschritt. Aus an 1 < an folgt mit Lemma 3.4.10, dass xan 1 < xan also an < an+1 . Damit ist die Folge monoton wachsend. Wir zeigen durch Induktion, dass an < e gilt. O↵ensichtlich gilt a1 = x e1/e < e. Nun der Induktionsschritt. an+1 = xan (e1/e )an < (e1/e )e = e 3.8. DIE FORMEL VON L’HÔPITAL 155 Es sei nun y Grenzwert der Folge, also y = lim an = lim an+1 = lim xan = xlimn!1 an = xy . n!1 n!1 n!1 1 Damit gilt also x = y y . Wir wollen nun einsehen, dass die Folge nur für x e1/e konvergieren kann. Falls die Folge 1 nämlich konvergiert, dann muss x im Bild der Funktion y y liegen. Das Bild dieser Funktion ist 1 aber (0, e1/e ]. Dies folgt aus Beispiel 3.8.5: Das Bild von xx ist [e e , 1). Deshalb ist das Bild von 1 1 x x gleich (0, e e ] und somit auch das Bild von y y (wir substituieren x = y1 ). Nun der Fall 0 < x < 1. Es gilt a1 < a3 < a5 < · · · < a2n 1 < · · · < a2n < · · · < a2 . Wir weisen dies nach. Es gilt für x mit 0 < x < 1 und 0 < s < t die Ungleichung xt < xs . Deshalb gilt a1 = x < xx = a2 . Mit derselben Ungleichung und x < xx < 1 folgen x a3 = xx < xx = a2 x a1 = x < xx = a3 . und Somit konvergieren die Folgen a2n , n 2 N, und a2n 1 , n 2 N, und die Folge an , n 2 N, konvergiert demnach genau dann, wenn wenn die Grenzwerte von a2n , n 2 N, und a2n 1 , n 2 N, gleich sind. Es bezeichne nun u = lim a2n n!1 und 1 g = lim a2n . n!1 Also konvergiert an , n 2 N, genau dann, wenn u = g gilt. Es gelten xu = g xg = u. und In der Tat, es gilt g = lim a2n = lim xa2n n!1 n!1 1 = xlimn!1 a2n 1 = xu . Ebenso folgt u = xg . Somit gelten 1 1 x = g u = ug und g x(x ) u xx = u. =g Die Folge an , n 2 N, konvergiert also genau dann, wenn u = g. Wir zeigen nun, dass u = g, wenn x 2 [e e , 1). Dazu reicht es zu zeigen, dass es genau ein t t t mit x(x ) = t gibt. Die Gleichung x(x ) = t ist äquivalent zu xt ln x = ln t und weiter äquivalent zu t ln x + ln ln 1 1 = ln ln . x t Wir betrachten zunächst den Fall x 2 (e e , 1). Falls es zwei Punkte t1 und t2 gibt, dei die Gleichung lösen, dann muss es nach dem Mittelwertsatz einen Punkt t0 geben, in dem die Funktion ln ln 1t dieselbe Steigung wie die Gerade t ln x+ln ln x1 besitzt, nämlich ln x. Wegen e e < x gilt e < ln x. Andererseits werden wir zeigen, dass die Ableitung von ln ln 1t immer kleiner oder gleich e ist. ✓ ◆ d 1 1 ln ln = dt t t ln 1t 156 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Wir bestimmen die Extrema von der Ableitung. ✓ ◆ d 1 = dt t ln 1t ln 1t 1 (t ln 1t )2 Es liegt also für t = 1e ein Maximum vor. Damit ist die Ableitung von ln ln 1t immer kleiner oder gleich e. Nun der Fall x = e e . Damit ist die Gleichung 1 t et + 1 = ln ln Der Punkt t = 1/e ist eine Lösung. Wir zeigen nun, dass es keine weiteren Lösungen gibt. Falls es eine weitere Lösung gibt, dann muss es nach dem Mittelwertsatz neben t = 1/e einen weiteren Punkt geben, in dem die Ableitung von ln ln 1t gleich e ist. Dies ist aber nicht der Fall. Nun zeigen wir, dass für 0 < x < e e die Ungleichung g 6= u gilt. Dazu zeigen wir zunächst, dass es zu x zwei Zahlen c und d mit 0 < c < 1e < d < 1, cc = dd und 1 (3.7) 1 x = cd = dc c = xd bzw. d = xc und gibt. Zwei Zahlen c und d mit cc = dd heißen Euler Paar und zwei Zahlen a und b heißen Bernoulli Paar, falls ab = ba . Wir benutzen nun Goldbachs Parametrisierung von Bernoulli Paaren. Wir setzen für s 2 (1, 1) c(s) = s 1 s d(s) = s 1 s Dann ist das Bild von x(s) gleich (0, e lim c(s) = lim d(s) = s!1 s!1 e 1 1 x(s) = c(s) d(s) . s ) und c(s)c(s) = d(s)d(s) und c(s) < 1 e lim c(s) = 0 1 e < d(s). Es gelten lim d(s) = 1. s!1 s!1 Hieraus folgen 1 lim x(s) = lim c(s) d(s) = e s!1 1 e lim x(s) = lim c(s) d(s) = 0. s!1 s!1 s!1 Mit dem Zwischenwertsatz für stetige Funktionen folgt, dass das Bild von x(s) gleich (0, e c(s)c(s) = (s 1 s s s )(s 1 d(s)d(s) = (s 1 s ) = s( 1 1 e ) ist. 1 ss 1 s ) 1 1 s )(s 1 s ) Wir zeigen nun, dass aus (3.7) für alle n 2 N 1 < d < a2n e folgt. Dies ergibt sich durch Induktion. Wir überlegen uns zunächst, dass x < c gilt. Wenn dem 1 1 nicht so wäre, dann gilt x c und somit a1 = x = c d x d < x, weil d < 1. Somit folgt auch c x d = x < x = a2 . Damit haben wir den Induktionsanfang a2n 1 <c< 1 < d < xx = a2 e gezeigt. Nun kommen wir zum Induktionsschritt. Wir nehmen an, dass wir a1 = x < c < a2n 1 <c< 1 < d < a2n e gezeigt haben. Es gilt a2n+1 = xa2n < xd = c und deshalb a2n+2 = xa2n+1 > xc = d. 2 3.9. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ 3.9 157 Gleichmäßige Konvergenz Die gleichmäßige Konvergenz ist ein wichtiger Begri↵ der Analysis. Wir beweisen hier, dass die Grenzfunktion einer Folge stetiger Funktion, die gleichmäßig konvergiert, wieder stetig ist. In Satz 5.17.1 zeigen wir, dass die Integrale einer Folge von gleichmäßig konvergierenden Funktionen gegen das Integral der Grenzfunktion konvergiert. Definition 3.9.1 Es sei I ein Intervall in R und fn : I ! R, n 2 N, sei eine Folge von Funktionen und f : I ! R sei eine Funktion. (i) Die Folge {fn }n2N konvergiert punktweise gegen f , wenn für alle x 2 I lim fn (x) = f (x) n!1 gilt. (ii) Die Folge fn , n 2 N, konvergiert gleichmäßig gegen f , falls für alle ✏ > 0 ein N 2 N existiert, so dass für alle n > N und alle x 2 I |fn (x) f (x)| < ✏ gilt. In Quantorenschreibweise nimmt die gleichmäßige Konvergenz die folgende Form an: 8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I : |fn (x) f (x)| < ✏ oder auch 8✏ > 0 9N 2 N 8n > N : sup |fn (x) f (x)| < ✏. x2I O↵ensichtlich konvergiert eine Folge punktweise, falls sie gleichmäßig konvergiert. Die Umkehrung gilt nicht, wie Beispiele zeigen werden. Formal besteht der Unterschied zwischen punktweiser und gleichmäßiger Konvergenz im Vertauschen von Quantoren Punktweise: Gleichmäßig: 8x 2 I 8✏ > 0 9N 2 N 8n > N : 8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I : |fn (x) |fn (x) f (x)| < ✏ f (x)| < ✏ Bei der punktweisen Konvergenz kann N von x und ✏ abhängen, bei der gleichmäßigen Konvergenz hängt N nur von ✏ ab, N kann also gleichmäßig für alle x 2 I gewählt werden. Falls eine Folge punktweise und gleichmäßig konvergiert, dann sind o↵ensichtlich die Grenzfunktionen für die punktweise und gleichmäßige Konvergenz gleich. Dies kann man sich zu Nutze machen, wenn man nachweisen will, dass eine Folge, die punktweise konvergiert, nicht gleichmäßig konvergiert. Man nimmt an, dass sie auch gleichmäßig konvergiert. Unter dieser Annahme kennt man auch die Grenzfunktion, dies ist nämlich der punktweise Grenzwert. 158 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Die Reihe Teilsummen P1 n=1 fn heißt gleichmäßig konvergent, falls die zugeordnete Folge der ( n ) X fk k=1 n2N gleichmäßig konvergiert. Man kann die gleichmäßige Konvergenz gut veranschaulichen. Man legt um die Grenzfunktion f einen ✏-Schlauch. Ab einem N müssen alle fn innerhalb dieses Schlauches liegen. f+ f f- f+ fn f f- Lemma 3.9.1 (Cauchy-Kriterium) Es sei I ein Intervall in R und fn : I ! R, n 2 N, sei eine Folge von Funktionen. Die Funktionenfolge {fn }n2N , konvergiert genau dann gleichmäßig auf einem Intervall I, falls es zu jedem ✏ > 0 ein N 2 N gibt, so dass für alle n, m 2 N mit n, m > N und alle x 2 I |fn (x) fm (x)| < ✏ gilt. Beweis. Die Folge {fn }n2N konvergiere gleichmäßig gegen eine Funktion f . ✏ 8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I : |fn (x) f (x)| < 2 3.9. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ 159 Hieraus folgt 8✏ > 0 9N 2 N 8n, m > N 8x 2 I : ✏ |fn (x) f (x)| < und 2 |fm (x) ✏ f (x)| < . 2 Weiter folgt 8✏ > 0 9N 2 N 8n, m > N 8x 2 I : |fn (x) f (x)| + |fm (x) f (x)| < ✏. Mit der Dreiecksungleichung folgt 8✏ > 0 9N 2 N 8n, m > N 8x 2 I : |fn (x) fm (x)| < ✏. Nun die andere Richtung. Wir nehmen nun an, dass 8✏ > 0 9N 2 N 8n, m > N 8x 2 I : |fn (x) fm (x)| < ✏. Dann gilt für alle x 2 I, dass {fn (x)}n2N , eine Cauchy-Folge ist. Da R vollständig ist, konvergiert diese Cauchy-Folge gegen einen Grenzwert, den wir mit f (x) bezeichnen wollen. Hierdurch definieren wir eine Funktion f : I ! R mit f (x) = lim fn (x) = f (x). n!1 Es gilt also 8x 2 I 8✏ > 0 9Mx,✏ 2 N 8m > Mx,✏ : |fm (x) f (x)| < ✏. Wir zeigen nun, dass die Folge fn , n 2 N, gleichmäßig gegen die Funktion f konvergiert. Es gilt 8✏ > 0 9N 2 N 8n, m > N 8x 2 I : |fn (x) fm (x)| < ✏. Hieraus folgt mit der Dreiecksungleichung 8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I 8m > N : ||fn (x) f (x)| |fm (x) f (x)|| < ✏ |fn (x) f (x)| < ✏ + |fm (x) und somit 8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I 8m > N : f (x)|. Zu jedem x 2 I gibt es ein mx , so dass |fmx (x) f (x)| < ✏. Es folgt 2 8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I : |fn (x) f (x)| < 2✏. Man kann sich leicht von dem folgenden überzeugen: Falls fn : I ! R, n 2 N, beschränkte Funktionen sind, die gleichmäßig gegen eine Funktion f konvergieren, dann ist auch f beschränkt. 160 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Satz 3.9.1 Es sei I ein Intervall und fn : I ! R, n 2 N, sei eine Folge stetiger Funktionen, die gleichmäßig gegen eine Funktion f konvergiert. Dann ist f eine stetige Funktion. Beweis. Da {fn }n2N , gleichmäßig gegen f konvergiert, gilt 8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I : |fn (x) f (x)| < ✏. Da fN +1 stetig ist, gilt 8x0 2 I 8✏ > 0 9 > 0 8x, |x x0 | < : |fN +1 (x) fN +1 (x0 )| < ✏. Mit der Dreiecksungleichung folgt 8x0 2 I 8✏ > 0 9 > 0 8x, |x x0 | < |f (x) f (x0 )| |f (x) fN +1 (x)| + |fN +1 (x) : fN +1 (x0 )| + |fN +1 (x0 ) f (x0 )| < 3✏. Damit ist f stetig. 2 Beispiel 3.9.1 (i) Für n 2 N sei fn : R ! R durch fn (x) = n1 gegeben. Die Folge {fn }n2N konvergiert gleichmäßig gegen die Funktion f = 0. (ii) Für n 2 N sei fn : [0, 1] ! R durch fn (x) = xn gegeben. Die Folge {fn }n2N konvergiert punktweise gegen die Funktion f mit ( 0 für x 2 [0, 1) f (x) = 1 für x = 1 Die Folge konvergiert aber nicht gleichmäßig gegen f . (iii) Für n 2 N sei fn : [0, 1] ! R durch 8 2 > <n x fn (x) = n2 x + 2n > : 0 x 2 [0, n1 ) x 2 [ n1 , n2 ) x 2 [ n2 , 1] Die Funktionen fn , n 2 N, sind stetig. Die Folge konvergiert punktweise gegen f = 0, aber die Folge konvergiert nicht gleichmäßig. Beweis. (i) Wir wählen N so groß, dass N > 1✏ , bzw. N1 < ✏. Dann gilt für alle n mit n > N und alle x 2 R 1 |fn (x) f (x)| = |fn (x)| = < ✏. n (ii) Für x = 0 gilt limn!1 fn (x) = 0 und für x = 1 gilt limn!1 fn (x) = 1. Wir betrachten nun x mit 0 < x < 1. Die Folge xn , n 2 N, ist eine positive, monoton fallende Folge. Somit ist sie konvergent. Es folgt lim xn = x lim xn 1 = x lim xn . n!1 n Mit Beispiel 2.4.9 folgt limn!1 x = 0. n!1 n!1 3.9. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ 161 Wir nehmen an, dass die Folge {fn }n2N gleichmäßig gegen eine Funktion f konvergiert. Diese Funktion muss gleich der Funktion sein, gegen die diese Folge punktweise konvergiert. Diese Funktion ist im Punkt x = 1 nicht stetig. Dies widerspricht dem Satz 3.9.1. Wir wollen hier auch den Nachweis führen, ohne Satz 3.9.1 zu benutzen. Wir benutzen nun das Cauchy-Kriterium (Lemma 3.9.1). Die Negation des Cauchy-Kriteriums für die gleichmäßige Konvergenz ist 9✏ > 08N 9m, n > N 9x 2 [0, 1] : |fn (x) fm (x)| ✏. Wir wählen ✏ = 14 . Zu gegebenem N wählen wir n > N , m = 2n und x = 2 |fn (x) fm (x)| = |xn xm | = |xn x2n | = | 12 1 4| = 1 4 1 n . Dann gilt = ✏. (iii) Die Folge fn , n 2 N, konvergiert punktweise gegen f = 0. Wir benutzen nun das CauchyKriterium (Lemma 3.9.1). Die Negation des Cauchy-Kriteriums für die gleichmäßige Konvergenz ist 9✏ > 0 8N 2 N 9m, n > N 9x 2 [0, 1] : |fn (x) fm (x)| ✏. Wir wählen ✏ = 1. Zu gegebenem N wählen wir n > N , m = 2n und x = |fn (x) fm (x)| = fn ( n1 ) f2n ( n1 ) = |n 0| = n 1 n. Dann gilt 1 = ✏. 2 Beispiel 3.9.2 (i) Die Folge fn : [0, 1) ! R, n 2 N, mit x x fn (x) = 2 e n n konvergiert gleichmäßig gegen 0. (ii) Die Folge gn : [0, 1) ! R, n 2 N mit x x gn (x) = e n n konvergiert punktweise gegen 0, aber nicht gleichmäßig gegen 0. Beweis. (i) Die Ableitung von fn ist x x 1 x e n e n. n2 n3 Deshalb gilt genau dann fn0 (x) > 0, wenn x < n und fn0 (x) < 0, wenn x > n. Nach Lemma 3.6.2 ist fn auf [0, n] monoton wachsend und auf [n, 1) monoton fallend. Deshalb hat fn in x = n ein absolutes Maximum und es gilt 1 0 fn (x) fn (n) = . en (ii) Wir zeigen, dass die Folge {gn }n2N punktweise gegen 0 konvergiert. x x x x lim gn (x) = lim e n = ( lim )( lim e n ) = 0 n!1 n!1 n n!1 n n!1 fn0 (x) = Wir beobachten, dass für alle n 2 N die Gleichung gn (n) = Kriterium (Lemma 3.9.1). Wir zeigen, dass 9✏ > 0 8N 2 N 9m, n > N 9x 2 [0, 1] : Wir wählen ✏ = 1 9, |gn (x) 1 e gilt. Wir benutzen nun das Cauchy- |gn (x) gm (x)| ✏. n > N , m = 9n und x = n. Dann gilt gm (x)| = 1 e 1 e 9 1 9 1 e 1 e 9 1 9 1 e 1 9 1 3 1 2 1 = > = ✏. 9 9 9 2 Im Teil (ii) findet man wie im Teil (i) das absolute Maximum. Für unser Argument brauchen wir aber nicht zu wissen, dass es sich um ein absolutes Maximum handelt. 162 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Beispiel 3.9.3 [105] Die Funktion von Takagi T : R ! R ist durch T (x) = 1 1 X X 1 1 k d(2 x, Z) = inf |2k x 2k 2k m2Z k=0 m| k=0 gegeben. T ist stetig, aber nirgendwo di↵erenzierbar. Wir beschreiben, weshalb das Ergebnis wahr ist. Die Funktionen x 7! 2 k inf m2Z |2k x m| ist eine Sägezahnfunktion mit Amplitude 2 k 1 und Periode 2 k . Da die einzelnen Funktionen stetig sind und die Reihe wegen der rasch fallenden Amplituden gleichmäßig konvergiert, ist die Grenzfunktion stetig. Andererseits ist die Ableitung der Funktionen in einem gegebenem Punkt entweder 1 oder 1. Die Summe dieser Ableitungen konvergiert nicht. Lemma 3.9.2 Es seien a, b, x, an , bn reelle Zahlen, n 2 N, so dass für alle n 2 N die Ungleichungen a < an < x < bn < b gelten, limn!1 an = x und limn!1 bn = x. Es sei f : [a, b] ! R eine stetige Funktion, die in x di↵erenzierbar ist. Dann gilt f (bn ) n!1 bn f (an ) = f 0 (x). an lim Beweis. Mit bn bn x bn an bn an =1 an folgt f (bn ) f (an ) f 0 (x) bn an ✓ ◆ ✓ bn x f (bn ) f (x) x an f (an ) = f 0 (x) + bn an bn x bn an an bn x f (bn ) f (x) x an f (an ) f 0 (x) + bn an bn x bn an an f (bn ) f (x) f (an ) f (x) f 0 (x) + f 0 (x) . bn x an x f (x) x f (x) x ◆ f 0 (x) f 0 (x) Wegen lim n!1 f (bn ) bn f (x) x f 0 (x) + f (an ) an f (x) x f 0 (x) = 0 folgt lim n!1 f (bn ) bn f (an ) an f 0 (x) = 0. 2 Beweis von Beispiel 3.9.3. Wir zeigen, dass T stetig ist. Die Funktion : R ! R mit (x) = inf m2Z |x m| ist stetig. Wir weisen dies nach. Wir zeigen, dass für alle x 2 R und alle x0 2 R (3.8) | (x + x0 ) (x0 )| = inf |x + x0 m2Z m| inf |x0 m2Z gilt. Wir unterscheiden zwei Fälle: Der erste Fall ist inf |x + x0 m2Z m| inf |x0 m2Z m| 0. m| |x| 3.9. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ 163 Dann gilt inf |x + x0 m2Z m| inf |x0 m| m2Z = inf |x + x0 m| m2Z inf (|x| + |x0 m2Z = |x| + inf |x0 inf |x0 m|) m| m2Z m| m2Z inf |x0 m| m2Z inf |x0 m| = |x|. m2Z Der zweite Fall ist inf |x + x0 m| m2Z inf |x0 m| < 0. m2Z Dann gilt inf |x + x0 m| m2Z inf |x0 m2Z m| = inf |x + x0 m| + inf |x0 m2Z m|. m2Z Wegen inf |x + x0 m| m2Z inf (|x0 m| m2Z |x|) = |x| + inf |x0 m| m2Z gilt inf |x + x0 m2Z m| |x| inf |x0 m2Z m|. Hiermit folgt inf |x + x0 m2Z m| inf |x0 m| |x|. m2Z Damit sind auch die Funktionen k : R ! R mit k (x) = 2 k (2k x) stetig. Mit dem Cauchy Kriterium für Konvergenz von Reihen (Lemma 3.9.1) folgt, dass die Reihe der stetigen Pgleichmäßige 1 Funktionen k=0 k gleichmäßig konvergiert. n X k (x) k=0 m X k (x) k=0 = n X k (x) k=m+1 n X k=m+1 | k (x)| n X 2 k=m+1 k 2 m Mit Satz 3.9.1 folgt, dass die Grenzfunktion stetig ist. Wir zeigen, dass T nirgendwo di↵erenzierbar ist. Es sei x 2 R und wir nehmen an, dass T in x di↵erenzierbar ist. Zuerst betrachten wir den Fall, dass x kein Element der Menge der dyadischen Brüche D = {i2 n |i, n 2 Z} ist. Dazu zählen alle irrationalen Zahlen, aber auch rationale wie 13 . Nach Lemma 3.9.2 folgt für alle Folgen un , vn , n 2 N, mit un < x < vn und limn!1 vn un = 0 lim n!1 Mit (x) = inf m2Z |x T (vn ) vn T (un ) = T 0 (x). un m| folgt T (x) = 1 X 1 inf |2k x 2k m2Z m| = k=0 1 X 1 (2k x). 2k k=0 Falls u 2 D von der Ordnung n ist, d.h. u = 2in , dann gilt für alle k (p) = 0 für p 2 Z gilt, folgt n X1 1 T (u) = (2k u). 2k n, dass 2k u 2 Z. Da k=0 Es seien un , vn aufeinander folgende Zahlen der Ordnung n in D mit un x < vn , also un = 2inn und vn = in2+1 un = n . Da x nicht Element von D ist, gilt sogar un < x < vn . Weiter gelten vn (in + 1)2 n in 2 n = 2 n und T (vn ) vn n 1 T (un ) X 1 (2k vn ) = un 2k vn k=0 (2k un ) un = n X1 k=0 2n k ( (2k vn ) (2k un )). 164 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Wir zeigen nun, dass für alle 0 k < n 1 (2k vn ) 2k vn (2k un ) un = 2n k ( (2k vn ) ±2k n = ±1 2k n (2k un )) = gilt. Es gibt ein kn 2 Z mit in in + 1 , 2 [kn , kn + 1]. 2n k 2n k (3.9) Wir überlegen uns dies. Es sei kn die größte, ganze Zahl, die kleiner oder gleich 2nin k ist. Falls in (kn +1) 2n1 k gilt, dann gilt 2inn+1k (kn +1) und es gilt (3.9). Falls 2nin k > (kn +1) 2n1 k 2n k gelten würde, dann in in + 1 < kn + 1 < n k . 2n k 2 Hieraus folgt in < 2n k (kn + 1) < in + 1 Dies kann nicht sein, weil 2n in n 2 k k 0 < 2n bzw. jn n 2 k Hiermit folgen (2k vn ) = und k (2 un ) = (kn + 1) in < 1. in 2 N. Deshalb gibt es ein jn mit 0 jn < 2n (kn + 1) = kn + k k und in + 1 jn + 1 = kn + n k . n k 2 2 ✓ ◆ jn + 1 kn + n k = 2 ✓ ✓ ◆ jn kn + n k = 2 ✓ jn + 1 2n k jn 2n k ◆ ◆ . Es ergeben sich drei Fälle: 0 jn n 2 k < jn + 1 1 n k 2 2 1 jn jn + 1 n k < n k 1 2 2 2 0 jn n 2 k < 1 jn + 1 < n k 1 2 2 Im ersten Fall erhalten wir ✓ jn 2n k ◆ = ✓ jn 2n k und damit (2k vn ) Im zweiten Fall ✓ jn 2n k ◆ =1 (2k un ) = jn 2n (2k un ) = ◆ = jn + 1 2n k jn 1 = n k. 2n k 2 ✓ und k und damit (2k vn ) jn + 1 2n k jn + 1 2n k jn + 1 2n k jn + 1 jn + n k = n k 2 2 ◆ =1 1 2n k jn + 1 2n k . Der dritte Fall kann nicht eintreten: Es würde jn < 2n k 1 < jn + 1 folgen. Dies kann nicht sein, weil k n T (vn ) vn 0 < 2n bzw. 1 und damit 2n k 1 n 1 T (un ) X = ±1. un k=0 k 1 jn < 1 jn 2 N. Somit gilt für alle n 2 N 3.10. UNSTETIGE ABLEITUNGEN 165 Wir zeigen nun, Pn 1dass dieser Ausdruck nicht für n ! 1 konvergiert. Dazu beobachten wir, dass die Summe k=0 ±1 für gerades n eine gerade Zahl ist und für ungerades n eine ungerade Zahl. Es sei p die Anzahl der Summanden, die gleich 1 sind. Dann sind n p Summanden gleich -1 und es gilt n X1 ±1 = p (n p) = 2p n. k=0 Falls also n gerade ist, so ist auch 2p n gerade und 2p n ist ungerade, falls n ungerade ist. Nun betrachten wir den Fall, dass x 2 D, also x = 2jm . Wir wählen vn = x + 21n . Dann gilt für alle n m T (vn ) vn T (x) x = = n X1 k=0 m X1 1 (2k vn ) 2k vn 2n k (2k x) x = n X1 (2k vn ) = k ( (2k vn ) (2k x)) k=0 ( (2k vn ) (2k x)) + k=0 Es gelten für alle k mit m k n 2n n X1 2n k ( (2k vn ) (2k x)). k=m 1, dass (2k x) = 0 und ✓ ✓ ◆◆ 1 2k x + n = 2k 2 n = 2k n . Hiermit folgt T (vn ) vn m X1 T (x) = 2n x k ( (2k vn ) (2k x)) + (n m). k=0 Wegen (3.8) gilt | (2k vn ) (2k x)| 2k n . Hiermit und der Dreiecksungleichung folgt T (vn ) vn T (x) x (n m) m=n 2m. Damit konvergiert der Di↵erenzenquotient nicht für n gegen 1. 2 3.10 Unstetige Ableitungen Satz 3.10.1 Es sei f : R ! R eine di↵erenzierbare Funktion. Dann ist die Menge der Punkte, in denen f 0 stetig ist, nicht leer. Die Menge ist eine dichte G -Teilmenge von R. siehe Munkres, Topology. Satz 3.10.2 Eine Funktion g : R ! R hat genau dann eine Stammfunktion, wenn die Menge ihrer Unstetigkeitsstellen eine magere F -Teilmenge von R ist. Beispiel 3.10.1 (Volterra Funktion) 166 CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN Chapter 4 Metrische Räume Wir führen hier metrische Räume ein und besprechen deren elementare Eigenschaften. Wir untersuchen ofene, abgechlossene und kompakte Mengen. Weiter betrachten wir stetige Abbildungen zwischen metrischen Räumen. Normierte Räume können als metrische Räume aufgefasst werden. Insbesondere ist der Rn mit der Euklidischen Norm für uns von Bedeutung. 4.1 Metrische Räume Definition 4.1.1 Es sei M eine Menge. Eine Funktion d : M ⇥ M ! R heißt Metrik auf M , falls (i) 8x, y 2 M : d(x, y) 0 (ii) 8x, y 2 M : d(x, y) = 0 , x = y (iii) 8x, y 2 M : d(x, y) = d(y, x) (iv) 8x, y, z 2 M : d(x, z) d(x, y) + d(y, z) Eine Menge mit einer Metrik (M, d) heißt metrischer Raum. Die Abschätzung (iv) nennt man Dreiecksungleichung. In einem metrischen Raum gilt die inverse Dreiecksungleichung, d.h. für alle x, y, z 2 M gilt d(x, y) |d(x, z) d(z, y)|. Definition 4.1.2 Es sei (M, d) ein metrischer Raum, x0 2 M und r Teilmenge B(x0 , r) = {x 2 M |d(x, x0 ) r} heißt (abgeschlossene) Kugel um x0 mit Radius r. Die Menge {x 2 M |d(x, x0 ) < r} 167 0. Die 168 CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME nennen wir die o↵ene Kugel um x0 mit Radius r. Eine Teilmenge U (x0 ) von M heißt Umgebung von x0 , falls es ein r > 0 gibt, so dass B(x0 , r) ✓ U (x0 ). Definition 4.1.3 Ein Punkt x einer Menge A heißt innerer Punkt von A, wenn es eine Umgebung U (x) gibt, so dass U (x) ✓ A. Eine Menge A heißt o↵en, wenn alle Punkte von A innere Punkte von A sind. Eine Menge A heißt abgeschlossen, falls das Komplement Ac o↵en ist. Definition 4.1.4 Der o↵ene Kern einer Menge A ist A= {x 2 A|x ist innerer Punkt von A}. Definition 4.1.5 (i) Ein Punkt x0 2 M heißt Häufungspunkt der Menge A, falls in jeder Umgebung U (x0 ) ein Punkt x 2 A mit x 6= x0 liegt. (ii) Ein Punkt x0 2 M heißt Häufungspunkt der Folge xn , n 2 N, falls in jeder Umgebung U (x0 ) unendlich viele Elemente der Folge liegen. Beispiel 4.1.1 Es sei (M, d) ein metrischer Raum. Dann gelten (i) ; und M sind o↵ene Mengen. (ii) ; und M sind abgeschlossene Mengen. (iii) Für alle r > 0 und alle x0 2 M ist B(x0 , r) = {x|d(x0 , x) r} eine abgeschlossene Menge. (iv) Für alle r > 0 und alle x0 2 M ist {x|d(x0 , x) < r} eine o↵ene Menge. Beweis. (i) Die leere Menge besitzt keine Punkte. Deshalb ist jeder Punkt der leeren Menge ein innerer Punkt. M ist Umgebung aller ihrer Punkte und damit o↵en. (ii) Da ; und M o↵en sind, sind deren Komplemente abgeschlossen. (iii) Wir müssen zeigen, dass B(x0 , r)c = {x|d(x0 , x) > r} eine o↵ene Menge ist. Es sei y 2 B(x0 , r)c , also d(y, x0 ) > r. Wir zeigen, dass y innerer Punkt der Menge B(x0 , r)c ist. Dazu weisen wir nach, dass ✓ ◆ d(y, x0 ) r B y, ✓ B(x0 , r)c 2 gilt. Es sei ✓ d(y, x0 ) x 2 B y, 2 r ◆ . Falls x = y, dann gilt y 2 B(x0 , r)c . Nun der Fall x 6= y. Dann gelten 0 < d(x, y) und d(x, y) d(y, x0 ) 2 r . Somit r < r + d(x, y) d(y, x0 ) 2 d(x, y) d(x0 , x). 4.1. METRISCHE RÄUME 169 Beispiel 4.1.2 (i) (R, d) mit d(x, y) = |x (ii) Es sei M eine Menge und d(x, y) = y| ist ein metrischer Raum. ( 0 1 falls x = y falls x = 6 y Dann ist (M, d) ein metrischer Raum. Weiter gelten B(x0 , 1) = R B (x0 , 1) = R {x|d(x0 , x) < 1} = {x0 } Die Metrik (ii) heißt diskrete Metrik. Sie wird manchmal auch als Metrik des ö↵entlichen Nahverkehrs bezeichnet. Als Abstand zwischen zwei Punkten wird der Fahrpreis genommen. In manchen Städten wird ein Einheitspreis erhoben. Man könnte vermuten, dass B (x0 , r) = {x|d(x0 , x) < r} gilt. Dies ist i.A. falsch. Dazu das nächste Beispiel. O↵ene Kugeln sind o↵ene Mengen und abgeschlossene Kugeln sind abgeschlossene Mengen. Man beachte, dass der Abschluss einer o↵enen Kugel {x|d(x, y) < r} in der abgeschlossenen Kugel {x|d(x, y) r} enthalten ist, i.A. aber keine Gleichheit herrscht. Wir geben dazu ein Beispiel an. Beispiel 4.1.3 Es sei M = { 1, 0} [ ( 1, 2] [ ( 12 , 1) [ (1, 1) und d sei die Metrik, die durch d(x, y) = |x y| definiert ist. Dann gelten (i) {x|d(0, x) < 1} 6= {x|d(0, x) 1}. (ii) {x|d(0, x) < 1} ist o↵en. Diese Menge ist keine o↵ene Kugel, d.h. für alle y und r > 0 gilt {x|d(0, x) < 1} 6= {x|d(y, x) r}. (iii) {x|d(0, x) < 1} ist abgeschlossen, aber keine abgeschlossene Kugel, d.h. für alle y and r > 0 gilt {x|d(0, x) < 1} 6= {x|d(y, x) r}. Beweis. Es gelten {x|d(0, x) < 1} = {0} [ ( 12 , 1), 1 {x|d(0, x) < 1} = { 1, 0} [ ( , 1) 2 und ⇤ {x|d(0, x) < 1} = B(0, 1). Beispiel 4.1.4 Die reellen Zahlen R seien mit den Metriken d1 (s, t) = |s d2 (s, t) = s 1 + |s| t| und t . 1 + |t| ausgestattet. Die o↵enen Mengen in (R, d1 ) und (R, d2 ) sind dieselben, (R, d1 ) ist vollständig, aber (R, d2 ) ist nicht vollständig. Die Folge n, n 2 N, ist eine Cauchy Folge in (R, d2 ), die nicht konvergiert. 170 CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME Lemma 4.1.1 Es sei (M, d) ein metrischer Raum. (i) Die Vereinigung von o↵enen Mengen ist o↵en. (ii) Der Durchschnitt abgeschlossener Mengen ist abgeschlossen. (iii) Der Durchschnitt endlich vieler o↵ener Mengen ist o↵en. (iv) Die Vereinigung endlich vieler abgeschlossener Mengen ist abgeschlossen. Beweis. (i) O◆ , ◆ 2 I, seien o↵ene Mengen. Wir zeigen, dass auch [ O◆ [ Ac◆ ◆2I S o↵en ist. Es sei x 2 ◆2I O◆ . Dann gibt es ein ◆0 mit x 2 O◆0 . Da O◆0 eine o↵ene Menge S ist, gibt es eine Umgebung U (x) mit U (x) ✓ O◆0 . Also ist x innerer Punkt von ◆2I O◆ . T (ii) A◆ , ◆ 2 I seien abgeschlossene Mengen. Wir zeigen, dass ◆2I A◆ abgeschlossen ist. Da A◆ abgeschlossen ist, ist Ac◆ o↵en. Nach (i) ist ◆2I o↵en. Mit der Regel von deMorgan folgt !c [ \ c A◆ = A◆ ◆2I ◆2I abgeschlossen. 2 Definition 4.1.6 Der Abschluss Ā einer Teilmenge A eines metrischen Raumes ist der Durchschnitt aller abgeschlossenen Mengen, die A enthalten. Nach Lemma 3.4.7 ist der Abschluss einer Menge abgeschlossen. Der Abschluss einer Menge A ist die kleinste abgeschlossene Menge, die die Menge A umfasst. Definition 4.1.7 Es sei (M, d) ein metrischer Raum. Eine Teilmenge A von M heißt dicht in M , wenn Ā = M . Der Rand einer Menge A ist @A = A\ A . Lemma 4.1.2 Es sei A eine Teilmenge eines metrischen Raumes (M, d). Dann sind äquivalent: (i) A ist abgeschlossen. (ii) A = Ā (iii) A enthält alle ihre Häufungspunkte. 4.1. METRISCHE RÄUME 171 Beweis. (i) ) (ii) O↵enbar gilt immer A ✓ Ā. Der Abschluss der Menge A ist der Durchschnitt aller abgeschlossenen Mengen, die A als Teilmenge enthalten. Da aber A selbst abgeschlossen ist und sich als Teilmenge enthält ist sie selbst eine solche Menge, über die der Durchschnitt gebildet wird. Also gilt Ā = A. (ii) ) (i) Ā ist der Durchschnitt aller abgeschlossenen Mengen, die A enthalten. Nach Lemma 4.1.1 ist der Durchschnitt abgeschlossener Mengen abgeschlossen, also ist Ā abgeschlossen. Da A = Ā gilt, ist also A abgeschlossen. (i) ) (iii) Wir zeigen, dass x 2 A, falls x Häufungspunkt von A ist, bzw. dass x kein Häufungspunkt von A ist, falls x 2 / A. c c Falls x 2 / A, dann x 2 A . A ist eine o↵ene Menge, weil A eine abgeschlossene Menge ist. Also gibt es eine Umgebung U (x) mit U (x) ✓ Ac und x ist kein Häufungspunkt von A. (iii) ) (i) Wir zeigen, dass A nicht alle ihre Häufungspunkte enthält, falls A nicht abgeschlossen ist. Es sei also A nicht abgeschlossen. Dann ist Ac nicht o↵en. Dann gibt es einen Punkt x 2 Ac , der nicht innerer Punkt von Ac ist. Somit gilt 8U (x) : U (x) * Ac . Also 9x 2 Ac 8U (x) : U (x) \ A 6= ; Also ist x ein Häufungspunkt von A, der nicht in A enthalten ist. 2 Beispiel 4.1.5 Es seien die reellen Zahlen R mit der Metrik d(x, y) = |x gilt Q = R. y| ausgestattet. Dann Definition 4.1.8 (i) Eine Folge {xn }n2N in einem metrischen Raum (M, d) heißt konvergent gegen x, falls es für alle ✏ > 0 ein N 2 N gibt, so dass für alle n > N d(x, xn ) < ✏ gilt. (ii) Eine Folge {xn }n2N in einem metrischen Raum (M, d) heißt Cauchy Folge, falls es für alle ✏ > 0 ein N 2 N existiert, so dass für alle n, m > N d(xn , xm ) < ✏ gilt. (iii) Eine Teilmenge eines metrischen Raumes heißt vollständig, falls jede Cauchy Folge dieser Menge in ihr konvergiert. Lemma 4.1.3 (i) Eine vollständige Teilmenge eines metrischen Raumes ist abgeschlossen. (ii) Eine abgeschlossene Teilmenge eines vollständigen, metrischen Raumes ist vollständig. 172 CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME Beweis. (i) Es sei (M, d) ein metrischer Raum. Wir zeigen, dass eine Teilmenge A nicht vollständig ist, wenn sie nicht abgeschlossen ist. Wir nehmen also an, dass die Menge A nicht abgeschlossen ist. Dann gilt A 6= M und Ac ist nicht o↵en. Es gibt folglich ein x 2 Ac , das nicht innerer Punkt von Ac ist. Deshalb gilt für alle n 2 N B(x, n1 ) \ A 6= ;. Also gibt es für jedes n 2 N ein xn 2 B(x, n1 ) \ A. Somit lim xn = x, n!1 aber der (eindeutige) Grenzwert liegt nicht in A. (ii) Es sei (M, d) ein vollständiger, metrischer Raum und A eine abgeschlossene Teilmenge. Weiter sei {xn }n2N eine Cauchy Folge in A. Da (M, d) vollständig ist, konvergiert die Folge in M . x0 = lim xn n!1 Wir zeigen nun, dass x0 2 A. Falls x0 2 Ac , dann gibt es eine Umgebung U (x0 ) von x0 mit U (x0 ) ✓ Ac und die Folge kann nicht gegen x0 konvergieren. 2 Definition 4.1.9 Eine Familie von o↵enen Mengen Oi , i 2 I, heißt o↵ene Überdeckung einer Menge K, falls [ K✓ Oi . i2I Eine endliche Teilüberdeckung einer o↵enen Überdeckung Oi , i 2 I, von K ist eine endliche Teilfamilie Oi1 , . . . , Oin mit K ✓ Oi1 [ · · · [ Oin . Eine Teilmenge K eines metrischen Raumes heißt kompakt, falls jede o↵ene Überdeckung eine endliche Teilüberdeckung besitzt, d.h. [ K✓ Oi =) 9n 2 N9i1 , . . . , in : K ✓ Oi1 [ Oi2 [ · · · [ Oin . i2I Beispiel 4.1.6 (i) Die Teilmenge { n1 |n 2 N} von R ist nicht kompakt. (ii) Die Teilmenge {0} [ { n1 |n 2 N} von R ist kompakt. Beweis. (i) Wir wählen ⇢ ✓ ◆ 1 1 Mn = x d x, < 2 n 4n Dann ist Mn , n 2 N, eine o↵ene Überdeckung, aber es gibt keine endliche Teilüberdeckung. Dies gilt, weil für alle m 6= n m2 / Mn 4.1. METRISCHE RÄUME 173 gilt. Wir prüfen dies nach. d ✓ 1 1 , n m ◆ = 1 n 1 m Das Minimum wird hier für m = n + 1 angenommen. Also gilt ✓ ◆ 1 1 1 1 d , > 2 n m n(n + 1) 4n (ii) Es sei Oi , i 2 I, eine o↵ene Überdeckung. Dann gibt es ein Oi0 mit 0 2 Oi0 . Dann gibt es ein ✏ > 0 mit B(0, ✏) ✓ Oi0 Dann gilt weiter Weiter gibt es für n 2 N mit ⇢ 1 n 1 1 <✏ n n ✓ Oi0 ✏ eine Menge Oin mit 1 2 Oin n Damit ist die Familie Oi0 , Oi1 , . . . , Oi[ 1 ] ✏ eine endliche Teilüberdeckung. 2 Definition 4.1.10 Eine Teilmenge K eines metrischen Raumes heißt total beschränkt, falls es zu jedem ✏ > 0 endlich viele Kugeln B(x1 , ✏), . . . , B(xn , ✏) mit demselben Radius ✏ gibt, so dass n [ K✓ B(xi , ✏) i=1 gilt. Man beachte, dass wir in der Definition der totalen Beschränktheit nicht gefordert wird, dass die Mittelpunkte der Kugeln Elemente der Menge K sind. In der Literatur findet man auch diese Definition. Tatsächlich sind beide Definitionen äquivalent. Satz 4.1.1 Es sei (M, d) ein metrischer Raum und K eine Teilmenge dieses metrischen Raumes. Dann sind äquivalent: (i) K ist kompakt. (ii) (Bolzano-Weierstrass) Jede Folge in K hat eine Teilfolge, die in K konvergiert. (iii) K ist vollständig und total beschränkt. Beweis. (i) ) (ii). Tatsächlich zeigen wir ¬(ii) ) ¬(i). Es sei {xn }n2N eine Folge in K, die keine Teilfolge hat, die in K konvergiert. Dann gibt es zu jedem x 2 K eine Kugel B(x, ✏x ), in der höchstens endlich viele Elemente der Folge {xn }n2N liegen. Wir prüfen dies nach. Dazu nehmen wir an, dass es ein x 2 K gibt, so dass für alle ✏ > 0 unendlich viele Elemente der Folge in B(x, ✏) liegen. Wir konstruieren nun eine Teilfolge, die gegen x konvergiert. Wir finden eine Teilfolge xnk , k 2 N, mit d(x, xnk ) < k1 . Wir wählen 174 CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME als xn1 ein Element der Folge, das in B(x, 1) liegt. Wenn die ersten k Elemente 1 xn1 , . . . , xnk der Teilfolge gewählt sind, dann wählen wir ein xnk+1 2 B(x, k+1 ) mit 1 nk < nk+1 . Dies ist möglich, weil in B(x, k+1 ) unendlich viele Elemente der Folge liegen. Die so konstruierte Teilfolge konvergiert gegen x. Dies ist ein Widerspruch. Die Familie x2K B (x, ✏x ) ist eine o↵ene Überdeckung von K. Sie besitzt keine endliche Teilüberdeckung, weil in jeder der Mengen nur endlich viele Elemente der Folge enthalten sind. (ii) ) (iii) Wir zeigen: Falls K nicht vollständig ist oder nicht total beschränkt ist, dann gibt es in K eine Folge, die keine in K konvergente Teilfolge besitzt. Wir nehmen zunächst an, dass K nicht vollständig ist. Dann gibt es eine CauchyFolge in K, die nicht in K konvergiert. Diese Cauchy-Folge besitzt auch keine Teilfolge, die in K konvergiert, weil sonst bereits die Cauchy-Folge selbst in K konvergieren würde. Wir nehmen nun an, dass K nicht total beschränkt ist. Dann gibt es ein ✏ > 0, so dass für alle k 2 N und alle xn1 , . . . , xnk 2 K K* k [ B(xni , ✏) i=1 gilt. Nun wählen wir eine Folge xn 2 K, n 2 N, so dass für alle n, m 2 N d(xn , xm ) > ✏ gilt. Wir wählen x1 2 K. Wenn x1 , . . . , xn gewählt sind, dann wählen wir xn+1 in der Menge n [ K\ B(xj , ✏) j=1 Diese Menge ist nicht leer. 2 Korollar 4.1.1 Eine kompakte Menge ist abgeschlossen. Beweis. Wegen Satz 4.1.1 ist eine kompakte Menge vollständig. Nach Lemma 4.1.3 ist eine vollständige Menge abgeschlossen. 2 4.2 Normierte Räume Definition 4.2.1 Es sei X ein Vektorraum über R oder C. Eine Norm auf X ist eine Funktion k k : X ! [0, 1) so dass (i) für alle x 2 X und alle t 2 K (R, C) ktxk = |t| kxk 4.2. NORMIERTE RÄUME 175 (ii) x = 0 genau dann, wenn kxk = 0. (iii) für alle x, y 2 X kx + yk kxk + kyk gilt. (X, k k) heißt normierter Raum. In normierten Räumen gilt die umgekehrte Dreiecksungleichung 8x, y 2 X : |kxk kyk| kxk + kyk. Wir beobachten, dass d : X ⇥ X ! [0, 1) d(x, y) = kx yk eine Metrik auf X ist. Damit übertragen sich Begri↵e und Eigenschaften metrischer Vektorräume auf normierte Vektorräume. Ein normierter Raum ist vollständig, wenn jede Cauchy Folge konvergiert. Ein vollständiger, normierter Raum heißt Banachraum. Die Kugel um x0 2 X mit Radius r 0 ist die Menge B(x0 , r) = {x|kx x0 k r}. Eine Menge A in einem normierten Raum heißt beschränkt, wenn es ein r > 0 mit A ✓ B(0, r) gibt. Lemma 4.2.1 Es sei X ein normierter Raum und es gelte x = lim xn . n!1 Dann gilt kxk = lim kxn k. n!1 Beweis. Es gilt 8✏ > 09N 2 N8n > N : kx xn k < ✏. Hieraus folgt sofort mit der umgekehrten Dreiecksungleichung 8✏ > 09N 2 N8n > N : |kxk kxn k| < ✏. ⇤ Auf dem Rn betrachten wir die Norm kxk = n X i=1 |xi |2 ! 12 = p < x, x >. Diese Norm bezeichnet man als Euklidische Norm. 176 CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME Lemma 4.2.2 k · k ist eine Norm auf dem Rn und es gilt für alle x, y 2 Rn | < x, y > | kxkkyk. Die Ungleichung wird als Ungleichung von Cauchy-Schwarz bezeichnet. Beweis. O↵ensichtlich gilt kxk t 2 R und alle x 2 Rn gilt ktxk = n X i=1 |txi |2 0 und falls x 6= 0, dann gilt kxk > 0. Für alle ! 12 = |t| n X i=1 |xi |2 ! 12 = |t|kxk. Wir zeigen nun, dass für alle x, y 2 Rn die Ungleichung | < x, y > | kxkkyk gilt. Die Behauptung ist o↵ensichtlich, falls y = 0. Wir können also annehmen, dass y 6= 0. ⌧ < x, y > < x, y > 0 x y, x y < y, y > < y, y > < x, y >2 < x, y >2 < x, y >2 =< x, x > 2 + =< x, x > < y, y > < y, y > < y, y > Damit folgt für alle x, y 2 Rn < x, y >2 < x, >< y, y >= kxk2 kyk2 . Nun weisen wir die Dreiecksungleichung nach. Für alle x, y 2 Rn gilt kx + yk2 =< x + y, x + y >=< x, x > +2 < x, y > + < y, y > . Mit der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt kx + yk2 kxk2 + 2kxkyk + kyk2 = (kxk + kyk)2 . 2 Beispiel 4.2.1 Es werden auch durch kxk1 = n X i=1 |xi | kxk1 = max |xi | 1in Normen auf dem Rn definiert. Lemma 4.2.3 Eine Folge {xk }k2N im Rn ist genau dann konvergent, wenn alle Folgen der Koordinaten {xk (i)}k2N , i = 1, . . . , n, konvergieren. Außerdem ist eine Folge {xk }k2N im Rn ist genau dann eine Cauchy Folge, wenn alle Folgen der Koordinaten {xk (i)}k2N , i = 1, . . . , n, Cauchy Folgen sind. 4.2. NORMIERTE RÄUME 177 Beweis. Wir nehmen an, dass die Folge {xk }k2N konvergiert. Also gibt es ein x0 , so dass für alle ✏ ein N existiert, so dass für alle k mit k > N gilt kx0 xk k < ✏. Also gilt für alle i = 1, . . . , n ✏ > kx0 xk k = n X i=1 xk (i)|2 |x0 (i) ! 12 |x0 (i) xk (i)|. Wir nehmen nun umgekehrt an, dass für alle i = 1, . . . , n gilt: 8✏9Ni 2 N8k > Ni : |x0 (i) xk (i)| < ✏. Wir wählen nun N = max1in Ni . Dann gilt 8✏9N 2 N8k > N : n X i=1 |x0 (i) xk (i)|2 < n✏2 . Hieraus folgt 8✏9N 2 N8k > N : 2 v u n uX t |x0 (i) xk (i)|2 < p n✏. i=1 Korollar 4.2.1 Der Rn mit der Euklidischen Norm ist vollständig. Beweis. Nach Lemma 4.2.3 reicht es zu zeigen, dass die Koordinatenfolgen konvergieren. Dies gilt aber, weil R vollständig ist (Satz 2.3.2). 2 Definition 4.2.2 Wir sagen, dass zwei Normen k k1 und k k2 auf einem Vektorraum X äquivalent sind, wenn es Konstanten c1 und c2 gibt, sa dass für alle x 2 X c1 kxk1 kxk2 c2 kxk1 gilt. Beispiel 4.2.2 Wir betrachten auf dem Rn die Normen kxk1 = n X i=1 |xi | Dann gilt für alle x 2 Rn kx||2 = n X i=1 2 |xi | ! 12 1 p kxk1 kxk2 kxk1 n p kxk1 kxk2 nkxk1 kxk1 = max |xi |. 1in 178 CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME Beweis. Es sei ei = (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0) i = 1, 2, . . . , n die Standardbasis im R . Dann folgt mit der Dreieckungleichung n kxk = n X i=1 xi ei n X i=1 |xi |kei k = kxk1 . Mit der Cauchy-Schwarz Ungleichung n X i=1 |xi | k(1, . . . , 1)k2 kxk2 = Für alle x 2 R und j = 1, . . . , n gilt p nkxk2 . n n X kxk2 = i=1 2 |xi | ! 12 |xj |. Also kxk2 Weiter kxk2 = 2 n X i=1 |xi |2 ! 12 kxk1 . n X i=1 | max |xj ||2 1jn ! 12 p nkxk1 . Lemma 4.2.4 Eine Teilmenge des Rn mit der Euklidischen Norm ist genau dann beschränkt, wenn sie total beschränkt ist. Satz 4.2.1 Eine Teilmenge des Rn mit der Euklidischen Norm ist genau dann kompakt, wenn sie abgeschlossen und beschränkt ist. Beweis. Nach Satz 4.1.1 ist eine kompakte Menge vollständig und total beschränkt. Wegen Korollar 4.1.1 ist sie also abgeschlossen. Außerdem ist eine total beschränkte Menge nach Lemma 4.2.4 beschränkt. Nach Lemma 4.2.4 ist eine beschränkte Menge total beschränkt. Nach Lemma 4.1.3 ist eine abgeschlossene Teilmenge eines vollständigen, metrischen Raumes vollständig. Nun wenden wir wieder Satz 4.1.1 an. 2 Beispiel 4.2.3 Es sei der Rn ausgestattet mit der Euklidischen Norm. Dann ist die abgeschlossene Einheitskugel kompakt. Beispiel 4.2.4 Wir bezeichnen ( `2 = x= {x(i)}1 i=1 8i 2 N : x(i) 2 R ^ Dann gelten (i) `2 ist ein Vektorraum über dem Körper R. (ii) Es sei die Abbildung k k2 : `2 ! R für x 2 `2 durch kxk2 = 1 X i=1 2 |x(i)| ! 12 1 X i=1 2 |x(i)| < 1 ) 4.2. NORMIERTE RÄUME 179 definiert. k k2 ist eine Norm auf `2 . (iii) Die Einheitskugel in `2 B2 (0, 1) = {x 2 `2 |kxk2 1} ist beschränkt, nicht total beschränkt und nicht kompakt. Beweis. (i) Wir zeigen, dass mit x, y 2 `2 auch x + y 2 `2 : Für alle n 2 N gilt ! 12 ! 12 ! 12 n n n X X X 2 2 2 |x(i) + y(i)| |x(i)| + |y(i)| i=1 i=1 1 X i=1 Es folgt 1 X i=1 ! 12 |x(i)|2 2 |x(i) + y(i)| ! 12 i=1 1 X + i=1 i=1 1 X Es folgt 1 X i=1 2 |x(i) + y(i)| ! 12 (iii) Wir betrachten die Folge {en }n2N mit en (i) = Dann gilt für n 6= m ken i=1 1 X i=1 ⇢ 2 |x(i)| 2 |x(i)| |y(i)|2 <1 <1 (ii) Wir zeigen die Dreiecksungleichung. Für alle n 2 N gilt ! 12 ! 12 n n X X 2 2 |x(i) + y(i)| |x(i)| + i=1 ! 12 ! 12 ! 12 n X i=1 1 X + + i=1 1 X i=1 2 ! 12 2 ! 12 |y(i)| |y(i)| 2 |y(i)| ! 12 0 i 6= n 1 i=n em k2 = p 2. Wir nehmen an, dass die abgeschlossene Einheitskugel total beschränkt ist. Dann gibt es endlich viele Kugeln B(x1 , 14 ), . . . , B(xN , 14 ) mit B(0, 1) ✓ 1 4 ), N [ B(xi , 14 ) i=1 Also gibt es eine Kugel B(xi0 , die mindestens zwei verschiedene Vektoren en und em enthält. Mit der Dreiecksungleichung folgt p 1 2 = ken em k ken xi0 k + kxi0 em k 2 Dies ist ein Widerspruch. 2 Wir sagen, dass die Menge M die Konvergenzmenge der Reihe ( ) 1 X M = x 2 Rn 9⇡ : x = x⇡(k) . k=1 Einen Beweis für den folgenden Satz findet man in [47]. P1 k=1 xk ist, wobei 180 CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME Satz 4.2.2 (E. Steinitz) Die Konvergenzmenge einer Reihe ist die leere Menge oder sie ist von der Form x0 + L, wobei x0 2 Rn und L ein Teilraum von Rn ist. Dies ist eine Verallgemeinerung des Umordnungssatzes von Riemann. Beispiel 4.2.5 (i) Der Raum der stetigen Funktionen C[a, b] mit der Norm kf k = max |f (x)| x2[a,b] ist ein Banachraum. Die abgeschlossene Einheitskugel ist nicht kompakt. (ii) Der Raum der beschränkten Folgen ⇢ `1 = (x(i))1 i=1 sup |x(i)| < 1 i2N mit der Norm kxk1 = sup |x(i)| i2N ist ein Banachraum. (iii) Der Raum aller konvergenten Folgen n o c = (x(i))1 i=1 lim xi existiert i!1 mit der Norm kxk1 = sup |x(i)| i2N ist ein Banachraum. c ist ein abgeschlossener Teilraum von `1 . (iv) Der Raum aller gegen 0 konvergenten Folgen n o c0 = (x(i))1 lim x(i) = 0 i=1 i!1 mit der Norm kxk1 = sup |x(i)| i2N ist ein Banachraum. c0 ist ein abgeschlossener Teilraum von c und `1 . Beweis. (i) Wir zeigen, dass die abgeschlossene Einheitskugel von C[a, b] nicht kompakt ist. Dazu geben wir eine Folge {hn }n2N in C[a, b] an, die keine Teilfolge besitzt, die konvergiert. Um die Notationen einfacher zu halten, machen wir dies für a = 0 und b = 1. Wir definieren hn , 1 so dass hn auf den Intervallen [0, n+1 ] und [ n1 , 1] den Wert 0 annimmt. Außerdem setzen wir 1 1 1 hn ( 2 ( n+1 + n )) = 1 und alle übrigen Funktionswerte sind zwischen 0 und 1. Dann gilt für alle n 2 N, dass khn k1 = 1 und für alle n 6= m khn hm k1 = 1. Wir weisen die Vollständigkeit nach. Es sei {fn }n2N eine Cauchy Folge in C[a, b]. Dann gilt 8✏ > 09N 2 N8n, m N : sup |fn (x) fm (x)| < ✏ x2[a,b] Es folgt 8✏ > 09N 2 N8n, m N 8x 2 [a, b] : |fn (x) fm (x)| < ✏ 4.3. STETIGE ABBILDUNGEN ZWISCHEN METRISCHEN RÄUMEN 181 Insbesondere ist für alle x 2 [a, b] die Folge {fn (x)}n2N eine Cauchy Folge. Da R vollständig ist, konvergiert diese Folge. Wir setzen f (x) = lim fn (x). n!1 Wir zeigen, dass die Folge {fn }n2N gleichmässig gegen f konvergiert. Es gilt 8✏ > 09N 2 N8n N 8x 2 [a, b]8m 2 N : |fn (x) fm (x)| < ✏ Es folgt 8✏ > 09N 2 N8n N 8x 2 [a, b] : |fn (x) f (x)| < ✏. Nach Analysis I ist die Grenzfunktion einer Folge von stetigen Funktionen, die gleichmässig konvergiert, stetig. (ii) Es sei xn , n 2 N, eine Cauchy Folge in `1 . Dann ist für jedes i 2 N die Folge der Koordinaten xn (i), n 2 N, eine Cauchy Folge in R. Somit existieren x(i) = lim xn (i). n!1 Weil xn , n 2 N, eine Cauchy Folge ist, ist x eine beschränkte Folge, also in `1 . Wir zeigen nun, dass xn , n 2 N, in `1 gegen x konvergiert. Für alle ✏ > 0 existiert ein N , so dass für alle n, m mit n, m n kxn xm k1 < ✏ Somit gibt es zu jedem ✏ > 0 ein N , so dass für alle n, m |xn (i) xm (i)| < ✏ gilt, bzw. zu jedem ✏ > 0 ein N , so dass für alle n |xn (i) N und alle i 2 N N , alle i 2 N und alle m N xm (i)| < ✏ gilt. Nun können wir zu jedem i die Zahl m so groß wählen, dass |xm (i) xi | < ✏. (Die Zahl m hängt also von i ab.) Es folgt, dass zu jedem ✏ > 0 ein N existiert, so dass für alle n N und alle i2N |xn (i) x(i)| < 2✏. ⇤ 4.3 Stetige Abbildungen zwischen metrischen Räumen Definition 4.3.1 Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) zwei metrische Räume. Eine Funktion f : X ! Y ist in einem Punkt x0 2 X stetig, falls 8✏ > 09 > 08x 2 X, dX (x, x0 ) < : dY (f (x), f (x0 ) < ✏. Wir sagen, dass die Funktion stetig ist, wenn sie in allen Punkten stetig ist. Satz 4.3.1 Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) zwei metrische Räume. Eine Funktion f : X ! Y ist genau dann in einem Punkt x0 2 X stetig, falls für alle Folgen {xn }n2N , mit limn!1 xn = x0 lim f (xn ) = f (x0 ) n!1 gilt. 182 CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME Lemma 4.3.1 (i) Es sei (X, d) ein metrischer Raum und x0 2 X. Es seien f, g : X ! R Funktionen, die in x0 stetig sind. Dann sind auch f + g und f · g in x0 stetig. (ii) Es seien (X, dX ), (Y, dY ) und (Z, dZ ) metrische Räume. Die Funktion f : X ! Y, d sei in x0 stetig und g : Y ! Z sei in f (x0 ) stetig. Dann ist g f in x0 stetig. Das Urbild f 1 (U ) einer Menge U ist {x|f (x) 2 U }. Satz 4.3.2 Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) zwei metrische Räume und f : X ! Y . Dann sind äquivalent. (i) f ist stetig. (ii) Das Urbild jeder o↵enen Menge ist eine o↵ene Menge. (iii) Das Urbild jeder abgeschlossenen Menge ist abgeschlossen. Beweis. (i) ) (ii). Es sei U eine o↵ene Teilmenge von Y . Falls f 1 (U ) die leere Menge ist, so ist f 1 (U ) = ; auch o↵en. Wir können also annehmen, dass f 1 (U ) nicht die leere Menge ist. Wir zeigen nun, dass f 1 (U ) o↵en ist. Es sei x0 2 f 1 (U ). Dann gilt f (x0 ) 2 U . Da U o↵en ist, existiert ein ✏ > 0, so dass {y|dY (y, f (x0 )) < ✏} ✓ U. Weil f stetig ist, existiert ein > 0, so dass {f (x)|dX (x, x0 ) < } ✓ {y|dY (y, f (x0 )) < ✏}. Also gilt {x|dX (x, x0 ) < } ✓ f ✓ f 1 ({f (x)|dX (x, x0 ) < }) 1 ({y|dY (y, f (x0 )) < ✏}) ✓ f 1 (U ) und x0 ist ein innerer Punkt. Also ist f 1 (U ) eine o↵ene Menge. (i) ( (ii). Es sei x0 2 X und ✏ > 0. Die Menge {y|d2 (y, f (x0 )) < ✏} ist o↵en. Da das Urbild einer o↵enen Menge o↵en ist, so ist auch f 1 ({y|d2 (y, f (x0 )) < ✏}) o↵en. Insbesondere ist x0 innerer Punkt dieser Menge. Also gibt es ein dass {x|d1 (x, x0 ) < } ✓ f 1 ({y|d2 (y, f (x0 )) < ✏}). Hieraus folgt {f (x)|d1 (x, x0 ) < } ✓ {y|d2 (y, f (x0 )) < ✏}. Damit ist f in x0 stetig. > 0, so 4.3. STETIGE ABBILDUNGEN ZWISCHEN METRISCHEN RÄUMEN 183 (ii) ) (iii). Es sei A eine abgeschlossene Teilmenge von Y . Dann ist Ac o↵en und somit ist auch f 1 (Ac ) auch o↵en. Weiter gilt (f 1 (Ac ))c = ({x|f (x) 2 / A})c = {x|f (x) 2 A} = f 1 ({y|y 2 A}). Damit ist (f 1 (Ac ))c = f 1 (A) abgeschlossen. (iii) ) (ii) wird genauso gezeigt. 2 Satz 4.3.3 Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) zwei metrische Räume und f : X ! Y eine stetige Funktion. Dann ist das Bild einer kompakten Menge kompakt. Beweis. Es sei K eine kompakte Menge in X . Es sei weiter O◆ , ◆ 2 I, eine o↵ene Überdeckung von f (K). Wegen der Stetigkeit von f sind die Mengen 1 f (O◆ ) ◆2I o↵en. Wegen 1 K✓f [ ◆2I O◆ ! = [ f 1 (O◆ ) ◆2I ist diese Familie von Mengen eine o↵ene Überdeckung von K. Da K aber kompakt ist, gibt es eine endliche Teilüberdeckung f 1 (O◆1 ), . . . , f 1 (O◆n ) K✓ n [ f (O◆k ) k=1 Hieraus folgt f (K) ✓ f 1 n [ f k=1 1 ! (O◆k ) ✓ n [ k=1 O◆k Also ist O◆1 , . . . , O◆n eine endliche Teilüberdeckung für f (K). 2 Satz 4.3.4 Es sei (X, d) ein metrischer Raum und K ein kompakte Teilmenge von X. R sei mit der Standardmetrik d ausgestattet. Eine stetige Funktion f : X ! R nimmt auf K Minimum und Maximum an. Umgekehrt kann man sich fragen, ob eine Menge, auf der jede stetige Funktion sowohl Minimum und Maximum annimmt, kompakt sein muss. Für Teilmengen vom Rn lässt sich dies leicht nachweisen. Wir zeigen, dass es zu jeder nicht kompakten Menge, eine Funktion gibt, die auf dieser Menge unbeschränkt ist. Falls die Menge unbeschränkt ist, so ist die Funktion f (x) = x21 + · · · + x2n stetig und unbeschränkt. Falls die Menge nicht abgeschlossen ist, dann gibt es einen Punkt z, der im Abschluss dieser Menge liegt, aber nicht in dieser Menge. Dann ist f (x) = |z1 x1 |2 1 + · · · + |zn xn |2 184 CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME stetig und unbeschränkt. Beweis. Nach Satz 4.3.3 ist f (K) eine kompakte Menge von R. Nach Satz 4.2.1 ist f (K) beschränkt und abgeschlossen. Da f (K) beschränkt ist, existieren Infimum und Supremum von f (K). Wir zeigen, dass das Supremum von f (K) angenommen wird. Es gilt 8✏ > 09y 2 f (K) : sup f (K) y + ✏. Wenn sup f (K) nicht angenommen wird, d.h. sup f (K) 2 / f (K), dann ist sup f (K) ein Häufungspunkt von f (K). Da aber f (K) abgeschlossen ist, muss dann sup f (K) 2 f (K). Genauso wird gezeigt, dass inf f (K) 2 f (K). 2 Korollar 4.3.1 Es seien a, b 2 R mit a < b und f : [a, b] ! R eine stetige Funktion. Dann nimmt f auf [a, b] Minimum und Maximum an. Beweis. [a, b] ist eine kompakte Menge. Wir wenden Satz 4.3.4 an. 2 Lemma 4.3.2 Auf einem endlich-dimensionalen, reellen oder komplexen, normierten Raum sind alle Normen äquivalent. Beweis. Es reicht, Rn und Cn zu betrachten. Mit k k2 bezeichnen wir die Euklidische Norm. Wir zeigen, dass alle Normen auf Rn stetige Abbildungen bzgl. der Euklidischen Norm sind. Es seien ei = (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0) i = 1, 2, . . . , n die Standardbasis des Rn . Es gilt kxk = n X i=1 xi ei n X i=1 |xi |kei k ✓ ◆X n max kei k |xi |. 1in i=1 Wegen Beispiel 4.2.2 gilt n X i=1 Deshalb (4.1) kxk ✓ |xi | p nkxk2 . ! 12 ✓ ◆ ◆ n X p p 2 max kei k n |xi | max kei k n kxk2 . 1in 1in i=1 Stetigkeit in x0 bedeutet 8✏ > 09 > 08x, kx Wir wählen = ✏ c x0 k2 < : |kxk kx0 k| < ✏. und erhalten |kxk kx0 k| kx x0 k ckx x0 k2 < c = ✏. 4.3. STETIGE ABBILDUNGEN ZWISCHEN METRISCHEN RÄUMEN 185 Damit ist die Norm eine stetige Abbildung. Die Menge @B2n = {x| kxk2 = 1} ist kompakt. Deshalb wird inf kxk kxk2 =1 angenommen. Es gilt (4.2) c1 = min kxk > 0, kxk2 =1 weil das Minimum nicht in x = 0 angenommen wird. Aus (4.1) und (4.2) folgt für alle x mit kxk2 = 1 ✓ ◆ p c1 kxk max kei k nkxk2 . 1in Es folgt für alle x mit x 6= 0 c1 x c2 . kxk2 Deshalb gilt für alle x c1 kxk2 kxk c2 kxk2 . 2 Lemma 4.3.3 Es sei (M, d) ein metrischer Raum und K eine kompakte Teilmenge. Es sei f : K ! R eine stetige Abbildung. Dann ist f auf K gleichmäßig stetig, d.h. 8✏ > 09 > 08x, y 2 K, d(x, y) < : |f (x) f (y)| < ✏. Beweis. Da f stetig ist, gilt: 8✏ > 08x 2 K9 = (x, ✏)8y 2 K, d(x, y) < : |f (x) f (y)| < ✏. Die Familie B (x, (x, ✏)) x2K ist eine o↵ene Überdeckung von K. 2 Es seien ⇡j : Rk ! R durch ⇡j (x) = xj gegeben. Diese Abbildungen sind stetig. Wir bezeichnen ⇡j f , j = 1, . . . , k als die Koordinatenabbildungen. Lemma 4.3.4 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! Rk . Die Funktion f ist genau dann stetig, wenn alle Koordinatenfunktionen fi , i = 1, . . . , k stetig sind. 186 CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME Beweis. Wir zeigen zunächst, dass die Abbildungen ⇡j stetig sind. |⇡j (x0 ) ⇡j (x)| = |x0 (j) xj | kx0 xk Damit sind f und ⇡j stetige Funktionen. Hintereinanderausführungen von stetigen Funktionen sind auch stetig. Also ist ⇡j f stetig. ⇤ Beispiel 4.3.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R. f heißt in x0 Lipschitzstetig, falls es eine Umgebung V(x0 ) und ein L > 0 gibt, so dass für alle x 2 V(x0 ) d(f (x), f (x0 )) Ld(x, x0 ) bzw. |f (x) gilt. f (x0 )| Lkx x0 k Chapter 5 Integralrechnung 5.1 Integralrechnung In diesem Abschnitt beginnen wir mit der Integralrechnung. Sie wird uns in die Lage versetzen, einen Flächeninhalt oder die Länge einer Kurve zu berechnen. Ebenso die Arbeit, die verrichtet wird, wenn sich ein Partikel durch ein Kraftfeld bewegt. Mittels der Kurvenlänge werden wir dann die trigonometrischen Funktionen einführen. Wir stellen fest, dass alle stetigen Funktionen, wie auch alle monotonen Funktionen Riemann-integrierbar sind. Wir geben Beispiele von Funktionen an, die nicht Riemann integrierbar sind. Auch geben wir Beispiele an, die an sehr vielen Stellen unstetig sind, aber trotzdem Riemann integrierbar. Das Hauptergebnis der Integralrechnung ist der Hauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung. Er besagt, dass die Integration die inverse Operation zur Di↵erentiation ist. Hiermit lassen sich dann viele Integrale einfach berechnen. Riemann integrierbare Funktionen sind beschränkt. Wir erweitern den Begri↵ der Riemann Integrierbarkeit auf unbeschränkte Funktionen und sprechen dann von Funktionen, die uneigentlich Riemann integrierbar sind. In diesem Zusammenhang führen wir die Gamma Funktion ein. Eine Partition eines Intervalls [a, b] ist eine endliche Teilmenge P = {x0 , x1 , . . . , xn } mit a = x0 < x1 < · · · < xn = b. Ik = [xk 1 , xk ] heißt das k-te Teilintervall und Intervalls Ik . Die Feinheit der Partition ist durch kPk = max 1kn k = xk xk 1 ist die Länge des k gegeben. Es sei f : [a, b] ! R beschränkt auf [a, b] und P = {x0 , x1 , . . . , xn } sei eine Partition von [a, b]. Wir setzen mk (f ) = inf{f (x)|x 2 Ik } Mk (f ) = sup{f (x)|x 2 Ik } m(f ) = inf{f (x)|x 2 [a, b]} M (f ) = sup{f (x)|x 2 [a, b]} 187 188 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Die Untersumme von f bzgl. P ist US P (f ) = n X mk (f ) k. Mk (f ) k. k=1 Die Obersumme von f bzgl. P ist OS P (f ) = n X k=1 Lemma 5.1.1 Es sei f : [a, b] ! R eine beschränkte Funktion. Dann gilt für alle Partitionen P m(f )(b a) US P (f ) OS P (f ) M (f )(b Beweis. US P (f ) = 2 n X mk (f ) k k=1 n X Mk (f ) k k=1 a). = OS P (f ) Eine Partition P 0 = {x00 , . . . , x0n } eines Intervalls [a, b] heißt Verfeinerung der Partition P = {x0 , . . . , xm } von [a, b], falls P = {x0 , . . . , xm } ✓ {x00 , . . . , x0n } = P 0 . Lemma 5.1.2 Es sei f : [a, b] ! R eine beschränkte Funktion. Es sei P 0 eine Verfeinerung der Partition P. Dann gelten (i) US P (f ) US P 0 (f ) (ii) OS P (f ) OS P 0 (f ) Insbesondere gilt, dass sup{US P (f )|P ist Partition} inf{OS P (f )|P ist Partition} Beweis. (i) Falls P 0 = {x00 , . . . , x0n } Verfeinerung von P = {x0 , . . . , xm } ist. Wir setzen für k = 1, . . . , m und j = 1, . . . , n Ik = [xk 1 , xk ] k = xk xk 1 und mk (f ) = inf{f (x)|x 2 Ik } Mk (f ) = sup{f (x)|x 2 Ik } Ij0 = [x0j 1 , x0j ] 0 j = x0j x0j 1 m0j (f ) = inf{f (x)|x 2 Ij0 } Mj0 (f ) = sup{f (x)|x 2 Ij0 }. 5.1. INTEGRALRECHNUNG 189 Es gibt es j1 , . . . , jm , so dass für alle i = 1, . . . , m gilt xi = x0ji . Dann gilt für alle i = 1, . . . , m ji [ 0 0 [xi 1 , xi ] = [xji 1 , xji ] = [x0` 1 , x0` ]. `=ji 1 +1 Hiermit folgt US P (f ) = = n X m X i=1 = m X n X = m X i=1 inf{f (x)|x 2 [xi 1 , xi ]}(xi inf{f (x)|x 2 [x0ji 1 , x0ji ]}(x0ji 8 < inf f (x) x 2 : ji X i=1 `=ji n X `=1 = k k=1 m X i=1 = mk (f ) 1 +1 ji [ k=ji m0k (f ) x0ji 1 ) [x0k 1 , x0k ] 1 +1 9 ji = X ; `=ji inf f (x) x 2 [x0` 1 , x0` ] (x0` inf f (x) x 2 [x0` 1 , x0` ] (x0` 0 k k=1 xi 1 ) (x0` x0` 1 ) 1 +1 x0` 1 ) x0` 1 ) = US P 0 (f ). (ii) wird genauso gezeigt. Wir zeigen nun den Zusatz. Zunächst zeigen wir, dass für alle Partitionen P und Q US P (f ) OS Q (f ) gilt. P [ Q ist Verfeinerung von P und Q. Deshalb gilt nach Lemma 5.1.2 für alle P und Q US P (f ) US P[Q (f ) OS P[Q (f ) OS Q (f ). Hieraus folgt für all Q sup US P (f ) OS Q (f ) P und schließlich sup US P (f ) inf OS Q (f ). Q P 2 Definition 5.1.1 Es sei f : [a, b] ! R eine beschränkte Funktion. Es gelte sup US P (f ) = inf OS P (f ). P P Dann heißt f Riemann-integrierbar und das Integral von f ist Z b f (x)dx = sup US P (f ) = inf OS P (f ). a P P 190 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Um nachzu weisen, dass eine Funktion f Riemann integrierbar ist, reicht es zu zeigen, dass es für alle ✏ > 0 Partitionen P, Q mit OS P (f ) US P (f ) + ✏ gibt. Wir setzen Z b f (x)dx = a Z a f (x)dx. b Beispiel 5.1.1 (i) Es sei f : [a, b] ! R durch f (x) = c definiert. f ist integrierbar und Z b f (x)dx = c(b a). a (ii) Es sei f : [0, 1] ! R durch f (x) = x definiert. f ist integrierbar und Z 1 1 f (x)dx = . 2 0 (iii) (Dirichlet) Es sei D : [0, 1] ! R durch ( 0 D(x) = 1 falls x irrational falls x rational definiert. f ist nicht Riemann integrierbar (f ist aber Lebesgue integrierbar). Weiter gilt D(x) = lim lim cos2n (m!⇡x). m!1 n!1 (iv) (Thomae) Es sei f : [0, 1] ! R durch 8 falls x irrational ist oder x = 0 <0 f (x) = 1 m : falls x = und m und n teilerfremd sind n n definiert. f ist in allen irrationalen Punkten stetig und unstetig in allen rationalen Punkten. f ist in keinem Punkt di↵erenzierbar. f ist Riemann integrierbar und Z 1 f (x)dx = 0. 0 Diese Funktion wurde 1875 von C.J. Thomae eingeführt. Sie hat viele Spitznamen: Popcorn Funktion, Regentropfen Funktion, Lineal Funktion, Sterne über Babylon. Carl Johannes Tomae wurde am 11.12.1840 in Laucha an der Unstrut geboren. Er promovierte 1864 in Göttingen bei Ernst Schering. 1879 wurde er Professor in Jena. 5.1. INTEGRALRECHNUNG 191 An der Graphik erkennt man, warum die Funktion auch Lineal Funktion genannt wird: Die Striche, die die Funktionswerte angeben, sehen aus wie die Markierungen auf einem Lineal. Auch der Ausdruck Regentropfen Funktion ist klar. Sie heißt auch Popcorn Funktion, weil die Striche Popcorn andeuten, das aus einer heissen Pfanne aufspringt. Beweis. (i) m(f ) = inf{f (x)|x 2 [a, b]} = c M (f ) = sup{f (x)|x 2 [a, b]} = c Wir wählen als Partition P = {a, b}. Dann erhalten wir US P (f ) = m(f )(b OS P (f ) = m(f )(b a) a) (ii) Wir wählen als Partitionen n2N Pn = {0, n1 , n2 , . . . , 1} Es gelten k = 1 n und k mk (f ) = inf f (x) = 1 Mk (f ) = sup f (x) = n x2Ik x2Ik k n Hiermit erhalten wir n X US Pn (f ) = mk (f ) k = k=1 k=1 n 1 X (k n2 = n X k k=1 n 11 n 1 n(n 1) 1 1) = 2 = n 2 2 ✓ 1 1 n ◆ und OS Pn (f ) = = n X Mk (f ) k = k=1 n X k1 nn k=1 ✓ ◆ n 1 X 1 n(n + 1) 1 1 k = = 1 + . n2 n2 2 2 n k=1 Deshalb gilt für alle n 2 N ✓ 1 1 2 1 n ◆ sup US P (f ) inf OS P (f ) P P 1 2 ✓ ◆ 1 1+ . n Also gilt 1 = sup US P (f ) = inf OS P (f ). P 2 P (iii) Wir zeigen, dass für alle Partitionen P US P (D) = 0 OS P (D) = 1 gilt. Hierzu benutzen wir, dass es zwischen je zwei reellen Zahlen sowohl eine rationale als auch eine irrationale Zahl gibt (Korollar 2.10.1). Es folgen mk (D) = inf{D(x)|x 2 Ik } = 0 Mk (D) = sup{D(x)|x 2 Ik } = 1. 192 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Es folgt US P (D) = OS P (D) = n X k=1 n X mk (D) Mk (D) k =0 k = k=1 n X k = 1. k=1 (iv) Wir zeigen, dass f in allen rationalen Punkten, die von 0 verschieden sind, unstetig ist. 1 m Es gilt f ( m n ) = n , aber in jeder Umgebung von n findet man einen irrationalen Punkt. Wir zeigen nun, dass f in allen irrationalen Punkten x stetig ist. Wir zeigen, dass für alle Folgen {xn }n2N mit limn!1 xn = x lim f (xn ) 6= f (x) = 0 n!1 gilt. Wir können annehmen, dass alle xn , n 2 N, rationale Zahlen sind, weil f auf irrationalen n Zahlen den Wert 0 annimmt. Es sei { m kn }n2N eine Folge rationaler Zahlen mit lim n!1 mn = x. kn Wir müssen zeigen, dass 1 = 0. kn Wir nehmen an, dies sei nicht so. Dann gibt es eine Teilfolge {knj }j2N , die beschränkt ist. Deshalb ist auch {mnj }j2N beschränkt. Somit nimmt ⇢ mnj knj j2N lim n!1 nur endlich viele Werte an. Deshalb ist lim j2N mnj knj rational. Der Grenzwert ist aber gleich der irrationalen Zahl x. Wir zeigen nun, dass f Riemann integrierbar ist und dass das Integral von f gleich 0 ist. Dazu zeigen wir dass für alle Partitionen P gilt, dass US P (f ) = 0. Ausserdem zeigen wir, dass es Partitionen Pn , n 2 N, gibt, so dass r 2 OS P (f ) n gilt. Hieraus ergibt sich unmittelbar die Behauptung. Es gilt n X US P (f ) = mk (f ) k = 0. k=1 Wir beweisen nun die Abschätzung für die Obersummen. Als Partitionen wählen wir Pn = {0, 1 2 , , . . . , 1} n n n 2 N. Es gelten k = n1 und Ik = [ k n 1 , nk ]. Um OS P (f ) zu bestimmen, müssten wir nun Mk (f ) berechnen. Dies kann sich wegen der Funktion f kompliziert gestalten. Deshalb gehen wir einer anderen Frage nach, die leichter zu beantworten ist: Die Funktion f nimmt die Werte 1q , q 2 N, an. Wir fragen, auf wievielen Intervallen Ik der Wert von Mk (f ) gleich 1q ist? Es gilt OS Pn (f ) = n X k=1 Mk (f ) k = ⇢ n 1 1X 1X1 1 Mk (f ) = card k Mk (f ) = , n n q=1 q q k=1 5.1. INTEGRALRECHNUNG wobei 193 ⇢ 1 card k Mk (f ) = q q=1 1 X Da in jedem Intervall Ik = [ k n 1 , nk ] eine Zahl k n enthalten ist, gilt x2Ik ⇢ 1 card k Mk (f ) = q q=1 n X Weiter gilt 1 . n f ( nk ) Mk (f ) = sup f (x) Deshalb gilt = n. ⇢ 1 card k Mk (f ) = q = n. q. Dies gilt, weil es q + 1 rationale Zahlen in [0, 1] gibt, deren Nenner q ist: 0 1 2 q 1 q , , ,..., , . q q q q q Diese q + 1 Zahlen können in höchstens q + 1 verschiedenen Intervallen Ik auftreten. Also gilt Mk (f ) = 1q in höchstens q + 1 verschiedenen Intervallen. Da qq = 1, haben wir es tatsächlich höchstens mit q Intervallen zu tun. Somit erhalten wir n 1X1 OS Pn (f ) = N (q), n q=1 q wobei N (q) ganze Zahlen mit 0 N (q) q und n X N (q) = n q=1 ist (Es kann sein, dass einige der N (q) gleich 0 sind.). Wir behaupten, dass n 1X1 N (q) n q=1 q für die folgende Wahl der Zahlen N (q) maximal ist. Es sei ` 2 N die kleinste Zahl, so dass X̀ q n. q=1 Wir setzen N (q) = 8 < : q n falls q = 1, 2, . . . , ` P` 1 p=1 p 1 falls q = ` Wir nehmen an, dies sei nicht so. Dann gibt es eine Zahl q0 2 N mit q0 ` oder ` 1 X N (`) < n p. p=1 1 und N (q0 ) < q0 194 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Wir betrachten den ersten Fall. Wir beobachten, dass es ein q1 > q0 mit N (q1 ) gilt 1 gibt. Dann n 1X1 N (q) n q=1 q (q 1 0 1 X 1 = N (q) + n q=1 q (q 1 0 1 X 1 < N (q) + n q=1 q ) qX n 1 1 X 1 1 1 1 N (q0 ) + N (q) + N (q1 ) + N (q) q0 q q1 q q=q +1 q=q +1 0 1 ) n X 1 1) + N (q) q q=q +1 qX 1 1 1 (N (q0 ) + 1) + q0 q=q 0 1 1 N (q) + (N (q1 ) q q 1 +1 1 Der zweite Fall wird genauso behandelt. Damit folgt OS Pn (f ) 1 X̀ 1 ` q= , n q=1 q n wobei ` die kleinste Zahl ist, für die X̀ q n q=1 gilt. Wir behaupten, dass ` p 2n gilt. Es gilt n X̀ q= q=1 Also gilt `(` + 1) 1 (` + 1)2 . 2 2 p 2n ` + 1. Da ` die kleinste ganze Zahl ist, die diese Ungleichung erfüllt, gilt ` r p 2n 2 OS Pn (f ) = . n n p 2n. Damit erhalten wir 2 Wir definieren Z a f (x)dx = 0 Z und a a f (x)dx = b Z b f (x)dx. a Lemma 5.1.3 Es seien f, g : [a, b] ! R integrierbare Funktionen und c 2 R. Dann gelten (i) f + g ist integrierbar und Z b Z b Z b f + gdx = f dx + gdx a a a (ii) f g ist integrierbar. (iii) cf ist integrierbar und Z a b cf dx = c Z a b f dx 5.1. INTEGRALRECHNUNG 195 Lemma 5.1.4 Es seien f, g : [a, b] ! R integrierbare Funktionen und es gelte f (x) g(x) für alle x 2 [a, b]. Dann gilt Z b Z b f dx gdx. a Beweis. OS P (f ) = n X Mk (f ) k=1 Also gilt für alle Partitionen P a k n X Mk (g) k k=1 = OS P (g) OS P (f ) OS P (g). Hieraus folgt Z a 2 b f (x)dx = inf OS P (f ) inf OS P (g) = P P Z b g(x)dx. a Lemma 5.1.5 Es sei f : [a, b] ! R eine integrierbare Funktion. Dann ist auch |f | eine integrierbare Funktion und es gilt Z b Z b f (x)dx |f (x)|dx. a a Beweis. Wir zeigen, dass |f | integrierbar ist. Dazu zeigen wir, dass die Funktionen f + und f mit f + (x) = max{f (x), 0} f (x) = max{ f (x), 0} integrierbar sind. Es folgt dann, dass |f | = f + + f integrierbar ist. Weiter gilt f = f + f . Wir zeigen hier, dass f + integrierbar ist. Es sei P = {x0 , . . . , xn } eine Partition. Dann gilt für alle k = 1, . . . , n (5.1) Mk (f + ) mk (f + ) Mk (f ) mk (f ). Wir prüfen dies nach. Da f f + gilt, folgen (5.2) Mk (f ) = sup f (x) sup f + (x) = Mk (f + ) x2Ik (5.3) x2Ik mk (f ) = inf f (x) inf f + (x) = mk (f + ) x2Ik x2Ik Wir betrachten nun zwei Fälle. Der erste Fall ist: Es gibt ein x0 2 Ik mit f (x0 ) Wir zeigen, dass in diesem Fall Mk (f ) = Mk (f + ). Es gilt für alle y 2 Ik f (y) sup f (x). x2Ik 0. 196 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Da f (x0 ) 0, so 0 f (x0 ) sup f (x). x2Ik Deshalb gilt für alle y 2 Ik f + (y) = max{f (y), 0} sup f (x). x2Ik Es folgt Mk (f + ) = sup f + (x) sup f (x) = Mk (f ) x2Ik x2Ik und damit Mk (f ) = Mk (f + ). Hiermit und mit (5.3) folgt (5.1) in diesem Fall. Der zweite Fall ist: Für alle x 2 Ik gilt f (x) < 0. In diesem Fall gilt f + = 0 und (5.1) folgt sofort. Aus (5.1) folgt + OS P (f ) n X + US P (f ) = k=1 n X Mk (f + ) mk (f + ) (Mk (f ) mk (f )) k k k=1 = OS P (f ) US P (f ). Für jedes ✏ > 0 existieren Partitionen P0 und P1 , so dass OS P0 (f ) inf OS P (f ) + ✏ und P gelten. Somit folgt für P = P0 [ P1 OS P (f + ) US P1 (f ) sup US P (f ) ✏ P US P (f + ) 2✏. Wegen US P (f + ) sup US Q (f + ) inf OS Q (f + ) OS P (f + ) Q Q folgt sup US Q (f + ) = inf OS Q (f + ). Q Q Damit ist f + integrierbar. Ebenso zeigen wir, dass f integrierbar ist. Z b Z b Z b Z b + + |f (x)|dx = f (x) + f (x)dx = f (x)dx + f (x)dx a a a a Z b Z b Z b Z b + + f (x)dx f (x)dx = f (x) f (x)dx = f (x)dx a a a Genauso zeigen wir, dass Z b |f (x)|dx a Insgesamt erhalten wir also Z a 2 b |f (x)|dx Z b f (x)dx. a Z a b f (x)dx . a 5.1. INTEGRALRECHNUNG 197 Lemma 5.1.6 Es sei f : [a, b] ! R integrierbar und c 2 [a, b]. Dann gilt Z b f (x)dx = a Z c f (x)dx + a Z b f (x)dx c Satz 5.1.1 Die Funktion f : [a, b] ! R sei auf [a, b] monoton fallend oder monoton wachsend. Dann ist f Riemann integrierbar. Beweis. Es sei f monoton wachsend. Wir wählen als Partitionen ⇢ b a b a b a Pn = a, a + ,a + 2 , . . . , a + (n 1) ,b n n n n 2 N. Weil f monoton wachsend ist, gelten für k = 1, 2, . . . , n ✓ ◆ ✓ ◆ b a b a mk (f ) = f a + (k 1) und Mk (f ) = f a + k . n n Damit folgt OS Pn (f ) US Pn (f ) n n X X = Mk (f ) k mk (f ) = = = k=1 n X k=1 n X ✓ b f a+k k=1 ✓ b f a+k b a n (f (b) k k=1 a n a n ◆ ◆ b a n b a n ✓ n X f a + (k k=1 n X1 k=0 ✓ b f a+k 1) a n b ◆ a n b ◆ b a n a n f (a)). Es gilt also OS Pn (f ) US Pn (f ) b a n (f (b) f (a)). Wegen US Pn (f ) sup US P (f ) inf OS P (f ) OS Pn (f ) P P folgt inf OS P (f ) = sup US P (f ). P P Damit ist f integrierbar. 2 Satz 5.1.2 Es sei f : [a, b] ! R stetig. Dann ist f Riemann integrierbar. 198 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Beweis. Wir benutzen den Satz 3.2.1: Falls f auf [a, b] stetig ist, dann ist f auf [a, b] auch gleichmäßig stetig. Es gilt also 8✏ > 09 > 08x, y 2 [a, b], |x y| < : Als Partition wählen wir ⇢ b a b a Pn = a, a + ,a + 2 , . . . , a + (n n n wobei wir n so groß wählen, dass k = b a n < 8k = 1, . . . , n 8x, y 2 Ik : |f (x) 1) b a n f (y)| < ✏. n 2 N, ,b gilt und damit |f (x) f (y)| < ✏. Hieraus folgt Mk (f ) mk (f ) = sup f (x) inf f (x) = max f (x) x2Ik x2Ik x2Ik min f (x) < ✏. x2Ik Damit erhalten wir OS Pn (f ) US Pn (f ) = Wegen n X Mk (f ) k k=1 n X mk (f ) k < ✏(b a). k=1 US Pn (f ) sup US P (f ) inf OS P (f ) OS Pn (f ) P P folgt inf OS P (f ) = sup US P (f ). P P Damit ist f integrierbar. 2 5.2 Riemannsche Summen Die Funktion f : [a, b] ! R sei beschränkt. P = {x0 , . . . , xn } sei eine Partition von [a, b]. Es sei ⇠ = {⇠k }nk=1 mit ⇠k 2 Ik , k = 1, . . . , n. Dann heisst SP = n X f (⇠k ) k k=1 Riemannsche Summe zur Partition P. Insbesondere gilt für jede Partition P und alle ⇠ US P (f ) SP (f, ⇠) OS P (f ) Wir setzen lim SP (f, ⇠) = I kPk!0 falls für alle ✏ > 0 ein und alle ⇠ gilt. > 0 existiert, so dass für alle Partitionen P mit kPk < |SP (f, ⇠) I| < ✏ 5.3. RIEMANN-MESSBARE MENGEN UND DIE CANTOR-MENGE 199 Lemma 5.2.1 (i) Falls f : [a, b] ! R Riemann integrierbar ist, so existiert lim SP (f, ⇠) kPk!0 und es gilt lim SP (f, ⇠) = kPk!0 (ii) Existiert Z b f (x)dx a lim SP (f, ⇠) kPk!0 so ist f Riemann integrierbar und es gilt lim SP (f, ⇠) = kPk!0 Z b f (x)dx a Satz 5.2.1 (i) Es sei f : [a, b] ! R eine zweimal stetig di↵erenzierbare Funktion, a0 < · · · < an sei eine Partition des Intervalls [a, b] in Teilintervalle gleicher Länge und x1 , . . . , xn seien die Mittelpunkte dieser Teilintervalle. Dann gilt Z b (b a)3 f (x)dx (f (x1 ) + · · · + f (xn )) x max |f 00 (x)| 2 24n x2[a,b] a Z b (b a)3 f (x)dx (f (a0 ) + 2f (a1 ) · · · + 2f (an 1 ) + f (an )) x max |f 00 (x)| 2 x2[a,b] 12n a (ii) Z a b f (x)dx (f (a0 ) + 4f (x1 ) + 2f (a1 ) · · · + 2f (an 1 ) + 4f (xn ) + f (an )) x (b a)5 max |f 0000 (x)| 2880n4 x2[a,b] Die erste Approximation bezeichnet man als Mittelpunktsregel, die zweite als Trapezregel und die dritte als Simpsonregel. Bei der Simpsonregel approximiert man die Funktion durch Parabeln. 5.3 Riemann-messbare Mengen und die CantorMenge Wir sagen, dass eine Teilmenge A der reellen Zahlen R Riemann-messbar ist, falls sie beschränkt ist und die charakteristische Funktion ⇢ 1 falls x 2 A A = 0 falls x 2 /A 200 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG integrierbar ist. Das Maß µ(A) der Menge A ist durch Z b µ(A) = A dx a definiert, wobei [a, b] ein Intervall ist, das die Menge A enthält. Lemma 5.3.1 Es sei A eine Riemann messbare Teilmenge von R und s, t 2 R. Dann ist auch s + tA Riemann messbar und µ(s + tA) = tµ(A) Beweis. Es seien a, b 2 R mit A ✓ [a, b] und P = {x0 , x1 , . . . , xn } eine Partition mit OS P ( A ) ✏ + US P ( A ) Dann gilt s + tA ✓ [s + ta, s + tb] und s + tP = {s + tx0 , . . . , s + txn } ist eine Partition mit OS s+tP ( s+tA ) t✏ + US s+tP ( s+tA ) Wir prüfen dies nach. Es gilt mk ( A) Mk ( = inf A) x2Ik = sup A (x) A (x) = ( = ( x2Ik 1 0 falls Ik ✓ A falls Ik \ Ac 6= ; 1 0 falls Ik \ A 6= ; falls Ik \ A = ; Ebenso gilt mk ( Mk ( s+tA ) s+tA ) = inf s+tA (x) x2Ik = sup s+tA (x) x2s+tIk Es folgt mk ( s+tA ) US s+tP ( = mk ( s+tA ) = = A) n X k=1 ( = 1 0 ( und Mk ( mk ( s+tA ) falls s + tIk ✓ s + tA falls s + tIk \ (s + tA)c 6= ; 1 0 falls (s + tIk ) \ (s + tA) 6= ; falls (s + tIk ) \ (s + tA) = ; s+tA ) s+tP k = Mk ( = n X A ). mk ( k=1 Dasselbe Ergebnis erhalten wir für die Obersummen. 2 Damit folgt A )t P k = t US P ( A) 5.3. RIEMANN-MESSBARE MENGEN UND DIE CANTOR-MENGE 201 Beispiel 5.3.1 (Cantor Menge) Die Cantor Menge C ist die Menge aller Zahlen 1 X aj j=1 aj 2 {0, 2} 3j Es gelten (i) C ⇢ [0, 1] (ii) C ist eine kompakte Menge. (iii) Es gilt C = 13 C [ ( 23 + 12 C) (iv) Wir setzen C1 = [0, 1] und für n 2 N Cn+1 = 13 Cn [ ( 23 + 12 Cn ) Dann gilt C= 1 \ Cn n=1 (v) Das Riemannsche Mass von C ist 0. (vi) Die Mächtigkeit der Cantor Menge ist gleich der des Kontinuums. (vii) C hat keine isolierten Punkte. (viii) Für alle x, y 2 C existiert ein z 2 / C, so dass x < z < y. (ix) Für die Menge C + C = {x + y|x, y 2 C} gilt C + C = [0, 2] (x) Für die Di↵erenzmenge C C = {x C y|x, y 2 C} gilt C = [ 1, 1] Wir sagen, dass eine Menge nirgends dicht ist, falls das Innere des Abschlusses die leere Menge ist. Die Cantor Menge ist nirgends dicht. Eigenschaft (ix) zeigt, dass das Mass einer Di↵erenzmenge von Nullmengen nicht notwendig 0 ist. Geometrisch lässt sich die Cantor Menge wie folgt veranschaulichen. Das Intervall [0, 1] wird gedrittelt und das mittlere Drittel ( 13 , 23 ) entfernt. Die verbleibenden Intervalle [0, 13 ] und [ 23 , 1] werden wiederum gedrittelt und die mittleren Intervalle ( 19 , 19 ) und ( 79 , 89 ) werden entfernt. Dieses Verfahren wird so fortgesetzt. So entsteht bei jedem Schritt eine Menge Cn , n = 1, . . . , die Vereinigung von 2n 1 abgeschlossen+1 nen Intervallen der Länge ist. Die Cantor Menge ist dann der Durchschnitt T1 3 dieser Mengen C = n=1 Cn . 202 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG 0 1 0 1 3 0 1 9 2 3 1 3 2 9 1 2 3 7 9 8 9 1 Konstruktion der Cantor Menge Der {0, 1} sei mit der diskreten Topologie ausgestattet Q zweielementige Raum N und n2N {0, 1} = {0, 1} mit der Produkttopologie. Dann sind C und {0, 1}N homöomorph. Ein Satz von Alexandrov und Hausdor↵ besagt, dass jeder kompakte, metrische Raum stetiges Bild der Cantor-Menge ist [Ben]. Dieser Satz hat eine Reihe von überraschenden Anwendungen. Beweis. (i) O↵ensichtlich sind alle Zahlen in der Cantor Menge grösser oder gleich 0. Ausserdem sind alle Zahlen kleiner als ✓ ◆ 1 X 2 1 =2 1 =1 3j 1 13 j=1 (ii) Wir müssen zeigen, dass die Cantor Menge abgeschlossen ist. Es sei xk = 1 X akj 3 j akj 2 {0, 2} k = 1, 2, . . . j=1 eine Folge in C, die in R konvergiert. (Da alle xk 2 [0, 1], gilt dasselbe für den Grenzwert x.) Dann gibt es Zahlen aj , so dass für alle j 2 N lim akj = aj k!1 Deshalb gilt für alle j 2 N, dass aj 2 {0, 2}. Damit ist die Zahl 1 X aj 3 j j=1 ein Element der Cantor Menge. Wir zeigen nun, dass für alle j 2 N die Folge {akj }k2N eine Cauchy Folge ist. Wir nehmen an, dass es ein j gibt, so dass {akj }k2N keine Cauchy Folge ist. Es sei j0 die kleinste Zahl, für die dies nicht wahr ist. Dann gibt es ein N , so dass für alle k, m > N |xk xm | = 1 X akj j=j0 akj0 am j 3j am j0 3j akj0 am j0 3j 1 X j=j0 +1 1 X akj0 am 2 j0 = j j 3 3 j=j +1 0 akj am j 3j 1 3j0 5.3. RIEMANN-MESSBARE MENGEN UND DIE CANTOR-MENGE 203 Da {a`j0 }`2N keine Cauchy Folge ist, gibt es zu jedem N Zahlen k, m 2 N mit k, m > N und |akj0 am j0 | = 2 Damit folgt aber |xk xm | 3 j0 und die Folge {xn }n2N ist keine Cauchy Folge. Damit folgt, dass für alle j 2 N die Folge {akj }k2N eine Cauchy Folge ist und damit eine konvergente Folge. Es gibt also Zahlen aj 2 {0, 2}, so dass lim akj = aj k!1 Wir behaupten, dass die Folge xk gegen das Element x= 1 X aj j=1 3j konvergiert. Es gibt zu jedem J 2 N ein kJ , so dass für alle j mit 1 j J und alle k mit k kJ gilt, dass akj = aj . Weiter folgt für alle k mit k kJ |x xk | = 1 X aj j=1 akj 3j = 1 X aj j=J akj 3j 1 X 2 =3 j 3 j=J (iii) Wir zeigen zuerst, dass Es sei x 2 C, also x = Also gilt x 3 C ◆ 13 C [ P1 aj j=1 3j 2 3 + 12 C mit aj 2 {0, 2}. Dann gilt 1 x X aj = 3 3j+1 j=1 2 C. Weiter gilt 1 1 X bj 2 x 2 X aj + = + = 3 3 3 j=1 3j+1 3j j=1 mit b1 = 2 und bj = aj 1 für j = 2, 3, . . . . Also gilt auch 23 + x3 2 C. Wir zeigen nun, dass C ✓ 13 C [ 23 + 12 C P aj Es sei x 2 C, also x = 1 j=1 3j mit aj 2 {0, 2}. Falls a1 = 0, dann x= 1 X aj j=2 3j = 1 1 X aj 1 2 C 3 j=2 3j 1 3 Falls a1 = 2, dann gilt x= 1 X aj j=1 3j = 1 1 2 X aj 2 1 X aj 2 1 + = + 2 + C 3 j=2 3j 3 3 j=2 3j 1 3 3 J 204 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG (iv) Wir zeigen hier zunächst, dass Cn+1 ✓ Cn . Dies zeigen wir durch Induktion. Für n = 1 gilt [0, 13 ] [ [ 23 , 1] = 13 C1 [ ( 23 + 13 C1 ) = C2 C1 = [0, 1] Wir nehmen nun an, dass Cn Cn . Nach Definition gilt 1 Cn+1 = 13 Cn [ ( 23 + 13 Cn ) Aus der Induktionsannahme Cn 1 C 3 n 1 Cn folgt 1 1 C 3 n 2 3 + 13 Cn 2 3 1 + 13 Cn Hieraus folgt Cn = 13 Cn [ ( 23 + 13 Cn 1 ) 1 1 C 3 n [ ( 23 + 13 Cn ) = Cn+1 Nun zeigen wir, dass C✓ 1 \ Cn n=1 Hierzu zeigen wir durch Induktion, dass für alle n 2 N gilt, dass C ✓ Cn . Es gilt C1 = [0, 1] C Wir nehmen nun an, dass C ⇢ Cn . Dann folgt Cn+1 = 13 Cn [ ( 23 + 13 Cn ) 1 C 3 [ ( 23 + 13 C) = C Wir zeigen, dass C◆ 1 \ Cn n=1 Dazu zeigen wir zuerst, dass 1 \ Cn = n=1 1 3 1 \ n=1 Cn [ 2 3 + 1 3 1 \ Cn n=1 ! Es gilt 1 \ Cn = n=1 ◆ 1 \ n=1 1 \ Cn+1 = i,j=1 1 \ n=1 1 C 3 i 1 C 3 n [ ( 23 + 13 Cn ) [ ( 23 + 13 Cj ) = 1 3 1 \ i=1 Ci ! [ 2 3 + 1 3 1 \ j=1 Cj ! 5.3. RIEMANN-MESSBARE MENGEN UND DIE CANTOR-MENGE 205 Andererseits gilt 1 3 1 \ Ci i=1 ◆ = ! 2 3 [ 1 3 + 1 C 3 max{i,j} i,j=1 1 \ 1 \ Cn+1 = T1 Cj j=1 1 \ n=1 Es sei nun x 2 Darstellung 1 \ [ ! ( 23 = + 1 \ 1 C 3 i i,j=1 [ ( 23 + 13 Cj ) 1 C ) 3 max{i,j} = 1 \ 1 C 3 n n=1 [ ( 23 + 13 Cn ) Cn n=1 n=1 Cn aber x 2 / C. Da x 2 [0, 1] gilt, gibt es eine 3-adische x= 1 X aj j=1 aj 2 {0, 1, 2} 3j wobei es i0 , j0 2 N mit i0 < j0 und ai0 = 1 und aj0 6= 2 gibt. Wir wollen uns dies überlegen. Falls es mindestens zwei i mit ai = 1 gibt, dann können wir ai0 = aj0 = 1 mit i0 < j0 wählen. Wenn es nur ein einziges i0 mit ai0 = 1 gibt und es gibt ein j0 mit i0 < j0 und aj0 = 0, dann sind wir auch fertig. Falls es aber nur ein i0 mit ai0 = 1 gibt und für alle i > i0 gilt, dass ai = 2, dann gilt weiter x= 1 X aj j=1 3j = iX 0 1 j=1 iX 1 0 1 X aj 1 2 aj 2 + i0 + = + i0 2 C j j j 3 3 3 3 3 j=i +1 j=1 0 Wir betrachten der kleinste Index i0 , für den der Koeffizient gleich 1 ist. Wir betrachten den Fall, dass i0 = 1, also a1 = 1. Dann folgt x 2 [ 13 , 23 ]. Es kann nicht sein, dass x = 23 , weil 23 2 C. Es kann auch nicht sein, dass x = 13 , weil x= 1 1 X 2 = 2C j 3 3 j=2 Wir hatten aber angenommen, dass x 2 / C. Insgesamt erhalten wir, dass x 2 ( 13 , 23 ). Damit gilt x 2 / C2 , im Widerspruch zu unserer Annahme. Nun betrachten wir den Fall, dass i0 > 1. Wir konstuieren ein y= 1 X bj j=1 3j 2 1 \ n=1 Cn und y2 /C mit bi0 1 = 1. Wir können also i0 um 1 reduzieren. Dasselbe Argument wenden wir i0 1 mal an, so dass wir den Fall i0 = 1 erhalten Wegen ! ! 1 1 1 \ \ \ Cn = 13 Cn [ 22 + 13 Cn n=1 n=1 n=1 206 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG gilt x2 1 3 1 \ Cn oder x2 n=1 bzw. 3x 2 1 \ Cn oder 2 3 + 1 3 1 \ Cn n=1 3x 22 n=1 1 \ Cn n=1 Wir betrachten den ersten Fall. Dann gilt 3x 2 / C, weil sonst x 2 C folgen würde, im Gegensatz zu unserer Annahme. Dann wählen wir y = 3x und es gilt bi0 1 = 1. (v) Da C eine nichtnegative Funktion ist, gilt für alle Partitionen P und alle Untersummen US P ( C ) 0 US P ( C ) Die Menge Cn ist eine disjunkte Vereinigung von 2n 1 abgeschlossenen Intervallen der Länge 3n 1 , die alle in [0, 1] enthalten sind. Dies folgt mit Induktion aus (iv). C1 = [0, 1] erfüllt die Aussage. Falls Cn die Aussage erfüllt, dann ist 13 Cn eine disjunkte Vereinigung von 2n 1 abgeschlossenen Intervallen der Länge 3n , die in [0, 13 ] enthalten sind. Ausserdem ist 23 + 13 Cn eine disjunkte Vereinigung von 2n 1 abgeschlossenen Intervallen der Länge 3n , die in [ 23 , 1] enthalten sind. Deshalb besteht Cn+1 = ( 13 Cn ) [ ( 23 + 13 Cn ) aus 2n disjunkten, abgeschlossenen Intervallen der Länge 3n . Somit gibt es Zahlen ak , bk , k = 1, . . . , 2n 1 , mit 0 = a1 < b1 < a2 < b2 < a3 < · · · < a2n 1 < b2n 1 = 1 und n 1 2[ Cn = [ak , bk ] k=1 Nun wählen wir als Partition P = {a1 , b1 + ✏, a2 ✏, b2 + ✏, a3 ✏, . . . , b2n 1 1 + ✏, a2n 1 Weil C ✓ Cn gilt, folgt sup C (x) x2[ak ✏,bk +✏] 1 sup C (x) x2[bk +✏,ak ✏] Damit folgt für die Obersumme OS P ( Da wir ✏ < 12 3 n+1 C) 2n 1 (3 n+1 + 2✏) wählen können, folgt ✓ ◆n 2 OS P ( C ) 2 3 (vi) Die Abbildung f : C ! [0, 1] f 1 X aj j=1 3j ! = 1 X j=1 aj 2 2j 1 =0 ✏, b2n 1 } 5.3. RIEMANN-MESSBARE MENGEN UND DIE CANTOR-MENGE 207 ist surjektiv. Wir überlegen uns zuerst, dass diese Abbildung wohldefiniert ist. Ein Element x 2 R hat entweder genau eine 3-adische Darstellung oder genau zwei 3-adische Darstellungen. Wir müssen den Fall betrachten, dass x genau zwei 3-adische Darstellungen hat. Falls x genau zwei 3-adische Darstellungen hat und x ist ein Element der Cantor Menge, dann hat nur eine Darstellung die Eigenschaft, dass die Koeffizienten entweder 0 oder 2 sind. Wir überlegen uns dies. Wenn eine Zahl zwei 3-adische Darstellungen besitzt, dann sind in einer der Darstellungen fast alle Koeffizienten gleich 2. Wenn sämtliche Koeffizienten gleich 2 sind, dann handelt es sich um die Zahl 1, deren andere 3-adische Darstellung 310 ist. Falls es einen Koeffizienten gibt, der von 2 verschieden ist, so muss es 0 sein. Deshalb hat die andere 3-adische Darstellung dieser Zahl eine 1 als Koeffizienten. Nun überlegen wir uns, dass die Abbildung surjektiv ist. Da wir sämtliche Koa effizientenfolgen {aj }j2N mit aj 2 {0, 2} zulassen, handelt es sich bei { 2j }j2N um sämtliche Folgen, der Glieder aus 0 oder 1 bestehen. Deshalb erhalten wir im Bild alle dyadischen Darstellungen von Zahlen aus dem Intervall [0, 1]. (ix) [Nym] Wir verwenden die Darstellung ( 1 ) X 2cn C= cn 2 {0, 1} n 3 n=1 Die Gleichung C + C = [0, 2] ist äquivalent zu 12 C + 12 C = [0, 1]. Es gilt 12 C = P1 cn n=1 3n cn 2 {0, 1} . Deshalb 1 C 2 + 12 C = = ( 1 X cn + dn ( n=1 1 X bn n=1 3n 3n ) cn , dn 2 {0, 1} ) bn 2 {0, 1, 2} = [0, 1] In [85] wird eine geometrische Konstruktion verwendet, um dieses Ergebnis zu erzielen. Außerdem wird sowohl in [81] als auch [85] berechnet, auf wie viele verschiedene Weisen man ein Element aus dem Intervall [0, 2] als Summe von zwei Elementen aus C darstellen kann. Die Formel in [85] ist leider falsch, sie wurde in [81] korrigiert. (x) Man kann das Ergebnis (ix) benutzen, um (x) P zu beweisen. Es gilt C = 2 1 C = {1 x|x 2 C}. Hierzu beachte man, dass 1 = 1 n=1 3n . Somit gilt 1 C = = ( ( 1 an 2 {0, 2} 3n an 2 {0, 2} n=1 1 X 2 n=1 ) 1 X an 3n an Deshalb gilt weiter C + C = C + (1 [ 1, 1]. ) = C) = 1 + (C ( 1 X an n=1 3n ) an 2 {0, 2} C), also C C=1 (C + C) = 208 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Wir wollen aber noch ein geometrische Argument angeben. Wir wollen zeigen, dass es zu jedem a 2 [ 1, 1] Elemente x, y 2 C gibt so dass a = y x. Dies kann man auch so formulieren: Hat die Gerade y = x + a mit C ⇥ C einen nichtleeren Schnitt. Wir wollen hier die T Darstellung der Cantor Menge als Schnitt der Mengen Cn verwenden, also C = 1 n=1 Cn . Deshalb ! ! 1 1 1 1 \ \ \ \ C ⇥C = Cn ⇥ Cn = Cn ⇥ Ck = Cn ⇥ Cn n=1 n=1 n=1 n,k=1 In den Skizzen sind zwei dieser Mengen dargestellt. Konstruktion des Produktes der Cantor Menge mit sich selbst Konstruktion des Produktes der Cantor Menge mit sich selbst Wir betrachten nun den Schnitt einer Geraden y = x + a, a 2 [ 1, 1], mit den Mengen Cn ⇥ Cn , n = 0, 1, . . . . Eine solche Gerade hat mit jeder Menge Cn ⇥ Cn einen nichtleeren Schnitt. Wegen Kompaktheit hat damit auch C ⇥ C mit einer solchen Geraden einen nichtleeren Schnitt. y=x+a 5.3. RIEMANN-MESSBARE MENGEN UND DIE CANTOR-MENGE 209 2 Die Cantor Menge ist ein Fraktal. Benoit Mandelbrot hat 1975 den Begri↵ ”Fraktal” eingeführt. Er schrieb dazu:”Wolken sind keine Kugeln, Berge keine Kegel, Küsten keine Kreise und die Baumrinde ist nicht glatt, noch wählt der Blitz eine gerade Linie.”[Man, p.1] Fraktale haben im Vergleich zu Flächen und Körpern der klassischen Geometrie eine irreguläre Struktur.Und wenn man diese Mengen durch ein Vergrößerungsglas ansieht, dann treten weitere Irregularitäten hervor. Mandelbrot hat folgende Definition gegeben: Ein Fraktal ist eine Menge, deren Hausdor↵-Besicovitch Dimension strikt größer als die topologische Dimension ist [Man, p.15]. Man kann zeigen, dass die Hausdor↵-Besicovitch Dimension der Cantor 2 Menge gleich ln ist. Die topologische Dimension ist 0 [Edg]. ln 3 Beispiel 5.3.2 Die Cantor Funktion (x) = sup (1 X j=1 aj 2 2j x 1 X aj j=1 3j : [0, 1] ! [0, 1] ist durch und für alle j 2 N gilt aj 2 {0, 2} ) definiert. Es gelten (i) Die Cantor Funktion ist eine stetige, wachsende Funktion. (ii) Die Cantor Funktion ist in allen Punkten von C nicht di↵erenzierbar und sie ist in allen Punkten, die nicht in C liegen di↵erenzierbar. Die Ableitung ist in allen diesen Punkten gleich 0. (iii) Für alle x, y 2 [0, 1] gilt | (x) (y)| 2|x ln 2 y| ln 3 . Die Cantor Funktion wird auch Teufelstreppe genannt. Beweis. (i) Es ist o↵ensichtlich, dass wachsend ist. Wir weisen die Stetigkeit von nach. Wir betrachten zwei Fälle, x 2 C und x2 / C. Zunächst der Fall x 2 / C. Da C kompakt ist ist das Komplement von C o↵en. Also gibt es ein Intervall (x ✏, x + ✏), das im Komplement von C enthalten ist. Da in diesem Intervall kein Element aus C enthalten ist, folgt ( 1 a ) 1 X j X a j 2 (x + ✏) = sup x+✏ und für alle j 2 N gilt aj 2 {0, 2} j j 2 3 j=1 j=1 ( 1 a ) 1 j X X aj 2 = sup x ✏ und für alle j 2 N gilt aj 2 {0, 2} 2j 3j j=1 j=1 = (x Damit ist ✏) in einer Umgebung von x konstant, also stetig. 210 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Wir nehmen nun an, dass x 2 C. Damit gibt es Koeffizienten aj , so dass x= 1 X aj j=1 mit 3j aj 2 {0, 2}. Zu gegebenen ✏ wählen wir j0 so groß, dass 2 und wir wählen <3 j0 j0 +1 <✏ . Für ein y 2 C mit |x y= 1 X bj j=1 mit 3j y| < gibt es eine Darstellung bj 2 {0, 2} und es gilt 1 X aj j=1 bj 3j < . Es sei j1 die kleinste Zahl, so dass aj 6= bj . Dann gilt |aj1 > |aj1 3j1 bj1 | 1 X |aj j=j1 +1 3j bj | 2 3j1 2 1 X bj1 | und somit 3 j =3 j1 . j=j1 +1 Deshalb gilt j0 j1 und für alle z mit |z x| < gilt (1 b ) 1 X j X b j 2 (z) = sup z und für alle j 2 N gilt bj 2 {0, 2} j 2 3j j=1 j=1 j0 1 X X aj + 2 j+1 2 j=1 j=j +1 0 j (x) + 2 j0 < (x) + ✏. Die Ungleichung (x) (z) + ✏ wird ähnlich bewiesen. (ii) Die Di↵erenzierbarkeit in den Punkten x 2 / C wird genauso wie die Stetigkeit nachgewiesen: f ist auf einer Umgebung konstant. Damit ist die Ableitung dort 0. Nun zeigen wir, dass in den Punkten x 2 C nicht di↵erenzierbar ist. Es sei also x 2 C 1 X ai x= ai 2 {0, 2} i 3 i=1 und wir betrachten zuerst den Fall, dass die 3-adische Entwicklung von x unendlich viele Koeffizienten besitzt, die gleich 2 sind. Es sei io so gewählt, dass ai0 = 2 gilt. Dann wählen wir ( 1 X ai falls i 6= i0 bi y= mit bi = i 3 0 falls i = i0 i=1 5.4. HAUPTSATZ DER DIFFERENTIAL- UND INTEGRALRECHNUNG 211 Für den Di↵erenzenquotienten erhalten wir (x) x (y) y = 1 2i0 2 3i0 = 3i0 . 2i0 +1 Da wir i0 beliebig großwählen können, ist der Di↵erenzquotient nicht beschränkt. (Die linksseitige Steigung in x ist unendlich.) Nun betrachten wir den Fall, dass die 3-adische Entwicklung von x unendlich viele Koeffizienten besitzt, die gleich 0 sind. Es sei i0 so gewählt, dass ai0 = 0. Nun wählen wir ( 1 X ai falls i 6= i0 ci z= mit c = . i 3i 2 falls i = i0 i=1 Wir erhalten hier das analoge Ergebnis, die rechtsseitige Steigung ist unendlich. 2 Beispiel 5.3.3 Es gibt halbstetige, beschränkte Funktionen auf [0, 1], die nicht Riemann integrierbar sind. Tatsächlich gibt es eine charakteristische Funktion auf einer abgeschlossenen Menge, die nicht Riemann integrierbar ist. Beweis. Wir konstruieren eine Menge vom Cantortyp. Wir entnehmen dem Intervall [0, 1] das Intervall ( 12 q, 12 +q). Den beiden übriggebliebenen Intervallen entnehmen wir wieder entsprechende Intervalle. Die Vereinigung A über alle entnommenen Intervalle ist eine o↵ene, dichte Menge in [0, 1]. Die Funktion Ac ist nach oben halbstetig, aber nicht Riemann integrierbar. 2 5.4 Hauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung Es sei I ein Intervall und f : I ! R eine Funktion, die auf jedem abgeschlossenen Teilintervall von I Riemann integrierbar ist. Die Funktion F : I ! R Z x F (x) = f (t)dt x0 heißt Integral von f . Lemma 5.4.1 Es sei I ein Intervall und f : I ! R eine Funktion, die auf jedem abgeschlossenen Teilintervall von I Riemann integrierbar ist. Dann ist jedes Integral F : I ! R von f eine stetige Funktion. Beweis. Es sei x 2 I. Wir wollen die Stetigkeit von F in x nachprüfen. Es sei {xn }n2N eine Folge mit limn!1 xn = x. Dann gibt es ein Intervall [a, b] ✓ I mit 212 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG {xn }n2N ⇢ [a, b]. Da f auf [a, b] Riemann integrierbar ist, ist f auf [a, b] beschränkt. Damit gilt Z xn Z x |F (xn ) F (x)| = f (t)dt f (t)dt x0 x0 Z x Z x = f (t)dt |f (t)|dt |x xn | sup |f (t)|. xn t2[a,b] xn 2 Lemma 5.4.2 Es sei I ein Intervall und f : I ! R eine Funktion, die auf jedem abgeschlossenen Teilintervall von I Riemann integrierbar ist. Außerdem sei f in x 2 I stetig. Dann ist jedes Integral F von f in x di↵erenzierbar und es gilt F 0 (x) = f (x). Beweis. Es sei {xn }n2N eine Folge, die gegen x konvergiert. Wir zeigen, dass F (xn ) n!1 xn F (x) = f (x). x lim Es gilt F (xn ) xn F (x) x f (x) = = = = = 1 xn x 1 xn x 1 |xn |xn |xn x| 1 x| 1 x| 1 ⇢Z Z Z xn f (t)dt x0 xn x f (t)dt f (x) x0 f (t)dt f (x) x Z xn f (t)dt (xn x)f (x) Z xn f (x)dt x Z xn f (t)dt x Z x xn f (t) f (x)dt |f (t) f (x)|dt x Z |xn x| x sup |f (x) xn f (t)|. t2[x,xn ] Also gilt (5.4) F (xn ) xn F (x) x f (x) sup |f (x) f (t)|. t2[x,xn ] Wir zeigen nun, das man zu jedem ✏ > 0 ein N findet, so dass für alle n mit n > N (5.5) sup |f (x) t2[x,xn ] f (t)| < ✏ 5.4. HAUPTSATZ DER DIFFERENTIAL- UND INTEGRALRECHNUNG 213 gilt. Da f in x stetig ist 8✏ > 09 > 08t, |x t| < : |f (x) f (t)| < ✏. Wegen limn!1 xn = x 8 > 09N 2 N8n N: |xn x| < Insgesamt erhalten wir 8✏ > 09N 2 N8n N 8t 2 [x, xn ] : |f (x) f (t)| < ✏. Damit haben wir (5.5) gezeigt. Aus (5.4) und (5.5) folgt nun die Di↵erenzierbarkeit in x 2 Definition 5.4.1 Es sei I ein Intervall, f : I ! R und F : I ! R eine di↵erenzierbare Funktion mit F 0 = f . Dann heißt F Stammfunktion von f . Da mit F auch F + c eine Stammfunktion ist, gibt es zu einer Funktion f , die eine Stammfunktion besitzt, immer unendlich viele Stammfunktionen. Andererseits unterscheiden sich zwei Stammfunktionen F1 und F2 immer nur um eine Konstante. Dies gilt, weil (F1 F2 )0 = 0 Wir müssen Satz 3.6.3 anwenden. Satz 5.4.1 (Hauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung) Es sei f : [a, b] ! R eine stetige Funktion. Dann besitzt f eine Stammfunktion und für alle Stammfunktionen F gilt Z b f (x)dx = F (b) F (a). a Obwohl der Satz sicherstellt, dass es zu einer stetigen Funktion immer eine Stammfunktion gibt, kann es sehr schwierig sein, eine solche Stammfunktion als Zusammensetzung elementarer Funktionen explizit anzugeben. 2 Für die Funktion e x lässt sich zeigen, dass dies unmöglich ist. Beweis. Wir betrachten das Integral F (x) = Z x f (t)dt. a Nach Lemma 5.4.2 gilt F 0 (x) = f (x). Weiter gilt Z b f (x)dx = F (b) = F (b) F (a). a Da sich zwei Stammfunktionen nur bis auf eine Konstante unterscheiden, folgt die Gleichung auch für beliebige Stammfunktionen. 2 Wir wollen nun eine etwas allgemeinere Version vom Hauptsatz der Di↵erentialund Integralrechnung angeben. 214 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Satz 5.4.2 Es sei f : [a, b] ! R Riemann integrierbar und F : [a, b] ! R eine Stammfunktion von f . Dann gilt Z b f (t)dt = F (b) F (a). a Die Voraussetzung, dass f Riemann-integrierbar ist und eine Stammfunktion besitzt ist etwas schwächer als die Stetigkeit, weil es di↵erenzierbare Funktionen gibt, deren Ableitung nicht stetig ist. Es gibt unbeschränkte Funktionen f , die eine Stammfunktion besitzen. Umgekehrt gibt es Riemann-integrierbare Funktionen, die keine Stammfunktion besitzen. Beweis. Es sei P = {x0 , x1 , . . . , xn } eine Partition von [a, b]. Dann gilt F (b) n X F (a) = (F (xk ) F (xk 1 )). k=1 Mit dem Mittelwertsatz folgt, dass es ⇠k 2 (xk 1 , xk ) gibt, so dass F (b) F (a) = n X 0 F (⇠k )(xk xk 1 ) = k=1 n X f (⇠k )(xk xk 1 ). k=1 Außerdem gilt n X mk (f )(xk k=1 xk 1 ) n X f (⇠k )(xk k=1 xk 1 ) n X Mk (f )(xk xk 1 ). k=1 Hieraus folgt US P (f ) F (b) F (a) OS P (f ). Da f integrierbar ist, folgt F (b) F (a) = inf OS P (f ) = sup US P (f ) = P P Z b f (t)dt. a 2 Falls eine Funktion f : I ! R eine Stammfunktion besitzt, so bezeichnen wir die Menge {F | F ist Stammfunktion von f } mit Z f (x)dx und nennen dies das unbestimmte Integral von f . Falls f Riemann integrierbar ist, so muss f nicht notwendig eine Stammfunktion besitzen. Umgekehrt muss eine Funktion, die eine Stammfunktion besitzt, nicht notwendig Riemann integrierbar sein. 5.4. HAUPTSATZ DER DIFFERENTIAL- UND INTEGRALRECHNUNG 215 Beispiel 5.4.1 (i) Die Funktion f : [ 1, 1] ! R ( 1 falls x 2 [ 1, 0] f (x) = 1 falls x 2 (0, 1] ist Riemann integrierbar, sie besitzt aber keine Stammfunktion. (ii) Die Funktion f : [0, 1] ! R 8 falls x irrational ist oder x = 0 <0 f (x) = 1 m : falls x = und m und n teilerfremd sind n n ist Riemann integrierbar, besitzt aber keine Stammfunktion. (iii) Es sei 8 2 falls x 2 [ 1, 1] und x 6= 0 < x cos x⇡2 f (x) = : 0 falls x = 0 Dann ist f 0 unbeschränkt, also insbesondere nicht Riemann-integrierbar. Beweis. (i) Wir betrachten die Partition Pn = Wir erhalten ⇢ 1, 0, 1 ,1 n ✓ 1 US Pn (f ) = 0 · 1 + 0 · + 1 · 1 n 1 n ◆ =1 1 . n Es folgt sup US Pn (f ) = 1. n Es gilt ✓ 1 OS Pn (f ) = 0 · 1 + 1 · + 1 · 1 n 1 n ◆ = 1. Also ist f Riemann integrierbar. Wir nehmen an, dass f eine Stammfunktion F hat. Dann gilt nach Satz 5.4.2 für alle x 2 [ 1, 1] Z x f (t)dt = F (x) F ( 1) 1 Wir berechnen das Integral und erhalten |x| 1 = F (x) F ( 1) oder F (x) = |x| 1 + F ( 1) Dies kann nicht sein, weil die linke Seite in 0 di↵erenzierbar ist, die rechte Seite jedoch nicht. (ii) Wir hatten in Beispiel 3.4.7 bereits gezeigt, dass f eine integrierbare Funktion ist, und dass Z 1 f (t)dt = 0 0 gilt. Hieraus kann man folgern, dass für alle x 2 [0, 1] Z x f (t)dt = 0 0 216 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG gilt. Wenn es also eine Stammfunktion geben würde, dann müsste diese eine konstante Funktion sein. Diese ist aber sicherlich nicht die Stammfunktion von f . (iii) Falls 0 6= x gilt, dann kann man die Kettenregel anwenden und erhält f 0 (x) = 2x cos Für x = 0 rechnet man aus x2 cos x!0 x f 0 (0) = lim ⇣ ⇡ ⌘ 2⇡ ⇣⇡⌘ + sin x2 x x2 ⇡ x2 = lim x cos x!0 ⇣⇡⌘ =0 x2 f ist also auf ganz [ 1, 1] di↵erenzierbar. Wir weisen nun nach, dass f 0 unbeschränkt ist. Eine unbeschränkte Funktion ist nicht Riemann integrierbar. Wir betrachten die Punkte 1 xn = q 2n + Dann gilt 2 1 f 0 (xn ) = 2 q 2n + 1 2 n2N 1 2 cos ⇡(2n + 12 ) + 2⇡ r 2n + 1 sin ⇡(2n + 12 ) = 2⇡ 2 Beispiel 5.4.2 Es seien aq , q 2 Q, positive reelle Zahlen, so dass durch X f (x) = aq P q2Q r 1 2n + . 2 aq < 1. Es sei f : R ! R q<x gegeben. Dann ist f Riemann integrierbar und F : R ! R Z x F (x) = f (t)dt 0 ist auf R stetig, in allen irrationalen Punkten di↵erenzierbar und in allen rationalen Punkten nicht di↵erenzierbar. Beweis. In Satz 5.1.1 hatten wir gezeigt, dass eine monoton wachsende Funktion integrierbar ist. Lemma 5.4.1 sagte aus, dass F auf R stetig ist. In Beispiel 3.1.8 hatten wir gezeigt, dass f in den irrationalen Punkten stetig und in den rationalen Punkten unstetig ist. Mit Lemma 5.4.2 folgt, dass F in den irrationalen Punkten di↵erenzierbar ist. Es bleibt zu zeigen, dass F in den rationalen Punkten nicht di↵erenzierbar ist. Es sei x0 2 Q. Dann gilt X f (x) aq für alle x x0 q<x0 f (x) X aq für alle x > x0 qx0 Wir nehmen an, F sei di↵erenzierbar in x0 . ⇢Z x F (x) F (x0 ) 1 = f (t)dt x x0 x x0 0 Z 0 x0 f (t)dt = 1 x x0 Z x x0 f (t)dt 5.5. SUBSTITUTION UND PARTIELLE INTEGRATION 217 Für x < x0 erhalten wir Z x0 Z x0 X X F (x0 ) 1 1 = f (t)dt aq dt = aq x0 x0 x x x0 x x q<x q<x0 0 P Es folgt, dass F 0 (x0 ) q<x0 aq . Andererseits gilt für x > x0 Z x Z x X X F (x) F (x0 ) 1 1 = f (t)dt aq dt = aq x x0 x x0 x0 x x0 x0 qx0 qx0 P Es folgt, dass F 0 (x0 ) qx0 aq . Dies kann nicht sein, weil ax0 > 0. 2 F (x) x Beispiel 5.4.3 Es seien f, g : [a, b] ! R zwei Riemann-integrierbare Funktionen, die auf einer dichten Menge übereinstimmen. Zeigen Sie, dass die Integrale gleich sind. Beweis. Wir zeigen zuerst: Es sei h : [a, b] ! R eine Riemann-integrierbare Funktion, die auf Rb einer dichten Menge 0 ist. Dann gilt a hdx = 0. Da h Riemann-integrierbar ist, gilt Z b h(x)dx = sup US P (h) = inf OS P (h). P P a Da h auf einer dichten Menge 0 ist, gilt für alle Partitionen P US P (h) 0 OS P (h) und somit sup US P (h) 0 inf OS P (h) P P Wegen supP US P (h) = inf P OS P (h) folgt Z b h(x)dx = 0. a Wenn nun zwei Riemann-integrierbare Funkktionen f und g auf einer dichten Menge übereinstimmen, dann ist h = f g auf einer dichten Menge 0. 2 5.5 Substitution und partielle Integration Satz 5.5.1 Es sei : [↵, ] ! [a, b] stetig di↵erenzierbar und es gelte ([↵, ]) = [a, b]. Die Funktion f : [a, b] ! R sei stetig auf [a, b]. Dann gilt Z ( ) Z f (x)dx = f ( (⇠)) 0 (⇠)d⇠. (↵) ↵ Beweis. f hat eine Stammfunktion F , weil f stetig ist. Somit gilt Z ( ) f (x)dx = F ( ( )) F ( (↵)). (↵) Andererseits folgt mit der Kettenregel, dass F ist. Deshalb gilt Z eine Stammfunktion von (f f ( (⇠)) 0 (⇠)d⇠ = F ( ( )) ↵ 2 F ( (↵)). ) 0 218 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Satz 5.5.2 Es seien f, g : [a, b] ! R stetig di↵erenzierbare Funktionen. Dann gilt Z Z b 0 f (x)g (x)dx = [f (b)g(b) f (a)g(a)] a b f 0 (x)g(x)dx. a Beweis. Die Produktregel besagt (f g)0 = f g 0 + f 0 g. Es folgt Z b 0 (f g) (x)dx = a Z b 0 f (x)g (x)dx + a Z b f 0 (x)g(x)dx. a Hieraus folgt f (b)g(b) f (a)g(a) = Z b 0 f (x)g (x)dx + a Z b f 0 (x)g(x)dx. a 2 Beispiel 5.5.1 Man benutze partielle Integration, um eine Stammfunktion von ln zu finden. Lösung. Wir setzen f = ln und g(x) = x. Dann folgt mit partieller Integration Z x Z x Z x ln(t)dt = f (t)g 0 (t)dt = [f (x)g(x) f (1)g(1)] f 0 (t)g(t)dt 1 1 1 Z x = [x ln x ln 1] dt = x ln x (x 1) 1 Also ist x ln x 5.6 x eine Stammfunktion von ln. 2 Mittelwertsatz der Integralrechnung Satz 5.6.1 Es sei f : [a, b] ! R eine stetige Funktion. Dann existiert ein ⇠ 2 (a, b) mit Z b f (x)dx = f (⇠)(b a). a Beweis. Da f stetig ist besitzt f eine Stammfunktion F . Nach dem Mittelwertsatz gibt es ein ⇠ 2 (a, b) mit F (b) b F (a) = F 0 (⇠) = f (⇠) a Das bedeutet f (⇠)(b a) = F (b) F (a) = Z a 2 b f (x)dx 5.7. UNEIGENTLICHE INTEGRALE 219 Satz 5.6.2 Es seien f, g : [a, b] ! R stetige Funktionen und g ein ⇠ 2 (a, b) mit Z b Z b f (x)g(x)dx = f (⇠) g(x)dx a 0. Dann existiert a Beweis. Da f stetig ist, nimmt f auf [a, b] Minimum und Maximum an. Es gilt für alle x 2 [a, b] ✓ ◆ ✓ ◆ min f (t) g(x) f (x)g(x) max f (t) g(x). t2[a,b] t2[a,b] Damit folgt ✓ ◆Z b ✓ ◆Z b Z b (5.6) min f (t) g(x)dx f (x)g(x)dx max f (t) g(x)dx. t2[a,b] a t2[a,b] a a Deshalb gibt es ein c mit min f (t) c max f (t) t2[a,b] und Falls Rb a Z t2[a,b] b f (x)g(x)dx = c a Z b g(x)dx a gdx > 0, dann wählen wir c= Rb a f (x)g(x)dx . Rb gdx a Rb Rb Falls a gdx = 0, dann gilt wegen (5.6) auch a f (x)g(x)dx = 0. Dann können wir ein beliebiges c wählen. Da f aber stetig ist gibt es nach dem Zwischenwertsatz ein ⇠ 2 [a, b] mit c = f (⇠). 2 5.7 Uneigentliche Integrale Es sei f : [a, 1) ! R eine Funktion, die auf jedem Intervall [a, b] mit b > a Riemann integrierbar ist und für die der Grenzwert Z b lim f (x)dx b!1 a existiert. Dann heißt f uneigentlich Riemann integrierbar auf [a, 1) und wir schreiben Z 1 Z b f (x)dx = lim f (x)dx. a b!1 a 220 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Ebenso wird für f : ( 1, b] ! R das uneigentliche Integral Z b Z b f (x)dx = lim f (x)dx a! 1 1 a definiert. Eine Funktion f : (a, b] ! R heißt uneigentlich Riemann integrierbar auf (a, b], falls für alle ✏ mit 0 < ✏ < b a die Funktion f auf [a + ✏, b] integrierbar ist und der Grenzwert Z b lim f (x)dx ✏!0 a+✏ existiert. Wir setzen dann Z b f (x)dx = lim ✏!0 a Z b f (x)dx. a+✏ Ebenso für Funktionen f : [a, b) ! R. Beispiel 5.7.1 (i) Es sei 1 < ↵ < 0. Dann gilt Z 1 x↵ dx = 1 ↵+1 0 (ii) Es sei < 1. Dann gilt Z 1 1 +1 x dx = 1 (iii) Z 1 e x dx = 1 0 (iv) Z 1 ln xdx = 1 0 (v) 1 x ist weder auf [0, 1] noch auf [1, 1) uneigentlich Riemann integrierbar. Beweis. (i) Z 1 ↵ x dx = lim ✏!0 0 (ii) Z 1 x dx = lim b!1 1 (iii) Z 1 0 (iv) Z e x Z 1 x↵ dx = lim ✏!0 ✏ Z b x dx = lim b!1 1 dx = lim b!1 Z ln xdx = 0 = lim ✏!0 x e i1 = lim ✏ ✏!0 h +1 1 +1 x ib = lim Z dx = lim b!1 ⇥ 1 e ⇤ x b 0 ln xdx = lim [x ln x ✏!0 ✏ (✏ ln ✏ ✏)) = ⇣ b!1 1 lim ( 1 ✏!0 ↵+1 1 ↵+1 x b 0 1 h 1 1 ↵+1 ⇣ ↵+1 1 ↵+1 ✏ +1 1 +1 b = lim b!1 e ⌘ 1 +1 b = ⌘ = +1 =1 1 x]✏ lim (✏ ln ✏ ✏!0 ✏) = 1 1 ↵+1 1 +1 5.8. GAMMAFUNKTION (v) Z 1 0 Z 1 1 2 221 1 dx = lim ✏!0 x Z 1 ✏ 1 dx = lim b!1 x Z 1 1 dx = lim [ln x]✏ = lim ( ln ✏) = 1 ✏!0 ✏!0 x b 1 1 1 dx = lim [ln x]✏ = lim (ln b) = 1 b!1 b!1 x Lemma 5.7.1 Die Funktion g : [a, 1) ! R sei uneigentlich Riemann integrierbar und f : [a, 1) ! R sei für alle b mit a < b auf [a, b] Riemann integrierbar. Für alle x 2 [a, 1) gelte 0 f (x) g(x). Dann ist auch f auf [a, 1) uneigentlich Riemann integrierbar und es gilt Z Z 1 a 1 f (x)dx g(x)dx a Dasselbe Ergebnis gilt auch für uneigentliche Integrale auf (a, b]. Beweis. Wegen Lemma 5.1.4 gilt für alle b und c mit b < c Z b Z b Z c f (x)dx g(x)dx g(x)dx. a Es folgt, dass a Z a a b f (x)dx Z 1 g(x)dx. a Somit ist das linke Integral eine beschränkte Funktion in b. Außerdem ist dieses Integral eine monoton wachsende Funktion in b, weil f (x) 0. Damit existiert Z b lim f (x)dx. b!1 a 2 5.8 Gammafunktion Die Fakultätsfunktion bildet eine natürliche Zahl n auf n! ab. Die Gammafunktion erweitert die Fakultätsfunktion auf reelle und schließlich komplexe Zahlen. Sie erfüllt die Funktionalgleichung (Satz 5.8.2) 8x > 0 : (x + 1) = x (x), woraus mit (1) = 1 (n + 1) = n! folgt. Tatsächlich legt diese Funktionalgleichung die Gammafunktion im Wesentlichen fest. Wenn man zusätzlich fordert, dass logarithmisch konvex ist, d.h. dass ln konvex ist, dann gibt es nur eine solche Funktion. 222 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Satz 5.8.1 Für alle x > 0 existiert das Integral Z 1 (x) = e t tx 1 dt. 0 Wir bezeichnen die durch das Integral definierte Funktion sche Gammafunktion. : (0, 1) ! R als Euler- Beweis. Es sei x > 0 gegeben. Wir zeigen zunächst, dass es eine Konstante b 2 R gibt, so dass für alle t 2 [b, 1) e t tx (5.7) 1 1 t2 gilt. Um dies zu zeigen, reicht es nachzuweisen, dass für alle x > 0 lim e t tx+1 = 0 (5.8) t!1 gilt. In der Tat, falls (5.8) gilt, dann gilt für alle x > 0 8✏ > 09b 2 R8t b: e t tx+1 < ✏. Wir wählen ✏ = 1 und erhalten (5.7). Wir zeigen nun (5.8). Diese Gleichung folgt mit der Formel von L’Hôpital (Satz 3.8.3). Wir wählen n 2 N mit x n 0 < x n + 1. Es folgt für alle x > 0 lim e t tx n = 0 t!1 und damit tx+1 (x + 1)tx = lim = · · · = (x + 1)x(x t!1 et t!1 et lim 1) · · · (x tx n = 0. t!1 et n + 1) lim Die Funktion t 2 ist auf [b, 1) nach Beispiel 5.7.1 uneigentlich Riemann integrierbar, also ist mit Lemma 5.7.1 und (5.7) auch e t tx 1 auf [b, 1) uneigentlich Riemann integrierbar. Für x 1 ist die Funktion e t tx 1 auf [0, b] stetig und damit Riemann integrierbar. Falls 0 < x < 1 dann gilt auf (0, b] 0 e t tx Nach Beispiel 5.7.1 ist die Funktion tx Deshalb gilt Z 0 ⇤ b t x 1 e t dt Z 0 1 t tx 1 . auf (0, 1] uneigentlich Riemann integrierbar. b x 1 1 dt = lim ✏!0 Z ✏ b tx 1 dt = lim( x1 bx ✏!0 1 x ✏ ) x = x1 bx . 5.8. GAMMAFUNKTION 223 Satz 5.8.2 (i) Für alle x > 0 gilt (x + 1) = x (x). (ii) Für alle n = 0, 1, 2, . . . gilt (n + 1) = n! . Beweis. (i) Wir verwenden partielle Integration mit f (t) = e t und g(t) = tx . Z b Z b Z b t x t x b t x 1 b x 1 e t dt = [ e t ]1 + e xt dt = ( e b + e ) + e t xtx 1 dt 1 1 Z 1 1 1 ⇢ Z b b x 1 e t dt = lim ( e b + e ) + e t xtx 1 dt t x b!1 1 Mit (5.8) folgt e b bx = 0. lim b!1 Also Z 1 1 1 e t dt = + x e t x Genauso erhalten wir Z 1 Z t x t x 1 e t dt = [ e t ]a + a Z 1 e t tx 1 dt. 1 1 t x 1 e xt dt = ( e 1 a x +e a )+ a Z 1 a Wegen Stetigkeit und x > 0 gilt lim e a ax = 0. a!0 Also Z 1 t x e t dt = 0 Insgesamt Z 1 1 +x e t x e t dt = x 0 Z Z 1 1 e t tx 1 dt. 0 e t tx 1 dt. 0 (ii) Wir zeigen die Aussage mit Induktion. Wegen Beispiel 5.7.1 gilt Z 1 (1) = e t dt = 1. 0 Mit (i) und der Induktionsannahme folgt (n + 1) = n (n) = n(n 2 1)! = n!. e t xtx 1 dt 224 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Lemma 5.8.1 d = dx Z 1 tx 1 (ln t)e t dt 0 Satz 5.8.3 (Bohr-Mollerup) Eine Funktion G : (0, 1) ! (0, 1) ist auf (0, 1) genau dann gleich der Gammafunktion, wenn G(1) = 1, für alle x > 0 G(x + 1) = xG(x) gilt und G logarithmisch konvex ist, d.h. ln G konvex ist. Für x < 0 und x 2 / Z definieren wir (x) = (x + n) x(x + 1) . . . (x + n 1) wobei 0 < x + n < 1. Die Gammafunktion tritt z.B. bei der Berechnung des Volumens der n-dimensionalen Euklidischen Kugel auf: n ⇡2 n R . ( n2 + 1) 5.9 Bogenlänge Es sei f : [a, b] ! R. Wir bezeichnen Graph(f ) = {(x, f (x))|x 2 [a, b]} als den Graphen der Funktion f . Der Abstand von zwei Punkten (x0 , y0 ) und (x1 , y1 ) in R2 ist p |x0 x1 |2 + |y0 y1 |2 . (Dies folgt aus dem Satz von Pythagoras.) Deshalb sagen wir auch, dass dies die Länge der Verbindungsgeraden zwischen diesen Punkten ist. Deshalb setzen wir die Kurvenlänge für eine Funktion f (x) = cx + d von (x0 , f (x0 )) bis (x1 , f (x1 )) als p |x0 x1 |2 + |f (x0 ) f (x1 )|2 fest. Für einen Polygonzug f , d.h. f : [a, b] ! R, a = x0 < x1 < · · · < xn = b und für alle i = 1, . . . , n f (x) = ci x + di und für alle i = 1, . . . , n für x 2 [xi 1 , xi ] 1 ci xi + di = ci+1 xi + di+1 Als Länge eines Polygonzuges definieren wir n X p L(Graph(f )) = |xi i=1 1 xi |2 + |f (xi 1 ) f (xi )|2 . 5.9. BOGENLÄNGE 225 Wir wollen nun den Graphen einer beliebigen Funktion f durch Polygonzüge approximieren und die Länge des Graphen von f als den Grenzwert der Längen der Polygonzüge definieren. Für eine beliebige Funktion f und eine Partition P von [a, b] setzen wir n X p LP (Graph(f )) = |xi xi |2 + |f (xi 1 ) 1 i=1 f (xi )|2 . Lemma 5.9.1 Es sei f : [a, b] ! R eine Funktion. Falls P 0 eine Verfeinerung von P ist, so gilt LP (Graph(f )) LP 0 (Graph(f )). Definition 5.9.1 Wir sagen, dass der Graph der Funktion f rektifizierbar ist, wenn sup LP (Graph(f )) < 1 P und wir setzen dann L(Graph(f )) = sup LP (Graph(f )). P Satz 5.9.1 Falls f : [a, b] ! R stetig di↵erenzierbar ist, so ist Graph(f ) rektifizierbar und es gilt Z bp L(Graph(f )) = 1 + |f 0 (x)|2 dx. a Man beachte, dass in der Voraussetzung gefordert wird, dass f auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b] stetig di↵erenzierbar ist, es reicht nicht zu fordern, dass f auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b] di↵erenzierbar und auf dem o↵enen (a, b) stetig differenzierbar ist (Beispiel 5.9.2). In den Punkten a und b ist f einseitig di↵erenzierbar. Beweis. Es sei P eine Partition von [a, b]. n X p LP (Graph(f )) = |xi 1 i=1 n X = (xi i=1 xi |2 + |f (xi 1 ) s f (xi 1 ) xi 1 ) 1 + xi 1 f (xi )|2 f (xi ) xi 2 Nach dem Mittelwertsatz gibt es zu jedem i = 1, . . . , n ein ⇠i 2 (xi 1 , xi ) mit f 0 (⇠i ) = f (xi ) xi f (xi 1 ) xi 1 226 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Damit erhalten wir n X p LP (Graph(f )) = 1 + |f 0 (⇠i )|2 (xi xi 1 ). i=1 p 1 + |f 0 |2 stetig und damit Riemann- Da f stetig di↵erenzierbar ist, ist die Funktion integrierbar. Deshalb gilt n X p 0 2 sup US P ( 1 + |f | ) = sup P P = inf P n X sup i=1 t2[xi 1 ,xi ] i=1 inf t2[xi 1 ,xi ] p 1 + |f 0 (t)|2 (xi p 1 + |f 0 (t)|2 (xi xi 1 ) p xi 1 ) = inf OS P ( 1 + |f 0 |2 ). P Nach Definition des Integrals sind alle diese Ausdrücke gleich dem Integral Z bp 1 + |f 0 (x)|2 dx. a Weiter gilt für alle P n X p US P ( 1 + |f 0 |2 ) = i=1 inf t2[xi 1 ,xi ] p 1 + |f 0 (t)|2 (xi n X p 1 + |f 0 (⇠i )|2 (xi xi 1 ) xi 1 ) i=1 = LP (Graph(f )) n X p sup 1 + |f 0 (t)|2 (xi i=1 t2[xi xi 1 ) 1 ,xi ] p = OS P ( 1 + |f 0 |2 ). Wir erhalten also p p US P ( 1 + |f 0 |2 ) LP (Graph(f )) OS P ( 1 + |f 0 |2 ). Es folgt für alle Partitionen P und Q LP (Graph(f )) LP[Q (Graph(f )) p p OS P[Q ( 1 + |f 0 |2 ) OS Q ( 1 + |f 0 |2 ). Hieraus folgt für alle Partitionen P p LP (Graph(f )) inf OS Q ( 1 + |f 0 |2 ) Q und weiter p sup LP (Graph(f )) inf OS Q ( 1 + |f 0 |2 ). P Q 5.9. BOGENLÄNGE Es folgt 227 Z bp L(Graph(f )) 1 + |f 0 (x)|2 dx. a Andererseits folgt sofort, dass Z bp p 1 + |f 0 (x)|2 dx = sup US P ( 1 + |f 0 |2 ) sup LP (Graph(f )) = L(Graph(f )). a P P 2 Beispiel 5.9.1 (i) (Kettenlinie) Es sei f : [a, b] ! R mit f (x) = cosh(x) = 12 (ex + e gilt L(Graph(f )) = sinh(b) sinh(a) x ). Dann 3 (ii) Es sei f : [0, 1] ! R mit f (x) = x 2 . Dann gilt 8 13 32 27 (( 4 ) L(Graph(f )) = 1) = 1.44 . . . Beweis. (i) Wir benutzen cosh0 = sinh, sinh0 = cosh und 1 + sinh2 x = cosh2 x. Z bq Z bp L(Graph(f )) = 1 + | cosh0 (x)|2 dx = 1 + | sinh(x)|2 dx = Z a b a cosh(x)dx = sinh(b) sinh(a) a (ii) L(Graph(f )) = Z 1 0 Wir führen nun die Substitution t = 1 + L(Graph(f )) = Z 1 2 13 4 4 9 Z p 0 2 1 + |f (x)| dx = 0 9 4x bzw. x = p tdt = 4 9 h 2 32 3t 4 9 (t i 13 4 1 = 1 q 1 + 94 xdx 1) durch. 8 13 32 27 (( 4 ) 1) = 1.44 . . . Lemma 5.9.2 Es sei f : [a, b] ! R eine stetige, wachsende oder fallende Funktion. Dann ist der Graph von f rektifizierbar und es gilt p |b a|2 + |f (b) f (a)|2 L(Graph(f )) |b a| + |f (b) f (a)|. Beweis. Wir nehmen an, dass f monoton wachsend ist. Wir zeigen die linke Ungleichung. Wir wählen als Partition P = {a, b}. Dann erhalten wir p |b a|2 + |f (b) f (a)|2 = LP (Graph(f )) L(Graph(f )) Nun die rechte Abschätzung. Es sei P = {x0 , . . . , xn }. Es gilt n X p LP (Graph(f )) = |xi i=1 n X (|xi i=1 1 1 xi |2 + |f (xi 1 ) xi | + |f (xi 1 ) f (xi )|2 f (xi )|) 228 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Da f monoton wachsend ist n X LP (Graph(f )) (xi i=1 2 n X xi 1 ) + (f (xi ) f (xi 1 )) = b a + f (b) f (a). i=1 Beispiel 5.9.2 Es sei f : [0, 1] ! R durch 8 2 < x cos x⇡2 f (x) = : 0 falls x 2 [ 1, 1] und x 6= 0 falls x = 0 f ist di↵erenzierbar auf [0, 1] und auf (0, 1) stetig di↵erenzierbar. Der Graph von f ist nicht rektifizierbar. Beweis. Z 1 ✏ p 1 + |f 0 (x)|2 dx Z 1 0 ✏ Z 1 ✏ Wir substituieren t = Z ✏ 1 ⇡ x2 |f (x)|dx = Z 1 2x cos ✏ ⇣⇡⌘ 2⇡ sin 2 dx x x ⇣ ⇡ ⌘ 2⇡ ⇣⇡⌘ + sin dx x2 x x2 2. . Wir erhalten für alle n mit 2⇡n + ⇡ p 1 + |f 0 (x)|2 dx Z 2⇡n+⇡ p p p t |sin t| dt 2 ⇡ t |sin t| dt ⇡ 2⇡n Z ⇡ p p p p 2 ⇡ 2⇡n sin tdt = 4 ⇡ 2⇡n. p 2 ⇡ Z ⇡ ✏2 ⇡ ✏2 0 2 Beispiel 5.9.3 Es sei : [0, 1] ! [0, 1] die Cantorfunktion. Dann gilt L(Graph(f )) = 2 Beweis. Aus Lemma 5.9.2 folgt sofort, dass L(Graph(f )) 2 2 5.10 Die trigonometrischen Funktionen Mit trigonometrischen Funktionen bezeichnet man Funktionen, die Zusammenhänge von Winkeln und Seitenlängen in Dreiecken beschreiben. Der Sinus eines Winkels ↵, der kleiner als 90 ist, wird mit Hilfe eines rechtwinkligen Dreiecks definiert, in dem ↵ als Winkel vertreten ist. Die Hypotenuse ist die längste Seite in einem Dreieck, in dem ein Winkel ein rechter Winkel ist, also ein Winkel von 90 . Die Hypotenuse liegt dem rechten 5.10. DIE TRIGONOMETRISCHEN FUNKTIONEN 229 Winkel gegenüber. Die anderen beiden Seiten werden als Katheten bezeichnet. Es sei ↵ ein weiterer Winkel in diesem Dreieck. Dann bezeichnet man die Kathete, die diesem Winkel gegenüber liegt, als Gegenkathete, die andere als Ankathete. Der Sinus von ↵ ist der Quotient von Hypotenuse und Gegenkathete. Der Cosinus ist der Quotient von Hypotenuse und Ankathete. Wir messen den Winkel im Bogenmaß, d.h. Länge des zum Winkel gehörigen Kreisbogens dividiert durch den Radius des Kreises. √ 1 − t2 t Der Cosinus des Winkels, der durch den Kreisbogen über dem Intervall [t, 1] gegeben ist, ist t. Wir werden zeigen, dass die Länge dieses Kreisbogens gleich Z 1 1 p dx 1 x2 t ist. Damit erhalten wir ✓Z 1 1 ◆ dx = t p 1 x2 bzw. wenn arccos die zu cos inverse Funktion bezeichnet Z 1 1 p arccos t = dx. 1 x2 t cos t Diese Formel ermöglicht es uns, Ableitungen und weitere Formeln trigonometrischer Funktionen zu berechnen. Lemma 5.10.1 (i) Das uneigentliche Riemann Integral Z 1 1 p dx 1 x2 0 existiert. p (ii) Es sei x 2 [0, 1] und f : [0, x] ! R mit f (t) = 1 t2 . Dann gilt Z x 1 p L(Graph(f )) = dt. 1 t2 0 230 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Beweis. (i) Es gilt für alle x 2 [0, 1) p 1 Hieraus folgt Z 1 0 ✏ p 1 1 x2 1 1 1 p p . 1 x x 1+x =p 1 x2 dx Z und damit 1 ✏ 0 Z p 1 p dx = [ 2 1 1 x t]10 ✏ =2 p 2 ✏ 1 1 p dx 2. 1 x2 0 (ii) Wir betrachten zuerst den Fall x < 1. Mit Satz 5.9.1 Z xp Z xr Z x t2 1 0 2 p L(Graph(f )) = 1 + |f (t)| dt = 1+ dt = dt. 2 1 t 1 t2 0 0 0 Nun der Fall x = 1. Mit Lemma 5.9.2 folgt, dass der Graph von f rektifizierbar ist. Wir setzen fn1 : [0, 1 n1 ] ! R mit fn1 (x) = f (x) und fn2 : [1 n1 , 1] ! R mit fn2 (x) = f (x). Dann gilt für alle n 2 N L(Graph(f )) = L(Graph(fn1 )) + L(Graph(fn2 )). Nach Satz 5.9.1 gilt L(Graph(fn1 )) = Z 1 n 1 p 1 0 Deshalb gilt für alle n 2 N Z L(Graph(f )) 1 n 1 p 1 0 und somit Z L(Graph(f )) 1 p 1 0 Wegen Lemma 3.4.7 gilt 1 L(Graph(fn2 )) + n s ✓ 1 1 Hiermit folgt für alle n 2 N L(Graph(f )) Z 0 1 t2 1 1 t2 1 n 1 p 1 t2 t2 dt dt. ◆2 1 dt. 1 + n r 2 . n dt. Also gilt L(Graph(f )) 2 Z 0 1 1 n p 1 1 1 dt + + n t2 r 2 n Z 0 1 p 1 1 1 dt + + n t2 r 2 . n 5.10. DIE TRIGONOMETRISCHEN FUNKTIONEN 231 Definition 5.10.1 Die Zahl ⇡ ist der halbe Umfang eines Kreises mit Radius 1. Da der Graph der Funktion f : [0, 1] ! R mit f (t) = beschreibt, gilt Z 1 ⇡ 1 p = dx. 2 1 x2 0 p 1 t2 einen Viertelkreis Weiter definieren wir ` : [ 1, 1] ! R `(x) = Z x 1 p 1 1 t2 dt p Anschaulich ist `(x) die Länge des Kreisbogens zwischen den Punkten (x, 1 und (1, 0). x2 ) Lemma 5.10.2 (i) `(1) = 0 und `( 1) = ⇡. (ii) ` ist eine stetige, strikt fallende, beschränkte Funktion. (iii) ` ist auf ( 1, 1) di↵erenzierbar und es gilt `0 (x) = p 1 1 x2 . Beweis. 2 Definition 5.10.2 Wir definieren nun arccos s = `(s) cos t = ` 1 (t) p sin t = 1 cos2 t s 2 [ 1, 1] t 2 [0, ⇡] t 2 [0, ⇡] Lemma 5.10.3 (i) arccos ist auf [ 1, 1] stetig und auf ( 1, 1) di↵erenzierbar. Es gilt 1 arccos0 s = p 1 s2 (ii) sin und cos sind auf [0, ⇡] stetig. (iii) sin und cos sind auf (0, ⇡) di↵erenzierbar und es gilt sin0 = cos cos0 = sin Beweis. (i) Nach Lemma 3.4.7 ist ` auf [ 1, 1] stetig und auf ( 1, 1) di↵erenzierbar. (ii) ` ist auf [ 1, 1] stetig und strikt monoton fallend. Deshalb existiert die Umkehrfunktion ` 1 und sie ist stetig. 232 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG (iii) Da ` di↵erenzierbar auf ( 1, 1) ist, so ist ` Außerdem gilt 1 auf (0, ⇡) di↵erenzierbar. d d 1 1 1 cos t = ` (t) = d` 1 = p 11 2 dt dt (` (t)) ds 1 |` (t)| p p 1 2 = 1 |` (t)| = 1 cos2 (t) = sin t. Mit der Kettenregel folgt d dp sin t = 1 dt dt 2 cos t sin t cos2 (t) = p = cos t 1 cos2 Nun definieren wir die Funktionen für alle reellen Zahlen. cos t = cos( t) sin t = sin( t) t 2 [ ⇡, 0) und cos(2⇡ + t) = cos t sin(2⇡ + t) = sin t t2R Auch die fortgesetzten Funktionen sin und cos sind auf ganz R di↵erenzierbar und es gilt sin0 = cos und cos0 = sin. Wir setzen sin t tan t = für cos t 6= 0 cos t cos t cot t = für sin t 6= 0 sin t arcsin t = sin arctan t = tan 1 t 1 t 2 ( 1, 1) und t t 2 ( 1, 1) und ⇡ ⇡ < arcsin t < 2 2 ⇡ ⇡ < arctan t < 2 2 Es gelten arcsin0 (t) = p 1 1 und t2 arctan0 (t) = Lemma 5.10.4 Für alle x, y 2 R gelten sin(x + y) cos(x + y) 2 sin x + cos2 x sin2 x cos2 x sin(x + ⇡2 ) = = = = = = sin x cos y + cos x sin y cos x cos y sin x sin y 1 1 (1 cos 2x) 2 1 (1 + cos 2x) 2 cos x. 1 . 1 + t2 5.10. DIE TRIGONOMETRISCHEN FUNKTIONEN 233 Beweis. Wir definieren die Funktionen f (x) = sin(x + y) g(x) = cos(x + y) sin x cos y cos x sin y cos x cos y + sin x sin y Es gilt f (0) = g(0) = 0. Weiter gilt f 0 (x) = g(x) und g 0 (x) = (f 2 (x) + g 2 (x))0 = 2f (x)f 0 (x) + 2g(x)g 0 (x) = 2f (x)g(x) Also gibt es ein c f (x). Wir erhalten 2g(x)f (x) = 0 0, so dass für alle x 2 R f 2 (x) + g 2 (x) = c Da f (0) = g(0) = 0, gilt c = 0. Damit haben wir die ersten beiden Gleichungen bewiesen. Nun die dritte Formel. Wir setzen y = x in der Formel cos(x + y) = cos x cos y sin x sin y und erhalten 1 = cos2 x + sin2 x. Nun die vierte Formel. Mit y = x folgt aus Formel zwei cos 2x = cos2 x sin2 x = 1 2 sin2 x 2 Beispiel 5.10.1 (Weierstraß) [30, 48, 111] Es seien 0 < a < 1 und 1 a · b. Dann ist die Funktion f : R ! R mit 1 X f (x) = an cos(bn ⇡x) n=0 überall stetig und nirgendwo di↵erenzierbar Weierstraß zeigte die Aussage in seiner Arbeit [111] für alle a mit 0 < a < 1 und alle ungeraden, natürlichen Zahlen b mit 1 + 32 ⇡ < a · b. Hardy verbesserte dies Ergebnis [48] zu der obigen Formulierung. Lemma 5.10.5 Für alle s 2 R und alle t > 0 gilt 1 | cos(⇡(s + t) t cos(⇡s))| ⇡. Beweis. Wir betrachten die Funktion g : [s, s + t] ! R mit g(x) = cos(⇡x). Nach dem Mittelwertsatz gibt es ein x0 2 (s, s + t), so dass g 0 (x0 ) = Also ⇡ sin(⇡x0 ) = g(s + t) t g(s) 1 (cos(⇡(s + t) t . cos(⇡s))) Es folgt ⇡ |⇡ sin(⇡x0 )| = 1 | cos(⇡(s + t) t cos(⇡s))|. 234 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG 2 Beweis von Beispiel 5.10.1. Die Stetigkeit von f folgt mit dem Satz 3.9.1. In der Tat, die Reihe konvergiert gleichmäßig. Für alle m 2 N existiert ein `m 2 N, so dass 1 1 < bm r `m + 2 2 `m Wir setzen `m + ✏m = bm r Es folgt 0< Für hm = 1 ✏m bm 1 b 2 m 1 ✏m bm < 3 b 2 m erhalten wir (5.9) 0< 1 b 2 m hm < 3 b 2 m und es gilt lim hm = 0. m!1 Es gilt f (r + hm ) hm = m X1 n=0 f (r) 1 X 1 = hm 1 X an cos(bn ⇡(r + hm )) n=0 n a (cos(bn ⇡(r + hm )) hm ! bn cos(bn ⇡r) n=0 1 X an cos(bn ⇡r)) + (cos(bn ⇡(r + hm )) h m n=m cos(bn ⇡r)) Wir schätzen den ersten Summanden ab. Wegen Lemma 5.10.5 gilt | cos(bn ⇡(r + hm )) cos(bn ⇡r)| ⇡hm bn Hiermit folgt (5.10) m X1 n=0 an (cos(bn ⇡(r + hm )) hm cos(bn ⇡r)) ⇡ m X1 an bn = ⇡ k=0 am bm 1 ab 1 Nun schätzen wir den zweiten Summanden nach unten ab. Dazu zeigen wir, dass für alle n mit n m cos(bn ⇡(r + hm )) = ( 1)`m +1 (5.11) Es gilt bn ⇡(r + hm ) = bn m ⇡(bm r + bm hm ) = bn m ⇡(`m + ✏m + 1 Da bn m 2 N und ungerade und `m + 1 2 N, so ist bn und umgekehrt. Es folgt (5.11). Es gilt für alle n mit n m m cos(bn ⇡r) = cos(bn m m ⇡bm r = bn ⇡(`m + ✏m )) = cos(bn m m m ⇡(`m + 1) (`m + 1) gerade, wenn `m ungerade ist, cos(bn ⇡r) = ( 1)`m cos(bn Wir zeigen dies. Wegen bn ⇡r = bn ✏m ) = bn m ⇡✏m ). ⇡(`m + ✏m ) ⇡`m ) cos(bn m ⇡✏m ) sin(bn m ⇡`m ) sin(bn m ⇡✏m ) 5.11. DAS PRODUKT VON WALLIS 235 Da bn m `m 2 N, gilt sin(bn m ⇡`m ) = 0. bn m ist eine ungerade, natürliche Zahl. Deshalb ist bn m `m eine gerade Zahl, wenn `m gerade ist, und eine ungerade Zahl, wenn `m ungerade ist. Es folgt cos(bn ⇡r) = ( 1)`m cos(bn m ⇡✏m ). Es gilt 1 X an (cos(bn ⇡(r + hm )) h m n=m = = = Da 1 + cos(bn m 1 2 ( 1)`m cos(bn 1 X an ( 1)`m +1 1 + cos(bn h m n=m ( 1)`m +1 hm m m ⇡✏m ) ⇡✏m ) 1 X an 1 + cos(bn h m n=m m ⇡✏m ) 0, an > 0 und hm > 0 ⇡✏m ) 1 X an (cos(bn ⇡(r + hm )) h m n=m Da 1 X an ( 1)`m +1 h m n=m cos(bn ⇡r)) ✏m 12 , so gilt cos(bn ⇡r)) = ⇡ 2 ⇡✏m ⇡ 2. 1 1 X n a 1 + cos(bn hm n=m m am (1 + cos(⇡✏m )) hm ⇡✏m ) Mit (5.9) 1 X an (cos(bn ⇡(r + hm )) h n=m m am 2 = am bm hm 3 cos(bn ⇡r)) Hiermit folgt 2 m m a b 3 1 X an (cos(bn ⇡(r + hm )) h m n=m = f (r + hm ) hm f (r) f (r + hm ) hm f (r) 1 hm 1 + hm cos(bn ⇡r)) m X1 n ! n a cos(b ⇡(r + hm )) n=0 m X1 n n am bm 1 f (r + hm ) ab 1 hm f (r) ! a cos(b ⇡(r + hm )) n=0 . Mit (5.10) 2 m m a b 3 ⇡ . 2 5.11 Das Produkt von Wallis John Wallis (1616-1703) studierte in Cambridge Theologie und war als Kaplan tätig. Nachdem es ihm im Bürgerkrieg gelungen war, verschlüsselte Botschaften zu entschlüsseln, wurde er von Cromwell auf den Savilian Chair of Geometry in Oxford berufen. Wallis konnte umfangreiche Rechnungen im Kopf ausführen, wie z.B. die Berechnung der Wurzel einer 50-stelligen Zahl. 236 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Satz 5.11.1 n 1 Y Y ⇡ 4k 2 4k 2 = lim = 2 n!1 k=1 4k 2 1 k=1 4k 2 1 Eine weitere Schreibweise für die Formel von Wallis ist ⇡ 2 2 4 4 6 6 = · · · · · ··· 2 1 3 3 5 5 7 (5.12) Beweis. Wir setzen für m = 0, 1, 2, . . . Z Am = ⇡ 2 sinm xdx 0 Es gilt Z Z ⇡ 2 ⇡ A0 = dx = A1 = sin xdx = 1 2 0 0 Wir erhalten für m 2 die folgende Rekursionsformel ⇡ 2 Am = m 1 Am m 2 Wir weisen dies nach. Dazu benutzen wir partielle Integration. Z Z m m 1 sin xdx = cos x sin x + (m 1) cos2 x sinm Wir nutzen aus, dass cos2 x = 1 sin2 x. Z sinm xdx = cos x sinm 1 x + (m Hieraus erhalten wir Z m sinm xdx = m 1 cos x sin Wir setzen nun Integrationsgrenzen ein. Z ⇡ 2 m sinm xdx = [ cos x sinm 1 1) Z x + (m ⇡ 2 sinm 1) x]0 + (m Es ergibt sich m Z 0 Wir erhalten weiter A2n ⇡ 2 m sin xdx = (m sinm xdx x sinm Z ⇡ 2 xdx 2 xdx sinm 2 0 1) Z ⇡ 2 sinm 2 xdx 0 n (2n 1)(2n 3) · · · 3 · 1 ⇡ ⇡ Y 2k 1 = = 2n(2n 2) · · · 4 · 2 2 2 k=1 2k n A2n+1 Z 1) 0 2 2 Y 2k 2n(2n 2) · · · 4 · 2 = = (2n + 1)(2n 1) · · · 5 · 3 k=1 2k + 1 xdx 5.11. DAS PRODUKT VON WALLIS 237 Hieraus erhalten wir n A2n+1 2Y (2k)2 = A2n ⇡ k=1 (2k + 1)(2k n 2 Y 4k 2 = 1) ⇡ k=1 4k 2 1 Wir zeigen nun, dass A2n+1 =1 n!1 A2n Für alle x 2 [0, ⇡2 ] gilt 0 sin x 1. Deshalb gilt für alle x 2 [0, ⇡2 ] lim sin2n+2 x sin2n+1 x sin2n x Hieraus folgt Z ⇡ 2 2n+2 sin 0 xdx Z ⇡ 2 2n+1 sin 0 Also gilt A2n+2 A2n+1 A2n . Mit A2n+2 = xdx Z 2n+1 A 2n+2 2n ⇡ 2 sin2n xdx. 0 erhalten wir 2n + 1 A2n+2 A2n+1 = 1. 2n + 2 A2n A2n Somit bekommen wir 2n + 1 A2n+2 A2n+1 = lim = lim . n!1 2n + 2 n!1 A2n n!1 A2n 1 = lim Wir erhalten 2 n 2 Y 4k 2 1 = lim . n!1 ⇡ 4k 2 1 k=1 Beispiel 5.11.1 (Formel von Vieta) v s r s r u r u 2 1 1 1 1t1 1 1 1 1 = + + + ······ ⇡ 2 2 2 2 2 2 2 2 2 Beweis. Es sei Pm ein regelmäßiges Polygon mit m Ecken auf dem Kreis mit Radius 1. Mit Am bezeichnen wir die Fäche des Polygons Pm . Das Polygon ist Vereinigung von m gleichschenkligen Dreiecken, deren Ecken jeweils der Mittelpunkt des Kreises und zwei nebeneinanderliegende Ecken des Polygons sind. Die Höhe eines solchen Dreiecks vom Mittelpunkt zu der Seite, die die beiden Ecken enthält, die auf dem Kreis liegen, bezeichnen wir mit hm . Dann gilt für alle m = 3, 4, . . . Am = hm . A2m Es gilt kY1 2 = h2j A2k j=2 238 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG und lim Am = ⇡. m!1 Außerdem gilt hm = cos Wir zeigen nun, dass h4 = q 1 2 m . und für alle k = 3, 4, . . . h2k = Wir benutzen die Formel cos x2 = h2k ⇣⇡⌘ q r 1 1 + hk 2 2 2 1 1+cos x 2 ⇡ = cos k = 2 r 2 ⇣ ⇡ ⌘ 1 1 + cos k 1 = 2 2 2 r 1 1 + hk 2 2 2 5.12 Partialbruchzerlegung 5.13 Integralkriterium für Reihen 1 Satz 5.13.1 Es sei f : [1, 1) ! R eine stetige, positive, monoton fallende Funktion. Dann gelten Z n+1 f (x)dx 1 n X f (k) n X und k=1 k=2 f (k) Z n f (x)dx. 1 P1 Insbesondere konvergiert n=1 an genau dann, wenn das uneigentliche RiemannR1 Integral 1 f (x)dx existiert und 1 X n=2 f (n) Z 1 1 f (x)dx 1 X f (n). n=1 Beweis. Wir definieren g : [1, n + 1) ! R durch g(x) = f (k) für x 2 [k, k + 1) und k = 1, . . . , n Dann gilt 0 f g und f und g sind auf [1, n + 1) Riemann-integrierbar. Es folgt Z 1 n+1 f (x)dx Z 1 n+1 g(x)dx = n Z X k=1 k k+1 g(x)dx = n X k=1 f (k) 5.13. INTEGRALKRITERIUM FÜR REIHEN 239 Für die Abschätzung von unten setzen wir h : [0, n) ! R für x 2 [k, k + 1) und k = 1, . . . , n h(x) = f (k + 1). Dann gilt auf [1, n + 1), dass 0 h f und f und h sind Riemann integrierbar. Also Z n+1 f (x)dx 1 Falls Z n+1 h(x)dx = 1 R1 1 n Z X k+1 h(x)dx = k k=1 n X f (k + 1) = k=1 k=2 f (x)dx < 1, dann Z 1 Z f (x)dx 1 n+1 X n+1 f (x)dx 1 und somit Z 1 f (k) k=2 1 X f (x)dx 1 f (k). k=2 2 Beispiel 5.13.1 (i) Falls 1 < p < 1, dann konvergiert die Reihe 1 X n p n p n=1 und es gilt 1 p 1 (ii) Es gilt für alle n 2 N 1 X n=1 ln(n + 1) Die Reihe divergiert. (iii) Für alle n 2 N mit n 1 . n X 1 1 + ln n k k=1 2 gilt ln ln 2 n X 1 ln ln n k ln k n=2 1 X 1 n ln n n=2 divergiert. (iv) Die Reihe p p 1 X 1 n n=1 ln ln(n + 1) Die Reihe 1 X 1 n(ln n)2 n=2 ln ln 2 + n+1 X 1 . 2 ln 2 f (k). 240 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG konvergiert und 1.442 · · · = 1 X 1 1 1 1 + = 2.48 . . . ln 2 n=2 n(ln n)2 2(ln 2)2 ln 2 (v) Die Reihe 1 X 1 n ln(n) ln(ln(n)) n=3 divergiert. (vi) Die Reihe 1 X 1 2 n ln(n)(ln(ln(n))) n=3 konvergiert. Beweis. (i) Es sei f : [1, 1) ! R durch f (x) = x p gegeben. Z 1 Z 1 1 f (x)dx = x p dx = p 1 1 1 Es folgt 1 X n p n=2 und somit 1 p 1 (ii) Es gilt für alle n 2 N ln(n + 1) = Z n+1 1 1 X n 1 p p n=1 1 1+ n 1 X 1 p 1 X1 1 dx 1+ x k k=1 p n n=1 = Z n 1 p p 1 . 1 dx = 1 + ln n. x Wir nehmen an, dass die Reihe konvergiert. Dann existiert das uneigentliche Riemann Integral. Z 1 Z n 1 1 dx = lim dx = lim [ln x]n1 = lim ln n = 1 n!1 n!1 n!1 x 1 1 x P1 Also existiert das uneigentliche Integral nicht und die Reihe n=1 n1 divergiert. 1 (iii) Es sei f : [1, 1) durch f (x) = x ln x gegeben. Eine Stammfunktion von f ist F : [1, 1) ! R mit F (x) = ln ln x. Es folgt n X k=3 und damit 1 k ln k Z n X k=2 n 2 1 dx = [ln(ln x)]n2 = ln(ln n) x ln x 1 ln(ln n) k ln k Ebenso ln ln(n + 1) ln ln 2 Z 2 ln(ln 2) + n+1 ln(ln 2) 1 . 2 ln 2 n X 1 1 dx x ln x k ln k k=2 5.13. INTEGRALKRITERIUM FÜR REIHEN (iv) Es sei f : [1, 1) durch f (x) = mit F (x) = ln1x . Es folgt Z 2 n 1 x(ln x)2 gegeben. Eine Stammfunktion von f ist F : [1, 1) ! R 1 dx = x(ln x)2 Wir erhalten (v) Die Stammfunktion von 241 1 ln x n = 2 1 ln 2 1 . ln n 1 X 1 1 1 1 + . 2 ln 2 n=2 n(ln n) ln 2 2(ln 2)2 f (x) = 1 x(ln x)(ln ln x) ist F (x) = ln ln ln x. Falls die Reihe konvergiert, dann existiert das uneigentliche Integral Z 1 Z 1 1 1 dx = lim dx = lim (ln ln ln n ln ln ln 3). n!n n!1 x(ln x)(ln ln x) x(ln x)(ln ln x) 3 3 Der letzte Ausdruck divergiert. Die Reihe konvergiert also nicht. (vi) Die Stammfunktion von 1 f (x) = x(ln x)(ln ln x)2 ist F (x) = Es folgen 1 X 1 n(ln n)(ln ln n)2 n=4 und 2 Z 3 1 1 . ln ln x f (x)dx 1 X 1 n(ln n)(ln ln n)2 n=3 1 X 1 1 1 1 + . ln ln 3 n=3 n(ln n)(ln ln n)2 ln ln 3 3(ln 3)(ln ln 3)2 Beispiel 5.13.2 Entscheiden Sie, welche der folgenden Reihen konvergieren und welche divergieren. Benutzen Sie dazu das Integralkriterium für Reihen. Es sei j 2 N und {aj }j2N mit a1 = e und aj+1 = eaj . (i) X 1 n(ln n)(ln ln n)(ln ln ln n) · · · (ln · · ln} n) | ·{z n aj j (ii) 1 X n aj 1 n(ln n)(ln ln n)(ln ln ln n) · · · (ln · · ln} n)2 | ·{z j (iii) Zeigen Sie mit (iv), dass die Reihe 1 X n aj für alle p > 1 konvergiert. 1 n(ln n)(ln ln n)(ln ln ln n) · · · (ln · · ln} n)p | ·{z j 242 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Beweis. (i) Eine Stammfunktion von f (x) = 1 x(ln x)(ln ln x)(ln ln ln x) · · · (ln · · ln} x) | ·{z j ist F (x) = ln · · ln} x | ·{z j+1 (ii) Eine Stammfunktion von f (x) = 1 x(ln x)(ln ln x)(ln ln ln x) · · · (ln · · ln} x)2 | ·{z j ist F (x) = 1 ln · · | {z· ln} x j (iii) Wegen (ii) wissen wir, dass 1 X n aj 1 n(ln n)(ln ln n)(ln ln ln n) · · · (ln · · ln} n)2 | ·{z j+1 konvergiert. Wir zeigen nun, dass es zu jedem r > 0 ein nr 2 N gibt, so dass für alle n 2 N mit n nr (ln · · ln} n)2 (ln · · ln} n)r | ·{z | ·{z j+1 j gilt. Dazu reicht es zu zeigen, dass es zu jedem r > 0 ein x0 gibt, so dass für alle x x0 (ln x)2 xr gilt. Dies ist aber äquivalent dazu, dass es zu jedem s > 0 ein x0 gibt, so dass für alle x x0 ln x xs gilt. Dies gilt, da wir r = 2s setzen können. Die letztere Ungleichung folgt aber z.B. aus der Formel von L’Hopital. 1 ln x 1 x lim s = lim = lim = 0. s 1 x!1 x x!1 sx x!1 sxs 2 5.14 Unendliche Produkte Es sei an , n 2 N, eine Folge reeller Zahlen. Als das unendliche Produkt bezeichnen wir den Grenzwert 1 n Y Y (1 + an ) = lim (1 + ak ). n=1 n!1 k=1 Wir sagen, dass das unendliche Produkt konvergiert, falls der Grenzwert existiert und von 0 verschieden ist. 5.14. UNENDLICHE PRODUKTE 243 Satz reeller Zahlen. Das Produkt Q1 5.14.1 Es sei an , n 2 N, eine Folge positiver, P1 n=1 (1 + an ) konvergiert genau dann, wenn n=1 an konvergiert und es gilt 1+ 1 X n=1 an 1 Y 1 X (1 + an ) exp n=1 ! an . n=1 Beweis. Nach Satz gilt für alle t > 0, dass 1 + t et . Deshalb gilt ! n n n Y Y X (1 + ak ) eak = exp ak . k=1 k=1 k=1 Da die Zahlen ak positiv sind und die Exponentialfunktion stetig ist, erhalten wir ! ! n n n Y X X (1 + ak ) lim exp ak = exp lim ak . n!1 k=1 n!1 k=1 k=1 Q Deshalb ist die Folge nk=1 (1 + ak ), n 2 N, monoton wachsend und beschränkt. Also konvergiert diese Folge und es gilt ! 1 1 Y X (1 + an ) exp an n=1 n=1 Für alle s, t > 0 gilt (1 + s)(1 + t) n Y 1 + s + t. Hieraus erhalten wir (1 + ak ) 1+ k=1 n X ak k=1 Es folgt 1 Y (1 + ak ) 1+ k=1 2 Beispiel 5.14.1 (i) konvergiert, weil (ii) divergiert, weil P1 P1 1 n=1 n k=1 ◆ 1 ✓ Y 1 1+ 2 n n=1 1 n=1 n2 konvergiert. ◆ 1 ✓ Y 1 1+ n n=1 divergiert. n X ak 244 5.15 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Die Formel von Stirling Satz 5.15.1 Für alle n 2 N mit n 2 gilt p p 2⇡n nn e n < n! < 2⇡n nn e Insbesondere gilt p 2⇡n nn e lim n!1 n! n 1 e 12(n 1) . n = 1. Lemma 5.15.1 (Trapez-Regel) Es sei f : [0, 1] ! R eine zweimal stetig di↵erenzierbare Funktion. Dann existiert ein ⇠ 2 [0, 1] mit Z 1 1 1 00 f (x)dx = (f (0) + f (1)) f (⇠). 2 12 0 Diese Formel heißt Trapez-Regel, weil die schraffierte Fläche den Flächeninhalt + f (1)) besitzt. 1 (f (0) 2 Beweis. Wir benutzen partielle Integration. Z 1 Z 1 1 1 f (x)dx = [(x 2 )f (x)]0 (x 12 )f 0 (x)dx 0 Z0 1 = 12 (f (0) + f (1)) (x 12 )f 0 (x)dx ⇢0 Z 1 0 1 1 1 2 1 = 2 (f (0) + f (1)) [( 2 x x)f (x)]0 ( 12 x2 2 0 Z 1 = 12 (f (0) + f (1)) + ( 12 x2 12 x)f 00 (x)dx 1 x)f 00 (x)dx 2 0 Mit dem Mittelwertsatz der Integralrechnung folgt für ein ⇠ 2 (0, 1) Z 1 R1 f (x)dx = 12 (f (0) + f (1)) + f 00 (⇠) 0 12 x2 12 xdx 0 = 12 (f (0) + f (1)) + f 00 (⇠)[ 16 x3 14 x2 ]10 1 00 = 12 (f (0) + f (1)) 12 f (⇠). 2 Beweis. Wir zeigen zunächst, dass es zu jedem k 2 N, eine Zahl ⇠k 2 [k, k + 1] gibt, so dass für alle n 2 N ! n n 1 X X 1 1 ln k = (n + 12 ) ln n n + 1 12 ⇠2 k=1 k=1 k 5.15. DIE FORMEL VON STIRLING 245 gilt. Mit der Trapez-Regel folgt: Es gibt ein ⇠k 2 [k, k + 1], so dass Z k+1 1 ln xdx = 12 (ln k + ln(k + 1)) + . 12⇠k2 k Hieraus folgt n 1Z X ln xdx = k k=1 n 1 X (ln k + ln(k + 1)) + k+1 1 2 1 12 k=1 Da ln 1 = 0 gilt, erhalten wir Z n ln xdx = 1 1 2 ln n + n+1= ln k + 1 12 k=1 Die Stammfunktion von ln x ist x ln x n ln n n X n 1 X 1 . 2 ⇠ k k=1 n 1 X 1 . ⇠2 k=1 k x. 1 2 ln n + n X ln k + 1 12 k=1 n 1 X 1 . 2 ⇠ k k=1 Somit erhalten wir n X ln k = (n + 1 ) ln n 2 n+1 1 12 k=1 n 1 X 1 . 2 ⇠ k k=1 Wir wenden auf beiden Seiten die Exponentialfunktion an. ! ! n n 1 X X 1 1 exp ln k = exp (n + 12 ) ln n n + 1 12 ⇠2 k=1 k=1 k Es folgt weiter n 1 X 1 1 12 ⇠2 k=1 k exp (ln(n!)) = exp (n + 12 ) ln n exp ( n) exp 1 Also gilt n! = 1 nn+ 2 e n exp 1 Wir zeigen jetzt, dass p 2⇡ < exp 1 n 1 X 1 1 12 ⇠2 k=1 k ! n 1 X 1 1 12 ⇠2 k=1 k p < 2⇡ exp ✓ ! ! . . ◆ 1 . 12(n 1) Hiermit folgt dann das Ergebnis. Da ⇠k 2 [k, k + 1] gilt, haben wir ⇠12 k12 . Außerk P P1 1 1 dem ist 1 k=1 k2 konvergent. Also ist auch k=1 ⇠k2 konvergent. Damit existiert ! n 1 X 1 1 lim exp 1 12 = c. n!1 ⇠2 k=1 k 246 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG p 2⇡ ist. Wir setzen ! n 1 X 1 1 cn = exp 1 12 . 2 ⇠ k k=1 Wir zeigen, dass dieser Limes gleich Man erkennt hieraus sofort, dass cn , n 2 N, eine monoton fallende Folge ist. Weiter gilt n! cn = n n p . n e n Außerdem gelten c2n limn!1 c2n c2 = = =c n!1 c2n limn!1 c2n c lim und c2n c2n = ⇣ n! p nn e n n ⌘2 (2n)! p (2n)2n e 2n 2n p p (n!)2 22n n2n e 2n 2n (n!)2 22n 2 p . = = n2n e 2n n(2n)! (2n)! n Das Produkt von Wallis liefert n Y ⇡ 4k 2 = lim 2 n!1 k=1 4k 2 1 und r ! 12 (2k)(2k) lim = lim n!1 n!1 (2k 1)(2k + 1) k=1 ✓ ◆ 12 (2 · 2)(4 · 4)(6 · 6)(8 · 8) · · · (2n)(2n) = lim n!1 (1 · 3)(3 · 5)(5 · 7)(7 · 9) · · · (2n 1)(2n + 1) n 2 n! p = lim n!1 1 · 3 · 5 · 7 · · · (2n 1) 2n + 1 (2n n!)2 (2n n!)2 p p . = lim = lim n!1 (2n)! 2n + 1 n!1 (2n)! 2n ⇡ = 2 n Y 4k 2 4k 2 1 k=1 ! 12 n Y p p Es folgt c = 2⇡. Da cn , n 2 N, eine monoton fallende Folge ist, die gegen 2⇡ konvergiert, gilt für alle n 2 N mit n 2 ! n 1 X p 1 1 2⇡ < cn = exp 1 12 . 2 ⇠ k k=1 Andererseits gilt c = exp 1 1 X 1 1 12 ⇠2 k=1 k ! = exp 1 n 1 X 1 1 12 ⇠2 k=1 k ! exp 1 X 1 1 12 ⇠2 k=n k ! . 5.15. DIE FORMEL VON STIRLING 247 Mit dem Integralkriterium für Reihen folgt Z 1 1 1 X X 1 1 1 1 1 1 1 12 12 dx = . 2 12 2 2 ⇠ k 12(n 1) n 1 x k=n k k=n Deshalb gilt c Es folgt cn exp ✓ ◆ 1 . 12(n 1) p cn 2⇡ exp ⇤ ✓ ◆ 1 . 12(n 1) Beispiel 5.15.1 Für n 2 N mit n 2 gilt ✓ ◆ 2n ✓ ◆ ✓ 1 2 2n 1 p exp exp 6(n 1) n 12(2n ⇡n Insbesondere gilt 2n n lim n!1 p n 22n 1) ◆ 22n p . ⇡n 1 =p . ⇡ In der Wahrscheinlichkeitstheorie und Kombinatorik muss man die Größenordnung von Binomialkoeffizienten kennen. Insbesondere ist der größte Binomialkoeffizient von Interesse. Das 2n 2 p ist. Wegen Beispiel stellt sicher, dass 2n n von der Größenordnung n n n 2 = (1 + 1) = n ✓ ◆ X n k=0 ist der größte Summand kleiner als 2n und größer als 2n Binomialkoeffizient von der Größenordnung p ist. n k 2n n+1 . Beweis. Die Formel von Stirling liefert p p 2⇡n nn e n < n! < 2⇡n nn e Damit folgt p 1 ✓ ◆ 2n (2n)! 4⇡n (2n)2n e 2n e 12(2n p = (n!)2 n ( 2⇡n nn e n )2 1) n Das Beispiel zeigt, dass der größte 1 e 12(n 1) . 1 p 2 ⇡n22n n2n e 2n e 12(2n = 2⇡ n n2n e 2n 1) 1 22n = p e 12(2n ⇡n 1) . 2 Das nächste Beispiel untersucht, wie häufig beim Werfen einer Münze ”Kopf” oder ”Zahl” erscheint. Wir erwarten, dass ungefähr genauso häufig ”Kopf” wie ”Zahl” das Ergebnis ist. Wir berechnen hier die zu erwartende Abweichung. Wenn wir eine Münze n-mal werfen, dann erhalten wir 2n mögliche Ergebnisse. Es gibt genau nk Ergebnisse, wo ”Kopf” k-mal fällt und ”Zahl” n k-mal. Die Abweichung vom Mittelwert ist |n 2k|. Die mittlere Abweichung ist also n ✓ ◆ 1 X n |n 2k| . 2n k=0 k 248 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Beispiel 5.15.2 Es gibt positive Konstante c1 und c2 , so dass für alle n 2 N n ✓ ◆ p p 1 X n c1 n n |n 2k| c2 n 2 k k=0 gilt. Der folgende Beweis benutzt nur die Stirling Formel. Es gibt sehr viel elegantere Beweise. Beweis. Mit Stirlings Formel folgt ✓ ◆ n n! = k k!(n k)! ✓ ✓ 1 1 exp + 12 k 1 n Für k = n 2 ✓ Für k = 1 k 1 ◆◆ p n nn p p k 2⇡k k(n k)n k p n k . j erhalten wir n ◆ ✓ exp 1 12 n 2 j n 2 j und 0 j ✓ 1 j n 2 1p 3 n 1 + n 2 1 +j erhalten wir ✓ ◆ n n j 2 1 ◆◆ p n 22 p ⇣ ⇡n 1 4j 2 n2 1 ⌘ n+1 2 1+ 2j n 2j n !j . 2n p . 4⇡n 2 Beispiel 5.15.3 Die Folge s r q p xn = 1! 2! 3! · · · n! n2N konvergiert. Beweis. Wir zeigen, dass die Folge {xn }n2N monoton wachsend und nach oben beschränkt ist. xn = n Y 1 (k!) 2k < k=1 n+1 Y 1 (k!) 2k = xn+1 k=1 Damit ist die Folge monoton wachsend. xn = n Y (k!) 1 2k k=1 n Y (k) k=1 k 2k = n Y k=1 ! ✓ ◆ n X k k ln k exp (ln k) k = exp 2 2k k=1 Es bleibt zu zeigen, dass 1 X k ln k k=1 2k konvergiert. Dazu verwenden wir das Quotientenkriterium. (k+1) ln(k+1) 2k+1 k ln k 2k 2 1 (k + 1) ln(k + 1) 1 = = 2 k ln k 2 ✓ ◆✓ ◆ ln(1 + k1 ) 1 1+ 1+ k ln k 5.16. DER SATZ VON TAYLOR UND TAYLORREIHEN 249 Beispiel 5.15.4 (Satz von Chebychev, [TeMe, p. 19]) Für eine Zahl x > 0 bezeichnet ⇡(x) die Anzahl aller Primzahlen, die kleiner oder gleich x sind. Dann gibt es zwei Konstanten a und b, so dass für alle x > 0 x x a ⇡(x) b ln x ln x gilt. Beweis. 2 5.16 Der Satz von Taylor und Taylorreihen Brook Taylor (18.8.1685-29.12.1731) studierte in Cambridge. Er arbeitete auf dem Gebiet der Di↵erentialgleichungen. Auf dem Gebiet der Kunst schrieb er über die Grundlagen der Perspektive und beschrieb als erster das Prinzip des Fluchtpunktes [38]. Satz 5.16.1 Es sei I ein Intervall und f : I ! R sei (n + 1)-mal stetig di↵erenzierbar auf I. Es sei x0 innerer Punkt des Intervalls I. Dann gilt für alle inneren Punkte x 2 I n X f (k) (x0 ) f (x) = (x x0 )k + Rn (x, x0 ) k! k=0 wobei 1 Rn (x, x0 ) = n! Z x t)n f (n+1) (t)dt. (x x0 Man bezeichnet Rn als Restglied. Beweis. Der Beweis wird mit Induktion geführt. Für n = 0 gilt Z x f (x) = f (x0 ) + f 0 (t)dt. x0 Dies folgt aus dem RHauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung (Satz 5.4.1). x Es gilt R0 (x, x0 ) = x0 f 0 (t)dt. Nun der Induktionsschritt. Wir nehmen an, dass die Aussage für n 1 bewiesen ist, d.h. wir haben f (x) = n 1 (k) X f (x0 ) k=0 k! wobei Rn 1 (x, x0 ) = 1 (n x0 )k + Rn 1 (x, x0 ), (x 1)! Z x x0 (x t)n 1 f (n) (t)dt. 250 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Durch partielle Integration erhalten wir ( ) Z x x 1 (x t)n (n) (x t)n (n+1) Rn 1 (x, x0 ) = f (t) + f (t)dt (n 1)! n n x0 x0 ⇢ Z x 1 (x x0 )n (n) (x t)n (n+1) = f (x0 ) + f (t)dt (n 1)! n n x0 (x x0 )n (n) = f (x0 ) + Rn (x, x0 ). n! Hieraus folgt f (x) n 1 (k) X f (x0 ) k=0 2 k! (x x0 )k = (x x0 )n (n) f (x0 ) + Rn (x, x0 ). n! Satz 5.16.2 Es sei I ein Intervall und f : I ! R sei (n + 1)-mal stetig di↵erenzierbar auf I. Es sei x0 ein innerer Punkt des Intervalls I. (i) (Lagrange Form des Restglieds) Für alle x 2 I gibt es ein ⇥ 2 (0, 1) mit Rn (x, x0 ) = f (n+1) (x0 + ⇥(x (n + 1)! x0 )) (x x0 )n+1 . (ii) (Cauchy Form des Restglieds) Für alle x 2 I gibt es ein ⇥ 2 (0, 1) mit Rn (x, x0 ) = f (n+1) (x0 + ⇥(x n! x0 )) (1 ⇥)n (x x0 )n+1 . Man beachte, dass die Zahl ⇥ von f , n und x0 abhängt. Beweis. (i) Nach dem Mittelwertsatz der Integralrechnung (Satz 5.6.2) gibt es ein ⇠ 2 (x0 , x) bzw. ⇠ 2 (x, x0 ), so dass Z Z 1 x f (n+1) (⇠) x n (n+1) Rn (x, x0 ) = (x t) f (t)dt = (x t)n dt n! x0 n! x0 x (n+1) f (n+1) (⇠) 1 f (⇠) = (x t)n+1 = (x x0 )n+1 . n! n+1 (n + 1)! x0 Wir wählen nun ⇥, so dass ⇠ = x0 + ⇥(x x0 ). (ii) Mit dem Mittelwertsatz der Integralrechnung (Satz 5.6.2) erhalten wir Z 1 x 1 Rn (x, x0 ) = (x t)n f (n+1) (t)dt = (x ⇠)n f (n+1) (⇠)(x x0 ). n! x0 n! Wir wählen nun ⇥, so dass ⇠ = x0 + ⇥(x x0 ). Damit erhalten wir 1 (x x0 ⇥(x x0 ))n f (n+1) (x0 + ⇥(x x0 ))(x n! f (n+1) (x0 + ⇥(x x0 )) = (1 ⇥)n (x x0 )n+1 . n! Rn (x, x0 ) = x0 ) 5.16. DER SATZ VON TAYLOR UND TAYLORREIHEN 2 Falls das Restglied Rn (x, x0 ) für n gegen 1 gegen 0 konvergiert, so gilt f (x) = 1 X f (k) (x0 ) (x k! k=0 x0 )k Man nennt diese Reihe die Taylorrreihe von f . Beispiel 5.16.1 (i) Für alle x 2 R gilt 1 X xn e = . n! n=0 x (ii) Für alle x 2 R gilt 1 X e (x n! n=0 ex = (iii) Es sei a > 0. Für alle x 2 R gilt ax = 1 X (x · ln a)n . n! n=0 (iv) Für alle x mit |x| < 1 gilt ln(1 Für x = 1)n . x) = 1 X xn . n n=1 1 erhält man mit dem Grenzwertsatz von Abel (Lemma 5.18.2) 1 X ( 1)n = ln 2. n n=1 (v) Für alle x mit |x| < 1 gilt 1 1 (vi) Für alle x 2 R gilt sin x = x 1 X = cos x = xn . n=0 ( 1)n+1 n=1 (vii) Für alle x 2 R gilt 1 X 1 X x2n 1 . (2n 1)! ( 1)n n=0 x2n . (2n)! (viii) Für alle x mit |x| 1 gilt p 1 1+x=1+ x 2 1·1 2 1·1·3 3 x + x 2·4 2·4·6 1·1·3·5 4 x + ··· 2·4·6·8 (ix) Für alle x mit |x| < 1 gilt arctan x = 1 X ( 1)n+1 n=1 x2n 1 . 2n 1 251 252 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Mit Hilfe des Grenzwertsatzes von Abel (Lemma 5.18.2) kann man weiter folgern 1 X ( 1)n+1 ⇡ = arctan(1) = =1 4 2n 1 (5.13) 1 3 + 1 5 1 7 + 1 9 ··· k=1 Diese Reihe wird auch als Leibniz Reihe bezeichnet. Leibniz hatte ein geometrisches Argument gefunden um zu zeigen, dass sich die Reihe zu ⇡4 aufsummiert. Dieses Beispiel zeigt auch, dass eine Taylorrreihe eine Funktion nicht notwendig auf dem gesamten Definitionsgebiet darstellen muss, arctan ist auf ganz R definiert, ihre Taylorreihe mit Entwicklungsmitte 0 stellt die Funktion nur auf ( 1, 1) dar. (x) Um eine Funktion in eine Taylorreihe entwickeln zu können, muss sie unendlich oft di↵erenzierbar sein. Andererseits gibt es Funktionen, die auf ganz R unendlich oft di↵erenzierbar sind, aber in einem bestimmten Punkt nicht in eine Taylorreihe zu entwickeln sind. Das klassische Beispiel hierzu ist die folgende Funktion, die man in 0 nicht in eine Taylorreihe entwickeln kann. Es sei f : R ! R durch 8 ✓ ◆ 1 > < exp falls x 6= 0 x2 f (x) = > :0 falls x = 0 gegeben. Dann gilt für alle n = 0, 1, 2, . . . f (n) (0) = 0 und Rn (x, 0) = f (x) Es gibt auch Funktionen, die auf einem Intervall unendlich oft di↵erenzierbar sind, aber in keinem Punkt in eine Taylorreihe zu entwickeln (Beispiel 5.18.3). 4 x − 16 x3 + 1 5 120 x 2 1 2 3 4 5 6 sin x -2 x − 16 x3 -4 Beweis. (i) Es gilt für alle n 2 N, dass f (n) (x) = ex . Deshalb gilt für alle n 2 N, dass f (n) (0) = 1. Das Restglied konvergiert gegen 0. Rn (x, 0) = f (n+1) (⇥x) (1 n! ⇥)n xn+1 = e⇥x (1 n! ⇥)n xn+1 Wegen ⇥ 2 (0, 1) folgt |Rn (x, 0)| = e⇥x (1 n! ⇥)n |x|n+1 e⇥x n+1 |x| . n! 5.16. DER SATZ VON TAYLOR UND TAYLORREIHEN 253 Wegen 0 < e⇥x e⇥|x| e|x| folgt |Rn (x, 0)| e|x| |x|n+1 . n! Mit der Formel von Stirling (Satz 5.15.1) folgt |x|n+1 = 0. n!1 n! lim Deshalb gilt lim |Rn (x, 0)| = 0. n!1 Wir geben ein weiteres Argument hierfür an. Für x 6= 0 und alle n mit n x gilt |x|n+2 |x|n+1 < . (n + 1)! n! Ab einem hinreichend großen n ist die Folge also monoton fallend. Außerdem ist sie nach unten beschränkt und damit konvergent. Deshalb gilt (Beispiel 2.4.9) ✓ ◆✓ ◆ ✓ ◆✓ ◆ |x|n+1 |x| |x|n |x| |x|n+1 lim = lim lim = lim lim = 0. n!1 n!1 n n!1 (n n!1 n n!1 n! 1)! n! f (n) (ii) Für alle n = 0, 1, 2, . . . gilt, dass f (n) (x) = ex . Also gilt für alle n = 0, 1, 2, . . . , dass (1) = e. (iii) Dies ergibt sich sofort aus ax = ex ln a . (iv) Für f (x) = ln(1 x) gilt 1 f 0 (x) = Allgemein gilt für n 1 f 00 (x) = x 1 (1 x)2 f 000 (x) = 2 (1 x)3 1 f (n) (x) = (n 1)! . (1 x)n Wir zeigen dies durch Induktion. f (n+1) (x) = d (n) f (x) = dx d (n 1)! = dx (1 x)n (1 n! x)n+1 Wir schätzen das Restglied ab. Wir benutzen dazu die Cauchy Form des Restglieds. Die Lagrange Form ist hier nur für x < 0 erfolgreich zu verwenden. |Rn (x, 0)| = Falls x 0, dann 1 ⇥x (1 ⇥)n xn+1 (1 ⇥x)n 1 und |Rn (x, 0)| |x|n+1 . Die rechte Seite konvergiert für n ! 1 gegen 0. Falls x > 0, dann 1 ⇥ 1 ⇥x und wir erhalten ebenfalls |Rn (x, 0)| |x|n+1 . (vi) Für alle k = 0, 1, 2, . . . gilt f (4k) (x) = sin x f (4k+2) (x) = sin x f (4k+1) (x) = cos x f (4k+3) (x) = cos x 254 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Es folgt für alle k = 0, 1, 2, . . . f (4k) (0) = 0 f (0) = 0 f (4k+1) (0) = 1 f (4k+3) (0) = 1 (4k+2) Wir schätzen das Restglied ab. Wir benutzen die Cauchysche Form des Restglieds (Satz 5.16.2). Rn (x, 0) = f (n+1) (⇥x) (1 n! ⇥)n xn+1 Für alle n 2 N und alle x 2 R gilt |f (n) (x)| 1. Es folgt |x|n+1 . n! |Rn (x, 0)| Nun wenden wir wieder die Formel von Stirling an (Satz 5.15.1). ✓ ◆n |x|n+1 |x| e|x| p |Rn (x, 0)| =p . n nn e n 2⇡n 2⇡n (ix) Wir benutzen die Formel für die geometrische Reihe 1 X d 1 arctan x = = ( 1)n x2n . dx 1 + x2 n=0 Wir integrieren die rechte Seite summandenweise arctan x = c + 1 X ( 1)n n=0 x2n+1 . 2n + 1 Für x = 0 erhalten wir c = 0 und arctan x = 1 X ( 1)n n=0 x2n+1 . 2n + 1 Also haben wir arctan durch eine Potenzreihe dargestellt. Diese Potenzreihe ist nach Satz 5.18.3 mit ihrer Taylorreihe identisch. (x) Wir zeigen zunächst, dass für jedes n 2 N ein Polynom pn existiert, so dass für alle x mit x 6= 0 ✓ ◆ ✓ ◆ 1 1 f (n) (x) = exp pn 2 x x gilt. Wir zeigen dies mit Induktion. Für n = 0 gilt f (0) (x) = f (x) = exp ✓ 1 x2 ◆ . Wir machen nun den Induktionsschritt. Wir nehmen an, dass die Aussage für n gilt also ✓ ◆ ✓ ◆ 1 1 f (n 1) (x) = exp p . n 1 2 x x Es folgt f (n) (x) = exp ✓ 1 x2 ◆ 2 pn x3 ✓ ◆ ✓ ◆ 1 1 + exp p0n 1 x x2 Wir setzen pn (t) = 2t3 pn 1 (t) t2 p0n 1 (t). ✓ ◆✓ ◆ 1 1 . 1 x x2 1 wahr ist, es 5.16. DER SATZ VON TAYLOR UND TAYLORREIHEN 255 Nun zeigen wir, dass für alle Polynome p ✓ ◆ ✓ ◆ 1 1 lim p exp =0 x!0 x x2 gilt. Es reicht zu zeigen, dass für alle n = 0, 1, 2, . . . ✓ ◆ 1 1 lim n exp =0 x!0 x x2 gilt. Wir zeigen dies durch Induktion. Es gelten ✓ ◆ 1 lim exp =0 und x!0 x2 Wir wenden die Formel von L’Hôpital an ✓ ◆ 1 1 x lim n exp = lim 2 x!0 x x!0 exp x = lim x exp x!0 x!0 1 x2 ◆ = 0. n 1 x2 nx n 2 x3 exp lim ✓ 1 n 1 x!0 2 xn = lim 1 x2 2 exp ✓ 1 x2 ◆ . Nun zeigen wir, dass für alle n = 0, 1, 2, . . . gilt, dass f (n) (0) = 0. Wir wenden Induktion an. Es gilt f (0) = 0 und damit f 0 (0) = 0. Nun der Induktionsschritt. f (n) (0) = = lim f (n 1) x!0 1) (0) x x!0 lim f (n (x) f (n 1) x (x) ✓ ◆ ✓ ◆ 1 1 exp =0 1 x x2 1 pn x!0 x = lim 2 Satz 5.16.3 [11] Zu jeder Folge reeller Zahlen {an }n2N gibt es eine unendlich oft di↵erenzierbare Funktion f : R ! R, so dass für alle n = 0, 1, 2, . . . f (n) (0) = an gilt. Beweis. Es seien ak , k 2 N, reelle Zahlen und bk , k 2 N, positive Zahlen. Tatsächlich wählen wir später bk = (k!)2 |ak |. Wir betrachten die Funktion f (x) = 1 X k=0 ak xk . 1 + bk x2 Wir nehmen an, dass f unendlich oft di↵erenzierbar ist und dass die Ableitung gleich der Summe der Ableitungen ist. Dann gelten f (0) = a0 und für n f 0 (0) = a1 und 2 n [2] X f (n) (0) = an + ( 1)j an n! j=1 j 2j bn 2j . Mit bk = (k!)2 |ak | erhalten wir für diese Bedingung n [2] X f (n) (0) = an + ( 1)j an n! j=1 2j (((n 2j)!)2 |an j 2j |) . 256 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Wir setzen a0 = c0 und a1 = c1 . Weiter setzen wir n [2] X ( 1)j an an = cn 2j)!)2 |an 2j (((n j=1 Wir definieren hk : R ! R durch hk (x) = j 2j |) . ak xk . 1 + bk x2 In der Tat, die geometrische Reihe liefert für |bk x2 | < 1 hk (x) = 1 1 X X ak xk k j j 2j = a x ( 1) b x = ( 1)j ak bjk x2j+k . k k 1 + bk x2 j=0 j=0 Es folgt 1 X (n) hk (x) = 2j n k ( 1)j ak bjk (2j + k) · · · (2j + k und damit (n) (hk ) (0) = 8 < n!( 1)j an : j 2j bn 2j n + 1)x2j+k k=n 0 n 2j sonst Wir zeigen nun, dass f unendlich oft di↵erenzierbar ist, falls die Folge abnn hinreichend schnell gegen 0 konvergiert. Wir benutzen Satz 5.17.2. Wir zeigen, dass die Reihe f punktweise und die Reihe P1 (n) gleichmäßig konvergiert. Es gilt für k n + 2 k=1 hk (n) (hk ) (x) (n + 1)! |ak |k! k |x| bk n 2 . Mit bk = (k!)2 |ak | folgt 1 X (n) (hk ) k=n+2 (x) (n + 1)! 1 X |x|k n k! 2 . k=n+2 Diese Reihe konvergiert gleichmäßig auf allen beschränkten Intervallen. 2 5.17 Gleichmäßige Konvergenz und Integral Satz 5.17.1 (i) Es sei fn : [a, b] ! R, n 2 N, eine Folge Riemann-integrierbarer Funktionen, die gleichmäßig gegen eine Funktion f konvergiert. Dann ist auch f Riemann-integrierbar und Z b Z b lim fn (x)dx = f (x)dx. n!1 a a (ii) Es sei gnP: [a, b] ! R, n 2 N, eine Folge Riemann-integrierbarer Funktionen, deren Reihe 1 n=1 gn gleichmäßig gegen die Funktion g konvergiert. Dann ist auch g Riemann-integrierbar und es gilt Z b 1 Z b X gn (x)dx = g(x)dx. n=1 a a 5.17. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ UND INTEGRAL 257 Die entscheidende Voraussetzung ist die gleichmäßige Konvergenz. Es gibt eine Folge von Funktionen, die punktweise konvergiert, man aber Limes und Integral nicht vertauschen kann (Beispiel 5.17.1). Für das Lebesgue Integral steht ein komfortablerer Satz zur Verfügung, der Satz von der dominierten Konvergenz. Ebenso wichtig ist bei den Voraussetzungen des Satzes, dass das Intervall beschränkt ist. Es gibt Beispiele von Folgen, die auf R gleichmäßig konvergieren, bei denen man aber nicht Limes und (uneigentliches) Integral vertauschen kann (Beispiel 5.17.2). Beweis. (i) Wir zeigen zunächst, dass f Riemann-integrierbar ist. Da fn , n 2 N, integrierbar sind, gilt 8n 2 N8 > 09P = {x0 , . . . , xK } : |OS P (fn ) US P (fn )| < , wobei OS P (fn ) = US P (fn ) = K X k=1 K X Mk (fn ) Mk (fn ) = k sup x2[xk mk (fn ) mk (fn ) = k f (x) 1 ,xk ] inf x2[xk k=1 f (x). 1 ,xk ] Wegen der gleichmäßigen Konvergenz gilt 8✏ > 09N 2 N8n > N 8x 2 [a, b] : |fn (x) f (x)| < ✏. Zu gegebenem > 0 wählen wir ✏ = 2(b a) und ein n 2 N, so dass für alle x 2 [a, b] die Ungleichung |fn (x) f (x)| < ✏ gilt. Nun wählen wir eine Partition P mit |OS P (fn ) US P (fn )| < . Dann gilt für alle k = 1, . . . , K mk (fn ) = inf x2[xk fn (x) 1 ,xk ] inf x2[xk 1 ,xk ] f (x) + ✏ = mk (f ) + ✏. Also erhalten wir für alle k = 1, . . . , K mk (fn ) mk (f ) + ✏. Genauso erhalten wir für alle k = 1, . . . , K Mk (fn ) Mk (f ) ✏. Damit erhalten wir > |OS P (fn ) K X (Mk (f ) K X US P (fn )| = (Mk (fn ) mk (f ) 2✏) k=1 = |OS P (f ) mk (fn )) k k=1 k K X = (Mk (f ) k=1 US P (f )| . mk (f )) k 2✏(b a) 258 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Also gilt |OS P (f ) US P (f )| < 2 . Damit haben wir nachgeprüft, dass f Riemann integrierbar ist. Wir zeigen nun, dass Z b Z b lim fn (x)dx = f (x)dx. n!1 a a Es gilt 8✏ > 09N 2 N8n > N 8x 2 [a, b] : |f (x) fn (x)| < ✏. Wir erhalten für alle n mit n > N Z b Z b Z b f (x)dx fn (x) + ✏dx = fn (x)dx + ✏(b a a a) a und ebenso Z b fn (x)dx a Hieraus folgt für alle ✏ > 0 Z b Z a f (x) + ✏dx fn (x)dx a Wir erhalten also b f (x)dx + ✏(b a). a b f (x)dx ✏(b b f (x)dx = lim a 2 Z a Z Z b n!1 Z a). b fn (x)dx. a Beispiel 5.17.1 (i) Für n 2 N sei fn : [0, 1] ! R durch fn (x) = xn gegeben. Die Folge fn , n 2 N, konvergiert punktweise gegen die Funktion f mit ( 0 für x 2 [0, 1) f (x) = 1 für x = 1 Die Folge fn , n 2 N, konvergiert nicht gleichmäßig. Obwohl keine gleichmäßige Konvergenz vorliegt, gilt doch Z 1 Z 1 lim fn (x)dx = lim fn (x)dx. 0 n!1 (ii) Für n 2 N sei fn : [0, 1] ! R durch 8 2 > <n x fn (x) = n2 x + 2n > : 0 n!1 0 x 2 [0, n1 ) x 2 [ n1 , n2 ) x 2 [ n2 , 1] Die Funktionen fn , n 2 N, sind stetig, also insbesondere Riemann-integrierbar. Die Folge konvergiert punktweise gegen f = 0, aber die Folge konvergiert nicht gleichmäßig. Weiter gelten Z 1 Z 1 lim fn (x)dx = 0 und lim fn (x)dx = 1. 0 n!1 n!1 0 5.17. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ UND INTEGRAL 259 Beweis. (i) Für x = 0 gilt limn!1 fn (x) = 0 und für x = 1 gilt limn!1 fn (x) = 1. Wir betrachten nun x mit 0 < x < 1. Die Folge xn , n 2 N, ist eine positive, monoton fallende Folge. Somit ist sie konvergent. Es folgt lim xn = x lim xn n!1 1 n!1 = x lim xn n!1 Mit Beispiel 2.4.9 folgt limn!1 xn = 0. Wir nehmen an, dass die Folge fn , n 2 N, gleichmäßig gegen eine Funktion f konvergiert. Diese Funktion muss gleich der Funktion sein, gegen die diese Folge punktweise konvergiert. Diese Funktion ist im Punkt x = 1 nicht stetig. Dies widerspricht dem Satz 3.9.1. Wir wollen hier auch den Nachweis führen, ohne Satz 3.9.1 zu benutzen. Die Negation der gleichmäßigen Konvergenz ist 9✏ > 08N 2 N9m, n > N 9x 2 [0, 1] : |fn (x) fm (x)| ✏ Wir wählen ✏ = 14 . Zu gegebenem N wählen wir n > N und m = 2n. Außerdem wählen wir 1 x = 2 n . Dann gilt |fn (x) Weiter gilt lim n!1 fm (x)| = |xn Z xm | = |xn 1 fn (x)dx = lim n!1 0 Z x2n | = | 12 1 xn dx = lim n!1 0 1 4| = 1 4 = ✏. 1 = 0. n+1 (ii) Z 1 fn (x)dx = 0 Z 1 n Z n2 xdx + 0 = ⇥1 2 2 2n x ⇤ n1 0 + ⇥ 2 n 1 n 1 2 2 2n x n2 x + 2ndx ⇤2 + 2nx n1 = 1 n Die Folge fn , n 2 N, konvergiert punktweise gegen f = 0. Somit gilt Z 0 1 fn (x)dx = 1 6= 0 = Z 1 f (x)dx. 0 Hiermit und mit Satz 5.17.1 folgt, dass die Folge nicht gleichmäßig konvergiert. Der direkte Nachweis ist nicht viel schwerer: Die Negation der gleichmäßigen Konvergenz ist 9✏ > 08N 2 N9m, n > N 9x 2 [0, 1] : |fn (x) fm (x)| ✏ Wir wählen ✏ = 1. Zu gegebenem N wählen wir n = 4N und m = 2N . Außerdem wählen wir 1 x = 2N . Dann gilt |fn (x) 1 fm (x)| = |f4N ( 2N ) 1 f2N ( 2N )| = 2N 1 = ✏. 2 Beispiel 5.17.2 (i) Die Folge fn : [0, 1) ! R, n 2 N, mit fn (x) = konvergiert gleichmäßig gegen 0, es gilt aber Z 1 lim fn (x)dx = 1 und n!1 0 x e n2 x n Z 0 1 lim fn (x)dx = 0 n!1 260 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG (ii) Für n 2 N sei gn : [0, 1) ! R durch gn (x) = x e n x n gegeben. Die Folge gn , n 2 N, konvergiert gleichmäßig gegen 0, aber Z 1 lim gn (x)dx = 1. n!1 0 Beweis. (i) Es gilt Z 1 Z fn (x)dx = 0 1 0 = lim x e n2 Z Rn R!1 0 x n dx = lim R!1 Z R 0 x e n2 te t dt = lim [ te t R!1 x n dx R e t ]0n = 1. Die Ableitung von fn ist x x 1 x e n e n. n2 n3 Deshalb gilt genau dann fn0 (x) > 0, wenn x < n und fn0 (x) < 0, wenn x > n. Deshalb hat fn in x = n ein absolutes Maximum und es gilt fn0 (x) = 0 fn (x) fn (n) = 1 . en (ii) Z 0 1 Z R x x x x e n dx = lim e n dx R!1 0 n n 0 Z Rn = n lim te t dt = lim n[ te t gn (x)dx = Z 1 R!1 0 R!1 R e t ]0n = 1 Die Folge gn , n 2 N, konvergiert gleichmäßig gegen 0. Dazu bestimmen wir das absolute Maximum von gn . 1 x⇣ x⌘ gn0 (x) = e n 1 n n2 Das absolute Maximum liegt im Punkt x = n2 . Somit gilt 0 gn (x) g(n2 ) = ne n . 2 Satz 5.17.2 Es sei I ein Intervall und gn : I ! R, n 2 N, eine Folge stetig di↵erenzierbarer Funktionen. Die Folge {gn }n2N , konvergiere punktweise gegen eine Funktion g und die Folge der Ableitungen {gn0 }n2N , konvergiere gleichmäßig gegen eine Funktion h. Dann ist g di↵erenzierbar und g 0 = h. Beweis. gn0 , n 2 N, ist eine Folge stetiger Funktionen, die gleichmäßig gegen h konvergiert. Mit Satz 5.17.1 folgt, dass für alle x0 , x 2 I Z x Z x 0 lim gn (t)dt = h(t)dt n!1 x0 x0 5.17. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ UND INTEGRAL 261 gilt. Wir wenden nun den Hauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung an (Satz 5.4.1). Für alle x0 , x 2 I gilt Z x lim (gn (x) gn (x0 )) = h(t)dt. n!1 x0 Für alle x0 , x 2 I gilt g(x) g(x0 ) = Z x h(t)dt x0 h ist stetig, weil die Folge gn0 aus stetigen Funktionen besteht und gleichmäßig gegen h konvergiert (Satz 3.9.1). Nun können wir noch einmal den Hauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung (Satz 5.4.1) anwenden und erhalten g 0 = h. 2 Beispiel 5.17.3 (Zetafunktion von Riemann) (i) Die Reihe ⇣(x) = 1 X 1 nx n=1 konvergiert auf (1, 1) punktweise und heißt Riemannsche Zetafunktion. Sie konvergiert auf jedem Intervall [a, b] ⇢ (1, 1) gleichmäßig. Sie ist di↵erenzierbar und die Ableitung ist ⇣ 0 (x) = 1 X ln n nx n=1 (Tatsächlich ist die Riemannsche Zetafunktion für alle komplexen Zahlen erklärt. Die Bestimmung der Nullstellen ist eines der berühmtesten und schwierigsten, o↵enen Probleme der Mathematik. Die Riemannsche Vermutung besagt, dass alle Nullstellen der Zetafunktion auf der Geraden { 12 + iy|y 2 R} liegen.) (ii) Für n 2 N sei fn : R ! R durch fn (x) = n1 sin(n2 x) gegeben. Die Folge fn , n 2 N, konvergiert gleichmäßig gegen f = 0. Die Folge fn0 , n 2 N, divergiert in jedem Punkt x 2 R. Beweis. (i) Nach Beispiel 5.13.1 konvergiert die Reihe für jedes x 2 (1, 1). Dies wurde mit dem Integralkriterium gezeigt. Wir zeigen, dass die Reihe gleichmäßig auf jedem Intervall [a, b] ⇢ (1, 1) konvergiert. Zu gegebenem ✏ > 0 wählen wir N so groß, dass für alle n mit n > N gilt, dass P1 1 < ✏. Dies ist möglich, weil die Reihe konvergiert. Deshalb gilt für alle x 2 [a, b] a k=n+1 k n X 1 kx k=1 Die Ableitung von Pn k=1 k x 1 1 1 X X X 1 1 1 = <✏ x x k k ka k=1 k=n+1 k=n+1 ist n X ln k k=1 kx Dies folgt mit der Kettenregel. (k x 0 ) = (e (ln k)x 0 ) = ( ln k)k Wir weisen nun nach, dass die Reihe 1 X ln k k=1 kx x 262 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG auf jedem Intervall [a, b] ⇢ (1, 1) gleichmäßig konvergiert. Zunächst beobachten wir, dass 1 X ln k k=1 kx konvergiert. Wir wählen ⌘ > 0 so klein, dass x ⌘ > 1 gilt. Dann gibt es ein k0 , so dass für alle k > k0 ln k 1 x ⌘ a k k gilt. Es reicht nachzuprüfen, dass es ein k0 gibt, so dass für alle k > k0 gilt, dass ln k k⌘ . Man kann dies mit der Formel von L’Hospital nachprüfen. Es gibt also für alle ✏ > 0 ein N , so dass für alle n mit n > N 1 X ln k <✏ ka k=n gilt. Hiermit erhalten wir für alle x 2 [a, b] n X ln k k=1 kx 1 X ln k k=1 kx = 1 1 X X ln k ln k < ✏. kx ka k=n+1 Mit Satz 5.17.2 folgt, dass 1 X 1 kx k=1 !0 = (ii) Zu gegebenem ✏ wählen wir N so groß, dass ✏ > |fn (x) k=n+1 1 X ln k k=1 1 N. kx . Dann gilt für alle n > N und alle x 2 R f (x)| = | n1 sin(n2 x)| 1 n < ✏. Wir zeigen nun, dass in jedem x 2 R die Folge fn0 (x) = n cos(n2 x) divergiert. Wir nehmen an, es gebe einen Punkt x 2 R, so dass limn!1 n cos(n2 x) existiert. Dann gilt limn!1 cos(n2 x) = 0. Wir zeigen, dass dies nicht sein kann. Für alle t 2 R gilt cos 2t = 2 cos2 t 1. Also cos((2n)2 x) = 2 cos2 (2n2 x) = 8 cos4 (n2 x) 1 = 2(2 cos2 (n2 x) 8 cos2 (n2 x) + 1. 1)2 1 Es folgt 0 = lim cos((2n)2 x) n!1 lim (8 cos4 (n2 x) 8 cos2 (n2 x) + 1) ⇣ ⌘4 ⇣ ⌘2 = 8 lim cos(n2 x) 8 lim cos(n2 x) + 1 = 1. = n!1 n!1 2 5.18 n!1 Potenzreihen Es sei an , n = 0, 1, 2 . . . , eine Folge reeller Zahlen und x0 2 R. Die Reihe 1 X n=0 an (x x0 )n 5.18. POTENZREIHEN 263 heißt Potenzreihe in x 2 R mit Entwicklungsmitte oder Mittelpunkt x0 . Wir lernen hier, dass man eine Potenzreihe und damit jede Taylorreihe summandenwiese di↵erenzieren kann. Außerdem stellen wir fest, dass die Taylorreihe einer Potenzreihe die Potenzreihe selbst ist. Es gibt unendlich oft di↵erenzierbare Funktionen, die in keinem Punkt durch ihre Taylorreihe darstellbar sind. Wir sagen, dass eine Funktion in einem Punkt analytisch ist, wenn sie in einer Umgebung dieses Punktes durch ihre Taylorreihe darstellbar ist. Lemma 5.18.1 Es sei an , n = 0, 1, 2 . . . , eine Folge reeller Zahlen und x0 2 R. Falls die Potenzreihe 1 X an (x x0 )n n=0 für ein x1 mit x1 6= x0 konvergiert, so konvergiert sie für alle x mit |x x0 | < |x1 x0 | absolut, d.h. 1 X |an ||x x0 |n n=0 konvergiert. Divergiert die Reihe an einer Stelle x2 , so divergiert sie für alle x mit |x |x2 x0 |. Beweis. Da 1 X x0 | > x0 )n an (x1 n=0 konvergiert, gilt nach Lemma 2.7.3 lim an (x1 n!1 x0 )n = 0. Nach Lemma 2.4.1 ist eine konvergente Folge beschränkt. Deshalb gibt es ein C > 0, so dass für alle n 2 N |an (x1 x0 )n | C gilt. Hiermit folgt 1 X n=0 |an (x n x0 ) | = 1 X n=0 |an (x1 x x0 ) | x1 n x0 x0 n 1 X x C x1 n=0 x0 x0 n . Da x x1 x0 <1 x0 gilt, konvergiert die Reihe. P1 Wir betrachten nun den Fall, dass die Reihe x0 )n divergiert. Wir n=0 an (x2 P1 nehmen an, dass die Reihe n=0 an (x x0 )n für ein x mit |x x0 | > |x2 x0 | 264 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG konvergiert. Dies kann aus dem ersten Teil dieses Lemmas folgt, P1nicht sein, weil n dass dann die Reihe n=0 an (x2 x0 ) konvergiert. 2 Aus Lemma 5.18.1 ergibt sich, dass es drei Fälle geben kann. Der erste Fall ist, dass die Potenzreihe nur für x = x0 konvergiert. Dann sagen wir, dass der Konvergenzradius der Potenzreihe 0 ist. Der zweite Fall ist, dass die Potenzreihe für alle x 2 R konvergiert. Dann sagen wir, dass der Konvergenzradius unendlich ist. Der dritte Fall ist, dass es ein R > 0 gibt, so dass die Potenzreihe für alle x mit |x| < R konvergiert und für alle x mit |x| > R divergiert. Dann sagen wir, dass der Konvergenzradius R ist. Das Konvergenzgebiet ist also immer ein Intervall. Im Komplexen stellt man fest, dass das Konvergenzgebiet ein Kreis ist. Deswegen spricht man auch vom Konvergenzradius. Ob auf dem Rand des Konvergenzgebietes Konvergenz oder Divergenz vorliegt, interessiert uns hier nicht. Satz 5.18.1P (Formel von Cauchy-Hadamard) Für den Konvergenzradius R einer Potenzreihe 1 x0 )n gilt n=0 an (x 8 0 > > > > > < R= 1 > > > 1 > > : 1 lim supn!1 |an | n 1 falls lim sup |an | n = 1 n!1 1 falls lim sup |an | n = 0 n!1 sonst Beweis. Mit Lemma 2.7.9 folgt, dass die Reihe 1 X x0 )n an (x n=0 absolut konvergiert, falls 1 > lim sup(|an ||x n!1 1 x0 |n ) n = |x 1 x0 | lim sup(|an |) n . n!1 Also konvergiert die Reihe absolut, falls |x x0 | < 1 1 lim supn!1 |an | n Also gilt R 2 1 1 lim supn!1 |an | n . . 5.18. POTENZREIHEN 265 P1 Beispiel 5.18.1 (i) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 xn ist 1. P1 (ii) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 nxn ist 1. P1 (iii) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 n2 xn ist 1. P1 (iv) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 n12 xn ist 1. P1 (v) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 21n xn ist 2. P1 (vi) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 nn!n xn ist e. P1 (vii) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 x2n ist 1. Beweis. (i) 1 lim sup |an | n = lim 1 = 1 n!1 n!1 (ii) 1 1 lim sup n n = lim n n = lim e n!1 n!1 Mit Beispiel 3.8.2 folgt limn!1 ln n n ln n n n!1 = 0. Deshalb 1 lim n n = 1 n!1 (iii) Mit (ii) folgt 1 1 1 lim sup(n2 ) n = lim (n2 ) n = ( lim n n )2 = 1 n!1 n!1 n!1 (v) n lim sup(2 1 1 n!1 2 ) n = lim n!1 = 1 2 (vi) Wir benutzen die Formel von Stirling. p 2⇡nnn e n < n! < p 2⇡nnn e n exp Es folgen p 2⇡ne und (2⇡n) 1 2n 1 < e n < ✓ p n! < 2⇡ne n n n! nn ◆ n1 < (2⇡n) n 1 2n 1 exp ✓ 1 exp e ✓ 1 12(n 1) 1 12(n 1) ✓ 1 12n(n ◆ ◆ 1) ◆ . 1 Da limn!1 n n = 1 gilt, so gilt auch limn!1 (2⇡n) 2n = 1. Wegen der Stetigkeit der e-Funktion gilt ✓ ◆ ✓ ◆ 1 1 lim exp = exp lim = exp(0) = 1. n!1 n!1 12n(n 12n(n 1) 1) Es folgt lim n!1 2 ✓ n! nn ◆ n1 = 1 . e In dem folgenden Beispiel ist es nicht einfach, den Konvergenzradius zu berechnen. Man braucht hier das richtige Hilfsmittel. 266 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Beispiel 5.18.2 (i) Der Konvergenzradius von 1 X 1 n x sin n n=1 ist 1. (ii) Der Konvergenzradius von 1 X tan(n)xn n=1 ist Beweis. (i) Für t mit 0 t Ungleichung sin t 12 t. ⇡ 3 gilt | sin n| = | sin(n 1 2 cos t 1. Deshalb gilt für alle t mit 0 t 1 |n 2 m⇡)| Mit Satz 2.11.2 erhalten wir für alle m mit m 42 m Außerdem gilt n m m⇡| = m n 2 m ⇡ 3 die ⇡ . 2 <| n m ⇠ ⇡. Damit folgt ⇡|. 1 . n42 | sin n| 2 P n Satz 5.18.2 Es sei f (x) = 1 n=0 an (x x0 ) eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R (Wir lassen auch R = 1 zu). (i) Die Potenzreihe ist auf jedem beschränkten, abgeschlossenen Intervall [a, b] mit [a, b] ⇢ (x0 R, x0 + R) gleichmäßig konvergent. (ii) Die Potenzreihe f ist unendlich oft di↵erenzierbar und für alle k 2 N gilt f (k) ✓ ◆ 1 X n (x) = k! an (x k n=k x0 )n k = 1 X n=k n · (n 1) · · · (n k + 1)an (x x0 )n k . Diese Potenzreihen haben denselben Konvergenzradius wie f . Beweis. (i) Wir zeigen, dass 8✏ > 09N 2 N8n > N 8x 2 [a, b] : n X ak (x k=0 k x0 ) 1 X ak (x x0 )k < ✏. k=0 Wir wählen r = max{b x0 , x0 a}. Dann gelten 0 < r < R und [a, b] ⇢ [x0 r, x0 + r]. Die Potenzreihe konvergiert absolut in x0 + r. Es gilt also 8✏ > 09N 8n > N : 1 X k=n |ak |rk < ✏. 5.18. POTENZREIHEN 267 Hiermit folgt für alle x mit |x n X ak (x x0 )k k=0 1 X x0 | r ak (x x0 )k = k=0 1 X x0 )k ak (x k=n+1 1 X k=n+1 |ak |rk < ✏. (ii) Wir zeigen zuerst, dass für alle k = 0, 1, 2, . . . die Reihen ✓ ◆ 1 X n k! an (x k n=k denselben Konvergenzradius haben wie sind 1 p R= lim supn!1 n |an | Die Reihe P1 k=0 x0 )n k x0 )k . Die Konvergenzradien ak (x 1 R̃ = ✓ ◆ 1 X n k! an (x k n=k x0 )n q k! n k lim supn!1 . n k |an | k konvergiert genau dann, wenn die Reihe ✓ ◆ 1 X n k! an (x k n=k x0 )n konvergiert, weil sich beide Reihen nur um den Faktor (x x0 )k unterscheiden. Also haben beide Reihen denselben Konvergenzradius. WirP zeigen nun, dass der Konvergenzradius der letzteren Reihe gleich dem der Reihe 1 x0 )n ist. n=0 an (x Es gilt ✓ ◆ n 1 k! = n(n k 1)(n 2) . . . (n k + 1) = k Y1 (n j=0 1 j) nk . k Wegen limn!1 n n = 1 folgt für alle k 2 N, dass limn!1 n n = 1. Somit ✓ ✓ ◆◆ nk n lim k! = 1. n!1 k Mit Lemma 2.6.8 ✓ ◆ n lim sup k! an k n!1 Weiter gilt 1 n ✓ ✓ ◆◆ n1 1 1 n lim k! lim sup |an | n = lim sup |an | n . n!1 k n!1 n!1 ✓ ◆ n lim sup |an | lim sup k! an k n!1 n!1 1 n 1 n . 268 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Damit erhalten wir ✓ ◆ n lim sup k! an k n!1 1 n ✓ ✓ ◆◆ n1 1 1 n = lim k! lim sup |an | n = lim sup |an | n . n!1 k n!1 n!1 Wegen (i) konvergiert die Folge fn (x) = n X n2N x0 )j aj (x j=0 auf jedem beschränkten, abgeschlossenen Intervall, das im Konvergenzintervall enthalten ist, gleichmäßig gegen f . Die Folge fn0 (x) = n X x0 )j jaj (x n2N 1 j=1 konvergiert ebenfalls wegen (i) auf jedem beschränkten, abgeschlossenen Intervall, das im Konvergenzintervall enthalten ist, gleichmäßig gegen die Funktion 1 X jaj (x x0 )j 1 . j=1 Nach Satz 5.17.2 folgt, dass auf solchen Intervallen 0 f (x) = 1 X jaj (x x0 )j 1 j=1 gilt. Da dies für alle beschränkten, abgeschlossenen Intervalle gilt, die im Konvergenzintervall enthalten sind, gilt dies für das gesamte Konvergenzintervall. 2 P Satz 5.18.3 (i) Es sei f (x) = 1 x0 )n eine Potenzreihe mit einem Konn=0 an (x vergenzradius R, 0 < R 1. Dann gilt für alle n = 0, 1, 2, . . . f (n) (x0 ) . n! P P1 n n (ii) Falls die Potenzreihen 1 n=0 an (x x0 ) und n=0 bn (x x0 ) Konvergenzradien besitzen, die von 0 verschieden sind und in einem Intervall (x0 r, x0 + r), 0 < r, dieselben Funktionswerte besitzen, d.h. falls für alle x 2 (x0 r, x0 + r) an = 1 X an (x n=0 n x0 ) = 1 X n=0 dann gilt für alle n = 0, 1, 2, . . . an = bn . bn (x x0 )n , 5.18. POTENZREIHEN 269 Der Satz sagt aus, dass die Taylorreihe einer Potenzreihe die Potenzreihe selbst ist. Beweis. (i) folgt sofort aus Satz 5.18.2: ✓ ◆ 1 X n (k) f (x) = k! an (x k n=k Deshalb erhalten wir x0 )n k . ✓ ◆ k f (x0 ) = k! ak = k!ak . k k (ii) Für alle x 2 (x0 r, x0 + r) gilt 1 X (an bn )(x x0 )n = 0. n=0 Für x = x0 erhalten wir hieraus, dass a0 = b0 . Nun di↵erenzieren wir k-mal und erhalten mit Satz 5.18.2, dass für alle x 2 (x0 r, x0 + r) ✓ ◆ 1 X n k! (an bn )(x x0 )n k = 0 k n=k gilt. Für x = x0 erhalten wir ak = bk . 2 Es gibt C 1 -Funktionen, die in keinem Punkt in eine Potenzreihe entwickelbar sind [61]. Es sei ( 1 1 e x2 e (x 1)2 für 0 < x < 1 (x) = 0 sonst Beispiel 5.18.3 Die Funktion (x) = 1 X 1 (2k (x k! [x])) k=1 ist überall unendlich oft di↵erenzierbar, aber nirgends analytisch. Beweis. Wir setzen für j = 1, 2, . . . j (x) = 1 (2j (x j! [x])). j ist für alle j 2 N unendlich oft di↵erenzierbar. Es gibt für alle k 2 N eine Konstante C, so dass für alle x 2 R 1 X (k) | j (x)| C j=1 Hiermit und mit Satz 5.17.2 folgt, dass unendlich oft di↵erenzierbar ist. Wir zeigen, dass in den Punkten nm o |n 2 N, m 2 Z, m ungerade 2n ist in R dicht und in keinem Punkt in eine Taylorreihe zu entwickeln. 2 270 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Beispiel 5.18.4 Es gibt auf R eine wachsende, unendlich oft di↵erenzierbare Funktion, die nirgendwo analytisch ist. Beweis. Die Stammfunktion von sie ist nirgendwo analytisch. 2 (Beispiel 5.18.3) ist monoton wachsend, weil Lemma 5.18.2 (Grenzwertsatz P1 vonn Abel) Die Potenzreihe Konvergenzradius R und n=0 an R konvergiere. Dann gilt lim x!R 1 X 1 X n an x = n=0 P1 n=0 positiv ist und an xn besitze den an Rn n=0 Beweis. Wir können annehemn, dass R = 1. Mit dem Produktsatz von Cauchy (Lemma 2.7.11) folgt 1 1 Also gilt x 1 X an xn = n=0 1 X xn n=0 1 X n=0 1 X an x = (1 n=0 an (1 x) n=0 = (1 n=0 x) = (1 x) = (1 x) n=0 1 X k=0 1 X an n=0 an x = (1 n=0 x) N X n=0 ! xn ak ! (1 x) 1 X (a0 + · · · + an )xn n=0 ! ak k=n+1 Wir wählen N so groß, dass für alle n Es gilt n ak k=0 1 X 1 X n=0 1 X 1 X (a0 + · · · + an )xn 1 1 X X n=0 1 X n=0 n=0 1 X an xn = 1 X (a0 + · · · + an )xn . 1 X x) (a0 + · · · + an )xn . n n=0 an an xn = n=0 Hiermit folgt für alle x mit |x| < 1 1 X 1 X (a0 + · · · + an ) xn xn . N die Ungleichung | 1 X ak k=n+1 ! ! n x + (1 x) P1 k=n+1 1 X n=N +1 ak | < ✏ gilt. 1 X k=n+1 ak ! Es folgt für alle x mit 0 < x < 1 1 X n=0 an 1 X n=0 n an x (1 = (1 x) N 1 X X n ak x + ✏(1 x) n=0 k=n+1 x) N X 1 X n=0 k=n+1 1 X n=N +1 ak xn + ✏xN +1 xn xn 5.19. RATIONALE, IRRATIONALE, ALGEBRAISCHE UND TRANSZENDENTE ZAHLEN271 Wegen |x| < 1 folgt weiter 1 X n=0 P1 an 1 X n an x n=0 (1 x) N 1 X X ak + ✏. n=0 k=n+1 P Da die Reihe n=0 an konvergiert, ist die Folge { 1 n=k an }k2N beschränkt. Also gibt es eine Konstante C mit 1 X an n=0 n=0 Deshalb gilt für alle x mit x > 1 1 X n=0 2 5.19 1 X an xn (1 x)C + ✏. ✏ C an 1 X n=0 an xn 2✏. Rationale, irrationale, algebraische und transzendente Zahlen Eine Zahl heißt rational, falls sie Quotient zweier ganzer Zahlen ist, sie heißt irrational, falls sie nicht rational ist. Definition 5.19.1 Eine reelle Zahl heißt algebraisch, falls sie Nullstelle eines Polynoms ist, das nur ganze Zahlen als Koeffizienten hat. Eine Zahl heißt transzendent, falls sie nicht algebraisch ist. Definition 5.19.2 Der Grad einer algebraischen Zahl ist der kleinste Grad eines Polynoms mit ganzzahligen Koeffizienten, das diese Zahl zur Nullstelle hat. O↵enbar ist jede rationale Zahl algebraisch. Zu einer rationalen Zahl pq wählen wir das Polynom p qx. Die Zahl pq ist Nullstelle des Polynoms p qx. Jede transzendente Zahl irrational. Andererseits p gibt es irrationale Zahlen, die nichtptranszendent sind. Ein Beispiel hierfür ist 2. Wir haben bereits gesehen, p dass 2 nicht rational ist (Satz 2.0.1). 2 ist aber Nullstelle des Polynoms x2 2 p und damit ist 2 algebraisch. Genauso findet man, dass jede Quadratwurzel einer natürlichen Zahl algebraisch ist. Bei der Einführung der reellen Zahlen hatten wir gezeigt, dass eine reelle Zahl genau dann rational ist, wenn ihre Dezimalbruchdarstellung letztendlich periodisch ist. Mit dieser Beobachtung kann man leicht irrationale Zahlen angeben. So ist 272 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG die Zahl, deren n2 -te Koeffizienten ihrer Dezimalbruchentwicklung gleich 1 sind und deren übrige Koeffizienten gleich 0 sind, irrational, weil die Dezimalbruchdarstellung nicht letztendlich periodisch ist (Beispiel 2.10.1). Euler zeigte 1737, dass e eine irrationale Zahl ist. Lambert zeigte ca. 1770, dass x e und tan x irrational sind, falls x eine rationale Zahl ist, die von 0 verschieden ist. Hieraus folgt, dass ⇡ eine irrationale Zahl sein muss, weil arctan( ⇡4 ) = 1. 1873 zeigte Hermite, dass e transzendent ist. Lindemann zeigte 1882, dass ⇡ transzendent ist. Man konnte bisher nicht beweisen, dass die Eulersche Zahl irrational ist. Auch ist nicht bekannt, ob ⇡e irrational ist oder nicht. Wichtig sind Darstellungen für Zahlen, wenn man mit ihnen rechnen will. Wir hatten e als Limes eingeführt ✓ ◆n 1 e = lim 1 + . n!1 n Als weitere Darstellung für die Zahl e haben wir 1 X 1 e= n! n=0 gefunden. Diese Reihe konvergiert schnell und man kann leicht die Dezimalbruchdarstellung mit vorgegebener Genauigkeit ausrechnen. Für die Zahl ⇡ hatten wir die Leibniz Reihe (5.13) angegeben ⇡ =1 4 1 3 + 1 5 1 7 + 1 9 ··· Diese Reihe konvergiert allerdings sehr langsam. Die Formel von Wallis (Satz 5.11.1) ist 1 ⇡ Y 4k 2 = . 2 k=1 4k 2 1 Die Formel von Vieta ist (Beispiel 5.11.1) v s r s r u r u 2 1 1 1 1 t1 1 1 1 1 = + + + ······ ⇡ 2 2 2 2 2 2 2 2 2 Satz 5.19.1 e ist irrational. Beweis. Wir nehmen an, dass e rational ist, es gibt also p, q 2 N mit e = pq . Es gilt nach dem Satz von Taylor (Satz 5.16.1) für alle n 2 N, x 2 R und x0 2 R x e = n X ex0 k=0 k! (x x0 )k + Rn (x, x0 ). 5.19. RATIONALE, IRRATIONALE, ALGEBRAISCHE UND TRANSZENDENTE ZAHLEN273 Wir verwenden die Lagrange Form des Restglieds (Satz 5.16.2). Für alle n 2 N, x 2 R und x0 2 R existiert ein ⇥ 2 (0, 1) mit Rn (x, x0 ) = 1 ex0 +⇥(x (n + 1)! x0 ) x0 )n+1 . (x Für x = 1 und x0 = 0 folgt, dass für alle n ein ⇥ 2 (0, 1) existiert, so dass n X 1 e⇥ e= + k! (n + 1)! k=0 gilt. Weil e⇥ (n+1)! > 0, folgt, dass für alle n 2 N ein ⇥ 2 (0, 1) mit n X 1 e⇥ e = < k! (n + 1)! (n + 1)! k=0 e⇥ p 0< = (n + 1)! q existiert. Deshalb gilt für alle n 2 N p 0< q n X 1 e < . k! (n + 1)! k=0 Wir wählen nun n = q + 1. Damit p 0< q q+1 X 1 e < k! (q + 2)! k=0 und somit 0 < (q + 1)(q 1)!p q+1 X (q + 1)! k=0 Dies kann nicht sein, weil (q + 1)(q 1)!p k! < e . q+2 q+1 X (q + 1)! k=0 k! eine ganze Zahl ist, die strikt größer als 0 und strikt kleiner als e gilt q+2 3e < 1. 2 e q+2 ist. Da q 2 N, Satz 5.19.2 ⇡ ist irrational. Beweis. [80] Wir nehmen an, dass ⇡ rational ist, dass also p, q 2 N mit ⇡ = existieren. Wir wählen n 2 N so groß, dass ⇡ n+1 pn < 1. n! p q 274 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Dass dies möglich ist, folgt z.B. aus der Formel von Stirling. Es seien fn : R ! R für alle x 2 R durch xn (p qx)n fn (x) = n! gegeben und Fn : R ! R durch Fn = fn fn(2) + fn(4) ··· + ( 1)n fn(2n) n X = ( 1)j fn(2j) . j=0 Wir wollen nun zeigen, dass (5.14) Fn (0) und Fn (⇡) ganze Zahlen sind. Dazu zeigen wir, dass für alle j = 0, 1, . . . , 2n fn(j) (0) 2 Z. Es gilt fn (x) = xn (p qx)n n ✓ ◆ xn X n k = p ( qx)n n! k=0 k k n! n ✓ ◆ 1 X n = ( 1)n k pk q n k x2n k . n! k=0 k Für j = 0, 1, . . . , n 1 erhalten wir n ✓ ◆ 1 X n (j) fn (x) = ( 1)n k pk q n k ((2n n! k=0 k k)(2n k 1) · · · (2n k j + 1))x2n k j j + 1))x2n k j (j) und es folgt sofort fn (0) = 0. Für j = n, . . . , 2n gilt fn(j) (x) = ✓ ◆ n 1 X n ( 1)n k pk q n k ((2n n! k=2n j k k)(2n k 1) · · · (2n k Wenn wir x = 0 einsetzen, bleibt nur der Summand für k = 2n anderen sind 0. Wir erhalten also ✓ ◆ j! n (j) fn (0) = ( 1)j n p2n j q j n . n! 2n j j übrig, alle Dies ist eine ganze Zahl, weil j n. Also ist auch Fn (0) eine ganze Zahl. Nun zeigen wir, dass Fn (⇡) = Fn ( pq ) eine ganze Zahl ist. Dazu überlegen wir uns, dass für alle x 2 R (5.15) fn (x) = fn ( pq x) 5.19. RATIONALE, IRRATIONALE, ALGEBRAISCHE UND TRANSZENDENTE ZAHLEN275 gilt. In der Tat fn ( pq x) = ( pq q( pq x)n (p x))n = ( pq x)n (qx))n n! n! Aus (5.15) erhalten wir für alle x 2 R und alle j = 0, 1, . . . , 2n fn(j) ( pq = fn (x). x) = ( 1)j fn(j) (x) (j) (j) und damit, dass fn ( pq ) = ( 1)j fn (0) 2 Z. Schließlich erhalten wir Fn ( pq ) 2 Z. Nun zeigen wir, dass d (F 0 (x) sin x Fn (x) cos x) = Fn00 (x) sin x + Fn (x) sin x = fn (x) sin x. dx n Wir müssen hierzu zeigen, dass Fn00 + Fn = fn gilt. Es gilt (5.16) Fn00 + Fn n n X X k (2k+2) = ( 1) fn + ( 1)k fn(2k) k=0 k=0 n+1 n X X k 1 (2k) = ( 1) fn + ( 1)k fn(2k) = fn + ( 1)n fn(2n+2) . k=1 Da (2n+2) fn k=0 =0 Fn00 + Fn = fn . Mit dem Hauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung und (5.16) Z ⇡ ⇡ (5.17) fn (x) sin xdx = [Fn0 (x) sin x Fn (x) cos x]0 = Fn (⇡) Fn (0). 0 Andererseits gilt für alle x 2 (0, ⇡) ⇡ n pn . n! Die linke Ungleichung gilt, weil sin auf (0, ⇡) strikt positiv ist und weil ⇡ = pq und fn auf (0, pq ) strikt positiv ist. Wir weisen die rechte Ungleichung nach. Wegen 0 < x < ⇡ = pq gelten xn ⇡ n und (p qx)n pn . Deshalb 0 < fn (x) sin x ⇡ n pn . n! n! Da fn · sin eine stetige Funktion ist, die auf dem Integrationsintervall mit Ausnahme der Intervallendpunkte strikt positiv ist, folgt Z ⇡ ⇡ n+1 pn 0< fn (x) sin xdx . n! 0 fn (x) = xn (p qx)n Mit (5.17) ⇡ n+1 pn < 1. n! Fn (0) nach (5.14) eine ganze Zahl ist. 2 0 < Fn (⇡) + Fn (0) Dies kann nicht sein, weil Fn (⇡) Cantor bewies 1874, dass die meisten Zahlen transzendent sind. 276 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Satz 5.19.3 (i) Die Menge der rationalen Zahlen und die Menge der algebraischen Zahlen sind abzählbar. (ii) Die Menge der irrationalen Zahlen und die Menge der transzendenten Zahlen haben die Mächtigkeit der reellen Zahlen. Lemma 5.19.1 [4] Für jede algebraische Zahl x mit Grad n > 1 existiert eine Zahl c > 0, so dass für alle p 2 Z und alle q 2 N p c > n q q x gilt. Beweis. Es sei P ein irreduzibles Polynom mit P (x) = 0. Aus dem Mittelwertsatz folgt P ( pq ) = P (x) P ( pq ) = (x pq )P 0 (⇠). Man kann annehmen, dass |x pq | < 1, sonst wäre das Ergebnis trivialerweise richtig. Wegen ⇠ 2 [x, pq ], folgt weiter |⇠| < 1 + |x|. Hiermit folgt 1 |P 0 (⇠)| < . c Deshalb erhalten wir |x p | q > c|P ( pq )|. Da P irreduzibel ist, gilt P ( pq ) 6= 0 und q n P ( pq ) ist eine ganze Zahl, die dem Absolutbetrag nach größer oder gleich 1 ist. 2 Satz 5.19.4 Die Zahl x= 1 X 10 k! k=1 ist transzendent. Beweis. Wir wählen pj = 10j! j X 10 k! qj = 10j! . und k=1 Dann gilt x 2 1 X pj = 10 qj k=j+1 k! < 10 (j+1)! 1 X k=0 10 k! = 10 j q 9 j 1 < qj j . 5.19. RATIONALE, IRRATIONALE, ALGEBRAISCHE UND TRANSZENDENTE ZAHLEN277 Unter Quadratur des Kreise versteht man die folgende Aufgabe. Zu einem gegebenen Kreis soll man nur mit Zirkel und Lineal ein Quadrat konstruieren, das denselben Flächeninhalt wie der Kreis hat. Wenn wir annehmen, dass der Kreis den Radius 1 hat, dann bedeutet diese Aufgabe, dass man p zu einem gegebenen Geradenstück der Länge 1 ein Geradenstück der Länge ⇡ konstruiert. Diese Konstruktion soll nur mit Zirkel und Lineal durchgeführt werden. Man kann zeigen, dass eine Konstruktion mit Zirkel und Lineal auf ein Geradenstück mit einer Länge führt, die eine algebraische Zahl ist, wenn man von einem Geradenstück der Länge 1 ausgeht. Ein Beispiel hierfür ist die p Konstruktion der Länge 2, wobei man von der Länge 1 ausgeht.pMan konstruiert ein Quadrat mit der Seitenlänge 1. Die Diagonale hat die Länge 2. p Hat man mit den Seitp die Länge 2 konstruiert, dann kann man das Rechteck p enlängen 2 und 1 konstruieren. Die Diagonale hat die Länge 3. p p Weil ⇡ und damit ⇡ transzendent ist, kann man kein Streckenstück der Länge ⇡ konstruieren. Satz 5.19.5 Die Quadratur des Kreises ist nicht möglich. 278 CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG Chapter 6 Funktionen mehrerer reeller Variablen 6.1 Zusammenhängende Mengen im Rn Die Verbindungsstrecke [x, y] zwischen zwei Punkten x, y 2 Rn ist die Menge {z|9t 2 [0, 1] : z = tx + (1 t)y} Eine Teilmenge M des Rn heißt polygonzusammenhängend, falls es für alle x, y 2 M endlich viele Punkte x1 , . . . , xm 2 M gibt, so dass x = x1 , y = xm und P= m [1 i=1 [xi , xi+1 ] ✓ M gilt. Man nennt P einen Polygonzug und sagt, dass x und y durch einen Polygonzug verbunden werden können. M heißt bogenzusammenhängend, falls für alle x, y 2 M eine stetige Funktion f : [0, 1] ! Rn existiert, so dass f (0) = x, f (1) = y und f ([0, 1]) ✓ M gelten. Eine Teilmenge M eines metrischen Raumes (X, d) heißt nicht zusammenhängend, falls es zwei o↵ene Mengen U und V von X mit M \ U 6= ; M \ V 6= ; (M \ U) [ (M \ V) = M (M \ U) \ (M \ V) = ; gibt. Eine Menge M ist also zusammenhängend, wenn man solche Mengen U und V nicht finden kann. Satz 6.1.1 Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) metrische Räume und f : X ! Y eine stetige Funktion mit f (X) = Y . Falls X eine zusammenhängende Menge ist, dann ist auch Y eine zusammenhängende Menge. 279 280 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Beweis. Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) metrische Räume und f : X ! Y eine stetige Funktion. Wir zeigen, dass X nicht zusammenhängend ist, falls Y nicht zusammenhängend ist. Falls Y nicht zusammenhängend ist, dann gibt es zwei nichtleere, o↵ene Mengen A und B mit A\B =; A[B =Y Da f stetig ist, sind auch f 1 (A) und f f 1 f 1 1 (B) o↵en. Wegen A \ B = ; folgt (A) \ f 1 (A) [ f 1 (B) = ; und wegen A [ B = Y gilt (B) = X Also ist X nicht zusammenhängend. 2 Beispiel 6.1.1 (i) R ist zusammenhängend. (ii) [0, 1] ist zusammenhängend. Beweis. (i) Wir nehmen an, dass R nicht zusammenhängend ist. Dann gibt es zwei o↵ene, nichtleere Mengen A und B mit A[B =R A\B =; Wir können annehmen, dass es ein a0 2 A und ein b0 2 B mit a0 < b0 gibt. Wir betrachten c = sup{a 2 A|a < b0 } Dann gilt c 2 / A. Falls nämlich c 2 A, dann gäbe es eine Umgebung von c, die ganz in A liegt und c kann nicht das Supremum sein. Wegen c 2 / A folgt c 2 B. Da B o↵en ist, muss eine ganze Umgebung von c in B enthalten sein. Also kann c nicht Supremum sein. (ii) [0, 1] ist das stetige Bild von R, z.B. ist [0, 1] das Bild der stetigen Abbildung |sin|. 2 Satz 6.1.2 Es sei M eine Teilmenge des Rn . (i) Falls M polygonzusammenhängend ist, so ist M auch bogenzusammenhängend. (ii) Falls M bogenzusammenhängend ist, so ist M auch zusammenhängend. Beweis. (i) Ein Polygonzug ist der Graph einer stetigen Funktion. (ii) Da M bogenzusammenhängend ist, gibt es für alle x, y 2 M einen Weg : [0, 1] ! Rn mit (0) = x (1) = y ([0, 1]) ✓ M Wir nehmen an, dass M nicht zusammenhängend ist. Es gibt also o↵ene Mengen A und B mit A\B\M =; M ✓A[B A \ M 6= ; B \ M 6= ; 6.1. ZUSAMMENHÄNGENDE MENGEN IM RN 281 Wir wählen nun x 2 A \ M und y 2 B \ M . Es gibt einen Weg , der die beiden Punkte verbindet. Die Menge ([0, 1]) ist das stetige Bild einer zusammenhängenden Menge also selbst zusammenhängend. Andererseits gelten A \ ([0, 1]) 6= ; A \ B \ ([0, 1]) = ; Also ist B \ ([0, 1]) 6= ; A \ ([0, 1])) [ (B \ ([0, 1])) = ([0, 1]) ([0, 1]) nicht zusammenhängend, was ein Widerspruch ist. 2 Satz 6.1.3 Es sei M eine o↵ene Teilmenge vom Rn . Dann sind äquivalent: (i) M ist zusammenhängend. (ii) M ist bogenzusammenhängend. (iii) M ist polygonzusammenhängend. Beweis. Die Implikationen (iii) ) (ii) ) (i) folgen aus Satz 6.1.2. (i) ) (iii): Wir wählen einen beliebigen Punkt x0 2 M . Es sei Mx0 die Menge aller Punkte, die mit x0 durch einen Polygonzug verbunden werden können. Falls M = Mx0 , dann ist M polygonzusammenhängend. Wir betrachten nun den Fall, dass Mx0 6= M . Wir zeigen, dass Mx0 o↵en ist. Dazu müssen wir zeigen, dass wir zu jedem x 2 Mx0 eine Umgebung finden, die ganz in Mx0 liegt. Zu x 2 Mx0 wählen wir eine o↵ene Kugel B(x, ✏), die ganz in M liegt und deren Mittelpunkt x ist. Es sei N [ [x` 1 , x` ] `=1 ein Polygonzug, der x0 und x verbindet und der in M liegt. Weiter sei y 2 B(x, ✏). Dann ist N [ [x` 1 , x` ] [ [x, y] `=1 ein Polygonzug, der x0 mit y verbindet und der in M liegt. Ebenso zeigen wir, dass die Menge Nx0 aller x 2 M , die man nicht mit x0 durch einen Polygonzug verbinden kann, o↵en ist. Wir betrachten einen Punkt y dieser Menge und eine Kugel B(y, ✏) mit Mittelpunkt y, die ganz in M liegt. Dann müssen alle Elemente dieser Kugel ebenfalls in Nx0 liegen. Falls nicht, so gibt es ein x 2 Mx0 , das in der Kugel B(y, ✏) liegt und damit einen Polygonzug N [ [y` 1 , y` ] `=1 der x mit x0 verbindet (y0 = x0 und yN = x). Diesen Polygonzug können wir bis y verlängern: N [ [y` 1 , y` ] [ [x, y]. `=1 282 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Somit liegt y in Mx0 , was falsch ist. Also gibt es zwei o↵ene Teilmengen Mx0 und Nx0 , die disjunkt sind und deren Vereinigung gleich M ist. Damit ist M nicht zusammenhängend. 2 Eine Menge, die o↵en und zusammenhängend ist, heißt Gebiet. Beispiel 6.1.2 (i) Die Teilmenge {(x, y)|x2 + y 2 = 1} des R2 ist bogenzusammenhängend, aber nicht polygonzusammenhängend. (ii) Die Teilmenge {(x, y)|x = 0, y 2 R} [ {(x, y)|x 2 (0, 1] und y = sin x1 } des R2 ist zusammenhängend, aber nicht bogenzusammenhängend. Beweis. (ii) Wir bezeichnen L = {(0, y)|y 2 R} S = (x, y)|y = sin x1 und x 2 (0, 1] Wir nehmen an, dass M = L [ S nicht zusammenhängend ist. Dann gibt es o↵ene Teilmengen A und B mit A\B\M =; A[B ◆M A \ M 6= ; B \ M 6= ; Wir betrachten zunächst den Fall A\M =L B\M =S Da A o↵en ist, gibt es ein ✏ > 0, so dass B((0, 0), ✏) ✓ A Hieraus folgt B((0, 0), ✏) \ M ✓ A \ M = L 1 Andererseits gilt für alle n 2 N, dass ( 2⇡n , 0) 2 S. Wir können n hinreichend groß wählen, so dass ( 1 , 0) 2 B((0, 0), ✏) 2⇡n Das ist ein Widerspruch. Wir wenden uns nun dem Fall zu, dass A \ M 6= L B \ M 6= S Dann muss einer der folgenden Fälle gelten. A \ L 6= ; und B \ L 6= ; A \ S 6= ; und B \ S 6= ; oder Deshalb ist L oder S nicht zusammenhängend. Dies ist aber falsch. Wir zeigen nun, dass M nicht bogenzusammenhängend ist. Wir nehmen an, dass M bogenzusammenhängend ist. Insbesondere gibt es eine stetige Funktion : [0, 1] ! M mit (0) = (0, 0) und (1) = (1, sin 1). Dann sind die beiden Koordinatenfunktionen 1 und 2 von stetig. Es gilt 1 (0) = 0 und 1 (1) = 1. Da 1 stetig ist, nimmt 1 nach dem Zwischenwertsatz alle Werte 6.1. ZUSAMMENHÄNGENDE MENGEN IM RN 283 1 des Intervalls [0, 1] an. Also gibt es Zahlen tk 2 [0, 1] mit 1 (tk ) = 2⇡k , k 2 N. Da tk , k 2 N, eine beschränkte Folge ist, gibt es eine Teilfolge tki , i 2 N, die in [0, 1] konvergiert also t0 = lim tki i!1 Es folgt lim (tki ) = lim ( i!1 Da 1 stetig ist und si 2 (tki , tki+1 ) mit i!1 1 (tki ), 2 (tki )) = lim i!1 ✓ ◆ 1 , 0 = (0, 0) 2⇡ki 1 1 1 (tki ) = 2⇡ki und 1 (tki+1 ) = 2⇡ki+1 , gibt es nach dem 1 1 (si ) = ⇡(2ki + 1 ) . Die Folge si , i 2 N, konvergiert und 2 lim (si ) = lim i!1 i!1 ✓ 1 ⇡(2ki + 12 ) Zwischenwertsatz ein ◆ , 1 = (0, 1) Dies ist ein Widerspruch, weil limi!1 (si ) = limi!1 (tki ). 2 Beispiel 6.1.3 [107] Es seien a, b 2 R mit a, b > 0 und a0 = a, b0 = b an+1 = p an bn bn+1 = an + bn 2 2 für n = 0, 1, 2, . . . . Zeige: Die Folge {(an , bn )}1 n=0 konvergiert in R gegen den Punkt (agm, agm) wobei ! 1 Z ⇡2 ⇡ 1 p agm = dt . 2 0 a2 cos2 t + b2 sin2 t Man nennt agm das arithmetisch-geometrische Mittel von a und b. Beweis. Es reicht zu zeigen, p dass an , n 2 N, und bn , n 2 N, in R gegen agm konvergieren. Für alle s, t 0 gilt st s+t 2 . Wir zeigen, dass für alle n = 1, 2, . . . an bn bn+1 bn p gelten. Die Ungleichung an bn folgt sofort aus der Ungleichung st Ungleichung an bn an+1 = p an bn an an+1 p a2n = an bn+1 = s+t 2 . Weiter folgt aus der an + bn bn 2 Hieraus folgt, dass an , n 2 N eine beschränkte, monoton wachsende Folge ist, also eine konvergente Folge ist. bn , n 2 N, ist eine beschränkte, monoton fallende Folge, also konvergent. Wir zeigen, dass die Grenzwerte gleich sind. lim bn+1 = lim n!1 n!1 an + bn 1 1 = lim an + lim bn 2 2 n!1 2 n!1 Also gilt lim an = lim bn n!1 n!1 Damit konvergiert die Folge (an , bn ), n 2 N, in R2 . Wir weisen jetzt nach, dass der Grenzwert (agm, agm ist. Dazu weisen wir zunächst nach, dass Z 0 gilt. ⇡ 2 1 p dt = 2 2 a cos t + b2 sin2 t Z 0 ⇡ 2 1 q dt a+b 2 ( 2 ) cos2 t + ab sin2 t 284 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Es gilt Z 0 ⇡ R⇡ 1 1 p d⇥ = 0 p (c+d)2 2cd(1 c2 + 2cd cos ⇥ + d2 R⇡ 1 = 0 p 2 4cd sin2 (c+d) Mit der Transformation = ⇥ 2 erhalten wir Z ⇡ 1 p d⇥ 2 + 2cd cos ⇥ + d2 c 0 =2 =2 R ⇡ 2 0 R ⇡ 2 0 ⇥ 2 1 (c+d)2 4cd sin2 p d⇥ d⇥ d 1 (c+d)2 cos2 +(c d)2 sin2 p Andererseits gilt für c > d Z ⇡ Z ⇡2 1 p q d⇥ = 2 c2 + 2cd cos ⇥ + d2 0 0 c2 cos2 d 1 + (c2 d d2 ) sin2 c ψ−Θ r cos ⇥) c sin Θ Θ ψ c cos Θ Halbkreis mit Radius c Es gilt r2 = (c sin ⇥)2 + (d + c cos ⇥)2 = c2 + cd cos ⇥ + d2 c sin ⇥ ⇥+d tan = c cos r = c cos ⇥+d cos sin(⇥ )= d c sin Damit folgt d tan d⇥ und 1 cos2 = d c sin ⇥ d⇥ c cos ⇥ + d d c2 cos2 ⇥ + cd cos ⇥ + c2 sin2 ⇥ = d⇥ (c cos ⇥ + d)2 c cos ⇥ + d d c2 sin2 ⇥ = c cos ⇥ + = c cos ⇥ + c sin ⇥ tan 2 cos d⇥ c cos ⇥ + d 6.1. ZUSAMMENHÄNGENDE MENGEN IM RN Hiermit folgt Z ⇡ 0 285 c cos ⇥ + d d = c cos ⇥ cos + c sin ⇥ sin = c cos( cos d⇥ p d d c cos( ⇥) = r = c2 + 2cd cos ⇥ + d2 d⇥ d⇥ 1 p d⇥ = 2 c + 2cd cos ⇥ + d2 Z ⇡ 1 d d⇥ = ⇥) d⇥ c cos( 0 Z ⇥) ⇡ 1 c cos( 0 ⇥) d wobei ⇥ = ⇥( ). Aus der Skizze ist | ⇥| < ⇡2 und damit cos( ⇥) > 0 zu entnehmen. Deshalb ist das letzte Integral gleich Z Z 1 ⇡ 1 1 ⇡ 1 q q d = d 2 c 0 c 0 1 dc2 sin2 1 sin2 ( ⇥) Z ⇡2 1 p = 2 d 0 c2 d2 sin2 Z ⇡2 1 q = 2 d 0 (c2 d2 ) sin2 + c2 cos2 Es folgt Z 0 ⇡ 2 q (c + d)2 cos2 1 + (c Nun setzen wir a = c + d und b = c c2 Also gilt d2 = (c + d)(c Z 0 ⇡ 2 d = d)2 sin2 Z ⇡ 2 0 d. Damit gilt d) = ab c= 1 p dt = 2 2 a cos t + b2 sin2 t Z ⇡ 2 0 q (c2 1 d d2 ) sin2 (c + d) + (c 2 d) + c2 cos2 = a+b 2 1 q dt a+b 2 ( 2 ) cos2 t + ab sin2 t Hiermit können wir nun zeigen, dass die Grenzwerte von an , n 2 N, und bn , n 2 N, gleich agm sind. Mit Induktion folgt für n = 1, 2, . . . Z ⇡2 Z ⇡2 1 1 p q dt = dt 2 2 2 2 0 0 a cos t + b sin t a2n cos2 t + b2n sin2 t Es folgt weiter Z ⇡2 1 p dt = 0 a2 cos2 t + b2 sin2 t lim n!1 = Z = Z ⇡ 2 ⇡ 2 0 1 q dt a2n cos2 t + b2n sin2 t 1 lim q dt 2 2 an cos t + b2n sin2 t n!1 0 0 Z ⇡ 2 1 q dt limn!1 a2n cos2 t + limn!1 b2n sin2 t Da die Grenzwerte der Folgen gleich sind, folgt weiter Z ⇡2 Z ⇡2 1 1 1 1 ⇡ p p dt = dt = . 2 2 2 2 2 2 lim a lim a n!1 n 0 n!1 n 2 0 a cos t + b sin t cos t + sin t 286 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN 2 Zum Schluss noch ein Auszug aus dem Buch ”Einführung in die informationstheoretische Ästhetik” von M. Bense [Ben, p.88-89]. In dem Abschnitt ”Texttopologie” schreibt er: Wie die mathematische Disziplin der Topologie sich mit Mengen von Elementen, etwa Punkten, befaßt, deren Gesamtheiten als Räume bezeichnet werden, versucht die Texttopologie in entsprechender Weise von Texten als Worträumen zu sprechen, deren Elemente Wörter oder andere linguistische Elemente wie etwa Buchstaben des Alphabets oder Morpheme sind...... Die topologische Struktur eines Textes - die texttopologische Struktur - kann allgemein als das System der Umgebungen seiner Wörter und damit natürlich auch als ein System der Teilmengen des allgemeinen zugrundeliegenden Wortraumes, also des Textes aller Texte, aufgefaßt werden. Ich sagte bereits, dass Texte Zusammenhänge von Wörtern formulieren. Die Frage nach der Struktur eines Zusammenhangs ist eine ausgesprochen topologische Frage. Doch setzt der Sinn dieser Frage einen anderen, ebenso wichtigen Begri↵ der Topologie voraus, den Begri↵ der o↵enen bzw. abgeschlossenen Menge. Der Begri↵ <abgeschlossen> fungiert in der Topologie einfach als Komplement zum Begri↵ <o↵en>, aber man sollte beide nicht allzu eng mit bildlichen Vorstellungen verbinden. Vielleicht ist es gut, daran zu erinnern, daß der Begri↵ o↵ene Menge etwa in dem Sinne verwendet wird, wie man <o↵enes Meer> sagt und daran denkt, daß sich sein Horizont in einem gewissen Sinne immer weiter hinausschiebt. Jedenfalls soll der Begri↵ O↵enheit einer Menge oder eines Raumes zum Ausdruck bringen, daß noch eine Ergänzung möglich ist, die erst die Abgeschlossenheit erzeugt. Die topologische Definition des Zusammenhangs besagt nun, daß eine Menge zusammenhängend genannt werden darf, wenn sie nicht in zwei o↵ene oder, was damit gleichbedeutend wäre, in zwei abgeschlossene Teilmengen zerlegbar ist. Überträgt man diesen Aspekt auf Texte, so muß von zwei Wörtern oder sprachlichen Ausdrücken, die einen Text bilden sollen, der eine Teil als o↵en bezeichnet werden können und der der andere als abgeschlossen, damit von einem Zusammenhang die Rede sein kann. Daß das möglich ist, erkennt man am Beispiel eines elementaren Satzes wie <Das Meer ist grün>. Der Subjektteil des Satzes,<Das Meer>, kannn als abgeschlossener Ausdruck angesehen werden; er ist keiner Ergänzung bedürftig, um sinnvoll zu sein; er hat eine klaren Objektbezug. Der Prädikatteil des Satzes hingegen <ist grün> muß als o↵ener Ausdruck betrachtet werden; der Logiker Frege bezeichnete das Prädikat als <ungesättigten Ausdruck>; tatsächlich fungiert ein Prädikat erst im Hinblick auf das Subjekt sinnvoll. Der Satz <Das Meer is grün> bildet daher im texttopologischen Sinne einen Zusammenhang, weil er nicht in zwei o↵ene oder abgeschlossene Teilmengen zerlegbar ist, sondern in eine abgeschlossene und in eine o↵ene. 6.2. RICHTUNGSSTETIGKEIT, RICHTUNGSABLEITUNG UND PARTIELLE ABLEITUNGEN287 6.2 Richtungsstetigkeit, Richtungsableitung und Partielle Ableitungen Eine Richtung im Rn ist durch einen Vektor ⇠ 2 Rn mit k⇠k2 = n X i=1 |⇠i |2 ! 12 =1 gegeben. Definition 6.2.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge vom Rn . Eine Funktion f : U ! R heißt in x0 2 U in Richtung ⇠ stetig, falls es ein ⌘ > 0 gibt, so dass die Funktion g : ( ⌘, ⌘) ! R mit g(t) = f (x0 + t⇠) in 0 stetig ist. gilt Äquivalent kann man sagen: Für alle reelle Folgen hk , k 2 N, mit limk!1 hk = 0 lim f (x0 + hk ⇠) = f (x0 ). k!1 Falls f in x0 stetig ist, so ist f auch in jede Richtung stetig. Die Umkehrung gilt nicht, wie das erste Beispiel belegt. Beispiel 6.2.1 Es sei f : R2 ! R durch ( 1 f (x, y) = 0 falls y = x2 und x > 0 sonst gegeben. f ist in (0, 0) nicht stetig, aber f ist in (0, 0) in jede Richtung stetig. Beweis. Für die Folge ( k1 , k12 ), k 2 N, gilt f ( k1 , k12 ) = 1. Es folgt lim f ( k1 , k12 ) = 1 6= 0 = f (0, 0). k!1 Damit ist f in (0, 0) nicht stetig. 2 Definition 6.2.2 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn . Eine Funktion f : U ! R heißt in x0 2 U in Richtung ⇠ di↵erenzierbar, falls @f f (x0 + h⇠) (x0 ) = lim h!0 @⇠ h f (x0 ) existiert. Wir nennen diesen Wert die Richtungsableitung von f in Richtung ⇠. 288 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Es seien ei = (0, . . . , 0, 1, 0 . . . , 0) i = 1, . . . , n die Einheitsvektoren. Die Richtungsableitung von f in Richtung ei wird als die i-te partielle Ableitung bezeichnet und mit @f (x0 ) @xi i = 1, . . . , n notiert. Dies ist also gleich der Ableitung der Funktion g : (x0 (i) ⌘, x0 (i) + ⌘) ! R mit g(t) = f (x0 (1), . . . , x0 (i 1), t, x0 (i + 1), . . . , x0 (n)) im Punkt t = x0 (i). Beispiel 6.2.2 (i) Es sei f : R2 ! R mit f (x, y) = exy . Dann gilt @f = yexy @x @f = xexy @y (ii) Es sei f : R2 ! R mit f (x, y) = sin(xy). Dann gilt @f = y cos(xy) @x @f = x cos(xy) @y sin(xy) 1 0.5 2 0 1 -0.5 -1 -2 0 -1 -1 0 1 2 -2 (iii) Es sei f : R2 ! R mit f (x, y) = x2 y 3 . Dann gilt @f = 2xy 3 @x @f = 3x2 y 2 @y 6.3. DIFFERENZIERBARKEIT IM RN (iv) Es sei f : R2 ! R mit f (x, y) = ( 1 0 289 falls x = 0 oder y = 0 sonst Dann ist f nicht in (0, 0) stetig, aber die partiellen Ableitungen existieren in (0, 0) und es gelten @f (0, 0) = 0 @x @f (0, 0) = 0. @y und Beweis. (iv) Wir zeigen, dass f nicht in (0, 0) stetig ist. Es gelten f (0, 0) = 1 und lim f ( k1 , k1 ) = 0. k!1 2 Es sei U eine o↵ene Teilmenge vom Rn und x0 2 U. Die Funktion f : U ! R sei in x0 partiell di↵erenzierbar, d.h. die partiellen Ableitungen existieren. Der Vektor ✓ ◆ @f @f grad f (x0 ) = (x0 ), . . . , (x0 ) @x1 @xn heißt Gradient von f . Wir schreiben auch rf (x0 ) für grad f (x0 ). Der Ausdruck r wird Nabla genannt, weil er die Form eines harfenähnlichen jüdischen Saiteninstrumentes hat. 6.3 Di↵erenzierbarkeit im Rn Wir führen hier die Di↵erenzierbarkeit von Funktionen mehrerer Veränderlicher ein. Dabei zeigen wir, dass sich die Ableitung einer Funktion die Matrix ihrer partiellen Ableitungen ist. Eine wichtige Frage ist, wie man leicht nachweist, dass eine gegebene Funktion di↵erenzierbar ist. Satz 6.3.4 stellt sicher, dass eine Funktion di↵erenzierbar ist, wenn ihre partiellen Ableitungen stetig sind. Definition 6.3.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und x0 2 U. Eine Funktion f : U ! R heißt di↵erenzierbar (oder auch total di↵erenzierbar) in x0 , falls es eine lineare Abbildung T : Rn ! R gibt, so dass (6.1) lim f (x0 + h) h!0 f (x0 ) khk Th =0 gilt. Die lineare Abbildung T heißt das Di↵erential oder auch totales Di↵erential von f . Wir schreiben für T auch df (x0 ). Die Bedingung (6.1) lässt sich auch anders schreiben: Es gibt eine lineare Abbildung T : Rn ! R, eine Umgebung V(x0 ) von x0 und eine Abbildung R : V(x0 ) ! R, so dass für alle h mit x0 + h 2 V(x0 ) f (x0 + h) f (x0 ) = T h + R(h), 290 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN und lim h!0 R(h) =0 khk gelten. Die Äquivalenz zur Definition der Di↵erenzierbarkeit ergibt sich, indem man R(h) = f (x0 + h) f (x0 ) Th wählt. Die Matrixdarstellung (T (e1 ), . . . , T (en )) von T bzgl. der Standardbasis e1 , . . . , en des Rn bezeichnen wir als die Ableitung von f im Punkt x0 . Wir schreiben dafür auch (df (x0 )(e1 ), . . . , df (x0 )(en )). Wir schreiben für die Ableitung an der Stelle x0 auch df df (x0 ) (x0 ) bzw. dx dx df und für die Funktion, die einem Punkt die Ableitung zuordnet dx . Wenn wir T in der Matrixdarstellung bzgl. der Standardbasis e1 , . . . , en betrachten, dann nimmt die Definition der Di↵erenzierbarkeit die folgende Form an: Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und x0 2 U. Eine Funktion f : U ! R heißt di↵erenzierbar in x0 , falls es einen Vektor c = (c1 , . . . , cn ) 2 Rn , eine Umgebung V(x0 ) und eine Funktion : V(x0 ) ! R gibt, so dass für alle x 2 V(x0 ) f (x) = f (x0 )+ < c, x x0 > + (x)kx x0 k und (x0 ) = lim (x) = 0 x!x0 gelten. Der Vektor c ist Ableitung von f in x0 . Als geometrische Interpretation für die Ableitung einer Funktion f : R ! R hatten wir angegeben, dass f durch eine Gerade approximiert werden kann. Für eine Funktion f : Rn ! R kann man sagen, dass der Graph von f durch eine Ebene approximiert werden kann. Satz 6.3.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und x0 2 U. Die Funktion f : U ! R sei in x0 di↵erenzierbar. Dann existieren alle partiellen Ableitungen und die Ableitung von f in x0 ist ✓ ◆ @f @f (x0 ), . . . , (x0 ) @x1 @xn Beweis. Es sei V(x0 ) eine Umgebung von x0 , so dass für alle x 2 V(x0 ) f (x) = f (x0 )+ < c, x x0 > + (x)kx x0 k gilt. Wir setzen x = x0 + hek . Dann gilt f (x0 + hek ) = f (x0 )+ < c, hek > + (x0 + hek )khek k = f (x0 ) + hck + |h| (x0 + hek ). 6.3. DIFFERENZIERBARKEIT IM RN 291 Es folgt Wegen limx!x0 f (x0 + hek ) h (x) = 0 folgt f (x0 ) @f f (x0 + hek ) (x0 ) = lim h!0 @xk h = ck + f (x0 ) |h| (x0 + hek ). h |h| (x0 + hek ) = ck . h!0 h = ck + lim ⇤ Bemerkung 6.3.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und x0 2 U. Die Funktion f : U ! R sei in x0 di↵erenzierbar. Dann ist f in jede Richtung ⇠, k⇠k2 = 1, di↵erenzierbar und die Richtungsableitung erfüllt @f (x0 ) =< rf (x0 ), ⇠ > @⇠ und @f (x0 ) krf (x0 )k2 = @⇠ n X @f (x0 ) @xi i=1 2 ! 12 . Beweis. Mit Satz 6.3.1 folgt f (x) = f (x0 )+ < rf (x0 ), x x0 > + (x)kx x0 k. Mit x = x0 + h⇠ erhalten wir f (x0 + h⇠) = f (x0 )+ < rf (x0 ), h⇠ > + (x0 + h⇠)kh⇠k = f (x0 ) + h < rf (x0 ), ⇠ > +|h| (x0 + h⇠). Es folgt f (x0 + h⇠) h Damit erhalten wir f (x0 ) =< rf (x0 ), ⇠ > + @f f (x0 + h⇠) (x0 ) = lim h!0 @⇠ h f (x0 ) |h| (x0 + h⇠). h =< rf (x0 ), ⇠ > . Die Abschätzung folgt mit der Abschätzung von Cauchy-Schwarz, @f (x0 ) = |< rf (x0 ), ⇠ >| krf (x0 )k2 k⇠k2 = krf (x0 )k2 @⇠ 2 Falls eine Funktion in einem Punkt in jede Richtung di↵erenzierbar ist, so muss sie nicht notwendig in diesem Punkt di↵erenzierbar sein. Die Funktion von Beispiel 6.2.1 ist in (0, 0) in jede Richtung di↵erenzierbar, aber nicht in (0, 0) di↵erenzierbar. 292 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Die Bemerkung zeigt, dass die Richtung ⇠= rf (x0 ) krf (x0 )k rf (x0 ) die Richtung des größten Anstiegs ist. Für ⇠ = krf gilt (x0 )k ⌧ @f rf (x0 ) (x0 ) = rf (x0 ), = krf (x0 )k @⇠ krf (x0 )k während für beliebige ⇠ @f (x0 ) krf (x0 )k @⇠ gilt. Satz 6.3.2 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei in x0 differenzierbar. Dann existiert zu jedem ✏ > 0 ein > 0, so dass für alle x 2 U mit kx x0 k2 < |f (x) f (x0 )| (krf (x0 )k2 + ✏)kx x0 k2 . Beweis. Es gilt f (x) = f (x0 )+ < rf (x0 ), x x0 > + (x)kx x0 k2 . Da limx!x0 (x) = 0 gilt, gibt es ein > 0, so dass für alle x mit kx Abschätzung | (x)| < ✏ gilt. Es ergibt sich |f (x) f (x0 )| | < rf (x0 ), x krf (x0 )k2 kx x0 k2 < die x0 > | + ✏kx x0 k2 x0 k2 + ✏kx x0 k2 . 2 Satz 6.3.3 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei in x0 differenzierbar. Dann ist f in x0 stetig. Beweis. Nach Satz 6.3.2 gibt es ein |f (x) 0, so dass für alle x mit kx f (x0 )| (krf (x0 )k2 + 1)kx x0 k2 < x0 k2 gilt. Zu gegebenem ✏ wählen wir = min Dann gilt für alle x mit kx |f (x) 2 ⇢ 0, ✏ krf (x0 )k2 + 1 . x0 k2 < f (x0 )| (krf (x0 )k2 + 1)kx x0 k2 < (krf (x0 )k2 + 1) = ✏. 0 6.3. DIFFERENZIERBARKEIT IM RN 293 Satz 6.3.4 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R. Es existiere eine Umgebung V(x0 ) mit V(x0 ) ⇢ U, so dass die partiellen Ableitungen @f : V(x0 ) ! R @xi i = 1, . . . , n existieren und in x0 stetig sind. Dann ist f in x0 di↵erenzierbar. Mit Satz 6.3.4 kann man in den meisten Fällen nachweisen, dass eine Funktion di↵erenzierbar ist. Zum richtigen Verständnis sei hier noch einmal betont: Man @f muss nachweisen, dass @x als Funktion von V(x0 ) nach R, also als Funktion von n i @f Veränderlichen in x0 stetig ist. @x wird als Funktion von n Variablen aufgefasst. i Beweis. Es sei t 2 Rn . Dann gilt f (x0 + t) = f (x0 ) +f (x0 (1) + t(1), x0 (2), . . . , x0 (n)) f (x0 ) .. . +f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k) + t(k), x0 (k + 1), . . . , x0 (n)) f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k 1) + t(k 1), x0 (k), . . . , x0 (n)) .. . f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (n) + t(n)) f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (n 1) + t(n 1), x0 (n)). Also n X f (x0 + t) = f (x0 ) + (f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k) + t(k), x0 (k + 1), . . . , x0 (n)) k=1 f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k 1) + t(k 1), x0 (k), . . . , x0 (n))) Dies nennt man eine Teleskopsumme. Wir wenden nun den Mittelwertsatz der Di↵erentialrechnung (Satz 3.6.2) auf die Funktionen gk : [x0 (k), x0 (k) + t(k)] ! R, k = 1, . . . , n mit gk (s) = f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k 1) + t(k 1), s, x0 (k + 1), . . . , x0 (n)) an. Nach dem Mittelwertsatz gibt es für alle k = 1, . . . , n ⇠k 2 (x0 (k), x0 (k) + t(k)) mit gk (x0 (k) + t(k)) gk (x0 (k)) t(k) 1 = (f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k) + t(k), x0 (k + 1), . . . , x0 (n)) t(k) f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k 1) + t(k 1), x0 (k), . . . , x0 (n))). gk0 (⇠k ) = 294 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Hieraus folgt sofort für alle k = 1, . . . , n f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k) + t(k), x0 (k + 1), . . . , x0 (n)) f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k 1) + t(k 1), x0 (k), . . . , x0 (n)) @f = t(k) (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k 1) + t(k 1), ⇠k , x0 (k + 1), . . . , x0 (n)). @xk Damit folgt f (x0 + t) = f (x0 ) n X @f + t(k) (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k @x k k=1 1) + t(k 1), ⇠k , x0 (k + 1), . . . , x0 (n)). 1) + t(k 1), ⇠k , x0 (k + 1), . . . , x0 (n)) Also gilt f (x0 + t) f (x0 ) n X k=1 t(k) @f (x0 ) @xk ✓ @f = t(k) (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k @xk k=1 n X ◆ @f (x0 ) . @xk Wir setzen nun (x0 + t) ✓ n X t(k) @f = (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k ktk @xk k=1 1) + t(k 1), ⇠k , x0 (k + 1), . . . , x0 (n)) ◆ @f (x0 ) . @xk Wegen der Stetigkeit der partiellen Ableitungen gilt lim (x0 + t) = 0 t!0 und es folgt f (x0 + t) f (x0 ) n X k=1 t(k) @f (x0 ) = ktk (x0 + t). @xk 2 Beispiel 6.3.1 (i) Es sei f : R2 ! R mit f (x, y) = exy . Dann ist f auf R2 di↵erenzierbar und die Ableitung ist ✓ ◆ @f @f , = (yexy , xexy ). @x @y 6.3. DIFFERENZIERBARKEIT IM RN 295 (ii) Es sei f : R2 ! R mit f (x, y) = sin(xy). Dann ist f auf R2 di↵erenzierbar und die Ableitung ist ✓ ◆ @f @f , = (y cos(xy), x cos(xy)). @x @y (iii) Es sei f : (0, 1) ⇥ R ! R durch f (x, y) = xy gegeben. Dann ist f di↵erenzierbar und die Ableitung ist ✓ ◆ @f @f , = (yxy 1 , (ln x)xy ). @x @y In allen Fällen reicht es die Stetigkeit der partiellen Ableitungen nachzuprüfen und Satz 6.3.4 anzuwenden. Beweis. (i) Wir zeigen, dass die partiellen Ableitungen stetig sind. Die Abbildungen p, q : R2 ! R mit p(x, y) = x und q(x, y) = y sind stetig. Produkte von stetigen Funktionen sind stetig, also ist p · q mit p · q(x, y) = x · y stetig. Hintereinanderausführungen von stetigen Funktionen sind stetig. Deshalb ist ep·q stetig. 2 Ein Beispiel einer Funktion, die in einem Punkt di↵erenzierbar ist, die partiellen Ableitungen aber unstetig sind, ist das folgende. Es ist eine Variation eines Beispiels für Funktionen von R nach R (Beispiel 3.5.3). Beispiel 6.3.2 Es sei f : R2 ! R durch 8 2 1 < (x + y 2 ) sin x2 +y2 f (x, y) = : 0 (x, y) 6= (0, 0) (x, y) = (0, 0) gegeben. Die Funktion ist überall di↵erenzierbar, die partiellen Ableitungen sind nur in (0, 0) unstetig. Beweis. Die Funktion ist überall di↵erenzierbar. Die partiellen Ableitungen existieren überall und sind bis auf (0, 0) überall stetig. Die partiellen Ableitungen für (x, y) 6= (0, 0) sind @f 1 = 2x sin 2 @x x + y2 2x 1 cos 2 x2 + y 2 x + y2 @f 1 = 2y sin 2 @y x + y2 x2 2y 1 cos 2 2 +y x + y2 Die partiellen Ableitungen sind stetig in allen (x, y) 6= (0, 0). Damit ist f für (x, y) 6= (0, 0) di↵erenzierbar. Wir zeigen nun, dass f in (0, 0) di↵erenzierbar ist und die Ableitung (0, 0). Nun benutzen wir 1 f (x, y) f (0, 0) 1 p = (x2 + y 2 ) 2 sin 2 2 2 x + y2 x +y | sin t| 1 Also p f (x, y) f (0, 0) p x2 + y 2 x2 + y 2 Insbesondere folgt, dass die partiellen Ableitungen in (0, 0) gleich 0 sind. 296 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Im Nullpunkt sind die partiellen Ableitungen nicht stetig. Wir zeigen, dass stetig ist. Dazu betrachten wir die Folge ⇢✓ ◆ 1 0, p . 2⇡k k2N Es gilt @f @y ✓ ◆ 1 2 0, p =p sin(2⇡k) 2⇡k 2⇡k p 2 2⇡k cos(2⇡k) = @f @y in (0, 0) nicht p 2 2⇡k Diese Folge konvergiert nicht gegen 0. Die Unstetigkeit von @f @y in (0, 0) wird genau so bewiesen, wir betrachten dazu die Folge ⇢✓ ◆ 1 p ,0 2⇡k . k2N 2 Beispiel 6.3.3 Es sei f : R2 ! R mit 8 0 > < f (x, y) = q > y2 : y x2 +y 2 falls x=y=0 sonst Dann ist f überall stetig und bis auf den Punkt (0, 0) di↵erenzierbar. Die partiellen Ableitungen existieren überall. Beweis. f ist überall stetig. f ist überall, bis auf den Punkt (0, 0) di↵erenzierbar. Die partiellen Ableitungen existieren überall. Wir berechnen die partiellen Ableitungen. Für (x, y) 6= (0, 0) gelten s @f |y| @f y2 x2 |y| (x, y) = xy und (x, y) = + 3 3 . @x @y x2 + y 2 (x2 + y 2 ) 2 (x2 + y 2 ) 2 Außerhalb des Nullpunktes sind die partiellen Ableitungen stetig und damit ist f dort di↵erenzierbar. Insbesondere ist f außerhalb des Nullpunktes stetig. Wir berechnen die partiellen Ableitungen in (0, 0). Es gilt f (x, 0) = 0 und f (0, y) = y. Also folgt @f @f (0, 0) = 0 (0, 0) = 1 @x @y Wir zeigen nun, dass f in (0, 0) nicht di↵erenzierbar ist. Wir nehmen an, dass f in (0, 0) di↵erenzierbar ist. Dann gilt ⌧ ⌧ @f 1 1 1 1 1 = rf (0, 0), ( p , p ) = (0, 1), ( p , p ) = p . 1 p1 p @( 2 , 2 ) 2 2 2 2 2 Andererseite lässt sich die Richtungsableitung direkt berechnen @f 1 p1 p @( 2 , 2 ) = lim t!0 f ( pt2 , pt2 ) f (0, 0) t 1 t t 1 t = lim f ( p , p ) = lim p t!0 t t!0 t 2 2 2 Dies ist ein Widerspruch. s t2 2 t2 2 + t2 2 = 1 2 6.4. PARTIELLE ABLEITUNGEN HÖHERER ORDNUNG 297 f ist in (0, 0) stetig, weil |f (0, 0) s f (x, y)| = |y| x2 y2 |y|. + y2 2 Beispiel 6.3.4 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R in x0 di↵erenzierbar. Wir bezeichnen die n-dimensionale Hyperebene, die durch x(n + 1) f (x0 ) = n X @f (x0 )(x(k) @xk x0 (k)) k=1 gegeben ist, als die Tangentialhyperebene an den Graphen von f im Punkt (x0 , f (x0 )). 6.4 Partielle Ableitungen höherer Ordnung Otto Hesse wurde am 22. April 1811 in Königsberg geboren und er starb am 4. August 1874 in München. Er studierte in Königsberg. Er lehrte in Königsberg, Halle, Heidelberg und München. Wissenschaftlich beschäftigte er sich mit der analytischen Geometrie und Determinanten. Hermann Amandus Schwarz wurde am 25. Januar 1843 in Hermsdorf in Schlesien geboren und erstarb am 30. November 1921 in Berlin. Schwarz arbeitete auf dem Gebiet der Funktionentheorie und der Theorie der Minimalflächen. Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R eine Funktion, deren @f partielle Ableitung @x auf U existiert. Diese partielle Ableitung ist eine Funktion i auf U. Falls die partielle Ableitung dieser Funktion in x0 nach der j-ten Koordinate existiert, so bezeichnen wir diese mit @2f (x0 ) @xj @xi Entsprechend definieren wir höhere Ableitungen. Falls die partielle Ableitung von f nach xk1 , . . . , xk` auf U existiert und die partielle Ableitung dieser Funktion in x0 nach der Variablen xk`+1 existiert, dann bezeichnen wir diese mit @ `+1 f (x0 ) @xk`+1 , . . . , @xk1 Falls alle partiellen Ableitungen der Ordnung ` existieren und auf einer o↵enen Menge U stetig sind, dann heißt f `-mal stetig di↵erenzierbar. C ` (U)ist der Vektorraum aller `-mal stetig di↵erenzierbaren Funktionen auf U. Im Allgemeinen kommt es bei der Bildung höherer partieller Ableitungen darauf an, in welcher Reihenfolge man di↵erenziert. In vielen Fällen besteht Unabhängigkeit von der Reihenfolge. Man bezeichnet die Matrix 0 @2f 1 @2f @2f · · · 2 @x1 @x2 @x1 @xn @x B @ 2 f1 C @2f @2f B @x2 @x1 C · · · 2 @x2 @xn C @x2 B B C .. .. ... @ A . . @2f @2f @2f ··· @xn @x1 @xn @x2 @x2 n 298 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN als Hesse Matrix. Für die Hesse Matrix von f wird auch die Bezeichnung r2 f benutzt. Beispiel 6.4.1 Es sei f : R3 ! R durch f (x, y, z) = 3x2 y z 3 + x2 3y 7 x6 z 3 gegeben. Dann gilt @f = 6xy + 2x @x und 0 B @ @2f @x2 @2f @y@x @2f @z@x @2f @x@y @2f @y 2 @2f @z@y 6x5 z 3 @2f @x@z @2f @y@z @2f @z 2 1 @f = 3x2 @y @f = @z 21y 6 0 6y + 2 30x4 z 3 C @ 6x A= 18x5 z 2 6x 126y 5 0 3z 2 3x6 z 2 1 18x5 z 2 A 0 6 6z 6x z Satz 6.4.1 (Hermann Amandus Schwarz) Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn , w 2 U und f : U ! R besitze zweite partielle Ableitungen, die in w stetig sind. Dann gilt für alle i, j = 1, . . . , n @2f @2f (w) = (w). @xi @xj @xj @xi Beweis. Wir nehmen an, dass i < j. Wir zeigen, dass für alle hi und hj reelle Zahlen ⇥i und ⇥j mit 0 < ⇥i , ⇥j < 1 und f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + hj , wj+1 , . . . , wn ) f (w1 , . . . , wj 1 , wj + hj , wj+1 , . . . , wn ) (6.2) f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wn ) + f (w) @2f = hi hj (w1 , . . . , wi 1 , wi + ⇥i hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥j hj , wj+1 , . . . , wn ) @xi @xj ˜ i und ⇥ ˜ j gibt, so dass existieren. Genauso zeigen wir, dass es ⇥ f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + hj , wj+1 , . . . , wn ) f (w1 , . . . , wj 1 , wj + hj , wj+1 , . . . , wn ) (6.3) f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wn ) + f (w) @2f ˜ i hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥ ˜ j hj , wj+1 , . . . , wn ). = hi hj (w1 , . . . , wi 1 , wi + ⇥ @xj @xi ˜ i, ⇥ ˜ j mit Aus (6.2) und (6.3) folgt, dass es für alle hi und hj reelle Zahlen ⇥i , ⇥j , ⇥ ˜ i, ⇥ ˜ j < 1 und 0 < ⇥i , ⇥j , ⇥ @2f (w1 , . . . , wi 1 , wi + ⇥i hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥j hj , wj+1 , . . . , wn ) @xi @xj @2f ˜ i hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥ ˜ j hj , wj+1 , . . . , wn ). = (w1 , . . . , wi 1 , wi + ⇥ @xj @xi 6.4. PARTIELLE ABLEITUNGEN HÖHERER ORDNUNG gibt. Wegen der Stetigkeit von @2f @xi @xj und @2f @xj @xi 299 im Punkt w folgt @2f @2f (w) = (w). @xi @xj @xj @xi Wir zeigen nun (6.2). Dazu wenden wir den Mittelwersatz (Satz 3.6.2) auf die Funktion : [wj , wj + hj ] ! R (t) = f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wj 1 , t, wj+1 , . . . , wn ) f (w1 , . . . , wj 1 , t, wj+1 , . . . , wn ) an. Es gibt ⇥j mit 0 < ⇥j < 1, so dass 0 (wj + ⇥j hj ) = (wj + hj ) hj (wj ) . Dies bedeutet aber f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + hj , wj+1 , . . . , wn ) f (w1 , . . . , wj 1 , wj + hj , wj+1 , . . . , wn ) f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wn ) + f (w) ✓ @f = hj (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥j hj , wj+1 , . . . , wn ) @xj ◆ @f (w1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥j hj , wj+1 , . . . , wn ) . @xj Wir wenden den Mittelwertsatz ein weiteres Mal an, dieses Mal auf die Funktion : [wi , wi + hi ] ! R (t) = @f (w1 , . . . , wi 1 , t, wi+1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥j hj , wj+1 , . . . , wn ). @xj Es gibt ein ⇥i mit 0 < ⇥i < 1 und 0 (wi + ⇥i hi ) = (wi + hi ) hi (wi ) Wir erhalten (6.2). Die Gleichung (6.3) wird genauso bewiesen. 2 Beispiel 6.4.2 Es sei f : R2 ! R 8 <0 2 f (x, y) = y2 : xy x 2 x + y2 falls x=y=0 sonst f ist in (0, 0) di↵erenzierbar, die partiellen Ableitungen zweiter Ordnung existieren für alle (x, y) 2 R2 und sind unstetig in (0, 0) und @2f @2f (0, 0) 6= (0, 0). @x@y @y@x 300 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Beweis. Für (x, y) 6= (0, 0) existieren die partiellen Ableitungen und man erhält sie durch direktes Di↵erenzieren. Für x = 0 oder y = 0 gilt f (0, y) = f (x, 0) = 0. Wir erhalten 8 > falls x = y = 0 <0 @f 4 2 2 4 (x, y) = y > y x + 4x y @x sonst : 2 2 2 (x + y ) 8 > falls x = y = 0 <0 @f 4 2 2 4 (x, y) = 4x y y > xx @y sonst : 2 2 2 (x + y ) Für die zweiten partiellen Ableitungen erhalten wir 8 > < 1 2 @ f = (x2 y 2 )(x4 + 10x2 y 2 + y 4 ) @x@y > : (x2 + y 2 )3 8 > <1 2 @ f = (x2 y 2 )(x4 + 10x2 y 2 + y 4 ) @y@x > : (x2 + y 2 )3 falls x = y = 0 sonst falls x = y = 0 sonst f ist in (0, 0) di↵erenzierbar, weil die partiellen Ableitungen dort stetig sind. Da @2f @2f (0, 0) = 1 6= 1 = (0, 0) @y@x @x@y gilt, muss mindestens eine der zweiten partiellen Ableitungen unstetig sein. Wir rechnen dies elementar nach. Für alle n 2 N gilt @2f 1 1 ( , )=0 @x@y n n @2f 1 ( , 0) = 1 @x@y n 2 Beispiel 6.4.3 Eine Funktion f : Rn ! R ist konvex, wenn für alle x, y 2 Rn und alle t 2 [0, 1] f ((1 t)x + ty) (1 t)f (x) + tf (y) gilt. (i) eine di↵erenzierbare Funktion f : Rn ! R ist genau dann konvex, wenn für alle x, y 2 Rn f (x) + hrf (x), y xi f (y) gilt. (ii) Eine zweimal stetig di↵erenzierbare Funktion f : Rn ! R ist genau dann konvex, wenn die Hesse Matrix in allen Punkten positiv semidefinit ist. Beweis. (i) Da f konvex ist, gilt f ((1 t)x + ty) (1 t)f (x) + tf (y). Es folgt f (x) + f (x + t(y und damit f (x) + lim t!0 x)) t f (x + t(y x)) t f (x) f (y) f (x) f (y). 6.5. ABBILDUNGEN VOM RN IN DEN RM 301 Es gilt lim f (x + t(y x)) f (x) t t!0 = hrf (x), y xi und somit f (x) + hrf (x), y xi f (y). (ii) f ist genau dann konvex, wenn für alle x0 2 Rn und alle ⇠ 2 Rn mit k⇠k2 = 1 die Funktion g : R ! R mit g(t) = f (x0 + t⇠) konvex ist. Da f zweimal stetig di↵erenzierbar ist, so ist auch g zweimal stetig di↵erenzierbar. Nach (3.4.7) ist g genau dann konvex, wenn für alle t 2 R gilt, dass g 00 (t) 0. Weiter gelten g 0 (t) = hrf (x0 + t⇠), ⇠i = und g 00 (t) = n X i,j=1 ⇠i ⇠j n X ⇠j j=1 @f (x0 + t⇠) @xj @2f (x0 + t⇠) = ⇠ t r2 (x0 + t⇠)⇠. @xi @xj Also ist f genau dann konvex, wenn für alle x0 und alle ⇠ 0 n X i,j=1 ⇠i ⇠j @2f (x0 ). @xi @xj 2 Bei dem eben bewiesenen Satz ist es wichtig, dass die Definitionsmenge der Funktion eine o↵ene Teilmenge des Rn ist. Dazu das folgende Beispiel. Beispiel 6.4.4 [63] Es gibt eine Funktion f : Q2 ! Q, die überall di↵erenzierbar ist, die stetige, partielle Ableitungen aller Ordnungen besitzt und die für alle (x, y) 2 Q2 die Ungleichung @2f @2f (x, y) 6= (x, y) @x@y @y@x erfüllt. 6.5 Abbildungen vom Rn in den Rm Carl Gustav Jacob Jacobi wurde am 10. Dezember 1804 in Potsdam geboren. Er starb am 18. Februar 1851 in Berlin an einer Pockeninfektion. Er stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Bankiersfamilie in Berlin. Er machte schon mit 13 Jahren das Abitur. Er studierte in Berlin. Er unterrichtete in Königsberg. Er forschte über elliptische Funktionen, auf dem Gebiet der Di↵erentialgeometrie, der partiellen Di↵erentialgleichungen und der mathematischen Physik. Nach ihm benannt sind die Jacobi Matrix, die Jacobi Polynome und der Mondkrater Jacobi. Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! Rm . Die Koordinateabbildungen von f sind fi U ! R, i = 1, . . . m, mit fi =< f, ei >. Wir schreiben auch f = (f1 , . . . , fm ), wobei fi , i = 1, . . . , m, die Koordinatenabbildungen sind. 302 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Definition 6.5.1 Eine Funktion f : U ! Rm heißt di↵erenzierbar (oder auch total di↵erenzierbar) in x0 , falls es eine lineare Abbildung T : Rn ! Rm gibt, so dass (6.4) lim f (x0 + h) h!0 f (x0 ) khk Th =0 gilt. Die lineare Abbildung T heißt das Di↵erential oder auch totales Di↵erential von f . Dies lässt sich auch so formulieren: f heißt in x0 di↵erenzierbar, wenn es eine m ⇥ n-Matrix C = (ci,j )m,n i,j=1 und eine Funktion : V(x0 ) ! Rm gibt, die in einer Umgebung V(x0 ) von x0 definiert ist, so dass für alle i = 1, . . . , m i (x0 ) = lim x!x0 i (x) fi (x) = fi (x0 ) + =0 n X ci,j (xj x0j ) + i (x)kx x0 k j=1 gilt. Insbesondere bedeutet diese Definition, dass jede Koordinatenfunktion fi , i = 1, . . . , m, in x0 di↵erenzierbar ist. Also gilt für i = 1, . . . , m und j = 1, . . . , n ci,j = @fi (x0 ). @xj Man sieht auch, dass f di↵erenzierbar ist, falls alle Koordinatenabbildungen differenzierbar sind. Falls alle partiellen Ableitungen in x0 existieren (f muss nicht di↵erenzierbar sein), so nennt man die m ⇥ n Matrix ✓ ◆m,n df @fi @(f1 , . . . , fm ) J(x0 ) = (x0 ) = (x0 ) = (x0 ) dx @xj @(x1 , . . . , xn ) i,j=1 die Jacobische Funktionalmatrix von f an der Stelle x0 . Ausgeschrieben ist sie 0 @f1 1 @f1 · · · @x @x1 n B .. .. C @ . . A @fm @fm · · · @xn @x1 Beispiel 6.5.1 (Polarkoordinaten) Es sei f : (0, 1) ⇥ R ! R2 durch f (r, ) = (r cos , r sin ) gegeben. f ist auf (0, 1) ⇥ R di↵erenzierbar und ! ✓ @f1 @f1 df cos @r @ = = @f2 @f2 sin d(r, ) @r @ r sin r cos ◆ . Um nachzuweisen, dass f di↵erenzierbar ist, reicht es zu zeigen, dass f1 und f2 di↵erenzierbar sind. Nach Satz 6.3.4 reicht es zu zeigen, dass die partiellen Ableitungen stetig sind. 6.6. KETTENREGEL 6.6 303 Kettenregel Satz 6.6.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn , W sei eine o↵ene Teilmenge des Rm . Es seien f : U ! Rm und g : W ! R` Funktionen mit f (U) ✓ W. Es seien f in x0 2 U und g in f (x0 ) 2 W di↵erenzierbar. Dann ist auch g f in x0 di↵erenzierbar und d(g f ) dg df (x0 ) = (f (x0 )) (x0 ) dx dy dx bzw. 0 @(g f )1 1 (x0 ) . . . @(g@xfn)1 (x0 ) @x1 B C .. .. @ A . . 0 B =@ @(g f )` (x0 ) @x1 @g1 (f (x0 )) @y1 ... .. . @g` (f (x0 )) . . . @y1 ... @g1 (f (x0 )) @ym @(g f )` (x0 ) @xn 10 CB .. A@ . @g` (f (x0 )) @ym @f1 (x0 ) @x1 ... .. . @fm (x0 ) . . . @x1 @f1 (x0 ) @xn 1 C .. A. . @fm (x0 ) @xn Die Ableitung von g f ist das Matrizenprodukt der Ableitungen von g und f . Beweis. Für alle i = 1, . . . , m gilt fi (x) = fi (x0 )+ < rfi (x0 ), x x0 > + i (x)kx x0 k2 n X @fi (x0 ) = fi (x0 ) + (xj x0j ) + i (x)kx x0 k2 @xj j=1 mit lim x!x0 i (x) = 0. Für alle k = 1, . . . , ` gilt mit gk (y) = gk (f (x0 ))+ < rgk (f (x0 )), y f (x0 ) > + k (y)ky f (x0 )k2 m X @gk (f (x0 )) = gk (f (x0 )) + (yi fi (x0 )) + k (y)ky f (x0 )k2 @yi i=1 lim x!x0 k (x) = 0. Hieraus folgt gk (f (x)) = gk (f (x0 ))+ < rgk (f (x0 )), f (x) f (x0 ) > + k (f (x))kf (x) f (x0 )k2 m X @gk = gk (f (x0 )) + (f (x0 ))(fi (x) fi (x0 )) + k (f (x))kf (x) f (x0 )k2 @y i i=1 ✓ ◆ m X @gk = gk (f (x0 )) + (f (x0 )) < rfi (x0 ), x x0 > + i (x)kx x0 k2 @y i i=1 + k (f (x))kf (x) f (x0 )k2 . 304 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Es folgt weiter ! n m X X @gk @fi (g f )k (x) = (g f )k (x0 ) + (f (x0 )) (x0 ) (xj @yi @xj j=1 i=1 m X @gk + i=1 Hiermit folgt kf (x) (f (x0 )) i (x) + k (f (x)) @yi kx (g f )(x) = (g f )(x0 ) + i=1 m X @gk + i=1 @yi !`,n @fi (f (x0 )) (x0 ) @yi @xj m X @gk = (g f )(x0 ) + k (f (x)) kf (x) kx i=1 (x kf (x) (f (x0 )) i (x) + k (f (x)) @yi kx f (x0 )k2 x0 k2 lim x!x0 i=1 kf (x) (f (x0 )) i (x) + k (f (x)) @yi kx kx x0 k2 . f (x0 )k2 x0 k2 !` k=1 kx x0 k2 kx x0 k2 . x0 ) f (x0 )k2 x0 k2 Wir müssen überprüfen, dass für alle k = 1, . . . , ` m X @gk ! x0 ) ◆`,m ✓ ◆m,n @gk @fi (f (x0 )) (x0 ) (x @yi @xj k,i=1 i,j=1 m X @gk + f (x0 )k2 x0 k2 k,j=1 (f (x0 )) i (x) + ✓ x0j ) !` ! k=1 =0 gilt. Dies gilt, weil lim (x) = 0 und x!x0 lim (f (x)) = 0 x!x0 gelten und weil es eine Umgebung gibt, in der kf (x) kx f (x0 )k2 x0 k2 beschränkt ist. Letzteres gilt, weil f in x0 di↵erenzierbar ist. Wir zeigen dies. |fi (x) n X @fi (x0 ) |xj x0j | + | i (x)|kx x0 k2 @x j j=1 !1 n 2 2 X @fi (x0 ) kx x0 k2 + | i (x)|kx x0 k2 @xj j=1 fi (x0 )| Hieraus folgt kf (x) kx 2 0 m f (x0 )k2 @X x0 k2 i=1 n X j=1 @fi (x0 ) @xj 2 ! 12 21 2 1 + | i (x)| A . 6.7. MITTELWERTSATZ 305 Beispiel 6.6.1 Es seien f : R2 ! R2 und g : R2 ! R durch g(x, y) = x2 + y 2 f (r, ) = (r cos , r sin ) gegeben. Dann gilt g f (r, ) = r2 und @(g f ) = 2r @r @(g f ) =0 @ Beweis. Es gilt g f (r, ) = r2 cos2 + r2 sin2 = r2 . Hieraus folgt sofort @(g f ) = 2r @r @(g f ) =0 @ Wir wollen nun die Kettenregel benutzen, um dasselbe Ergebnis zu bekommen. ! ✓ ◆ @f1 @f1 ⇣ ⌘ r cos r sin @g @g @r @ 2x 2y = @f2 @f2 @x @y r sin r cos @r @ ✓ ◆ r cos r sin 2r cos 2r sin = = ( 2r r sin r cos 6.7 0 ) Mittelwertsatz Die abgeschlossene Verbindungsstrecke oder das abgeschlossene Intervall von zwei Punkten x und y im Rn ist [x, y] = {(1 t)x + ty|t 2 [0, 1]}. (x, y) = {(1 t)x + ty|t 2 (0, 1)}. Das o↵ene Intervall ist Satz 6.7.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei auf U di↵erenzierbar. Es seien x, y 2 U mit [x, y] ✓ U. Dann gibt es ein ⇠ 2 (x, y) mit f (y) f (x) =< rf (⇠), y x>. Der Satz folgt unmittelbar aus dem 1-dimensionalen Fall. Beweis. Es sei F : [0, 1] ! R durch F (t) = f (x + t(y x)) gegeben. Mit der Kettenregel (Satz 6.6.1) erhalten wir F 0 (t) =< rf (x + t(y x)), y x>. 306 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Nach dem Mittelwertsatz für Funktionen einer reellen Variablen gibt es ein ⇥ 2 (0, 1) mit F (1) F (0) = F 0 (⇥) =< rf (x + ⇥(y x)), y x > . 2 Eine Teilmenge M des Rn heißt konvex, falls für alle x, y 2 M auch die Verbindungsstrecke [x, y] in M enthalten ist. Für solche Mengen ist die Voraussetzung von Satz 6.7.1 immer erfüllt. Für Funktionen f : Rn ! Rm , wobei m 2 gilt, kann man den Satz nicht formulieren. Dazu das folgende Beispiel. Beispiel 6.7.1 Es sei f : R ! R2 durch f (x) = (x2 , x3 ) gegeben. Dann gibt es kein ⇠ 2 [0, 1] mit df (⇠) = f (1) dx f (0) df Beweis. Wir nehmen an, dass es ein ⇠ 2 [0, 1] mit dx (⇠) = f (1) ✓ ◆ ✓ ◆ ✓ ◆ 1 0 2⇠ = 1 0 3⇠ 2 f (0) gibt. Dann folgt Hieraus folgt, dass 2⇠ = 1 und 3⇠ 2 = 1 gelten. Aus der ersten Gleichung folgt ⇠ = 12 . Dies in die zweite Gleichung eingesetzt liefert 34 = 1, was falsch ist. 2 Satz 6.7.2 Es sei G ein Gebiet im Rn und f : G ! R sei auf G di↵erenzierbar. f ist genau dann auf G konstant, wenn für alle x 2 G rf (x) = 0 gilt. Beweis. Falls f konstant ist, dann sind alle partiellen Ableitungen 0 und damit gilt rf = 0. Es gelte nun rf = 0. Da G ein Gebiet ist, gibt es für alle x, y 2 G einen Polygonzug, der ganz in G liegt und der die beiden Punkte verbindet. x1 = x xm = y m [1 i=1 [xi , xi+1 ] ✓ G Nach dem Mittelwertsatz gibt es für alle i = 1, 2, . . . , m 1 ein ⇠i 2 (xi , xi+1 ), so dass f (xi+1 ) f (xi ) =< rf (⇠i ), xi+1 xi >= 0 Deshalb gilt für alle i = 1, . . . , m 1 f (xi ) = f (xi+1 ). 6.8. DER SATZ VON TAYLOR 307 Insbesondere gilt f (x) = f (y). Also ist f konstant. 2 In Satz 6.7.2 wird vorausgesetzt, dass f auf einer zusammenhängenden Menge definiert ist und dort di↵erenzierbar ist. Dies ist wesentlich. Die Funktion f : R2 \ {(x, y)|x = 0} ! R ( 1 x>0 f (x, y) = 1 x<0 ist di↵erenzierbar und es gilt rf = 0, aber f ist nicht konstant. 6.8 Der Satz von Taylor Für Funktionen f : I ! R, die m + 1-mal stetig di↵erenzierbar sind, hatten wir die Formel von Taylor bewiesen: f (x) = m X f (k) (x0 ) k=0 k! x0 )k + Rm (x, x0 ), (x wobei es ein ⇥ 2 (0, 1) gibt, so dass Rm (x, x0 ) = 1 (x (m + 1)! x0 )m+1 f (m+1) (x0 + ⇥(x x0 )). Wir benutzen hier die Lagrange Form des Restglieds. Dieses Ergebnis soll nun auf Funktionen f : Rn ! R verallgemeinert werden. Ein Polynom von n Veränderlichen x1 , . . . , xn ist eine Funktion p : Rn ! R mit p(x1 , . . . , xn ) = N X k1 ,...,kn =1 ak1 ,...,kn xk11 xk22 · · · xknn Der Grad des Polynoms p ist die größte Zahl k1 + k2 + · · · + kn mit ak1 ,...,kn 6= 0. Das Polynom 5 + 2x + 6y + 2x2 y 2 + 7x3 y 4 hat die Koeffizienten a0,0 = 5 a1,0 = 2 a0,1 = 6 a2,2 = 2 a3,4 = 7. Alle anderen Koeffizienten sind 0. Wir schreiben formal für h = (h1 , . . . , hn ) 2 Rn und r = ( @x@ 1 , . . . , @x@n ) < h, r >= n X i=1 hi @ @xi 308 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN und n X m < h, r > = i=1 @ hi @xi !m n X = k1 ,...,km =1 hk1 · · · hkm @m . @xk1 · · · @xkm Wir fassen < h, r >m als eine lineare Abbildung bzw. als Di↵erentialoperator von C m (U) nach C(U) auf. !m n n X X @ @ mf m < h, r > f = hi f= hk1 · · · hkm @xi @xk1 · · · @xkm i=1 k ,...,k =1 m 1 Wir behandeln r formal wie einen Vektor des Rn . Satz 6.8.1 (Taylor) Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei m + 1-mal stetig di↵erenzierbar. Es seien x0 , x 2 U, so dass [x0 , x] ⇢ U. Dann gibt es ein ⇥ 2 (0, 1) mit m X 1 f (x) = f (x0 ) + (< x k! k=1 + Der Summand x0 , r >k f )(x0 ) 1 (< x (m + 1)! x0 , r >m+1 f )(x0 + ⇥(x m X 1 f (x0 ) + (< x k! k=1 x0 )). x0 , r >k f )(x0 ) wird als Taylorpolynom m-ten Grades bezeichnet und Rm (x, x0 ) = 1 (< x (m + 1)! x0 , r >m+1 f )(x0 + ⇥(x x0 )) als das Restglied. Beweis. Es gibt ein ✏ > 0, so dass (x0 Wir definieren ✏(x x0 ), x0 + (1 + ✏)(x x0 )) ⇢ U. : ( ✏, 1 + ✏) ! R durch (t) = f (x0 + t(x x0 )). Da f m + 1-mal stetig di↵erenzierbar ist, folgt mit der Kettenregel, dass auch m + 1-mal stetig di↵erenzierbar ist. Wir wenden nun den Taylorschen Satz für Funktionen einer Variablen auf an. Es gibt also ein ⇥ 2 (0, 1), so dass (1) = (0) + m X k=1 (k) (m+1) (0) (⇥) + . k! (m + 1)! 6.8. DER SATZ VON TAYLOR 309 Es gelten (1) = f (x), (0) = f (x0 ) und mit der Kettenregel folgt (k) (0) = (< x x0 , r >k f )(x0 ). Wir weisen dies mit Induktion nach. Es folgt mit der Kettenregel 0 (t) = hrf (x0 + t(x x0 )), x n X x0 i = (xj x0j ) j=1 @f (x0 + t(x @xj x0 )) Wir nehmen nun an, dass wir (m) n X (t) = (xk1 k1 ,...,km =1 x0k1 ) · · · (xkm x0km ) @ mf (x0 + t(x @xk1 · · · @xkm x0 )) nachgewiesen haben und schließen auf die Aussage m + 1. Dann gilt (m+1) = = (t) n X (xk1 k1 ,...,km =1 n X (xk1 k1 ,...,km =1 x0k1 ) · · · (xkm x0k1 ) · · · (xkm ⌧ x0km ) r x0km ) @ mf (x0 + t(x @xk1 · · · @xkm n X (xkm+1 x0km+1 ) km+1 =1 x0 )), x x0 @ mf @xkm+1 @xk1 · · · @xkm @ 2 Falls f unendlich oft di↵erenzierbar ist und lim Rm (x, x0 ) = 0 m!1 gilt, dann erhalten wir 1 X 1 f (x) = f (x0 ) + (< x k! k=1 x0 , r >k f )(x0 ). Beispiel 6.8.1 (i) Es sei U eine o↵ene Teilmenge des R2 und (x0 , y0 ) 2 U. Die Abbildung f : U ! R sei in (x0 , y0 ) unendlich oft di↵erenzierbar und lim Rm ((x, y), (x0 , y0 )) = 0. m!1 Dann gilt 1 m ✓ ◆ X 1 X m @ m f (x0 , y0 ) f (x, y) = (x m! k @xk @y m k m=0 x0 )k (y y0 )m k=0 (Man beachte, dass die Reihenfolge der Di↵erentiation keine Rolle spielt.) (ii) Für alle (x, y) 2 R2 gilt ✓ ◆ 1 X m X 1 m k m k x+y e = x y . m! k m=0 k=0 k . 310 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Beweis. (ii) Wir wenden hier die Formel von (i) an. @ k+` ex+y = ex+y @xk @y ` Man kann diese Formel auch folgendermaßen herleiten. Für alle t 2 R gilt et = Mit t = x + y folgt ex+y = 2 1 X tm . m! m=0 1 1 m ✓ ◆ X X (x + y)m 1 X m k m = x y m! m! m=0 k m=0 m=0 k . Das Konvergenzgebiet von Taylorreihen im 1-Dimensionalen ist ein Intervall. Die Konvergenzgebiete von Taylorreihen bzw. Potenzreihen mehrerer Veränderlichen sehen komplizierter aus als im eindimensionalen Fall. Beispiel 6.8.2 Die Potenzreihe 1 X xn y n n=0 konvergiert absolut in der Menge {(x, y)||x · y| < 1}. Diese Menge ist log-konvex, d.h. die Menge {(ln x, ln y)|x · y < 1} ist konvex. Man kann allgemein zeigen, dass die Konvergenzmenge einer Potenzreihe mit Entwicklungspunkt 0 log-konvex ist. Im Komplexen hängt dies mit Reinhardt-Gebieten zusammen [54]. 6.9 Bogenlänge Definition 6.9.1 Es sei (X, d) ein metrischer Raum und : [a, b] ! X eine Funktion und P = {x0 , . . . , xN } bezeichne Partitionen von [a, b]. Die Länge des Graphens von wird durch L(Graph( )) = sup P N X d( (xi ), (xi 1 )) i=1 definiert. Satz 6.9.1 Es sei : [a, b] ! Rn eine stetig di↵erenzierbare Funktion. 1 , . . . , n sind die Koordinatenfunktionen von . In den Punkten a und b existieren die einseitigen partiellen Ableitungen und sie seien stetig dort. Dann ist die Länge des Graphens von gleich L(Graph( )) = Z a b n X @ i (t) @t i=1 2 ! 12 dt 6.9. BOGENLÄNGE 311 Lemma 6.9.1 Es sei eine Kurve in Polarkoordinaten gegeben. Dann s Z 2 dr L() = r2 + d✓ d✓ Beweis. Es gilt x = r cos ✓ y = r sin ✓ Deshalb gilt @x @r = cos ✓ r sin ✓ @✓ @✓ @y @r = sin ✓ + r cos ✓ @✓ @✓ Somit @x @t L() = 2 2 Z @y + @t s @x @t 2 2 2 = @x @✓ @✓ @t 2 = @✓ @t @r cos ✓ @✓ @✓ @t 2 = @r @✓ 2 @y + dt = @t 2 @y @✓ + @✓ @t Z 2 + r2 @✓ @t 2 @r r sin ✓ + sin ✓ + r cos ✓ @✓ ! s @r @✓ 2 + r2 dt d✓ = d✓ Z s Beispiel 6.9.1 Der Umfang einer Ellipse E mit Achsenlängen a und b mit a Z 2⇡ r b2 L(@E) = a 1 (1 ) cos2 ✓d✓ a2 0 @r @✓ 2 !2 2 + r2 d✓ b ist Der Ausdruck wird als elliptische Integral bezeichnet. Ein elliptische Integral ist ein Integral der Gestalt Z p R(x, P (x))dx, wobei R eine rationale Funktion von zwei Variablen ist und P ein Polynom dritten oder vierten Grades ohne mehrfache Nullstellen ist. Beweis. Wir benutzen die Parametrisierung x(t) = a cos ✓ y(t) = b sin ✓ 312 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Dann gilt Z Z 2⇡ p p |x0 |2 + |y 0 |2 d✓ = |a sin ✓|2 + |b cos ✓|2 d✓ 0 0 Z 2⇡ r Z 2⇡ r b b2 2 2 = a | sin ✓| + | cos ✓| d✓ = a 1 (1 ) cos2 ✓d✓ a a2 0 0 L(@E) = 2⇡ 2 Beispiel 6.9.2 (Goldene Spirale) Es seien 0 < a, b. Sp : [0, 1] ! R2 durch Sp(0) = 0 und ✓ ◆ b 1 t Sp1 (t) = ae cos t ✓ ◆ b 1 Sp2 (t) = ae t sin t Sp ist eine stetig di↵erenzierbare Funktion, deren partielle Ableitungen auch in den Punkten a und b stetig sind. Die Kurvenlänge ist p a b2 + 1e b . Beweis. Es gelten für t mit 0 < t 1 @ Sp1 (t) = @t @ Sp2 (t) = @t ab e t2 ab e t2 b t b t ✓ ◆ 1 a cos + 2e t t ✓ ◆ 1 a sin e t t2 b t b t ✓ ◆ 1 sin t ✓ ◆ 1 cos t Weiter erhalten wir @ Sp1 (0) = @t @ Sp2 (0) = @t lim ae b t ae b t t!0 lim t!0 cos t sin t 1 t 1 t =0 =0 Es folgt @ Sp1 @t 2 + @ Sp2 @t 2 = a2 e t4 2 bt b2 + 1 Die partiellen Ableitungen von Sp sind auf [0, 1] stetig. Wir können also Satz 3.4.7 anwenden. Es folgt Z 1 p 1 b L(Graph(Sp)) = a b2 + 1 e t dt 2 0 t Wir substituieren ✓ = 1 t Z p 2 L(Graph(Sp)) = a b + 1 1 2 1 e b✓ p d✓ = a b2 + 1e x = r cos ✓ = a(cos ✓)eb✓ y = r sin ✓ = a sin ✓eb✓ b 6.9. BOGENLÄNGE 313 Die Bogenlänge von 0 bis (x(✓), y(✓)) ist ap 1 + b2 eb✓ . b Die Krümmung im Punkt (x(✓), y(✓)) ist e b✓ p a 1 + b2 Der Winkel zwischen der Tangente der Kurve im Punkt (x(✓), y(✓)) und der Geraden durch 0 und (x(✓), y(✓)) ist ✓. Beispiel 6.9.3 Es seien 0 < ↵. sp : [0, 1] ! R2 durch sp(0) = 0 und ✓ ◆ 1 sp1 (t) = t↵ cos t ✓ ◆ 1 sp2 (t) = t↵ sin t Der Graph von sp ist genau dann rektifizierbar, wenn ↵ > 2. Beweis. @ sp1 @t @ sp2 @t = ↵t↵ = ↵t↵ ✓ ◆ 1 + t↵ t ✓ ◆ 1 1 sin t↵ t 1 cos ✓ ◆ 1 t ✓ ◆ 1 2 cos t 2 sin Es folgt @ sp1 @t 2 2 @ sp2 @t + Deshalb L(Graph(sp)) = = t2↵ Z 0 Es gilt für ↵ > 1 L(Graph(sp)) = Z 0 Für ↵ = 1 1 t↵ 2 t↵ 2 (↵2 t2 + 1) p ↵2 t2 + 1dt. Z p p ↵2 t2 + 1dt ↵2 + 1 L(Graph(sp)) = Für 0 < ↵ < 1 L(Graph(sp)) = 1 t↵ 2 dt = 0 Z 1 t↵ 2 0 Z 1 t↵ 2 0 2 1 4 p ↵2 t2 + 1dt p ↵2 t2 + 1dt Z 1 t 0 Z 1 dt = 1. 1 t↵ 2 0 Beispiel 6.9.4 Die Helix (Schraubenlinie) H : [0, T ] ! R3 ist durch H1 (t) = a cos t H2 (t) = a sin t H3 (t) = b · t definiert. Ihre Länge ist T· p a2 + b2 p ↵2 + 1 dt = 1. 1 ↵ 1 314 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Beweis. Z L(Graph(H)) = T 0 Z = T 0 = T 2 s 2 2 2 @H1 @H2 @H3 (t) + (t) + (t) dt @t @t @t p |a sin(t)|2 + |a cos(t)|2 + b2 dt p a2 + b2 Beispiel 6.9.5 (Lemniskate von Jakob Bernoulli) (x2 + y 2 )2 = 2a2 (x2 y2 ) r2 = 2a2 cos 2✓ Dann gilt L() = Z 2a2 p dt = 4a4 t4 Z q 1 1 dt = 2a t4 4a4 Z p 1 1 t4 Bei dem letzten Ausdruck handelt es sich um ein elliptisches Integral. Beweis. Nach Lemma 3.4.7 gilt L() = s Z r2 + Wir wählen nun r als Integrationsvariable s Z d✓ L() = r2 + dr 2 2 dr d✓ d✓ d✓ dr = dr p Wegen r = a 2 cos 2✓ gilt s Z dr = d✓ 2a sin 2✓ p 2 cos 2✓ d✓ = dr p 2 cos 2✓ . 2a sin 2✓ und somit 2 1 + r2 d✓ dr dr Es folgt d✓ dr 2 = cos 2✓ . 2a2 sin2 2✓ Wegen r2 = 2a2 cos 2✓ sin2 2✓ = 1 cos2 2✓ = 4a4 r4 4a4 Hiermit folgt d✓ dr Es folgt weiter L() = 2 2 2 = Z r cos 2✓ r2 2a2 = 4 r4 = 2 4 4a 4a r4 2a2 sin 2✓ 2a2 4a4 s 1+ 2 r2 d✓ dr = dr Z r 1+ r4 4a4 r4 dr dt 6.10. EXTREMWERTE 6.10 315 Extremwerte Es sei M eine Teilmenge des Rn und f : M ! R. Man sagt, dass f in einem Punkt x0 2 M ein lokales oder relatives Minimum bzw. Maximum hat, falls es eine Umgebung V(x0 ) gibt, so dass für alle x 2 V(x0 ) \ M f (x) f (x0 ) bzw. f (x) f (x0 ) gilt. Es liegt ein striktes lokales oder relatives Minimum bzw. Maximum vor, falls es eine Umgebung V(x0 ) gibt, so dass für alle x 2 V(x0 ) \ M mit x 6= x0 f (x) > f (x0 ) bzw. f (x) < f (x0 ) gilt. Wir sagen, dass ein lokales Extremum vorliegt, falls ein lokales Minimum oder Maximum vorliegt. f hat ein globales Minimum oder Maximum in x0 , falls für alle x 2 M f (x) f (x0 ) bzw. f (x) f (x0 ) gilt. Lemma 6.10.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R nach allen Variablen partiell di↵erenzierbar. Falls f in x0 ein lokales Extremum hat, so gilt rf (x0 ) = 0. Wir nennen Punkte x0 mit rf (x0 ) = 0 kritische Punkte . Beweis. Wir betrachten f als Funktion ihrer i-ten Variablen, : (x0 (i) )!R (t) = f (x0 (1), . . . , x0 (i 1), t, x0 (i + 1), . . . , x0 (n)) O↵ensichtlich hat , x0 (i) + in t = x0 (i) ein lokales Extremum. Somit gilt d (x0 (i)) = 0 dt Es folgt weiter @f (x0 ) @xi = d (x0 (i)) dt = 0. 2 Das folgende Beispiel zeigt, dass die Bedingung von Lemma 6.10.1 zwar notwendig, aber nicht hinreichend ist. Beispiel 6.10.1 Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = x · y gegeben. Es ist (0, 0) ein kritischer Punkt mit rf (0, 0) = 0, aber es liegt in (0, 0) kein lokales Extremum vor. Auf Grund der Form des Graphen von f sprechen wir von einem Sattelpunkt. Siehe hierzu die Graphik. 316 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN f (x, y) = xy -2 -1 0 1 2 4 2 0 -2 -4 -2 -1 1 0 2 Beweis. Es gilt @f =y @x @f =x @y Also gilt rf (0, 0) = 0. Wenn wir f auf die Gerade x = y einschränken, dann erhalten wir f (x, x) = x2 . Im Punkt x = 0 liegt ein Minimum vor. Andererseits können wir f auf die Gerade y = x einschränken und erhalten f (x, x) = x2 . Hier liegt in x = 0 ein Maximum vor. Somit kann in (0, 0) weder ein Minimum noch ein Maximum vorliegen. 2 Es sei A = (ai,j )ni,j=1 eine reelle, symmetrische Matrix, d.h. At = A. Das Polynom n X t QA (x) = x Ax = ai,j xi xj i,j=1 heißt die zu A gehörige quadratische Form. Die Matrix A bzw. die Funktion QA heißt (i) positiv semidefinit, wenn für alle x 2 Rn gilt, dass QA (x) 0. (ii) negativ semidefinit, wenn für alle x 2 Rn gilt, dass QA (x) 0. (iii) positiv definit, wenn für alle x 2 Rn mit x 6= 0 gilt, dass QA (x) > 0. (iv) negativ definit, wenn für alle x 2 Rn mit x 6= 0 gilt, dass QA (x) < 0. (v) indefinit, falls A weder positiv semidefinit, noch negativ semidefinit ist. Lemma 6.10.2 Es sei A eine reelle, symmetrische Matrix. Dann gilt: (i) A ist genau dann positiv (negativ) definit, wenn alle Eigenwerte von A strikt positiv (strikt negativ) sind. (ii) A ist genau dann positiv (negativ) semidefinit, wenn alle Eigenwerte von A nichtnegativ (nichtpositiv) sind. 6.10. EXTREMWERTE 317 Beweis. (i) A besitze einen Eigenwert, der nicht positiv ist. Wir zeigen, dass A nicht positiv definit ist. Es sei x ein Eigenvektor von A zum Eigenwert mit 0. Dann folgt n X t t QA (x) = x Ax = x x = x2i 0 i=1 Um die andere Beweisrichtung zu führen, benötigt man das folgende Ergebnis der linearen Algebra: Falls A eine reelle, symmetrische Matrix ist, dann gibt es eine Matrix U , so dass U t U = I und U AU t = D eine Diagonalmatrix ist. Die Diagonalelemente der Matrix D sind die Eigenwerte der Matrix A. Also gilt di,i > 0, i = 1, . . . , n. Somit gilt A = U t DU und xt Ax = xt U t DU x = (U x)t D(U x) Wir setzen y = U x und erhalten t t x Ax = y Dy = n X di,i yi2 > 0 i=1 Die letzte Ungleichung gilt, weil di,i > 0 und y 6= 0. 2 Um zu entscheiden, ob eine Matrix positiv definit ist, müsste man also die Eigenwerte berechnen. Dies kann sich jedoch schwierig gestalten. Es reicht aber zu zeigen, dass die Eigenwerte sämtlich positiv sind. Dies ist im wesentlichen der Inhalt des folgenden Satzes. Satz 6.10.1 Es sei A eine reelle, symmetrische n ⇥ n Matrix. (i) A ist genau dann positiv definit, wenn für alle k = 1, . . . , n 0 1 a1,1 . . . a1,k B .. C > 0 det @ ... . A ak,1 . . . ak,k gilt. (ii) A ist genau dann negativ definit, wenn für alle k = 1, . . . , n 0 1 a1,1 . . . a1,k B .. C > 0 ( 1)k det @ ... . A ak,1 . . . ak,k gilt. 318 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Beispiel 6.10.2 (i) Die Matrix 0 B @ 0 1 .. . 0 n 1 C A ist genau dann positiv definit, falls für alle i = 1, . . . , n gilt, dass (ii) Die Matrix ✓ ◆ a b b c ist genau dann positiv definit, wenn a > 0 und ac i > 0. b2 > 0 gelten. Satz 6.10.1 lässt sich nicht direkt auf die Begri↵e positiv semidefinit und negativ semidefinit übertragen. Dazu das folgende Beispiel. Es sei ✓ ◆ 0 0 A= 0 1 Für die Hauptunterdeterminanten erhalten wir det(0) = 0 und det ✓ 0 0 0 1 ◆ =0 aber A ist nicht positiv semidefinit. Satz 6.10.2 Eine reelle, symmetrische n⇥n Matrix ist genau dann positiv semidefinit, wenn alle Hauptunterdeterminanten von A nicht negativ sind, d.h. wenn für alle k = 1, . . . , n und alle i1 , . . . , ik 0 1 ai1 ,i1 . . . ai1 ,ik B .. C 0 det @ ... . A aik ,i1 . . . aik ,ik gilt. Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei in x0 zweimal stetig di↵erenzierbar. Wir bezeichnen die Matrix ✓ 2 ◆n @ f (x0 ) @xi @xj i,j=1 als Hesse-Matrix. Lemma 6.10.3 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei zweimal stetig di↵erenzierbar in U. Es seien x0 2 U und ✏ > 0 mit B2n (x0 , ✏) ✓ U . Dann gibt es eine Funktion ⇢ : B2n (0, ✏) ! R mit limy!0 ⇢(y) = 0, so dass für alle h 2 B2n (0, ✏) n 1 X @ 2 f (x0 ) f (x0 + h) = f (x0 )+ < rf (x0 ), h > + hi hj + khk22 ⇢(h) 2 i,j=1 @xi @xj gilt. 6.10. EXTREMWERTE 319 Beweis. Nach dem Satz von Taylor (Satz 6.8.1) gibt es zu jedem h 2 Rn ein ⇥(h) 2 (0, 1), so dass n 1 X @ 2 f (x0 + ⇥(h)h) f (x0 + h) = f (x0 )+ < rf (x0 ), h > + hi hj . 2 i,j=1 @xi @xj Deshalb f (x0 + h) = f (x0 )+ < rf (x0 ), h > + mit n 1 X @ 2 f (x0 ) hi hj + r(h) 2 i,j=1 @xi @xj n ✓ 1 X @ 2 f (x0 + ⇥(h)h) r(h) = 2 i,j=1 @xi @xj ◆ @ 2 f (x0 ) hi hj @xi @xj Dann gilt n ✓ |r(h)| 1 X @ 2 f (x0 + ⇥(h)h) = khk22 2 i,j=1 @xi @xj @ 2 f (x0 ) @xi @xj ◆ hi hj . khk2 khk2 Mit der Dreiecksungleichung und mit |hi | khk für i = 1, . . . , n folgt ✓ n |r(h)| 1 X @ 2 f (x0 + ⇥(h)h) khk22 2 i,j=1 @xi @xj @ 2 f (x0 ) @xi @xj ◆ . Da die zweiten partiellen Ableitungen von f in x0 stetig sind, gilt für alle i, j = 1, . . . , n ✓ 2 ◆ @ f (x0 + ⇥(h)h) @ 2 f (x0 ) lim =0 h!0 @xi @xj @xi @xj und damit |r(h)| = 0. h!0 khk2 2 lim Wir setzen für h 6= 0 ⇢(h) = |r(h)| khk22 und ⇢(0) = 0. 2 Lemma 6.10.4 Eine reelle, symmetrische n ⇥ n-Matrix A ist genau dann positiv definit, wenn es ein c > 0 gibt, so dass für alle x 2 Rn (6.5) ckxk22 n X i,j=1 ai,j xi xj 320 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Beweis. Falls (6.5) gilt, dann gilt für alle x 2 Rn mit x 6= 0 0 < ckxk22 n X ai,j xi xj = xt Ax. i,j=1 Nun die Umkehrung. Es gelte für alle x 2 Rn mit x 6= 0 (6.6) n X 0< ai,j xi xj . i,j=1 P {x 2 Rn |kxk2 = 1} ist eine kompakte Menge und die Abbildung, die x auf ni,j=1 ai,j xi xj abbildet, ist stetig. Nach Satz 3.4.7 nimmt diese Abbildung auf der Menge {x 2 Rn |kxk2 = 1} ihr Minimum an. Also existiert c = min kxk2 =1 n X ai,j xi xj . i,j=1 Wegen (3.4.7) gilt c > 0. Deshalb gilt für alle y 2 Rn mit y 6= 0 0 < c = min kxk2 =1 n X i,j=1 ai,j xi xj und damit 0< n X n X i,j=1 ai,j zi zj kzk2 kzk2 ai,j zi zj . i,j=1 2 Satz 6.10.3 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei zweimal stetig di↵erenzierbar in U mit rf (x0 ) = 0. Dann gelten: (i) Ist die Hesse-Matrix ✓ 2 ◆n @ f (x0 ) @xi @xj i,j=1 positiv definit, so hat f in x0 ein lokales Minimum. Ist die Hesse-Matrix negativ definit, so hat f in x0 ein lokales Maximum. (ii) Hat f in x0 ein lokales Minimum, so ist die Hesse-Matrix ✓ ◆n @2f (x0 ) @xi @xj i,j=1 positiv semidefinit. Hat f in x0 ein lokales Maximum, so ist die Hesse-Matrix negativ semidefinit. (iii) Ist die Hesse-Matrix indefinit, so hat f in x0 kein relatives Extremum. 6.10. EXTREMWERTE 321 Punkte, in denen die Hesse-Matrix indefinit ist, nennt man Sattelpunkte. Beweis. (i) Nach Lemma 6.10.3 gilt n 1 X @ 2 f (x0 ) f (x0 + h) = f (x0 )+ < rf (x0 ), h > + hi hj + khk22 ⇢(h) 2 i,j=1 @xi @xj mit lim ⇢(h) = 0. h!0 Wegen rf (x0 ) = 0 gilt n f (x0 + h) f (x0 ) 1 X @ 2 f (x0 ) hi hj = + ⇢(h). khk22 2 i,j=1 @xi @xj khk2 khk2 Wegen Lemma 6.10.4 gibt es eine Konstante c > 0 mit n 1 X @ 2 f (x0 ) hi hj 2 i,j=1 @xi @xj khk2 khk2 c. Da ⇢ in 0 stetig ist, gibt es ein > 0, so dass für alle h mit khk2 < |⇢(h)| < 2c gilt. Also gilt für alle h 6= 0 mit khk2 < f (x0 + h) f (x0 ) khk22 die Ungleichung c >0 2 und damit 0 < f (x0 + h) f (x0 ). (ii) Es gibt ein > 0, so dass für alle x mit kx x0 k2 < die Funktion f di↵erenzierbar ist. Deshalb gibt es für alle h mit khk2 < ein ⇥ 2 (0, 1), so dass f (x0 + h) 1 f (x0 ) = (< r, h > f )(x0 ) + (< r, h >2 f )(x0 + ⇥(h)h) 2 n n X X @f 1 @2f = (x0 )hi + (x0 + ⇥(h)h)hi hj @xi 2 i,j=1 @xi @xj i=1 Da rf (x0 ) = 0 gilt, folgt f (x0 + h) f (x0 ) = n 1 X @2f (x0 + ⇥(h)h)hi hj 2 i,j=1 @xi @xj Da f in x0 ein lokales Minimum hat, so gibt es ein ✏ > 0, so dass für alle h mit khk < ✏ n 1 X @2f 0 f (x0 + h) f (x0 ) = (x0 + ⇥(h)h)hi hj 2 i,j=1 @xi @xj 322 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Es folgt, dass für alle h mit khk < ✏ und alle t 2 (0, 1) n 1 X @2f 0 (x0 + ⇥(th)th)thi thj 2 i,j=1 @xi @xj gilt. Hieraus folgt, dass für alle h mit khk < ✏ und alle t 2 (0, 1) 0 n X @2f (x0 + ⇥(th)th)hi hj @x @x i j i,j=1 gilt. Wegen der Stetigkeit von @2f @xi @xj in x0 ergibt sich für t ! 0, dass für alle h mit khk < ✏ 0 n X @2f (x0 )hi hj @x @x i j i,j=1 gilt. Damit ist die Hesse Matrix positiv semidefinit. (iii) Falls die Hesse Matrix weder positiv semidefinit, noch negativ semidefinit ist, dann gibt es ⇠, ⌘ 2 Rn mit n X n X @2f (x0 )⇠i ⇠j > 0 @x @x i j i,j=1 @2f (x0 )⌘i ⌘j < 0. @x @x i j i,j=1 Es folgt für alle t 2 (0, 1) n f (x0 + t⇠) f (x0 ) 1 X @ 2 f (x0 ) ⇠i ⇠j = + ⇢(t⇠). kt⇠k22 2 i,j=1 @xi @xj k⇠k2 k⇠k2 Für hinreichend kleines t erhalten wir f (x0 + t⇠) f (x0 ) > 0. Ebeenso zeigen wir für hinreichend kleine s f (x0 + s⌘) f (x0 ) < 0. 2 Beispiel 6.10.3 (i) Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = x2 + y 2 gegeben. f hat in (0, 0) ein lokales, striktes Minimum. (ii) Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = xy gegeben. f hat in (0, 0) einen Sattelpunkt. (iii) Es sei f : R ! R durch f (x) = x3 gegeben. Satz 6.10.3 reicht nicht aus, um zu entscheiden, ob ein Minimum oder Maximum in 0 vorliegt. (Tatsächlich liegt keines von beiden vor.) 6.10. EXTREMWERTE 323 Beweis. (i) Es gilt @f = 2x @x @f = 2y @y Also ist (0, 0) der einzige kritische Punkt. Die Hesse-Matrix im Punkt (0, 0) ist ! ✓ ◆ @2f @2f 2 0 @x2 @x@y = @2f @2f 0 2 2 @y@x @y Die Eigenwerte der Matrix sind alle strikt positiv, also ist sie positiv definit. (ii) Es gilt @f @f =y =x @x @y Also ist (0, 0) der einzige kritische Punkt. Die Hesse-Matrix in (0, 0) ist ✓ ◆ 0 1 1 0 Die Eigenwerte sind 1 und 1. Also ist die Matrix indefinit. Es liegt ein Sattelpunkt vor. (iii) In 0 liegt der einzige kritische Punkt vor und die Hesse-Matrix ist dort 0. 2 Beispiel 6.10.4 Es sei f : R2 ! R mit f (x, y) = (2x2 + 3y 2 )e x2 y 2 . Dann sind (0, 0), (0, 1), (0, 1), (1, 0), ( 1, 0) die kritischen Punkte. In (0, 0) liegt ein relatives Minimum vor, in (0, 1) und (0, 1) liegen relative Maxima vor und in (1, 0) und ( 1, 0) liegen Sattelpunkte vor. Beweis. Die ersten partiellen Ableitungen sind @f = (4x @x 4x3 6xy 2 )e @f = (6y @y x2 y 2 6y 3 4x2 y)e x2 y 2 Die kritischen Punkte erfüllen 0 = 2x(2 2x2 3y 2 ) und 0 = 2y(3 2x2 3y 2 ). . 324 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Also gelten x=0 oder 2x2 + 3y 2 = 2 y=0 oder 2x2 + 3y 2 = 3. und Hieraus ergeben sich vier Fälle 2x2 + 3y 2 = 2 y=0 x=0 y=0 2x2 + 3y 2 = 2 2x2 + 3y 2 = 3 x=0 2x2 + 3y 2 = 3 Somit sind (0, 0), (±1, 0) und (0, ±1) die kritischen Punkte. @2f @x2 @2f @y 2 @2f = @x@y 12xye x2 y 2 = (4 12x2 6y 2 )e = (4 20x2 6y 2 + 8x4 + 12x2 y 2 )e = (6 18y 2 4x2 )e = (6 30y 2 4x2 + 12y 4 + 8x2 y 2 )e x2 y 2 + (4x 4x3 x2 y 2 + (4x + (6y 6xy 2 )( 2y)e Die Hesse Matrizen in (0, 0), (±1, 0), (0, ±1) sind ✓ ◆ ✓ 8 ◆ 4 0 0 e 2 0 6 0 e 4x3 6xy 2 )( 2x)e x2 y 2 x2 y 2 6y 3 4x2 y)( 2y)e x2 y 2 x2 y 2 x2 y 2 = ( 20xy + 8x3 y + 12xy 3 )e ✓ 2 e 0 0 12 e x2 y 2 ◆ 2 Beispiel 6.10.5 Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = (y x2 )(y 3x2 ) gegeben. Diese Funktion hat in (0, 0) kein relatives Extremum, aber f eingeschränkt auf jede Gerade durch (0, 0) besitzt in (0, 0) ein striktes relatives Minimum. 6.10. EXTREMWERTE 325 Beweis. Die ersten partiellen Ableitungen sind @f = @x 3x2 ) 2x(y @f = (y @y x2 ) = 6x(y 3x2 ) + (y 8xy + 12x3 x2 ) = 2y 4x2 . Die kritischen Punkte erfüllen 12x3 = 8xy 4x2 = 2y. und Hieraus folgt 12x3 = 16x3 und damit x = 0. Also gilt auch y = 0. Der einzige kritische Punkt ist (0, 0). Die zweiten, partiellen Ableitungen sind @2f = @x2 @2f =2 @y 2 8y + 36x2 Die Hesse Matrix in (0, 0) ist ✓ 0 0 0 2 ◆ @2f = @x@y 8x. . Diese Matrix besitzt einen strikt positiven Eigenwert. Das bedeutet, dass in (0, 0) kein relatives Maximum vorliegen kann. Wir können nicht schließen, ob in (0, 0) ein lokales Minimum vorliegt oder nicht. Um einzusehen, dass in (0, 0) kein lokales Extremum vorliegt, betrachten wir die Gerade {(0, y)|y 2 R} und die Kurve {(x, 2x2 )|}. Es gelten f (0, y) = y 2 und f (x, 2x2 ) = x4 . Deshalb nimmt f in jeder Umgebung von (0, 0) sowohl strikt positive, als auch strikt negative Werte an. Deshalb liegt in (0, 0) kein relatives Extremum vor. Wir schränken nun f auf die Gerade y = ax ein. a (x) = f (x, ax) = (ax 0 a (x) 0 und a 2 ± a p 2 3 x2 )(ax = 2a2 x 3x2 ) = a2 x2 4ax3 + 3x4 12ax2 + 12x3 sind kritische Punkte. 00 a (x) = 2a2 24ax + 36x2 Somit liegt in 0 ein striktes relatives Minimum vor. Wir wollen noch untersuchen, wie der Graph von f aussieht. In dem Punkt a relatives Maximum von a und in a2 + 2p ein relatives Minimum vor. 2 3 a 2 a p 2 3 liegt ein Beispiel 6.10.6 (Beste Approximation im quadratischen Mittel) Es sei f 2 C[0, 1]. Es gibt genau ein Polynom n X pn (x) = ak xk k=0 n-ten Grades, so dass Z 0 minmal ist. Es sei bk = Z 0 1 |f (x) pn (x)|2 dx 1 f (x)xk dx k = 0, 1, . . . , n 326 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Dann lassen sich die Koeffizienten des Polynoms durch 0 1 0 a0 ✓ ◆n 1 B .. C B @ . A=@ i + j + 1 i,j=0 an 1 b0 .. C . A bn berechnen. Die minimierenden Polynome sind nicht mit den Taylorpolynomen identisch. Beweis. Wir setzen F (a0 , . . . , an ) = Z 1 f (x) 0 = Z 0 n X 2 k ak x dx k=0 1 |f (x)|2 dx 2 n X ak k=0 Z 1 f (x)xk dx + 0 n X ai aj . i+j+1 i,j=0 F ist ein Polynom 2. Grades. Wir wollen den Punkt bestimmen, an dem das absolute Minimum angenommen wird. Zunächst wissen wir noch nicht, dass das Minimum überhaupt angenommen wird, wir wissen auch noch nicht, dass dieser Punkt eindeutig ist. Wir untersuchen die kritischen Punkte. Z 1 n X @F ai = 2 f (x)xj dx + 2 @aj i + j+1 0 i=0 Damit erfüllen die kritischen Punkte a die Gleichungen Z 1 n X ai = f (x)xj dx i + j + 1 0 i=0 j = 0, 1, . . . , n Wir zeigen nun, dass es genau eine Lösung diese Gleichungssystems gibt. Dazu zeigen wir, dass die Matrix ✓ ◆n 1 i + j + 1 i,j=0 invertierbar ist. Wir zeigen, dass alle Eigenwerte der Matrix ✓ ◆n 1 i + j + 1 i,j=0 strikt positiv sind. Um dies zu zeigen, benutzen wir Satz und weisen nach, dass für alle k = 0, . . . , n ✓ ◆k 1 0 < det i + j + 1 i,j=0 gilt. Hierzu benutzen wir die folgende Formel. Für alle Zahlen a0 , . . . , an und b0 , . . . , bn mit ai + bj 6= 0, i, j = 0, . . . , n gilt Q aj )(bi bj ) ✓ ◆n 0 i, j n (ai 1 j <i Qn det = ai + bj i,j=0 i,j=0 (ai + bj ) Mit ai = i + 1 und bj erhalten wir für alle k = 1, . . . , n Q j)2 ✓ ◆k 0 i, j k (i 1 j <i det = Qk >0 i + j + 1 i,j=0 i,j=0 (i + j + 1) 6.10. EXTREMWERTE 327 Damit gibt es genau einen kritischen Punkt, der die behauptete Gleichung erfüllt. Die Hesse Matrix von F an dieser Stelle ist ✓ ◆n 1 . i + j + 1 i,j=0 Wie wir eben festgestellt haben besitzt sie nur positive Eigenwerte und damit liegt ein striktes, lokales Minimum vor. Nun zeigen wir, dass das lokale Minimum auch ein globales ist. Dazu müssen wir zeigen, dass ein globales Minimum existiert. Da ein globales Minimum insbesondere ein lokales ist und es nur ein lokales Minimum gibt, muss das lokale Minimum das globale sein. Wir überlegen uns, dass es ein r gibt, so dass für alle a 2 Rn mit kak r F (0) F (a) gilt. Wir bezeichnen Q(a) = n X ai aj i + j+1 i,j=0 und L(a) = 2 n X aj j=0 Z 1 f (x)xj dx. 0 Mit der Ungleichung von Cauchy Schwarz folgt 0 n Z X |L(a)| 2kak @ 1 12 f (x)xj dx A . 0 j=0 Weiter gilt, dass 2 1 inf Q(b) = min Q(b) > 0. kbk=1 kbk=1 Das Infimum wird angenommen, weil Q eine stetige Funktion ist und die Menge {b| kbk = 1} kompakt ist. Das Minimum ist strikt größer als 0, weil Q positiv definit ist. Wir wählen 2 r= ✓ Pn j=0 R1 0 2 j f (x)x dx minkbk=1 Q(b) ◆ 12 . Hiermit gilt F (a) = Q(a) L(a) + Z 1 0 2 kak Q 0 Für a mit kak ✓ a kak ◆ |f (x)|2 dx 0 n Z X @ 2kak j=0 kbk=1 F (a) 0 j=0 Z 0 1 12 f (x)x dx A + j 0 n Z X 2@ B kak @kak min Q(b) r folgt 2 1 0 1 Z 0 1 |f (x)|2 dx 1 12 1 Z C f (x)xj dx A A + 2 0 1 |f (x)|2 dx. 1 |f (x)|2 dx = F (0). Also wird das Minimum von f in der Menge {a| kak r} angenommen. Also muss es sich um das lokale Minimum handeln. Tatsächlich hätten wir nicht nachweisen brauchen, dass die Hesse Matrix positiv definit ist. Es reicht zu zeigen, dass ein globales Minimum existiert und dass es einen eindeutigen kritischen Punkt gibt. 328 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Unter allen quadratischen Polynomen liefert p2 (x) = (39e das Minimum für Z 0 105) + (588 570)x2 216e)x + (210e 1 |ex (a0 + a1 x + a2 x2 )|2 dx. Das Polynom ist nicht mit dem Taylorpolynom von ex identisch. Bei der Berechnung des Polynoms verfahren wir wie folgt. Es gelten Z 1 Z 1 Z 1 x x e dx = e 1 xe dx = 1 x2 ex dx = e 0 0 Das Gleichungssystem 0 hat die eindeutige Lösung 1 @ 1 2 1 3 1 2 1 3 1 4 2. 0 10 1 0 1 a0 e 1 A @ a1 A = @ 1 A a2 e 2 1 3 1 4 1 5 (a0 , a1 , a2 ) = (39e 105, 588 216e, 210e 570). 2 Beispiel 6.10.7 Eine rechteckige Schachtel ohne Deckel werde aus 12 m2 Karton hergestellt. Man finde die Schachtel mit maximalem Volumen. Die Länge, Breite und Höhe der Schachtel sei mit x, y, z bezeichnet. Dann ist das Volumen gleich V = xyz. Für die Fläche erhalten wir F = 2xz + 2yz + xy = 12. Wir lösen diese Gleichung nach z auf z= Hiermit V = xy 12 xy . 2(x + y) 12 xy 12xy x2 y 2 = . 2(x + y) 2(x + y) Wir fassen V als Funktion von {(x, y)|x > 0 und y > 0} nach R auf. @V y 2 (12 2xy x2 ) = @x 2(x + y)2 @V x2 (12 2xy y 2 ) = @y 2(x + y)2 Für die kritischen Punkte gilt x 6= 0 y 6= 0 weil anderenfalls V = 0. Deshalb gilt 12 2xy x2 = 0 12 2xy x2 = 12 3x2 Hieraus folgt x2 = y 2 . Da x > 0 und y > 0, so gilt x = y. Es folgt 0 = 12 2xy y2 = 0 6.11. UMKEHRABBILDUNGEN 329 und damit x = 2. Damit gilt auch y = 2. Für z erhalten wir z= 12 xy 12 4 = = 1. 2(x + y) 8 Wir prüfen nach, dass es sich um ein lokales Maximum handelt. @2V @x2 = = @ y 2 (12 2xy x2 ) @x 2(x + y)2 1 ( 2y 3 2xy 2 )(x + y)2 2(x + y)y 2 (12 2 (x + y)4 2xy x2 ) Für x = y = 2 erhalten wir @2V @2V (2, 2) = (2, 2) = @x2 @y 2 1. Die gemischten, partiellen Ableitungen sind @2V @y@x = = @ y 2 (12 2xy x2 ) @y 2(x + y)2 1 (24y 6xy 2 2x2 y)(x + y)2 2(x + y)y 2 (12 2 (x + y)4 2xy x2 ) . Für x = y = 2 erhalten wir @2V @2V (2, 2) = (2, 2) = @y@x @x@y Für die Hesse Matrix an der Stelle (2, 2) erhalten wir ! ✓ @2V @2V @x2 @y@x = @2V @2V @x@y @y 2 1 1 2 1 . 2 1 2 1 ◆ . Die Eigenwerte der Matrix sind 12 und 32 . Damit haben wir nachgewiesen, dass ein lokales Maximum in x = y = 2 vorliegt. Es bleibt noch zu zeigen, dass dies ein globales ist. 6.11 Umkehrabbildungen Falls f : Rn ! Rn eine lineare Abbildung ist, also f (x) = Ax, wobei A eine n ⇥ nMatrix ist, so ist f genau dann invertierbar, wenn die Determinante von df =A dx von 0 verschieden ist. Der allgemeine Fall folgt wieder mittels Approximation der fi , i = 1, . . . , n durch Taylorpolynome 1. Grades fi (x0 + h) ⇠ fi (x0 ) + n X @fi (x0 )hk . @x k k=1 330 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Definition 6.11.1 Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) metrische Räume und f : X ! Y eine Abbildung. f heißt o↵en, falls das Bild einer o↵enen Menge wieder o↵en ist. Falls f invertierbar und o↵en ist, dann ist f 1 stetig. Lemma 6.11.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge vom Rn , w 2 U und f : U ! Rn stetig di↵erenzierbar mit df (w) dx (6.7) invertierbar. Dann gibt es eine Umgebung von w, auf der f injektiv ist. Beweis. Wir zeigen, dass es ein ✏ > 0 gibt, so dass für alle ⇠1 , . . . , ⇠n 2 B2n (w, ✏) ✓ ◆n ! @fi (6.8) det (⇠i ) 6= 0 @xj i,j=1 gilt. Damit sind die Matrizen invertierbar. (Wir brauchen hier tatsächlich, dass wir jedes i einen anderen Vektor einsetzen können.) Dazu betrachten wir die Abbildung F : Rn⇥n ! R mit ✓ ◆n ! @fi (6.9) F (⇠1 , . . . , ⇠n ) = det (⇠i ) . @xj i,j=1 Wir statten den Rn⇥n mit der Norm k(⇠1 , . . . , ⇠n )k = max k⇠i k2 1in aus. Diese Abbildung erfüllt F (w, . . . , w) 6= 0 und sie ist stetig. Sie ist stetig, weil die partiellen Ableitungen stetig sind und weil det stetig ist (det ist ein Polynom). Da F stetig ist, gibt es ein ✏ > 0, so dass für alle (⇠1 , . . . , ⇠n ) 2 B n⇥n ((w, . . . , w), ✏) F (⇠1 , . . . , ⇠n ) 6= 0 gilt. Damit haben wir (6.9) nachgewiesen. Es seien nun y, z 2 B2n (w, ✏). Nach dem Mittelwertsatz gibt es für alle i = 1, . . . , n ein ⇥i mit 0 < ⇥i < 1 und fi (y) fi (z) = Es folgt f (y) f (z) = n X @fi (z + ⇥i (y @x j j=1 ✓ @fi (z + ⇥i (y @xj z))(yj ◆n z)) (y zj ). z). i,j=1 Da die Matrix nach (6.8) invertierbar ist, folgt f (y) 6= f (z), falls y 6= z. 2 6.11. UMKEHRABBILDUNGEN 331 Lemma 6.11.2 Es sei U eine o↵ene Teilmange des Rn und f : U ! Rn sei stetig di↵erenzierbar in U. Es sei w 2 U und die Funktionalmatrix von f in w sei invertierbar. Dann gibt es eine Umgebung W von f (w) mit W ✓ f (U). Beweis. Nach Lemma 6.11.1 gibt es ein ✏ > 0, so dass f auf B2n (w, ✏) injektiv ist. df Außerdem können wir annehmen, dass det( dx (x)) 6= 0 auf B2n (w, ✏) gilt. Dies gilt, df weil f stetig di↵erenzierbar auf U ist und det( dx (w)) 6= 0. n Wir betrachten g : B2 (w, ✏) ! R mit g(x) = kf (x) f (w)k2 . Es gibt ein ⌘ > 0, so dass für alle x mit kx wk = ✏ ⌘ g(x) gilt. Wir zeigen dies. Da g auf B2n (w, ✏) injektiv ist, gilt für alle x mit kx wk2 = ✏ g(x) > 0. Anderenfalls würde f (x) = f (w) gelten und f wäre nicht injektiv. Da g stetig ist und B2n (w, ✏) kompakt, nimmt g auf {x|kx wk2 = ✏} ihr Minimum an. Diese Minimum ist strikt größer als 0. Wir zeigen nun, dass für alle y mit ky f (w)k2 < ⌘2 ein x mit kx wk2 < ✏ und f (x) = y existiert, also B2n (f (w), ⌘2 ) ✓ f (B2n (w, ✏)). Dazu betrachten wir die Funktion h : B2n (w, ✏) ! R mit yk22 . h(x) = kf (x) Diese Funktion nimmt ihr Minimum in einem inneren Punkt von B2n (w, ✏) an. Wir zeigen dies. Da h stetig ist und B2n (w, ✏) kompakt, nimmt h ihr Minimum auf B2n (w, ✏) an. Wir zeigen, dass das Minimum nicht auf der Menge {x|kx wk2 = ✏} angenommen wird. In der Tat, für alle x mit kx wk2 = ✏ gilt ⌘ kf (x) Wegen ky f (w)k2 = kf (x) f (w)k2 ⌘ 2 y+y f (w)k2 kf (x) folgt für alle x mit kx ⌘ kf (x) 2 Wir nehmen nun an, dass es ein z mit kz h(z) = kf (z) yk22 = yk2 + ky wk2 = ✏ yk2 . wk2 = ✏ und min kx wk2 ✏ kf (x) yk22 gibt. Dann gilt kf (z) yk2 = yk2 min min kx wk2 ✏ kf (x) yk2 und damit ⌘ kf (z) 2 kx wk2 ✏ kf (x) yk2 kf (w) ⌘ yk2 < . 2 f (w)k2 . 332 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Dies ist ein Widerspruch. Also wird das Minimum in einem inneren Punkt z der Menge B2n (w, ✏) angenommen. Somit gilt rh(z) = 0. Es folgt !n n X @fi (z) 0 = rh(z) = 2 (fi (z) y) @xj i=1 j=1 bzw. 0= ✓ ◆n @fi @xj (f (z) y). i,j=1 Da die Matrix auf B2n (w, ✏) invertierbar ist, folgt f (z) = y. 2 Satz 6.11.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! Rn sei auf U stetig di↵erenzierbar. Es seien x0 2 U und ✓ ◆ df det (x0 ) 6= 0. dx Dann gibt es o↵ene Umgebungen V(x0 ) von x0 und W(f (x0 )) von f (x0 ), so dass V(x0 ) bijektiv auf W(f (x0 )) abgebildet wird, d.h. es gibt auf W(f (x0 )) eine Umkehrabbildung f 1 . Die Umgebungen V(x0 ) und W(f (x0 )) können so gewählt werden, dass f 1 auf W(f (x0 )) stetig di↵erenzierbar ist und für alle x 2 V(x0 ) (6.10) df 1 (f (x)) = dy ✓ ◆ df (x) dx 1 gilt. Wenn man bereits weiß, dass f 1 existiert und di↵erenzierbar ist, dann folgt die Gleichung (6.10) aus der Kettenregel. In der Tat, aus f 1 (f (x)) = x folgt d f dx 1 (f (x)) = In . Mit der Kettenregel folgt df 1 df (f (x)) (x) = In . dy dx Also gilt df 1 (f (x)) = dy ✓ ◆ df (x) dx 1 . Beweis. Wir weisen zuerst die Existenz der o↵enen Umgebungen V(x0 ) und W(f (x0 )) von x0 und f (x0 ) nach. Wegen Lemma 6.11.1 gibt es eine o↵ene Umgebung V1 (x0 ) 6.11. UMKEHRABBILDUNGEN 333 (x) von x0 , auf der f injektiv ist. Wir können außerdem sicher stellen, dass dfdx auf V1 (x0 ) invertierbar ist. Nun betrachten wir die Menge f (V1 (x0 )). Wegen Lemma 6.11.2 ist diese Menge o↵en. Mit demselben Argument schließen wir, dass die Abbildung f auf V1 (x0 ) eine o↵ene Abbildung ist. Somit ist f 1 stetig. Da f di↵erenzierbar ist, gilt f (x) = f (x0 ) + df (x0 ) (x dx x0 ) + (x)kx x0 k2 mit lim (x) = 0. x!x0 Wegen x = f y Es folgt ✓ ◆ df (x0 ) dx 1 1 (y) und x0 = f y0 = df (x0 ) (f dx 1 (y0 ) (y) f (y) f 1 1 1 (y y0 ) = f 1 (y0 )) + (f 1 (y))kf ✓ ◆ df (x0 ) (y0 )+ dx 1 f 1 (y)))kf 1 (y) (y0 )k2 . 1 ( (f 1 (y) f 1 (y0 )k2 . Also 1 f ✓ ◆ 1 df (x0 ) (y) = f (y0 ) + (y y0 ) dx ✓ ◆ 1 df (x0 ) kf + ( (f 1 (y))) dx 1 1 (y) ky f 1 (y0 )k2 y0 k2 ! ky Es bleibt zu zeigen ✓ lim y!y0 Da f 1 df (x0 ) dx ◆ 1 ( (f 1 lim f 1 kf 1 (y) = f 1 (y))) (y) ky f 1 (y0 )k2 y0 k2 ! = 0. stetig ist, gilt y!y0 (y0 ). Also lim (f y!y0 1 (y)) = (f 1 (y0 )) = (x0 ) = 0. Es bleibt zu zeigen, dass kf für y ! y0 beschränkt bleibt. (6.11) kf 1 (y) ky 1 (y) ky f 1 (y0 )k2 y0 k2 f 1 (y0 )k2 kx = y0 k2 kf (x) x0 k2 = f (x0 )k2 1 kf (x) f (x0 )k2 kx x0 k2 y0 k2 . 334 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Es gilt df (x0 ) (x dx kf (x) f (x0 )k2 kf (x) kx f (x0 )k2 x0 k2 x0 ) k (x)k2 kx 2 x0 k2 und damit ✓ ◆ df (x0 ) x x0 k (x)k2 dx kx x0 k2 2 df (x0 ) inf (z) k (x)k2 kzk2 =1 dx 2 Da die Menge {z|kzk2 = 1} kompakt ist und die Abbildung, die z auf abbildet, stetig ist, wird das Infimum angenommen. Also ✓ ◆ kf (x) f (x0 )k2 df (x0 ) x x0 k (x)k2 kx x0 k2 dx kx x0 k2 2 df (x0 ) min (z) k (x)k2 kzk2 =1 dx 2 Da df (x0 ) dx df (x0 ) dx (z) 2 invertierbar ist, gilt ↵ = min kzk2 =1 df (x0 ) (z) dx > 0. 2 Da in x0 stetig ist, gibt es ein ✏ > 0, so dass für alle x 2 B2n (x0 , ✏) die Ungleichung | (x)| < ✏ gilt. Wir wählen ✏ = ↵2 . Dann gilt für alle x 2 B2n (x0 , ↵2 ) kf (x) kx f (x0 )k2 x0 k2 ↵ . 2 Mit (6.11) folgt für alle y mit B2n (y0 , ) kf 1 (y) ky f 1 (y0 )k2 2 . y0 k2 ↵ 2 Beispiel 6.11.1 (i) Es sei f : R2 ! R2 durch f (r, ) = (x(r, ), y(r, )) = (r cos , r sin ) gegeben. f ist in allen Punkten (r, ) mit r 6= 0 lokal invertierbar. Die lokalen Inversen sind durch r= p x2 + y 2 = arctan y x gegeben (x 6= 0). (ii) Es sei f : (0, 1) ⇥ R ! R2 durch f (r, ) = (x(r, ), y(r, )) = (r cos , r sin ) 6.11. UMKEHRABBILDUNGEN 335 gegeben. f ist in allen Punkten (r, ) lokal invertierbar, f ist aber nicht global invertierbar. (iii) Es sei f : R2 ! R2 durch f (x, y) = (u(x, y), v(x, y)) = (x2 + y 2 , xy) gegeben. f ist lokal umkehrbar, falls x2 6= y 2 . Die lokalen Inversen sind durch s r v u u2 r x= y= + v2 q 2 4 u u2 v2 2 + 4 gegeben. (iv) (Polarkoordinaten) Es sei f : Rn ! Rn durch f (r, 1, . . . , n 1) = (x1 , . . . , xn ) und x1 = r cos x2 = r sin x3 = r sin .. . xn 1 = r sin xn = r sin 1 cos 1 sin 1 2 2 cos . . . sin 1 . . . sin 1 3 cos 2 sin n 2 n 1 n n 1 gegeben. Dies lässt sich auch so schreiben x1 xk xn = r cos 1 kY1 = r sin = r i=1 n Y1 sin i cos k = 2, 3, . . . , n k 1 i i=1 Es gilt det ✓ df d(r, 1 , . . . , n 1) ◆ = rn 1 = rn 1 sinn n Y2 2 1 sinn sinn 3 k 1 k. 2 . . . sin n 2 k=1 Beweis. (i) Wir wenden den Umkehrsatz an. Die Abbildung f ist stetig di↵erenzierbar, weil die partiellen Ableitungen existieren und stetig sind. @x = cos @r @x = @ r sin Die Determinante der Funktionalmatrix ist ! ✓ @x @x cos @r @ det = det @y @y sin @r @ @y = sin @r r sin r cos ◆ = r cos2 @y = r cos @ + r sin2 = r. 336 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Die Funktionalmatrix ist also für alle (r, ) mit r 6= 0 von 0 verschieden. Somit ist f in allen diesen Punkten lokal invertierbar. Dies kann man auch leicht dadurch einsehen, dass man die Inverse berechnet. Aus x = r cos und x = r sin folgen r2 = x2 + y 2 y = tan . x und Mit dem Satz über die Umkehrfunktion erhalten wir für die Ableitung der Inversen ✓ ◆ 1 df 1 df (f (r, )) = (r, ) d(x, y) d(r, ) bzw. df 1 (f (r, )) = d(x, y) = ✓ cos sin ✓ ◆ r sin r cos ◆ y r = x x r y r2 1 = ✓ x x2 +y 2 y x2 +y 2 p r2 cos 1 r sin p 2y x +y 2 x x2 +y 2 ◆ sin 1 r cos ! . Da wir die Umkehrabbildung explizit ausgerechnet haben, können wir die Ableitung auch direkt ausrechnen. (ii) f ist wegen (i) in allen Punkten lokal umkehrbar, aber nicht global umkehrbar, weil f (r, ) = f (r, + 2⇡). (iii) Für die Funktionaldeterminante von f erhalten wir ! ✓ ◆ @f1 @f1 2x 2y @x @y det = det = 2x2 @f2 @f2 y x @x @y 2y 2 . Die Funktionaldeterminante ist also genau dann 0, wenn x2 = y 2 . Auch hier können wir die Inversen explizit berechnen. Aus u = x2 + y 2 und v = xy folgt x= v y und u= v2 + y2 . x2 Es folgt y4 und damit y= s y2 u + v2 u + 2 r u2 4 v2 . (iv) Wir entwickeln die Determinante gemäss der Laplace Formel nach der letzten Spalte, d.h. der n 1 -Spalte. In dieser Spalte sind nur die letzten beiden Koordinaten von 0 verschieden. ✓ ◆ @xn det @(r, 1 , . . . , n 1 ) ✓ ◆ ✓ ◆ @xnn 1 @xnn @xn @xn = det det @ n 1 @(r, 1 , . . . , n 1 ) (n,n) @ n 1 @(r, 1 , . . . , n 1 ) (n 1,n) Weiter gilt ✓ @xnn 1 @xnn 1 @xn , ,..., n @r @ 1 @ n ✓ @xnn @xnn @xnn , ,..., @r @ 1 @ n 2 1 2 ◆ ◆ = cos = sin n 1 n 1 @xnn 11 @xnn 11 @xn , ,..., n @r @ 1 @ n @xnn 11 @xnn 11 @xn , ,..., n @r @ 1 @ n 1 1 2 1 1 2 ! . ! 6.11. UMKEHRABBILDUNGEN 337 Damit erhalten wir det ✓ @xn @(r, 1 , . . . , weil die letzte Zeile der Matrix det ✓ @xn @(r, 1 , . . . , n 1) ◆ = cos 1 ,..., n n 1) n (n,n) @xn @(r, 1 det 1) ◆ ✓ @xn 1 @(r, 1 , . . . , n 2) ◆ gestrichen wird. Ebenso erhalten wir = sin n 1 (n 1,n) det ✓ @xn 1 @(r, 1 , . . . , wobei wir beachten, dass die vorletzte Zeile gestrichen wird. Es folgt ✓ ◆ @xn det @(r, 1 , . . . , n 1 ) ✓ ◆ @xnn @xn 1 = cos n 1 det @ n 1 @(r, 1 , . . . , n 2 ) ✓ @xn @xn 1 sin n 1 n 1 det @ n 1 @(r, 1 , . . . , ✓ ◆ n 2 Y @xn 1 =r sin i det @(r, 1 , . . . , n 2 ) i=1 n 2) n 2) ◆ ◆ 2 Es stellt sich die Frage, ob man beim Umkehrsatz die Voraussetzung, dass die Funktion stetig di↵erenzierbar ist, abschwächen kann? Reicht vielleicht, die Di↵ferenzierbarkeit aus? Dies ist nicht der Fall. Dazu das folgende Beispiel. Beispiel 6.11.2 Es sei f : R ! R durch ⇢ x + x2 cos x⇡2 f (x) = 0 x 6= 0 x=0 definiert. f ist überall di↵erenzierbar f 0 (0) = 1, aber nicht in 0 lokal umkehrbar. Beweis. Falls eine di↵erenzierbare Funktion auf einem Intervall umkehrbar ist, so muss ihre Ableitung nicht negativ oder nicht positiv auf dem Intervall sein. Da f 0 (0) = 1, so muss die Ableitung auf dem Intervall nicht negativ sein. Es gilt f 0 (x) = 1 + 2x cos und für erhalten wir 0 also 1 x= q 2k + 1 1 1 A = 1 + 2q f @q 2k + 32 2k + 0 ⇡ 2⇡ ⇡ + sin 2 2 x x x 0 1 3 2 r ✓ ◆ ✓ ◆ 3 3 3 cos 2k⇡ + ⇡ + 2⇡ 2k + sin 2k⇡ + ⇡ 2 2 2 1 A=1 f @q 2k + 32 0 3 2 2⇡ r 2k + 3 <0 2 338 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN 2 1 0.5 -1 -0.5 0.5 1 -0.5 -1 6.12 Implizite Funktionen Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und fi : U ! R, i = 1, . . . , m. Unter welchen Voraussetzungen kann man das Gleichungssystem fi (x) = 0 i = 1, . . . , m lösen? Kann man das Gleichungssystem nach bestimmten Variablen auflösen? Unter welchen Voraussetzungen sind die Lösungen di↵erenzierbare Funktionen? Wir betrachten das Gleichungssystem x2 + y 2 + z 2 = 1 ex = sin y Dieses Gleichungssystem hat x = ln(sin y) p z = 1 y2 | ln(sin y)|2 als eine Lösung (vorausgesetzt die Ausdrücke sind sinnvoll). Wir haben nach x und z aufgelöst. Es seien m, n 2 N mit m < n und U eine o↵ene Teilmenge des Rn . Weiter sei F : U ! Rm eine Funktion. Wir sagen, dass das System F (x) = 0 bzw. fi (x) = 0 i = 1, . . . , m lokal in x0 nach x(1), . . . , x(m) auflösbar ist, falls es eine Umgebung V(x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) von (x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) 2 Rn m und eine eindeutige Funktion : V(x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) ! Rm 6.12. IMPLIZITE FUNKTIONEN 339 gibt, so dass für alle (x(m + 1), . . . , x(n)) 2 V(x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) und alle i = 1, . . . , m fi ( 1 (x(m + 1), . . . , x(n)), . . . , m (x(m + 1), . . . , x(n)), x(m + 1), . . . , x(n)) = 0 und (x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) = (x0 (1), . . . , x0 (m)) gilt. Wir sagen, dass implizit durch das Gleichungssystem definiert ist. Satz 6.12.1 Es seien m < n, U eine o↵ene Teilmenge des Rn und F : U ! Rm stetig di↵erenzierbare Funktionen auf U. Es sei x0 2 U mit F (x0 ) = 0. Die Matrix ✓ ◆m @fi (x0 ) @xk i,k=1 sei nicht singulär. Dann ist das Gleichungssystem F (x) = 0 lokal in x0 auflösbar und die Lösung ist auf einer Umgebung von (x0 (m+1), . . . , x0 (n)) stetig di↵erenzierbar. Die Funktionalmatrix von berechnet sich durch ✓ ◆m,n @ i (x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) @xk i=1,k=m+1 ✓ ◆m ! 1 ✓ ◆m,n @fi @fi = (x0 ) (x0 ) . @xk @xk i,k=1 i=1,k=m+1 Satz 6.12.1 ist insbesondere dann von Interesse, wenn es zu kompliziert ist, ein Gleichungssystem aufzulösen. Der Satz hat also theoretisches Interesse. Er stellt nur sicher, dass es eine Lösung gibt, ohne jedoch eine explizite Formel für die Lösung zu liefern. Zum Beweis wird der Mittelwertsatz verwendet. Die Beweisidee und Formulierung geht auf lineare Gleichungssysteme zurück. Falls fi , i = 1, . . . , m, lineare Abbildungen sind, so hat man n X ai,k x(k) = 0 i = 1, . . . , m k=1 Dieses System lässt sich nach x(1), . . . , x(m) auflösen, wenn die Determinante der Matrix ✓ ◆m @fi m (ai,k )i,k=1 = @xk i,k=1 von 0 verschieden ist, bzw. wenn diese Matrix eine Inverse besitzt. Wir überlegen uns dies. Es gilt n X ai,k x(k) = 0 i = 1, . . . , m k=1 340 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN genau dann, wenn m X ai,k x(k) = k=1 gilt. A 1 n X ai,k x(k) sei die Inverse der Matrix A = (ai,k )m i,k=1 . Dann folgt 0 1 !m x(1) n X B C A @ ... A = ai,k x(k) x(m) bzw. i = 1, . . . , m k=m+1 k=m+1 0 1 x(1) B .. C @ . A=A x(m) n X 1 i=1 !m ai,k x(k) k=m+1 . i=1 Der Schritt von einem linearen Gleichungssystem auf ein allgemeines wird durch Approximation mittels der Taylorpolynome 1. Grades vollzogen. n X @fi fi (x0 + h) ⇠ fi (x0 ) + (x0 )hk @xk k=1 i = 1, . . . , m Beweis. Wir betrachten die ergänzte Abbildung F̃ : U ! Rn mit F̃ (x) = (f1 (x), . . . , fm (x), xm+1 , . . . , xn ). Dann gilt det dF̃ dx ! = det ✓ @fi @xk ◆m i,k=1 ! Nach dem Satz über die Umkehrabbildung (Satz 6.11.1) gibt es eine o↵ene Umgebung W von F̃ (x0 ) und eine Inverse F̃ 1 : W ! V zu F̃ mit F̃ Nun definieren wir 1 (y) = ( 1 (y), . . . , m (y), ym+1 , . . . , yn ). :! Rm durch i (zm+1 , . . . , zn ) = i (0, . . . , 0, zm+1 , . . . , zn ) für alle i = 1, . . . , m. Es gilt x = F̃ (F̃ 1 (x)) = F̃ (( 1 (x), . . . , m (x), xm+1 , . . . , xn )). Für x = (0, . . . , 0, xm+1 , . . . , xn ) folgt für i = 1, . . . , m 0 = fi ( 1 (0, . . . , 0, xm+1 , . . . , xn ), . . . , m (0, . . . , 0, xm+1 , . . . , xn ), xm+1 , . . . , xn ) = fi ( 1 (xm+1 , . . . , xn ), . . . , m (xm+1 , . . . , xn ), xm+1 , . . . , xn ). 6.12. IMPLIZITE FUNKTIONEN 341 Also gilt F ( (x)) = 0. Wir beweisen die Ableitungsformel. Es sei f = (f1 , . . . , fm ) und V eine o↵ene Umgebung von (x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) im Rn m , so dass für alle (x(m + 1), . . . , xn ) 2 V und alle i = 1, . . . , m i : V ! R gilt f ( 1 (x(m + 1), . . . , x(n)), . . . , m (x(m + 1), . . . , x(n)), x(m + 1), . . . , x(n)) = 0. Wir definieren g : V ! Rn durch g(x(m + 1), . . . , x(n)) = ( 1 (x(m + 1), . . . , x(n)), . . . , m (x(m + 1), . . . , x(n)), x(m + 1), . . . , x(n)). Hiermit ergibt sich für alle (x(m + 1), . . . , x(n)) 2 V f g(x(m + 1), . . . , x(n)) = 0. Deshalb gilt für alle (x(m + 1), . . . , x(n)) 2 V d(f g) (x(m + 1), . . . , x(n)) = 0. d((x(m + 1), . . . , x(n))) Mit der Kettenregel (Satz 6.6.1) folgt für alle (x(m + 1), . . . , x(n)) 2 V df dg (g(x(m + 1), . . . , x(n))) (x(m + 1), . . . , x(n)) = 0. dx d(x(m + 1), . . . , x(n)) In Matrizenschreibweise erhalten wir 0 0 B @ @f1 @x1 ... .. . @fm @x1 @f1 @xn .. . ... @fm @xn B 1B B B CB AB B B B B @ @ 1 @xm+1 ... ... @ m @xm+1 1 0 .. . ... ... 0 ... 1 ... ... 0 ... .. . @ 1 @xn C C C @ m C @xn C 0 C C = 0. 0 C C C A 1 .. . 0 Es folgt für alle j = m + 1, . . . , n und alle i = 1, . . . , m 1 m X @fi @ k @fi + = 0. @x @x k @xj j k=1 In Matrizenschreibweise ist dies ✓ ◆m,n ✓ ◆m ✓ ◆m,n @fi @fi @ k = . @xj i=1,j=m+1 @xk i,k=1 @xj k=1,j=m+1 ⇤ 342 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN Beispiel 6.12.1 (i) Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = x2 y gegeben. (ii) Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = y x3 gegeben. f (x, y) = 0 kann lokal in (0, 0) nach x aufgelöst werden. Wir können aber nicht den Satz über implizite Funktionen anwenden, um dies sicherzustellen. (iii) Es sei f : (0, 1) ⇥ (0, 1) ⇥ (0, 1) ! R durch f (x, y, z) = xy + y z + z x 3 gegeben. f (x, y, z) = 0 kann in (1, 1, 1) lokal nach x aufgelöst werden und die Ableitung von x(y, z) im Punkt (1, 1) ist dx (1, 1) = ( 1, 1). d(y, z) (iv) Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = x3 + y 3 x+y gegeben. f hat in allen Punkten, in denen f (x, y) = 0 gilt, eine lokale Auflösung nach y. Im Punkt x = p13 hat die implizite Funktion ein striktes lokales Maximum und im Punkt x = p13 ein striktes lokales Minimum. In allen anderen Punkten, in denen eine Auflösung möglich ist, liegen keine Extrema vor. Beweis. (i) Um die implizite Funktion f (x, y) = 0 bzw. x2 y = 0 zu bestimmen, braucht man den Satz über implizite Funktionen nicht. Wir wollen aber an diesem Beispiel die Aussage des Satzes über implizite Funktionen studieren. O↵ensichtlich ist die Auflösung nach y die Funktion y = x2 . Um den Satz anzuwenden müssen wir @f = 1 @y berechnen. Diese 1 ⇥ 1 Matrix ist nicht singulär. Also ist f (x, y) = 0 in allen Punkten (x0 , y0 ) mit x20 y0 = 0 lokal auflösbar. Die Ableitung lässt sich durch die Formel dy = dx ✓ @f @y ◆ 1 @f = 2x @x berechnen. Da wir die Auflösung y = x2 kennen lässt sich dieses Ergebnis auch direkt berechnen. p Als Auflösung nach x erhalten wir x = y. Der Satz kann angewendet werden und sagt aus, dass wir lokal auflösen können, falls die partielle Ableitung @f @x = 2x von 0 verschieden ist. Dies schließt den Punkt (0, 0) aus. Tatsächlich gibt es auch keine lokale Auflösung im Punkt (0, 0). Eine solche Funktion müsste nach Definition in einer Umgebung des Punktes 0 existieren. Die p Auflösung y existiert aber nur rechts von 0. Die Berechnung der Ableitung liefert dx = dy (ii) O↵ensichtlich ist x = angewendet werden, weil ✓ @f @x ◆ 1 @f 1 1 = = p . @y 2x 2 y p 3 y eine Auflösung nach x. Der Satz kann aber nicht in (0, 0) @f = @x 3x für x = 0 gleich 0 ist. (iii) Der Punkt (1, 1, 1) erfüllt die Gleichung. Wegen @f = yxy @x 1 + (ln z)z x 6.12. IMPLIZITE FUNKTIONEN 343 gilt @f (1, 1, 1) = 1. @x Also ist f im Punkt (1, 1, 1) nach x lokal auflösbar. Weiter gilt @f = (ln x)xy + zy z @y @f = (ln y)y z + xz x @z 1 @f (1, 1, 1) = 1 @y 1 @f (1, 1, 1) = 1 @z Damit erhalten wir ⇣ @x @y (1, 1) @x @z (1, 1) ⌘ = ✓ ◆ @f (1, 1, 1) @x 1 ⇣ @f @y (1, 1, 1) @f @z (1, 1, 1) ⌘ = ( 1, 1). (iv) Wegen @f = 3y 2 + 1 > 0 @y ist f (x, y) = 0 in allen Punkten (x0 , y0 ) mit f (x0 , y0 ) = 0 lokal auflösbar. ✓ dy = dx @f @y ◆ 1 ✓ Diese Gleichung erhält man auch so: Aus x3 + y 3 3x2 + 3y 2 y 0 @f @x ◆ 1 3x2 3y 2 + 1 = x + y = 0 folgt 1 + y0 = 0 und damit y0 = 1 3x2 . 3y 2 + 1 Deshalb sind die einzigen kritischen Punkte x = p13 und x = f ( p13 , y) = 0. Für einen solchen Wert y muss gelten 1 y3 + y = p 3 p1 . 3 Tatsächlich gibt es ein y mit 1 2 ( p )3 = p 3 3 3 2 Für y = 0 und y = 1 ergibt sich 0 < 3p < 1. Also gibt es nach dem Zwischenwertsatz ein y mit 3 2 3 y + y = 3p3 . Ebenso verfahren wir für x = p13 . Nun prüfen wir nach, dass in p1 3 y 00 = Für x = p1 3 p1 3 ein Minimum liegt. (3y 2 + 1)( 6x) (1 3x2 )6yy 0 (3y 2 + 1)2 erhalten wir (3y 2 + 1)( 6x) 2 ein Maximum und in (1 3x2 )6yy 0 = 6 p (3y 2 + 1) < 0. 3 344 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN 6.13 Lagrangesche Multiplikatoren Joseph Lagrange (1736-1813) wurde in Turin geboren. Er sollte Jura studieren, studierte aber Mathematik und wurde mit 19 Jahren Professor für Mathematik an der Königlichen Militär Schule in Turin. Er wurde von Friedrich II. zum Nachfolger von Euler an der Akademie der Wissenschaften in Berlin ernannt. Nach Friedrichs Tod ging er auf Einladung von Louis XVI. nach Paris. 1788 verö↵entlichte er sein wichtigstes Werk ”Analytische Mechanik”. Dieses Werk setzt die Mechanik von Newton, den Bernoullis und Euler fort. Es wird die Idee entwickelt, dass Probleme in der Mechanik auf gewöhnliche und partielle Di↵erentialgleichungen zurückzuführen sind. Da er sehr introvertiert war, überlebte er die Französische Revolution. Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn . Es seien f : U ! R und g : U ! Rm stetig di↵erenzierbare Funktionen. Wir wollen die lokalen Extrema von f auf der Menge {x 2 U|g(x) = 0} bestimmen. Wir bezeichnen dies als ein Extremwertproblem mit Nebenbedingungen. Satz 6.13.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn . Es seien f : U ! R und g : U ! Rm stetig di↵erenzierbare Funktionen. Es sei x0 2 U mit g(x0 ) = 0 und ✓ ◆ dg rg (x0 ) = m dx Wir nehmen an, dass f in x0 einn lokales Extremum unter der Nebenbedingung g(x) = 0 habe. Dann gibt es ein 2 Rm mit rf (x0 ) = Die Zahlen 1, . . . , m m X i=1 i rgi (x0 ) heißen Lagrangesche Multiplikatoren. Beweis. Wir können annehmen, dass die Matrix 0 @g1 1 @g1 (x0 ) . . . @x (x ) 0 @x1 m B C .. .. @ A . . @gm @gm (x0 ) . . . @xm (x0 ) @x1 nicht singulär ist, anderenfalls ordnen wir die Variablen x1 , . . . , xn neu. Aus dem Satz über implizite Funktionen folgt, dass g(x) = 0 lokal in x0 nach x(1), . . . , x(m) auflösbar ist. Also gibt es eine Umgebung V(x̃0 ) von x̃0 = (x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) und eine Funktion : V ! Rm mit g( 1 (x(m + 1), . . . , x(n)), . . . , m (x(m + 1), . . . , x(n)), x(m + 1), . . . , x(n)) = 0 6.13. LAGRANGESCHE MULTIPLIKATOREN 345 Wir definieren F (x(m + 1), . . . , x(n)) = f ( 1 (x(m + 1), . . . , x(n)), . . . , m (x(m + 1), . . . , x(n)), x(m + 1), . . . , x(n)). Nach Voraussetzungen hat F in x̃0 ein lokales Extremum. Also erhalten wir mit der Kettenregel für alle k = m + 1, . . . , n m X @f @F @ i @f 0= = (x0 ) (x̃0 ) + (x0 ) @xk @x @x @x i k k i=1 wobei wir beachten, dass x0 = ( 1 (x0 (m + 1), . . . , x0 (n)), . . . , m (x0 (m + 1), . . . , x0 (n)), x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) Also gilt @f (x0 ) = @xk m X @f @ j (x0 ) (x̃0 ) @xj @xk j=1 Wir definieren nun die Lagrangeschen Multiplikatoren durch das lineare Gleichungssystem m X @gi @f (x0 ) = (x0 ) j = 1, . . . , m i @xj @xj i=1 Da die Matrix ✓ ◆m @gi (x0 ) @xj i,j=1 nicht singulär ist, gibt es eine eindeutige Lösung . Damit haben wir auch die Bedingung m X rf (x0 ) = i rgi (x0 ) i=1 für die Koordinaten j = 1, . . . , m erfüllt. Weiter erhalten wir @f (x0 ) @xk = = = m X @f @ j (x0 ) (x̃0 ) @x @x j k j=1 m X m X i j=1 i=1 m m X X i i=1 j=1 @gi @ j (x0 ) (x̃0 ) @xj @xk @gi @ j (x0 ) (x̃0 ) @xj @xk Mit der Kettenregel erhalten wir für k = m + 1, . . . , n aus g( 1 (x(m + 1), . . . , x(n)), . . . , m (x(m + 1), . . . , x(n)), x(m + 1), . . . , x(n)) = 0 346 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN dass m X @gi @ j (x0 ) (x̃0 ). @x @x j k j=1 @gi (x0 ) = @xk Somit erhalten wir für k = m + 1, . . . , n m 2 X @f (x0 ) = @xk i=1 i @gi (x0 ). @xk Beispiel 6.13.1 (Geometrisches und arithmetisches Mittel) Es sei x 2 Rn mit xi 1, . . . , n. Dann gilt ! n1 n n Y 1X xi xi n i=1 i=1 0, i = Beweis. Wir können das Problem auch so formulieren: Finde das Maximum von ! n1 n Y xi i=1 unter der Nebenbedingung n 1X xi = 1 n i=1 xi 0, i = 1, . . . , n. Es reicht, das Maximum der Funktion f : {x 2 Rn |8i : xi f (x) = n Y 0} ! R xi i=1 mit der Nebenbedingung n 0 = g(x) = 1X xi n i=1 1 zu finden. Da die Funktion f auf der abgeschlossenen und beschränkten, also kompakten Menge ( ) n X n 1 x2R xi = 1 und xi 0, i = 1, . . . , n n i=1 stetig ist, nimmt diese Funktion dort Minimum und Maximum an. Das Maximum wird o↵ensichtlich in einem Punkt x mit xi > 0, i = 1, . . . , n angenommen. f besitzt somit ein Maximum und es wird in einem Punkt x mit xi > 0, i = 1, . . . , xn angenommen. Das Maximum ist insbesondere ein relatives Maximum. @f @g Nun wenden wir Satz 6.13.1 auf die Funktion f an. Wir erhalten aus @x = @x , dass k k Y xi = 1in i 6= k 1 n Es folgt für alle k = 1, . . . , n n Y i=1 xi = 1 xk . n Pn Da xi 6= 0, i = 1, . . . , n, so gilt 6= 0. Damit gilt x1 = x2 = · · · = xn . Wegen n1 i=1 xi = 1 folgt weiter x1 = x2 = · · · = xn = 1. Also wird das Maximum im Punkt (1, 1, . . . , 1) angenommen. 2 6.14. DIFFERENTIATION IN BANACHRÄUMEN 6.14 347 Di↵erentiation in Banachräumen René Maurice Fréchet wurde am 2. September 1878 in Maligny geboren. Er starb am 4. Juni 1973 in Paris. Er lehrte an der Universität Straßburg und in Paris an der École Normale Supérieure. Er arbeitete auf dem Gebiet der Topologie und Wahrscheinlichkeitstheorie. Lineare Abbildungen zwischen endlich-dimensionalen, normierten Räumen sind stetig. Wenn der Grundraum nicht endlich-dimensional ist, so gibt es lineare Abbildungen, die nicht stetig sind. Es seien X und Y Banachräume und U eine o↵ene Teilmenge von X. Wir sagen, dass eine Funktion f : U ! Y in einem Punkt x0 2 U schwach di↵erenzierbar oder auch Gâteaux-di↵erenzierbar ist, wenn es eine stetige, lineare Abbildung A : X ! Y gibt, so dass für alle x f (x0 + tx) t!0 t lim f (x0 ) = A(x) gilt. Wir sagen, dass f in x0 di↵erenzierbar bzw. Fréchet-di↵erenzierbar ist, falls es eine stetige, lineare Abbildung A : X ! Y , ein ✏ > 0 und eine Funktion : B(0, ✏) ! Y gibt, so dass für alle x mit kxk < ✏ f (x0 + x) = f (x0 ) + A(x) + (x) und lim x!0 (x) =0 kxk gelten. O↵ensichtlich ist f in einem Punkt x0 Gâteaux-di↵erenzierbar, wenn f in x0 Fréchet-di↵erenzierbar ist. Lemma 6.14.1 (i) Die lineare Abbildung der Gâteaux-Di↵erenzierbarkeit ist eindeutig. (ii) Die lineare Abbildung der Fréchet-Di↵erenzierbarkeit ist eindeutig. (iii) Die lineare Abbildung der Gâteaux-Di↵erenzierbarkeit und die der FréchetDi↵erenzierbarkeit stimmen überein. Wenn f Fréchet-di↵erenzierbar ist, dann bezeichnen wir A als das Di↵erential bzw. Fréchet Di↵erential von f und schreiben f 0 (x0 ) Df (x0 ) Beweis. (i) Wir nehmen an, es gäbe zwei verschiedene, lineare, stetige Abbildungen A und B. Dann gelten für alle x f (x0 + tx) t!0 t lim f (x0 ) = A(x) 348 CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN und lim t!0 f (x0 + tx) t f (x0 ) = B(x). Also gilt für alle x A(x) = B(x) und damit A = B. (ii) und (iii) folgen aus (i). ⇤ Lemma 6.14.2 Es seien X und Y Banachräume und U eine o↵ene Teilmenge von X. Es sei f : U ! Y eine Abbildung, die in x0 Fréchet-di↵erenzierbar ist. Dann ist sie in x0 stetig. Lemma 6.14.3 Es seien X und Y Banachräume und U eine o↵ene Teilmenge von X. Es seien f, g : U ! Y Abbildungen, die in x0 Fréchet-di↵erenzierbar sind. Dann ist f + g in x0 Fréchet-di↵erenzierbar. Beispiel 6.14.1 Es sei f : R2 ! R durch ( ⇣ f (x, y) = x·y 2 x2 +y 4 0 ⌘2 (x, y) 6= (0, 0) (x, y) = (0, 0) Dann ist f Gâteaux-di↵erenzierbar, aber nicht Fréchet-di↵erenzierbar. Das zweite Di↵erential D2 f ist eine Abbildung von U nach L(X, L(X, Y )). Chapter 7 Integration im Rn Für alle i = 1, . . . , n seien 1 < ai < bi < 1 . Die Menge n Y I= [ai , bi ] i=1 heißt abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall. Die Zahl n Y µ(I) = (bi ai ) i=1 heisst n-dimensionales Volumen, n-dimensionales Mass oder n-dimensionaler Inhalt von I. Eine Menge P = {I1 , . . . , Im } von abgeschlossenen Intervallen heißt Partition von I, wenn m [ I= Ik und Ik \ I` = ; k 6= ` k=1 gilt. Der Durchmesser (A) einer Menge A des Rn ist (A) = sup kx yk x,y2A Die Feinheit einer Partition P ist kPk = max (Ik ) 1km Man kann leicht nachrechnen, dass für alle Partitionen P = {I1 , . . . , Im } von I µ(I) = m X µ(Ik ) k=1 0 gilt. Eine Partition P 0 = {I10 , . . . , Im 0 } von I heisst Verfeinerung der Partition P = {I1 , . . . , Im } von I, falls für jedes k 0 , k 0 = 1, . . . , m0 ein k, k = 1, . . . , m mit Ik0 ✓ Ik existiert. 349 CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 350 Insbesondere gilt (Ik0 ) (Ik ) und damit kP 0 k kPk. Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall im Rn und f : I ! R sei beschränkt auf I. P = {I1 , . . . , Im } sei eine Partition von I. Wir setzen mk (f ) = inf f (x) Mk (f ) = sup f (x) x2Ik x2Ik m(f ) = inf f (x) M (f ) = sup f (x) x2I x2I Die Zahl US P (f ) = m X mk (f )µ(Ik ) k=1 heißt Untersumme von f bezüglich P und die Zahl OS P (f ) = m X Mk (f )µ(Ik ) k=1 heißt Obersumme von f bezüglich P. Es gilt m(f )µ(I) US P (f ) OS P (f ) M (f )µ(I) Lemma 7.0.4 Es sei P 0 eine Verfeinerung von P. Dann gilt (i) OS P 0 (f ) OS P (f ) (ii) US P 0 (f ) US P (f ) Lemma 7.0.5 Es seien P1 und P2 Partitionen von I. Dann gilt US P1 (f ) OS P2 (f ) Als unteres Integral von f auf I bezeichnen wir Z Z f (x)dx = f (x1 , . . . , xn )d(x1 , . . . , xn ) = sup US P (f ) P I I Als oberes Integral von f auf I bezeichnen wir Z Z f (x)dx = f (x1 , . . . , xn )d(x1 , . . . , xn ) = inf OS P (f ) I P I Wir sagen, dass f auf I Riemann-integrierbar ist, falls sup US P (f ) = inf OS P (f ) P P gilt und nennen diese Zahl das Riemann-Integral von f über I. Diese Zahl wird mit Z Z f (x)dx = f (x1 , . . . , xn )d(x1 , . . . , xn ) I bezeichnet. I 351 Bemerkung 7.0.1 (i) Es gilt Z I f (x)dx Z f (x)dx I (ii) Für alle ✏ > 0 existiert ein , so dass für alle Partitionen P mit kPk Z Z f (x)dx ✏ US P (f ) f (x)dx I I Z Z f (x)dx OS P (f ) f (x)dx + ✏ I I Beweis. (i) folgt sofort aus Lemma. 2 Satz 7.0.1 Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall und f : I ! R sei auf I stetig. Dann ist f Riemann-integrierbar. Beweis. Da I abgeschlossen und beschränkt ist, ist I kompakt. Deshalb ist f nach Lemma auf I gleichmässig stetig. 8✏ > 09 > 08x, y 2 I, d(x, y) < : |f (x) f (y)| < ✏ µ(I) Es sei P = {I1 , . . . , Im } eine Partition von I mit kPk < . Dann gilt R R 0 I f (x)dx f (x)dx I OS P (f ) US P (f ) m m X X = Mk (f )µ(Ik ) mk (f )µ(Ik ) k=1 k=1 m X = (Mk (f ) k=1 m X ✏ mk (f ))µ(Ik ) µ(Ik ) = ✏ µ(I) k=1 2 Bemerkung 7.0.2 Falls f (x) = c auf I gilt, dann gilt Z f (x)dx = cµ(I) I Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall und f : I ! R sei auf I beschränkt. Es sei P = {I1 , . . . , Im } eine Partition von I. Es sei ⇠ = (⇠1 , . . . , ⇠m ) mit ⇠k 2 Ik , k = 1, . . . , m. Dann heisst SP (f, ⇠) = m X k=1 f (⇠k )µ(Ik ) CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 352 Riemannsche Summe von f bzgl. P und ⇠. O↵ensichtlich gilt US P (f ) SP (f, ⇠) OS P (f ) Falls ein J 2 R existiert, so dass für alle ✏ > 0 ein Partitionen P mit kPk < und für alle ⇠ |SP (f, ⇠) > 0 existiert, so dass für alle J| < ✏ gilt, dann sagen wir, dass die Riemannschen Summen gegen J konvergieren und schreiben J = lim SP (f, ⇠) kPk!0 Satz 7.0.2 Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall. (i) Falls f auf I Riemann-integrierbar ist, so gilt Z lim SP (f, ⇠) = f (x)dx kPk!0 I (ii) Falls lim SP (f, ⇠) kPk!0 existiert, so ist f auf I Riemann-integrierbar und es gilt Z lim SP (f, ⇠) = f (x)dx kPk!0 7.1 I Iterierte Integrale Satz 7.1.1 Es sei I = [a, b] ⇥ [c, d] und f : I ! R sei Riemann-integrierbar. Für alle x 2 [a, b] existiere das Integral Z d f (x, y)dy c Dann existiert das iterierte Integral Z bZ a und es gilt Z I d f (x, y)dydx c f (x, y)d(x, y) = Z bZ a c d f (x, y)dydx 7.1. ITERIERTE INTEGRALE 353 Beweis. Da f auf I integrierbar ist, gilt: Z 8✏ > 09 > 08P, kPk < : f (x, y)d(x, y) US P (f ) < ✏ I Wir wählen nun spezielle Partitionen. Es seien Px = {x0 , . . . , xm } und Py = {y0 , . . . , yn } Partitionen von [a, b] und [c, d]. Dann ist i = 1, . . . , m j = 1, . . . , n Ii,j = [xi 1 , xi ] ⇥ [yj 1 , yj ] eine Partition P von I = [a, b] ⇥ [c, d]. Für die Feinheit der Partition P erhalten wir kPk = max sup{kx yk |x 2 Ii , y 2 Jj } 1im ! 1jn = max 1im ! 1jn q (xi xi 1 )2 + (yj yj 1 )2 Mit der Dreiecksungleichung für die Euklidische Norm folgt kPk max |xi 1im xi 1 | + max |yj yj 1 | kPx k + kPy k 1jn Da f auf I integrierbar ist, folgt 8✏ > 09 > 08Px , kPx k < , 8Py , kPy k < : Z f (x, y)d(x, y) ✏ US P (f ) I ◆ m,n ✓ X = inf f (x, y) µ(Ii,j ) = i,j=1 m X (x,y)2Ii,j (xi i=1 xi 1 ) n ✓ X j=1 inf (x,y)2Ii,j ◆ f (x, y) (yj yj 1 ) Es seien ⇠i 2 [xi 1 , xi ]. Dann folgt weiter 8✏ > 09 > 08Px , kPx k < , 8⇠8Py , kPy k < : Z m n X X f (x, y)d(x, y) ✏ (xi xi 1 ) ( I i=1 j=1 inf (⇠i ,y)2Ii,j f (x, y))(yj yj 1 ) Die inneren Summen sind Untersummen für Integrale über Funktionen f (⇠i , y), wobei y die Variable ist. Nach Voraussetzung sind diese Funktionen integrierbar. Also gilt 8✏ > 09 > 08Px , kPx k < , 8⇠, ⇠i 2 [xi 1 , xi ] : Z Z d m X f (x, y)d(x, y) ✏ (xi xi 1 ) f (⇠i , y)dy I i=1 c CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 354 Die rechte R d Seite dieser Ungleichung ist eine Riemannsche Summe für die Funktion F (x) = c f (x, y)dy. Es gilt 8✏ > 09 > 08Px , kPx k < , 8⇠, ⇠i 2 [xi 1 , xi ] : Z m X f (x, y)d(x, y) ✏ (xi xi 1 )F (⇠i ) I i=1 Ebenso erhalten wir 8✏ > 09 > 08Px , kPx k < , 8⇠, ⇠i 2 [xi 1 , xi ] : Z m X f (x, y)d(x, y) + ✏ (xi xi 1 )F (⇠i ) I i=1 Damit erhalten wir 8✏ > 09 > 08Px , kPx k < , 8⇠, ⇠i 2 [xi 1 , xi ] : Z m X f (x, y)d(x, y) (xi xi 1 )F (⇠i ) < ✏ I i=1 Nach Satz 3.4.7 ist die Funktion F auf [a, b] integrierbar und Z Z bZ d f (x, y)d(x, y) = f (x, y)dydx I a c 2 Bemerkung 7.1.1 (i) Aus der Existenz des Integrals Z f (x, y)d(x, y) I folgt nicht die Existenz der iterierten Integrale. Ebenso folgt aus der Existenz der iterierten Integrale nicht notwendig die des Integrals. (ii) Es sei f : [a, b] ⇥ [c, d] ! R eine stetige Funktion. Dann ist f integrierbar, die iterierten Integrale existieren und es gilt Z Z dZ b Z bZ d f (x, y)d(x, y) = f (x, y)dxdy = f (x, y)dydx [a,b]⇥[c,d] c a a c Dies ist ein Spezialfall des Satzes von Fubini. Als ein Beispiel zum ersten Teil der Bemerkung kann die folgende Funktion angeführt werden. f : [0, 1] ⇥ [0, 1] ! R ist durch ( 1 falls x = 12 und y 2 Q f (x, y) = 0 sonst gegeben. Das Integral von f existiert und ist gleich 0, aber das Integral Z 1 f ( 12 , y)dy 0 existiert nicht. 7.1. ITERIERTE INTEGRALE 355 Beispiel 7.1.1 (i) Es sei f : [0, 1] ⇥ [0, 1] ! R durch f (x, y) = xy gegeben. Dann ist f integrierbar und es gilt Z f (x, y)d(x, y) = 14 [0,1]⇥[0,1] (ii) Es sei f : [1, e] ⇥ [1, e] ! R durch f (x, y) = xy gegeben. Dann ist f integrierbar und es gilt Z Z e+1 y e e+1 f (x, y)d(x, y) = dy ln y 2 [1,e]⇥[1,e] 2 Das nichtausgewertete Integral hängt mit dem Exponentialintegral Ei zusammen. (iii) Es sei f : [2, 4] ⇥ [3, 5] ! R durch f (x, y) = ex+y gegeben. Dann ist f integrierbar und es gilt Z f (x, y)d(x, y) = (e4 e2 )(e5 e3 ) [0,1]⇥[1,2] (iv) Es seien g : [a, b] ! R und h : [c, d] ! R integrierbare Funktionen und f : [a, b] ⇥ [c, d] ! R sei durch f (x, y) = g(x)h(y) gegeben. Dann ist f integrierbar und es gilt Z Z Z b f (x, y)d(x, y) = [a,b]⇥[c,d] d g(x)dx a h(y)dy c (v) Es sei f : [0, 1] ⇥ [0, 1] ! R durch f (x, y) = cos(xy) gegeben. Dann ist f integrierbar und es gilt Z f (x, y)d(x, y) = Si(1) = 0.94608 . . . [0,1]⇥[0,1] wobei Si(x) den Integralsinus bezeichnet, der durch Z x sin t Si(x) = dt t 0 festgelegt ist. Beweis. (i) f ist stetig, also ist f integrierbar und die iterierten Integrale existieren und sind gleich dem Integral. Z Z 1Z 1 Z 1 Z 1 2 1 1 1 f (x, y)d(x, y) = xydydx = [ 2 xy ]0 dx = 2 xdx = 14 [0,1]⇥[0,1] 0 0 0 0 (ii) f ist stetig, also ist f integrierbar und die iterierten Integrale existieren und sind gleich dem Integral. Z Z eZ e Z e y 1 f (x, y)d(x, y) = x dxdy = [ y+1 xy+1 ]e1 dy [1,e]⇥[1,e] 1 Z e 1 y+1 1 e 1 = dy = y+1 1 y+1 Z e+1 y e e+1 = dy ln y 2 2 Z 2 e+1 ey dy y [ln(y + 1)]e1 CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 356 (iii) Z f (x, y)d(x, y) Z = [2,4]⇥[3,5] 4 2 Z = Z 5 x+y e dydx = 3 4 Z [ex ey ]53 dx = 2 Z 4 2 4 Z 5 ex ey dydx 3 ex (e5 e3 )dx 2 (v) Da f stetig ist, gilt Z f (x, y)d(x, y) = [0,1]⇥[0,1] Es gilt Z 1 0 Z Z 1 0 1 cos(xy)dxdy 0 8 < sin y y cos(xy)dx = : 1 falls y 6= 0 falls y = 0 Diese Funktion der Variablen y ist auf [0, 1] stetig. Damit erhalten wir Z f (x, y)d(x, y) = [0,1]⇥[0,1] Z 1 0 sin y dy = Si(1) y 2 Beispiel 7.1.2 Es sei f : [0, 1] ⇥ [0, 1] ! R durch 8 falls x = 0 oder y = 0 <0 f (x, y) = x y : falls x = 6 0 und y = 6 0 (x + y)3 f ist nicht Riemann-intgrierbar, die iterierten Integrale existieren und es gilt Z 0 1 Z 1 f (x, y)dxdy = 0 1 2 Z 1 0 Z 1 f (x, y)dydx = 0 1 2 Beweis. f ist nicht Riemann-integrierbar, weil f unbeschränkt ist. Dazu betrachten wir die Gerade y = 2x. Auf dieser Geraden nimmt f die folgenden Werte an f (x, 2x) = x = 27x3 1 27x2 Für x 2 (0, 1] ist diese Funktion nicht beschränkt. Wir zeigen nun, dass die iterierten Integrale existieren. Es gilt f (0, x) = 0 und ist integrierbar. Für y 6= 0 ist 8 x y < x 6= 0 f (x, y) = (x + y)3 : 0 x=0 eine Funktion in x, die auf (0, 1] stetig und auf [0, 1] beschränkt ist, also integrierbar. Es gilt Z 0 1 x y dx = (x + y)3 x (x + y)2 1 = 0 1 (1 + y)2 7.1. ITERIERTE INTEGRALE 357 Damit erhalten wir Z 1 0 Z 1 0 x y dxdy = (x + y)3 Z 1 0 1 1 dy = 2 (1 + y) 1+y 1 = 1 2 0 Andererseits erhalten wir Z 1 0 und Z 0 2 1 Z 1 0 x y y dy = (x + y)3 (x + y)2 x y dydx = (x + y)3 Z 1 0 1 = 0 1 dy = (1 + y)2 1 (1 + y)2 1 1+y 1 = 1 2 0 Satz 7.1.2 Es sei I = [a1 , b1 ]⇥[a2 , b2 ]⇥· · ·⇥[an , bn ] und f : I ! R sei integrierbar. Für k mit 1 k n bezeichnen wir Ixk = [a1 , b1 ] ⇥ · · · ⇥ [ak 1 , bk 1 ] ⇥ [ak+1 , bk+1 ] ⇥ · · · ⇥ [an , bn ] (i) Es existiere für jedes xk 2 [ak , bk ] das Integral Z f (x1 , . . . , xn )d(x1 , . . . , xk 1 , xk+1 , . . . , xn ) Ixk Dann existiert das iterierte Integral Z bk ak Z f (x1 , . . . , xn )d(x1 , . . . , xk 1 , xk+1 , . . . , xn )dxk Ixk und ist gleich dem Integral Z f (x)dx I (ii) Falls für alle (x1 , . . . , xk 1 , xk+1 , . . . , xn ) 2 Ixk das Integral Z bk f (x1 , . . . , xn )dxk ak existiert, so existiert auch das iterierte Integral Z Ixk und ist gleich Z bk f (x1 , . . . , xn )dxk d(x1 , . . . , xk 1 , xk+1 , . . . , xn ) ak Z I f (x)dx CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 358 Beispiel 7.1.3 Es sei f : [0, 1] ⇥ · · · ⇥ [0, 1] ! R durch f (x1 , . . . , xn ) = n Y xk k=1 gegeben. f ist integrierbar und Z f (x)dx = [0,1]⇥···⇥[0,1] 1 2n Beweis. f ist stetig und damit integrierbar. Es gilt Z f (x)dx = [0,1]⇥···⇥[0,1] Z 1 = n 1Y xk dx1 · · · dxn 0 k=1 Z 1 Z 1 Y n 1 ··· xk dx2 · · · dxn 2 0 0 k=1 0 ··· Z Mit Induktion erhalten wir das Ergebnis. 2 7.2 Riemann-Integral auf beschränkten Mengen Es sei X eine Teilmenge des Rn und f : X ! R. Wir bezeichnen fX : Rn ! R mit ( f (x) x2X fX (x) = 0 x2 /X als Erweiterung von f auf den Rn . Falls X eine beschränkte Menge vom Rn ist, I ein n-dimensionales, abgeschlossenes Intervall mit X ✓ I und f : X ! R beschränkt ist, so bezeichnen wir Z Z Z Z f (x)dx = fX (x)dx f (x)dx = fX (x)dx X I X I als Unter- und Oberintegral. Man kann leicht zeigen, dass die Ausdrücke nicht von der Wahl des Intervalles I abhängen. Wir sagen, dass f auf X Riemann-integrierbar ist, falls Z Z f (x)dx = X und bezeichnen diese Zahl mit f (x)dx X Z X f (x)dx 7.3. DAS MASS VON MENGEN 359 Satz 7.2.1 Es sei X eine beschränkte Teilmenge des Rn und g, f : X ! R seien Riemann-intgrierbar. Dann sind auch g + f , cf , |f | und gf Riemann-integrierbar und es gelten (i) Z Z cf dx = c f dx X (ii) Z X f + gdx = X (iii) Z f dx + X Z X 7.3 Z f (x)dx gdx X Z X |f (x)|dx Das Maß von Mengen Es sei X eine beschränkte Teilmenge des Rn , I ein abgeschlossenes, n-dimensi-onales Intervall mit X ✓ I und P = {I1 , . . . , Im } eine Partition von I. Wir bezeichnen X X M P (X) = µ(Ik ) M P (X) = µ(Ik ) Ik ✓X Ik \X6=; Die Zahlen µ(X) = sup M P (X) P µ(X) = inf M P (X) P heissen inneres und äußeres Riemann Maßvon X. Die Menge X heißt Riemann messbar, wenn µ(X) = µ(X) gilt, und diese Zahl bezeichnen wir als Riemann Maß µ(X) von X. Lemma 7.3.1 Es sei X eine beschränkte Teilmenge des Rn . X ist genau dann Riemann-messbar, wenn die charakteristische Funktion X ( 1 falls x 2 X X (x) = 0 falls x 2 /X Riemann-integrierbar ist. Es gilt für X ✓ I µ(X) = Z I X dx = Z dx X Beweis. Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall und P = {I1 , . . . , Im } eine Partition von I. Dann gilt ◆ m ✓ X X US P ( X ) = inf X (x) µ(Ik ) = µ(Ik ) = M P (X) k=1 x2Ik Ik ✓X CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 360 OS P ( X) = m ✓ X k=1 ◆ X sup X (x) µ(Ik ) = µ(Ik ) = M P (X) x2Ik Ik \X6=; Es folgt OS P ( X) US P ( X) = M P (X) M P (X) 2 Beispiel 7.3.1 Die Teilmenge [0, 1] \ Q von R ist nicht Riemann-messbar. Wir hatten bereits gezeigt, dass die Funktion [0,1]\Q nicht Riemann-integrierbar ist. Lemma 7.3.2 (i) Es seien A und B beschränkte Teilmengen des Rn mit A\B = ;. Dann gilt µ(A [ B) µ(A) + µ(B) (ii) Es seien A und B Riemann-messbare Teilmengen des Rn mit A \ B = ;. Dann ist auch A [ B Riemann-messbar und es gilt µ(A [ B) = µ(A) + µ(B) (iii) Es seien A und B Riemann-messbare Teilmengen des Rn mit A ✓ B. Dann ist B \ A Riemann-messbar und es gilt µ(B \ A) = µ(B) µ(A) Eine Riemann-messbare Teilmenge A des Rn heisst Nullmenge, falls µ(A) = 0. Wir definieren µ(;) = 0. Beweis. (ii) Es gilt wegen Lemma 3.4.7 Z µ(A) = A dx Damit folgt, dass integrierbar ist und Z Z Z µ(A) + µ(B) = A dx + B dx = A + µ(B) = Z B Weil A und B disjunkt sind erhalten wir µ(A) + µ(B) = 2 B dx Z A[B dx A + B dx 7.3. DAS MASS VON MENGEN 361 Beispiel 7.3.2 (i) Eine Teilmenge von Rn , die nur aus endlichen vielen Punkten besteht, ist eine Nullmenge. (ii) Die Cantor-Menge ist eine Nullmenge. (iii) Eine beschränkte Teilmenge X von Rn , die ganz in einer Hyperebene Hj = {x 2 Rn |xj = const.} enthalten ist, ist eine Nullmenge. (iv) Die Vereinigung von endlich vielen Nullmengen ist eine Nullmenge. Beweis. (iii) Da X eine beschränkte Teilmenge vom Rn ist, gibt es ein K > 0, so dass X ✓ [ K, K] ⇥ · · · ⇥ [ K, K] Ausserdem ist X eine Teilmenge von Hj X ✓ R ⇥ · · · ⇥ R ⇥ [c ✏, c + ✏] ⇥ R ⇥ · · · ⇥ R Deshalb gilt für alle ✏ > 0 X ✓ [ K, K] ⇥ · · · ⇥ [ K, K] ⇥ [c ✏, c + ✏] ⇥ [ K, K] ⇥ · · · ⇥ [ K, K] Somit gilt für alle ✏ > 0 0 µ(X) µ(X) (2K)n 1 2✏ Also gilt 0 = µ(X) = µ(X) 2 Der Rand @X einer Teilmenge X eines metrischen Raumes ist @X = X\ X Satz 7.3.1 Eine beschränkte Teilmenge X des Rn ist genau dann Riemann-messbar, wenn µ(@X) = 0. Beweis. Es gelte µ(@X) = 0 und I sei ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall mit X ✓ I. Da I abgeschlossen ist, so gilt X ✓ I. Es sei P = {I1 , . . . , Im } eine Partition von I mit M P (@X) < ✏ CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 362 Es gilt µ(X) µ(X) M P (X) X X µ(Ik ) Ik \X6=; X M P (X) = X Ik \@X6=; X µ(Ik ) Ik ✓X Ik \X6=; µ(Ik ) = Ik ✓!X µ(Ik ) µ(Ik ) = M P (@X) < ✏ Es folgt, dass µ(X) = µ(X). Also ist X Riemann-integrierbar. Die Umkehrung wollen wir nur für abgeschlossene Mengen zeigen. Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall mit X ✓ I und P = {I1 , . . . , Im } eine Partition mit M P (X) M P (X) < ✏ Wir setzen X1 = ( x 2 @X x 2 / [ Ik Ik ✓X ) X2 = ( x 2 @X x 2 [ Ik Ik ✓X ) O↵enbar gilt @X = X1 [ X2 X1 \ X2 = ; S x 2 X2 bedeutet, dass x nicht innerer Punkt der Menge Ik ✓X Ik sein kann. Sonst wäre x ja auch innerer Punkt von X und nicht Randpunkt von X. Also ist x Randpunkt einer der n-dimensionalen Intervalle Ik . Die Ränder von Ik liegen in Hyperebenen der Art Hj {x 2 Rn |xj = c} Mit Beispiel 3.4.7 folgt, dass µ(X2 ) = 0. Damit ergibt sich µ(@X) = µ(X1 [ X2 ) µ(X1 ) + µ(X2 ) = µ(X1 ) M P (X1 ) = X µ(Ik ) Ik \X1 6=; Es gilt {k|Ik \ X1 6= ;} = {k|Ik \ @X 6= ; und Ik * X} = {k|Ik \ @X 6= ;} \ {k|Ik ✓ X} ✓ {k|Ik \ X 6= ;} \ {k|Ik ✓ X} Da X eine abgeschlossene Menge ist, gilt X = X und wir erhalten {k|Ik \ X1 6= ;} ✓ {k|Ik \ X 6= ;} \ {k|Ik ✓ X} Damit folgt µ(@X) X Ik \X1 6=; µ(Ik ) X Ik \X6=; µ(Ik ) X Ik ✓X µ(Ik ) = M P (X) M P (X) < ✏ Also gilt für alle ✏ > 0, dass 0 µ(@X) µ(@X) < ✏. Somit gilt µ(@X) = µ(@X) = 0. 2 7.3. DAS MASS VON MENGEN 363 Korollar 7.3.1 Falls die Teilmenge X des Rn Riemann-messbar ist, so sind auch X und X Riemann-messbar und es gilt µ(X) = µ(X ) = µ(X) Beweis. Es sei X Riemann-messbar. Dann ist nach Satz auch @X Riemann-messbar und µ(@X) = 0. Es folgt µ(X\ X ) µ(X\ X ) = µ(@X) = 0 Also ist X\ X eine Nullmenge und damit insbesondere messbar. Weiter folgt hiermit und mit Lemma, dass X \ (X\ X ) =X messbar ist und µ(X ) = µ(X) µ(X\ X ) = µ(X) Wiederum mit Lemma 3.4.7folgt, dass X =X [@X messbar ist und µ(X) = µ(X [@X) = µ(X ) + µ(@X) = µ(X ) 2 Als Anwendung dieses Korollars wollen wir zeigen, dass [0, 1]\Q nicht Riemannmessbar ist. Wir nehmen an, dass [0, 1] \ Q Riemann-messbar ist. Es gilt [0, 1] \ Q = [0, 1] ([0, 1] \ Q) = ; Nach Korollar 3.4.7 gilt 0 = µ(;) = µ([0, 1]) = 1 Dies ist ein Widerspruch. Lemma 7.3.3 Eine Teilmenge X vom Rn ist genau dann eine Nullmenge, wenn es zu jedem ✏ > 0 endlich viele abgeschlossene, n-dimensionale Intervalle I1 , . . . , Im gibt, so dass m m [ X X✓ Ik µ(Ik ) < ✏ k=1 k=1 Beispiel 7.3.3 Es sei X eine kompakte Teilmenge des Rn und f : X ! Rm sei eine stetige Funktion. Dann ist die Teilmenge {(x, f (x))|x 2 X} des Rn+m eine Nullmenge. CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 364 Beweis. Da X kompakt und f stetig ist, ist f gleichmässig stetig. 8✏9 8x, y 2 X, kx yk < : kf (x) f (y)k < ✏ Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall mit X ✓ I. Wir wählen nun eine Partition P = {I1 , . . . , IN }, so dass für alle i = 1, . . . , N gilt, dass (Ii ) < . Wegen der gleichmässigen Stetigkeit von f gilt 8i = 1, . . . , N 8x, y 2 Ii \ X : kf (x) f (y)k < ✏ Es folgt 8i, Ii \ X 6= ;, 9xi 2 Ii 8x 2 Ii : (x, f (x)) 2 Ii ⇥ [f1 (xk ) ✏, f1 (xi ) + ✏] ⇥ · · · ⇥ [fm (xk ) ✏, fm (xi ) + ✏] Hieraus folgt für alle ✏ > 0 µ({(x, f (x))|x 2 X}) X µ(Ii ⇥ [f1 (xk ) Ii \X6=; N X ✏, f1 (xi ) + ✏] ⇥ · · · ⇥ [fm (xk ) ✏, fm (xi ) + ✏]) µ(Ii )(2✏)m = (2✏)m µ(I) i=1 Also gilt µ({(x, f (x))|x 2 X}) = 0. 2 Beispiel 7.3.4 (i) Es sei f : [ 1, 1] ! R durch f (x) = p {(x, 1 x2 )|x 2 [ 1, 1]} p 1 x2 gegeben. Dann ist eine Nullmenge im R2 . Hieraus folgt, dass {(x, y)|x2 + y 2 = 1} eine Nullmenge ist. P (ii) Es sei f : {(x1 , . . . , xn 1 )| ni=11 x2i 1} ! R durch v u n 1 u X t f (x1 , . . . , xn 1 ) = 1 x2i i=1 gegeben. Dann ist v 8 u < u (x1 , . . . , xn 1 , t1 : eine Nullmenge im Rn . Hieraus folgt, dass eine Nullmenge ist. n 1 X x2i )| i=1 {x| kxk = 1} n 1 X i=1 9 = x2i 1 ; 7.4. BERECHNUNG VON INTEGRALEN 7.4 365 Berechnung von Integralen Es sei X eine beschränkte Teilmenge des R2 und f : X ! R sei messbar. Es seien y, y : [a, b] ! R zwei stetige Funktionen, so dass X = {(x, y)|a x b und y(x) y y(x)} Man kann das Integral folgendermaßen berechnen Z Z b Z y(x) f (x, y)d(x, y) = f (x, y)dydx X a y(x) Beispiel 7.4.1 Es sei X = {(x, y)|0 x 1 und x2 y x} und f : X ! R sei durch f (x, y) = x + y gegeben. Dann gilt Z 3 f (x, y)d(x, y) = 20 X Beweis. Wir überlegen uns, dass f eine integrierbare Funktion ist. Nach Beispiel ist X messbar und damit X integrierbar. Die Funktion f˜ : [0, 1] ⇥ [0, 1] ! R mit f (x, y) = x + y ist eine stetige Funktion, also integrierbar. Das Produkt von zwei integrierbaren Funktionen ist wieder integrierbar, also ist X f˜ = fX integrierbar. Z Z 1Z x Z 1 f (x, y)d(x, y) = x + ydydx = [xy + 12 y 2 ]xx2 dx 2 X 0 Z0 1 x ⇥ ⇤ 3 2 1 5 1 3 = x x3 12 x4 dx = 12 x3 14 x4 10 x 0 = 20 2 0 2 Dies kann man auch für den Rn formulieren. Es sei X eine kompakte Teilmenge des Rn . Es seien X(n 1) eine kompakte Teilmenge des Rn 1 und xn , xn : X(n 1) ! R, so dass X = {x|xn (x1 , . . . , xn 1 ) xn xn (x1 , . . . , xn 1 ), (x1 , . . . , xn 1 ) 2 X(n Weiter seien X(k 1), 2 k n 1 kompakte Teilmengen des Rk X(k 1) ! R seien stetige Funktionen, so dass 1 und xk , xk : X(k) = {x|xk (x1 , . . . , xk 1 ) xk xk (x1 , . . . , xk 1 ), (x1 , . . . , xk 1 ) 2 X(k Außerdem gelte X(1) = {x1 |a x1 b} = [a, b] Dann gilt für stetige Funktionen Z Z b Z x2 (x1 ) Z f (x)dx = ··· X a x2 (x1 ) xn (x1 ,...,xn xn (x1 ,...,xn 1) f (x)dxn dxn 1) 1 1)} · · · dx1 1)} CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 366 Beispiel 7.4.2 Es sei X = {(x, y, z)| 0 x, y, z und x + y + z 1} und f : X ! R sei durch f (x, y, z) = 1 gegeben. Dann gilt Z f (x, y, z)d(x, y, z) = 16 X Beweis. Es gilt {(x, y, z)|0 x, y, z und x + y + z 1} = {(x, y, z)|0 x 1, 0 y 1 Damit erhalten wir Z f (x, y, z)d(x, y, z) = X Z 1 0 = = Z 1 x 0 1 Z0 1 0 Z Z Z 1 x y 0 1 x 1 x 0 1 2 x, 0 z 1 Z 1 Z dzdydx = Z 01 ydydx = [y y} 1 x [z]10 x y dydx 0 xy 0 x + 12 x2 dx = [ 12 x x x2 + 16 x3 ]10 = 1 2 1 x y ]0 dx 2 1 6 2 7.5 Transformationsformel für Integrale Satz 7.5.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und g : U ! Rn eine stetig di↵erenzierbare Abbildung, die U eineindeutig auf V = g(U) abbildet. Für alle y 2 U gelte ✓ ◆ dg det (y) 6= 0 dy Es sei K eine messbare, kompakte Teilmenge von V und f : K ! R sei auf K stetig. Dann gilt ✓ ◆ Z Z dg f (x)dx = f (g(y)) det (y) dy dy K g 1 (K) Diese Formel ist die Verallgemeinerung der Substitutionsformel für Funktionen einer Variablen. Z b Z 1 (b) f (x)dx = f ( (t)) 0 (t)dt a 1 (a) 7.5. TRANSFORMATIONSFORMEL FÜR INTEGRALE 367 Man beachte, dass in der Verallgemeinerung der Absolutbetrag der Determinante genommen wird. Zum Verständnis dieser Formel erinnere man sich daran, dass der Absolutbetrag der Determinante gleich dem Volumen des von den Spaltenvektoren aufgespannten Parallelflachs ist. Die Funktionaldeterminante von g beschreibt die Änderung, die das Volumen unter der Transformation g erfährt. Beispiel 7.5.1 Das Volumen der n-dimensionalen Euklidischen Kugel mit Radius R ( ) n X n 2 x2R |xi | R i=1 ist n ⇡2 ( n2 + 1) Rn Beweis. Wir benutzen Polarkoordinaten. g : [0, R] ⇥ [0, ⇡] ⇥ · · · ⇥ [0, ⇡] ⇥ [0, 2⇡] ! Rn g(r, 1, . . . , x1 x2 x3 n 1) = r cos = r sin = r sin .. . = r sin = r sin xn 1 xn = x = (x1 , x2 , . . . , xn ) 1 cos 1 sin 1 2 2 . . . sin 1 . . . sin 1 cos 3 cos 2 sin n 2 n 1 n n 1 g bildet [0, R] ⇥ [0, ⇡] ⇥ · · · ⇥ [0, ⇡] ⇥ [0, 2⇡] auf {x| kxk R} ab. Die Abbildung g ist auf (0, R) ⇥ (0, ⇡) ⇥ · · · ⇥ (0, ⇡) ⇥ (0, 2⇡) injektiv. Wir weisen die Injektivität nach. Es gelte g(r, 1, . . . , n 1) = x = g(r̃, ˜1 , . . . , ˜n 1) Es folgt r = kxk = r̃. Also gilt r = r̃. Weiter gilt r cos 1 = r̃ cos ˜1 = r cos ˜1 Also gilt cos 1 = cos ˜1 . Auf dem Intervall (0, ⇡) ist der Cosinus aber injektiv, also gilt 1 = ˜1 . Durch Induktion erhalten wir nun, dass alle weiteren Winkel ebenfalls gleich sein müssen. Um das Volumen zu berechnen wollen wir nun die Transformationsformel anwenden. Auf der o↵enen Menge (0, R) ⇥ (0, ⇡) ⇥ · · · ⇥ (0, ⇡) ⇥ (0, 2⇡) ist g injektiv und stetig di↵erenzierbar. Als kompakte Teilmenge wählen wir I✏ = [✏, R ✏] ⇥ [✏, ⇡ ✏] ⇥ [✏, ⇡ Z Z ✏] ⇥ · · · ⇥ [✏, ⇡ ✏] ⇥ [✏, 2⇡ ✏] Wir erhalten dann µ(g(I✏ )) = g(I✏ ) dx = I✏ @(x1 , . . . , xn ) d(r, @(r, 1 , . . . , n 1 ) 1, . . . , n 1) CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 368 Man kann zeigen, dass für ✏ ! 0 die linke Seite der Gleichung gegen µ(I0 ) konvergiert (wir verzichten hier auf das Argument). Damit ist das Volumen gleich Z @(x1 , . . . , xn ) d(r, 1 , . . . , n 1 ) @(r, 1, . . . , n 1) I✏ Z RZ ⇡ Z ⇡ Z 2⇡ = ··· rn 1 sinn 2 1 · · · sin n 2 drd 1 · · · d n 1 0 = Z 0 rn 0 = Z ⇡ 2 0 R 2⇡ n R n 1 Z dr ⇡ sinn sinn 2 2 1d 1 0 sin2m xdx = ⇡ 2 0 ⇡ 1d 1 0 0 Z Z ··· Z ··· ⇡ Z ⇡ sin n 2d n 2 0 sin Z 2⇡ d n 1 0 n 2d n 2 0 m (2m 1)(2m 3) · · · 3 · 1 ⇡ ⇡ Y 2k 1 = 2m(2m 2) · · · 4 · 2 2 2 2k sin2m+1 xdx = 0 2m(2m 2) · · · 4 · 2 = (2m + 1)(2m 1) · · · 5 · 3 Damit erhalten wir für m = 1, 2, . . . Z ⇡ Z 2m sin xdx 0 k=1 m Y ⇡ sin2m 1 xdx = 4 0 2k 2k + 1 k=1 ⇡ 1 ⇡ = 2 2m m Damit folgt für gerades n, dass das Volumen der n-dimensionalen Euklidischen Kugel mit Radius R gleich n 2 n 2 2⇡ n Y ⇡ ⇡2 R = Rn n n m ( 2 )! m=1 ist. Der Fall, dass n ungerade ist, wird ähnlich behandelt. 2 Beispiel 7.5.2 Berechnung des Volumens der 3-dimensionalen Euklidischen Kugel bzgl. rechtwinkliger Koordinaten. Beweis. Das Volumen ist Z R Z pR2 x2 Z pR2 x2 R p p R2 x2 R2 Es gilt x2 Z p a2 dzdydx = y2 = Z =⇡ 2 R t2 dt ✓ p = t a2 1 2 Z p R2 x2 p R2 x2 R Damit erhalten wir für das Volumen Z R p y R2 x2 y 2 + (R2 R Z y2 t2 p 2 R2 t + a arcsin a 2 p R2 x2 x2 p R2 x2 R (R2 x2 )(arcsin(1) arcsin( 1))dx R Z R (R2 R ⇥ x2 )dx = ⇡ R2 x ⇤ 1 3 R x 3 R = y 2 dydx ◆ y x2 ) arcsin p R2 x2 4⇡ 3 R 3 dx 7.5. TRANSFORMATIONSFORMEL FÜR INTEGRALE 369 Beispiel 7.5.3 (Das Gravitationspotential eines hohlen Planeten) Es sei n o p 2 2 2 P = (x, y, z)|r1 x + y + z r2 ein hohler Planet. Wir nehmen an, dass die Dichte ⇢(x, y, z) = 1 ist. Es sei M die 2 Gesamtmasse des Planeten, m die Masse im Punkt (x, y, z) und G = 6, 67·10 11 Nkg·m2 die Gravitationskonstante. Dann gilt für das Gravitationspotential 8 p GmM > <p falls x2 + y 2 + z 2 > r2 2 + y2 + z2 x V (x, y, z) = p > : Gm2⇡(r22 r12 ) falls x2 + y 2 + z 2 < r1 Das Potential im Inneren des Planeten ist konstant, es herrscht also Schwerelosigkeit im Innern. Beweis. Für das Gravitationspotential im Punkt (x0 , y0 , z0 ) gilt V (x0 , y0 , z0 ) = Gm Z P p (x x0 )2 ⇢(x, y, z) + (y y0 )2 + (z z0 )2 d(x, y, z) P ist eine kompakte Menge und p (x 1 x0 )2 y0 )2 + (z + (y z0 )2 ist eine stetige Funktion auf einer o↵enen Umgebung von P , weil entweder p (x x0 )2 + (y y0 )2 + (z z0 )2 > r2 oder p (x x0 )2 + (y y0 )2 + (z z0 )2 < r1 gilt. Da der Planet rotationssymmetrisch ist, können wir annehmen, dass (x0 , y0 , z0 ) = (R, 0, 0). Außerdem wollen wir zu Polarkoordinaten übergehen. x y z Es gilt = r cos = r sin cos ✓ = r sin sin ✓ ✓ @(x, y, z) det @(r, , ✓) r 2 [r1 , r2 ] 2 [0, ⇡] ✓ 2 [0, 2⇡] ◆ = r2 sin Wie schon bei der Berechnung des Volumens der Kugel müssen wir eine Grenzwertbetrachtung durchführen, wenn wir zu Polarkoordinaten übergehen. Wir erhalten CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 370 schließlich V (R, 0, 0) Z r2 Z = Gm ⇡ Z 2⇡ r2 sin p (R r cos )2 + r2 sin2 cos2 ✓ + r2 sin2 sin2 ✓ Z ⇡ Z 2⇡ r2 sin p = Gm d✓d dr (R r cos )2 + r2 sin2 r1 0 0 Z r2 Z ⇡ r2 sin p = 2⇡Gm d dr (R2 2rR cos + r2 r1 0 r1 Z r2 0 0 Wir substituieren u = d✓d dr 2rR cos . Es gilt du = 2rR sin d u(0) = 2rR u(⇡) = 2rR Damit erhalten wir Z r2 Z 2rR r p dudr 2 2 r1 2rR 2R r + R + u Z i2rR ⇡Gm r2 hp 2 2 = 2r r + R + u dr R 2rR r1 Z p ⇡Gm r2 p 2 = 2r r + R2 + 2rR 2r r2 + R2 R Zr1r2 ⇡Gm = 2r|R + r| 2r|R r|dr R r1 2⇡Gm 2rR dr Da r > 0 und R > 0, so gilt |r + R| = r + R. Andererseits gilt R R > r2 und R r < 0, falls R < r1 . Damit erhalten wir zwei Fälle Z 8 ⇡Gm r2 2 > > 4r dr falls r2 < R < R r1 Z V (R, 0, 0) = ⇡Gm r2 > > : 4rRdr falls r1 > R R r1 r > 0, falls Damit erhalten wir 8 < 4⇡Gm (r3 2 V (R, 0, 0) = 3R : 2⇡Gm(r22 r13 ) falls r2 < R r12 ) falls r1 > R Da wir angenommen hatten, dass für die Dichte ⇢(x, y, z) = 1 gilt, erhalten wir M= 2 4⇡ 3 (r 3 2 r13 ) 7.6. UNSTETIGKEITSMENGEN VON FUNKTIONEN UND IHREN ABLEITUNGEN371 7.6 Unstetigkeitsmengen von Funktionen und ihren Ableitungen [88] Satz 7.6.1 Es sei X ein separabler, metrischer Raum, in dem jede o↵ene Menge überabzählbar viele Elemente enthält. Es sei f eine Funktion, die von X nach R abbildet. Die Menge aller Punkte, in denen f unstetig ist, ist eine F -Menge. Umgekehrt gibt es zu jeder F -Menge A von X eine Funktion, die in allen Punkten von A unstetig und in allen Punkten von Ac stetig ist. Beweis. Es sei f : X ! R eine beschränkte Funktion. Wir bezeichnen ( ) !(f, x0 ) = lim sup !0 f (x) inf f (x) x2B(x0 , ) x2B(x0 , ) als Oszillation von f in x0 . !(f, x0 ) existiert, weil für alle sup f (x) sup f (x) x2B(x0 , ) f (x) 0 x2B(x0 , ) x2B(x0 , ) gilt und weil für alle , ˜ mit inf >0 ˜ inf x2B(x0 , ) f (x) sup f (x) x2B(x0 , ˜) inf x2B(x0 , ˜) f (x) gilt. Wir zeigen, dass f genau dann in x0 stetig ist, wenn !(f, x0 ) = 0 gilt. Wir nehmen an, dass f in x0 stetig ist. 8✏ > 09 > 08x 2 B(x0 , ) : |f (x) f (x0 )| < ✏ Hieraus folgt sup f (x) < f (x0 ) + ✏ x2B(x0 , ) und inf x2B(x0 , ) f (x) > f (x0 ) ✏ Also !(f, x0 ) < 2✏. Wir setzen D✏ = {x|!(f, x) ✏} und zeigen, dass D✏ für alle ✏ > 0 eine abgeschlossene Menge ist. Wir zeigen, dass D✏c eine o↵ene Menge ist. Es gelte !(f, x0 ) < ✏. Dann gibt es ein > 0, so dass für alle x 2 B(x0 , ) sup f (x) inf f (x) < ✏ x2B(x0 , ) x2B(x0 , ) CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 372 Hieraus folgt, dass für alle x 2 B(x0 , ) !(f, x) < ✏ gilt. Damit ist die Menge aller Unstetigkeitsstellen von f gleich [ D1 n n2N und damit eine F -Menge. Wir zeigen nun, dass es zu jeder F -Menge eine Funktion gibt, die in genau diesen Punkten unstetig ist. Es seien M eine abzählbare, dichte Teilmenge von X und 1 [ A= An n=0 wobei An abgeschlossene Mengen sind und überdies An ✓ An+1 für n = 0, 1, 2, . . . gilt. Wir setzen A0 = ;. Wir definieren nun Bn = {x|x 2 (An \ An 1 ) \ (An \ An 1 ) oder x 2 (An \ An 1 ) \ M } Wir definieren f (x) = 8 > <2 n falls > :0 falls x 2 Bn 1 [ x2 / Bk k=1 f ist wohldefiniert, da Bn \ Bm = ; für n 6= m gilt. Wir wollen dies nachprüfen. Falls n > m, so gelten Bn ✓ An \ An 1 und Bm ✓ Am Wir zeigen nun, dass f für alle x 2 A unstetig ist. Es ergeben sich drei Fälle. Falls x 2 (An \ An 1 ) \ M , dann gilt f (x) = 2 n und es gibt ein 0 , so dass für alle mit 0 < < 0 und alle y mit d(x, y) < y 2 (An \ An 1 ) gibt. Hieraus folgt, dass es ein y mit d(x, y) < gibt, so dass y 2 (An \ An 1 ) \ M c Für ein solches y gilt y2 / 1 [ Bk k=1 Falls y 2 Bk gilt, so folgt wegen Bk ✓ Ak \ Ak 1 , dass k = n. Aus y 2 (An \ An 1 ) \ M c erhalten wir y2 / (An \ An 1 ) \ (An \ An 1 ) und y 2 / (An \ An 1 ) \ M 7.6. UNSTETIGKEITSMENGEN VON FUNKTIONEN UND IHREN ABLEITUNGEN373 Damit gilt f (y) = 0. Damit ist f nicht in x stetig. Wir nehmen nun an, dass x 2 (An \ An 1 ) \ M c . Wie wir uns eben überlegt haben, gilt dann f (x) = 0. Ebenso wie im ersten Fall finden wir ein 0 , so dass für alle mit 0 < < 0 ein y mit d(x, y) < und mit y 2 (An \ An 1 ) \ M existiert. Also gilt f (y) = 0. Dies widerspricht der Stetigkeit von f in x. Als dritten zu betrachtenden Fall haben wir x 2 (An \ An 1 ) \ (An \ An 1 ) Damit haben wir f (x) = 2 n . Weil x kein innerer Punkt von An \ An 1 ist, gibt es eine Folge von Punkten xk 2 (An \ An 1 )c , k 2 N, mit d(x, xk ) < k1 . Für alle xk , k 2 N, gilt entweder xk 2 An 1 oder xk 2 Acn . Damit gilt, dass xk 2 / Bn gilt. Hieraus folgt sofort, dass für alle k 2 N f (xk ) = 0 oder f (xk ) 2 (n 1) oder f (xk ) 2 (n+1) Auch dies widerspricht der Stetigkeit von f in x. Nun zeigen wir, dass f in allen x 2 / A stetig ist. Es gilt f (x) = 0. Es sei ✏ > 0 gegeben. Wir wählen N so gross, dass ✏ > 2 N gilt. Nun wählen wir so klein, dass für alle A1 , . . . , AN B(x, ) \ An = ; gilt. Somit gilt für alle y mit d(x, y) < y2 / N [ An n=1 Insbesondere gilt für alle y mit d(x, y) < y2 / N [ Bn n=1 Deshalb gilt für alle y mit d(x, y) < , dass f (y) 2 N 1 Damit folgt für alle y mit d(x, y) < |f (x) f (y)| 2 N 1 <✏ 2 Beispiel 7.6.1 (i) Q ist eine F -Menge. (ii) R \ Q ist keine F -Menge. (iii) Jede Teilmenge von R, die nicht Lebesgue messbar ist, ist keine F -Menge. 374 CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN Satz 7.6.2 (i) Es sei f : [a, b] ! R eine di↵erenzierbare Funktion. Dann ist die Menge aller Punkte, in denen f 0 stetig ist, eine G -Menge, die in [a, b] dicht liegt. (ii) Zu jeder G -Menge A, die in [a, b] dicht liegt, gibt es eine Funktion f : [a, b] ! R, für die die Menge, in denen f 0 stetig ist, gleich A ist. Satz 7.6.3 (Bruckner, p. 228) (i) Es sei f : [a, b] ! R eine stetige Funktion. Dann ist die Menge der Punkte, in denen f di↵erenzierbar ist, vo der Form A \ B, wobei A eine F -Menge ist und B eine F -Menge mit (B) = ([a, b]) ist. (ii) Umgekehrt lässt sich zu jeder solchen Menge eine entsprechende Funktion finden. 7.6. UNSTETIGKEITSMENGEN VON FUNKTIONEN UND IHREN ABLEITUNGEN375 Notizen Die Menge der invertierbaren Matrizen ist o↵en: Die Determinante ist eine stetige Abbildung. Der Limes Superior ist der grösste Häufungspunkt der Folge. Wo ist die Funktion f mit f (x) = 0 für x irrational und f ( m )= n m teilerfremd sind di↵erenzierbar? 1 n wobei n und Konvergenzradius von 1 X tan(n)xn n=1 bestimmen. Der Konvergenzradius von 1 X 1 n x sin n n=1 ist 1. | sin n| = | sin(n 1 |n 2 m⇡)| m⇡| = m n | 2 m ⇡| Da ⇡ irrational ist, gilt n m ⇠ ⇡. Damit folgt | Ausserdem gilt n m ⇡| | sin n| 1 mk 1 nk 1 Bei der Einführung der metrischen Räume muss auch die Stetigkeit von Funktionen auf metrischen Räumen abgehandelt werden. U.a. dass eine stetige Funktion auf einer kompakten Menge Minimum und Maximum annimmt. Die Euklidische Norm muss schon bei den metrischen Räumen eingeführt werden. Ausserdem müssen an dieser Stelle die kompakten Mengen vom Rn charakterisiert werden. Der Satz von Alexando↵-Hausdor↵: Jeder kompakte metrische Raum ist das stetige Bild der Cantor-Menge. siehe der Artikel von Benyamini im AMM. Bei der Einführung der Gammafunktion weitere Eigenschaften herleiten, um die Berechnung des n- dimensionalen Volumens der Kugel einfacher zu gestalten. Der Satz von Tschebysche↵ über die Primzahlverteilung kann bewiesen werden ,wenn man die Grössenordnung von 2n bestimmt hat. n CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 376 Die Determinante der Matrix 0 ↵ 1 0 ··· ··· 0 B 1 ↵ 1 0 ··· 0 B B .. .. @ . . 0 ··· ··· ··· 1 ↵ 1 C C C A führt auf die Di↵erenzengleichung [LeLe,p.98] Dn = ↵Dn Dn 1 2 Aufgabe oder Beipiel: Bestimme die Anzahl aller surjektiven Abbildungen zwischen einer Menge mit n Elemente und einer mit k Elementen: ✓ ◆ n n k k k! k Es gibt genau ✓ ◆ n n k k k Möglichkeiten eine Menge mit n Elementen in k Teilmengen aufzuteilen, so dass jede Teilmenge mindestens ein Element enthält. Michel Rolle wurde 1652 in der Auvergne geboren, er starb 1719. Er war Mitglied der Académie des Sciences. Sein Hauptwerk Traité d’Algebre erschien 1690. card(R)=card(R2 ), card(R)=card([0,1]) Berechne R xx dx, möglicherweise als Reihe. Aufgabe: Man versucht aus Dominosteinen einen Brückenbogen zu bauen, der sich selbst trägt. Man stapelt die Steine übereinander und verschiebt sie dann seitlich, ohne dass der entstehende Bogen umfällt. Wie weit kommt man? Antwort: proportional zum Logarithmus der Anzahl der Steine. Im Abschnitt über die Formel von Stirling wird die Trapez-Regel benutzt und bewiesen. Interessant ist auch die Simpson Regel: Das Integral weicht höchstens um (b a)5 max |f (iv) (x)| 2880n4 x von (f (a0 ) + 4f (x1 ) + 2f (a1 ) + · · · ) ab. x 6 7.6. UNSTETIGKEITSMENGEN VON FUNKTIONEN UND IHREN ABLEITUNGEN377 Die Mittelpunktsregel ist auch interessant: Das Integral weicht höchstens um (b a)3 max |f (iv) (x)| x 24n2 von (f (x1 ) + · · · + f (xn )) x ab. xi sind die Mittelpunkte der Teilintervalle. Das Nadel Problem von Bu↵on. (i) Ein Punkt (y, ✓) wird zufallsartig in dem Rechteck [0, 1] ⇥ [0, ⇡] gewählt. Bestimme die Wahrscheinlichkeit, dass y sin ✓ gilt. (ii) Eine Nadel der Länge 1 wird auf eine Fläche fallen gelassen, auf die parallele Linien gezeichnet sind, die jeweils den Abstand 1 voneinander haben. Es sei P der niedrigere der beiden Endpunkte von der Nadel, y sei der Abstand von P zur der Linie, die oberhalb von P liegt und ✓ sei der Winkel, den die Nadel mit einer Linie hat, die parallel zu den gegebenen Linien ist und die durch P läuft. Zeige, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Nadel eine Linie tri↵t, gleich der von (i) ist. Z ⇡ sin ✓d✓ = 2 0 Also ist die Wahrscheinlichkeit gleich 2/⇡. Vermutlich ist es besser die e-Funktion durch Potenzreiehen einzuführen. Berechne den Erwartungswert vom Abstand eines zufällig in einem Kreis mit Radius 1 gewählten Punktes vom Kreismittelpunkt. Die Verteilungsfunktion ist F (x) = P(0 X x) = ⇡x2 = x2 ⇡ Damit ergibt sich für die Wahrscheinlichkeitsdichte f (x) = F 0 (x) = 2x und E(X) = Z 0 1 2x2 dx = 2 3 Der triaxiale Tritorus ist x = sin u(1 + cos v) 2⇡ y = sin(u + )(1 + cos(v + 3 4⇡ z = sin(u + )(1 + cos(v + 3 2⇡ )) 3 4⇡ )) 3 wobei ⇡ u ⇡ und ⇡ v ⇡. (http://astronomy.swin.edu.au/pbourke/geometry/) CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN 378 Beispiel 7.6.2 Die Folge {(cos n, sin n)|n 2 N} liegt dicht in {(x, y)|x2 + y 2 = 1}. Bibliography [1] J. Anderson, Iterated Exponentials, American Mathematical Monthly 111 (2004), 668–679 [2] T.M. Apostol, Irrationality of the square root of two- a geometric proof, American Mathematical Monthly 107 (2000), 841-842. [3] A. Baker, A Concise Introduction to the Theory of Numbers, Cambridge University Press, Cambridge, 1984. [4] A. Baker, Transcendental Number Theory, Cambridge University Press, Cambridge, 1975. [5] D. Benko, The Basel Problem as a teleskoping series , The College Mathematics Journal 43 (2012), 244-250. [6] M.A. Bennett, Positive rational solutions to xy = y mx , American Mathematical Monthly 111(2004), 48-50 [7] M. Bense, Einführung in die informationstheoretische Ästhetik, Rowohlt, Hamburg, 1969 [8] Y. Benyamini, Applications of the universal surjectivity of the Cantor set, American Mathematical Monthly 1998 (105), 832-839 [9] L. Berggren, J. 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