Analysis

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Analysis
Carsten Schütt
July 11, 2014
2
Contents
1
1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
1.6
1.7
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . .
Mathematische Logik . . . . . . . . . . . .
Das Axiomensystem von Zermelo-Fraenkel
Relation und Ordnung . . . . . . . . . . .
Die natürlichen Zahlen N . . . . . . . . . .
Mathematische Induktion . . . . . . . . .
Mächtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2 Zahlen
2.1 Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Folgen in Körpern . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Reelle Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4 Folgen in R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5 Di↵erenzengleichungen . . . . . . . . . . . . . .
2.6 Supremum und Infimum . . . . . . . . . . . . .
2.7 Reihen in R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.8 Bedingt konvergente Reihen - Satz von Riemann
2.9 Das Problem von Basel . . . . . . . . . . . . . .
2.10 p-adische Entwicklungen reeller Zahlen . . . . .
2.11 Kettenbrüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 Funktionen einer reellen Veränderlichen
3.1 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Gleichmäßige Stetigkeit . . . . . . . . . . . . .
3.3 Monotone Funktionen und Umkehrfunktionen
3.4 Potenz, Exponentialfunktion und Logarithmus
3.5 Di↵erenzierbare Funktionen . . . . . . . . . .
3.6 Der Satz von Rolle und der Mittelwertsatz . .
3.7 Lokale Extrema . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.8 Die Formel von L’Hôpital . . . . . . . . . . .
3.9 Gleichmäßige Konvergenz . . . . . . . . . . .
3.10 Unstetige Ableitungen . . . . . . . . . . . . .
3
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. 107
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. 149
. 157
. 165
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4
CONTENTS
4 Metrische Räume
167
4.1 Metrische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
4.2 Normierte Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
4.3 Stetige Abbildungen zwischen metrischen Räumen . . . . . . . . . . . 181
5 Integralrechnung
5.1 Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Riemannsche Summen . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3 Riemann-messbare Mengen und die Cantor-Menge . .
5.4 Hauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung . . .
5.5 Substitution und partielle Integration . . . . . . . . .
5.6 Mittelwertsatz der Integralrechnung . . . . . . . . . .
5.7 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.8 Gammafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.9 Bogenlänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.10 Die trigonometrischen Funktionen . . . . . . . . . . .
5.11 Das Produkt von Wallis . . . . . . . . . . . . . . . .
5.12 Partialbruchzerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.13 Integralkriterium für Reihen . . . . . . . . . . . . . .
5.14 Unendliche Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.15 Die Formel von Stirling . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.16 Der Satz von Taylor und Taylorreihen . . . . . . . . .
5.17 Gleichmäßige Konvergenz und Integral . . . . . . . .
5.18 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.19 Rationale, irrationale, algebraische und transzendente
6 Funktionen mehrerer reeller Variablen
6.1 Zusammenhängende Mengen im Rn . .
6.2 Richtungsstetigkeit, Richtungsableitung
6.3 Di↵erenzierbarkeit im Rn . . . . . . . .
6.4 Partielle Ableitungen höherer Ordnung
6.5 Abbildungen vom Rn in den Rm . . . .
6.6 Kettenregel . . . . . . . . . . . . . . .
6.7 Mittelwertsatz . . . . . . . . . . . . . .
6.8 Der Satz von Taylor . . . . . . . . . .
6.9 Bogenlänge . . . . . . . . . . . . . . .
6.10 Extremwerte . . . . . . . . . . . . . . .
6.11 Umkehrabbildungen . . . . . . . . . . .
6.12 Implizite Funktionen . . . . . . . . . .
6.13 Lagrangesche Multiplikatoren . . . . .
6.14 Di↵erentiation in Banachräumen . . . .
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Zahlen
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und Partielle Ableitungen
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. 187
. 198
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. 211
. 217
. 218
. 219
. 221
. 224
. 228
. 235
. 238
. 238
. 242
. 244
. 249
. 256
. 262
. 271
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. 289
. 297
. 301
. 303
. 305
. 307
. 310
. 315
. 329
. 338
. 344
. 347
CONTENTS
7 Integration im Rn
7.1 Iterierte Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2 Riemann-Integral auf beschränkten Mengen . . . . . . . . .
7.3 Das Maß von Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.4 Berechnung von Integralen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.5 Transformationsformel für Integrale . . . . . . . . . . . . . .
7.6 Unstetigkeitsmengen von Funktionen und ihren Ableitungen
5
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349
. 352
. 358
. 359
. 365
. 366
. 371
6
CONTENTS
Chapter 1
1.1
Einführung
Wie man studiert
Sie sollten nur ein Fach studieren, das Ihnen auch gefällt.
Wir wollen in der Vorlesung drei Dinge lernen:
1. Die mathematische Sprache
Hier lernen wir, was ein Beweis ist und wie er aufgeschrieben wird.
2. Methoden zur Lösung von Problemen
Hier lernen Sie Standardmethoden zum Bearbeiten von mathematischen Problemen
kennen. Sie lernen, Probleme zu analysieren.
3. Ergebnisse der Mathematik
Sie werden sehr bald feststellen, dass der Arbeitsumfang sehr groß ist. Dies
tri↵t für Ihr Studium im Allgemeinen wie auch insbesondere für diese Vorlesung
zu. Sie werden Ihr Studium nur dann bewältigen, wenn Sie kontinuierlich arbeiten.
Um sicher zu stellen, dass Sie auch kontinuierlich arbeiten, werden jede Woche
Übungsaufgaben ausgeben. Diese Übungsaufgaben werden in den Übungsgruppen
besprochen. Im Laufe der Wochen werden Sie so mit einer großen Zahl von Beispielen
vertraut. Das Verständnis vom Sto↵ hängt davon ab, ob man Beispiele kennt.
Es ist besser, in kleinen Gruppen zu arbeiten. Ich möchte stark davon abraten,
allein zu arbeiten. Wenn Sie mit anderen zusammen arbeiten, werden Sie anderen
Ihre Überlegungen und Ideen erläutern. Dies ist ein guter Weg, die die eigenen
Gedanken und Argumente zu überprüfen.
In der Vorlesung werden Beispiele vorgerechnet. Die Aufgaben sind häufig
ähnlich, manchmal dienen sie als Vorlage.
Jede Woche werden Übungsaufgaben ausgegeben, die innerhalb einer Woche zu
bearbeiten sind. Besprochen werden die Aufgaben in den Übungsgruppen.
Sie müssen sich selbst beim Studium einbringen, Sie müssen die Initiative ergreifen. Das Studium der Mathematik ist sicherlich schwer, es bringt aber auch viel
Spaß.
7
8
CHAPTER 1.
Neben Lehrbüchern steht auch Software zum Erarbeiten des Sto↵es zur Verfügung. Mathematica und Maple sind sehr zu empfehlen, wobei ich Mathematica
den Vorzug gebe. Es ist aber nicht notwendig, einen Computer und diese Software zur Verfügung zu haben. Sie können den Vorlesungssto↵ auch ohne diese
Dinge bewältigen. Außerdem möchte ich Sie auf das Textverarbeitungssysten TEX
aufmerksam machen. Mit diesem System können Sie mathematische, physikalische
und chemische Texte schreiben. Die Software ist frei im Internet erhältlich.
Wenn Sie sich mit mir unterhalten wollen, können Sie dies z.B. direkt im Anschluss an die Vorlesung tun, oder aber auch in meiner Sprechstunde. Wir können
auch einen Gesprächstermin vereinbaren. Falls Sie meinen, dass Sie im Studium
Probleme haben, sollten Sie mit mir sprechen.
Literatur
• G. Berendt und E. Weimar: Mathematik für Physiker, VCH
• J. Dieudonne: Grundlagen der modernen Analysis,
• K.Endl und W. Luh: Analysis I,II, Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden
• F. Erwe: Di↵erential- und Integralrechnung I,II, BI Hochschultaschenbücher
• G.M. Fichtenholz: Di↵erential- und Integralrechnung I,II,III, VEB Deutscher
Verlag der Wissenschaften, Berlin
• H. Fischer und H. Kaul: Mathematik für Physiker, B.G. Teubner, Stuttgart
• O. Forster: Analysis 1,2, vieweg studium, Braunschweig/Wiesbaden
• W. Grauert und I. Lieb: Di↵erential- und Integralrechnung I, Springer-Verlag
• W. Grauert und W. Fischer: Di↵erential- und Integralrechnung II, SpringerVerlag
• H. Heuser: Lehrbuch der Analysis, Teil 1 und 2, B.G. Teubner, Stuttgart
• S. Lang: Analysis I,II, Addison-Wesley
• von Mangoldt und Knopp: Einführung in die höhere Mathematik, S. Hirzel
Verlag, Stuttgart
• W. Smirnow: Lehrgang der höheren Mathematik, VEB Deutscher Verlag der
Wissenschaften, Berlin
• M. Spiegel: Advanced Calculus, Schaum’s Outline Series. McGraw Hill
• W. Walter: Analysis I,II,Springer-Verlag
1.1. EINFÜHRUNG
9
Prüfungen, Klausuren und Übungen
Am Ende des Semesters (10.2.2014) findet eine Klausur statt. Diese Klausur wird
auch am Beginn des darau↵olgenden Semesters angeboten (10.4.2014). Danach wird
diese Klausur erst ein Jahr später angeboten.
Sie erhalten die Zulassung zur Klausur, wenn Sie hinreichend viele Aufgaben der
Übungen richtig bearbeitet haben.
Jede Woche wird ein Übungszettel mit 3-5 Aufgaben herausgegeben. Die letzte
Aufgabe ist immer nur von den Studenten des 1-Fach-Bachelorstudiums zu bearbeiten. Die Teilnahme an den Übungen ist Pflicht. Die Aufgaben sollen zu zweit
schriftlich bearbeitet werden und am Mittwoch vor der Vorlesung um 8:15 abgegeben
werden. Jede zweite Woche findet für eine halbe Stunde eine Korrektur in Anwesenheit statt. Während dieser halben Stunde sollen Sie dem übungsleiter erklären,
was Sie aufgeschrieben haben. Während dieser halben Stunde kann man i.A. nicht
alle Aufgaben besprechen. Wenn Sie nicht erklären können, was Sie aufgeschrieben
haben, gilt dies als falsch.
Um zur Klausur zugelassen zu werden, müssen Sie 50% der Aufgaben richtig
bearbeitet haben und es müssen 50% der Aufgaben richtig sein, die Sie in der Korrektur in Anwesenheit besprechen.
Vorlesungssto↵
Ein großer Teil der Vorlesung befasst sich mit dem Aufbau des Zahlsystems.
Wir gehen von den natürlichen Zahlen N aus. Die Existenz der natürlichen Zahlen
kann man aus dem Axiomensystem von Zermelo-Fraenkel der Mengenlehre herleiten.
Aus den natürlichen Zahlen erhält man durch Hinzufügen von 0 und der negativen
Zahlen die ganzen Zahlen Z. Durch Quotientenbildung erhält man die rationalen
Zahlen Q. Daraus konstruieren wir schließlich die reellen Zahlen R. Diese letzte
Konstruktion ist nicht einfach. Anschaulich handelt es sich bei den reellen Zahlen
um den unendlichen Zahlenstrahl, so etwas wie ein unendlich langes Lineal. Dies
ist sicherlich eine gute Veranschaulichung, wir brauchen aber eine Darstellung der
reellen Zahlen, die es uns erlaubt mit ihnen zu rechnen.
Zunächst stellt sich die Frage, ob es überhaupt reelle Zahlen gibt, die keine
rationalen Zahlen sind.
p
Wir betrachten 2,
pum die Probleme zu erklären. Aus der Anschauung sind wir
sicher, dass die Zahl 2 existiert: Sie ist die Länge der Diagonale des Quadrates
mit der Kantenlänge 1. Was aber ist dann eine reelle Zahl? Jede Länge, die wir in
einem geometrischen Objekt wie einem Quadrat messen können? Was ist dann mit
der Zahl e?
p
Nehmen wir einmal an, dass 2 eine wohldefinierte, reelle Zahl
p ist. Es lässt sich
durch ein geschicktes, aber sehr kurzes Argument zeigen, dass 2 keine rationale
Zahl ist (Satz 2.0.1).
p
Nun eine historische Bemerkung zu der Tatsache, dass 2 irrational ist. Pythagoras war der Führer einer philosophischen Gemeinschaft, der Pythagoräer. Sie glaubten,
dass der Natur harmonische Prinzipien zu Grunde liegen. So beobachteten sie, dass
zwei Saiten harmonisch klingen, wenn der Quotient ihrer Längen als Quotient zweier
10
CHAPTER 1.
kleiner natürlicher Zahlen ausgedrückt werden kann. Sie glaubten, dass die in der
Natur vorkommenden
Zahlen rationale Zahlen sind. Sie waren erschüttert, als sie
p
feststellten, dass 2 eine irrationale Zahl ist. Sie beschlossen, dies geheim zu halten.
p
Ein Mitglied ihrer Gemeinde, Hippasus, beschloss, der Welt mitzu teilen, dass 2
eine irrationale Zahl ist. Daraufhin wurde er umgebracht [74, 89].
Außerdem sind ⇡ und e keine rationalen Zahlen, dies ist aber deutlich schwieriger
nachzuweisen.
Weiter ist in diesem Zusammenhang wichtig, eine Darstellung für reelle Zahlen
zu finden. Die übliche Darstellung ist die Dezimaldarstellung. Auf Taschenrechnern wird diese Darstellung benutzt, wobei nur ca. 10 Zi↵ern benutzt werden. Dem
unvoreingenommenen Benutzer von Taschenrechnern kommt der Verdacht, dass 10
Zi↵ern vielleicht nicht ausreichen. Vielleicht kommt man mit 20 Zi↵ern aus? Vielleicht macht man einen Fehler, aber der ist so klein, dass er in aller Regel keine Rolle
spielt? Können wir also unser Zahlsystem so einschränken, dass wir höchstens 20
Zi↵ern zu verwenden haben?
Bei der Umwandlung eines Bruches in eine Dezimalzahl treten Dezimalzahlen
mit unendlich vielen Stellen auf. So z.B.
1
= 0, 3333 . . .
3
Ist der rechte Ausdruck aber sinnvoll? Auf einem Taschenrechner haben nicht unendlich viele Zahlen Platz und wir sind auch nicht in der Lage, unendlich viele Zi↵ern
aufzuschreiben.
Multiplizieren wir nun beide Seiten mit 3, erhalten wir
1 = 0, 999 . . .
Ist das noch vernünftig? Wenn ja, dürfen wir eine Dezimalzahl in dieser Weise
multiplizieren? Sind die Zahlen
1
und
0, 9999 . . .
tatsächlich gleich? Wenn ja, warum?
Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Bestimmung des Flächeninhaltes. Hierzu
entwickeln wir die Di↵erential- und Integralrechnung. Wir gehen davon aus, dass
die Fläche eines Rechteckes das Produkt der Seitenlängen ist. Wir können dann die
Fläche zwischen Graphen von Funktionen bestimmen.
Es stellt sich die Frage, ob wir jeder Teilmenge des R2 einen Flächeninhalt zuordnen können?
Eine weitere Aufgabe ist die Bestimmung der Länge einer Kurve. Beispiele
hierfür sind der Umfang eines Rechteckes oder der Umfang eines Kreises.
Wir geben hier mathematische Probleme an, die von besonderem Interesse sind.
Einige werden wir in der Vorlesung behandeln.
Konvergenz von Folgen
Konvergieren die Folgen:
1.1. EINFÜHRUNG
(i)
(ii)
11
s
r
r
q
q
q
p
p
p
p
1, 1 + 2, 1 + 2 + 3, 1 + 2 + 3 + 4, . . .
✓
◆2 ✓
◆3 ✓
◆4
1
1
1
(1 + 1) , 1 +
, 1+
, 1+
,...
2
3
4
1
Bewegungsgleichung eines Pendels und eines Doppelpendels
Brachistochronen Problem
Man konstruiere eine Bahn, auf der sich eine Kugel nur unter Wirkung der Schwerkraft am schnellsten von einem Punkt zu einem anderen bewegt.
Schwerkraft eines hohlen Planeten
Wir betrachten einen Planeten, der innen hohl ist. Wie groß ist die Schwerkraft
innnen und außen?
Schwingende Saite
Eine Saite wird angezupft. Wie lassen sich die Schwingungen, die die Saite vollführt,
ausrechnen?
Kann man die Form einer Trommel hören?
Kann man nur am Ton der Trommel hören, welche Form ihre Bespannung hat?
12
CHAPTER 1.
Temperaturverteilung in einer kreisrunden Metallscheibe
Eine kreisrunde Metallscheibe ist zu einem gegebenen Zeitpunkt unterschiedlich erhitzt. Wie entwickelt sich die Temperaturverteilung im Laufe der Zeit?
⇡ ist eine irrationale Zahl
Wir zeigen, dass sich ⇡ nicht als Quotient zweier ganzen Zahlen schreiben lässt.
Dreiteilung eines Winkels
Kann man nur mit Hilfe von Zirkel und Lineal einen beliebigen Winkel in drei gleiche
Teile teilen?
Quadratur des Kreises
Kann man nur mit Hilfe von Zirkel und Lineal ein Quadrat konstruieren, das dieselbe
Fläche wie ein gegebener Kreis hat?
Banach-Tarski Paradoxon
Man kann eine Kugel so in endlich viele Teile zerlegen, dass man diese wiederum
zu zwei Kugeln derselben Größe zusammensetzen kann. Auf diese Weise verdoppelt
man das Volumen. Dies kann nicht sein. Wie erklärt sich dieser Widerspruch? Wir
zerlegen die Kugel in Teile, denen sämtlich kein Volumen zugeordnet werden kann,
also Mengen, die nicht messbar sind.
Kakeya Problem (1917)
Wir legen eine Nadel auf eine Ebene und bewegen sie nun so, dass sie wieder
in derselben Position zu liegen kommt, wobei allerdings die beiden Endpunkte der
Nadel vertauscht sind. Wir möchten die Nadel so bewegen, dass eine mglichst kleine
Fläche von der Nadel überstrichen wird. Wie klein kann diese Fläche sein? Gibt es
ein Minimum?
Vermutung von Fermat
Es sei n 2 N. Für n 3 gibt es keine x, y, z 2 N mit
xn + y n = z n .
Für n = 2 erfüllen x = 3, y = 4, z = 5 die Gleichung.
Berechnung von Volumina, Schwerpunkten, Kurvenlängen, Oberflächen
1.1. EINFÜHRUNG
13
Peano-Kurve
Es gibt eine stetige Kurve, die ein ganzes Quadrat ausfüllt.
Wir wollen uns noch ein Beispiel für einen mathematischen Beweis ansehen.
Satz 1.1.1 (Pythagoras)[74, 89] Es seien a und b die Längen der Katheten in einem
rechtwinkligen Dreieck und c die Länge der Hypothenuse. Dann gilt
a2 + b2 = c2 .
Beweis.
b
a
c
Wir betrachten ein Quadrat mit der Kantenlänge a + b. Einbeschrieben ist ein
Quadrat der Kantenlänge c.
a
b
c
Wir sehen nun, dass sich die Fläche des Quadrates mit der Kantenlänge a+b aus
einem Quadrat der Kantenlänge c und vier rechtwinkligen Dreiecken mit Katheten
a und b und Hypothenuse c zusammensetzt.
Es folgt
a·b
(a + b)2 = c2 + 4
= c2 + 2ab.
2
Deshalb gilt
a2 + 2ab + b2 = c2 + 2ab.
Also
a2 + b2 = c2 .
14
CHAPTER 1.
Alternativ können wir den Beweis auch geometrisch beenden. Wir arrangieren die
Dreiecke neu in dem Quadrat an. Es folgt, dass die Fläche, die nicht von den
Dreiecken überdeckt wird gleich c2 ist. Andererseits setzt sich die Fläche aus zwei
Quadraten der Kantenlänge a und b zusammen.
a
b
2
Pythagoras wurde um 570 v. Chr. auf Samos geboren und starb nach 510 v.
Chr. in Metapont in Süditalien. Er war Philosoph und Gründer einer religiösphilosophischen Bewegung. In seiner Jugend reiste er zu Studienzwecken u.a. nach
Ägypten und Babylon. Um 530 v. Chr. wanderte er nach Croton in Süditalien aus,
weil er sich mit dem Herrscher auf Samos überworfen hatte.
Der Satz von Pythagoras war sehr wahrscheinlich schon vor Pythagoras Zeit den
Ägyptern, Indern und Chinesen bekannt.
In China ist der Satz unter dem Namen GouGu-Dingi bekannt. Gou heißt Breite,
Gu heißt Länge und Dingi Lehrsatz.
Es gibt sehr viele Beweise des Satzes, die aber im Wesentlichen nicht allzu verschieden sind. Der amerikanische Präsident James A. Garfield (1831-1881) hat auch
einen Beweis geliefert.
1.2
Mathematische Logik
Die mathematische Logik bietet systematische und formale Entscheidungsmethoden
dafür an, ob eine Aussage wahr oder falsch ist (oder auch, ob eine Aussage weder
wahr noch falsch ist, also nicht entscheidbar ist). Da diese Methoden formal sind,
gehen sie nicht auf die Bedeutung und den Sinn der vorliegenden Aussage ein. Sie
liefern objektive Verfahrensweisen zur Entscheidung, ob eine Aussage wahr oder
falsch ist.
Wir können Aussagen zusammensetzen. Dazu stehen uns die folgenden Verknüpfungen
zur Verfügung.
1.2. MATHEMATISCHE LOGIK
15
Aussage
Verknüpfung
Aussage
Bedeutung
A
⇒
B
A folgt B
A
⇔
B
A gilt genau dann, wenn B gilt
A
∧
B
A und B gelten
A
∨
B
A oder B gelten (einschliessendes ”oder”)
Außerdem bedeutet ¬A die Verneinung der Aussage A. Wir ordnen Aussagen A
und B die Wahrheitszeichen W und F für wahr und falsch zu. Für zusammengesetzte Aussagen gelten die folgenden Regeln.
A
¬A
W
F
F
W
Wenn A wahr ist, dann ist die Verneinung ¬A natürlich falsch.
A
∧
B
W
W
W
W
F
F
F
F
W
F
F
F
A und B sind nur dann wahr, wenn beide Aussagen wahr sind.
A
∨
B
W
W
W
W
W
F
F
W
W
F
F
F
Da das Symbol _ das einschließende ”oder” ist, braucht nur eine der beiden
Aussagen wahr zu sein, damit die Gesamtaussage richtig ist. Als Beispiel hierfür die
Aussage: Das Haus ist rot oder das Haus ist nicht rot.
16
CHAPTER 1.
A
⇒
B
W
W
W
W
F
F
F
W
W
F
W
F
Falls A und B wahr sind, so ist auch die Gesamtaussage wahr. Falls A wahr ist
und B falsch, so ist die Gesamtaussage falsch, da aus einer wahren Aussage keine
falsche folgen kann. Andererseits kann aus einer falschen Aussage durchaus eine
wahre Aussage folgen. Wenn wir von der falschen Aussage 1 = 2 ausgehen so folgt
durch Addition
2+1=1+2
also die wahre Aussage 3 = 3.
A
⇔
B
W
W
W
W
F
F
F
F
W
F
W
F
A ist genau dann wahr, wenn B wahr ist. Ebenso ist A genau dann falsch, wenn
B falsch ist. Dies sind die beiden wahren Implikationen.
Wir sagen, dass zwei Aussagen A und B logisch äquivalent oder tautologisch
sind, falls A , B immer wahr ist.
Beispiel 1.2.1 (i) (A ) B) und (¬B ) ¬A) sind logisch äquivalent.
A
⇒
B
⇔
¬B
⇒
¬A
W
W
W
W
F
W
F
W
F
F
W
W
F
F
F
W
W
W
F
W
W
F
W
F
W
W
W
W
(ii) (A , B) und ((A ^ B) _ (¬A ^ ¬B)) sind logisch äquivalent.
(A
⇐⇒
B)
⇐⇒
((A
∧
B)
(¬A
W
W
W
W
W
W
W
W
F
F
F
W
F
F
W
W
F
F
F
F
F
W
F
F
W
W
F
F
W
F
W
F
F
F
W
F
W
F
F
F
W
W
W
W
∨
∧
So lässt sich die Verknüpfung , durch _ und ^ ausdrücken.
(iii) Die Aussagen ¬(A _ B) und ¬A ^ ¬B sind logisch äquivalent.
¬B))
1.2. MATHEMATISCHE LOGIK
17
Die Aussagen ¬(A ^ B) und ¬A _ ¬B sind logisch äquivalent.
(iv) Die Aussage ”Entweder gilt A oder B” lässt sich formelmäßig durch
(A ^ ¬B) _ (¬A ^ B)
erfassen. Entweder gilt A oder B heißt ja gerade, dass A gilt und nicht B oder A gilt nicht und B
gilt. Die Wahrheitstafel ist
(A
∧
¬B)
∨
(¬A
∧
B)
W
F
F
F
F
F
W
W
W
W
W
F
F
F
F
F
F
W
W
W
W
F
W
F
W
F
F
F
Wenn wir die Wahrheitstafeln vergleichen, stellen wir fest, dass die Aussage (A , B) logisch
äquivalent zu ¬((A ^ ¬B) _ (¬A ^ B)), also der Verneinung der Entweder-Oder Aussage. Die
Aussage ¬((A ^ ¬B) _ (¬A ^ B)) ist logisch q̈uivalent zu (¬A _ B) ^ (A _ ¬B).
Wir wollen uns nun einem komplizierteren Beispiel zuwenden.
Beispiel 1.2.2 Wenn Anton raucht, dann raucht auch Fridolin.
Christa oder Dora rauchen.
Entweder raucht Fridolin, oder es raucht Emil.
Christa und Emil rauchen beide, oder beide rauchen nicht.
Wenn Dora raucht, dann rauchen auch Christa und Anton.
Bruno raucht nur, wenn Fridolin nicht raucht.
Wer raucht und wer raucht nicht?
Wir haben die folgenden Aussagen.
A = Anton raucht
B = Bruno raucht
C = Christa raucht
D = Dora raucht
E = Emil raucht
F = Fridolin raucht
Wir übersetzen nun die Aussagen.
Wenn Anton raucht, dann raucht auch Fridolin :
Christa oder Dora rauchen :
Entweder raucht Fridolin, oder es raucht Emil :
Christa und Emil rauchen beide, oder beide rauchen nicht :
Wenn Dora raucht, dann rauchen auch Christa und Anton :
Bruno raucht nur, wenn Fridolin nicht raucht :
A)F
C _D
(E ^ ¬F ) _ (¬E ^ F )
(C ^ E) _ (¬C ^ ¬E)
D ) (A ^ C)
B , ¬F
18
CHAPTER 1.
A
B C D
E F
W
W
F
W
W
F
W
A⇒F
D∨C
(E∧¬F )∨(¬E∧F ) (E∧C)∨(¬E∧¬C) D ⇒ (A∧C)
W
F
W
F
W
W
W
F
F
W
W
F
F
W
F
F
W
W
F
F
W
W
W
F
W
W
F
F
W
W
W
W
W
W
F
F
W
F
F
W
W
W
F
W
W
F
F
F
W
W
F
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
F
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
W
F
F
W
F
F
F
W
F
W
W
W
F
W
W
W
F
W
W
F
F
W
F
F
F
F
Wir erstellen zwei Tabellen, mit der wir sämtliche Möglichkeiten überprüfen. Da wir 6 elementare Aussagen haben, aus denen sich die anderen Aussagen zusammensetzen, ergeben sich
insgesamt 26 = 64 Möglichkeiten.
Wir stellen fest, dass es nur eine Möglichkeit gibt, in der alle zusammengesetzten Aussagen
richtig sind: Anton raucht nicht, Bruno raucht, Christa raucht, Dora raucht nicht, Emil raucht,
Fridolin raucht nicht.
Darüberhinaus benötigen wir zwei Quantoren.
8 heißt ”für alle”
9 heißt ”es existiert ein”
Wenn wir eine zusammengesetzte Aussage haben, in der auch Quantoren vorkommen, und wir zur Verneinung dieser Aussage übergehen wollen, dann kehren sich
1.3. DAS AXIOMENSYSTEM VON ZERMELO-FRAENKEL
19
die logischen Symbole um.
Es gibt eine Stadt, in der alle Häuser rot oder grün sind.
9 S 8 H : (H ist rot) _ (H ist grün)
Als Verneinung erhalten wir
8 S 9 H : (H ist nicht rot) ^ (H ist nicht grün)
In jeder Stadt gibt es ein Haus, das weder rot noch grün ist.
Über die Jahrhunderte gab es immer Versuche, die Existenz Gottes mit der Logik
nachzuweisen. Hier nun die Argumentation von Anselm von Canterbury (10331109). Er interpretiert Gott als etwas, worüber hinaus nichts Größeres gedacht
werden kann. Statt größer kann man auch vollkommener sagen.
Er nimmt an, dass es Gott nicht gibt. Es existiert also das, worüber hinaus
nichts Größeres gedacht werden kann, nicht in Wirklichkeit, sondern nur in unserer
Vorstellung. Hieraus folgt, dass es zu jeder Vorstellung eine größere gibt, die auch
existiert. Dies ist ein Widerspruch.
Andere Gottesbeweise stammen von René Descartes (1596-1650) und Kurt Gödel
(28.4.1906-14.1.1978).
1.3
Das Axiomensystem von Zermelo-Fraenkel
Georg Cantor (1845-1918) hat Ende des 19. Jahrhunderts die Mengenlehre begründet.
Er definiert eine Menge als eine Gesamtheit von wohlunterschiedenen Objekten
des Denkens und der Wahrnehmung. Die Objekte werden als Elemente und die
Gesamtheit als Menge bezeichnet. Falls x ein Element einer Menge M ist, so
schreiben wir
x2M
Cantor hat drei Axiome verwendet, ohne diese explizit aufzuführen:
Axiomensystem von Cantor
(i) Zwei Mengen sind gleich, wenn sie dieselben Elemente besitzen.
(ii) Für jede Eigenschaft gibt es eine Menge, deren Elemente genau diese Eigenschaft erfüllen.
Unter einer Eigenschaft verstehen wir eine Aussage der mathematischen Logik,
die die Elemente betri↵t. Wir schreiben auch für die Menge
{x| (x)}
falls die fragliche Eigenschaft ist.
(iii) Auswahlaxiom (dies wird später definiert.)
20
CHAPTER 1.
Die Vereinigung von zwei Mengen A und B ist
A [ B = {x| x 2 A _ x 2 B}
und von einer Menge von Mengen A
[
A = {x|9A 2 A : x 2 A}
A2A
Der Durchschnitt von zwei Mengen A und B ist
A \ B = {x| x 2 A ^ x 2 B}
und einer Menge von Mengen A
\
A = {x|8A 2 A : x 2 A}
A2A
Das Komplement einer Teilmenge A einer Menge M ist
Ac = {x 2 M | ¬(x 2 A)} = {x 2 M | x 2
/ A}.
Wir sagen, dass A Teilmenge von B ist, wenn für alle x 2 A gilt, dass x 2 B. Wir
schreiben dann A ✓ B.
Bertrand Russell (1872-1970, mit vollem Namen: Bertrand Arthur William Russell, 3rd Earl Russell of Kingston Russell, Viscount Amberley of Amberley and of
Ardsalla) wies mit einem einfachen Beispiel nach, dass das Axiom (ii) zu Widersprüchen führt. Er fand das folgende nach ihm benannte Paradoxon. Als Eigenschaft
einer Menge M betrachten wir
M ist nicht Element von sich selbst.
Gemäß (ii) müsste es also eine Menge A geben, deren Elemente aus denjenigen
Mengen M bestehen, die nicht Element von sich selbst sind. Dies führt sofort zu
einem Widerspruch: Ist A Element von sich selbst?
Falls A nicht Element von sich selbst ist, dann muss A gemäß der Eigenschaft
Element von sich selbst sein. Umgekehrt, falls A Element von sich selbst ist, dann
muss A die Eigenschaft erfüllen, dass A nicht Element von sich selbst ist. Man
kommt in jedem Fall zu einem Widerspruch.
Eine vergleichbare Paradoxie ist der folgende Satz: Ich lüge immer. Wenn ich
immer lüge, dann ist der Satz gelogen und ich sage manchmal die Wahrheit. Dies
widerspricht dem Satz.
Das Axiomensystem von Cantor ist weiterentwickelt worden, um solche Widersprüche auszuschließen. Es gibt heute mehrere Systeme, die man als vernünftig
erachtet. Wir wollen hier das System von Zermelo-Fraenkel benutzen.
Wie von Cantor eingeführt, haben wir zwei binäre Verknüpfungen 2 und =.
x2M
1.3. DAS AXIOMENSYSTEM VON ZERMELO-FRAENKEL
21
bedeutet, dass x ein Element, M eine Menge und x Element von M ist. Falls M
und K zwei Mengen sind, bedeutet
M =K
dieselbe Menge sind. Es gelten die folgenden Axiome:
Axiomensystem von Zermelo-Fraenkel
(i) Falls zwei Mengen dieselben Elemente besitzen, dann sind sie gleich.
(8x : x 2 M , x 2 K) ) M = K
(ii) Es gibt eine Menge, die keine Elemente enthält. Wir bezeichnen diese Menge
als Nullmenge ;.
(iii) Es gibt eine Menge M , so dass ; 2 M und so dass für alle x 2 M auch
{x} 2 M gilt.
Hierbei bezeichnet {x} die Menge, die nur aus dem Element x besteht.
(iv) (Potenzmenge) Für jede Menge M existiert die Menge P(M ), die aus allen
Teilmengen von M besteht. Wir nennen P(M ) die Potenzmenge von M .
(v) Es sei M eine
S Menge, deren Elemente wiederum aus Mengen bestehen. Dann
gibt es eine Menge M , die aus allen Elementen der Elemente von M besteht. Wir
nennen diese Menge die Vereinigungsmenge.
(vi) (Regularität) Falls M eine nichtleere Menge ist, dann gibt es ein x 2 M , so
dass
x\M =;
In Quantorenschreibweise
M 6= ; =) 9x : x 2 M ^ (8y : y 2 x ) y 2
/ M)
(vii) Falls eine Eigenschaft ist und M eine Menge, dann gibt es eine Menge, die
aus genau den x, x 2 M , besteht, die die Eigenschaft erfüllen.
{x|x 2 M ^ (x)}
(viii) (Ersetzung )Es sei eine Eigenschaft, die von zwei Mengen M und K abhängt.
Wir nehmen an, dass es für jedes x 2 M genau ein y 2 K gibt, so dass (x, y) gilt.
Dann gibt es eine Menge
{y|9x 2 M : (x, y)}
(ix) (Auswahlaxiom) Es sei M eine Menge paarweise disjunkter, nichtleerer Mengen. Dann gibt es eine Menge A mit folgender Eigenschaft: Jedes Element von A
ist Element einer der Mengen M und für jedes M 2 M gibt es genau ein x 2 M
mit x 2 A. Wir nennen A die Auswahlmenge.
In (iii) beachte man, dass immer ; ✓ M gilt. Hier wird aber gefordert, dass
; 2 M.
22
CHAPTER 1.
Einige Bemerkungen zum Axiom (vi). Die Bedingung x\M ist nicht mit {x}\M
zu verwechseln. O↵enbar haben wir {x} \ M = {x}. Der Durchschnitt ist also nie
leer.
Falls es ein Element x 2 M gibt, das selbst keine Menge ist, so folgt x \ M = ;.
Die Menge M = {1, 2, {1, 2}} liefert ein Beispiel dafür, dass es ein x 2 M geben
kann, so dass x \ M 6= ;. Wir wählen x = {1, 2}. Wir erhalten dann
x \ M = {1, 2} \ {1, 2, {1, 2}} = {1, 2}
Mit Hilfe von Axiom (vi) können wir das folgende Lemma beweisen.
Lemma 1.3.1 Es sei M eine Menge. Dann gilt M 2
/ M.
Beweis. Wir nehmen an, dass M 2 M gilt. Da M 2 {M } gilt, folgt, dass
M 2 M \ {M }
Das Axiom der Regularität besagt, dass es ein x 2 {M } gibt mit
x \ {M } = ;
Da {M } nur ein Element enthält, nämlich M , folgt x = M . Somit gilt M \{M } = ;,
was der Aussage M 2 M \ {M } widerspricht. 2
Die Frage, ob man das Auswahlaxiom zum Axiomensystem hinzufügen soll oder
nicht, ist sehr kontrovers dikutiert worden. Die Annahme des Auswahlaxioms ist
sehr hilfreich und eine große Anzahl von mathematischen Aussagen beruht darauf.
Andererseits erzeugt man dadurch auch solche bizarren Resultate wie das BanachTarski Paradoxon.
Gödel zeigte 1938, dass das Auswahlaxiom mit dem Axiomensytem von ZermeloFraenkel konsistent ist. Er zeigte, dass man jedes Paradoxon, das man aus dem
Auswahlaxiom erhält, so modifizieren kann, dass man es auch ohne das Auswahlaxiom erhält. Cohen zeigte 1963, dass die Verneinung des Auswahlaxiomes ebenso
konsistent mit dem Axiomensystem von Zermelo-Fraenkel ist.
Um eine Auswahlmenge anzugeben, muss man durch eine Formel oder Vorschrift
festlegen, welches Element man aus welcher Menge entnimmt. Dass man aus jeder
einzelnen Menge jeweils ein Element auswählen kann, reicht dazu nicht aus.
In einigen Fällen braucht man das Auswahlaxiom nicht, um die Existenz einer
Auswahlmenge sicherzustellen.
(a) Falls jedes M 2 M nur ein einziges Element enthält.
(b) Falls M nur endlich viele M enthält.
(c) Falls jedes M 2 M eine endliche Menge reeller Zahlen ist. Dann wählen wir
als x 2 M das maximale Element.
Andererseits kann man zeigen, dass es eine Menge M gibt, so dass alle M 2 M
nur aus zwei Elementen bestehen, und so dass sich ohne das Auswahlaxiom nicht
die Existenz einer Auswahlmenge herleiten liesse.
1.4. RELATION UND ORDNUNG
1.4
23
Relation und Ordnung
Es seien M und K Mengen. Dann heißt die Menge der geordneten Paare
M ⇥ K = {(x, y)|x 2 M ^ y 2 K}
das Cartesische Produkt von M und K.
Eine Relation R auf M ist eine Teilmenge von M ⇥ M . Wir sagen, dass x in
Relation zu y steht, wenn (x, y) 2 R. Ein typisches Beispiel für eine Relation ist die
Relation  auf den reellen Zahlen.
Die Relation x ≤ y
x
x=y
y
Wir sagen, dass
(i) R reflexiv ist, falls für alle x 2 M gilt, dass xRx.
(ii) R symmetrisch ist, falls für alle (x, y) 2 M mit xRy auch yRx gilt.
(iii) R transitiv ist, falls für alle x, y, z 2 M mit xRy und yRz auch xRz gilt.
Eine Relation heißt Äquivalenzrelation, falls sie reflexiv, symmetrisch und transitiv ist. Es sei M eine Menge mit der Äquivalenzrelation ⇠. Die Mengen
{x|x ⇠ y}
heißen Äquivalenzklassen.
Eine Relation R heißt antisymmetrisch, falls für alle (x, y) mit (x, y) 2 R und
(y, x) 2 R folgt, dass x = y.
Eine Funktion von einer Menge M in eine Menge K ist eine Teilmenge f von
M ⇥ K, so dass für alle x 2 M genau ein y 2 K existiert mit (x, y) 2 f . Dafür
schreiben wir auch f : M ! K und f (x) = y.
Wir sagen, dass eine Funktion surjektiv ist, falls für alle y 2 K ein x 2 M mit
f (x) = y existiert. Wir schreiben auch f (M ) = K.
f ist injektiv, falls für alle x, y 2 M mit f (x) = f (y) gilt, dass x = y.
f ist ein Isomorphismus, falls f injektiv und surjektiv ist.
Eine Relation R auf M ist eine Halbordnung, falls sie reflexiv, antisymmetrisch
und transitiv ist.
24
CHAPTER 1.
Eine Halbordnung R ist eine Ordnung, falls für alle x, y 2 M gilt, dass
(x, y) 2 R
oder
x=y
oder
(y, x) 2 R
Wir schreiben für eine Menge mit einer Halbordnung oder Ordnung auch (M, ).
Als Beispiel für eine Menge mit einer Halbordnung, die keine Ordnung ist, lässt
sich das folgende angeben. Wir betrachten die Menge aller Tupel reeller Zahlen
{(s, t)|s, t 2 R} mit der Halbordnung
(s, t)  (u, v)
falls s  u und t  v
Dies ist keine Ordnung, weil (1, 0) und (0, 1) nicht vergleichbar sind, d.h. das eine
ist nicht kleiner als das andere und umgekehrt.
Eine Wohlordnung ist eine Ordnung mit der Eigenschaft, dass jede nichtleere
Teilmenge K von M ein kleinstes Element besitzt, d.h.es gibt ein x 2 K, so dass
für alle y 2 K gilt, dass x  y. Dieses Element ist eindeutig.
Die übliche  Relation auf den reellen Zahlen ist eine Ordnung aber keine
Wohlordnung. Dies liegt daran, dass die Menge
{x 2 R|0 < x}
kein minimales Element besitzt. K sei eine Teilmenge einer Menge mit einer Halbordnung. Wir sagen, dass x 2 K ein minimales (maximales) Element von K ist,
falls x 2 K und für alle y 2 K gilt, dass y ⌅ x (x ⌅ y). Minimale und maximale Elemente sind nicht notwendig eindeutig. Ausserdem folgt aus x ⌅ y nicht notwendig
y  x.
x ist eine untere (obere) Schranke von K, falls für alle y 2 K gilt, dass
x < y oder x = y
x > y oder x = y.
Falls M eine Teilmenge K enthält, die mit der Halbordnung von M eine geordnete
Menge ist, dann nennen wir K eine Kette.
Lemma 1.4.1 Die folgenden Aussagen sind äquivalent.
(i) (Auswahlaxiom) Es sei M eine Menge paarweise disjunkter, nichtleerer Mengen.
Dann gibt es eine Menge A mit folgender Eigenschaft: Jedes Element von A ist
Element einer der Mengen M 2 M und für jedes M 2 M gibt es genau ein x 2 M
mit x 2 A.
(ii) (Hausdor↵s Maximum Prinzip) Jede Menge mit einer Halbordnung enthält eine
maximale Kette (d.h. eine Kette, die in keiner echten Teilmenge einer anderen
Kette enthalten ist).
(iii) (Zorns Lemma) Jede nichtleere Menge mit einer Halbordnung, in der jede Kette
eine obere Schranke hat, hat ein maximales Element.
(iv) Man kann jede Menge wohlordnen.
Die natürlichen Zahlen sind in ihrer natürlichen Ordnung wohlgeordnet, das gilt
jedoch nicht für die reellen Zahlen. Lemma 1.4.1 versichert nur, dass es auf den
1.5. DIE NATÜRLICHEN ZAHLEN N
25
reellen Zahlen eine Wohlordnung gibt, es liefert kein Konstruktionsverfahren für
eine solche Wohlordnung. Eine solche Wohlordnung ist sehr schwer vorstellbar.
Beweis. (ii) ) (iii) : Nach (ii) gibt es eine maximale Kette K in M . Nach
Annahme von (iii) hat diese Kette eine obere Schranke s. Wir behaupten nun, dass
s ein maximales Element von M ist. Falls dem nicht so wäre, so gibt es ein s0 mit
s < s0 . Damit ist aber
K [ {s0 }
eine Kette, die K als echte Teilmenge enthält. Also ist K nicht maximal. Dies ist
ein Widerspruch.
(iv) ) (i) : Wir betrachten die Vereinigungsmenge
[
M.
M 2M
Diese
Menge enthält alle M 2 M als Teilmengen. Nach (iv) können wir die Menge
S
M 2M M wohlordnen. Da jede Teilmenge ein kleinstes Element hat, hat insbesondere auch jedes M 2 M ein kleinstes Element xM . Als Auswahlmenge nehmen wir
nun
{xM |M 2 M}.
2
1.5
Die natürlichen Zahlen N
Wir wollen nun die natürlichen Zahlen so einführen, wie Zermelo dies getan hat.
Aus Axiom (ii) folgt, dass die leere Menge ; existiert und aus Axiom (iii) folgt, dass
es eine Menge M gibt, so dass ; 2 M und so dass {x} 2 M , falls x 2 M . Dies
bedeutet, dass
;, {;}, {{;}}, {{{;}}}, . . .
Elemente von M sind. Diese Elemente kann man zur Definition der natürlichen
Zahlen N benutzen.
John von Neumann hat vorgeschlagen, die Mengen
{;}, {;, {;}}, {;, {;}, {;, {;}}}, . . .
zur Einführung der natürlichen Zahlen zu benutzen. Wir bezeichnen {;} mit 1,
{;, {;}} mit 2, {;, {;}, {{;}}} mit 3 u.s.w.. Die Menge
;, {;}, {;, {;}}, {;, {;}, {;, {;}}}, . . .
bezeichnen wir als die um die 0 erweiterten natürlichen Zahlen N0 . Hierbei bezeichnen wir ; mit 0.
Wir sagen, dass m 2 N0 unmittelbarer Nachfolger von n 2 N0 ist, wenn m =
{0, . . . , n}. 1 ist der unmittelbare Nachfolger von 0, 2 von 1, 3 von 2, u.s.w..
26
CHAPTER 1.
Wir sagen, dass m ein Nachfolger von n ist, falls m aus n durch den Mengenbildungsprozess hervorgegangen ist.
Wir definieren n < m, falls m ein Nachfolger von n ist.
Lemma 1.5.1 (N0 , ) ist eine wohlgeordnete Menge.
Peano hatte ein Axiomensystem für die natürlichen Zahlen vorgeschlagen. Dieses
Axiomensystem sichert Existenz und elementare Eigenschaften der natürlichen Zahlen.
Diese Eigenschaften lassen sich auch aus dem Axiomensystem von Zermelo-Fraenkel
herleiten.
Lemma 1.5.2 (Axiomensystem von Peano) Die erweiterten, natürlichen Zahlen
haben die folgenden Eigenschaften.
(i) Jedes n 2 N0 hat genau einen unmittelbaren Nachfolger.
(ii) Jedes n 2 N ist unmittelbarer Nachfolger von genau einem m 2 N0 .
(iii) Für alle m, n 2 N0 , deren unmittelbare Nachfolger gleich sind, gilt n = m.
(iv) Für alle n 2 N0 gilt, dass 0 nicht unmittelbarer Nachfolger von n ist.
(v) Falls M eine Teilmenge von N0 ist, so dass 0 2 M und falls mit jedem m 2 M
auch der unmittelbare Nachfolger in M ist, dann gilt M = N0 .
Wir definieren Addition und Multiplikation natürlicher Zahlen. Es seien n, m 2
N und k 0 bezeichne den unmittelbaren Nachfolger k. Wir setzen für alle n, m 2 N0
0+n
m0 + n
=n
= (n + m)0
0·n=0
m0 n = mn + n
Lemma 1.5.3 Die Addition in N0 erfüllt folgende Eigenschaften.
(i) (Assoziativität) Für alle m, n, p 2 N0 gilt
m + (n + p) = (m + n) + p
(ii) (Kommutativität) Für alle m, n 2 N0 gilt
m+n=n+m
(iii) Für alle m, n, p 2 N0 gilt
p+m=p+n
,
m=n
,
mn
(iv) Für alle m, n, p 2 N0 gilt
p+mp+n
(v) Für alle m, n 2 N0 mit m  n gibt es ein p 2 N0 mit
m+p=n
(vi) Für alle m, n 2 N0 mit m + n = 0 gilt m = 0 = n.
1.5. DIE NATÜRLICHEN ZAHLEN N
27
Beweis. (i) Es seien n, p 2 N und
M = {m 2 N0 |m + (n + p) = (m + n) + p}
O↵ensichtlich gilt, dass 0 2 M . Nun prüfen wir nach, dass mit m 2 M auch der
Nachfolger m0 von m in M liegt. Da m 2 M , folgt
m0 +(n+p) = (m+(n+p))0 = ((m+n)+p)0 = (m+n)0 +p = (m+n)0 +p = (m0 +n)+p
Nun wenden wir Lemma 1.5.2 auf M an und erhalten M = N0 .
(v) Es seien m, n 2 N0 mit m  n. Wir betrachten
M = {k 2 N0 |k + m
n}
M ist nicht leer, weil n 2 M . Da N0 wohlgeordnet ist, hat M ein kleinstes Element
p. Falls p + m = n gilt, ist der Beweis beendet. Falls nicht, so gilt
p+m>n
Es folgt, dass p 6= 0. Nach Lemma 1.5.2 ist p Nachfolger eines Elementes q. Es gilt
also q 0 = p und
n < q 0 + m = (q + m)0
Hieraus folgt
nq+m
Somit gilt q < p und deshalb q 2 M . Dies ist ein Widerspruch, also ist unsere
Annahme, dass p + m 6= n gilt, falsch. 2
Lemma 1.5.4 Die Multiplikation in N0 erfüllt die folgenden Eigenschaften.
(i) (Assoziativität) Für alle m, n, p 2 N0 gilt
m(np) = (mn)p
(ii) (Kommutativität) Für alle m, n 2 N0 gilt
mn = nm
(iii) (Distributivität) Für alle m, n, p 2 N0 gilt
m(n + p) = mn + mp
und
(n + p)m = nm + pm
(iv) Für alle m, n, p 2 N0 mit p 6= 0 gilt
m<n
()
pm < pn
(vi) Für alle m, n 2 N0 mit mn = 0 gilt
m=0
oder
n=0
28
CHAPTER 1.
Eine natürliche Zahl heißt Primzahl, wenn sie größer oder gleich 2 ist und nur
durch 1 oder sich selbst ganzzahlig teilbar ist.
Beispiel 1.5.1 Es gibt unendlich viele Primzahlen.
Beweis. Wir nehmen an, es gäbe nur endlich viele Primzahlen
p1 , . . . , pn
Wir behaupten nun, dass
n
Y
i=1
pi
!
+1
auch eine Primzahl ist. Wenn dem so ist, dann sind wir fertig. Wir nehmen nun an, das es keine
Primzahl ist. Dann gibt es zwei Zahlen k und p mit
!
!
n
n
Y
Y
1 < k, p <
pi + 1 und kp =
pi + 1
i=1
Wir betrachten die Menge
(
k 1 < k, p <
i=1
n
Y
i=1
pi
!
+ 1 ^ 9p : kp =
n
Y
i=1
pi
!
+1
)
Diese Menge hat ein kleinstes Element k0 . k0 ist eine Primzahl, anderfalls wäre sie nicht das
kleinste Element. Also gilt k0 = pi0 für ein i0 mit 1  i0  n und
!
n
Y
pi0 p =
pi + 1
i=1
Wir setzen nun
p̃ =
n
Y
pi
i=1
i6=i0
Dann gilt p̃ < p und
pi0 p = pi0 p̃ + 1
Da p̃ < p gibt es ein p̃˜
1 mit
˜ = pi0 p̃ + 1
pi0 (p̃ + p̃)
Es folgt, dass
pi0 p̃˜ = 1
und damit
pi0 = 1
Dies ist ein Widerspruch. ⇤
Beispiel 1.5.2 Die Zahlen 2n 1, n 2 N, werden Marsenne-Zahlen genannt. Es ist eine o↵enes
Problem, ob es unendlich viele Marsenne-Primzahlen gibt. Man weiss, dass n eine Primzahl sein
muss, falls 2n 1 eine Primzahl ist. Man weiss nicht, ob es unendlich viele Primzahlen n gibt, so
dass 2n 1 keine Primzahl ist.
1.6. MATHEMATISCHE INDUKTION
29
Wir definieren
0! = 1
und
n! = n · (n
1)!
✓ ◆
n
n!
=
k
k!(n k)!
Falls n, k 2 N , dannn schreiben wir
nk := n
| · n{z· · · n}
k
Für n 2 N0 setzen wir n0 = 1.
Gegen Ende der der 1630er Jahre notierte Pierre de Fermat auf dem Rand einer
Buchseite, dass er einen wunderbaren Beweis für die folgende Behauptung gefunden
habe: Es sei n 2 N mit n 3. Dann gilt für alle x, y, z 2 N
xn + y n 6= z n
Mitte der 90er Jahre wurde dies von Andrew Wiles bewiesen.
1.6
Mathematische Induktion
Die vollständige Induktion ist ein Beweisverfahren. Wir nehmen an, dass wir für
jedes n 2 N eine Aussage A(n) haben, und wir wollen zeigen, dass alle diese Aussagen
richtig sind.
Es reicht nicht aus, ein paar Fälle, z.B. für n = 1, . . . , 10 die Aussagen A(n)
nachzuweisen. Hierzu das folgende Beispiel, das bereits von Leonhard Euler betrachtet wurde.
Beispiel 1.6.1 (i) Ist für alle n 2 N die Zahl
n2
n + 41
eine Primzahl?
Für n = 1, . . . , 11 erhalten wir die Zahlen 41, 43, 47, 53, 61, 71, 83, 97, 113, 131, 151. Dies sind
alles Primzahlen. Allerdings erhalten wir für n = 41 die Zahl 412 , was keine Primzahl ist.
(ii) Ist die Zahl nk n für alle n 2 N und alle ungeraden k 2 N durch k ganzzahlig teilbar?
Man weiss, dass n3 n durch 3 teilbar ist, n5 n durch 5 und n7 n durch 7. Man könnte
nun schließen bzw. vermuten, dass dies für alle ungeraden natürlichen Zahlen gilt. Dies ist nicht
der Fall, weil 29 2 = 510 und diese Zahl ist nicht durch 9 teilbar. (Kleiner Satz von Fermat:
Dies gilt, falls k eine Primzahl ist.)
Mathematische Induktion
(i) Wir beweisen, dass A(1) gilt.
(ii) Wir beweisen, dass unter der Annahme, dass A(n) gilt, auch A(n + 1) gilt.
Nach Lemma 1.5.2 (v) haben wir dann alle Aussagen gezeigt.
Dieses Beweisprinzip gleicht Dominosteinen, die wir in einer Reihe aufstellen.
Wenn wir den ersten Dominostein anstoßen, kippt er gegen den nächsten, der dann
umkippt. In einer Welle fällt die gesamte Reihe.
30
CHAPTER 1.
Beispiel 1.6.2 Für alle n 2 N ist die Zahl 23n
Beweis. Für n = 1 erhalten wir die Zahl 231
11 teilbar ist, dann ist auch
23k+1
1 durch 11 teilbar.
1 = 22, die durch 11 teilbar ist. Falls 23k
1 = 23 · 23k
1 = 22 · 23k + (23k
1)
durch 11 teilbar. 2
Beispiel 1.6.3 (i) Für alle n 2 N gilt
n
X
k=
k=1
(ii) Für alle n 2 N gilt
n
X
k2 =
k=1
n(n + 1)
.
2
1
n(n + 1)(2n + 1).
6
Beweis. (i) Wir überprüfen A(1).
1=
1(1 + 1)
2
Wir nehmen an, dass A(n) wahr ist, also
n
X
k=1
k=
n(n + 1)
2
Nun zeigen wir, dass dann auch A(n + 1) wahr ist.
n+1
X
k=
k=1
n
X
k + (n + 1) =
k=1
n(n + 1)
(n + 1)(n + 2)
+ (n + 1) =
2
2
(ii) Der Induktionsanfang:
1
X
k=1
k2 = 1 =
1
1 · 2 · 3.
6
Der Induktionsschritt
n+1
X
k
2
=
k=1
n
X
k=1
=
=
k
2
!
+ (n + 1)2 =
1
n(n + 1)(2n + 1) + (n + 1)2
6
1
(n + 1) {n(2n + 1) + 6n + 6}
6
1
(n + 1) 2n2 + 7n + 6
6
Wir beobachten
2n2 + 7n + 6 = (n + 2)(2n + 3) = (n + 2)(2(n + 1) + 1).
Es folgt
n+1
X
k=1
2
k2 =
1
(n + 1)(n + 2)(2(n + 1) + 1).
6
1 durch
1.6. MATHEMATISCHE INDUKTION
Beispiel 1.6.4 Für alle n 2 N gilt
31
n
X
1
2
k2
k=1
1
n
Beweis. Wir zeigen den Induktionsanfang.
1
X
1
=12
k2
1
.
1
k=1
Nun der Induktionsschritt. Mit der Induktionsannahme folgt
!
n+1
n
X 1
X
1
1
1
1
=
+
2
+
.
2
2
2
k
k
(n + 1)
n (n + 1)2
k=1
k=1
Es bleibt zu zeigen, dass für alle n 2 N
1
1

n+1
n
1
(n + 1)2
gilt. 2
Mathematische Induktion, 1. Variation
(i) Wir beweisen, dass A(k0 ) gilt.
(ii) Wir beweisen, dass unter der Annahme, dass A(n) gilt, auch A(n + 1) für
k0  n gilt.
Nach Lemma 1.5.2 (v) haben wir dann alle Aussagen gezeigt.
Beispiel 1.6.5 Für alle n 2 N mit 5  n gilt
n2 < 2n
Beweis. Für n = 5 erhalten wir 25 < 32. Nun der Induktionsschritt
2n+1 = 2 · 2n > 2 · n2 .
Für alle n
5 gilt
(n + 1)2  22 .
In der Tat,
2n2
Der letzte Ausdruck ist für n
Beispiel 1.6.6 Für alle n
(n + 1)2 = n2
2n
1 = (n
1)2
2
3 strikt positiv. 2
4 gilt
2n  n!
Beweis. A(4) ist wahr:
24 = 16 < 24 = 4!
Wir nehmen an, dass 2n  n! gilt. Mit dieser Ungleichung und der Ungleichung 2 < n + 1 folgt
2n+1 = 2 · 2n  2n!  (n + 1)n! = (n + 1)!
2
32
CHAPTER 1.
Mathematische Induktion, 2. Variation
(i) Wir beweisen, dass A(1) gilt.
(ii) Wir beweisen, dass unter der Annahme, dass A(1), . . . , A(n) gelten, auch
A(n + 1) gilt.
Wiederum nach Lemma 1.5.2 (v) haben wir dann alle Aussagen gezeigt.
Beispiel 1.6.7 Alle Katzen haben dieselbe Augenfarbe.
Das folgende Argument ist falsch, wo liegt der Fehler? Eine Katze allein hat dieselbe Augenfarbe. Nun der Schritt von n auf n + 1. Es seien n + 1 Katzen gegeben. Nach Induktionsannahme
haben jeweils n davon dieselbe Augenfarbe, damit auch n + 1.
Der Fehler liegt beim Schluss von 1 auf 2.
1.7
Mächtigkeit
Wir wollen den Begri↵ der Anzahl für endliche und unendliche Mengen definieren.
Es seien K und M zwei Mengen. Wir sagen, dass K und M dieselbe Mächtigkeit
oder Kardinalität haben, wenn es einen Isomorphismus zwischen K und M gibt.
Symbolisch schreiben wir dies als
card(K) = card(M ).
Allgemeiner sagen wir, dass die Mächtigkeit von K kleiner oder gleich der von M
ist, falls K bijektiv zu einer Teilmenge von M ist. Anders formuliert,
card(K)  card(M ),
falls es eine injektive Abbildung von K nach M gibt.
Zwei endliche Mengen M und K haben genau dann dieselbe Kardinalität, wenn
sie dieselbe Anzahl von Elementen besitzen.
Lemma 1.7.1 Es seien K und M Mengen. Dann gelten
(i) Es gibt eine injektive Abbildung von K nach M oder von M nach K.
(ii) Es gibt genau dann eine injektive Abbildung von K nach M , wenn es eine
surjektive Abbildung von M nach K gibt.
(iii) (Schröder-Bernstein) Falls es eine injektive Abbildung von K nach M und eine
surjektive Abbildung von K nach M gibt, dann gibt es einen Isomorphismus zwischen
K und M .
(iii) besagt, dass aus card(K)  card(M ) und card(K)
card(M ) folgt, dass
card(K) = card(M ) gilt.
Wir sagen, dass eine Menge M abzählbar ist, falls card(M )  card(N). Falls
eine Menge nicht abzählbar ist, dann nennen wir sie überabzähbar.
1.7. MÄCHTIGKEIT
33
Beweis. (i) Es sei I die Menge aller Injektionen von einer Teilmenge von X in eine
Teilmenge von Y . Wir führen auf I eine Halbordnung ein: Wir setzen I  J, falls
Def(I) ✓Def(J) und J|Def(I) = I.
Wir wenden das S
Lemma von Zorn an (Lemma 1.4.1). Jede Kette K in I hat eine
obere Schranke I0 : I2K Def(I) ! Y
I0 (x) = I(x)
falls
x 2 Def(I)
Deshalb gibt es ein maximales Element Imax . Der Definitionsbereich Def(Imax ) ist
gleich X oder der Bildbereich Bild(Imax ) ist gleich Y . Falls nicht, so gibt es
x0 2 X \ Def(Imax )
y0 2 Y \ Bild(Imax )
Nun definieren wir
I˜max (x) =
(
Imax
y0
x 2 Def(Imax )
x = x0
Also ist Imax kein maximales Element.
(ii) Es sei I : X ! Y eine Injektion und x0 2 X. Dann ist S : Y ! X mit
(
x
I(x) = y
S(y) =
x0
y2
/ Bild(I)
eine Surjektion.
Es sei S : Y ! X eine Surjektion. Wir betrachten das Mengensystem
{y|S(y) = x}
x2X
Nach dem Auswahlaxiom gibt es eine Auswahlmenge
A = {yx |x 2 X}
Wir definieren nun die Injektion I : X ! Y durch I(x) = yx . 2
Lemma 1.7.2 (Cantor) Es sei M eine Menge. Dann gilt
card(M ) < card(P(M )).
Die Potenzmenge der leeren Menge hat genau ein Element, nämlich die leere
Menge. Die Potenzmenge einer Menge mit n Elementen besitzt 2n Elemente.
Beweis. Wir zeigen zunächst
card(M )  card(P(M )).
Wir geben dazu eine Injektion von M nach P(M ) an. Die Abbildung j : M ! P(M )
sei durch
j(x) = {x}
34
CHAPTER 1.
gegeben. Sie ist o↵ensichtlich eine Injektion. Wir zeigen nun, dass
card(M ) 6= card(P(M )).
Wir nehmen an, dass es einen Isomorphismus i : M ! P(M ) gibt. Wir betrachten
die Menge
f = {x 2 M |x 2
M
/ i(x)}.
f kann durchaus die leere Menge sein.) Da i ein Isomorphismus ist, gibt es ein x0
(M
f. Dazu betrachten wir zwei Fälle. Falls x0 2 M̃ , dann
mit i(x0 ) = M
f = {x 2 M |x 2
x0 2 M
/ i(x)}.
f, was ein Widerspruch ist. Falls x0 2
f, dann
Es folgt, dass x0 2
/ i(x0 ) = M
/M
f = {x 2 M |x 2
x0 2
/M
/ i(x)}.
f erfüllt, also x0 2 M
f,
Dies bedeutet, dass x0 nicht die Bedingung x0 2
/ i(x0 ) = M
was wiederum ein Widerspruch ist. Also gibt es keinen Isomorphismus. 2
Beispiel 1.7.1 (i) card(N ⇥ N) = card(N)
(ii) card(N) < card(P(N))
(iii) card(N) = card(Q)
Beweis. (i) Die Abbildung ist ein Isomorphismus. Wir zeigen, dass sie injektiv ist. Es seien
`, `0 , k, k0 2 N mit ` 6= `0 . Wir nehmen an, dass (k, `) = (k0 , `0 ), d.h.
2`
1
(2k
0
1) = 2`
1
(2k0
1)
Wir können annehmen, dass ` > `0 . Dann folgt
2`
`0
(2k
1) = (2k0
1)
Dann ist die Zahl auf der linken Seite gerade und die auf der rechten Seite ungerade. Also sind sie
nicht gleich.
Es bleibt der Fall ` = `0 und k 6= k0 . Dann folgt aus
2`
1
(2k
0
1) = 2`
1
(2k0
1)
die Gleichung
2k
1 = 2k0
1
0
und damit k = k . Damit ist die Abbildung injektiv.
Wir zeigen nun, dass die Abbildung surjektiv ist. Falls n eine ungerade Zahl ist, dann gilt für
k = n+1
2 und ` = 1
n = 2` 1 (2k 1)
und s gilt (k, `) = n.
Nun der Fall, dass n eine gerade Zahl ist. Nach der Primzahlzerlegung können wir jede
natürliche Zahl n als
n = 2m 1 p
schreiben, wobei m 2 N und p 2 N eine ungerade Zahl ist. p ist ein Produkt von Primzahlen, die
sämtlich größer oder gleich 3 sind.
1.7. MÄCHTIGKEIT
35
Entspechend wählen wir ` = m und k = p+1
2 .
(iii) Es reicht zu zeigen, dass eine eine injektive Abbildung von N nach Q gibt und eine injektive
von Q nach N. Wir wenden dann (i) an. 2
Wir bezeichnen card(N) auch mit @0 . Falls eine Menge dieselbe Mächtigkeit wie
N hat, sagen wir, dass die Menge abzählbar ist. Wenn die Mächtigkeit der Menge
strikt größer als die von N ist, dann sagen wir, dass sie überabzählbar ist.
Die Kontinuumshypothese besagt, dass es keine Menge M gibt, so dass
card(N) < card(M ) < card(P(N)).
Der Name Kontinuumshypothese rührt daher, dass die Menge P(N) dieselbe Mächtigkeit
hat wie die reellen Zahlen R. Da man die reellen Zahlen mit der Zahlengeraden identifiziert spricht man hier vom Kontinuum.
Die Kontinuumshypothese kann als weiteres Axiom dem Zermelo-Fraenkel Axiomensystem hinzugefügt werden.
Gödel zeigte, dass die Kontinuumshypothese konsistent mit den Axiomen der
Mengenlehre ist. Cohen zeigte, dass auch die Verneinung der Kontinuumshypothese
konsistent mit den Axiomen der Mengenlehre ist.
Als Kardinalzahl einer Menge führt man die Äquivalenzklasse aller Mengen ein,
die dieselbe Mächtigkeit haben. Hierbei legen wir eine Universalmenge zugrunde.
Anderenfalls wäre dies Funktion auf der Menge aller Mengen definiert, also auf einer
Menge, die es nicht gibt.
Wenn wir überdies noch vorziehen, Kardinalzahlen als Mengen zu definieren, so
müssen die Äquivalenzklassen durch einen jeweiligen Repräsentanten ersetzen.
36
CHAPTER 1.
Chapter 2
Zahlen
Mit Hilfe der Mengenlehre haben wir die natürlichen Zahlen N eingeführt. Hieraus
bilden wir die ganzen Zahlen Z durch Hinzunahme der negativen, ganzen Zahlen.
Dann erhalten wir die rationalen Zahlen Q durch Quotientenbildung.
Jede Messung und insbesondere Längenmessung verbinden wir mit einer reellen
Zahl. Dabei stellen wir fest, dass sich nicht jede Zahl durch einen Quotienten ganzer
Zahlen darstellen lässt. So ordnen wir dem Umfang eines Kreises mit Radius 1 die
Länge 2⇡ zu und
in einem Quadrat mit Seitenlänge 1
p die Länge der Diagonalen
p
ergibt sich zu 2. Beide Zahlen, ⇡ und 2, können wir nicht mit rationalen Zahlen
identifizieren. Diese Zahlen sind nicht rational oder, wie wir sagen irrational.
Wir
p
wollen hier den eleganten und alten Beweis für die Irrationalität von 2 angeben.
p
Satz 2.0.1 2 ist eine irrationale Zahl.
Dazu benötigen wir das folgende Lemma.
Lemma 2.0.3 Eine natürliche Zahl n ist genau dann gerade, wenn deren Quadrat
n2 gerade ist.
Beweis. Es sei n eine gerade Zahl, dann gilt n = 2m. Also gilt n2 = 2(2m2 ). Dies
ist eine gerade Zahl.
Falls n eine ungerade Zahl ist, dann gibt es ein m 2 N0 mit n = 2m + 1. Deshalb
ist n2 = (2m + 1)2 = 4m2 + 4m + 1 = 2(2m2 + 2m) + 1. Dies ist eine ungerade Zahl.
2
p
Beweis von Satz 2.0.1. Falls 2 = pq gilt, wobei p, q 2 N und p und q keine
gemeinsamen Teiler besitzen, dann gelten
2=
p2
q2
oder
2q 2 = p2 .
Deshalb ist p2 eine gerade Zahl und somit auch p. Also gilt p = 2k und
2q 2 = 4k 2
oder
37
q 2 = 2k 2 .
38
CHAPTER 2. ZAHLEN
Damit sind auch q 2 und q gerade Zahlen. Somit gelten
p = 2k
und
q = 2l.
Also sind p und q nicht teilerfremd. Dies steht im Widerspruch zu unserer Wahl
von p und q. 2
Wir geben auch noch ein geometrisches Argument an [Apo].
Beweis. Wir betrachten ein rechtwinkliges Dreieck ABC, dessen Seiten AC und
BC
p die Länge 1 haben. Nach
p dem Satz von Pythagoras hat die Seite AB die Länge
2. Wir nehmen an, dass 2 eine rationale Zahl ist. Dann finden wir ein Dreieck
derselben Form, dessen Seiten alle ganzzahlige Längen haben (wir multiplizieren
jede Seite mit einem entsprechenden Faktor). Unter allen solchen Dreiecken gibt es
ein kleinstes. Wir zeigen nun, dass auch das Dreieck ADE von derselben Form ist
und ganzzahlige Seitenlänge hat, im Widerspruch zu unser Wahl.
B
B
√
2
1
D
A
1
C
A
E
C
Die Länge der Seite AD ist gleich der Di↵erenz der Seitenlängen von AB und
CB, also ganzzahlig. AD und DE haben dieselbe Länge. Außerdem sind DE und
CE gleich lang. 2
Dieser Beweis ist elementar und einfach. Um zu zeigen, dass ⇡ und die Eulersche
Zahl e irrational sind, muss man einige Hilfsmittel zur Verfügung stellen. Von der
Zahl , die auch nach Euler benannt ist, ist nicht bekannt, ob sie irrational ist. Sie
ist durch den Grenzwert
!
n
X
1
= lim
ln n
n!1
k
k=1
definiert.
Wir sagen, dass eine Zahl algebraisch ist, wenn sie Nullstelle eines Polynoms mit
ganzzahligen Koeffizienten ist. O↵ensichtlich sind alle rationalen Zahlen algebraisch.
Eine Zahl, die nicht algebraisch ist, heisst transzendent. e und ⇡ sind Beispiele für
transzendente Zahlen [EyL]. Auch die Zahl
0, 11000100 . . .
bei der an der k! Stelle hinter dem Komma eine 1 steht, ist transzendent (Liouville).
p
Beispiel 2.0.2 Es sei n 2 N und n 2. n ist genau dann rational, wenn n eine Quadratzahl
ist, d.h. wenn es ein m 2 N mit n = m2 gibt.
2.1. KÖRPER
39
Beweis. Wir benutzen den Satz über die Eindeutigkeit der Primzahlzerlegungen. Dieser besagt,
dass es für jede natürliche Zahl n paarweise verschiedene Primzahlen ni , i = 1 . . . , k und natürliche
Zahlen si , i = 1, . . . , k, gibt, so dass
k
Y
n=
nsi i .
i=1
Diese Darstellung ist eindeutig bis auf die Reihenfolge der ni , si , i = 1, . . . , k.
Falls alle si , i = 1, . . . , k, gerade Zahlen sind, dann ist n eine Quadratzahl. Wir
p betrachten nun
den Fall, dass es ein i0 gibt, so dass si0 ungerade ist. Wir nehmen nun an, dass n eine rationale
Zahl ist, d.h.
p
p
n=
p, q 2 N
q
Es seien
p=
Ỳ
ptii
und
q=
i=1
m
Y
qiri
i=1
die Primzahlzerlegungen von p und q. Also gilt
n=
p2
q2
bzw.
k
Y
i=1
nsi i
m
Y
i=1
qi2ri =
Ỳ
i
p2t
i .
i=1
Falls für alle i = 1, . . . , m gilt, dass qi 6= ni0 , dann gibt es wegen der Eindeutigkeit der Primzahlzerlegung ein i1 , so dass
ni0 = pi1
und
si0 = 2ti1 .
Dies kann nicht sein, da si0 ungerade ist. Falls es ein i1 mit ni0 = qi1 gibt, dann gibt es ein i2 , so
dass
ni0 = qi1 = pi2
und si0 + 2ri1 = 2ti2
Auch dies kann nicht sein, da si0 eine ungerade Zahl ist. Damit haben wir einen Widerspruch und
p
n ist keine rationale Zahl. ⇤
2.1
Körper
Eine Menge K mit zwei Verknüpfungen +, · und mit mindestens zwei Elementen
bildet einen Körper (K, +, ·), wenn für alle x, y 2 K die Verknüpfungen
x+y 2K
xy 2 K
eindeutig definiert sind und wenn für alle x, y, z 2 K die folgenden Eigenschaften
gelten.
(i) x + y = y + x
(ii) (x + y) + z = x + (y + z)
(iii) Es gibt ein Element 0 2 K, so dass für alle x 2 K die Gleichung x + 0 = x
gilt.
40
CHAPTER 2. ZAHLEN
(iv) Zu jedem Element x 2 K gibt es ein Element
gilt.
x 2 K, so dass x + ( x) = 0
(v) xy = yx
(vi) (xy)z = x(yz)
(vii) Es gibt ein Element 1 2 K, so dass 1 6= 0 und so dass für alle x 2 K gilt,
dass 1 · x = x.
(viii) Für alle x 2 K mit x 6= 0 gibt es ein Element
1
x
2 K mit x x1 = 1.
(ix) (x + y)z = xz + yz
Beispiel 2.1.1 (i) N und Z bilden mit der üblichen Addition und Multiplikation keinen Körper.
Es gibt keine multiplikativen inversen Elemente.
(ii) Q ist ein Körper.
(iii) K = {0, 1} ist mit den folgenden Verknüpfungen ein Körper.
0+0=0
0+1=1
1+1=0
0·0=0
0·1=0
1·1=1
Ein Körper mit einer Ordnung heißt geordneter Körper, falls gelten:
(i) Für alle x, y, z 2 K mit x < y gilt x + z < y + z.
(ii) Für alle x, y, z 2 K mit x < y und 0 < z gilt, dass xz < yz.
Q ist mit der üblichen -Ordnung ein
von x 2 K ist durch
8
>
< x
0
|x| =
>
: x
geordneter Körper. Der Absolutbetrag
falls x > 0
falls x = 0
falls x < 0
definiert.
Lemma 2.1.1 Für alle x, y 2 K gelten
(i) x  |x|
(ii) |x| = 0 genau dann, wenn x = 0.
(iii) (Dreiecksungleichung) |x + y|  |x| + |y|
(iv) 0 · x = 0
(v) (Inverse Dreiecksungleichung) ||x|
|y||  |x + y|
Beweis. (i) Wir haben drei Fälle. Falls x > 0, dann gilt nach Definition x = |x|.
Falls x = 0, dann folgt |x| = 0 = x. Falls x < 0, dann gilt |x| = x. Im letzten Fall
müssen wir zeigen, dass 0 < x, falls x < 0. Wir nehmen an, dies sei nicht so, also
x<0
und
x0
2.1. KÖRPER
41
Dann folgt x + ( x)  x, also 0  x. Dies kann nicht sein.
(ii) folgt direkt aus der Definition des Absolutbetrages.
(iii) Wir haben wiederum drei Fälle. Falls x + y > 0, dann gilt
|x + y| = x + y
Wegen (i) folgt nun
|x + y| = x + y  |x| + |y|
Falls x + y = 0, dann folgt wieder wegen (i)
|x + y| = 0 = x + y  |x| + |y|
Falls x + y < 0, dann gilt
|x + y| =
(iv) Mit
(x + y) = ( x) + ( y)  |
x| + |
y| = |x| + |y|
(x · 0) bezeichnen wir das additive inverse Element zu x · 0. Dann gilt
0 = x · 0 + ( (x · 0)) = x(0 + 0) + ( (x · 0)) = x · 0 + x · 0 + ( (x · 0)) = x · 0.
(v) Mit der Dreiecksungleichung folgt
|(x + y)
y|  |x + y| + |y|.
Also gilt
|x|
|y|  |x + y|.
|y|
|x|  |x + y|.
||x|
|y||  |x + y|.
Nun vertauschen wir die Rollen von x und y und erhalten
Aus beiden Ungleichungen folgt
2
Ein geordneter Körper K heißt Archimedisch, wenn für alle x, y 2 K mit 0 <
x < y ein n 2 N existiert, so dass
yx
· · · + x} .
| + x{z
n
Lemma 2.1.2 (Archimedes, 287-212 v. Chr.) Q ist ein Archimedischer Körper.
Beweis. Es seien x, y 2 Q mit 0 < x < y. Dann gibt es p, q, k, l 2 N mit
x=
p
q
und
y=
k
.
l
Wegen x < y gilt pl < kq. Wir wählen n = kq. Dann gilt
p
x
| +x+
{z· · · + x} = nx = kq q = kp
n
2
k
k
= y.
l
42
2.2
CHAPTER 2. ZAHLEN
Folgen in Körpern
Definition 2.2.1 Es sei K ein Körper. Eine Folge in K ist eine Abbildung I : N !
K. Wir ordnen also jedem n 2 N ein Element an 2 K zu.
a1 , a2 , a3 , . . .
Wir schreiben auch
{an }1
n=1
oder
{an }n2N .
Eine Folge {an }n2N in einem geordneten Körper heißt konvergent zum Grenzwert
a 2 K, wenn für alle ✏ 2 K mit ✏ > 0 ein N✏ 2 N existiert, so dass für alle n > N✏
|an
a| < ✏
gilt.
(Quantorenschreibweise: 8✏ > 0 9N✏ 2 N 8n > N✏ : |an
Wir schreiben hierfür auch
a = lim an .
a| < ✏.)
n!1
Dies bedeutet anschaulich, dass sich die Folge der Zahl a annähert. Wenn wir N✏ nur
hinreichend groß wählen, dann haben sämtliche Folgenglieder an mit n > N✏ einen
Abstand zu a, der kleiner als ✏ ist. Wenn man eine konkrete Folge vorliegen hat und
will deren Konvergenz beweisen, dann wird man N✏ als Funktion von ✏ bestimmen.
Beispiel 2.2.1 K = Q
(i) Es gilt
lim
n!1
(ii) Es sei
Dann gilt
8
<1
an = n
:
1000
1
=0
n
für n 2 N und n 6= 1000
für n = 1000
lim an = 0
n!1
(iii) Es gilt
lim
n!1
(iv) Es gilt
1
=0
n2
✓
◆
1
1+
=1
n!1
n
lim
(v) Die Folge {( 1)n }n2N konvergiert nicht.
Beweis. (i) Es sei ✏ 2 Q, ✏ > 0. Da Q Archimedisch ist, gilt:
9N✏ 2 N : ✏N✏ > 1.
2.2. FOLGEN IN KÖRPERN
43
Hieraus folgt
9N✏ 2 N : ✏ >
1
.
N✏
Damit folgt
9N✏ 8n > N✏ :
1
< ✏.
n
Hieraus ergibt sich
9N✏ 8n > N✏ :
1
n
0 < ✏.
(ii) wird genauso bewiesen.
(iii) Dies ist o↵ensichtlich, weil n12  n1 gilt und limn!1
durch die Argumente durchgehen.
Es sei ✏ 2 Q, ✏ > 0. Da Q Archimedisch ist, gilt:
1
n
= 0. Wir wollen aber noch einmal
9N✏ 2 N : ✏N✏ > 1.
Hieraus folgt
9N✏ 2 N : ✏ >
1
.
N✏
Damit folgt
9N✏ 8n > N✏ :
1
< ✏.
n
Es folgt
9N✏ 8n > N✏ :
Da n
1
1
< ✏.
2
n
n
1 gilt, folgt
9N✏ 8n > N✏ :
Und schließlich
9N✏ 8n > N✏ >:
1
< ✏.
n2
1
n2
0 < ✏.
(iv) Da Q Archimedisch ist, gilt
8✏ > 09N✏ 8n > N✏ :
1
< ✏.
n
Es folgt
8✏ > 09N✏ 8n > N✏ : 1 +
Also
1
n
1 < ✏.
1
= 1.
n
konvergiert, bedeutet
lim 1 +
n!1
(v) Die Aussage, dass eine Folge {an }n2N
9a8✏ > 0 9N✏ 2 N 8n > N✏ : |an
a| < ✏.
Die Verneinung dieser Aussage ist
8a 9✏ > 0 8N✏ 2 N 9n > N✏ : |an
a ist gegeben. Wir unterscheiden zwei Fälle a
✏ = 14 und n ungerade. Dann gilt
|an
a| = |( 1)n
a| = |
a|
✏.
0 und a < 0. Es sei zunächst a
1
a| = 1 + a
1>
1
.
4
0. Wir wählen
44
CHAPTER 2. ZAHLEN
Falls a < 0, dann wählen wir ✏ =
|an
1
4
und n gerade. Dann folgt
a| = |( 1)n
a| = |1
a| = 1 + |a|
1>
1
4
2
Definition 2.2.2 Eine Folge {an }n2N in einem geordneten Körper K heißt CauchyFolge, falls für alle ✏ 2 K mit ✏ > 0 ein N✏ 2 N existiert, so dass für alle n, m > N✏
|am
an | < ✏
gilt. (Quantorenschreibweise: 8✏ > 0 9N✏ 8n, m > N✏ : |an
am | < ✏.)
Bemerkung 2.2.1 (i) Jede konvergente Folge in Q ist eine Cauchy-Folge.
(ii) Es gibt Cauchy-Folgen in Q, die nicht (in Q) konvergieren, z.B.
8
für n = 1
<1
an = 1
1
: an 1 +
für n 2
2
an 1
✓
◆n
1
an = 1 +
für n 2 N
n
Beweis. (i) Es sei {an }n2N eine konvergente Folge. Ihren Grenzwert bezeichnen wir
mit a. Also gilt
8✏ > 0 9N✏ 8n > N✏ : |an a| < ✏.
Es folgt
8✏ > 0 9N✏ 8m, n > N✏ : |an
a| < ✏ und |am
8✏ > 0 9N✏ 8m, n > N✏ : |an
a| + |am
a| < ✏
a| < 2✏
Mit der Dreiecksungleichung folgt
8✏ > 0 9N✏ 8m, n > N✏ : |an
am | < 2✏.
2
2.3
Reelle Zahlen
Wir erhalten die reellen Zahlen R aus den rationalen Zahlen Q durch einen Vervollständigungsprozess. Unabhängig voneinander haben dies Cantor, Dedekind und
Weierstraß ausgearbeitet. Dedekind führte die nach ihm benannten Schnitte ein
und benutzte diese zur Konstruktion der reellen Zahlen. Die anderen orientierten
sich mehr an der Idee der Vervollständigung eines metrischen Raumes. Wir wollen
zunächst diese Konstruktion darstellen.
2.3. REELLE ZAHLEN
45
Wir verbinden mit jeder Längenmessung eine reelle Zahl. Wir stellen fest, dass
die rationalen Zahlen nicht vollständig p
ausreichen, jeder Längenmessung eine Zahl
zuzuordnen. Das liegtp
daran, dass z.B. 2 und ⇡ keine rationalen Zahlen sind. Andererseits können wir 2 und ⇡ beliebig gut durch rationale Zahlen approximieren.
p
Dies können wir auch so formulieren: Es gibt Folgen rationaler Zahlen, die gegen 2
oder ⇡ konvergieren. Dies legt uns nahe, reelle Zahlen mit Cauchy-Folgen rationaler
Zahlen zu identifizieren. Da es aber viele Cauchy-Folgen gibt, die gegen dieselbe
Zahl konvergieren, fassen wir alle diese in einer Äquivalenzklasse zusammen und
identifizieren diese mit der reellen Zahl.
Wir führen auf der Menge aller Cauchy-Folgen in Q eine Äquivalenzrelation ein.
Die Folgen {xn }n2N und {yn }n2N sind äquivalent, falls
lim (xn
n!1
yn ) = 0
gilt. Es ist leicht nachzuprüfen, dass dies eine Äquivalenzrelation ist. Die Äquivalenzklasse von {xn }n2N ist durch
n
o
[{xn }n2N ] = {yn }n2N lim (xn yn ) = 0
n!1
gegeben. Eine solche Äquivalenzklasse ist eine reelle Zahl.
Addition und Multiplikation werden durch
[{xn }n2N ] + [{yn }n2N ]
[{xn }n2N ] [{yn }n2N ]
= [{xn + yn }n2N ]
= [{xn yn }n2N ]
erklärt. Wir müssen einsehen, dass Addition und Multiplikation wohldefiniert sind.
Falls {xn }n2N und {x0n }n2N äquivalent sind und ebenso {yn }n2N und {yn0 }n2N , dann
gilt
[{xn + yn }n2N ] = [{x0n + yn0 }n2N ]
Dazu muss man nur beobachten, dass
lim ((xn + yn )
n!1
(x0n + yn0 )) = 0
Eine ähnliche Überlegung stellt man für die Multiplikation an.
Wir wollen noch darauf eingehen, was die Dedekindschen Schnitte sind. Es sei
M eine Menge mit einer Ordnungsrelation . Ein Paar von Teilmengen (A, A) von
M heißt Dedekindscher Schnitt in M , falls
(i) Jedes Element von M gehört einer der beiden Teilmengen A und A an.
(ii) Keine der beiden Mengen A und A ist leer.
(iii) Wenn x 2 A und y 2 A, dann gilt x < y.
(iv) A besitzt kein kleinstes Element.
A heißt Unterklasse und A Oberklasse des Schnittes. Falls M = Q, so identifizieren wir jeden Dedekindschen Schnitt mit einer reellen Zahl. Eine reelle Zahl
(A, A), deren Unterklasse A ein größtes Element besitzt, wird mit einer rationalen
Zahl identifiziert.
46
CHAPTER 2. ZAHLEN
Definition 2.3.1 Wir sagen, dass ein geordneter Körper vollständig ist, falls jede
Cauchy-Folge konvergiert.
Satz 2.3.1 R ist ein geordneter, Archimedischer Körper.
Satz 2.3.2 R ist vollständig.
2.4
Folgen in R
Definition 2.4.1 Eine Folge {xn }n2N heißt nach oben (unten) beschränkt, wenn es
eine Konstante C 2 R gibt, so dass für alle n 2 N
xn  C
(xn
C)
gilt. Die Folge heißt beschränkt, wenn sie sowohl nach unten als auch nach oben
beschränkt ist.
Lemma 2.4.1 Eine konvergente Folge in R ist beschränkt.
Beweis. Es sei {xn }n2N eine konvergente Folge. Dann
9x0 8✏ > 09N✏ 2 N8n
N✏ :
|x0
xn | < ✏.
Wir wählen ✏ = 1. Dann
9x0 9N1 2 N8n
N1 :
|x0
Mit der inversen Dreiecksungleichung folgt für alle n
xn | < 1.
N1
|xn | < 1 + |x0 |.
Es folgt, dass für alle n 2 N
|xn |  max{1 + |x0 |, max{|x1 |, . . . , |xN1 |}}.
2
Lemma 2.4.2 Eine konvergente Folge in R hat genau einen Grenzwert.
2.4. FOLGEN IN R
47
Beweis. Wir nehmen an, dass es eine Folge {xn }n2N gibt, die zwei verschiedene
Grenzwerte x und x0 hat. Dann gilt
8✏ > 09N✏ 8n > N✏ :
8✏ > 09N✏0 8n > N✏0 :
|xn
|xn
x| < ✏
x0 | < ✏.
Es sei Ñ✏ = max{N✏ , N✏0 }. Dann folgt
8✏ > 09Ñ✏ 8n > Ñ✏ : |xn
x| + |xn
x0 | < 2✏.
Mit der Dreiecksungleichung folgt
x0 | < 2✏
8✏ > 09Ñ✏ 8n > Ñ✏ : |x
und schließlich
8✏ > 0 : |x
x0 | < 2✏.
Es folgt x = x0 . 2
Beispiel 2.4.1 (i) Es sei {an }n2N eine reelle, konvergente Folge. Dann konvergiert {an+1 }n2N
und die Grenzwerte sind gleich.
(ii) Es sei {an }n2N0 eine reelle, konvergente Folge. Dann konvergiert {an 1 }n2N konvergiert und
die Grenzwerte sind gleich.
Beweis. (i) Die Folge konvergiere gegen a
8✏ > 09N✏ 8n
N✏ : |an
a| < ✏.
Es folgt sofort
8✏ > 09N✏ 8n
N✏ : |an+1
a| < ✏.
(ii) Die Folge konvergiere gegen a
8✏ > 09N✏ 8n
N✏ : |an
a| < ✏.
Damit folgt
8✏ > 09N✏ 8n
N✏ + 1 : |an
a| < ✏.
1
Wir wählen als Ñ✏ = N✏ + 1. Dann gilt
8✏ > 09Ñ✏ 8n
Ñ✏ : |an
1
a| < ✏.
2
Lemma 2.4.3 Die rellen Folgen {xn }n2N und {yn }n2N konvergieren in R gegen die
Grenzwerte x und y. Dann gelten:
(i) {xn + yn }n2N konvergiert gegen den Grenzwert x + y.
(ii) {xn yn }n2N konvergiert gegen den Grenzwert xy.
(iii) Falls für alle n 2 N gilt, dass yn 6= 0, und falls y 6= 0, dann konvergiert { xynn }n2N
gegen xy .
48
CHAPTER 2. ZAHLEN
Beweis. (i) Da die Folge {xn }n2N gegen x konvergiert, gibt es für alle ✏ > 0 ein
N✏ 2 N, so dass für alle n > N✏ die Ungleichung |xn x| < ✏ gilt. Ebenso gibt es
für alle ✏ > 0 ein N✏0 2 N, so dass für alle n > N✏0 die Ungleichung |yn y| < ✏ gilt.
Also gelten
8✏ > 0 9N✏ 2 N 8n > N✏ :
8✏ > 0 9N✏0 2 N 8n > N✏0 :
|xn
|yn
x| < ✏
y| < ✏.
Wir gehen wieder zu Ñ✏ = max{N✏ , N✏0 } über. Damit gilt
8✏ > 0 9Ñ✏ 2 N 8n > Ñ✏ :
8✏ > 0 9Ñ✏ 2 N 8n > Ñ✏ :
|xn
|yn
x| < ✏
y| < ✏.
Wir addieren die beiden Ungleichungen
8✏ > 0 9Ñ✏ 2 N 8n > Ñ✏ :
|xn
x| + |yn
y| < 2✏.
Mit der Dreiecksungleichung folgt
8✏ > 0 9Ñ✏ 2 N 8n > Ñ✏ :
|(xn + yn )
(x + y)| < 2✏.
(ii) Nach Lemma 2.4.1 gilt
9C8n 2 N :
|yn | < C.
Wir nehmen zunächst an, dass x 6= 0. Außerdem gilt
8✏ > 09N✏ 8n > N✏ : |xn
8✏ > 09N✏0 8n > N✏0 : |yn
✏
x| < 2C
✏
y| < 2|x|
Wir setzen nun Ñ✏ = max{N✏ , N✏0 } und erhalten
|xn yn
xy| = |xn yn xyn + xyn xy|
= |(xn x)yn + x(yn y)|
 |(xn x)yn | + |x(yn y)|
= |yn ||xn
x| + |x||yn
y| < C
✏
✏
+ = ✏.
2C 2
Nun der Fall x = 0. Dann gilt
|xn yn
(iii) Wir setzen z =
1
y
und zn =
xy| = |xn yn |  C|xn |.
1
yn
und wenden (ii) an. 2
Eine Folge {xn }n2N heißt monoton wachsend (fallend), falls für alle n 2 N
xn  xn+1
gilt.
(xn+1  xn )
2.4. FOLGEN IN R
49
Lemma 2.4.4 (i) Es seien {an }n2N und {bn }n2N zwei reelle, konvergente Folgen.
Weiter gelte für alle n 2 N die Ungleichung an  bn . Dann
lim an  lim bn .
n!1
n!1
(ii) Es seien {an }n2N und {cn }n2N zwei reelle, konvergente Folgen mit limn!1 an =
limn!1 cn . Weiter sei {bn }n2N eine reelle Folge und es gelte für alle n 2 N
an  bn  cn .
Dann konvergiert die Folge {bn }n2N und
lim an = lim cn = lim bn .
n!1
n!1
n!1
Beweis. (i) Die Folge {an }n2N konvergiere gegen a und die Folge {bn }n2N konvergiere gegen b. Dann konvergiert die Folge {bn an }n2N konvergiert gegen b a.
8✏ > 09N✏ 8n
N✏ : |(bn
an )
(b
a)| < ✏.
8✏ > 09N✏ 8n
N✏ : (bn
an )
(b
a) < ✏.
Es folgt
Hiermit folgt
8✏ > 09N✏ 8n
N✏ : 0  (bn
an ) < ✏ + (b
a).
Also gilt für alle ✏ > 0
✏<b
Somit gilt a  b.
(ii) Die Folge {cn
a.
an }n2N ist eine Nullfolge. Also gilt
8✏ > 09N✏ 8n
Wegen an  bn  cn folgt für alle n
|cn
N✏ :
|cn
an | < ✏.
N✏
bn |  |cn
an | < ✏.
Also gilt
8✏ > 09N✏ 8n
N✏ :
|cn
bn | < ✏.
Dies bedeutet, dass die Folge {bn cn }n2N eine Nullfolge ist. Da die Folge {cn }n2N
eine konvergente Folge ist, so ist die Folge
{bn
ebenfalls konvergent. 2
cn + cn }n2N = {bn }n2N
50
CHAPTER 2. ZAHLEN
Beispiel 2.4.2 (i) Die Folge { n1 }n2N ist monoton fallend.
(ii) Die Folge {1
1
n2 }n2N
ist monoton wachsend.
(iii) Die Folge {xn }n2N mit xn = 1 für alle n 2 N ist monoton wachsend und fallend.
Lemma 2.4.5 Eine reelle, nach oben beschränkte, monoton wachsende Folge konvergiert in R. Ebenso konvergiert eine reelle, nach unten beschränkte, monoton
fallende Folge in R.
Beweis. Es sei {xn }n2N eine beschränkte, monoton wachsende Folge. Die Schranke
sei mit C bezeichnet, d.h.
8n 2 N :
(2.1)
|xn |  C.
Es reicht zu zeigen, dass {xn }n2N eine Cauchy-Folge ist. Wir nehmen an, dass
{xn }n2N keine Cauchy-Folge ist, d.h.
9✏ > 0 8N✏ 9n, m > N✏ : |xn
xm |
✏
Hieraus leiten wir her, dass zwei Folgen ni 2 N, und mi 2 N, i 2 N, existieren, so
dass für all i 2 N
mi < ni < mi+1 < ni+1
und
✏ < xni
xmi
gelten. Wir weisen dies mit Induktion nach. Da {xn }n2N keine Cauchy-Folge ist,
folgt, dass für N✏ = 1 gilt:
9n1 > m1 : |xn1
xm1 |
✏.
xm1
✏.
Da die Folge monoton wächst, folgt
9n1 > m1 : xn1
Nun der Induktionsschritt. Nach Induktionsannahme haben wir die Zahlen n1 , . . . , nk
und m1 , . . . , mk gefunden. Wir wählen N✏ = nk + 1. Dann gibt es Zahlen nk+1 und
mk+1 mit nk+1 > mk+1 N✏ und
|xnk+1
xmk+1 |
✏.
xmk+1
✏.
Da die Folge monoton wächst, folgt
xnk+1
Da die Folge monoton wachsend ist, folgt aus ni 1 < mi die Ungleichung xni
Deswegen erhalten wir, dass für alle k 2 N mit k 2
xnk
xn1
k
X
=
(xni
i=2
xni 1 )
k
X
(xni
i=2
xmi )
✏(k
1)
1
 xmi .
2.4. FOLGEN IN R
51
gilt. Nun wählen wir k so groß, dass
✏(k
1) > C
x1 .
xnk
xn1 > C
x1
Damit erhalten wir
bzw.
xnk > C
x1 + xn1
C.
Dies ist widerspricht aber (2.1). 2
Lemma 2.4.6 (Bernoulli-Ungleichung) Für alle x 2 R mit 1 + x > 0 und x 6= 0
und für alle n = 2, 3, . . . gilt
1 + nx < (1 + x)n .
Beweis. Wir benutzen Induktion. Da x2 > 0 gilt, folgt
(1 + x)2 = 1 + 2x + x2 > 1 + 2x.
Wir nehmen an, diese Aussage sei für n richtig und schließen auf n + 1.
(1 + x)n+1 = (1 + x)n (1 + x) > (1 + nx)(1 + x)
= 1 + (n + 1)x + nx2 > 1 + (n + 1)x.
2
Mit der Bernoulli-Ungleichung werden wir nun das folgende Beispiel beweisen.
Beispiel 2.4.3 (i) (1 + n1 )n , n 2 N, ist eine monoton wachsende Folge.
(ii) (1 + n1 )n+1 , n 2 N, ist eine monoton fallende Folge.
(iii) Beide Folgen konvergieren gegen denselben Grenzwert. Wir nennen diesen Grenzwert die
Eulersche Zahl e.
Die Zahl e ist von großer Bedeutung in der Mathematik. Wir werden später eine Reihe von
Ergebnissen kennenlernen, die diese Zahl betre↵en.
Beweis. (i) Mit der Bernoulli-Ungleichung folgt
✓
◆n ✓
◆n ✓
1
1
1+
1
= 1
n
n
Also gilt
bzw.
✓
◆n ✓
1
1+
1
n
✓
◆n ✓
1
1+
1
n
1
n
◆n
1
n
1
n2
◆n
>1
◆n
>1
1
n
1
> 1.
1
.
n
52
CHAPTER 2. ZAHLEN
Es folgt
✓
◆n
1
1+
>
n
1
1
1 n 1
n
=
✓
n
n
1
◆n
1
✓
= 1+
1
n
1
◆n
1
.
(ii) Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung
1
1+
1 n
n
1
Weiter folgt
n
1 n12
✓
◆n ✓
◆n
1
1
1
=
1+ 2
> 1+ 2
>1+ .
n
1
n
n
✓
und schließlich
1
=
1 n
n
n
n
✓
1+
1
◆n
1
n
1
✓
◆n+1
1
> 1+
n
◆n
✓
◆n+1
1
> 1+
n
(iii) Die beiden Folgen (i) und (ii) sind beschränkt. Man sieht sofort, dass beide Folgen von unten
durch 1 beschränkt sind. Andererseits ist (1 + n1 )n+1 eine monoton fallende Folge. Deshalb gilt
für alle n 2 N
✓
◆n+1 ✓
◆n
1
1
4
1+
1+
n
n
Nach Lemma 2.4.5 konvergieren sie beide. Wir definieren
✓
◆n
1
e = lim 1 +
n!1
n
Nach Lemma 2.4.3 konvergiert die Folge
✓
◆n+1 ✓
◆n
1
1
1+
1+
n
n
Wegen
✓
◆n+1
1
1+
n
gilt
lim
n!1
✓
◆n+1
1
1+
n
Die letzte Gleichung gilt, weil n1 1 +
Wir wenden Lemma 2.4.3 an. 2
n2N
✓
◆n
✓
◆n
1
1
1
1+
=
1+
n
n
n
✓
◆n !
✓
◆n
1
1
1
1+
= lim
1+
=0
n!1 n
n
n
1 n
,
n
n 2 N, das Produkt von zwei konvergenten Folgen ist.
Mit Beispiel 2.4.3 können wir für die Zahl e folgende Abschätzungen bekommen.
n=1:
n=2:
n=3:
n = 1000 :
2
2, 25 
✓ ◆3
4
2, 37... =

3
2, 716923... 
e 4
e  3, 375
✓ ◆4
4
e 
= 3, 16...
3
e  2, 71964...
Die Zahl e spielt in der Zinsrechnung eine Rolle. Ein Geldbetrag G sei pro Jahr mit
r Prozent verzinst. Nach einem Jahr erhält man also G(1 + r). Werden die Zinsen
2.4. FOLGEN IN R
53
r 12
jedoch monatlich ausgezahlt, so erhält man G(1 + 12
) am Ende des Jahres. Falls
r 365
eine Bank bereit ist, die Zinsen täglich auszuzahlen, so erhält man G(1 + 365
)
am Ende des Jahres. Werden also die Zinsen k mal im Jahr ausgezahlt, so erhält
man G(1 + kr )k am Ende des Jahres. O↵ensichtlich erhält man desto mehr Geld, je
häufiger die Zinsen während des Jahres ausgezahlt werden. Eine Verallgemeinerung
von Beispiel 2.4.3 besagt, dass man nie mehr als Ger am Ende des Jahres erhält.
Der Betrag Ger würde ausgezahlt, wenn die Zinsen stetig ausgezahlt würden.
p
Die Quadratwurzel x einer reellen, positiven Zahl x soll genau diejenige positive
Zahl sein, die, wenn man sie mit sich selbst multipliziert, x liefert. Die Existenz
einer solchen Zahl wird durch das nächste Beispiel geliefert. Die Eindeutigkeit ist
o↵ensichtlich.
Beispiel 2.4.4 (i) (Heron von Alexandrien) Wir setzen a1 = 1 und für n
✓
◆
1
2
an+1 =
an +
.
2
an
Dann gilt
lim an =
n!1
p
2.
(ii) (Newton Iteration) Es sei x > 0. Wir setzen a1 = 1 und für n
✓
◆
1
x
an+1 =
an +
.
2
an
Dann gilt
lim an =
n!1
und für alle n = 2, 3, . . . gilt
1
1
p
x
p
x
 x  an .
an
Insbesondere existiert die Quadratwurzelfunktion, d.h. es gibt eine Funktion w : [0, 1) ! [0, 1),
so dass für alle x 2 [0, 1)
(w(x))2 = x
gilt. Die Funktion w ist monoton wachsend.
Die im Beispiel angegebene Folge stellt ein Iterationsverfahren dar, mit dem man die Wurzel
einer Zahl berechnen kann. Es stammt von dem griechischen Mathematiker Heron von Alexandrien
(ca. 60 n. Chr.). Das Iterationsverfahren besteht darin, dass der Mittelwert von zwei Zahlen
gebildet wird, deren Produkt x ist.
Das Verfahren konvergiert schnell, wenn man mit einem guten Anfangswert a1 wie z.B. a1 = 1
beginnt. Dann erhält man bei jeder Iteration zwei genaue Dezimalstellen. Wenn der Anfangswert
nicht gut gewählt wird, konvergiert das Verfahren langsam.
(ii) ist ein Spezialfall des Verfahrens von Newton zum Auffinden einer Nullstelle einer Funktion.
n)
2
Hierbei setzt man xn+1 = xn ff0(x
x.
(xn ) . In dem vorliegenden Beispiel wählt man f (t) = t
Bevor wir die Behauptungen beweisen,p
wollen wir eine einfache Überlegung
anstellen, die sofort
p
zeigt, warum der Grenzwert der Folge (i) 2 ist, bzw. im Fall (ii) x. Wir nehmen an, dass der
Grenzwert existiert und verschieden von 0 ist. Dann folgt
(2.2)
lim an+1 =
n!1
1
1
lim an +
2 n!1
limn!1 an
54
CHAPTER 2. ZAHLEN
Wir bezeichnen den Grenzwert der Folge mit a und erhalten
a=
1
1
a+
2
a
Also gilt
a2 = 2
Für den Beweis des Beispiels benötigen wir die folgende Abschätzung.
Lemma 2.4.7 Für alle s, t 2 R gilt
4st  (s + t)2 .
Dies ist eigentlich die Abschätzung zwischen dem geometrischen und arithmetischen Mittel
p
s+t
st 
.
2
Da wir hier erst die Existenz der Wurzel nachweisen, haben wir die Ungleichung ohne die Wurzel
formuliert.
Beweis. Es gilt
0  (s
t)2 = s2
2st + t2 .
Es folgt
4st  s2 + 2st + t2 = (s + t)2 .
2
Beweis von Beispiel 2.4.4. Wir überlegen uns zuerst, dass die Folge wohldefiniert ist. Dazu
müssen wir zeigen, dass kein an , n 2 N, gleich 0 ist. Wir zeigen, dass für alle n 2 N die Ungleichung 0 < an gilt. Dies zeigen wir durch Induktion. Der Induktionsanfang liefert a1 = 1. Im
Induktionsschritt nehmen wir an, dass an > 0 und erhalten
an+1 =
1
1
an +
> 0.
2
an
Wir zeigen, dass {an }1
n=2 eine monoton fallende Folge ist. Da wir bereits wissen, dass die Folge
nach unten beschränkt ist, konvergiert sie (Lemma 2.4.5). Dazu zeigen wir, dass für alle n 2 N
mit n 2
2  a2n
gilt. Mit Lemma 2.4.7 folgt für n 2 N
a2n+1
=
✓
1
1
an +
2
an
◆2
1
1
4 an
= 2.
2 an
Wir zeigen nun, dass die Folge monoton fallend ist. Aus a2n
n 2
1
1
 an .
an
2
Wir addieren auf beiden Seiten 12 an
1
1
an +
 an .
2
an
Also gilt für alle n = 2, 3, . . .
an+1  an .
2 und an > 0 folgt, dass für alle
2.4. FOLGEN IN R
55
Aus an > 0 und a2n 2 folgt, dass an 1. Hieraus folgt, dass der Grenzwert größer oder gleich 1
ist, also nicht 0. Aus Lemma 2.4.3 (iii) folgt dann, dass (2.2) gilt und wir erhalten
p
lim an = 2.
n!1
(ii) wird genauso hergeleitet. Wir erhalten hier
✓
◆2
1
x
a2n+1 =
an +
4
an
an
x
=x
an
Hieraus ergibt sich dann für n = 2, 3, . . .
x
 an
an
oder
an +
x
 2an
an
Also
an+1  an
Also ist
eine monoton fallende Folge und somit { axn }1
n=2 eine monoton wachsende Folge.
p
Beide Folgen konvergieren gegen x. 2
p
Für 2 wollen wir noch die numerischen Werte der ersten Folgenglieder festhalten.
{an }1
n=2
p
4
2
3
=

2  a2 = = 1, 5
3
a2
2
p
24
2
17
1, 41176... =
=

2  a3 =
= 1, 41666...
17
a3
12
p
816
2
577
1, 41421... =
=

2  a4 =
= 1, 41421...
577
a4
408
1, 333... =
Das Heron Verfahren lässt sich auf allgemeine, ganzzahlige Wurzeln verallgemeinern.
Beispiel 2.4.5 Es sei x eine positive, reelle Zahl und k 2 N mit 2  k. Weiter seien a1 = 1 und
für n 1
(k 1)(an )k + x
an+1 =
.
k(an )k 1
Dann gilt
lim (an )k = x.
n!1
Der Grenzwert der Folge ist also die k-te Wurzel von x.
Beweis. Es gilt
an+1 k(an )k
1
= (k
1)(an )k + x.
lim an+1 k(an )k
1
= lim (k
Deshalb
n!1
und somit
k
Wir erhalten schließlich
⇣
lim an
n!1
⌘k
⇣
= (k
1)
lim an
⌘k
n!1
2
n!1
⇣
1)(an )k + x.
lim an
n!1
= x.
⌘k
+ x.
56
CHAPTER 2. ZAHLEN
Beispiel 2.4.6 (Schriftliches Wurzelziehen) Wir beschreiben hier ein Verfahren, um die Quadratwurzel
aus einer natürlichen Zahl zu ziehen.
Der Radikand wird in Gruppen von zwei Zi↵ern unterteilt, wobei wir rechts beginnen. Nun
betrachten wir die erste Zahlengruppe, die Gruppe, die ganz links steht. Sie kann aus einer oder
zwei Zi↵ern bestehen. Zu dieser ein- oder zweistelligen Zahle suchen wir die größte (einstellige)
Zahl, deren Quadrat kleiner oder gleich dieser Zahl ist. Diese Zahl ist die erste Zi↵er der Quadrat
wurzel. Nun ziehen wir die Quadratzahl von der ersten Gruppe ab und ergänzen die Di↵erenz mit
den folgenden beiden Zi↵ern.
Beispiel 2.4.7 Es sei a1 2 R und
n2N
an+1 = an + a2n
Dann konvergiert diese Folge für alle a1 mit
divergiert die Folge.
1  a1  0 gegen 0. Für alle anderen Werte
Beweis. Die Folge ist monoton wachsend
an+1 = an + a2n
an
und für alle n 2 N gilt 1  an  0, falls 1  a1  0. Wir weisen dies mit Induktion nach.
Es gilt nach Voraussetzung 1  a1  0. Wir nehmen nun an, dass 1  an  0. Dann gelten
0  1 + an  1,
an+1 = an + a2n = an (1 + an )  0
und
an+1 = an + a2n = an (1 + an )
1.
Damit ist die Folge für 1  a1  0 monoton wachsend und beschränkt und nach Lemma 2.4.5
konvergent. In diesem Fall folgt für den Grenzwert
⇣
⌘2
lim an = lim an+1 = lim an + lim an
n!1
n!1
n!1
n!1
also
lim an = 0.
n!1
Wir betrachten nun die anderen Fälle. Es sei 0 < a1 . Dann gilt für alle an , n 2 N,
an
a1 .
Falls die Folge konvergiert, dann gilt also
0 < a1  lim an .
n!1
Wir hatten uns aber bereits überlegt, dass der Grenzwert 0 sein muss. Falls a1 <
a2 = a1 +
a21
1, dann
= a1 (1 + a1 ) > 0.
Nun verfahren wir wie im Fall a1 > 0. 2
Beispiel 2.4.8 [50, 72] (i) Es sei {an }n2N eine Folge positiver, reeller Zahlen. Die Folge
r
q
p
a1 + a2 + · · · + an
n2N
konvergiert genau dann, wenn es eine Zahl c > 0 gibt, so dass für alle n 2 N die Ungleichung
n
an  c(2 ) gilt.
(ii) Insbesondere konvergiert
r
q
p
x + x + ··· + x
q
für x > 0 und der Grenzwert ist 12 + x + 14 .
2.4. FOLGEN IN R
57
Beweis. (i) Wir überlegen uns zunächst, dass für alle Folgen {an }n2N und {bn }n2N , so dass für
alle n 2 N die Ungleichungen 0  an  bn gelten,
r
r
q
q
p
p
a1 + a2 + · · · + an  b1 + b2 + · · · + bn
für alle n 2 N gelten. Wir zeigen dies mit Induktion. Der Induktionsanfang folgt, weil die
Wurzelfunktion monoton wachsend ist (Beispiel 2.4.4(ii)). Nun der Induktionsschritt. Die Aussage
gilt für alle Folgen der Länge n. Wir wenden diese Aussage auf die Folgen
p
p
a1 , . . . , an 1 , ãn = an + an+1
und
b1 , . . . , bn 1 , b̃n = bn + bn+1
an.
Wir zeigen, dass die Bedingung notwendig ist. Wenn wir a1 , . . . , an
wir für alle n 2 N
r
q
q
p
p
a1 + a2 + · · · + an
· · · an .
1
durch 0 ersetzen, erhalten
n
Falls es zu jedem c > 0 ein n 2 N mit an > c(2 ) gibt, dann gilt
r
q
p
c  a1 + a2 + · · · + an
und die Folge ist unbeschränkt, kann also nicht konvergieren.
Wir zeigen nun, dass die Bedingung hinreichend ist. Falls es eine Zahl c gibt, so dass für alle
n
n 2 N die Ungleichung an  c(2 ) gilt, dann folgt für alle n 2 N
r
r
r
q
q
q
p
p
p
n)
2
4
(2
a1 + a2 + · · · + an  c + c + · · · + c
= c 1 + 1 + · · · + 1.
Weiter gilt
q
p
p
2 + 2 = 2 + 2 + 2 = ···
r
r
q
q
p
p
=
2 + 2 + · · · + 2 + 2 > 1 + 1 + · · · + 1.
2 =
Damit ist die Folge nach oben beschränkt. Außerdem ist sie monoton wachsend.
s
r
r
q
q
p
p
a1 + a2 + · · · + an < a1 + a2 + · · · + an + an+1
Mit Lemma 2.4.5 folgt, dass die Folge konvergiert.
(ii) Wir wenden (i) an, um festzustellen, dass die Folge konvergiert. Die Folge lässt sich auch
so schreiben:
p
p
b1 = x
bn+1 = x + bn .
Dies bedeutet, dass für alle n 2 N
b2n+1 = x + bn
gilt. Mit Lemma 2.4.3 folgt
⇣
lim bn
n!1
⌘2
= lim b2n+1 = x + lim bn .
n!1
n!1
Es folgt für den Grenzwert b der Folge
also b =
1
2
b2 = x + b,
q
± x + 14 . Da der Grenzwert positiv sein muss, folgt b =
1
2
+
q
x + 14 . 2
58
CHAPTER 2. ZAHLEN
Definition 2.4.2 Es sei I : N ! R eine reelle Folge und J : N ! N eine strikt
wachsende Abbildung, d.h. für alle i 2 N gilt J(i) < J(i + 1). Dann sagen wir,
dass die Folge I J eine Teilfolge der Folge I ist. Wie üblich bezeichnen wir auch
das Bild von I, also {an }n2N als Folge. Entsprechend bezeichnen wir {ani }i2N als
Teilfolge, wenn n1 < n2 < n3 < · · · gilt.
Satz 2.4.1 (Bolzano-Weierstraß) Jede beschränkte Folge in R hat eine konvergente
Teilfolge.
Die Folge an = ( 1)n , n 2 N, konvergiert nicht, aber die Teilfolge a2k , k 2 N,
konvergiert.
Beweis. Es sei {an }n2N eine beschränkte Folge. Wir zeigen, dass es eine Teilfolge
gibt, die entweder monoton fallend oder monoton wachsend ist. Mit Lemma 2.4.5
folgt dann die Behauptung. Es sei
I = {n 2 N|8`
n : a`  an }.
Falls I eine unendliche Menge ist, so ist
{an }n2I
eine monoton fallende Folge, wobei die Elemente von I der Größe nach geordnet
sind:
I = {n1 , n2 , n3 , . . . }
mit
n1 < n2 < n3 < · · ·
Wir überlegen uns, dass die Folge {ani }i2N monoton fallend ist. Es gilt ani ani+1 ,
weil ni 2 I und ni < ni+1 .
Wir nehmen nun an, dass I eine endliche Menge ist. Wir konstruieren nun durch
Induktion eine monoton strikt wachsende Folge. Als m1 wählen wir eine natürliche
Zahl, die strikt größer als alle Zahlen in I ist. Wir nehmen an, dass wir bereits k
Elemente der Folge
am1 , . . . , amk
und
m1 < m2 < · · · < mk
gewählt haben. Nun wählen wir das k + 1-ste Element. Da mk 2
/ I, gilt
mk 2 {n 2 N|9`
n : a` > an }.
Deshalb gibt es ein mk+1 mit mk+1 > mk und amk+1 > amk . 2
Beispiel 2.4.9 (i) Für alle x 2 R mit |x| < 1 gilt
lim xn = 0.
n!1
(ii)
lim
n!1
(iii) Für alle x 2 R gilt
n!
=0
nn
xn
= 0.
n!1 n!
lim
2.4. FOLGEN IN R
59
Beweis. (i) Gegeben sei ✏ > 0. Nun wählen wir N✏ , so dass für alle n > N✏ gilt
✓
◆
1
1
<n
1
✏
|x|
1
Dies ist möglich, weil R Archimedisch ist und 1 < |x|
. Damit und mit der Bernoulli-Ungleichung
folgt, dass
✓
✓
◆◆n
✓
◆
✓
◆
1
1
1
1
1
= 1+
1
1+n
1 >n
1 >
|x|n
|x|
|x|
|x|
✏
Also gilt für alle n > N✏
|xn
0| < ✏
Wir geben noch einen alternativen Beweis an. Die Folge {xn }n2N ist für x mit 0  x < 1 monoton
fallend und beschränkt. Es gilt für alle n 2 N
0  xn < 1.
Da die Folge monoton fallend und beschränkt ist, konvergiert sie nach Lemma 3.4.7. Weiter gilt
lim xn = lim xn+1 = x lim xn .
n!1
n!1
n!1
Es folgt
lim xn = 0.
n!1
(ii) Es gilt
0
(iii) Die Folge
xn
n! ,
n!
1

nn
n
n 2 N, ist für n > x monoton fallend: Es gilt für n > x
xn
n!
xn+1
(n + 1)!
weil dies zu
n+1
x
äquivalent ist. Damit ist die Folge nach oben beschränkt. Außerdem ist die Folge nach unten
durch 0 beschränkt. Mit Lemma 2.4.5 folgt, dass die Folge konvergiert. Da limn!1 n1 = 0 folgt
xn ⇣
x⌘
= lim
n!1 n!
n!1 n
lim
2
✓
xn 1
n!1 (n
1)!
lim
◆
=
⇣
x⌘
n!1 n
lim
✓
xn
n!1 n!
lim
◆
= 0.
Lemma 2.4.8 Es sei {xn }n2N eine beschränkte Folge reeller Zahlen, die nicht konvergiert. Dann gibt es zwei konvergente Teilfolgen, die gegen verschiedene Grenzwerte konvergieren.
Beweis. Da {xn }n2N beschränkt ist, hat sie nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß
(Satz 2.4.1) eine konvergente Teilfolge {xnk }k2N mit Grenzwert x0 . Da {xn }n2N nicht
konvergiert, konvergiert sie insbesondere nicht gegen x0 . Also gilt
(2.3)
9✏ > 0 8N 2 N 9m
N:
|xm
x0 |
✏.
60
CHAPTER 2. ZAHLEN
Wir wenden diese Aussage auf N = 1 an. Also gibt es ein m1 1 mit |xm1 x0 | ✏.
Wenn wir bereits m1 < m2 < · · · < mn gewählt haben, so dass für alle j = 1, . . . , n
✏  |xmj
x0 |
gilt, dann wenden wir die Aussage (2.3) für N = mn + 1 an. Insgesamt erhalten wir
eine Teilfolge {xmj }j2N , so dass für alle j 2 N
|xmj
x0 |
✏
gilt. Da {xmj }j2N beschränkt ist, hat sie eine konvergente Teilfolge. Der Grenzwert
ist von x0 verschieden. 2
2.5
Di↵erenzengleichungen
Wir bezeichnen den Vektorraum aller reellen Folgen mit R1 . Es seien a1 , . . . , ak 2 R
und {xn }1
k die Gleichungen
n=0 eine reelle Folge. Falls für alle n mit n
xn + a1 xn
1
+ · · · + ak xn
k
=0
gelten, dann sagen wir, dass die Folge die Di↵erenzengleichung mit den Koeffizienten
a1 , . . . , ak erfüllt.
Man überlegt sich leicht, dass die Menge aller Lösungen ein linearer Teilraum
des Vektorraumes aller unendlichen Folgen ist.
Di↵erenzengleichungen liefern interessante Beispiele von Folgen, für die wir Konvergenz untersuchen. Das bekannteste Beispiel sind die Fibonacci Zahlen (Beispiel
2.5.2), die die Entwicklung einer Kaninchenpopulation beschreiben. Interessant ist
bei diesem Beispiel, dass der Goldene Schnitt auftaucht.
Darüber hinaus gibt es viele Beispiele aus Wirtschaftswissenschaften, Psychologie
und Soziologie in der der Goldene Schnitt erscheint.
Satz 2.5.1 (Di↵erenzengleichung) Es seien a1 , . . . , ak 2 R und wir nehmen an, dass
1 , . . . , k 2 R paarweise verschiedene Nullstellen des Polynoms
(2.4)
tk + a1 tk
1
+ · · · + ak 1 t + ak = 0
sind. Dann ist
{(
n 1
i )n=0 |i
= 1, . . . , k}
eine Basis des Lösungsraumes der Di↵erenzengleichung
xn + a1 xn
Das Polynom tk + a1 tk
der Di↵erenzengleichung.
Beweis. Falls
1
1
+ · · · + ak xn
k
=0
n
k.
+ · · · + ak 1 t + ak heißt das charakteristische Polynom
eine Nullstelle des Polynoms
tk + a1 tk
1
+ · · · + ak 1 t + ak
2.5. DIFFERENZENGLEICHUNGEN
ist, so ist (
n 1
)n=0
61
eine Lösung. Dies ist o↵ensichtlich: Aus
k
folgt für alle n 2 N mit n
n k
k 1
+ · · · + ak
+ ak = 0
1
k
(
also für alle n 2 N mit n
n
+ a1
k
+ a1
k 1
+ · · · + ak
1
+ ak ) = 0
k
+ a1
n 1
+ · · · + ak
1
n k+1
+ ak
n k
= 0.
Daraus folgt, dass das Erzeugnis von
{(( i )n )1
n=0 |i = 1, . . . , k}
im Lösungsraum enthalten ist. Außerdem sind die Vektoren
(( i )ni )1
n=0
i = 1, . . . , k
im Raum R1 linear unabhängig. Dazu müssen wir zeigen, dass aus der Gleichung
k
X
ci (( i )ni )1
n=0 = 0
i=1
folgt c1 = c2 = · · · = ck = 0. Es reicht also zu zeigen, dass aus
k
X
ci (( i )ni )kn=01 = 0
i=1
folgt c1 = c2 = · · · = ck = 0. Deshalb
0
1 0
1
B 1 C B
B
C B
B 2 C B
B 1 C,B
B .. C B
@ . A @
k 1
1
reicht es aus nachzuweisen, dass die Vektoren
1
0
1
1
1
C
B k C
2 C
B
C
2 C
B 2 C
2 C,...,B
k C
B .. C
.. C
@ . A
. A
k 1
2
k 1
k
im Raum Rk linear unabhängig sind. Dazu zeigen wir, dass die Determinante dieser
Matrix von 0 verschieden ist. Es handelt sich um die Vandermondesche Determinante, die sich zu
Y
( i
j)
i>j
berechnet. Da alle i paarweise verschieden sind, ist die Determinante von 0 verschieden.
Es bleibt noch zu zeigen, dass die Dimension des Raumes aller Lösungen kleiner
oder gleich k ist. Jede Lösung ist durch die ersten k Koordinaten x0 , . . . , xk 1
bestimmt. Dies folgt aus der Rekursionsformel. Also ist die Dimension des Raumes
gleich k. 2
62
CHAPTER 2. ZAHLEN
Lemma 2.5.1 Es seien a1 , . . . , ak 2 R und wir nehmen an, dass
Nullstelle der Vielfachheit ` des charakteristischen Polynoms
(2.5)
tk + a1 tk
1
2 R eine reelle
+ · · · + ak 1 t + ak = 0
ist. Dann sind
(nj
n 1
)n=0 |j
= 0, . . . , `
1
Lösungen der Di↵erenzengleichung
xn + a1 xn
1
+ · · · + ak xn
=0
k
n
k.
Lemma 2.5.2 Es seien a1 , . . . , ak 2 R und wir nehmen an, dass r(cos ✓ + i sin ✓)
eine komplexe Nullstelle der Vielfachheit ` des charakteristischen Polynoms
(2.6)
tk + a1 tk
1
ist. Dann sind für alle b 2 R
+ · · · + ak 1 t + ak = 0
{(rn cos(n✓ + b))1
n=0 |j = 0, . . . , `
1}
Lösungen der Di↵erenzengleichung
xn + a1 xn
1
+ · · · + ak xn
=0
k
n
k.
Man beachte, dass mit r(cos ✓+i sin ✓) auch r(cos ✓ i sin ✓) Nullstelle des charakteristischen Polynoms ist.
Beispiel 2.5.1 Es seien a, b 2 R. Wir setzen x0 = a, x1 = b und für n = 2, 3, . . .
xn =
1
(xn
2
1
+ xn
2)
dann gilt
lim xn =
n!1
1
2
a+ b
3
3
Beweis. Wir wenden Satz 2.5.1 an. Das charakteristische Polynom der Di↵erenzengleichung ist
t2 12 t 12 . Die Nullstellen sind 1 und 12 . Deshalb ist
1 n 1
2
n=0
(1)1
n=0
eine Basis des Lösungsraumes. Wir bestimmen nun die Koeffizienten c1 und c2 , so dass
a = x0 = c1 + c2
1
2 c2
b = x1 = c1
Also
b=a
1
2 c2
c2
c2 = 23 (a
c1 = a
c2 = a
b)
2
3 (a
b) = 13 a + 23 b.
Damit ist die Folge
2
( 13 a + 23 b)(1)1
n=0 + 3 (a
b) (
1 n 1
2 ) n=0
die Lösung und
lim ( 13 a + 23 b) + 23 (a
n!1
2
b)(
1 n
2)
= 13 a + 23 b.
2.5. DIFFERENZENGLEICHUNGEN
63
Beispiel 2.5.2 Die Fibonacci Zahlen sind durch die Rekursion
xn+2 = xn+1 + xn
mit x0 = 0 und x1 = 1 gegeben. Dann gilt
p
xn+1
1+ 5
lim
=
= 1, 6180...
n!1 xn
2
(2.7)
p
Die Zahl 1+2 5 bezeichnet man als den Goldenen Schnitt. Zwei Strecken a und b mit a < b stehen
im Verhältnis des Goldenen Schnittes, wenn sich die größere zur kleineren Strecke verhält wie die
Summe aus beiden zur größeren
a
b
=
.
b
a+b
Der Goldene Schnitt spielt in der Architektur eine Rolle.
Mit Hilfe dieser Zahlenfolge hat Leonardo Fibonacci (1180-1241) das Wachstum einer Kaninchenpopulation beschrieben. Hierbei hat er folgende Annahmen gemacht:
(i) Jedes Paar Kaninchen wirft pro Monat ein weiteres Paar Kaninchen.
(ii) Ein neugeborenes Paar bekommt erst im zweiten Lebensmonat Nachwuchs.
(iii) Die Tiere sind isoliert.
Die Zahl der Kaninchen Paare in einem gegebenen Monat setzt aus den Paaren zusammen, die im
Vormonat gelebt haben und den neugeborenen Paaren. Die Anzahl der neugeborenen Paare ist
gleich der Anzahl der Paare, die im Vorvormonat gelebt haben.
Beweis. Wir benutzen den Satz über die Lösungen der Di↵erenzengleichungen. Wir müssen die
Nullstellen des Polynoms
t2 t 1 = 0
bestimmen. Die Nullstellen sind
p
1+ 5
2
Somit ist
1
und
p !n !1
1+ 5
2
1
n=0
p
5
.
2
p !n !1
5
2
n=0
eine Basis des Lösungsraumes. Nun wählen wir die Koeffizienten c1 und c2 , so dass
p
p
1+ 5
1
5
c1 + c2 = 0
und
c1
+ c2
= 1.
2
2
Es folgt c2 =
c1 und damit
Also
p
1+ 5
c1
2
c1
1
p
5
= 1.
2
1
c1 = p .
5
Als Lösung erhalten wir
1
p
5
p !n !1
1+ 5
2
n=0
1
p !n !1 !
5
2
n=0
64
CHAPTER 2. ZAHLEN
Damit erhalten wir
lim
n!1
Es gilt
Wegen
⇣
p ⌘n+1
1+ 5
2
⇣ p ⌘n
1+ 5
2
xn+1
= lim
n!1
xn
⇣
p ⌘n+1
5
2
⇣ p ⌘n
1
5
2
⇣
p ⌘n+1
1+ 5
2
⇣ p ⌘n
1+ 5
2
1
=
⇣
⇣
p ⌘n+1
5
2
⇣ p ⌘n .
1
5
2
1
⇢
1
⇣ p ⌘n n
1+ 5
1
2
p ⌘n+1
1+ 5
2
⇣
p ⌘n+1
1 p5
1+ 5
⇣ p ⌘n o
1 p5
1+ 5
.
p
1
5
1
p  .
2
1+ 5
gilt
lim
n!1
p !n
1
5
p
= 0.
1+ 5
Hiermit folgt nun (2.7). 2
Beispiel 2.5.3 ([44], S. 156) Wir betrachten ein Nachrichtenübertragungssysten, dem zwei Signale S1 und S2 zur Verfügung stehen. Die Nachrichten werden zunächst zu Folgen von S1 und S2
codiert. Das Signal S1 benötigt die Zeit t1 , um übertragen zu werden, und S2 die Zeit t2 . Es sei
Nt die Anzahl aller möglichen Nachrichten, die man in einer Zeit t übertragen kann.
Wir wollen nun die Zahl Nt bestimmen. Dazu stellen wir eine Di↵erenzengleichung auf. Wir
betrachten alle jene Nachrichten, die mit einem S1 enden. Für alle jene Nachrichten, die mit S1
enden gibt es Nt t1 Möglichkeiten, entsprechend Nt t2 , wenn die Nachricht mit S2 endet. Wir
erhalten also
Nt = Nt t1 + Nt t2
Falls t1 = t2 = 1, dann handelt es sich um die Fibonacci Zahlen (Beispiel 2.5.2) und wir erhalten
Nt = C1
p !t
1+ 5
+ C2
2
1
p !t
5
.
2
Die Konstanten C1 und C2 sind durch N0 und N1 festgelegt. Berücksichtigen wir die Bedeutung
von Nt wählen wir N0 = 0 und N1 = 1. Wir erhalten
1
C1 = p
5
und
C2 =
1
p .
5
Die Kapazität eines Nachrichtenkanals wir von Shannon durch
C = lim
t!1
log2 Nt
t
definiert. Wir wollen etwas auf diese Definition eingehen: Um ein Wort besteht aus einer Folge
von S1 und S2 . Jede Wahl von S1 oder S2 liefert die Information 2 insgesamt also Nt = 2k .
Wir erhalten
p
1+ 5
C = log2
⇠ 0, 7.
2
Beispiel 2.5.4 Es sei die Di↵erenzengleichung
xn
3
2 xn 1
+ 12 xn
2
=0
n
2
mit x0 = a und x1 = b gegeben. Die Folge konvergiert und der Grenzwert ist 2b
a.
2.6. SUPREMUM UND INFIMUM
65
Beweis. Die charakteristische Gleichung ist
t2
3
2t
+
1
2
=0
Die Nullstellen sind 1 und 12 . Damit ist
⇢
{1}1
n=0
1
2n
1
n=0
eine Basis des Lösungsraumes.
a = x0 = c1 + c2
1
b = x1 = c1 + c2
2
Also
b=a
c2 = 2(a
Der Grenzwert ist 2b
2.6
1
c2 + c2
2
b)
c1 = 2b
a
a. 2
Supremum und Infimum
Definition 2.6.1 Es sei {xn }n2N eine reelle Folge. Eine Zahl x 2 R heißt Häufungswert
der Folge, falls zu jedem ✏ > 0 unendlich viele Elemente der Folge in der Menge
(x ✏, x + ✏) liegen.
Definition 2.6.2 Es sei M ✓ R. C heißt obere Schranke von M , falls für alle
x 2 M gilt, dass x  C. C heißt untere Schranke von M , falls für alle x 2 M gilt,
dass C  x. ⇠ heißt kleinste obere Schranke oder Supremum von M
⇠ = sup M
falls
(i) ⇠ obere Schranke von M ist
(ii) Für alle oberen Schranken C von M gilt, dass ⇠  C.
⇠ 2 R heißt größte untere Schranke oder Infimum von M
⇠ = inf M
falls
(i) ⇠ untere Schranke von M ist
(ii) Für alle unteren Schranken C von M gilt, dass ⇠
C.
66
CHAPTER 2. ZAHLEN
Beispiel 2.6.1 (i) Es sei M = [a, b] = {x 2 R|a  x  b}. Dann gilt
inf M = a
sup M = b
(ii) Es sei M = (a, b) = {x 2 R|a < x < b}. Dann gilt
inf M = a
(iii) Es sei M = {
1
n |n
2 N}. Dann gilt
inf M =
(iv) Es sei M = {
1
n |n
sup M = b
1
sup M = 0
2 N} [ {0}. Dann gilt
inf M =
1
sup M = 0
(v) Die leere Menge ; besitzt weder Supremum noch Infimum, weil jede reelle Zahl sowohl untere
als auch obere Schranke der leeren Menge ist.
Lemma 2.6.1 Jede nicht-leere, nach oben beschränkte Menge besitzt ein Supremum
und jede nicht-leere, nach unten beschränkte Menge besitzt ein Infimum.
Der Beweis von Lemma 2.6.1 benutzt das Prinzip der Intervallschachtelung: Ein
Intervall wird in zwei gleiche Teilintervalle unterteilt. Je nachdem in welchem Teilintervall sich noch ein Punkt der Menge befindet, wird mit dem entsprechenden
Teilintervall fortgefahren. Man teilt dieses wieder in zwei gleiche Intervalle. Auf
diese Weise wird ein gesuchter Punkt ”eingeschachtelt.”
Beweis. Es sei M eine nach oben beschränkte Menge. Es gibt also ein b1 2 R, so
dass für alle x 2 M gilt, dass x  b1 . Wir wählen nun a1 2 M und betrachten


a1 + b1
a1 + b1
a1 ,
und
, b1
2
2
Wir setzen
a2 =
8
>
>
< a1
>
>
: a1 + b1
2
8
< a1 + b1
2
b2 =
:
b1
Für n = 2, 3, . . . definieren wir
8
>
>
< an
an+1 =
>
>
: an + bn
2
falls M \

a1 + b1
, b1 = ;
2
sonst
falls M \
sonst

falls M \
sonst
a1 + b1
, b1 = ;
2

an + bn
, bn = ;
2
2.6. SUPREMUM UND INFIMUM
bn+1
Wir erhalten:
(i) Für alle n 2 N
8
< an + bn
2
=
:
bn
67
falls M \
sonst

an + bn
, bn = ;
2
a1  a2  · · ·  an  bn  · · ·  b2  b1
(ii)
bn
an =
b1 a1
2n 1
(iii) bn , n 2 N, sind obere Schranken von M .
(iv) Für alle n 2 N gilt: Es gibt ein xn 2 M mit an  xn  bn .
Da {an }n2N eine beschränkte, monoton wachsende Folge und {bn }n2N eine beschränkte, monoton fallende Folge ist, so konvergieren diese Folgen (Lemma 2.4.5).
Wegen (ii) gilt
lim bn
n!1
lim an = lim (bn
n!1
n!1
b1 a1
= 0.
n!1 2n 1
an ) = lim
Also sind beide Grenzwerte gleich.
b = limn!1 bn ist eine obere Schranke von M , weil alle bn , n 2 N, obere
Schranken von M sind: Falls es ein x0 2 M mit b < x0 gäbe, dann gibt es ein
N mit
x0 b
8n > N : |bn b| <
.
2
Wegen bn x0 folgt
x0 b
x0 b  bn b <
.
2
Also
x0 < b
Falls b keine kleinste, obere Schranke ist, dann gibt es ein c mit c < b, so dass für
alle x 2 M gilt x  c. Wegen (iv) gibt es ein n 2 N mit c < xn  bn . Also ist c
keine obere Schranke. 2
Lemma 2.6.2 Jede reelle, beschränkte Folge hat einen größten und einen kleinsten
Häufungswert.
Beweis. Nach Satz 2.4.1 hat jede beschränkte Folge eine konvergente Teilfolge. 2
Lemma 2.6.3 Eine reelle, beschränkte Folge konvergiert genau dann, wenn sie
genau einen Häufungswert besitzt.
68
CHAPTER 2. ZAHLEN
Definition 2.6.3 Es sei {xn }n2N eine Folge reeller Zahlen. Wir setzen für k 2 N
yk = sup{xn |k  n} = sup{xk , xk+1 , xk+2 , . . . }.
Der Limes Superior der Folge {xn }n2N ist
lim sup xn = lim yk .
k!1
n!1
Analog setzen wir für k 2 N
zk = inf{xn |k  n} = inf{xk , xk+1 , xk+2 , . . . }.
Der Limes Inferior der Folge {xn }n2N ist
lim inf xn = lim zk .
n!1
k!1
Lemma 2.6.4 Für jede beschränkte Folge existieren Limes Inferior und Limes Superior.
Beweis. Die Folge
k2N
yk = sup{xn |k  n}
ist beschränkt und monoton fallend, also konvergent (Lemma 2.4.5). Also existiert
der Limes Superior. 2
Lemma 2.6.5 Der Limes Superior einer Folge ist der größte Häufungswert der
Folge. Der Limes Inferior ist der kleinste Häufungswert der Folge.
Lemma 2.6.6 Eine Folge konvergiert genau dann, wenn Limes Inferior und Limes
Superior existieren und gleich sind.
Beweis. Wir nehmen an, dass die Folge {xn }n2N , gegen den Grenzwert x konvergiert. Dann gilt
8✏ > 09N 8n N : |xn x| < ✏
bzw.
8✏ > 09N 8n
N: x
✏ < xn < x + ✏.
Wir zeigen, dass der Limes Superior der Folge gleich x ist.
8✏ > 09N 8n
N: x
8✏ > 09N 8n
✏  sup{xk |k
N : |x
sup{xk |k
Man zeigt genauso, dass der Limes Inferior gleich x ist.
n}  x + ✏
n}|  ✏
2.6. SUPREMUM UND INFIMUM
69
Wir nehmen nun an, dass Limes Inferior und Limes Superior der Folge {xn }n2N
existieren und gleich sind. Wir bezeichnen den Limes Superior und Limes Inferior
mit x0 . Dann gilt
8✏ > 09N 8n
8✏ > 09N 8n
N : sup xk
x0 < ✏
k n
N : xn  sup xk < ✏ + x0
k n
Ebenso
8✏ > 09M 8n
8✏ > 09M 8n
M : x0
M : xn
inf xk < ✏
k n
inf xk >
k n
✏ + x0
Wir setzen Ñ = max{N, M }. Dann gilt
8✏ > 09Ñ 8n
Ñ : x0
✏ < xn < x0 + ✏.
Somit
8✏ > 09Ñ 8n
⇤
Ñ : |x0
xn | < ✏.
Beispiel 2.6.2 (i) xn = ( 1)n , n 2 N. Dann gelten
lim sup xn = 1
und
n!1
lim inf xn =
n!1
1.
(ii) xn = n, n 2 N. Dann existieren
lim sup xn
und
n!1
lim inf xn
n!1
nicht.
(iii) xn = n + ( 1)n n, n 2 N. Dann gilt
lim inf xn = 0
n!1
und
lim sup xn existiert nicht.
n!1
Lemma 2.6.7 Es seien {an }n2N und {bn }n2N beschränkte Folgen. Dann gilt
lim sup(an + bn )  lim sup an + lim sup bn .
n!1
n!1
n!1
Es seien {an }n2N und {bn }n2N beschränkte Folgen. Dann gilt
lim inf (an + bn )
n!1
lim inf an + lim inf bn .
n!1
n!1
Beweis.
lim sup(an + bn ) = lim sup{ak + bk |n  k}
n!1
n!1
Weiter gilt
sup{ak + bk |n  k}  sup{ak |n  k} + sup{bk |n  k}
70
CHAPTER 2. ZAHLEN
Wir überlegen uns dies. Es seien ⇠ das Supremum von sup{ak |n  k} und ⌘ das
Supremum von sup{kk |n  k}. Dann gelten für alle k mit n  k
ak  ⇠
und
Also gilt für alle k mit n  k
bk  ⌘.
ak + bk  ⇠ + ⌘.
2
Beispiel 2.6.3 Für die Folgen an = 1 + ( 1)n , n 2 N und bn = 1 + ( 1)n+1 , n 2 N gilt
2 = lim sup(an + bn ) < lim sup an + lim sup bn = 4
n!1
n!1
n!1
Lemma 2.6.8 Seien {an }n2N und {bn }n2N nach oben beschränkte Folgen in [0, 1).
Dann gilt
lim sup(an bn )  lim sup an lim sup bn .
n!1
n!1
n!1
Beweis. Es gilt für alle n 2 N
(2.8)
sup{ak bk |n  k}  sup{ak |n  k} sup{bk |n  k}.
Wir weisen dies nach. Es gelten für alle j mit n  j
aj  sup{ak |n  k}
und
bj  sup{bk |n  k}.
Da für alle j 2 N die Ungleichungen 0  aj und 0  bj gelten, folgt für alle j
n
aj bj  sup{ak |n  k} sup{bk |n  k}
Hiermit folgt (2.8). Weiter folgt
lim sup{ak bk |n  k} 
n!1
lim (sup{ak |n  k} sup{bk |n  k})
⇣
⌘⇣
⌘
=
lim sup{ak |n  k}
lim sup{bk |n  k} .
n!1
n!1
2
n!1
Beispiel 2.6.4 Wir betrachten die Folgen an = 1 + ( 1)n , n 2 N, und bn = 1 + ( 1)n+1 , n 2 N.
Dann gilt
(1 + ( 1)n ) · (1 + ( 1)n+1 ) = 0
und damit
lim sup an bn = 0.
n!1
Andererseits gilt
(lim sup an )(lim sup bn ) = 1.
n!1
n!1
2.7. REIHEN IN R
2.7
71
Reihen in R
Wir stellen hier einige Kriterien zur Konvergenz von Reihen zusammen. Das Wurzelkriterium brauchen wir im Zusammenhang mit Potenzreihen.
Definition 2.7.1 Es sei {xk }k2N eine Folge in R. Wir bezeichnen die von {xk }k2N
erzeugte Folge
n
X
sn =
xk
n2N
k=1
als die unendliche Reihe von {xk }k2N . Wir bezeichnen sn als die n-te Partialsumme
der Reihe. Die Reihe von {xk }k2N heißt konvergent, falls die Folge {sn }n2N konvergiert. Wir schreiben dann für den Grenzwert
1
X
xk .
k=1
Eine Folge konvergiert genau P
dann in R, falls sie eine Cauchy-Folge ist. Für
Reihen bedeutet dies: Eine Reihe 1
n=1 xn konvergiert genau dann, wenn zu jedem
✏ > 0 ein N✏ existiert, so dass für alle n, m N✏ , n < m, die Ungleichung
m
X
xk < ✏
k=n
gilt.
P
n
Die Reihe 1
ist ein klassisches Beispiel. Man kann sich mit Hilfe der
n=0 2
folgenden Anekdote überlegen, dass diese Reihe konvergiert und der Grenzwert 2
ist.
Herkules und eine Schildkröte laufen um die Wette. Die Schildkröte erhält einen
Vorsprung von 1 Kilometer. Herkules läuft doppelt so schnell wie die Schildkröte.
O↵ensichtlich wird die Schildkröte bei Kilometer 2 von Herkules eingeholt.
Andererseits hat die Schildkröte 1 + 12 Kilometer zurückgelegt, wenn Herkules 1
Kilometer gelaufen ist. Wenn Herkules 1 + 12 Kilometer gelaufen ist, dann ist die
Schildkröte 1 + 12 + 14 Kilometer gelaufen. Dieses setzt sich entsprechend fort und
man schließt, dass Herkules die Schildkröte
P nieneinholt.
Wenn die Schildkröte die Strecke 1
2 gelaufen ist, so ist auch Herkules
n=0P
n
diese Strecke gelaufen und man sieht, dass 1
= 2.
n=0 2
Beispiel 2.7.1 (Geometrische Reihe) Für alle x 2 R mit |x| < 1 gilt
1
X
n=0
Diese Reihe heißt geometrische Reihe.
xn =
1
1
x
.
72
CHAPTER 2. ZAHLEN
Lemma 2.7.1 Für alle x 2 R mit |x| < 1 und für alle n 2 N gilt
n
X
xn+1
.
1 x
1
xk =
k=0
Beweis.
(1
x)
n
X
xk =
k=0
2
n
X
n
X
xk
k=0
xk+1 = 1
xn+1
k=0
Beweis von Beispiel 2.7.1. Nach Lemma 2.7.1 gilt
n
X
xk =
1
k=0
xn+1
.
1 x
Nach Beispiel 2.4.9 gilt
lim
n!1
1
xn+1
1
=
1 x
1 x
1
1
lim xn+1 =
x n!1
1
1
x
.
2
Lemma 2.7.2 (Verdichtungskriterium von Cauchy) Es sei an ,P
n 2 N, eine monoton
fallende Folge positiver Zahlen. Dann konvergiert die Reihe 1
n=1 an genau dann,
wenn
1
X
2k a2k
k=1
konvergiert. Außerdem gilt
1
X
k=0
k
2 a2k+1 
1
X
n=1
an 
1
X
2k a2k ,
k=0
falls eine der beiden Reihen konvergiert.
Man nennt dieses Lemma Verdichtungskriterium, weil in der zweiten Reihe sehr
viel weniger Summanden der ersten Reihe auftreten.
P
Beweis. Die Reihe 1
n=1 an konvergiert genau dann, wenn es ein C gibt, so dass
für alle N 2 N
N
X
an  C
n=1
gilt. Dies gilt, weil die Folge der Partialsummen monoton
wachsend und beschränkt
P1
ist (Lemma 2.4.5). Dieselbe Aussage gilt für die Reihe k=0 2k a2k .
Da die Folge monoton fallend ist, gelten für alle k = 0, 1, 2, . . . und alle n mit
2k  n  2k+1 1 die Ungleichungen a2k+1  an  a2k . Deshalb gilt für alle
k = 0, 1, . . .
2k+1
X1
k
2 a2k+1 
an  2k a2k .
n=2k
2.7. REIHEN IN R
73
Hieraus folgt
N
X
k=0
bzw.
Falls
P1
k=0
k+1
2 a2k+1 
N
X
k=0
k
k
N 2X1
X
k=0 n=2k
k
2 a2k+1 
+1 1
2NX
n=1
an 
an 
N
X
2k a2k
k=0
N
X
2k a2k .
k=0
2 a2k konvergiert, dann folgt mit Lemma 2.4.5
1
X
n=1
2
an 
1
X
2k a2k .
k=0
Beispiel 2.7.2 Die Reihe
1
X
1
n
n=1
heißt harmonische Reihe. Sie konvergiert nicht.
Die Reihe heißt harmonisch, weil die Wellenlängen der Obertöne einer schwingenden Saite
jeweils 12 , 13 , 14 ... der Wellenlänge des Grundtons sind.
Es wurde zuerst im 14.ten Jahrhundert von Nicole Oresme beobachtet, dass die harmonische
Reihe divergiert. Dies geriet aber in Vergessenheit. Im 17.ten Jahrhundert wurde dies von Pietro
Mengoli, Johann und Jacob Bernoulli bewiesen.
Beweis. Wir erhalten das Ergebnis unmittelbar aus Lemma 2.7.2. Die Reihe
1
X
k=0
2k
1
X
1
=
1
k
2
k=0
konvergiert nicht.
Wir geben auch noch einen Beweis an, der nicht Lemma 2.7.2 benutzt. Wir zeigen, dass die
Folge der Partialsummen
n
X
1
n2N
k
k=1
keine Cauchy-Folge ist, d.h.
9✏8N 9n, m
Wir wählen ✏ =
1
4
N:
n
X
1
k
✏.
k=m+1
und n = 2m. Dann gilt
2m
X
1
1
1
1
>m
= > = ✏.
k
2m
2
4
k=m+1
2
Beispiel 2.7.3 Man stapelt Dominosteine übereinander und bildet einen halben Torbogen. Alle
Steine werden durch die Schwerkraft im Gleichgewicht gehalten. Welche Strecke kann dieser halbe
Torbogen maximal überspannen, ohne dass Steine aus dem Gleichgewicht geraten?
Antwort: Der Torbogen kann eine beliebig große Strecke überspannen.
74
CHAPTER 2. ZAHLEN
Beweis. Wir benutzen hier eine Formel der Physik. Der Schwerpunkt eines Objektes K wird mit
g(K) bezeichnet. Das Gewicht von K bezeichnen wir mit G(K). Der gemeinsame Schwerpunkt
von n Objekten K1 , . . . , Kn ist
n
X
1
G(Ki )g(Ki ).
i=1 G(Ki ) i=1
Pn
Wir nehmen an, dass das Gewicht eines Dominosteines 1 ist und seine Länge ebenfalls 1. Der Schwerpunkt hat 3 Koordinaten, uns interessiert hier aber nur die Koordinate parallel zur Erdoberfläche
und in Richtung des Torbogens.
Bei der Konstruktion des Torbogens können wir den obersten Stein so positionieren, dass
sich der Mittelpunkt des obersten Steins direkt über dem Endpunkt des darunterliegenden Steins
befindet. Entsprechend soll sich der gemeinsame Schwerpunkt der n obersten Steine direkt über
dem Endpunkt des darunteliegenden Steins befinden.
Wir berechnen nun die Länge der überspannten Strecke vom gemeinsamen Schwerpunkt aller
Steine bis zum Endpunkt des obersten Steines. Wir werden zeigen, dass diese Länge für n Steine
gleich
✓
◆
1
1 1
1
1 + + + ··· +
2
2 3
n
ist.
Wir zeigen dies durch Induktion. Der Induktionsanfang: Der oberste Stein kann zur Hälfte
über den darunterliegenden Stein herausragen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Man gewinnt
also 12 .
Der gemeinsame Schwerpunkt der n obersten Steine liegt nach Induktionsannahme bei
✓
◆
1
1 1
1
1 + + + ··· +
2
2 3
n
Das
der n obersten Steine ist n. Der Schwerpunkt des n + 1-ten Steins liegt bei
PnGewicht
1
1
.
Der
gemeinsame Schwerpunkt der n + 1 obersten Steine liegt bei
k=1 k
2
!!
n
n
n+1
1
nX1
1 1X1
1X1
+
+
=
.
n+1 2
k
2 2
k
2
k
k=1
k=1
k=1
⇤
Beispiel 2.7.4 Die Reihe
1
X
1
2
n
n=1
konvergiert. Der Grenzwert liegt zwischen 1 und 2.
Das Beispiel wird ausführlicher behandelt (Satz 2.4.3).
Beweis. Die Reihe
1
X
2
k
=2
k=0
konvergiert nach Beispiel 2.7.1. Nach Lemma 2.7.2 gilt
1
1
1
X
X
X
1
k 1

2
=
2
n2
22k
n=1
k=0
k=0
Andererseits gilt
1
1
X
1
.
n2
n=1
k
= 2.
1
2
+
2.7. REIHEN IN R
75
Lemma 2.7.3 Es sei {xn }n2N eine Folge reeller Zahlen. Falls die Reihe
konvergiert, dann gilt
lim xn = 0.
P1
n=1
xn
n!1
Beweis. Die Folge
( n
X
xk
k=1
)
n2N
ist konvergent, also insbesondere eine Cauchy-Folge. Es gilt also
n
X
8✏ 9N 8n, m > N :
xk < ✏.
k=m+1
Insbesondere können wir n = m + 1 wählen. Damit erhalten wir
8✏ 9N 8m > N : |xm+1 | < ✏.
2
Lemma 2.7.4 Es seien
r 2 R. Dann gelten
(i)
P1
n=1
1
X
xn und
xn +
n=1
1
X
n=1
P1
n=1
yn Reihen, die in R konvergieren, und
1
X
yn =
(xn + yn )
n=1
(ii)
r
1
X
xn =
n=1
1
X
rxn .
n=1
Beweis. (i)
1
X
xn +
n=1
n=1
Mit Lemma 2.4.3 folgt
1
X
xn +
n=1
⇤
1
X
1
X
n=1
yn = lim
N !1
N
X
xn + lim
N !1
n=1
N
X
yn
n=1
N
1
X
X
yn = lim
(xn + yn ) =
(xn + yn ).
N !1
n=1
n=1
Lemma 2.7.5 (Leibniz) Es sei {xn }n2N eine Folge positiver, reeller Zahlen, die
monton fallend ist und gegen 0 konvergiert, d.h.
lim xn = 0
n!1
und
Dann konvergiert
1
X
( 1)n xn .
n=1
xn
xn+1 für n 2 N.
76
CHAPTER 2. ZAHLEN
Beweis. Wir zeigen, dass
(2n 1
)
X
( 1)k xk
k=1
n2N
eine monoton wachsende, beschränkte Folge ist und
( 2n
)
X
( 1)k xk
k=1
n2N
eine monoton fallende, beschränkte Folge ist. Wir prüfen nach, dass die erste Folge
monoton wachsend ist. Da x2k x2k+1 gilt, folgt für alle n = 0, 1, . . .
2n
X1
k=1
k
( 1) xk 
2n
X1
k
( 1) xk + (x2k
x2k+1 ) =
k=1
2n+1
X
( 1)k xk .
k=1
Genauso überprüft man, dass die zweite Folge monoton fallend ist. Außerdem gilt
für alle n, m = 1, 2, . . .
2n
2m
X1
X
k
( 1) xk 
( 1)k xk .
k=1
k=1
Dazu wählen wir N = max{n, m}. Es gilt
2N
X1
2N
X
( 1) xk 
( 1)k xk .
k=1
k
k=1
Da die eine Folge monoton wächst und die andere monoton fällt, gelten
2n
X1
k=1
( 1)k xk 
2N
X1
( 1)k xk
und
k=1
2N
2m
X
X
( 1)k xk 
( 1)k xk .
k=1
k=1
Also gilt für alle n, m 2 N
2n
X1
k=1
2m
X
( 1) xk 
( 1)k xk .
k
k=1
Hieraus folgt
x1 
2n
X1
k=1
2m
X
( 1) xk 
( 1)k xk 
k
x1 + x2 .
k=1
Also sind beide Folgen beschränkt. Damit sind beide Folgen konvergent. Es bleibt
zu zeigen, dass sie gegen denselben Grenzwert konvergieren. Mit Lemma 2.7.4 folgt
2n
X
lim
( 1)k xk
n!1
k=1
lim
n!1
2n
X1
( 1)k xk = lim x2n = 0.
k=1
n!1
2.7. REIHEN IN R
77
Es sei s der Grenzwert der Folge der Partialsummen
2X̀
s2` =
( 1)k xk
k=1
bzw.
s2`
1
=
2`
X1
( 1)k xk .
k=1
Dann gelten
8✏ > 09N✏1 8`
N✏1 : |s
s2` | < ✏
und
8✏ > 09N✏2 8`
N✏2 : |s
s2` 1 | < ✏.
Hieraus folgt
8✏ > 09N✏ 8n
N✏ : |s
sn | < ✏.
2
Beispiel 2.7.5 Die Reihen
1
X
( 1)n
n
n=1
1
X
( 1)n
p
n
n=1
und
sind konvergent.
Die erste Reihe heißt alternierende, harmonische Reihe. Man kann sogar ihren Grenzwert bestimmen, es gilt
1
X
( 1)n
= ln 2.
n
n=1
Dies kann man aus der Taylorreihe des Logarithmus herleiten (Beispiel 5.16.1).
Definition
2.7.2 Wir sagen, dass eine Reihe
P1
n=1 |xn | konvergiert.
P1
n=1
xn absolut konvergiert, falls
Es gibt Reihen, die konvergieren und die nicht absolut konvergieren. Ein Beispiel
dafür ist
1
X
( 1)n
n
n=1
Lemma 2.7.6 Falls eine reelle Reihe absolut konvergent ist, so ist sie auch konvergent.
Beweis. Es sei
P1
k=1
xk eine absolut konvergente Reihe. Wir zeigen, dass die Folge
( n
)1
X
xk
k=1
n=1
78
CHAPTER 2. ZAHLEN
eine Cauchy-Folge ist. Da die Reihe absolut konvergent ist, ist
( n
)1
X
|xk |
k=1
n=1
eine Cauchy-Folge. Also
n
X
8✏ > 09N 8n, m > N :
k=m+1
|xk | < ✏.
Mit der Dreiecksungleichung folgt
n
X
8✏ > 09N 8n, m > N :
xk < ✏.
k=m+1
2
Beispiel 2.7.6 Es gibt eine Reihe in Q, die nicht in Q konvergiert, aber absolut in Q konvergiert.
1
n!
Beweis. Wir betrachten die Folge x2n =
+
1
2n
1
X
und x2n+1 =
1
n!
1
2n .
Dann gilt
xk = e
k=0
Aber für n
4 gilt n!
2n und somit
|
Deshalb
1
n!
1
X
k=8
2
1
1
|= n
2n
2
|xk | =
1
n!
1
X
1
n
2
n=8
Lemma 2.7.7 (Majorantenkriterium) P
Es seien {xn }n2N und {yn }n2N zwei Folgen
nichtnegativer Zahlen. Es konvergiere 1
n=1 xn und für alle n 2 N gelte yn  xn .
Dann konvergiert auch
1
X
yn .
n=1
Beweis. Wir zeigen, dass
eine Cauchy-Folge ist. Da
P1
n=1
( n
X
k=1
yk
)1
n=1
xn konvergiert, gilt
8✏ > 09N 8n, m > N :
n
X
k=m+1
xk < ✏.
2.7. REIHEN IN R
79
Wegen
0
folgt
n
X
k=m+1
yk 
n
X
xk
k=m+1
8✏ > 09N 8n, m > N :
n
X
yk < ✏.
k=m+1
2
Lemma 2.7.8 (Quotientenkriterium) Es seien 0 < ✓ < 1 und {xn }n2N eine Folge
reeller Zahlen, so dass für alle n 2 N die Ungleichungen xn 6= 0 und
xn+1
✓
xn
gelten. Dann konvergiert
1
X
xn .
n=1
Man beachte, dass die Zahl ✓ nicht von n abhängt. Siehe dazu das Beispiel
2.7.7. Man kann auch zeigen, dass die Ungleichung xxn+1
 1, n 2 N, die Divergenz
n
impliziert.
P
Beweis. Wegen Lemma 2.7.6 reicht es zu zeigen, dass 1
n=1 |xn | konvergiert. Wir
zeigen durch Induktion, dass für alle n 2 N
|xn |  |x1 |✓n
1
gilt.
Es gilt |x2 |  |x1 |✓. Wir führen nun den Induktionsschritt durch. Falls |xn | 
|x1 |✓n 1 , so folgt
|xn+1 |  |xn |✓  |x1 |✓n
Damit istP{|x1 |✓n 1 }n2N eine Majorante von {|xn |}n2N . Wegen Beispiel P
2.7.1 kon1
n 1
vergiert n=1 |x1 |✓
und damit nach dem Majorantenkriterium auch 1
n=1 |xn |.
2
Beispiel 2.7.7 Man beachte, dass man das Quotientenkriterium nicht auf die Reihe
wenden kann. Zwar gilt für alle n 2 N, dass
1
n+1
1
n
=
P1
1
n=1 n
n
<1
n+1
gilt, aber es gibt kein ✓ < 1, so dass für alle n 2 N
n
✓
n+1
gilt. Ebenso kann man das Quotientenkriterium nicht auf die Reihe
P1
1
n=1 n2
anwenden.
an-
80
CHAPTER 2. ZAHLEN
P
Lemma 2.7.9 (Wurzelkriterium) Die Reihe 1
n=1 xn konvergiert absolut, falls der
1
Limes Superior der Folge {|xn | n }n2N existiert und
1
lim sup |xn | n < 1.
n!1
1
Die Reihe divergiert, falls der Limes Superior der Folge {|xn | n }n2N nicht existiert
oder falls er existiert und
1
lim sup |xn | n > 1
n!1
gilt. (Falls der Limes Superior gleich 1 ist, so können beide Fälle auftreten.)
P
n
Das Wurzelkriterium ist eine Verallgemeinerung der Aussage, dass 1
n=1 q konvergiert, falls |q| < 1 gilt, und die Reihe divergiert, falls |q| > 1. Falls nämlich
1
|xn | < q n bzw. |xn | n < q gilt, so erhalten wir
1
X
|xn | 
n=1
1
X
n=1
q n < 1.
Das Wurzelkriterium ist ein relativ grobes Kriterium, das in komplizierteren Fällen
wie z.B.
1
X
1
n(ln n)2
n=2
versagt. Das Integralkriterium ist ein feineres Mittel. Für die Zwecke, die wir hier
betrachten, reicht uns das Wurzelkriterium.
Beweis. Wir betrachten den Fall
✓
◆
1
k
lim sup |xn | = lim sup |xk |
= c < 1.
1
n
n!1
n!1
nk
Dann gilt
8✏ > 0 9N 2 N 8n > N :
Wir wählen nun ✏ =
1
(1
2
1
|c
sup |xk | k | < ✏.
k n
c) und setzen q = c + ✏ =
9N 2 N 8n > N :
|c
1+c
2
< 1. Es folgt
1
sup |xk | k | < ✏ = 12 (1
c).
k n
Hieraus folgt
9N 2 N 8n > N :
Somit erhalten wir
1
sup |xk | k < c + 12 (1
c) =
k n
1
9N 2 N 8n > N : |xn | n  q
und somit
9N 2 N 8n > N : |xn |  q n .
1+c
= q.
2
2.7. REIHEN IN R
81
P
P
n
Also ist die Reihe 1
für die Reihe 1
n=1 q eine MajoranteP
n=1 |xn |. Nach Beispiel
1
n
2.7.1 konvergiert die geometrische Reihe n=1 q . Es bleibt das Majorantenkriterium anzuwenden (Lemma 2.7.7).
1
Falls der Limes Superior der Folge {|xn | n }n2N nicht existiert, dann ist die Folge
unbeschränkt und es gibt eine Teilfolge von {xn }n2N , die nicht gegen 0 konvergiert.
Nach Lemma 2.7.3 divergiert die Reihe.
1
Wir betrachten nun den Fall, dass der Limes Superior der Folge {|xn | n }n2N
existiert und dass
1
lim sup |xn | n = c > 1.
n!1
Dann gilt
8✏ > 0 9N 2 N 8n > N :
Wir wählen ✏ = 12 (c
1) und q = c
c
k n
✏ = 12 c +
9N 2 N 8n > N :
1
sup |xk | k < ✏.
1
2
> 1. Damit gilt
1
sup |xk | k < 12 (c
c
1)
k n
und
9N 2 N 8n > N :
1
1 < q < sup |xk | k .
k n
Weiter folgt
1
9N 2 N 8n > N 9k > n :
1 < q  |xk | k .
Deshalb gibt es eine Teilfolge von xn , n 2 N, die nicht gegen 0 konvergiert.
P1 Somit
konvergiert die Folge xn , n 2 N, selbst nicht gegen 0 und die Reihe n=1 xn divergiert. 2
Joseph Ludwig Raabe (15.5.1801-22.1.1859) war schweizer Mathematiker.
Lemma 2.7.10 (Raabe-Kriterium) (i) Es sei {an }n2N eine Folge strikt positiver,
reeller Zahlen. Es gebe ein c > 1 und ein n0 2 N, so dass für alle n n0
(2.9)
an+1
1
an
c
n
gilt. Dann konvergiert die Reihe
1
X
an .
n=1
(ii) Es sei {an }n2N eine Folge strikt positiver, reeller Zahlen. Falls es ein n0 gibt,
so dass für alle n n0
(2.10)
gilt, dann divergiert die Reihe.
an+1
an
1
1
n
82
CHAPTER 2. ZAHLEN
Beweis. (i) Aus (2.9) folgt sofort, dass für all n
n0
(2.11)
nan+1
(c
1)an  (n
1)an
gilt. Da c > 1 gilt, so folgt
0 < (n
1)an
nan+1
und damit
(n
1)an < nan+1 .
Also ist die Folge {nan+1 }1
n=n0 monoton fallend. Außerdem ist sie nach unten durch
0 beschränkt. Deshalb konvergiert die Folge {nan+1 }1
n=n0 . Wir bezeichnen den
Grenzwert mit ↵.
Wir zeigen nun, dass die Reihe
1
X
(2.12)
((n
1)an
nan+1 )
n=n0
kovergiert. Wir betrachten die Partialsummen
sN =
N
X
((n
1)an
nan+1 ) = (n0
1)an0
N aN +1
n=n0
Die letzte Gleichung gilt, weil die Partialsummen Teleskopsummen sind. Es folgt
1
X
((n
1)an
nan+1 ) = lim sN = (n0
N !1
n=n0
1)an0
Wegen (2.11) ist die Reihe (2.12) eine Majorante für die Reihe
(ii) Aus (2.10) folgt sofort für alle n n0
(n
↵.
P1
n=n0 (c
1)an .
1)an  nan+1 .
Deshalb ist die Folge {nan+1 }1
n=n0 monoton wachsend und für alle n mit n
n0 gilt
n0 an0 +1  nan+1
und somit
Die Reihe
P1
1
n=1 n
n0 an0 +1
 an+1 .
n
konvergiert nicht, also konvergiert die Reihe
Beispiel
P1 1 2.7.8 Man kann mit dem Raabe-Kriterium nachweisen, dass
n=1 n2 konvergiert.
P1
n=1
P1
an nicht. 2
1
n=1 n
divergiert und
2.7. REIHEN IN R
83
Beweis. Statt der Reihe
P1
1
n=1 n
1
n
1
n
=
n 1
und
1
(n+1)2
1
n2
Für n
=
n2
=1
(n + 1)2
1
1
n
=1
n
P1
1
n=2 n 1 .
betrachten wir die Reihe
Es gelten
3
2n
+ 32
=1
(n + 1)2
2n + 1
1
(n + 1)2
3
2
n+1
.
5 gilt
Also gilt für alle n
3
2
5
4
n+1
n
.
5
1
(n+1)2
1
n2
5
4
1
n
.
Lemma 2.7.11 (Cauchy-Produkt) Es seien
vergente Reihen. Dann konvergiert auch
P1
2
1
n 1
X
X
(2.13)
n=2
n=1
xk yn
k=1
k
P1
xn und
n=1
!
yn zwei absolut kon-
und es gilt
(2.14)
1
X
xn
n=1
!
1
X
yn
n=1
!
=
1
n 1
X
X
n=2
xk yn
k=1
k
!
.
Dieser Satz gilt auch schon für den Fall, dass eine der Reihen absolut konvergiert
und die andere konvergiert, also nicht notwendig absolut konvergiert. Diese Verallgemeinerung geht auf Mertens zurück.
Den Ausdruck (2.13) bezeichnet man als Cauchy-Produkt. Man beachte, dass
sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite der Gleichung (2.14) sämtliche
Produkte xi yj , i, j 2 N aufsummiert werden. Sie sind auf den verschiedenen Seiten
in verschiedener Reihenfolge
P1 aufsummiert.
P
Wenn man Reihen n=0 xn und 1
n=0 yn betrachtet, dann nimmt die Gleichung
(2.14) die Form
! 1 !
!
1
1
n
X
X
X
X
(2.15)
xn
yn =
xk yn k
n=0
n=0
n=o
k=0
an.
Mit Lemma 2.7.11 kann man die Gleichung ex+y = ex ey beweisen.
Beweis. Wir zeigen, dass
( n
! n
!
X
X
xk
yk
k=1
k=1
n
k 1
X
X
k=2
`=1
x` yk
`
!)
n2N
84
CHAPTER 2. ZAHLEN
eine Nullfolge ist. Es gilt
n
X
xi
i=1
n
X
=
!
n
X
yk
k=1
!
k=2
n
k 1
X
X
xi yj
i,j=1
k=2
n
k 1
X
X
x` yk
`
`=1
x` yk
`
`=1
!
=
!
n
X
xi yj
(i,j)2I
wobei
I = {(i, j)|0  i, j  n und n < i + j}
P
Die letzte Gleichung ergibt sich wie folgt. In der Summe ni,j=1 xi yj treten alle
Produkte xi yj mit 1  i, j  n auf. Von diesen müssen alle jene eliminiert werden,
die in der zweiten Summe auftreten. Dies sind alle Produkte xi yj mit i + j = k und
1  k  n. Es gilt
n
o n
o
n
n
I ✓ (i, j) 1  i  n und
 j  n [ (i, j) 1  j  n und
in .
2
2
n
n
Dies ist richtig, weil aus i + j n folgt, dass i
oder j
gilt. Hiermit folgt
2
2
weiter
!
!
!
n
n
n
k 1
X
X
X
X
xk
yk
x` yk `
k=1

=
X
(k,j)2I
n
X
k=1
k=1
|xk yj | 
X
1kn
n jn
2
k=2
`=1
|xk yj | +
1
!0
X
|xk | @
|yj |A +
n
jn
2
X
1jn
n kn
2
n
X
j=1
|xk yj |
1
!0
X
|yj | @
|xk |A
n
kn
2
Da die beiden Reihen absolut konvergieren, folgt
!
!
!
n
n
n
k 1
X
X
X
X
xk
yk
x` yk `
k=1

k=1
k=2
0
1 `=1
1
!
!0
1
1
X
X
X
X
|xk | @
|yj |A +
|yj | @
|xk |A
n
jn
2
k=1
n
kn
2
j=1
Außerdem gibt es zu jedem ✏ ein N✏ , so dass für alle n, m N✏
n
n
X
X
|xk | < ✏
und
|xk | < ✏
k=m+1
k=m+1
gelten. Also gibt es ein N✏ , so dass für alle n N✏
!
!
!
n
n
n
k 1
X
X
X
X
xk
yk
x` yk `

k=1
1
X
k=1
!k=1
|xk | ✏ +
k=2
1
X
j=1
!
|yj | ✏
`=1
2.7. REIHEN IN R
85
gilt. Also
n
X
lim
n!1
xk
k=1
!
n
X
yk
k=1
Hiermit folgt nun (2.14). 2
!
n
k 1
X
X
k=2
x` yk
`=1
`
!!
= 0.
Beispiel 2.7.9 Es sei
( 1)n
xn = p
n
Dann konvergiert
P1
n=1
n2N
xn , aber das Cauchy-Produkt
1
X
n
X1
n=2
xk xn
k
k=1
!
divergiert.
Beweis. Es gilt
n
X1
xk xn
=
k
k=1
n
X1
k=1
Für alle k mit 1  k  n 1 gilt
p p
p
k n k n
p
1 n
( 1)n
p p
.
k n k
k
p
n
p
1 n
1=n
1.
Daher folgt
n
X1
xk xn
k
=
k=1
n
X1
k=1
1
p p
k n
n
X1
k
k=1
1
n
1
= 1.
Nach Lemma 2.7.3 konvergieren die Summanden einer konvergenten Reihe gegen 0. Dies liegt hier
nicht vor. 2
Beispiel 2.7.10 Es gelten
1
(1
x)2
=
1
X
nxn
1
1
und
x)3
(1
n=1
=
1
X
(n + 1)(n + 2) n
x .
2
n=0
Weiter gilt
1
X
n2
.
2n
n=1
Wir wollen hier das Cauchy-Produkt verwenden, um die Reihen zu berechnen. Man kann dies
natürlich auch machen, indem man die Reihen di↵erenziert.
Beweis. Es gilt nach Vorlesung
1
1
x
=
1
X
xn
n=0
Es folgt
1
(1
x)2
=
1
X
n=0
n
x
!2
86
CHAPTER 2. ZAHLEN
Wir setzen ak = xk und bn
k
= xn
n
X
k
. Mit dem Cauchy-Produkt folgt
ak bn
k
=
k=0
n
X
xk xn
k
k=0
Weiter folgt
1
(1
Für x =
1
2
x)2
=
1
n
X
X
n=0
ak bn
Also
k=0
=
1
X
(n + 1)xn
n=0
1
1
1
X
X
X
n+1
n+1
n
=
4
=
4
n
n+2
n+1
2
2
2
n=0
n=0
n=1
(2.16)
1=
1
X
k
(k + 1)x
k=0
!
1
X
k
x
k=0
!
=
=
1
X
n
.
n+1
2
n=1
1 X
n
X
((k + 1)xk xn
n=0 k=0
1
n
X
X
n
x
n=0
1
2
k
!
ergibt sich
4=
Für x =
= (n + 1)xn
(k + 1) =
k=0
k
)
1
X
(n + 1)(n + 2) n
x
2
n=0
folgt
8 =
=
=
1
(1
1 3
2)
=
1
1
X
(n + 1)(n + 2) X n2 + 3n + 2
=
2n+1
2n+1
n=0
n=0
1
1
1
X
X
X
n2
3n
2
+
+
n+1
n+1
n+1
2
2
2
n=0
n=0
n=0
1
X
n2
+3+2
n+1
2
n=0
Es folgt
Es folgt weiter
2
1
X
n2
= 3.
2n+1
n=0
1
X
n2
= 6.
2n
n=0
Wir haben bereits in Beispiel 1.5.1 gezeigt, dass es unendlich viele Primzahlen
gibt. Das P
folgende Beispiel liefert einen weiteren Beweis hierfür. Wir nutzen dabei
1
aus, dass 1
n=1 n divergiert.
Beispiel 2.7.11 Es gibt unendlich viele Primzahlen
Beweis. Es gibt
P1verschiedene Beweise, wir stellen hier einen Beweis von [96] dar, der benutzt,
dass die Reihe n=1 n1 nicht konvergiert.
2.8. BEDINGT KONVERGENTE REIHEN - SATZ VON RIEMANN
87
Wir nehmen an, dass es nur endlich viele Primzahlen p1 , . . . , pk gibt. Dann gibt es zu jedem
n 2 N natürliche Zahlen `1 , . . . , `k mit
n = p`11 · · · p`kk
Somit folgt
1
1
X
X
1
=
n m=1
n=1
Da 2  pi
Damit würde
P1
1
n=1 n
1
1
X
X
1

n m=1
n=1
X
1
`1
p
·
· · p`kk
`1 +···+`k =m 1
X
`1 +···+`k =m
1
X
1
mk
=
<1
2m m=1 2m
konvergieren, was nicht richtig ist. 2
Beispiel 2.7.12 [65]
p
X
Primzahl
1
=1
p
Aus diesem Ergebnis folgt auch, dass es unendlich viele Primzahlen gibt.
Wir werden dieses Beispiel später behandeln, wenn wir die notwendigen Hilfsmittel wie Logarithmus und Integral bereit gestellt haben (Beispiel 3.6.4).
2.8
Bedingt konvergente Reihen - Satz von Riemann
In diesem Abschnitt geht es darum, den Umordnungssatz von Riemann zu beweisen.
Eine Permutation von N ist eine bijektive Abbildung von N auf sich.
P
Satz 2.8.1 (Riemann) Es sei n2N xn eine konvergente Reihe, die nicht absolut
konvergiert. Dann existiert für jedes x 2 R eine Permutation ⇡, so dass
X
x=
x⇡(n) .
n2N
Definition 2.8.1 Wir sagen, dass eine Reihe
für jede Permutation ⇡ von N die Reihe
1
X
n=1
konvergiert.
x⇡(n)
P1
n=1
xn unbedingt konvergiert, falls
88
CHAPTER 2. ZAHLEN
P
Lemma 2.8.1 Es sei
n2N xn eine konvergente, aber nicht absolut konvergente
Reihe. {pk }k2N sei die Folge natürlicher Zahlen, so dass xpk die k-te nichtnegative
Zahl der Folge {xn }n2N ist. Entsprechend seien {nk }k2N die Indices der negativen
Folgenglieder: xnk ist die k-te negative Zahl. Dann divergieren die Reihen
X
X
xnk
und
xpk .
k2N
k2N
Beweis.
Wir zeigen,
dass die Reihe absolut konvergiert, falls eine der beiden Reihen
P
P
x
und
x
konvergiert. Dazu überlegt man sich zunächst, dass beide
k
k
k2N nP
k2N pP
ReihenP k2N xnk und k2N xpk konvergieren, wenn nur eine konvergiert, weil die
Reihe n2N xn konvergiert.
P
P
Wir können also annehmen, dass beide Reihen
k2N xnk und
k2N xpk konvergieren.
Nun betrachten wir die Reihen
X
X
x0n
und
x00n ,
n2N
die durch
x0n
=
⇢
n2N
xn xn 0
0 xn < 0
x00n
=
⇢
xn xn < 0
0 x 0
gegeben sind. Falls diese beiden Reihen konvergieren, dann konvergiert auch
X
X
X
X
xn =
x0n
x00n =
|xn |.
n2N
P
n2N
n2N
n2N
P
P
P
Wir zeigen nun, dass n2N x0n und n2N x00n konvergieren,
falls k2N xnk und k2N xpk
Pm 0
konvergieren. Die Folge der Partialsummen n=1 xn , m 2 N, ist monoton wachsend
und es gilt für alle m 2 N
m
X
X
x0n 
xpk .
n=1
k2N
Damit ist diePFolge der Partialsummen
auch beschränkt und somit konvergent. Also
P
konvergiert n2N x0n . Für n2N x00n wird der Beweis genauso geführt. 2
Lemma 2.8.2 Eine Reihe ist genau dann unbedingt konvergent, wenn sie absolut
konvergent ist.
P
Falls eine Reihe 1
n=1 xn unbedingt konvergiert, dann gilt für alle Permutationen
⇡
1
1
X
X
xn =
x⇡(n) .
n=1
n=1
Beweis. Wir nehmen an, dass die Reihe absolut konvergiert, also
8✏ > 09N 8n, m > N :
n
X
k=m
|xk | < ✏.
2.8. BEDINGT KONVERGENTE REIHEN - SATZ VON RIEMANN
89
Wir wählen nun N 0 so groß, dass
{k|1  k  N } ✓ {⇡(k)|1  k  N 0 }.
Dann folgt
8✏ > 09N 0 8n, m > N 0 :
n
X
k=m
x⇡(k) 
n
X
k=m
|x⇡(k) | < ✏.
Also konvergiert die Reihe unbedingt.
Wir zeigen nun, dass die Reihe nicht unbedingt konvergiert, wenn sie nicht absolut konvergiert. Falls die Reihe nicht
dann divergieren nach
P absolut konvergiert,
P
Lemma 2.8.1 die beiden Teilreihen k2N xnk und k2N xpk .
Wir wählen mj 2 N mit 1 = m1 < m2 < · · · und
mj+1 1
X
xpi
1.
i=mj
Für j = 1, 2, 3, . . . wählen wir ⇡(mj +j
(2.17)
1) = nj und für i = mj +j, . . . , mj+1 +j
1
⇡(i) = pi j .
Wir überzeugen uns davon, dass ⇡ eine Permutation ist. Wir zeigen, dass ⇡ surjektiv
ist. Dazu beachten wir, dass N = {nk |k 2 N}[{pk |k 2 N}. Wegen ⇡(mj +j 1) = nj
für j 2 N werden alle Elemente in {nk |k 2 N} getro↵en. Wegen (2.17) werden für
festes j die Indices pmj , . . . , pmj+1 1 getro↵en.
Dann gilt
mj+1 +j 1
mj+1 +j 1
mj+1 1
X
X
X
x⇡(i) =
xpi j =
xpi 1.
i=mj +j
i=mj +j
P
i=mj
Somit konvergiert die Reihe n2N x⇡(n) nicht.
Wir zeigen nun, dass für alle Permutationen ⇡
1
X
xn =
n=1
1
X
x⇡(n)
n=1
P
gilt. Wir
⇡ die Reihe 1
n=1 x⇡(n) absolut konvergiert,
P1überlegen uns, dass für alleP
1
wenn
x
absolut
konvergiert.
x
konvergiert
genau dann absolut,
n=1 n
n=1
P1⇡(n)
wenn für alle Permutationen die Reihe n=1 x ⇡(n) konvergiert. Dies gilt aber,
weil
⇡ eine Permutation ist.
Wir zeigen, dass
1
X
(xn x⇡(n) ) = 0
n=1
gilt. Für alle ✏ > 0 existiert ein N , so dass für alle k
1
X
n=k
|xn | < ✏
N
90
CHAPTER 2. ZAHLEN
gilt. Nun wählen wir N 0 so groß, dass {1, . . . , N } ✓ {⇡(1), . . . , ⇡(N 0 )}.
0
N
X
(xn
0
x⇡(n) ) =
n=1

n=N +1
|xn | +
X
X
xn
x⇡(n)
{n|1nN 0 ,⇡(n)>N }
n=N +1
0
N
X
N
X
{n|1nN 0 ,⇡(n)>N }
|x⇡(n) | 
1
X
n=N +1
|xn | +
1
X
n=N +1
|xn |  2✏.
2
Beweis von Satz 2.8.1. Wir betrachten zuerst den Fall, dass x
Lemma 2.8.1. Wir wählen m1 , so dass
m
1 1
X
k=1
xpk  x <
m1
X
0. Wir benutzen
xpk .
k=1
Entsprechend sind die ersten m1 Indices unserer Folge p1 , . . . , pm1 . Nun wählen wir
`1 , so dass
m1
`1
m1
`1
X
X
X
X
xpk +
xnk < x 
xpk +
xnk 1 .
k=1
k=1
k=1
k=1
Die nächsten Indices `1 unserer Folge sind n1 , . . . , n`1 2
2.9
Das Problem von Basel
(Euler und die Springbrunnen von Sanssouci [31])
Pietro Mengoli (1625-1686) stellte das Problem im Jahr 1644, den Grenzwert der
Reihe
1
X
1
n2
n=1
zu finden. Das Problem wurde bekannt, als Jakob Bernoulli im Jahr 1689 darüber
berichtete. Es stellte sich heraus, dass es ein sehr schwieriges Problem ist. Bis in
die 1730er Jahre hatten die besten Mathematiker der Zeit versucht, es zu lösen.
Euler hat zunächst den Grenzwert der Reihe auf 6 Stellen hinter dem Komma
genau berechnet. Später war erin der Lage, die Zahl auf 17 Stellen genau zu berechnen. Da Euler sehr gut rechnen konnte, vermutet man, dass er erkannt hat, dass die
2
Zahl ⇡6 sein sollte. Im Jahr 1735 fand er einen Beweis dafür.
Satz 2.9.1 [36]
1
X
1
⇡2
=
n2
6
n=1
2.10. P-ADISCHE ENTWICKLUNGEN REELLER ZAHLEN
91
Beweise hierfür findet man in [19], [21], [55], [49], [59], [90] [108], [113] und [37],
p.87. Man kann dieses Ergebnis mit Hilfe des Residuenkalküls beweisen. Jakob
Bernoulli (1654- 1705) leitete im Jahr 1689 die Aufmerksamkeit auf dieses Problem.
Leibniz behauptete bei einem Besuch in London, dass er den Grenzwert jeder Reihe
berechnen könne. Daraufhin zeigte man ihm diese Reihe und er konnte den Grenzwert nicht berechnen. Euler löste das Problem im Jahr 1735 [Dun]. Eulers Methode
funktioniert für geradzahlige Exponenten. So lässt sich zeigen, dass
1
X
1
⇡4
=
n4
90
n=1
Der Grenzwert der Reihe
und
1
X
1
⇡6
=
.
n6
945
n=1
1
X
1
n3
n=1
ist nicht bekannt. 1978 zeigte Roger Apéry, dass der Grenzwert eine irrationale Zahl
ist [29].
2.10
p-adische Entwicklungen reeller Zahlen
Unter der Dezimalbruchdarstellung einer reellen Zahl versteht man eine Folge von
natürlichen Zahlen zwischen 0 und 9, z.B.
154, 14879...
Diese Folge kann abbrechen. Wir wollen hier eine Definition für diese Dezimalbruchdarstellung geben. Die Dezimalbruchdarstellung entspricht der unendlichen
Reihe
1
4
8
1 · 100 + 5 · 10 + 4 +
+
+
+ ···
10 100 1000
Allgemein entspricht der Zahl
nk nk+1 . . . n0 , n1 n2 n3 . . .
die Reihe
1
X
ni
10i
i=k
wobei k 2 Z gilt. k kann also durchaus negative Werte annehmen, wie dies bei dem
Beispiel der Fall ist.
Zunächst ist nicht klar, dass jede reelle Zahl eine Dezimalbruchdarstellung besitzt. Das wird in diesem Abschnitt bewiesen. Wir beschränken uns allerdings nicht
nur auf Dezimalbruchdarstellungen, sondern wir behandeln hier allgemeine p-adische
Darstellungen.
92
CHAPTER 2. ZAHLEN
Satz 2.10.1 Es sei p 2 N mit p
2 und k 2 Z. {xn }1
n=k sei eine Folge von
natürlichen Zahlen zwischen 0 und p 1. Dann konvergiert
1
X
xn
n=k
pn
in R.
Umgekehrt gibt es für jede reelle, positive Zahl x eine solche Folge {xn }1
n=k , so
dass
1
X
xn
x=
pn
n=k
Beweis. Nach Beispiel 2.7.1 wissen wir, dass
8✏ > 09N 8n, m
Somit folgt wegen x` < p für alle n, m
n
X
x`
`=k
p`
m
X
x`
`=k
p`
=
Damit ist
n
X
N:
p
`+1
<✏
`=m+1
N
n
n
n
X
X
X
x`
x`
1
=
<
<✏
`
`
`
1
p
p
p
`=m+1
`=m+1
`=m+1
( n
)
X x`
`=k
p`
n2N
eine Cauchy-Folge und konvergent.
Wir zeigen nun, dass jede positive, reelle Zahl eine solche Darstellung besitzt.
Mit [x] bezeichnen wir die größte ganze Zahl, die kleiner oder gleich x ist. Falls
x = 0, dann können wir als Darstellung die Nullfolge wählen.
Wir nehmen nun an, dass 0 < x gilt. Wir bestimmen k 2 Z, so dass
1
1
x< k 1
k
p
p
gilt und setzen
xk = [xpk ]
Restk (x) = x
xk
pk
Eine solche Zahl k existiert: Da die Folge p1j , j 2 N, gegen 0 konvergiert, gibt es
ein j mit p1j  x. Nun nehmen wir als k das Minimum von allen Zahlen j 2 Z mit
1
 x.
pj
Weiter setzen wir für n = k, k + 1, . . .
xn+1 = [Restn (x)pn+1 ]
Restn+1 (x) = Restn (x)
xn+1
pn+1
2.10. P-ADISCHE ENTWICKLUNGEN REELLER ZAHLEN
Wir stellen fest, dass xn 2 {0, 1, . . . , p
93
1} und
0  Restn (x) <
1
.
pn
Wir zeigen dies für n = k. Es gilt
Da 0  xpk
[xpk ]
1
= k xpk
k
p
p
xk
=x
pk
Restk (x) = x
[xpk ] .
[xpk ] < 1, folgt
0  Restk (x) <
1
.
pk
Nun für n > k. Es gilt
=
Da 0  Restn (x)pn+1
1
Restn (x)pn+1
pn+1
[Restn (x)pn+1 ]
pn+1
xn+1
= Restn (x)
pn+1
Restn+1 (x) = Restn (x)
[Restn (x)pn+1 ] .
[Restn (x)pn+1 ] < 1, folgt
0  Restn+1 (x) <
Wir zeigen nun, dass für alle n 2 Z mit n
x=
n
X
x`
`=k
p`
1
pn+1
.
k
+ Restn (x).
Es gilt
xk
+ Restk (x).
pk
Wir führen nun den Induktionsschritt durch.
x=
x=
n
X
x`
`=k
p`
+ Restn (x) =
n
X
x`
`=k
p`
+
xn+1
+ Restn+1 (x)
pn+1
Hieraus folgt nun
x
n
X
x`
`=k
2
p`
= |Restn (x)| <
1
.
pn
Für p = 10 ist die unendliche Summe gerade die Dezimalbruchdarstellung von
x. Für p = 2 erhält man die dyadische Darstellung. Man beachte, dass diese
Darstellungen nicht eindeutig sind.
1
X
p
n=0
1
pn
= (p
1
X
1
1)
= (p
pn
n=0
1)
1
1
1
p
=p
94
CHAPTER 2. ZAHLEN
Wir erhalten z.B. für p = 10, dass 9, 999 · · · = 10, und für p = 2, dass 1, 111 · · · = 10.
2 in der dyadischen Darstellung geschrieben ist 10. Allgemeiner lässt sich sagen, dass
sich eine reelle Zahl durch genau eine p-adischen Entwicklung darstellen lässt, bei
der nicht fast alle Zi↵ern gleich p 1 sind. ”Fast alle” bedeutet ”bis auf endlich
viele”.
Bemerkung 2.10.1 (i) Jede reelle Zahl lässt sich durch genau einen p-adischen
Bruch darstellen, bei dem nicht fast alle Zi↵ern gleich p 1 sind.
(ii) Eine reelle Zahl ist genau dann rational, wenn ihre p-adische Entwicklung periodisch ist, d.h. es gibt ein m 2 N und ein `0 2 N, so dass für alle ` `0
xm+` = x`
gilt.
Beispiel hierfür sind die folgenden Dezimalbruchdarstellungen: 13 = .3, 16 = .16,
1
= .142857. Der Strich über den Zi↵ern legt die Periode fest.
7
Wenn eine reelle Zahl in der Dezimalbruchdarstellung gegeben ist und die Dezimalbruchdarstellung ist periodisch, dann kann man auf die folgende Weise die rationale Zahl finden, die dargestellt wird. Wir benutzen dazu, dass
1
1
1
0.1 =
0.01 =
0.001 =
u.s.w.
9
99
999
Für 0.5 und 0.736 erhalten wir dann
5
736
0.5 = 5 ⇥ 0.1 =
0.736 = 736 ⇥ 0.001 =
.
9
999
Beweis. (i) Wir überlegen uns zuerst, dass es eine solche Darstellung gibt. Wir
können eine Darstellung, bei der fast alle Koeffizienten gleich p 1, in eine Darstellung verwandeln, bei der fast alle Koeffizienten 0 sind.
Wir nehmen dazu an, es gäbe eine reelle Zahl x, die sich durch zwei verschiedene
p-adische Brüche darstellen lässt, deren Koeffizienten nicht bis auf endlich viele
gleich p 1 sind. Es seien also
1
1
X
X
v`
w`
x=
und
x
=
.
`
`
p
p
`=k
`=k
Es sei `0 die kleinste Zahl, so dass v`0 6= w`0 . Wir können annehmen, dass v`0 > w`0 .
Dann gilt
`X
1
1
0 1
X
X
w`
w` w`0
w`
x=
=
+ `0 +
`
`
p
p
p
p`
`=k
`=k
`=` +1
0
Nach Voraussetzung gibt es ein ` > `0 mit w` < p
x
<
`X
0 1
`=k
=
`X
0 1
`=k
1. Deshalb folgt
`0 1
1
X
w` w`0
p 1 X
w` w`0
1
+ `0 +
=
+ `0 + `0
`
`
`
p
p
p
p
p
p
`=` +1
`=k
0
1
w` w`0 + 1 X v`
+

= x.
p`
p`0
p`
`=k
2.10. P-ADISCHE ENTWICKLUNGEN REELLER ZAHLEN
95
Dies ist ein Widerspruch.
(ii) Wir überprüfen nun,S
dass x rational ist, falls die p-adische Entwicklung von
x periodisch ist. Weil N0 = 1
1}, gilt
j=0 {jm, jm + 1, . . . , (j + 1)m
x=
1
X
x`
`=k
p`
=
`X
0 1
`=k
`X
1
1 (j+1)m
0 1
x` X x`
x` X X
+
=
+
p` `=` p`
p` j=0 `=jm
`=k
1
x`0 +`
.
p`0 +`
0
Hieraus folgt
x=
`X
0 1
`=k
`X
1 m 1
m 1 1
0 1
x` X X x`0 +jm+`
x` X X x`0 +jm+`
+
=
+
.
`
`0 +jm+`
p` j=0 `=0 p`0 +jm+`
p
p
`=k
`=0 j=0
Weil die p-adische Entwicklung periodisch mit der Periode m für `
wir
x =
`X
0 1
`=k
=
`X
0 1
`=k
`0 ist, erhalten
m 1 1
x` X X x`0 +`
+
p`
p`0 +jm+`
`=0 j=0
`X
m 1
1
m
0 1
x` X x`0 +` X 1
x` X x`0 +` pm
+
=
+
.
p`
p`0 +` j=0 pjm
p` `=1 p`0 +` pm 1
`=0
`=k
Der letzte Ausdruck ist eine endliche Summe rationaler Zahlen, also wiederum eine
rationale Zahl.
Umgekehrt, falls x rational ist, dann ist die p-adische Entwicklung periodisch:
Dies gilt, weil als Rest bei der Division nur endlich viele verschiedene Zahlen auftreten
können. 2
Beispiel 2.10.1 Die folgende Zahl ist in Dezimalbruchdarstellung.
0, n1 n2 n3 . . .
wobei ni = 1 gilt, wenn i eine Quadratzahl ist, für alle anderen i gilt ni = 0. Diese Zahl ist
irrational.
Beweis. Diese Zahl ist nicht rational, weil ihre Dezimalbruchentwicklung nicht periodisch ist. Wir
weisen nach, dass sie nicht periodisch ist. Dazu nehmen wir an, dass sie periodisch ist. Also gibt
es ein m 2 N und ein `0 , so dass für alle ` `0
n` = n`+m
gilt. Zu `0 gibt es eine Quadratzahl j mit j `0 und m2 < j. Es folgt nj = nj+m = 1 und damit,
dass j + m eine Quadratzahl ist. Es gibt also ein k 2 N mit k2 = j und (k + 1)2  j + m. Es folgt
k2 + 2k + 1  j + m.
Wegen k2 = j
und wegen m2 < j
Wegen k2 = j
2k + 1  m
4k2 + 4k + 1  m2 < j.
3j + 4k + 1 < 0.
Das kann nicht sein. Also ist j + m keine Quadratzahl. 2
96
CHAPTER 2. ZAHLEN
Satz 2.10.2
card(R) = card(P(N))
Insbesondere gilt
card(Q) < card(R).
Lemma 2.10.1 Die reellen Zahlen R und das Intervall (0, 1) = {x 2 R|0 < x < 1}
haben dieselbe Mächtigkeit.
Beweis. Wir zeigen zuerst, dass das Intervall ( 1, 1) = {x 2 R||x| < 1} und R
dieselbe Mächtigkeit haben. Die Abbildung f : ( 1, 1) ! R mit
8 x
< 1+x x 2 ( 1, 0]
f (x) =
: x
x 2 (0, 1)
1 x
ist bijektiv.
Wir überlegen uns, dass die Abbildung surjektiv ist. Wir zeigen, dass es für alle
y > 0 ein x 2 (0, 1) mit y = 1 x x gibt. In der Tat, diese Gleichung ist äquivalent zu
y
x = 1+y
. Ebenso verfahren wir für y < 0.
Nun zeigen wir, dass ( 1, 1) und (0, 1) dieselbe Mächtigkeit haben. Die Abbildung g : ( 1, 1) ! (0, 1) mit
x+1
g(x) =
2
ist bijektiv. 2
Beweis von Satz 2.10.2. Wir zeigen zuerst, dass card(R)
card(P(N)). Nach
Lemma 1.7.1 reicht es dazu zu zeigen, dass es eine injektive Abbildung von P(N)
nach R gibt.
Es sei I : P(N) ! {{xi }i2N |xi 2 {0, 1}} durch
(
1 falls i 2 M
I(M ) = {xi }i2N mit xi =
0 falls i 2
/M
O↵ensichtlich ist I eine bijektive Abbildung. Nun betrachten wir die Abbildung
J : {{xi }i2N |xi 2 {0, 1}} ! R, die durch
1
X
xi
J({xi }i2N ) =
10i
i=1
gegeben ist. Nach Bemerkung 2.10.1 ist die Abbildung J injektiv, weil hier kein
Dezimalbruch auftritt, in dem fast alle Koeffizienten gleich 9 sind. Die Zahl 9 tritt
überhaupt nicht auf, es treten nur 0 und 1 auf. J ist natürlich nicht surjektiv, dies
ist für das Argument unerheblich. Die Abbildung J I ist injektiv, also gilt
card(P(N))  card(R).
2.10. P-ADISCHE ENTWICKLUNGEN REELLER ZAHLEN
97
Wir zeigen die Umkehrung. Nach Lemma 2.10.1 haben (0, 1) und R dieselbe Mächtigkeit.
Wir zeigen card((0, 1))  card(P(N)). Nach Lemma 1.7.1 reicht es zu zeigen, dass es
eine injektive Abbildung von (0, 1) nach P(N). Wir definieren h : (0, 1) ! P(N) auf
die folgende Weise. Es sei x 2 (0, 1). Dann hat x genau eine dyadische Darstellung,
in der nicht fast alle Koeffizienten gleich 1 sind
x=
1
X
xn
n=1
2n
.
Wir setzen
h(x) = {n 2 N|xn = 1}.
Die Abbildung h ist injektiv. 2
Korollar 2.10.1 Zwischen je zwei reellen, verschiedenen Zahlen gibt es sowohl eine
rationale als auch eine irrationale Zahl, d.h. für alle reellen Zahlen x und y mit
x < y gibt es eine rationale Zahl q mit x < q < y und eine irrationale Zahl w mit
x < w < y.
Die Aussage dieses Korollars mag dazu verleiten anzunehmen, dass es genauso
viele rationale Zahlen wie irrationale Zahlen gibt, bzw. etwas formaler, dass die
Menge der rationalen Zahlen und die der irrationalen Zahlen dieselbe Mächtigkeit
besitzen. Dies ist nach Satz 2.10.2 falsch. Tatsächlich ist die Mächtigkeit der rationalen Zahlen gleich der von den natürlichen Zahlen und die der irrationalen Zahlen
gleich der der reellen Zahlen. Die Menge der rationalen Zahlen ist also abzählbar
und die der irrationalen Zahlen überabzählbar. Es gibt sehr viel mehr irrationale
Zahlen als rationale.
Beweis. Wir zeigen, dass zwischen zwei reellen Zahlen x und y mit x < y immer
eine rationale Zahl liegt. Dabei können wir annehmen, dass 0  x < y. Falls
nämlich x < 0, dann gibt es ein n 2 N mit x + n > 0 und wir betrachten die Zahlen
x + n < y + n. Man beachte, dass x + n genau dann rational ist, wenn x rational
ist. Dasselbe gilt für y.
Falls beide Zahlen rational sind, dann wählen wir x+y
. Falls x rational ist und y
2
irrational, dann gibt es ein n 2 N mit x+ n1 < y und wir wählen x+ n1 . Entsprechend
falls x irrational und y rational.
Wir nehmen nun an, dass beide Zahlen irrational sind. Wir betrachten die
Dezimalbruchentwicklungen von x und y. Also
x=
1
X
xk
10k
k=`
und
y=
1
X
yk
,
k
10
k=m
wobei `, m 2 Z und xk , yk 2 {0, 1, . . . , 9}. Außerdem nehmen wir an, dass in den
Dezimalbruchdarstellungen nicht fast alle Zahlen gleich 9 sind und dass x` 6= 0 und
ym 6= 0.
98
CHAPTER 2. ZAHLEN
ym
Der erste Fall ist m < `. Dann wählen wir z = 10
m und es gilt x < z < y und z
ist rational. Wir weisen dies nach. O↵ensichtlich gilt
1
X
ym
yk
z= m 
.
10
10k
k=m
Andererseits gilt
1
1
1
X
X
xk
1
9 X 1
9
1
1
x=
9
= `
= `
1 =
k
k
k
10
10
10 k=0 10
10 1 10
10`
k=`
k=`
1

1
= z.
10m
Also gilt x  z  y. Da x und y irrational sind und z rational, folgt weiter x < z < y.
Der zweite Fall ist m > `. Dies kann nicht eintreten, weil in diesem Fall y  x
gilt, was falsch ist. Man zeigt dies mit einer ähnlichen Rechnung wie beim ersten
Fall.
Der dritte Fall ist m = `. Dazu zeigt man zunächst, dass für alle k mit `  k
xk  yk
gilt. Nun wählen wir als `0 die kleinste Zahl, so dass
x`0 < y`0
und
z=
`0
X
yk
10k
k=m
Dann ist z rational und x  z  y. Dies wird wie im ersten Fall gezeigt. Da x und
y irrational und z rational, so folgt x < z < y.
Wir zeigen nun, dass zwischen zwei reellen Zahlen x und y mit x < y eine
irrationale Zahl liegt.
p
Wir betrachten den Fall, dass sowohl x als auch y rational sind. Die Zahl 2 ist
irrational und somit sind für alle n 2 N
p
2
x+
n
irrational. Wegen
gibt es ein n0 mit
p
2
lim
=0
n!1 n
p
2
x<x+
< y.
n0
Falls eine der Zahlen x und y rational sind, dann finden wir nach dem ersten Teil
eine rationale Zahl q mit x < q < y. Falls x rational ist, dann finden wir nach obiger
Überlegung eine irrationale zwischen x und q. Genauso im Fall, dass y rational ist.
Falls beide Zahlen x und y irrational sind, dann finden wir zunächst eine rationale
Zahl q mit x < q < y und verfahren, wie bereits dargelegt. 2
2.11. KETTENBRÜCHE
99
Beispiel 2.10.2 Die Mengen R und R \ Q haben dieselbe Mächtigkeit.
Beweis. Da R \ Q ✓ R, so gilt card(R \ Q)  card(R).
Wir geben nun eine injektive Abbildung von R nach R \ Q an. Wir wissen, dass (0, 1) dieselbe
Mächtigkeit wie R besitzt. Also gibt es eine bijektive Abbildung g von R nach (0, 1). Wir definieren
f : (0, 1) ! R \ Q durch
⇢
xp
x 2 (0, 1) \ Q
f (x) =
x+ 2
(0, 1) \ Q
f ist injektiv und bildet in die irrationalen Zahlen ab. Damit ist f
von R nach R \ Q. 2
2.11
g eine injektive Abbildung
Kettenbrüche
Es sei x1 eine ganze Zahl und x2 , x3 , . . . seien positive, ganze Zahlen. Dann bezeichnen wir die Folge
1
x1 +
1
x2 +
1
x3 +
...
+ x1n
als Kettenbruch. Dies führt auf eine weitere Darstellung der reellen Zahlen durch
natürliche Zahlen. Häufig wird der Begri↵ eines Kettenbruches etwas allgemeiner
gefasst, man lässt nicht nur positive, ganze Zahlen zu.
Der holländische Astronom und Physiker Christian Huygens hat Kettenbrüche
dazu benutzt reelle Zahlen durch rationale Zahlen möglichst gut zu approximieren.
Er hat ca. 1680 ein Modell des Sonnensystems gebaut, das durch Zahnräder angetrieben
35
wurde. Er legte zu Grunde, dass das Jahr aus 365 144
Tagen besteht und berechnete
die Umlaufperioden der Planeten bezogen auf ein Erdjahr:
Merkur
25335
105190
Venus
64725
105190
Erde
Mars
197836
105190
1
Jupiter
1247057
105190
Saturn
3095277
105190
Er entwickelte diese Zahlen in Kettenbrüche und benutzte diese dann, um die
Zahnradverhältnisse zu bestimmen.
Lemma 2.11.1 Es seien x1 eine ganze Zahl und xn , n
es seien p 1 = 0, p0 = 1, q 1 = 1, q0 = 0 und
pn = xn pn
qn = xn qn
+ pn
+
qn
1
1
2
2
2, natürliche Zahlen und
n2N
100
CHAPTER 2. ZAHLEN
Dann gelten für alle n 2 N und alle
(2.18)
1
cn = x1 +
1
x2 +
1
x3 +
dass
(i)
cn =
...
+ x1n
pn
qn
(ii)
pn+1 qn
pn+2 qn
= ( 1)n+1
= xn+2 ( 1)n+1
pn qn+1
pn qn+2
(iii)
cn+1
cn =
( 1)n+1
qn+1 qn
und
cn+2
cn =
xn+2 ( 1)n+1
qn+2 qn
(iv)
c1 < c3 < · · · < c2n
1
< c2n < c2n
2
(v) Die Folge {cn }n2N konvergiert.
< · · · < c4 < c2
Die Zahlen qn sind für n 1 positiv, die Zahlen pn können jedoch negativ sein.
Wenn auch x1 positiv ist, dann sind auch die pn positiv.
Beweis. Wir benutzen vollständige Induktion.
(i) Wir zeigen hier, dass die Behauptung nicht nur für positive, ganze Zahlen xn ,
n 2, sondern für positive, reelle Zahlen gilt. (Der Induktionsschritt verlangt auch,
dass wir den Beweis für den allgemeineren Fall führen.) Es gilt
c1 = x1
p1 = x1 p0 + p
1
= a1
q1 = x1 q0 + q
=1
1
Also gilt
p1
q1
Wir nehmen an, dass die Aussage für n richtig ist. Wir wenden dies auf die Folge
8
k = 1, . . . , n 1
< xk
x̃k =
1
: xn +
k=n
xn+1
c1 =
an. Es seien p̃k und q̃k die zu x̃ gehörigen Koeffizienten. Dann gilt für k = 1, . . . , n
1, dass p̃k = pk . Außerdem gilt nach Induktionsannahme, dass
cn+1
p̃n
x̃n p̃n
= c̃n =
=
q̃n
x̃n q̃n
=
xn+1 (xn pn
xn+1 (xn qn
+ p̃n
1 + q̃n
1
2
2
+ pn 2 ) + pn
1 + qn 2 ) + qn
1
=
1
1
(xn +
(xn +
=
1
)pn 1
xn+1
1
)q
xn+1 n 1
xn+1 pn + pn
xn+1 qn + qn
+ pn
2
+ qn
2
1
1
=
pn+1
qn+1
2.11. KETTENBRÜCHE
101
(ii) Es gilt p1 = x1 , p0 = 1, q0 = 0 und q1 = 1. Hieraus ergibt sich sofort
p1 q0
p0 q1 =
1
Wir nehmen an, dass die Behauptung für n richtig ist und schließen auf n + 1.
pn+1 qn
pn qn+1
= (xn+1 pn + pn 1 )qn pn (xn+1 qn + qn 1 )
= pn 1 qn pn qn 1 = ( 1)n+1
Nun leiten wir die zweite Gleichung her. Es gilt
p2 q0
pn+2 qn
p0 q2 =
q2 =
x2
pn qn+2 = (xn+2 pn+1 + pn )qn pn (xn+2 qn+1 + qn )
= xn+2 (pn+1 qn qn+1 pn ) = xn+2 ( 1)n+1
(iii) Wir benutzen (ii).
cn+1
cn+2
cn =
cn =
pn
qn pn+1 pn qn+1
( 1)n+1
=
=
qn
qn+1 qn
qn+1 qn
pn+1
qn+1
pn
qn pn+2 pn qn+2
xn+2 ( 1)n+1
=
=
qn
qn+2 qn
qn+2 qn
pn+2
qn+2
(iv) Wir stellen fest, dass alle qn , n 2 N, positive, ganze Zahlen sind. Wir überprüfen
dies. Es gilt q 1 = 1, q0 = 0 und q1 = 1. Weiter gilt
q2 = x2 q1 + q0 = x2
Nun machen wir den Induktionsschritt
qn+1 = xn+1 qn + qn
1
Da xn+1 , qn und qn 1 positive, ganze Zahlen sind, so ist auch qn+1 eine positive,
ganze Zahl.
Für n = 2k folgt aus (iii)
c2k+2
c2k =
x2k+2 ( 1)2k
q2k+2 q2k
1
<0
Also gilt c2k+2 < c2k . Genauso verfahren wir für c2k+1 > c2k 1 .
(v) Nach (iv) sind {c2k }k2N und {c2k+1 }k2N zwei monotone, beschränkte Folgen.
Somit sind es konvergente Folgen. Es gilt für alle n 2 N
qn
n
1
Wir haben q 1 = 1, q0 = 0, q1 = x1 q0 + q1 = q 1 = 1. Da xn natürliche Zahlen sind,
gilt insbesondere, dass 1  xn , und es folgt für n = 2, 3, . . .
qn = xn qn
1
+ qn
2
qn
1
+ qn
2
n
1
102
Aus qn
CHAPTER 2. ZAHLEN
n
1, n 2 N, folgt
1
=0
n!1 qn
lim
Deshalb gilt wegen (iii)
lim c2k = lim c2k+1
k!1
k!1
2
Falls eine reelle Zahl x gegeben ist, dann berechnen wir die Kettenbruchentwicklung von x so: Zu x wählen wir x1 als die größte, ganze Zahl, die kleiner oder gleich
x ist. Falls x = x1 , dann bricht der Kettenbruch ab. Falls x > x1 , dann setzen wir
x = x1 +
1
r2
wobei
0<
1
<1
r2
(r1 tritt nicht auf, wir beginnen mit r2 .) Allgemein wählen wir xn als die größte,
ganze Zahl, die kleiner als rn ist, und definieren rn+1 durch
rn = xn +
1
wobei
rn+1
0<
1
rn+1
<1
Also gilt für alle n = 2, 3, . . . , dass 1 < rn und 1  xn .
Falls x eine rationale Zahl ist, so bricht die Kettenbruchentwicklung ab. Der
nächste Satz stellt die Konvergenz dieses Verfahrens für irrationale Zahlen sicher.
Satz 2.11.1 Es sei x eine irrationale Zahl und pn , qn , n 2 N, wie in Lemma 2.11.1
definiert. Dann gilt für alle n 2 N
1
< x
2qn qn+1
pn
1
<
qn
qn qn+1
und die Kettenbruchentwicklung von x konvergiert gegen x.
Man kann auch zeigen, dass die Kettenbruchentwicklung eindeutig ist.
Beweis. Es gilt für alle n 2 N
1
x = x1 +
1
x2 +
x3 +
1
...
+ r1n
Außerdem folgt aus der Iteration
rn = xn +
dass
1
1
<
rn
xn
1
rn+1
und
und
xn < rn
rn  xn +
1
xn+1
2.11. KETTENBRÜCHE
103
Hieraus erhalten wir
1
1
>
xn
rn
1
1
xn + xn+1
Es folgt
xn
1
+
1
> xn
xn
1
+
1
rn
xn
1
1
+
1
xn +
Hiervon bilden wir nun die Kehrwerte
1
1
<

1
1
xn
xn 1 +
xn 1 +
xn
rn
xn+1
1
1
+
1
xn +
1
xn+1
Dieses Argument kann so oft wiederholen, bis wir x1 erreicht haben. Man beachte,
dass sich beim Anwenden des Argumentes die Ungleichheitszeichen umkehren. Wir
setzen
1
cn = x1 +
1
x2 +
1
x3 +
...
+ x1n
und erhalten für ungerades n
cn  x  cn+1 .
(Für gerades n gelten die umgekehrten Ungleichungen.) Mit Lemma (iii) folgt
|x
cn | 
1
qn+1 qn
oder
|x
pn
1
|
.
qn
qn+1 qn
2
Lemma 2.11.2 ([3] p.47) Es sei ⇥ eine irrationale Zahl und pn und qn seien die
ganzen Zahlen wie in Satz 2.11.1 gegeben. Dann sind die Zahlen pn und qn beste
Approximationen in dem folgenden Sinne: Es seien p, q ganze Zahlen mit 0 < q <
qn+1 . Dann gilt
|qn ⇥ pn |  |q⇥ p|.
Beweis. Es seien u, v ganze Zahlen mit
p = upn + vpn+1
q = uqn + vqn+1
Dann gilt u 6= 0. Außerdem haben u und v verschiedene Vorzeichen, falls v 6= 0. Da
qn ⇥
pn
qn+1 ⇥
pn+1
verschiedene Vorzeichen haben, folgt
|q⇥
2
p| = |u(qn ⇥
pn ) + v(qn+1 ⇥
pn+1 )|
|qn ⇥
pn |
104
CHAPTER 2. ZAHLEN
Beispiel 2.11.1 Es gilt
(i)
p
2=1+
1
1
2+
2+
1
+
1
.
2 + ..
(ii)
p
2
47321
1
1

=
33461
33461 · 80782
2703046502
bzw.
p
2 = 1, 41421356237 ± 10
9
Beweis. (i) Wir berechnen x1 und r2 :
p
1
2 = x1 +
r2
p
wobei x1 die größte, ganze Zahl kleiner oder gleich 2 ist. Also gilt x1 = 1. Daraus ergibt sich
p
1
= 2
r1
p
1
r2 = p
= 2+1
2 1
p
x2 ist die größte, ganze Zahl, die kleiner oder gleich r2 = 2 + 1 ist, also x2 = 2. r3 wird aus der
Gleichung
1
r2 = x2 +
r3
p
Wir erhalten wieder r3 = 2 + 1. Mit Induktion erhalten wir, dass für alle n 2 gilt
p
xn = 2 und rn = 2 + 1
(ii) Es gilt p
1
= 0, p0 = 1, q
1
1
oder
= 1, q0 = 0 und für n = 2, 3 . . .
pn = xn pn
qn = xn qn
+ pn
+
qn
1
1
n
pn
qn
1
0
1
0
1
0
1
1
1
2
3
2
3
7
5
4
17
12
5
41
29
6
99
70
7
239
169
8
577
408
9
1393
985
10
3363
2378
11
8119
5741
12 19601 13860
13 47321 33461
14 114243 80782
2
2
2.11. KETTENBRÜCHE
105
Damit erhalten wir
47321 : 33461 = 1, 414213562
33461
13860
133844
4756
33461
14099
133844
7146
66922
4538
33461
11919
100383
18807
167305
20765
200766
6884
66922
1918
2
Satz 2.11.2 ([9],p. 399 ) Falls p und q positive, ganze Zahlen mit q
gilt
q
42
< ⇡
2 sind, dann
p
q
Kettenbruchentwicklungen haben Anwendungen in der Elektrotechnik. Die Impedanzfunktion Z(s), s 2 C, des Netzwerkes
106
CHAPTER 2. ZAHLEN
lässt sich als Kettenbruch schreiben
1
Z(s) = L1 +
1
C2 +
1
L3 +
1
C4 +
...
+
1
Ln
Der Vorteil eines solchen Leiternetzwerkes ist seine große Stabilität. So kann man
Kosten sparen, indem man billigere Bauteile mit größeren Toleranzen verwendet.
Ebenso kann man solche Netzwerke in Apparaten verwenden, in denen große Hitze
entsteht.
Beispiel 2.11.2
1
e=2+
1
1+
1
2+
1
1+
1
1+
1
4+
1
1+
1+
1
6 + ···
Die Folge der Koeffizienten weist eine gewisse Regelmässigkeit auf.
2, 1, 2, 1, 1, 4, 1, 1, 6, 1, 1, 8, 1, 1, 10, . . .
Beweis.[23, 83] 2
Satz 2.11.3 (Euler) Ein periodischer, regelmäßiger Kettenbruch stellt eine irrationale Zahl dar, die einer quadratischen Gleichung mit rationalen Koeffizienten
genügt.
Chapter 3
Funktionen einer reellen
Veränderlichen
3.1
Stetigkeit
Vereinfachend lässt sich sagen, dass eine Funktion stetig ist, wenn sie sich nicht
sprunghaft ändert. Dies lässt sich auch so formulieren: Man kann den Graphen
einer stetigen Funktion zeichnen, ohne den Bleistift vom Blatt abzuheben.
Definition 3.1.1 Es sei X eine Teilmenge von R und f : X ! R eine Funktion
von X nach R. f heißt stetig in x0 2 X, wenn es zu jedem ✏ > 0 ein > 0 gibt, so
dass für alle x 2 X mit |x x0 | <
|f (x)
f (x0 )| < ✏
gilt.
In Quantorenschreibweise sieht das so aus:
8✏ > 0 9 > 0 8x 2 X, |x
x0 | <
:
|f (x)
f (x0 )| < ✏
f heißt stetig auf X, wenn f in allen Punkten von X stetig ist.
Beispiel 3.1.1 (i) f : R ! R, f (x) = c, ist auf R stetig.
(ii) f : R ! R, f (x) = x, ist auf R stetig.
(iii) f : (0, 1) ! R, f (x) = x1 , ist auf (0, 1) stetig.
(iv) f : R ! R
f (x) =
(
0
1
für x  0
für x > 0
ist nicht in 0 stetig, aber in allen anderen reellen Punkten stetig.
(v) f : R \ {0} ! R
f (x) =
(
0
1
für x < 0
für x > 0
107
108
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
ist eine stetige Funktion.
(vi) (Dirichlet) D : R ! R
D(x) =
(
0
1
falls x irrational ist
falls x rational ist
ist in allen Punkten unstetig.
Wir werden später (Beispiel 5.1.1) feststellen, dass die Einschränkung dieser Funktion auf das
Intervall [0, 1] nicht Riemann integrierbar ist. Diese Funktion wurde von Peter Gustav Lejeune
Dirichlet eingeführt. Er wurde am 13. Februar 1805 in Düren geboren und starb am 5. Mai 1859
in Göttingen. Er lehrte in Berlin und Göttingen.
(vii) Die Funktion f : R ! R mit f (x) = x2 ist in allen Punkten stetig.
(Den Graphen dieser Funktion bezeichnet man als Parabel. Ein springender Ball beschreibt
eine Parabel, ebenso das Wasser in einem Springbrunnen.)
Beweis. (i) Zu gegebenem x0 und ✏ müssen wir ein entsprechendes angeben. Da f konstant ist,
ist dies besonders einfach. Wir können irgendeine Zahl für wählen, z.B. 100. Für alle x 2 R mit
|x x0 | < 100 gilt
|f (x) f (x0 )| = 0 < ✏.
In diesem Beispiel hängt weder von ✏ noch von x0 ab.
(ii) Zu gegebenen x0 und ✏ wählen wir = ✏. Für alle x mit |x
|f (x)
f (x0 )| = |x
x0 | <
x0 | <
gilt
= ✏.
In diesem Beispiel hängt zwar nicht von x0 , aber von ✏ ab.
(iii) Zu gegebenen x0 und ✏ wählen wir
⇢
x0 x20 ✏
= min
,
.
2 2
Für alle x mit |x
x0 | <
|f (x)
Wegen |x
x0 | <

x0
2
gilt
f (x0 )| =
gilt x0
1
x
x<
1
|x x0 |
x2 ✏
x0
=
<
 0 =
✏.
x0
xx0
xx0
2xx0
2x
x0
2
und deshalb
|f (x)
x0
2
< x. Damit folgt nun
f (x0 )| < ✏ .
(iv) Die Stetigkeit in einem Punkt x0 bedeutet
8✏ > 09 > 08x 2 X, |x
x0 | <
:
|f (x)
f (x0 )| < ✏.
x0 | <
:
|f (x)
f (x0 )|
Die Negation dieser Aussage ist
9✏ > 08 > 09x 2 X, |x
✏.
In diesem Beispiel ist x0 = 0. Wir wählen ✏ = 12 . Die Zahl ist gegeben. Wir wählen x =
gilt
|x x0 | = |x| = 12 < .
1
2
. Es
Weiter gilt
|f (x)
f (0)| = |f ( 12 )
f (0)| = 1
0>
1
2
= ✏.
(vi) Wir verwenden hier, dass es zwischen zwei reellen Zahlen sowohl eine rationale, als auch
eine irrationale Zahl gibt. Wir wählen in jedem Fall ✏ = 12 .
3.1. STETIGKEIT
109
Falls x0 rational ist, dann wählen wir ein irrationales x mit |x
|D(x)
D(x0 )| = 1 >
Falls x0 irrational ist, wählen wir ein rationales x.
(vii) Wir wählen
p
= ✏ + |x0 |2
Man beachte, dass
x0 | < . Dann gilt
1
= ✏.
2
|x0 | .
> 0. Dann gilt
2
✏=
+ 2 |x0 |
und wir erhalten
|f (x)
f (x0 )| = |x2
x20 | = |x
x0 ||x + x0 | = |x
x0 ||x
x0 + 2x0 |.
Mit der Dreiecksungleichung folgt
|f (x)
f (x0 )|  |x
x0 |(|x
x0 | + 2|x0 |) < (2|x0 | + ) = ✏.
2
Satz 3.1.1 Es sei X eine Teilmenge von R und f : X ! R eine Funktion. f ist
genau dann in x0 2 X stetig, wenn für jede Folge {xn }n2N ✓ X mit limn!1 xn = x0
lim f (xn ) = f (x0 )
n!1
gilt.
Beweis. f sei stetig in x0 , d.h.
8✏ > 0 9 > 0 8x, |x
x0 | <
:
|f (x)
f (x0 )| < ✏ .
Weiter gelte limn!1 xn = x0 , also
8⌘ > 0 9N 2 N 8n
N:
|xn
x0 | < ⌘ .
Wir zeigen nun, dass limn!1 f (xn ) = f (x0 ). Wir wählen ⌘ =
9N 2 N 8n
N:
|xn
x0 | <
und erhalten
.
Wegen der Stetigkeit von f folgt aus |xn x0 | < die Ungleichung |f (xn ) f (x0 )| < ✏.
Deshalb
9N 2 N 8n > N : |f (xn ) f (x0 )| < ✏ .
Also
lim f (xn ) = f (x0 ) .
n!1
Wir zeigen nun die Umkehrung, d.h.
⇣
⌘
8{xn }n2N , lim xn = x0 : lim f (xn ) = f (x0 ) =) f ist in x0 stetig
n!1
n!1
110
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Wir zeigen die äquivalente Implikation:
f ist nicht in x0 stetig
⇣
⌘
=) 9{xn }n2N , lim xn = x0 : f (x0 ) ist nicht Grenzwert der Folge {f (xn )}n2N
n!1
f ist nicht in x0 stetig:
9✏ > 0 8 > 0 9x, |x
Wir wählen nun für
x0 | <
:
|f (x)
f (x0 )|
✏.
die Werte n1 , n 2 N. Damit erhalten wir
9✏ > 0 8n 2 N 9xn , |xn
x0 | <
1
:
n
|f (xn )
f (x0 )|
✏.
Also gilt
lim xn = x0
n!1
und f (x0 ) ist nicht Grenzwert der Folge {f (xn )}n2N . 2
Lemma 3.1.1 Es seien X und Y Teilmengen von R und f : X ! Y und g : Y ! R
seien Funktionen, die in x0 bzw. f (x0 ) stetig sind. Dann ist auch g f : X ! R
mit
(g f )(x) = g(f (x))
in x0 stetig.
Beweis. Nach Satz 3.1.1 gelten
⇣
⌘
f ist in x0 stetig () 8{xn }n2N , lim xn = x0 : lim f (xn ) = f (x0 )
n!1
n!1
und
⇣
⌘
g ist in f (x0 ) stetig () 8{yn }n2N , lim yn = f (x0 ) : lim g(yn ) = g(f (x0 )) .
n!1
n!1
Wir setzen nun yn = f (xn ) und erhalten
8{xn }n2N , lim xn = x0 : lim g(f (xn )) = g(f (x0 ))
n!1
n!1
Damit ist g f in x0 stetig. 2
Lemma 3.1.2 Es seien X eine Teilmenge von R und f, g : X ! R Funktionen,
die in x0 stetig sind. Dann gelten
(i) f + g ist in x0 stetig.
(ii) f · g ist in x0 stetig.
(iii) Wenn überdies g 6= 0 auf X gilt, dann ist
f
g
in x0 stetig.
3.1. STETIGKEIT
111
Beweis. Wir benutzen wieder Satz 3.1.1 und Lemma 2.4.3. 2
Beispiel 3.1.2 (i) Es sei n 2 N und f : R ! R mit f (x) = xn . f ist auf R stetig.
(ii) Alle Polynome p : R ! R
p(x) =
n
X
ak xk
k=0
sind auf R stetig.
(iii) Alle rationalen Funktionen
p
q
sind auf R \ {x|q(x) = 0} stetig.
Beweis. (i) folgt, weil f (x) = x nach Beispiel 3.1.1 stetig ist und weil Produkte von stetigen
Funktionen nach Lemma 3.1.2 stetig sind.
(ii) folgt aus (i) und Lemma 3.1.2 (i).
(iii) folgt aus (ii) und Lemma 3.1.2 (iii). ⇤
Definition 3.1.2 Wenn es ein ⇠ 2 R gibt, so dass für alle Folgen {xn }n2N mit
limn!1 xn = x0 der Grenzwert
lim f (xn ) = ⇠.
n!1
angenommen wird, so schreiben wir auch dafür
lim f (x) = ⇠.
x!x0
Dies ist äquivalent zu
(3.1)
8✏ > 0 9 > 0 8x, |x
x0 | <
:
|f (x)
⇠| < ✏.
Hierbei muss es nicht so sein, dass x0 im Definitionsgebiet von f liegt.
Obwohl man i.A. 1 bzw.
bolisch
(3.2)
1 nicht als Grenzwerte zulässt, schreibt man sym-
lim f (x) = 1
x!x0
und
lim f (xn ) = 1,
n!1
falls
8K > 0 9N 2 N 8n > N :
Entsprechend für
f (xn ) > K.
1.
Satz 3.1.2 Es seien a, b 2 R mit a < b und f : [a, b] ! R eine stetige Funktion.
Dann hat f auf [a, b] ein Minimum und ein Maximum, d.h. es gibt xmin , xmax 2 [a, b],
so dass für alle x 2 [a, b]
f (xmin )  f (x)  f (xmax )
gilt.
112
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Wichtig bei diesem Satz ist neben der Stetigkeit der Funktion, dass das Intervall
beschränkt und abgeschlossen ist, d.h. die Endpunkte gehören zum Intervall.
Beispiel 3.1.3 (i) f : (0, 1] ! R mit f (x) = x1 ist in allen Punkten stetig, besitzt aber kein
Maximum. Man beachte, dass die Voraussetzung, dass [a, b] ein abgeschlossenes Intervall sein soll,
nicht gegeben ist.
(ii) f : [ 1, 1] ! R mit f (x) = x2 ist stetig und hat Minimum und Maximum. Das Minimum ist
gleich 0 und wird in 0 angenommen. Das Maximum ist gleich 1 und wird in 1 und 1 angenommen.
Beweis von Satz 3.1.2. Wir beweisen, dass f auf [a, b] sein Maximum annimmt.
Der Beweis für das Minimum wird genauso geführt.
Wir zeigen, dass die Menge
{f (x)|x 2 [a, b]}
nach oben beschränkt ist, also nach Lemma 2.6.1 ein Supremum besitzt. Dann
zeigen wir, dass das Supremum angenommen wird, also tatsächlich ein Maximum
ist.
Wir nehmen an, dass f nicht nach oben beschränkt ist:
(3.3)
8n 2 N 9xn :
n  f (xn ) .
Da die Folge {xn }n2N in [a, b] enthalten ist, ist sie beschränkt. Nach Satz 2.4.1 besitzt
sie deshalb eine konvergente Teilfolge {xnk }k2N . Wir bezeichnen diesen Grenzwert
mit x0 .
Nach Lemma 2.4.4 (i) gilt x0 2 [a, b]. Also gelten x0 2 [a, b] und
lim xnk = x0 .
k!1
Da f stetig ist, folgt
lim f (xnk ) = f (x0 ) .
k!1
Hieraus folgt
9K 2 N 8k > K :
|f (xnk )
9K 2 N 8k > K :
f (xnk ) < 1 + f (x0 ) .
f (x0 )| < 1
und damit
Mit (3.3) folgt
9K 2 N 8k > K :
nk < 1 + f (x0 ) .
Da n1 < n2 < · · · , kann dies nicht sein. Also ist die Menge
{f (x)|x 2 [a, b]}
nach oben beschränkt und hat ein Supremum, das wir mit ⇠ bezeichnen.
Nun wählen wir eine neue Folge {xn }n2N : Da ⇠ das Supremum der Menge
{f (x)|x 2 [a, b]} ist, gibt es zu jedem ✏ > 0 ein x mit ⇠  f (x) + ✏. Wäre
3.1. STETIGKEIT
113
dies nicht so, dann würde es ein ✏ > 0 geben, so dass für alle x 2 [a, b] die Abschätzung ⇠ > f (x) + ✏ gilt. Dann wäre aber ⇠ ✏ eine obere Schranke der Menge
{f (x)|x 2 [a, b]}.
Also gilt
1
8n 2 N 9xn 2 [a, b] : ⇠  f (xn ) + .
n
Wiederum folgt mit Satz 2.4.1, dass {xn }n2N eine konvergente Teilfolge {xnk }k2N
besitzt. Wiederum mit Lemma 2.4.4 folgt, dass es ein x0 2 [a, b] mit
lim xnk = x0
k!1
gibt. Da f stetig ist, folgt
lim f (xnk ) = f (x0 ) .
k!1
Da für alle k 2 N gilt, dass ⇠  f (xnk ) + n1k , folgt
✓
◆
1
⇠  lim f (xnk ) +
= f (x0 )  ⇠ .
k!1
nk
Also erhalten wir f (x0 ) = ⇠. 2
Lemma 3.1.3 Es seien a, b 2 R mit a < b und f : [a, b] ! R sei eine stetige
Funktion. Es gelte f (a)f (b) < 0. Dann gibt es mindestens ein ✓ 2 (a, b) mit
f (✓) = 0.
Die Bedingung f (a)f (b) < 0 bedeutet, dass f (a) und f (b) verschiedene Vorzeichen besitzen. Man kann also annehmen, dass f (a) < 0 und f (b) > 0. Da f stetig
ist, kann man den Graphen von f zeichnen, ohne den Bleistift vom Papier zu heben.
Der Punkt (a, f (a)) befindet sich unter der x-Achse, weil f (a) < 0, und der Punkt
(b, f (b)) befindet sich über der x-Achse, weil f (b) > 0. Wenn man also den Graphen
zeichnet, muss an zumindest an einer Stelle die x-Achse kreuzen.
Beispiel 3.1.4 Die Funktion f (x) = x3 ist auf [ 1, 1] stetig und es gilt f ( 1)f (1) =
Stelle ✓ = 0 gilt f (0) = 0.
1. An der
Beweis von Lemma 3.1.3. Wir können annehmen, dass f (a) < 0 und f (b) > 0.
Wir betrachten die Menge
A = {x|x 2 [a, b] und f (x)  0}.
A ist nicht leer, weil a 2 A und A hat ein Supremum, weil A nach oben durch b
beschränkt ist. Wir setzen ⇠ = sup A und behaupten, dass f (⇠) = 0. Es gibt eine
Folge {xn }n2N ✓ A mit
lim xn = ⇠,
n!1
weil ⇠ das Supremum von A ist. Wegen der Stetigkeit von f folgt
lim f (xn ) = f (⇠).
n!1
114
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Wegen {xn }n2N ✓ A gilt für alle n 2 N, dass f (xn )  0. Also folgt
f (⇠)  0.
Wir zeigen nun, dass auch f (⇠)
stetig ist, gilt
0 gilt. Wir nehmen an, dass f (⇠) < 0 gilt. Da f
8✏ > 0 9 > 0 8x, |x
⇠| <
:
|f (x)
f (⇠)| < ✏.
Wir wählen ✏ = 12 |f (⇠)|. Es folgt
9 > 08x, |x
⇠| <
:
f (⇠)| < 12 |f (⇠)|.
|f (x)
Da f (⇠) < 0, folgt
9 > 08x, |x
⇠| <
:
f (x)
f (⇠) <
1
f (⇠)
2
und
9 > 08x, |x
Nun wählen wir x = ⇠ +
1
2
⇠| <
f (x) < 12 f (⇠) < 0.
:
und erhalten
f (⇠ +
1
2
) < 0.
Damit folgt
⇠+
1
2
Dies ist ein Widerspruch. 2
 sup A = ⇠.
Satz 3.1.3 (Zwischenwertsatz) Es seien a, b 2 R mit a < b und f : [a, b] ! R eine
stetige Funktion. Für alle ⌘ mit
inf{f (x)|x 2 [a, b]}  ⌘  sup{f (x)|x 2 [a, b]}
existiert mindestens ein ⇠ 2 [a, b] mit f (⇠) = ⌘.
Beweis. Nach Satz 3.1.2 gibt es xmin und xmax mit
f (xmin ) = inf{f (x)|x 2 [a, b]}
f (xmax ) = sup{f (x)|x 2 [a, b]}
Wir können also annehmen, dass
f (xmin ) < ⌘ < f (xmax ).
Wir setzen
F (x) = f (x)
⌘.
Dann gelten
F (xmin ) < 0
und
F (xmax ) > 0.
Nach Lemma 3.1.3 gibt es ein ⇠ 2 [xmin , xmax ] bzw. ⇠ 2 [xmax , xmin ] mit F (⇠) = 0 (je
nachdem, ob xmin < xmax oder umgekehrt). Also gilt f (⇠) = ⌘. 2
3.1. STETIGKEIT
115
Beispiel 3.1.5 Es sei p : R ! R ein Polynom
p(x) =
n
X
ak xk ,
k=0
bei dem der höchste Exponent n ungerade ist und der Koeffizient an 6= 0. Dann hat p mindestens
eine reelle Nullstelle.
Beweis. Es gibt zwei Punkte x1 und x2 mit p(x1 ) < 0 und p(x2 ) > 0. Mit dem Zwischenwertsatz
folgt dann, dass es ein ⇠ 2 (x1 , x2 ) mit p(⇠) = 0 gibt. Wir zeigen nun, dass es solche Punkte x1
und x2 gibt.
n
n
X
X1
p(x) =
ak xk xn
|ak ||x|k
k=0
Für x
k=0
1 folgt
p(x)
xn
xn
1
n
X1
k=0
|ak | = xn
1
n
X1
x
k=0
Pn 1
Für x 1 und x > k=0 |ak | gilt p(x) > 0.
Umgekehrt gilt für alle x mit x  1
n
X
p(x) =
k=0
|x|n + |x|n
=
Somit gilt für x mit x 
ak xk  xn +
1 und |x| >
1
n
X1
k=0
n
X1
k=0
Pn
1
k=0
|ak |
|ak ||x|k  xn + |x|n
|ak | =
|x|n
1
|x|
!
1
n
X1
k=0
n
X1
k=0
|ak |
!
|ak |
|ak |
p(x) < 0.
2
Beispiel 3.1.6 (i) Es sei f : [0, 1] ! [0, 1] eine stetige Abbildung. Dann hat f einen Fixpunkt,
d.h. es gibt ein x 2 [0, 1] mit f (x) = x.
(ii) Es sei f : [0, 2] ! R eine stetige Funktion derart, dass f (0) = f (2) ist. Dann existiert ein
x 2 [0, 1], für das f (x) = f (x + 1) gilt.
Beweis. (i) Wir betrachten die Funktion g : [0, 1] ! R mit g(x) = f (x) x. Es gelten g(0) =
f (0) 0 0 und g(1) = f (1) 1  0. Nach dem Zwischenwertsatz nimmt die stetige Funktion g
alle Werte zwischen g(0) und g(1) an, also auch 0.
(ii) Wir betrachten die Funktion g : [0, 1] ! R mit g(x) = f (x) f (x + 1). Dann gelten
g(0) = f (0)
f (1)
g(1) = f (1)
f (2) = f (1)
f (0)
Also
g(0) =
g(1)
Nun wenden wir den Zwischenwertsatz an. 2
Beispiel 3.1.7 Es sei f : (0, 1) ! R
8
falls x irrational
<0
f (x) = 1
m
:
falls x =
und m und n teilerfremd sind
n
n
Dann ist f in allen irrationalen Punkten stetig und in allen rationalen Punkten unstetig.
116
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Beweis. Wir zeigen, dass f in allen rationalen Punkten, die von 0 verschieden sind, unstetig ist.
1
m
Es gilt f ( m
n ) = n , aber in jeder Umgebung von n findet man einen irrationalen Punkt.
Wir zeigen nun, dass f in allen irrationalen Punkten x stetig ist. Wir nehmen an, dass es
einen irrationalen Punkt x0 gibt, in dem f nicht stetig ist Dann gibt es eine Folge {xn }n2N mit
limn!1 xn = x0 , so dass die Folge {f (xn )}n2N nicht gegen f (x0 ) = 0 konvergiert.
Dies bedeutet, dass es eine Teilfolge {xnk }k2N rationaler Zahlen gibt, die gegen x0 konvergiert.
n
Wir können also annehmen, dass es eine Folge rationaler Zahlen { m
kn }n2N gibt, so dass
lim
n!1
mn
= x0
kn
und so dass die Folge { k1n }n2N nicht gegen 0 konvergiert.
Dann gibt es eine Teilfolge knj , j 2 N, die beschränkt ist: Da die Folge { k1n }n2N nicht gegen
0 konvergiert, gilt
1
9✏ > 08N 9n N :
✏
kn
Wir wählen zu N = 1 ein n1 mit 1  n1 und
1
kn1
✏.
Nachdem wir n1 < · · · < nj gewählt haben, wählen wir nj+1 . Zu N = nj + 1 gibt es ein nj+1
mit
1
✏.
knj+1
Damit gilt für alle j 2 N
N
1
✏
mn
und die Folge ist beschränkt. Insgesamt erhalten wir also eine Folge { kn j }j2N mit
knj 
j
mnj
lim
= x0
n!1 knj
und so dass die Folge {knj }j2N beschränkt ist. Dann gibt es in der Menge {knj |j 2 N} nur endlich
viele verschiedene Zahlen. Außerdem ist die Folge mnj , j 2 N, beschränkt, weil anderenfalls die
mn
konvergente Folge kn j , j 2 N, nicht beschränkt wäre, was nach Lemma 2.4.1 nicht sein kann.
j
Somit nimmt auch die Folge {mnj }j2N nur endlich viele Werte an. Somit nimmt
⇢
mnj
knj j2N
nur endlich viele Werte {↵1 , . . . , ↵r } an. Dann gilt
mnj
lim
2 {↵1 , . . . , ↵r }
j2N knj
und damit rational. Der Grenzwert ist aber gleich der irrationalen Zahl x0 . 2
P
Beispiel 3.1.8 Es sei {an }n2N eine Folge positiver, reeller Zahlen, so dass n2N an konvergiert.
Außerdem sei q : N ! Q eine Bijektion. Für x 2 R definieren wir
(
an
falls q(n)  x
x
an =
0
falls q(n) > x
und
f (x) =
X
axn
n2N
f ist eine positive, beschränkte, strikt monoton wachsende Funktion, die in den rationalen Punkten
unstetig und in den irrationalen Punkten stetig ist.
3.1. STETIGKEIT
117
Beweis. Etwas kürzer und prägnanter lässt sich f so definieren
X
f (x) =
aq
qx
Wir zeigen
(i) Für alle x, y 2 R mit x < y gilt f (x) < f (y).
P
(ii) Für alle x 2 R gilt 0 < f (x) < n2N an .
(iii) f ist in allen rationalen Punkten unstetig.
(iv) f ist in allen irrationalen Punkten stetig.
(i) Für alle x, y 2 R mitx < y existiert ein z 2 Q mit x < z < y. Für alle n 2 N gilt
axn  ayn
und
f (y)
f (x) =
X
n2N
ayn
X
axn =
n2N
X
9✏ > 08 > 09x, |x
1 (x )
0
f (x0 )
ayq
axn )
ayq
1 (z)
1 (z)
= aq
1 (z)
>0
n2N
(iii) Es sei x0 2 Q. Wir haben zu zeigen
Wir wählen ✏ = aq
(ayn
x0 | <
: |f (x)
und x < x0 . Dann gilt
X
f (x) =
(axn0 axn ) axq 0 1 (x0 )
axq
f (x0 )|
1 (x )
0
✏.
= axq 0 1 (x0 ) = ✏.
n2N
(iv) Wir zeigen
8x0 8✏ > 09 > 08x, |x
x0 | <
: |f (x)
f (x0 )| < ✏
Wir wählen zu gegebenen x0 und ✏ das . Es gilt
8✏ > 09N 8n > N :
1
X
ak <
k=n
✏
2
Wir setzen
= min{|x0
q(n)| |n = 1, 2, . . . , N }
Dann gilt für alle x mit |x x0 | < und alle n = 1, 2, . . . , N , dass axn = axn0 . Wir prüfen dies nach.
Falls x0 < q(n), dann gilt axn0 = 0. Es gilt für alle n = 1, . . . , N
 q(n)
x0
oder
Also gilt für alle n = 1, . . . , N und alle x mit |x
x0 +  qn .
x0 | <
x < q(n).
Damit gilt für alle n = 1, . . . , N und alle x mit |x
x0 | <
axn = 0.
Nun betrachten wir den Fall q(n) < x0 . Es gilt axn0 = an . Es gilt für alle n = 1, . . . , N
 x0
q(n)
oder
Deshalb folgt für alle n = 1, . . . , N und alle x mit |x
q(n) < x.
qn  x0
x0 | <
.
118
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Also gilt für alle n = 1, . . . , N und alle x mit |x
x0 | <
axn = an .
Damit folgt für alle x mit |x
|f (x)
x0 | <
f (x0 )|
=
axn
axn0 =
2
1
X
n=N
1
X
axn
axn0
n=N
n2N

3.2
X
|axn | +
1
X
n=N
|axn0 |  2
1
X
n=N
|an | < ✏.
Gleichmäßige Stetigkeit
Es sei X eine Teilmenge von R. Eine Funktion f : X ! R heißt gleichmäßig stetig
auf X, wenn es zu jedem ✏ > 0 ein > 0 gibt, so dass für alle x1 , x2 2 X mit
|x1 x2 | <
|f (x1 ) f (x2 )| < ✏
gilt. In Quantorenschreibweise
8✏ > 0 9 > 0 8x1 , x2 2 X, |x1
x2 | <
:
|f (x1 )
f (x2 )| < ✏.
Mit dieser Eigenschaft werden wir zeigen, dass jede stetige Funktion Riemann integrierbar ist. dem Riemann-Integral.
Beispiel 3.2.1 (i) Falls f auf X gleichmäßig stetig ist, dann ist f auf X stetig.
(ii) f (x) = x ist auf R gleichmäßig stetig.
1
x ist auf (0, 1) nicht gleichmäßig stetig.
p
(iv) f (x) = x ist auf [0, 1) gleichmäßig stetig.
(iii) f (x) =
Beweis. (i) Da f gleichmäßig stetig ist, gilt
8✏ > 09 > 08x1 , x2 2 X, |x1
x2 | <
:
|f (x1 )
f (x2 )| < ✏.
Für festes x0 = x1 gilt damit
8✏ > 09 > 08x2 2 X, |x0
(ii) ✏ ist gegeben. Wir wählen
x2 | <
:
|f (x0 )
f (x2 )| < ✏.
= ✏. Dann gilt für alle x1 , x2 2 R mit |x1
|f (x1 )
f (x2 )| = |x1
x2 | <
x2 | <
= ✏.
(iii) Die Verneinung der gleichmäßigen Stetigkeit bedeutet
9✏ > 08 > 0 9x1 , x2 2 X, |x1
Wir wählen ✏ = 1.
ist gegeben. Wir wählen
⇢
1
x1 = min ,
2
x2 | <
und
:
|f (x1 )
f (x2 )|
x2 =
1
x1 .
2
✏.
3.2. GLEICHMÄSSIGE STETIGKEIT
119
Dann gelten
|x1
und
|f (x1 )
f (x2 )| =
x2 | = |x1
1
x1
1
2 x1 |
1
1
=
x2
x1
= | 12 x1 | <
2
1
=
x1
x1
2 > 1 = ✏.
(iv) Wir benötigen die folgende Abschätzung. Für alle x, y 2 [0, 1) mit y < x gilt
p
p
p
x
y < x y.
p
p
Wir nehmen an, dass dies falsch ist. Dann gibt es x, y mit y < x, so dass x
y
Dann gilt
p
p p
p
p 2
x y = ( x y)2  ( x
y) = x 2 x y + y.
Hieraus folgt
p p
2 x y  2y
und somit
p
x
y.
x  y.
Dies ist ein Widerspruch, da y < x.
Zu gegebenem ✏ wählen wir = ✏2 . Dann gilt für alle x, y 2 [0, 1) mit y < x und |x
p
p
p
p
|f (x) f (y)| = | x
y| < x y <
= ✏.
y| <
2
Satz 3.2.1 Es seien a, b 2 R mit a < b und f : [a, b] ! R sei eine stetige Funktion.
Dann ist f auf [a, b] gleichmäßig stetig.
Beweis. Wir nehmen an, dass f nicht gleichmäßig stetig ist. Dann existiert ein
✏ > 0, so dass für alle > 0 Punkte x und y mit |x y|  und
|f (x)
f (y)|
✏
existieren. Somit gibt es ein ✏ > 0, so dass für alle n 2 N Punkte xn und yn mit
|xn yn |  n1 und
|f (xn ) f (yn )| ✏
existieren. Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß (Satz 2.4.1) besitzt die Folge xn ,
n 2 N, eine konvergente Teilfolge xnk , k 2 N. Wir setzen
⇠ = lim xnk .
k!1
Es gilt ⇠ 2 [a, b], weil xnk 2 [a, b] für alle k 2 N. Wegen |xnk ynk | 
xnk + ynk , k 2 N, eine Nullfolge und somit konvergiert ynk , k 2 N, gegen ⇠.
⇠ = lim ynk .
k!1
Da f stetig ist, folgt
lim (f (xnk )
k!1
f (ynk )) = f (⇠)
f (⇠) = 0.
Dies steht aber im Widerspruch zu
8k 2 N :
2
|f (xnk )
f (ynk )|
✏.
1
nk
ist
120
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
3.3
Monotone Funktionen und Umkehrfunktionen
Definition 3.3.1 Es sei X eine Teilmenge von R. Eine Funktion f : X ! R heißt
(streng) monoton wachsend, falls für alle x, y 2 X mit x < y
f (x)  f (y)
(f (x) < f (y))
gilt. Eine Funktion f : X ! R heißt (streng) monoton fallend, falls für alle x, y 2 X
mit x < y
f (x) f (y)
(f (x) > f (y))
gilt.
Definition 3.3.2 Es sei X eine Teilmenge von R und f : X ! R. Wir bezeichnen
die Menge
f (X) = {f (x)|x 2 X}
als Bild von f . Wir sagen, dass f eine Umkehrabbildung oder Inverse f
falls es eine Funktion f 1 : f (X) ! X gibt, so dass für alle x 2 X
1
f
Man erhält den Graphen von f
y = x spiegelt.
1
1
besitzt,
(f (x)) = x .
, indem man den Graphen von f an der Geraden
Lemma 3.3.1 Es sei X eine Teilmenge von R und f : X ! R sei streng monoton
wachsend oder streng monoton fallend. Dann gelten
(i) Die Umkehrabbildung f
(ii) f
ist.
(iii) f
1
1
1
: f (X) ! R existiert.
ist auf f (X) streng monoton wachsend, falls f streng monoton wachsend
ist auf f (X) streng monoton fallend, falls f streng monoton fallend ist.
Proof. Es reicht zu zeigen, dass die Abbildung f injektiv ist. Dazu ist zu zeigen:
Falls x 6= y, dann gilt f (x) 6= f (y).
Falls x 6= y, dann gilt x < y oder y < x. Also gilt f (x) < f (y) oder f (y) < f (x)
und damit f (x) 6= f (y). 2
Satz 3.3.1 Es seien a, b 2 R mit a < b und f : [a, b] ! R sei eine stetige, streng
monoton wachsende Funktion. Dann gilt
f ([a, b]) = [f (a), f (b)]
und f 1 : [f (a), f (b)] ! [a, b] existiert, ist stetig und streng monoton wachsend.
Für stetige, streng monoton fallende Funktionen gilt eine entsprechende Aussage.
3.4. POTENZ, EXPONENTIALFUNKTION UND LOGARITHMUS
121
Beweis. Da f streng monoton wachsend ist, gilt für alle x 2 [a, b]
f (a)  f (x)  f (b).
Mit dem Zwischenwertsatz (Satz 3.1.3) folgt
f ([a, b]) = [f (a), f (b)].
Mit Lemma 3.3.1 folgt, dass f 1 existiert und streng monoton wächst. Es bleibt zu
zeigen, dass f 1 stetig ist.
Es sei {yn }n2N eine Folge in [f (a), f (b)] mit limn!1 yn = y0 . Wir müssen zeigen,
dass
lim f 1 (yn ) = f 1 (y0 ) .
n!1
Wir zeigen zunächst, dass {f 1 (yn )}n2N konvergiert. Falls die Folge nicht konvergiert, so gibt es nach Lemma 2.4.8 zwei konvergente Teilfolgen {f 1 (ynk )}k2N
und {f 1 (ymj )}j2N , deren Grenzwerte x0 und x̄0 verschieden sind. Da f stetig ist,
folgen
lim f (f
1
k!1
(ynk )) = f (x0 )
und
lim f (f
1
j!1
(ymj )) = f (x̄0 ).
Hieraus folgen
f (x0 ) = lim f (f
1
f (x̄0 ) = lim f (f
1
k!1
(ynk )) = lim ynk = y0
k!1
j!1
(ymj )) = lim ymj = y0 .
j!1
Also gilt f (x0 ) = f (x̄0 ). Da f streng monoton wachsend ist, so ist f injektiv und es
folgt x0 = x̄0 im Widerspruch zu unserer Annahme. Also konvergiert {f 1 (yn )}n2N .
Wir bezeichnen den Grenzwert mit x0 . Es folgt wegen der Stetigkeit von f
y0 = lim yn = lim f (f
n!1
Also gilt x0 = f
1
1
n!1
(yn )) = f (x0 ) .
(y0 ). Nun folgt
f
1
(y0 ) = x0 = lim f
n!1
1
(yn ) .
2
3.4
Potenz, Exponentialfunktion und Logarithmus
Wir führen hier die Potenzfunktion, Exponentialfunktion und Logarithmus ein.
Wir definieren für alle x 2 R und alle n 2 N
xn = x
| · x{z· · · x}
n
122
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
und x0 = 1. Dies bedeutet, dass wir auch 00 = 0 setzen. Dies ist eine willkürliche
Definition. Ein Argument dafür ist, dass limx!0 xx = 1 gilt (Beispiel 3.8.5). Andererseits gilt für alle x 6= 0, dass 0x = 0. Dies könnte man als ein Argument gegen
diese Definition ansehen.
Falls x 6= 0, dann setzen wir
1
x n = n.
x
Definition 3.4.1 (i) Für n 2 N nennen wir pn : R ! R mit pn (x) = xn die n-te
Potenzfunktion. xn heißt die n-te Potenz von x.
(ii) Die n-te Wurzel oder die n1 -te Potenzfunktion p 1 : (0, 1) ! R definieren wir
n
1
als die Umkehrfunktion der n-ten Potenzfunktion. p 1 (x) = x n nennen wir die n-te
n
Wurzel von x.
(iii) Für pq , p, q 2 N und p und q teilerfremd, definieren wir die pq -te Potenzfunktion
p pq : (0, 1) ! R durch
1
p pq (x) = (x q )p .
1
p
Wir schreiben für (x q )p auch x q . Man beachte, dass p und q eindeutig sind,
weil sie als teilerfremd angenommen werden. Dies folgt aus der Eindeutigkeit der
Primzahlzerlegung.
p
1
Wir schreiben für (x q )p auch x q .
Damit haben wir die Potenz xs für strikt positive, reelle Zahlen x und rationale
Zahlen s definiert.
Wir wollen nun zeigen, dass wir mit dieser Definition gut rechnen können.
Lemma 3.4.1 Es seien p, q 2 N teilerfremd. Dann gilt für alle x 2 (0, 1)
1
1
(x q )p = (xp ) q .
Beweis. Es gilt
1
1
xp = ((x q )q )p = ((x q )p )q .
Deshalb
1
1
(xp ) q = (x q )p .
2
Lemma 3.4.2 (i) Es seien n, m 2 N und x 2 (0, 1). Dann gilt
1
1
1
x n·m = (x m ) n .
(ii) Es sei x 2 (0, 1). Es seien n, m, p, q 2 N mit pq =
Dann gilt
1
1
1
(xn ) m = (x q )p = (x m )n .
n
m
und p und q teilerfremd.
3.4. POTENZ, EXPONENTIALFUNKTION UND LOGARITHMUS
123
Beweis. (i) Es gilt
1
y = x n·m
genau dann, wenn
y n·m = x.
Weiter gilt
x = y n·m = (y n )m .
Hieraus folgt
1
1
(x m ) n = y.
(ii) Es gibt ein k 2 N mit kp = n und kq = m. Dann gelten wegen (i)
1
1
1
1
(x kq )kp = (((x q ) k )k )p = (x q )p
und
1
1
1
(xkp ) kq = (((xp )k ) k ) q .
2
Lemma 3.4.3 Es sei s 2 Q und s 6= 0. Die Potenzfunktion ps : (0, 1) ! R mit
ps (x) = xs ist auf (0, 1) stetig. Die Funktion ist streng monoton wachsend für s > 0
und sie ist streng monoton fallend für s < 0.
Beweis. Für jedes n 2 N ist die Potenzfunktion pn stetig und streng monoton
wachsend. Mit Satz 3.3.1 folgt, dass für jedes m 2 N die Potenzfunktion p 1 stetig
m
und streng monoton wachsend ist. Damit ist für alle n, m 2 N die Potenzfunktion
p mn = pn p 1 stetig und streng monoton wachsend. 2
m
Lemma 3.4.4 (i) Es seien p, q, n, m 2 N und x 2 (0, 1). Dann gilt
p
p
n
n
xq · xm = xq+m .
(ii) Es seien p, q 2 N und x, y 2 (0, 1). Dann gilt
p
p
p
x q · y q = (x · y) q .
(iii) Es seien p, q, n, m 2 N und x 2 (0, 1). Dann gilt
p
p n
n
(x q ) m = x q · m .
Beweis. (i) Wegen Lemma 3.4.2 (ii) gilt
p
n
pm
nq
1
1
1
p
n
x q x m = x qm x mq = (x qm )pm (x mq )nq = (x qm )pm+nq = x q + m .
2
124
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Lemma 3.4.5 (i) Es seien x 2 R mit x > 1 und r, s 2 Q mit 0 < r < s. Dann gilt
xr < xs .
(ii)
Beispiel 3.4.1 Für alle x 2 R mit x > 0 gilt
1
lim x n = 1.
n!1
Beweis. Wir betrachten den Fall x > 1. Mit der Bernoulli-Ungleichung (Lemma 2.4.6)
⇣
x ⌘n
1+
n
1 + x > x.
Es folgt
x
n
1+
und damit
1
xn
Falls x < 1, dann betrachten wir die Folge x
1 
n
1
xn
x
.
n
. 2
Definition 3.4.2 Es seien r 2 (0, 1) und pn , qn 2 N, n 2 N, mit r = limn!1
Dann definieren wir
(3.4)
pn
.
qn
pn
xr = lim x qn .
n!1
Die Potenzfunktion pr : (0, 1) ! R ist durch pr (x) = xr definiert. Weiter gilt
p r (x) = x1r .
Man muss die Wohldefiniertheit überprüfen. Hierzu müssen wir zeigen:
Der Grenzwert
pn
lim x qn
n!1
existiert und er hängt nur von r, aber nicht von der speziellen Folge { pqnn }n2N ab.
Definition 3.4.3 Es sei a > 0. Die Exponentialfunktion expa : R ! R zur Basis a
ist durch
expa (x) = ax
definiert.
Lemma 3.4.6 Es sei x 2 (0, 1) und {rn }n2N eine konvergente Folge rationaler
Zahlen. Dann konvergiert die Folge {xrn }n2N .
3.4. POTENZ, EXPONENTIALFUNKTION UND LOGARITHMUS
125
Beweis. Der Fall x = 1 ist uninteressant. Nun der Fall x > 1. Da die Folge {rn }n2N
konvergiert, ist sie nach Lemma 3.4.7 beschränkt. Deshalb gibt es ein C 2 Q, so
dass für alle n 2 N
xn  C
gilt. Wegen Lemma 3.4.5 gilt für alle n 2 N
xrn  xC .
Wir zeigen, dass die Folge {xrn }n2N eine Cauchy Folge ist. O.E.d.A. sei rn
Es gilt
|xrn xrm | = |xrm ||xrn rm 1|  C|xrn rm 1|
Zu jedem k 2 N gibt es ein N 2 N, so dass für alle n, m
folgt für alle n, m N
1
n
|xr
xrm |  C|x k 1|
N gilt |rn
rm .
rm | < k1 . Es
Mit Beispiel 3.4.7 folgt, dass {xrn }n2N eine Cauchy Folge ist.
Der Fall 0 < x < 1 wird ähnlich behandelt. 2
Lemma 3.4.7 Es sei x 2 (0, 1) und {rn }n2N und {tn }n2N seien zwei Folgen rationaler Zahlen mit
lim rn = lim tn .
n!1
n!1
Dann gilt
lim xrn = lim xtn .
n!1
n!1
Beweis. Wegen Lemma 3.4.6 wissen wir, dass
lim xrn
lim xtn
und
n!1
n!1
existieren. Außerdem gilt
lim |rn
n!1
tn | = 0.
Nach Beispiel 3.4.7 gilt
lim x|rn
n!1
tn |
=1
2
Lemma 3.4.8 Es seien a 2 R mit a > 0 und tn , t 2 Q, n 2 N, mit limn!1 tn = t.
Dann gilt
lim atn = at .
n!1
Beweis. Wir betrachten zuerst den Fall t = 0 und zeigen, dass
lim atn = a0 = 1
n!1
126
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
1
Nach Beispiel 3.4.1 gilt limn!1 a n = 1, d.h.
8✏ > 09N 8n
1
N:
|a n
1| < ✏
Wegen limn!1 tn = 0 gilt
8 > 09M 8n
M:
|tn | <
8N 2 N9M 8n
M:
|tn | <
Insbesondere
1
N
Es folgt
8✏ > 09N 8n
Es sei nun t beliebig. Dann gilt limn!1 (tn
atn = a(tn
|atn
N:
t)+t
1| < ✏.
t) = 0. Mit Lemma 3.4.4
= atn t at
und somit
lim atn = lim atn t at = at lim atn
n!1
n!1
n!1
t
= at .
2
Lemma 3.4.9 (i) Es seien x1 , x2 2 R und a > 0. Dann gilt
ax1 ax2 = ax1 +x2 .
(ii) Es seien x 2 R und a, b > 0. Dann gilt
ax bx = (ab)x .
(iii) Es seien x1 , x2 2 R und a > 0. Dann gilt
(ax1 )x2 = ax1 x2 .
Lemma 3.4.10 (i) Es sei r 2 R mit r 6= 0. Die Potenzfunktion pr : (0, 1) ! R
mit pr (x) = xr ist auf (0, 1) streng monoton und stetig.
(ii) Es sei a 2 R mit a > 0 und a 6= 1. Die Exponentialfunktion expa : R ! R mit
expa (x) = ax ist auf R streng monoton und stetig.
Lemma 3.4.11 Die Umkehrfunktion von expa existiert und ist auf (0, 1) definiert
und stetig. Wir nennen die Umkehrfunktion den Logarithmus zur Basis a und
schreiben loga .
Wir nennen den Logarithmus zur Basis e = limn!1 (1 + n1 )n den natürlichen
Logarithmus und schreiben für loge den Ausdruck ln.
3.4. POTENZ, EXPONENTIALFUNKTION UND LOGARITHMUS
127
Korollar 3.4.1 (i) Für alle x, y > 0 gilt
loga (xy) = loga x + loga y.
(ii) Für alle x > 0 und alle y 2 R gilt
loga xy = y loga x.
(iii)
loga (a) = 1.
Beweis. (i) Wir setzen x = av und y = aw . Dann gilt
loga (xy) = loga (av aw ) = loga (av+w ) = v + w = loga x + loga y.
2
Lemma 3.4.12 Es sei {xn }n2N eine Folge mit limn!1 xn = 0 und 1 + xn > 0, xn 6=
0 für alle n 2 N. Dann gilt
1
lim (1 + xn ) xn = e
n!1
Beweis. Wir benutzen die Definition
✓
◆n
1
e = lim 1 +
n!1
n
und
1
.
N
O.E.d.A. können wir annehmen, dass für alle n 2 N die Ungleichung 0 < |xn | < 1
gilt. Dann gibt es zu jedem n 2 N ein kn 2 N mit
8N 2 N 9M 2 N 8n
M:
|xn | <
1
1
 |xn | < .
kn + 1
kn
Dann gilt für xn > 0
(1 +
1
1
1
)kn  (1 + xn ) xn  (1 + )kn +1
kn + 1
kn
2
Korollar 3.4.2 Für alle x 2 R gilt
⇣
x ⌘n
lim 1 +
= ex
n!1
n
128
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Beweis. Falls x = 0, dann gelten
✓
◆n
0
1+
=1
n
1 = e0 .
und
Falls x 6= 0, so gilt für fast alle n
x
<1
n
bzw.
1+
x
> 0.
n
Außerdem ist xn = nx , n 2 N, eine gegen 0 konvergente Folge. Mit Lemma 3.4.12
folgt
1
⇣
⇣
x ⌘ nx ⇣
x ⌘n ⌘ x
e = lim 1 +
= lim 1 +
.
n!1
n!1
n
n
2
Beispiel 3.4.2 (i) Die Reihe
1
X
1
n(ln n)
n=2
divergiert.
(ii) Die Reihe
1
X
1
n(ln
n)2
n=2
konvergiert.
(iii) Die Reihe
1
X
1
n(ln n)(ln(ln n))
n=3
divergiert.
(iv) Die Reihe
1
X
1
n(ln
n)(ln(ln
n))2
n=3
konvergiert.
P1
1
Beweis. (i) Nach dem Verdichtungssatz konvergiert die Reihe n=2 n ln(n)
genau dann, wenn die
Reihe
1
1
1
X
X
2k
1
1 X1
=
=
2k ln(2k )
k ln 2
ln 2
k
k=1
k=1
k=1
P1
konvergiert. Die Reihe k=1 k1 divergiert.
P1
1
(ii) Nach dem Verdichtungssatz konvergiert die Reihe
n=2 n(ln n)2 genau dann, wenn die
Reihe
1
1
1
X
X
2k
1
1 X 1
=
=
2k (ln(2k ))2
k2 (ln 2)2
(ln 2)2
k2
k=1
k=1
k=1
P1
konvergiert. Die Reihe k=1 k12 konvergiert.
P1
1
(iii) Nach dem Verdichtungssatz konvergiert die Reihe n=3 n(ln n)(ln(ln
n)) genau dann, wenn
die Reihe
1
X
k=2
1
1
k=2
k=2
X
2k
1
1 X
1
=
=
k
k
k
2 (ln 2 )(ln(ln 2 ))
k(ln 2)(ln k(ln 2))
ln 2
k(ln k + ln(ln 2))
3.4. POTENZ, EXPONENTIALFUNKTION UND LOGARITHMUS
129
konvergiert. Die letzte Reihe konvergiert genau dann, wenn die Reihe
1
X
k=2
1
k(ln k)
konvergiert. Nach (i) divergiert diese Reihe.
(iv)
1
X
k=3
1
1
k=3
k=3
2k
1 X
1
1 X
1
=
=
k
k
k
2
2
2 (ln 2 )(ln(ln 2 ))
(ln 2)
k(ln k(ln 2))
(ln 2)
k(ln k + ln(ln 2))2
Diese Reihe konvergiert genau dann, wenn die Reihe
1
X
k=3
1
k(ln k)2
konvergiert. Nach (ii) konvergiert diese Reihe. 2
Beispiel 3.4.3 Die Folge
s r
q
p
xn = 1! 2! 3! · · · n!
n2N
konvergiert.
Beweis. Wir zeigen, dass die Folge {xn }n2N monoton wachsend und nach oben beschränkt ist.
xn =
n
Y
1
(k!) 2k <
k=1
n+1
Y
1
(k!) 2k = xn+1
k=1
Damit ist die Folge monoton wachsend.
xn =
n
Y
(k!)
k=1
1
2k

n
Y
(k)
k
2k
k=1
=
n
Y
k=1
!
✓
◆
n
X
k
k ln k
exp (ln k) k = exp
2
2k
k=1
Es bleibt zu zeigen, dass
1
X
k ln k
k=1
2k
konvergiert. Dazu verwenden wir das Quotientenkriterium.
✓
◆✓
◆
(k+1) ln(k+1)
ln(1 + k1 )
1 (k + 1) ln(k + 1)
1
1
2k+1
=
=
1+
1+
k ln k
2
k ln k
2
k
ln k
2k
2
Beispiel 3.4.4 Es sei n 2 N. Es bezeichne bxc die größte, ganze Zahl, die kleiner als x ist und
dxe die kleinste ganze Zahl, die größer als x ist. Gilt
⇠
⇡
⌫
2n
2
=
?
1
log2 2
2n 1
Man kann zeigen, dass die Di↵erenz
2n
log2 2
monoton gegen 1 wächst.
2
1
2n
1
130
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
3.5
Di↵erenzierbare Funktionen
Wir wollen hier Funktionen betrachten, deren Graph eindeutige Tangenten besitzen.
Wir wollen die Steigung dieser Tangente berechnen, d.h. die Steigung der Kurve in
dem Punkt der Tangente berechnen. Diese Steigung werden wir als Ableitung der
Funktion bezeichnen.
Anschaulich ist eine Funktion in einem Punkt di↵erenzierbar, wenn ihr Graph
eine eindeutige Tangente besitzt. So ist eine Funktion, deren Graph eine Ecke
besitzt, nicht di↵erenzierbar. Ebenso ist eine Funktion nicht di↵erenzierbar, wenn
sie einen Sprung besitzt.
Intuitiv mag man annehmen, dass jede stetige Funktion ”fast überall” di↵erenzierbar ist. Dazu lassen sich aber Beispiel konstruieren, die dies widerlegen. Zuallererst
eine stetige Funktion, die in keinem Punkt di↵erenzierbar ist (Beispiel 3.9.3, Beispiel
5.10.1). Darüber hinaus kann man sich die Frage stellen, inwieweit man vorschreiben
kann, wo eine stetige Funktion di↵erenzierbar ist und wo nicht? Dazu das Beispiel
einer stetigen Funktion, die in allen irrationalen Punkten di↵erenzierbar ist und in
allen rationalen Punkten nicht di↵erenzierbar ist (Beispiel 5.4.2). Die Cantor Funktion (Beispiel 5.3.2) ist eine wachsende, stetige Funktion, die in allen Punkten der
Cantor Menge nicht di↵erenzierbar ist und in allen anderen Punkten di↵erenzierbar.
Definition 3.5.1 Es sei I ein Intervall in R und f : I ! R eine Funktion. f heißt
in x0 2 I di↵erenzierbar, falls der Grenzwert
(3.5)
lim
x!x0
f (x)
x
f (x0 )
x0
existiert.
In dieser Form erscheint die Definition durchgängig in der Literatur. Wir wollen
noch limx!x0 entsprechend interpretieren und die Definition genauer aufschreiben.
Definition 3.5.2 Es sei I ein Intervall in R und f : I ! R eine Funktion. f heißt
in x0 2 I di↵erenzierbar, falls ein ⌘ 2 R existiert, so dass für alle Folgen {xn }n2N
mit limn!1 xn = x0 und xn 6= x0 für alle n 2 N
lim
n!1
f (xn )
xn
f (x0 )
=⌘
x0
gilt.
Die Di↵erenzierbarkeit von f in x0 in Quantorenschreibweise ist
⇣
⌘
f (xn )
9⌘ 2 R8{xn }n2N , lim xn = x0 ^ 8n 2 N : xn 6= x0 :
lim
n!1
n!1
xn
f (x0 )
=⌘
x0
bzw.
9⌘ 2 R8{hn }n2N ,
⇣
⌘
lim hn = 0 ^ 8n 2 N : hn 6= 0 :
n!1
f (x0 + hn )
n!1
hn
lim
f (x0 )
= ⌘.
3.5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN
131
Wir bezeichnen den Grenzwert (3.5) mit
df
(x0 )
dx
und
f 0 (x0 ).
Wir nennen diesen Grenzwert die Ableitung von f im Punkt x0 . Falls x0 linker
bzw. rechter Endpunkt von I ist, so heißt f in x0 linksseitig bzw. rechtsseitig
di↵erenzierbar.
Falls f auf I di↵erenzierbar ist, so heißt die Funktion f 0 : I ! R, die jedem
x 2 I die Ableitung von f in diesem Punkt zuordnet die Ableitung von f . Falls f 0
auf I stetig ist, so heißt f auf I stetig di↵erenzierbar. Die höheren Ableitungen sind
durch
f 00 = (f 0 )0
und
f (n) = (f (n 1) )0 n 2 N
definiert.
Lemma 3.5.1 (Binomische Formel) Für alle x, y 2 R und alle n 2 N gilt
n ✓ ◆
X
n n k k
n
(x + y) =
x y
k
k=0
wobei die Binomialkoeffizienten durch
✓ ◆
n
n!
=
k
k!(n k)!
gegeben sind.
Beweis. Wir benutzen Induktion. Für n = 1 ist die Aussage o↵ensichtlich richtig.
Nun machen wir den Induktionsschritt von n auf n + 1. Es gilt
n ✓ ◆
X
n n k k
n
(x + y) =
x y
k
k=0
Hieraus folgt
(x + y)n+1 = (x + y)(a + y)n
n ✓ ◆
n ✓ ◆
X
n n+1 k k X n n k k+1
=
x
y +
x y
k
k
k=0
k=0
✓ ◆
◆
✓ ◆
n ✓ ◆
n ✓
X
n n+1
n n k+1 k X
n
n n+1
n+1 k k
=
x
+
x
y +
x
y +
y
0
k
k
1
n
k=1
k=1
✓ ◆
✓
◆◆
✓ ◆
n ✓✓ ◆
X
n n+1
n
n
n n+1
n+1 k k
=
x
+
+
x
y +
y .
0
k
k 1
n
k=1
Weiter gilt
✓ ◆ ✓
◆ ✓
◆
n
n
n+1
+
=
k
k 1
k
132
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
weil
✓ ◆ ✓
◆
n
n
n!
n!
+
=
+
k
k 1
k!(n k)! (k 1)!(n k + 1)!
✓
◆
n!((n k + 1) + k)
n+1
=
=
.
k!(n k + 1)!
k
Somit
n+1
(x + y)
2
◆
n+1 ✓
X
n + 1 n+1 k k
=
x
y .
k
k=0
Beispiel 3.5.1 (i) f : R ! R, f (x) = c. Dann gilt f 0 (x) = 0.
(ii) f : R ! R, f (x) = xm , m 2 N. Dann gilt f 0 (x) = mxm
1
.
(iii) f : (0, 1) ! R, f (x) = ln x. Dann gilt
f 0 (x) =
1
.
x
(iv) f : (0, 1) ! R, f (x) = loga x. Dann gilt
f 0 (x) =
1
1
= loga e .
x ln a
x
(v) f : R ! R, f (x) = |x|. Dann ist f nicht in 0 di↵erenzierbar.
Beweis. (i)
f 0 (x0 ) = lim
x!x0
f (x)
x
f (x0 )
0
= lim
=0
x!x
x0
x0
0 x
(ii) Wir setzen x = x0 + h.
f (x0 )
f (x0 + h) f (x0 )
= lim
h!0
x0
h
(m ✓ ◆
1
1 X m m
= lim {(x0 + h)m xm
x
0 } = lim
h!0 h
h!0 h
k 0
k=0
m ✓ ◆
m ✓ ◆
X
1X m m k k
m m k k
= lim
x
h = lim
x
h
h!0 h
h!0
k 0
k 0
f 0 (x0 ) =
lim
x!x0
f (x)
x
k=1
k k
h
1
xm
0
= mxm
0
)
1
k=1
(iii) Wir setzen x = x0 + h.
f (x) f (x0 )
f (x0 + h)
= lim
h!0
x x0
h
1
= lim {ln(x0 + h) ln x0 }
h!0 h
f 0 (x0 ) =
lim
f (x0 )
x!x0
D.h. dass für alle Folgen {hn }n2N mit limn!1 hn = 0 und mit hn 6= 0 für alle n 2 N
f 0 (x0 ) = lim
n!1
1
{ln(x0 + hn )
hn
ln x0 }
3.5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN
133
gelten muss. Wir führen die Rechnung fort
✓
◆
1 x0
hn
f (x0 ) = lim
= lim
ln 1 +
n!1
n!1 x0 hn
hn
x0
!
✓
◆ hx0
1
hn n
= lim
ln
1+
.
n!1 x0
x0
ln(1 +
0
hn
x0 )
Da der Logarithmus eine stetige Funktion ist, gilt weiter
✓
◆ x0 !
hn hn
lim 1 +
.
n!1
x0
1
f (x0 ) =
ln
x0
0
Nach Lemma 3.4.12 und Korollar 3.4.1
f 0 (x0 ) =
Insgesamt erhalten wir ln0 (x0 ) =
(iv) Wir benutzen
1
1
ln e =
.
x0
x0
1
x0 .
loga x =
ln x
.
ln a
Diese Gleichung folgt aus
x = aloga x .
(v) f di↵erenzierbar in x0 bedeutet
9⌘ 2 R 8{hn }n2N , lim hn = 0 :
f (x0 + hn )
hn
f (x0 )
f (x0 + hn )
n!1
hn
f (x0 )
lim
n!1
n!1
= ⌘.
f ist nicht in x0 di↵erenzierbar heißt
8⌘ 2 R 9{hn }n2N , lim hn = 0 :
lim
n!1
6= ⌘.
In dem vorliegenden Beispiel ist x0 = 0. Wir betrachten zuerst den Fall, dass ⌘  0. Wir wählen
hn = n1 , n 2 N. Dann gilt
1
f (x0 + n1 ) f (x0 )
0
n
=
= 1.
1
1
n
Für ⌘
0 wählen wir hn =
1
n.
n
Dann erhalten wir
f (x0
1
n)
1
n
f (x0 )
=
1
n
0
1
n
=
1.
2
Satz 3.5.1 Es sei I ein Intervall und f : I ! R sei di↵erenzierbar in x0 . Dann ist
f stetig in x0 .
Beweis. Es sei {xn }n2N eine Folge mit limn!1 xn = x0 und mit xn 6= x0 für fast
alle n 2 N. Da f in x0 di↵erenzierbar ist, folgt
f (xn )
n!1
xn
lim
f (x0 )
= f 0 (x0 ).
x0
134
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Hieraus folgt
lim (xn
n!1
x0 )
f (xn )
xn
f (x0 )
= lim f 0 (x0 )(xn
n!1
x0
x0 ) = 0.
Es folgt
lim f (xn )
n!1
f (x0 ) = 0.
und damit
lim f (xn ) = f (x0 ).
n!1
für alle Folgen mit limn!1 xn = x0 und mit xn 6= x0 für alle n 2 N. Es bleibt
zu zeigen, dass wir auf die Einschränkung xn 6= x0 für fast alle n 2 N verzichten
können.
Falls für fast alle n 2 N die Gleichung xn = x0 gilt, gilt o↵ensichtlich limn!1 f (xn ) =
f (x0 ). Wir betrachten nun die Teilfolge {xnk }k2N mit xnk 6= x0 für alle k 2 N (für
alle anderen xn gelte xn = x0 ). Nach obigem Argument gilt
lim f (xnk ) = f (x0 ).
k!1
Deshalb hat die Folge {f (xnk )}k2N genau einen Häufungswert, nämlich f (x0 ). Folglich hat die Folge {f (xn )}n2N auch nur den Häufungswert f (x0 ) Nach Lemma 2.6.3
konvergiert die Folge gegen f (x0 ). 2
Bemerkung 3.5.1 (i) Aus der Stetigkeit folgt nicht die Di↵erenzierbarkeit. Ein
Beispiel dafür ist die Funktion f (x) = |x| im Punkt 0.
(ii) Es gibt Funktionen, die auf einem Intervall stetig sind, aber in keinem Punkt
di↵erenzierbar.
(iii) Falls eine Funktion auf einem Intervall di↵erenzierbar ist, so muss die Ableitung
nicht stetig sein.
Lemma 3.5.2 Es seien f, g : I ! R Funktionen, die in x0 di↵erenzierbar sind.
Dann gelten
(i) f + g ist in x0 di↵erenzierbar und
(f + g)0 (x0 ) = f 0 (x0 ) + g 0 (x0 ).
(ii) (Produktregel) f · g ist in x0 di↵erenzierbar und
(f g)0 (x0 ) = f 0 (x0 )g(x0 ) + f (x0 )g 0 (x0 ).
(iii) (Quotientenregel) Ist g 6= 0 auf dem Intervall I, so existiert
in x0 di↵erenzierbar. Es gilt
✓ ◆0
f
f 0 (x0 )g(x0 ) f (x0 )g 0 (x0 )
(x0 ) =
.
g
g 2 (x0 )
f
g
auf I und
f
g
ist
3.5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN
135
Beweis. (ii) Es sei {xn }n2R eine reelle Folge mit limn!1 xn = x0 . Es gilt
f (xn )g(xn ) f (x0 )g(x0 )
xn x0
f (xn )g(xn ) f (xn )g(x0 ) f (xn )g(x0 ) f (x0 )g(x0 )
=
+
xn x0
xn x0
g(xn ) g(x0 )
f (xn ) f (x0 )
= f (xn )
+ g(x0 )
.
xn x0
xn x0
Da f di↵erenzierbar ist, ist f insbesondere stetig (Satz 3.5.1). Somit folgt aus der
Di↵erenzierbarkeit von f und g
g(xn )
xn
g(x0 )
= f (x0 )g 0 (x0 )
x0
f (xn )
xn
f (x0 )
= f 0 (x0 )g(x0 )
x0
lim f (xn )
n!1
lim g(x0 )
n!1
Also gilt
f (xn )g(xn )
n!1
xn
lim
f (x0 )g(x0 )
= f (x0 )g 0 (x0 ) + f 0 (x0 )g(x0 ).
x0
2
Beispiel 3.5.2 (i) Es sei pn : R ! R die n-te Potenzfunktion, die durch pn (x) = xn definiert ist.
Dann gilt
(pn )0 (x) = nxn 1 .
(ii) Alle Polynome p : R ! R mit
p(x) =
n
X
ak xk
k=0
sind auf R di↵erenzierbar.
(iii) Alle rationalen Funktionen
p
q
sind auf R \ {x|q(x) = 0} di↵erenzierbar.
Beweis. (i) Wir haben diese Aussage in Beispiel 3.5.1 bereits bewiesen. Dabei haben wir die
binomische Formel benutzt. Wir wollen hier die Aussage beweisen, ohne die binomische Formel zu
benutzen. Wir verwenden Induktion.
Wir zeigen die Aussage für n = 1:
lim
x!x0
p1 (x)
x
p1 (x0 )
x
= lim
x!x0 x
x0
Wir nehmen an, wir haben bereits (pn )0 (x) = nxn
folgt
1
x0
= 1.
x0
gezeigt. Mit der Produktregel (Lemma 3.5.2)
(pn+1 )0 (x) = (pn · p1 )0 (x) = (pn )0 (x)p1 (x) + pn (x)(p1 )0 (x) = nxn
1
· x + xn = (n + 1)xn .
(ii) Nach (i) sind alle Monome bzw. Potenzfunktionen auf R di↵erenzierbar. Nach Lemma 3.5.2
auch Summen von Monomen.
(iii) Es sei x0 ein Punkt mit q(x0 ) 6= 0. Da q stetig ist, gibt es ein Intervall [x0 ✏, x0 + ✏] auf
dem q von 0 verschieden ist. Nun wenden wir (ii) und die Quotientenregel an (Lemma 3.5.2). 2
136
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Satz 3.5.2 (Kettenregel) Es seien I und J Intervalle und f : I ! J und g : J !
R Funktionen, die in x0 bzw. f (x0 ) di↵erenzierbar sind. Dann ist g f in x0
di↵erenzierbar und es gilt
(g f )0 (x0 ) = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ).
Beweis. Es sei {xn }n2R eine reelle Folge mit limn!1 xn = x0 und mit xn 6= x0 für
alle n 2 N. Da f in x0 di↵erenzierbar ist, so ist f auch in x0 stetig und es gilt
lim f (xn ) = f (x0 ).
n!1
Wir betrachten drei Fälle. Falls für fast alle n 2 N gilt, dass f (xn ) 6= f (x0 ), dann
gibt es ein N , so dass für alle n > N
(g f )(xn ) (g f )x0
g(f (xn ))
=
xn x0
f (xn )
g(f (x0 )) f (xn )
f (x0 )
xn
f (x0 )
x0
gilt. Da g di↵erenzierbar und f stetig ist, gilt
lim
n!1
g(f (xn ))
f (xn )
g(f (x0 ))
= g 0 (f (x0 )).
f (x0 )
Insgesamt erhalten wir
(g f )(xn )
n!1
xn
lim
(g f )(x0 )
= g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ) .
x0
Der zweite Fall ist, dass für fast alle n 2 N gilt f (xn ) = f (x0 ). Dann gibt es ein
N 2 N, so dass für alle n N gilt f (xn ) = f (x0 ). Deshalb
(g f )(xn )
n!1
xn
lim
(g f )(x0 )
= 0.
x0
Andererseits gilt auch
f (xn )
n!1
xn
f 0 (x0 ) = lim
f (x0 )
= 0.
x0
Es folgt
(g f )(xn ) (g f )(x0 )
= 0 = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ) .
n!1
xn x0
Nun der dritte Fall: Es gibt unendlich viele n 2 N mit f (xn ) = f (x0 ) und unendlich
viele n 2 N mit f (xn ) 6= f (x0 ). Also gibt es zwei Teilfolgen {xnk }k2N und {xmj }j2N
mit
N = {nk |k 2 N} [ {mj |j 2 N}
lim
und f (xnk ) = f (x0 ) für alle k 2 N und f (xmj ) 6= f (x0 ) für alle j 2 N. Es folgt
f (xnk )
k!1
xnk
f 0 (x0 ) = lim
f (x0 )
= 0.
x0
3.5. DIFFERENZIERBARE FUNKTIONEN
137
Wie im ersten Fall erhalten wir
lim
k!1
(g f )(xnk )
xnk
(g f )(x0 )
= g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ).
x0
und wie im zweiten Fall erhalten wir
(g f )(xnj )
j!1
xnj
lim
(g f )(x0 )
= 0 = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ).
x0
Also konvergieren beide Teilfolgen gegen den Grenzwert g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ). Hiermit
folgt
(g f )(xn ) (g f )(x0 )
lim
= g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ).
n!1
xn x0
2
Satz 3.5.3 Es seien I und J Intervalle und f : I ! J sei eine Funktion, die in x0
di↵erenzierbar sei und für die f (I) = J gilt. Es gelte f 0 (x0 ) 6= 0 und es existiere die
Umkehrfunktion f 1 : J ! I. Dann ist f 1 in f (x0 ) di↵erenzierbar und es gilt
(f
1 0
) (f (x0 )) =
1
f 0 (x0 )
.
Beweis. Es sei {yn }n2N eine Folge in J mit limn!1 yn = y0 und yn 6= y0 für n 2 N.
Wir setzen xn = f 1 (yn ) für n = 0, 1, 2, . . . . Dann gilt für alle n 2 N mit xn 6= x0 ,
weil f und f 1 injektiv sind. Weiter gilt
f
1
(yn )
yn
f 1 (y0 )
f
=
y0
1
(f (xn ))
f (xn )
f 1 (f (x0 ))
xn
=
f (x0 )
f (xn )
x0
=
f (x0 )
Deswegen erhalten wir
lim
n!1
f
1
(yn )
yn
f 1 (y0 )
= lim
n!1
y0
1
f (xn ) f (x0 )
xn x0
=
1
f 0 (x0 )
.
2
Beispiel 3.5.3 Es sei f : [ 1, 1] ! R durch
8
< x2 cos x⇡2
f (x) =
:
0
falls x 2 [ 1, 1] und x 6= 0
falls x = 0
gegeben. Dann ist f auf [ 1, 1] di↵erenzierbar und f 0 ist in 0 unstetig.
Beweis. Falls 0 6= x gilt, dann kann man die Kettenregel anwenden und erhält
f 0 (x) = 2x cos
⇣ ⇡ ⌘ 2⇡
⇣⇡⌘
+
sin
.
x2
x
x2
1
f (xn ) f (x0 )
xn x0
.
138
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Für x = 0 rechnet man aus
x2 cos
x!0
x
f 0 (0) = lim
⇡
x2
= lim x cos
x!0
⇣⇡⌘
=0
x2
f ist also auf ganz [ 1, 1] di↵erenzierbar. Wir weisen nun nach, dass f 0 in 0 nicht stetig ist.
Wir betrachten die Punkte
1
xn = q
2n +
Dann gelten
n 2 N.
1
2
lim xn = 0
n!1
und
0
1
f (xn ) = 2 q
2n +
1
2
r
r
✓ ✓
◆◆
✓ ✓
◆◆
1
1
1
1
cos ⇡ 2n +
+ 2⇡ 2n + sin ⇡ 2n +
= 2⇡ 2n + .
2
2
2
2
Also konvergiert die Folge {f 0 (xn )}n2N nicht. 2
Beispiel 3.5.4 (i) ex ist auf R di↵erenzierbar und (ex )0 = ex .
(ii) Es sei a > 0. Dann ist ax auf R di↵erenzierbar und (ax )0 = (ln a)ax .
(iii) Es sei ↵ 6= 0 und f : [0, 1) ! R, f (x) = x↵ . Die Funktion f ist auf (0, 1) di↵erenzierbar
und es gilt (x↵ )0 = ↵x↵ 1 .
(iv) Es sei f : [0, 1) ! R
f (x) =
(
1
xx
falls x = 0
falls x > 0
f ist di↵erenzierbar auf (0, 1) und f 0 (x) = xx (1 + ln x).
2
1.8
1.6
1.4
1.2
0.5
1
1.5
2
0.8
Beweis. (i) ln x ist auf (0, 1) di↵erenzierbar und ex ist die Umkehrfunktion. Nach Satz 3.5.3 gilt
(f
1 0
) (f (x)) =
1
.
f 0 (x)
3.6. DER SATZ VON ROLLE UND DER MITTELWERTSATZ
139
Also gilt für f mit f (x) = ln x
(f
1 0
) (ln x) =
1
= x.
f 0 (x)
Mit y = ln x folgt
(f
1 0
) (y) = ey .
(ii) Es gilt
x
ax = eln(a
)
= ex ln a .
(iii) Da der Logarithmus ln und die e-Funktion di↵erenzierbar sind ist auch die zusammengesetzte
Funktion
↵
x↵ = eln(x ) = e↵ ln x
nach der Kettenregel di↵erenzierbar und es gilt
(x↵ )0 = (e↵ ln x )0 = e↵ ln x (↵ ln x)0 =
↵ ↵ ln x
xe
=
↵ ↵
xx
= ↵x↵
1
.
(iv) Wir verwenden die Gleichung
x
xx = eln x = ex ln x .
2
3.6
Der Satz von Rolle und der Mittelwertsatz
Michel Rolle (ausgesprochen: Roll) wurde am 21.4.1652 in Ambert in der Auvergne geboren. Er
war Sohn eines Krämers und erhielt nur eine elementare Ausbildung und arbeitete zunächst als
Schreiber. Er ging 1675 nach Paris und wurde Hauslehrer. Ab 1699 erhielt er als Mitglied der
Pariser Akademie ein reguläres Gehalt. Er arbeitete vorwiegend auf dem Gebiet der Algebra. Er
starb am 8.11.1719 in Paris.
Definition 3.6.1 Es sei X ✓ R und f : X ! R. Wir sagen, dass f in x0 ein
lokales Maximum (Minimum) hat, wenn es ein > 0 gibt, so dass für alle x 2 X
mit |x x0 | <
f (x)  f (x0 )
(f (x) f (x0 ))
gilt. Wir sagen, dass f ein lokales Extremum besitzt, falls es ein lokales Minimum
oder Maximum besitzt.
Lemma 3.6.1 Es sei f : [a, b] ! R in x0 2 (a, b) di↵erenzierbar. Hat f in x0 ein
lokales Extremum, so gilt
f 0 (x0 ) = 0 .
Beweis. f habe in x0 ein lokales Maximum. Dann gilt
9N 2 N 8n > N :
f (x0 + n1 )  f (x0 ) und f (x0
1
)
n
 f (x0 ).
140
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Hieraus folgen
0
f (x0 ) =
f 0 (x0 ) =
f (x0 + n1 )
lim
1
n
n!1
lim
f (x0 ))
1
)
n
f (x0
f (x0 ))
1
n
n!1
0
0.
Also gilt
f 0 (x0 ) = 0.
Für ein lokales Minimum wird genauso argumentiert. 2
Satz 3.6.1 (Rolle) Es sei f : [a, b] ! R auf [a, b] stetig und auf (a, b) di↵erenzierbar.
Es gelte f (a) = f (b). Dann gibt es mindestens ein ⇠ 2 (a, b) mit
f 0 (⇠) = 0.
Ein Beispiel für den Satz von Rolle ist f : [ 1, 1] ! R mit f (x) = x2 . Es gilt
f ( 1) = f (1) = 1 und f 0 (0) = 0.
Beweis. Falls f auf [a, b] konstant ist, dann gilt für alle x 2 (a, b), dass f 0 (x) = 0.
Wir können also annehmen, dass es mindestens einen Punkt gibt, an dem der
Wert von f nicht gleich f (a) = f (b) ist. Da f stetig ist, nimmt f auf [a, b] das
Minimum in xmin und das Maximum in xmax an. Da f nicht konstant ist, gilt
f (xmin ) < f (a) = f (b)
oder
f (xmax ) > f (a) = f (b).
Also gilt xmin 2 (a, b) oder xmax 2 (a, b) und wir können Lemma 3.6.1 anwenden. 2
Satz 3.6.2 (Mittelwertsatz) Es sei f : [a, b] ! R auf [a, b] stetig und auf (a, b)
di↵erenzierbar. Dann gibt es mindestens ein ⇠ 2 (a, b) mit
f 0 (⇠) =
f (b)
b
f (a)
.
a
Beweis. Wir definieren F : [a, b] ! R durch
F (x) = f (x)
f (a)
f (b)
b
f (a)
(x
a
a).
Dann ist F auf [a, b] stetig, auf (a, b) di↵erenzierbar und es gilt F (a) = F (b) = 0.
Damit können wir den Satz von Rolle anwenden und es gibt ein ⇠ 2 (a, b) mit
F 0 (⇠) = 0. Also gilt
f (b) f (a)
0 = F 0 (⇠) = f 0 (⇠)
.
b a
2
3.6. DER SATZ VON ROLLE UND DER MITTELWERTSATZ
141
0.6
0.4
0.2
-2
-1
1
2
-0.2
-0.4
-0.6
Beispiel 3.6.1 Es sei f : [ 1, 1] ! R mit f (x) = x3 . Es gilt
f (1) f ( 1)
= 1.
1 ( 1)
Es gibt zwei Punkte ⇠ =
p1
3
und ⇠ =
p1
3
mit f 0 (⇠) = 1.
Satz 3.6.3 Es sei f : [a, b] ! R auf [a, b] stetig und auf (a, b) di↵erenzierbar. Es
gelte für alle x 2 (a, b), dass f 0 (x) = 0. Dann ist f eine konstante Funktion.
Beweis. Es sei x 2 (a, b]. Nach dem Mittelwertsatz (Satz 3.6.2) gibt es ein ⇠ 2 (a, x)
mit
f (x) f (a)
f 0 (⇠) =
.
x a
Da f 0 (⇠) = 0 gilt, folgt
f (x) = f (a).
2
Korollar 3.6.1 Es seien f, g : [a, b] ! R auf [a, b] stetig und auf (a, b) di↵erenzierbar. Außerdem gelte für alle x 2 (a, b), dass f 0 (x) = g 0 (x). Dann gibt es eine
Konstante c 2 R, so dass für alle x 2 [a, b]
f (x)
g(x) = c
gilt.
Beweis. Wir wenden Satz 3.6.3 auf die Funktion f
g an. 2
Satz 3.6.4 (Verallgemeinerter Mittelwertsatz) Es seien f, g : [a, b] ! R auf [a, b]
stetig und auf (a, b) di↵erenzierbar. Außerdem gelte für alle x 2 (a, b), dass g 0 (x) 6=
0. Dann gilt
(i) g(a) 6= g(b)
(ii) Es gibt ein ⇠ 2 (a, b) mit
f 0 (⇠)
f (b)
=
0
g (⇠)
g(b)
f (a)
.
g(a)
142
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Dieser verallgemeinerte Mittelwersatz hat auch eine geometrische Interpretation.
Die Kurve : [a, b] ! R2 mit
(t) = (f (t), g(t))
besitzt eine Tangente, die parallel zu der Geraden durch die Punkte (a) und (b)
ist.
Beweis. (i) Falls g(a) = g(b), dann gibt es nach dem Mittelwertsatz (Satz 3.6.2)
ein ⇠ 2 (a, b) mit
g(b) g(a)
g 0 (⇠) =
= 0.
b a
(ii) Wir wenden den Satz von Rolle auf die Funktion
F (x) = f (x)
f (a)
f (b)
g(b)
f (a)
(g(x)
g(a)
g(a))
an. Die Voraussetzungen des Satzes von Rolle sind erfüllt, weil F (a) = F (b) = 0
gilt. Also gibt es ein ⇠ 2 (a, b) mit F 0 (⇠) = 0. Hiermit folgt
0 = F 0 (⇠) = f 0 (⇠)
und damit
f (b)
g(b)
f 0 (⇠)
f (b)
=
0
g (⇠)
g(b)
f (a) 0
g (⇠)
g(a)
f (a)
.
g(a)
2
Lemma 3.6.2 Die Funktion f : [a, b] ! R sei auf [a, b] stetig und auf (a, b) differenzierbar.
(i) Gilt für alle x 2 (a, b), dass f 0 (x) > 0, dann ist f streng monoton wachsend auf
[a, b].
(ii) Gilt für alle x 2 (a, b), dass f 0 (x) < 0, dann ist f streng monoton fallend auf
[a, b].
Beweis. (i) Es sei a  x < y  b. Wir zeigen nun, dass f (x) < f (y).
Nach dem Mittelwertsatz gibt es ein ⇠ 2 (x, y) mit
f (y)
y
Also gilt f (y)
f (x)
= f 0 (⇠) > 0.
x
f (x) > 0. 2
Beispiel 3.6.2 (i) Die Funktion f : [0, 1] ! R, f (x) = x2 , ist auf [0, 1] streng monoton wachsend.
(ii) Die Funktion f : [ 1, 1] ! R, f (x) = x3 , ist auf [ 1, 1] streng monoton wachsend.
(iii) ex ist auf R streng monoton wachsend.
(iv) ln ist auf (0, 1) streng monoton wachsend.
3.6. DER SATZ VON ROLLE UND DER MITTELWERTSATZ
143
Beweis. (i), (iii) und (iv) folgen unmittelbar aus Lemma 3.6.2. (ii) können wir nicht unmittelbar
aus Lemma 3.6.2 folgern, weil f 0 (0) = 0 gilt. Wenn wir jedoch, das Intervall [ 1, 1] in zwei
Teilintervalle [ 1, 0] und [0, 1] zerlegen, können wir Lemma 3.6.2 anwenden. 2
Lemma 3.6.3 (i) Für alle x mit x 2 (0, 1) gilt
ex <
1
1
x
.
(ii) Für alle x mit x 2 (0, 1) gilt
1 + x < ex .
(iii) Für alle x 2 (0, 1) gilt
x
< ln(1 + x) < x.
1+x
Beweis. (i) Wir wenden den Mittelwertsatz auf die Funktion f : [0, x] ! R,
f (t) = et an. Dann gibt es ein ⇠ 2 (0, x), so dass
f (x)
f (0)
x
= f 0 (⇠)
ex
bzw.
1
x
= e⇠
gilt. Nach Beispiel 3.6.2 ist die e-Funktion streng monoton wachsend. Also gilt
e⇠ < ex . Wir erhalten
ex 1
= e⇠ < ex .
x
Hieraus folgt für alle x 2 (0, 1)
1
ex <
.
1 x
(ii) Wir wenden den Mittelwertsatz auf die Funktion f : [0, x] ! R, f (t) = et an.
Dann gibt es ein ⇠ 2 (0, x), so dass
f (x)
f (0)
x
= f 0 (⇠)
bzw.
ex
1
x
= e⇠
gilt. Nach Beispiel 3.6.2 ist die e-Funktion streng monoton wachsend. Deshalb gilt
e⇠ > e0 . Wir erhalten
ex 1
= e⇠ > e0 = 1.
x
Es folgt 1 + x < ex .
(iii) Nach (ii) gilt 1 + x < ex . Wir nehmen auf beiden Seiten den Logarithmus
und erhalten ln(1 + x) < x.
y
Nach (i) gilt ex < 1 1 x . Wir setzen x = 1+y
und erhalten
y
e 1+y < 1 + y.
Nun nehmen wir auf beiden Seiten den Logarithmus. Da der Logarithmus streng
monoton wachsend ist, bleibt die Ungleichung erhalten. 2
144
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Beispiel 3.6.3 (Euler-Mascheroni Konstante) [99] Die Folge
( n
)
X1
ln n
k
k=1
n2N
konvergiert. (Der Grenzwert wird als Euler-Macheroni Konstante bezeichnet und ist verschieden
von der Zahl e.)
Insbesondere gilt
n
X
1
1 ln 2 + ln n 
 1 + ln(n + 1).
k
k=1
Pn
Wir erhalten hier die Größenordnung der Partialsumme k=1 k1 . Dies kann man auch mit Hilfe
des Integralkriteriums bekommen (Beispiel 5.13.1). Es ist nicht bekannt, ob ide Euler-Mascheroni
Konstante rational oder irrational ist. Die Dezimalbruchentwicklung ist
= 0, 577215664901532......
Lorenzo Mascheroni wurde am 13. Mai 1750 bei Bergamo geboren und er starb am 14. Juli
1800 in Paris (Sein Name spricht sich Maskeroni aus). Er war Professor an der Universität Pavia
und wurde dort Rektor der Universität.
Beweis. Wir setzen
xn =
yn =
n
X
1
k
k=1
n
X
k=1
ln(n + 1)
1
k
n2N
ln n
Wir zeigen, dass die Folge {xn }n2N monoton wachsend und nach oben beschränkt ist, die Folge
{yn }n2N monoton fallend und nach unten beschränkt ist.
Wir zeigen, dass {xn }n2N monoton wächst. Es gilt genau dann xn  xn+1 , wenn
n
X
1
k
k=1
ln(n + 1) 
n+1
X
k=1
1
k
ln(n + 2).
Dies äquivalent zu
ln(n + 2)
Dies wiederum ist äquivalent zu
ln
✓
ln(n + 1) 
n+2
n+1
◆

1
.
n+1
1
.
n+1
Wegen Lemma 3.6.3 (iii) gilt aber ln(1 + n1 )  n1 und die letzte Ungleichung ist wahr.
Wir zeigen nun, dass {yn }n2N monoton fallend ist. Es gilt genau dann yn yn+1 , wenn
n
X
1
k
ln(n)
k=1
n+1
X
k=1
Dies ist äquivalent zu
ln
✓
n+1
n
◆
1
k
ln(n + 1).
1
.
n+1
Diese Ungleichung gilt aber nach Lemma 3.4.7 (iii).
Wir zeigen, dass {xn }n2N nach oben beschränkt ist. Für alle n 2 N gilt xn < yn . Hiermit folgt
für alle n 2 N, dass xn < yn  y1 = 1. Genauso zeigt man, dass {yn }n2N nach unten beschränkt
3.6. DER SATZ VON ROLLE UND DER MITTELWERTSATZ
145
ist. Nach Lemma 2.4.5 konvergiert eine reelle, nach oben beschränkte, monoton wachsende Folge
in R.
Wir wollen noch anmerken, dass die beiden Folgen {xn }n2N und {yn }n2N gegen denselben
Grenzwert konvergieren. Dazu zeigen wir, dass die Folge {xn yn }n2N eine Nullfolge ist. Es gilt
xn
yn = ln n
ln(1 + n1 ).
ln(n + 1) =
Mit Lemma 3.6.3 (iii) folgt
1
1
 ln(1 + n1 )  .
n+1
n
Damit ist {ln(1 + n1 )}n2N eine Nullfolge. 2
Beispiel 3.6.4 [65] Es sei P die Menge der Primzahlen und für alle n 2 N sei Pn die Menge aller
Primzahlen, die kleiner oder gleich n sind. Dann gilt
⇣
X 1
n⌘
ln 1 + ln
<2
.
2
p
p2Pn
Insbesondere divergiert die Reihe
X1
p2P
p
.
Aus diesem Ergebnis folgt auch, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. Beachte auch den
Primzahlsatz [100].
Beweis. Mit Beispiel 2.7.1
Y
p2Pn
p
p
1
=
Y
p2Pn
1
1
1
Y X
1
.
pk
=
1
p
p2Pn k=0
Wir wollen nun einsehen, dass
1
Y X
1
pk
p2Pn k=0
n
X
1
.
k
k=1
Dazu schreiben wir die Primzahlen, die kleiner oder gleich n sind, als Produkt von allen Primzahlen
p1 , . . . , pjn , die kleiner oder gleich n sind. Es sei k 2 N mit 1  k  n. Nach dem Primzahlzerlegungssatz lässt sich k als Produkt von Primzahlen schreiben. Keine dieser Primzahlen kann
strikt größer als k sein. Also gibt es Zahlen k1 , . . . , kjn 2 N0 mit
k=
jn
Y
pki i
i=1
Wir beobachten, dass alle Zahlen k1 , . . . , kjn kleiner oder gleich n sind. Dies gilt, weil 2 die kleinste
Primzahl ist und k  n < 2n gilt. Also gilt
8
9
jn
<Y
=
k
{1, . . . , n} ✓
pj j 0  k1 , . . . , kjn  n
:
;
j=1
Hiermit folgt
jn X
1
1
Y X
Y
1
1
=
kj
pk
j=1 kj =0 pj
p2Pn k=0
jn X
n
Y
1
k
j
j=1 kj =0 pj
=
n
X
k1 ,...,kjn =0
0
@
jn
Y
j=1
1
k
pj j A
1
.
146
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Also
Y
p
p2Pn
Weiter folgt
0
ln @
Y
p2Pn
p
1
>
n
X
1
.
k
k=1
1
!
n
X
p A
1
> ln
.
p 1
k
k=1
Mit Lemma 3.6.3 folgt
!
◆
n
X
X ✓ p ◆
X ✓
X 1
X 2
1
1
ln
<
ln
=
ln 1 +


.
k
p 1
p 1
p 1
p
k=1
p2Pn
p2Pn
Mit Beispiel 3.6.3
p2Pn
p2Pn
⇣
X 2
n⌘
ln 1 + ln
<
.
2
p
p2Pn
2
⇡(n) ist die Anzahl der Primzahlen, die kleiner oder gleich n sind.
Beispiel 3.6.5 [114] Es gibt ein n0 2 N, so dass für alle n
n0
2 n
n
 ⇡(n)  1, 7
3 ln n
ln n
gilt.
Tatsächlich kann man zeigen, dass
lim
n
⇡(n)
n
ln n
= 1.
Beweis. Wir zeigen die rechte Ungleichung durch Induktion. Wir betrachten 2n
n . Wegen
✓ ◆
✓ ◆ ✓ ◆
✓ ◆
✓ ◆
2n
2n
2n
2n
2n
= (1 + 1)2n =
+
+ ···
+ ··· +
n
0
1
n
2n
gilt
2n
n
 22n . Weiter gilt
Es folgt, dass
2n
n
✓ ◆
2n
(2n)!
(2n) · (2n 1) · · · 2 · 1
=
=
2
n
(n!)
n · (n 1) · · · 2 · 1
durch jede Primzahl teilbar ist, die zwischen n und 2n liegt.
✓ ◆
Y
2n
n⇡(2n) ⇡(n) <
p
< 22n
n
n<p2n
Es folgt
(⇡(2n)
⇡(n)) ln n < 2n ln 2 < 1, 39n.
Nach Induktionsannahme gilt ⇡(n) < 1, 7 lnnn . Es folgt für alle n > 1200
⇡(2n) = (⇡(2n)
⇡(n)) + ⇡(n)  1, 39
n
n
n
2n
+ 1, 7
= 3, 09
 1, 7
.
ln n
ln n
ln n
ln 2n
Damit gilt der Satz auch für 2n. Wegen
⇡(2n + 1)  ⇡(2n) + 1 < 3, 09
Nun die linke Ungleichung.
n
2n + 1
+ 1 < 1, 7
ln n
ln(2n + 1)
3.6. DER SATZ VON ROLLE UND DER MITTELWERTSATZ
Lemma 3.6.4 Es sei p eine Primzahl und p⌫p die größte Potenz von p, die
p⌫p  n.
Beweis. Die größte Potenz von p, die n! teilt, ist
n
[n
p ]+[ p2 ]+···
p
,
wobei [x] der ganzzahlige Teil von x ist. Deshalb ist
X✓ n
k
⌫p =
[ r] [ r]
p
p
[
n
r 1
k
pr
◆
]
In dieser Summe ist jeder Summand gleich 0 oder 1, und gleich 0 für
r>
weil dann
[
ln n
,
ln p
n
] = 0.
pr
Es folgt
⌫p  [
ln n
]
ln p
und damit die Behauptung. 2
Korollar 3.6.2 Für jeden Binomialkoeffizienten nk gilt
✓ ◆ Y
n

p⌫p  n⇡(n) .
k
pn
Mit dem Korollar folgt
2n = (1 + 1)n =
n ✓ ◆
X
n
k=0
Deshalb
k
 (n + 1)n⇡(n)
n ln 2  ln(n + 1) + ⇡(n) ln n
n ln 2
ln n
ln(n + 1)
 ⇡(n)
ln n
Für n > 200 folgt
2 n
 ⇡(n)
3 ln n
2
Beispiel 3.6.6 (i) Die Folge
divergiert.
(ii) Es gilt
⇢✓
◆n
1
1+ p
n
n2N
✓
◆n
1
1+ 2
= 1.
n!1
n
lim
(iii) Es gilt
✓
◆n
1
lim 0.999 +
= 0.
n!1
n
147
n
k
teilt. Dann gilt
148
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Um einen Eindruck zu erhalten, um welche Größenordnungen es sich handelt, macht man in
(i) die folgende Beobachtung
✓
◆pn
1
(3.6)
lim 1 + p
= e.
n!1
n
Hieraus folgt heuristisch mit etwas Mut und Vertrauen
✓
◆n
p
1
1+ p
⇠ e n.
n
Dieser Schluss führt hier zu einem richtigen Ergebnis, obwohl man i.A. durch einen solchen Schluss
auch falsche Ergebnisse bekommen kann. Für (ii) kann man ähnlich argumentieren.
Beweis. (i) Mit der Bernoulli Ungleichung (Lemma 2.4.6)
✓
◆n
p
1
1+ p
1 + n.
n
Die Folge ist unbeschränkt und divergiert deshalb.
Wir wollen noch einen Beweis liefern, der unsere Beobachtung (3.6) benutzt. Da e > 2, so gibt
es ein N 2 N, so dass für alle n N
✓
◆pn
1
2< 1+ p
.
n
Somit
p
n
2
(ii) Mit 1 + x  ex
1
Da die e-Funktion stetig ist, gilt
✓
◆n
1
< 1+ p
.
n
✓
◆n
1
1
1
1+ 2
 (e n2 )n = e n .
n
1
lim e n = e0 = 1.
n!1
Auch hier finden wir ein alternatives Argument mit der Beobachtung
✓
◆n2
1
lim 1 + 2
= e.
n!1
n
Wegen e < 3 gibt es ein N 2 N, so dass für alle n N
✓
◆n2
1
3> 1+ 2
n
gilt. Es folgt
3
Da 3x eine stetige Funktion ist, folgt
1
n
✓
◆n
1
> 1+ 2
.
n
1
lim 3 n = 30 = 1.
n!1
(iii) Für alle n
104 gilt 0.999 +
1
n
 0.9991 < 1. Also gilt für alle n
✓
◆n
1
0.999 +
 0.9991n .
n
Weiter gilt
lim 0.9991n = 0.
n!1
2
104
3.7. LOKALE EXTREMA
3.7
149
Lokale Extrema
Satz 3.7.1 (i) Es sei f : (a, b) ! R eine di↵erenzierbare Funktion mit einem
lokalen Extremum in x0 . Dann gilt
f 0 (x0 ) = 0.
(ii) Es sei f : (a, b) ! R eine zweimal stetig di↵erenzierbare Funktion. Es sei
x0 2 (a, b) mit f 0 (x0 ) = 0 und f 00 (x0 ) > 0. Dann besitzt f in x0 ein lokales Minimum.
Falls f 0 (x0 ) = 0 und f 00 (x0 ) < 0 gelten, dann hat f in x0 ein relatives Maximum.
3.8
Die Formel von L’Hôpital
Guillaume Francois Antoine Hôpital, Marquis de Sainte-Mesme wurde 1661 in Paris geboren.
1696 verö↵entlichte L’Hôpital das erste französische Lehrbuch der Analysis überhaupt Analyse des
infiniment petits. Tatsächlich geht es auf Johann I. Bernoulli zurück. L’Hôpital bezahlte Bernoulli
für wissenschaftliche Ergebnisse und deren Publikationsrechte. So stammt die Formel bzw. Regel
von L’Hôpital tatsächlich von Bernoulli. L’Hôpital starb am 3.2.1704 in Paris. Nach dem Tod von
L’Hôpital ging Bernoulli damit an die Ö↵entlichkeit.
Satz 3.8.1 (L’Hôpital) Es seien f, g : (a, b) ! R stetig di↵erenzierbare Funktionen.
Es sei x0 2 (a, b) und g und g 0 seien für alle x 2 (a, b) mit x 6= x0 von 0 verschieden.
Es gelte
f 0 (x)
f (x0 ) = g(x0 ) = 0
und
lim 0
existiere.
x!x0 g (x)
Dann gilt
lim
x!x0
f (x)
f 0 (x)
= lim 0 .
g(x) x!x0 g (x)
Insbesondere gilt
lim
x!x0
f (x)
f 0 (x0 )
= 0
,
g(x)
g (x0 )
falls g 0 (x0 ) 6= 0.
Beweis. Es sei {xn }n2N eine Folge mit limn!1 xn = x0 . Nach Satz 3.6.4 gibt es
dann zu jedem n 2 N ein ⇠n mit ⇠n 2 (xn , x0 ) oder ⇠n 2 (x0 , xn ), so dass
f 0 (⇠n )
f (xn )
=
0
g (⇠n )
g(xn )
f (x0 )
.
g(x0 )
Wegen f (x0 ) = g(x0 ) = 0 folgt
f 0 (⇠n )
f (xn )
=
.
0
g (⇠n )
g(xn )
150
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Da ⇠n 2 (xn , x0 ) bzw. ⇠n 2 (x0 , xn ) gilt, folgt limn!1 ⇠n = x0 . Nach Voraussetzung
existiert
f 0 (x)
lim 0 .
x!x0 g (x)
Deshalb folgt
lim
x!x0
f 0 (x)
f 0 (⇠n )
f (xn )
=
lim
= lim
.
0
0
g (x) n!1 g (⇠n ) n!1 g(xn )
Wir betrachten nun den Fall, dass g 0 (x0 ) 6= 0. Da f 0 und g 0 nach Voraussetzung
stetig sind, gilt
f 0 (x)
limx!x0 f 0 (x)
f 0 (x0 )
lim 0
=
=
.
x!x0 g (x)
limx!x0 g 0 (x)
g 0 (x0 )
2
Beispiel 3.8.1
lim
ex
x!0
1
x2
x
1
2
=
Beweis. Wir müssen zweimal di↵erenzieren. Es gilt
ex
1
= .
x!0 2
2
lim
Deshalb gilt
ex 1
1
= .
x!0
2x
2
lim
Hieraus folgt
lim
ex
x!0
1
x2
x
=
1
.
2
⇤
Satz 3.8.1 kann dahingehend verallgemeinert werden, dass auch x0 = a oder
x0 = b zugelassen wird.
Wir hatten bereits in (3.2) definiert, wann eine Folge gegen 1 konvergiert. Eine
Folge xn , n 2 N, konvergiert gegen 1, wenn
8C > 09N 8n
N:
xn
C.
Satz 3.8.2 Es seien f, g : (a, b) ! R stetig di↵erenzierbar. Es sei g(x) 6= 0 für alle
x 2 (a, b).
(i) Es gelte
lim f (x) = lim g(x) = 0
x!a
und
x!a
Dann gilt
f (x)
f 0 (x)
= lim 0 .
x!a g(x)
x!a g (x)
lim
f 0 (x)
x!a g 0 (x)
lim
existiere.
3.8. DIE FORMEL VON L’HÔPITAL
151
(ii) Es gelte
lim g(x) = 1
f 0 (x)
x!a g 0 (x)
und
x!a
lim
existiere.
Dann gilt
f (x)
f 0 (x)
lim
= lim 0 .
x!a g(x)
x!a g (x)
Beweis. Es sei ✏ > 0. Wir bestimmen ein
> 0, so dass für alle y 2 (a, a + )
f 0 (y)
f 0 (x)
<
lim
+✏
g 0 (y) x!a g 0 (x)
gilt. Nach dem Mittelwertsatz (Satz 3.6.4) gibt es für alle v, w 2 (a, a+ ) mit v < w
ein ⇠ 2 (v, w) mit
f 0 (⇠)
f (w) f (v)
=
.
0
g (⇠)
g(w) g(v)
existiert. Es folgt
f (w) f (v)
f 0 (x)
< lim
+ ✏.
g(w) g(v) x!a g 0 (x)
Wir können v so nahe bei a wählen, dass
f (w)
f 0 (x)
< lim 0
+ 2✏.
g(w) x!a g (x)
2
Satz 3.8.3 Es seien f, g : [a, 1) ! R di↵erenzierbare Funktionen mit limx!1 f (x) =
0 und limx!1 g(x) = 0. Weiter existiere
f 0 (x)
.
x!1 g 0 (x)
lim
Dann gilt
f (x)
f 0 (x)
= lim 0 .
x!1 g(x)
x!1 g (x)
lim
Beispiel 3.8.2 (i) Es gilt
lim
x!0
ln(1 + x)
= 1.
x
(ii) Es gilt
lim x ln x = 0.
x!0
(iii) Es sei ↵ > 0. Dann
lim x↵ ln x = 0.
x!0
(iv) Es sei ↵ > 0. Dann gilt
lim
x!1
ln x
= 0.
x↵
152
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Beweis. Mit der Formel von L’Hospital folgt
(i) Mit Satz 3.8.1
ln(1 + x)
1
lim
= lim
= 1.
x!0
x!0 1 + x
x
(ii) Mit Satz 3.8.2
lim x ln x = lim
x!0
x!0
ln x
= lim ( x) = 0.
1
x
x!0
(iii) Mit Satz 3.8.2
1
ln x
x
=
lim
x!0 x ↵
x!0 ( ↵)x
lim x↵ ln x = lim
x!0
= lim
↵ 1
x!0
1
( ↵)x
= 0.
↵
(iv)
1
ln x
x
=
lim
x!1 x↵
x!1 ↵x↵
lim
1
= 0.
x!1 ↵x↵
= lim
1
2
Manchmal kann die Regel von L’Hôpital nicht erfolgreich angewendet werden,
weil sich die Ausdrücke nicht entscheidend ändern. In dem Fall muss eine geschickte
Substitution durchgeführt werden.
Beispiel 3.8.3 (i)
ex + e
x!1 ex
e
lim
x
x
=1
Beweis. Wenn wir L’Hôpital zweimal anwenden erhalten wir
ex + e
x!1 ex
e
lim
x
x
ex e
x!1 ex + e
= lim
x
x
ex + e
x!1 ex
e
x
= lim
x
.
Wir erhalten also immer dieselben Ausdrücke, was zu keiner Lösung führt. Wir substituieren
y = ex .
y + y1
1 + y12
ex + e x
lim x
=
lim
=
lim
1 =1
x!1 e
x!1 1
e x x!1 y y1
y2
2
Beispiel 3.8.4
(i)
ln(1 + x)
p
=0
5
x!0
x
lim
(ii)
lim
x
x!0
ln(1 + x)
1
=
x2
2
(iii)
p
1
lim
1 + 12 x
x
x2
x!0
Beweis. (i)
1
4
ln(1 + x)
5x 5
p
lim
= lim 11+x4 = lim
=0
5
x!0
x!0 x 5
x!0 1 + x
x
5
(ii)
lim
x
x!0
(iii)
lim
x!0
2
1
1 1+x
ln(1 + x)
= lim
= lim
2
x!0
x!0
x
2x
p
1
1 + 12 x
x
x2
= lim
x!0
1
2 (1
1+x 1
1+x
x)
2x
2x
1
2
= lim
x!0
+
1
2
x
1+x
2x
= lim
x!0
= lim
x!0
1
4 (1
1
1
=
2(1 + x)
2
x)
2
3
2
=
1
8
=
1
8
3.8. DIE FORMEL VON L’HÔPITAL
Beispiel 3.8.5 Es sei f : [0, 1) ! R
f (x) =
(
153
1
xx
falls x = 0
falls x > 0
(i) f ist di↵erenzierbar auf (0, 1) und f 0 (x) = xx (1 + ln x).
(ii) f ist auf [0, 1) stetig.
(iii) Die rechtseitige Ableitung von f in 0 existiert nicht (sie ist
(iv) f besitzt in 0 ein lokales Maximum und in
ist.
1
e
1).
ein lokales Minimum, das auch globales Minimum
(v) Man kann die obigen Ergebnisse benutzen, um zu entscheiden, welche der beiden Zahlen 100101
und 101100 die größere ist.
Beweis. (i) Da ln und e-Funktion di↵erenzierbare Funktionen sind, ist auch die zusammengesetzte
Funktion xx = ex ln x di↵erenzierbar.
2
1.8
1.6
1.4
1.2
0.5
1
1.5
0.8
(ii) f ist in 0 stetig.
Mit der Formel von L‘Hôpital folgt
lim (x ln x) = 0.
x!0
Also gilt
lim xx = lim ex ln x = exp( lim x ln x) = e0 = 1.
x!0
x!0
t
(iii) Für alle t 2 (0, 1) gilt e 
xx
1
x
1
1 t.
Hiermit erhalten wir
ex ln x
x
=
x!0
1

Falls
lim
x!0
1
1 x ln x
x
xx
1
=
ln x
.
1 x ln x
1
x
existieren würde, so wäre die Folge
ln n1
1 n1 ln n1
n2N
2
154
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
nach unten beschränkt. Dies ist nicht der Fall, da
lim x ln x = 0
x!0
und ln n1 , n 2 N, nicht nach unten beschränkt ist.
(iv) Die lokalen Extrema sind in 0 und 1e .
(xx )0 = (ex ln x )0 = ex ln x (1 + ln x) = xx (1 + ln x)
Wir erhalten, dass genau dann (xx )0 = 0 gilt, wenn 1 + ln x = 0 bzw. x = 1e . Genauer gilt
(xx )0 < 0
,
0<x<
(xx )0 = 0
,
x=
(xx )0 > 0
,
1
e
1
e
1
x>
e
Deshalb ist xx nach Lemma 3.6.2 auf [0, 1e ] streng monoton fallend und auf [ 1e , 1) streng monoton
wachsend. Also hat xx in 0 ein lokales Maximum und in 1e ein lokales Minimum, das tatsächlich
ein globales Minimum ist.
(v) Da xx auf [0, 1e ] streng monoton fallend ist, gilt
✓
Es folgen
1
100
✓
1
◆ 100
1
100
<
✓
<
✓
◆101
1
101
1
◆ 101
1
101
.
◆100
und
101100 < 100101 .
2
Wir wollen nun die Folge betrachten, die durch iteriertes Potenzieren entsteht. Es sei x eine
positive Zahl. Wir betrachten die Folge
xx
x
x
x(x
)
(xx )
x(x
)
......
Beispiel 3.8.6 [1] Es sei x eine positive, reelle Zahl. Wir setzen
a1 = x
an+1 = xan
n2N
Die Folge an , n 2 N, konvergiert genau dann, wenn e e  x  e1/e .
1
Falls die Folge konvergiert, dann ist der Grenzwert gleich y mit x = y y .
Beweis. Es sei 1 < x  e1/e . Dann gilt für alle n 2 N
an < an+1 .
Wir zeigen dies durch Induktion. Es gilt a1 < a2 , d.h. x < xx , weil ln x < x ln x. Nun der
Induktionsschritt. Aus an 1 < an folgt mit Lemma 3.4.10, dass xan 1 < xan also an < an+1 .
Damit ist die Folge monoton wachsend. Wir zeigen durch Induktion, dass an < e gilt. O↵ensichtlich
gilt a1 = x  e1/e < e. Nun der Induktionsschritt.
an+1 = xan  (e1/e )an < (e1/e )e = e
3.8. DIE FORMEL VON L’HÔPITAL
155
Es sei nun y Grenzwert der Folge, also
y = lim an = lim an+1 = lim xan = xlimn!1 an = xy .
n!1
n!1
n!1
1
Damit gilt also x = y y .
Wir wollen nun einsehen, dass die Folge nur für x  e1/e konvergieren kann. Falls die Folge
1
nämlich konvergiert, dann muss x im Bild der Funktion y y liegen. Das Bild dieser Funktion ist
1
aber (0, e1/e ]. Dies folgt aus Beispiel 3.8.5: Das Bild von xx ist [e e , 1). Deshalb ist das Bild von
1
1
x x gleich (0, e e ] und somit auch das Bild von y y (wir substituieren x = y1 ).
Nun der Fall 0 < x < 1. Es gilt
a1 < a3 < a5 < · · · < a2n
1
< · · · < a2n < · · · < a2 .
Wir weisen dies nach. Es gilt für x mit 0 < x < 1 und 0 < s < t die Ungleichung xt < xs . Deshalb
gilt
a1 = x < xx = a2 .
Mit derselben Ungleichung und x < xx < 1 folgen
x
a3 = xx < xx = a2
x
a1 = x < xx = a3 .
und
Somit konvergieren die Folgen a2n , n 2 N, und a2n 1 , n 2 N, und die Folge an , n 2 N, konvergiert
demnach genau dann, wenn wenn die Grenzwerte von a2n , n 2 N, und a2n 1 , n 2 N, gleich sind.
Es bezeichne nun
u = lim a2n
n!1
und
1
g = lim a2n .
n!1
Also konvergiert an , n 2 N, genau dann, wenn u = g gilt. Es gelten
xu = g
xg = u.
und
In der Tat, es gilt
g = lim a2n = lim xa2n
n!1
n!1
1
= xlimn!1 a2n
1
= xu .
Ebenso folgt u = xg . Somit gelten
1
1
x = g u = ug
und
g
x(x
)
u
xx = u.
=g
Die Folge an , n 2 N, konvergiert also genau dann, wenn u = g.
Wir zeigen nun, dass u = g, wenn x 2 [e e , 1). Dazu reicht es zu zeigen, dass es genau ein t
t
t
mit x(x ) = t gibt. Die Gleichung x(x ) = t ist äquivalent zu
xt ln x = ln t
und weiter äquivalent zu
t ln x + ln ln
1
1
= ln ln .
x
t
Wir betrachten zunächst den Fall x 2 (e e , 1). Falls es zwei Punkte t1 und t2 gibt, dei die Gleichung
lösen, dann muss es nach dem Mittelwertsatz einen Punkt t0 geben, in dem die Funktion ln ln 1t
dieselbe Steigung wie die Gerade t ln x+ln ln x1 besitzt, nämlich ln x. Wegen e e < x gilt e < ln x.
Andererseits werden wir zeigen, dass die Ableitung von ln ln 1t immer kleiner oder gleich e
ist.
✓
◆
d
1
1
ln ln
=
dt
t
t ln 1t
156
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Wir bestimmen die Extrema von der Ableitung.
✓
◆
d
1
=
dt
t ln 1t
ln 1t 1
(t ln 1t )2
Es liegt also für t = 1e ein Maximum vor. Damit ist die Ableitung von ln ln 1t immer kleiner oder
gleich e.
Nun der Fall x = e e . Damit ist die Gleichung
1
t
et + 1 = ln ln
Der Punkt t = 1/e ist eine Lösung. Wir zeigen nun, dass es keine weiteren Lösungen gibt. Falls
es eine weitere Lösung gibt, dann muss es nach dem Mittelwertsatz neben t = 1/e einen weiteren
Punkt geben, in dem die Ableitung von ln ln 1t gleich e ist. Dies ist aber nicht der Fall.
Nun zeigen wir, dass für 0 < x < e e die Ungleichung g 6= u gilt. Dazu zeigen wir zunächst,
dass es zu x zwei Zahlen c und d mit 0 < c < 1e < d < 1, cc = dd und
1
(3.7)
1
x = cd = dc
c = xd
bzw.
d = xc
und
gibt. Zwei Zahlen c und d mit cc = dd heißen Euler Paar und zwei Zahlen a und b heißen Bernoulli
Paar, falls ab = ba . Wir benutzen nun Goldbachs Parametrisierung von Bernoulli Paaren. Wir
setzen für s 2 (1, 1)
c(s) = s 1
s
d(s) = s 1
s
Dann ist das Bild von x(s) gleich (0, e
lim c(s) = lim d(s) =
s!1
s!1
e
1
1
x(s) = c(s) d(s) .
s
) und c(s)c(s) = d(s)d(s) und c(s) <
1
e
lim c(s) = 0
1
e
< d(s). Es gelten
lim d(s) = 1.
s!1
s!1
Hieraus folgen
1
lim x(s) = lim c(s) d(s) = e
s!1
1
e
lim x(s) = lim c(s) d(s) = 0.
s!1
s!1
s!1
Mit dem Zwischenwertsatz für stetige Funktionen folgt, dass das Bild von x(s) gleich (0, e
c(s)c(s) = (s 1
s
s
s
)(s
1
d(s)d(s) = (s 1
s
)
= s( 1
1
e
) ist.
1
ss
1
s
)
1
1
s
)(s
1
s
)
Wir zeigen nun, dass aus (3.7) für alle n 2 N
1
< d < a2n
e
folgt. Dies ergibt sich durch Induktion. Wir überlegen uns zunächst, dass x < c gilt. Wenn dem
1
1
nicht so wäre, dann gilt x
c und somit a1 = x = c d  x d < x, weil d < 1. Somit folgt auch
c
x
d = x < x = a2 . Damit haben wir den Induktionsanfang
a2n
1
<c<
1
< d < xx = a2
e
gezeigt. Nun kommen wir zum Induktionsschritt. Wir nehmen an, dass wir
a1 = x < c <
a2n
1
<c<
1
< d < a2n
e
gezeigt haben. Es gilt
a2n+1 = xa2n < xd = c
und deshalb
a2n+2 = xa2n+1 > xc = d.
2
3.9. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ
3.9
157
Gleichmäßige Konvergenz
Die gleichmäßige Konvergenz ist ein wichtiger Begri↵ der Analysis. Wir beweisen
hier, dass die Grenzfunktion einer Folge stetiger Funktion, die gleichmäßig konvergiert, wieder stetig ist.
In Satz 5.17.1 zeigen wir, dass die Integrale einer Folge von gleichmäßig konvergierenden Funktionen gegen das Integral der Grenzfunktion konvergiert.
Definition 3.9.1 Es sei I ein Intervall in R und fn : I ! R, n 2 N, sei eine Folge
von Funktionen und f : I ! R sei eine Funktion.
(i) Die Folge {fn }n2N konvergiert punktweise gegen f , wenn für alle x 2 I
lim fn (x) = f (x)
n!1
gilt.
(ii) Die Folge fn , n 2 N, konvergiert gleichmäßig gegen f , falls für alle ✏ > 0 ein
N 2 N existiert, so dass für alle n > N und alle x 2 I
|fn (x)
f (x)| < ✏
gilt.
In Quantorenschreibweise nimmt die gleichmäßige Konvergenz die folgende Form
an:
8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I :
|fn (x)
f (x)| < ✏
oder auch
8✏ > 0 9N 2 N 8n > N :
sup |fn (x)
f (x)| < ✏.
x2I
O↵ensichtlich konvergiert eine Folge punktweise, falls sie gleichmäßig konvergiert.
Die Umkehrung gilt nicht, wie Beispiele zeigen werden. Formal besteht der Unterschied zwischen punktweiser und gleichmäßiger Konvergenz im Vertauschen von
Quantoren
Punktweise:
Gleichmäßig:
8x 2 I 8✏ > 0 9N 2 N 8n > N :
8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I :
|fn (x)
|fn (x)
f (x)| < ✏
f (x)| < ✏
Bei der punktweisen Konvergenz kann N von x und ✏ abhängen, bei der gleichmäßigen
Konvergenz hängt N nur von ✏ ab, N kann also gleichmäßig für alle x 2 I gewählt
werden.
Falls eine Folge punktweise und gleichmäßig konvergiert, dann sind o↵ensichtlich
die Grenzfunktionen für die punktweise und gleichmäßige Konvergenz gleich. Dies
kann man sich zu Nutze machen, wenn man nachweisen will, dass eine Folge, die
punktweise konvergiert, nicht gleichmäßig konvergiert. Man nimmt an, dass sie auch
gleichmäßig konvergiert. Unter dieser Annahme kennt man auch die Grenzfunktion,
dies ist nämlich der punktweise Grenzwert.
158
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Die Reihe
Teilsummen
P1
n=1
fn heißt gleichmäßig konvergent, falls die zugeordnete Folge der
( n
)
X
fk
k=1
n2N
gleichmäßig konvergiert.
Man kann die gleichmäßige Konvergenz gut veranschaulichen. Man legt um die
Grenzfunktion f einen ✏-Schlauch. Ab einem N müssen alle fn innerhalb dieses
Schlauches liegen.
f+
f
f-
f+
fn
f
f-
Lemma 3.9.1 (Cauchy-Kriterium) Es sei I ein Intervall in R und fn : I ! R,
n 2 N, sei eine Folge von Funktionen. Die Funktionenfolge {fn }n2N , konvergiert
genau dann gleichmäßig auf einem Intervall I, falls es zu jedem ✏ > 0 ein N 2 N
gibt, so dass für alle n, m 2 N mit n, m > N und alle x 2 I
|fn (x)
fm (x)| < ✏
gilt.
Beweis. Die Folge {fn }n2N konvergiere gleichmäßig gegen eine Funktion f .
✏
8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I : |fn (x) f (x)| <
2
3.9. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ
159
Hieraus folgt
8✏ > 0 9N 2 N 8n, m > N 8x 2 I :
✏
|fn (x) f (x)| <
und
2
|fm (x)
✏
f (x)| < .
2
Weiter folgt
8✏ > 0 9N 2 N 8n, m > N 8x 2 I :
|fn (x) f (x)| + |fm (x) f (x)| < ✏.
Mit der Dreiecksungleichung folgt
8✏ > 0 9N 2 N 8n, m > N 8x 2 I :
|fn (x)
fm (x)| < ✏.
Nun die andere Richtung. Wir nehmen nun an, dass
8✏ > 0 9N 2 N 8n, m > N 8x 2 I :
|fn (x)
fm (x)| < ✏.
Dann gilt für alle x 2 I, dass {fn (x)}n2N , eine Cauchy-Folge ist. Da R vollständig ist,
konvergiert diese Cauchy-Folge gegen einen Grenzwert, den wir mit f (x) bezeichnen
wollen. Hierdurch definieren wir eine Funktion f : I ! R mit
f (x) = lim fn (x) = f (x).
n!1
Es gilt also
8x 2 I 8✏ > 0 9Mx,✏ 2 N 8m > Mx,✏ :
|fm (x)
f (x)| < ✏.
Wir zeigen nun, dass die Folge fn , n 2 N, gleichmäßig gegen die Funktion f konvergiert. Es gilt
8✏ > 0 9N 2 N 8n, m > N 8x 2 I :
|fn (x)
fm (x)| < ✏.
Hieraus folgt mit der Dreiecksungleichung
8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I 8m > N :
||fn (x)
f (x)|
|fm (x)
f (x)|| < ✏
|fn (x)
f (x)| < ✏ + |fm (x)
und somit
8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I 8m > N :
f (x)|.
Zu jedem x 2 I gibt es ein mx , so dass
|fmx (x)
f (x)| < ✏.
Es folgt
2
8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I :
|fn (x)
f (x)| < 2✏.
Man kann sich leicht von dem folgenden überzeugen: Falls fn : I ! R, n 2 N,
beschränkte Funktionen sind, die gleichmäßig gegen eine Funktion f konvergieren,
dann ist auch f beschränkt.
160
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Satz 3.9.1 Es sei I ein Intervall und fn : I ! R, n 2 N, sei eine Folge stetiger
Funktionen, die gleichmäßig gegen eine Funktion f konvergiert. Dann ist f eine
stetige Funktion.
Beweis. Da {fn }n2N , gleichmäßig gegen f konvergiert, gilt
8✏ > 0 9N 2 N 8n > N 8x 2 I :
|fn (x)
f (x)| < ✏.
Da fN +1 stetig ist, gilt
8x0 2 I 8✏ > 0 9 > 0 8x, |x
x0 | <
:
|fN +1 (x)
fN +1 (x0 )| < ✏.
Mit der Dreiecksungleichung folgt
8x0 2 I 8✏ > 0 9 > 0 8x, |x
x0 | <
|f (x) f (x0 )|
 |f (x) fN +1 (x)| + |fN +1 (x)
:
fN +1 (x0 )| + |fN +1 (x0 )
f (x0 )| < 3✏.
Damit ist f stetig. 2
Beispiel 3.9.1 (i) Für n 2 N sei fn : R ! R durch fn (x) = n1 gegeben. Die Folge {fn }n2N
konvergiert gleichmäßig gegen die Funktion f = 0.
(ii) Für n 2 N sei fn : [0, 1] ! R durch fn (x) = xn gegeben. Die Folge {fn }n2N konvergiert
punktweise gegen die Funktion f mit
(
0
für x 2 [0, 1)
f (x) =
1
für x = 1
Die Folge konvergiert aber nicht gleichmäßig gegen f .
(iii) Für n 2 N sei fn : [0, 1] ! R durch
8 2
>
<n x
fn (x) =
n2 x + 2n
>
:
0
x 2 [0, n1 )
x 2 [ n1 , n2 )
x 2 [ n2 , 1]
Die Funktionen fn , n 2 N, sind stetig. Die Folge konvergiert punktweise gegen f = 0, aber die
Folge konvergiert nicht gleichmäßig.
Beweis. (i) Wir wählen N so groß, dass N > 1✏ , bzw. N1 < ✏. Dann gilt für alle n mit n > N und
alle x 2 R
1
|fn (x) f (x)| = |fn (x)| = < ✏.
n
(ii) Für x = 0 gilt limn!1 fn (x) = 0 und für x = 1 gilt limn!1 fn (x) = 1. Wir betrachten nun
x mit 0 < x < 1. Die Folge xn , n 2 N, ist eine positive, monoton fallende Folge. Somit ist sie
konvergent. Es folgt
lim xn = x lim xn 1 = x lim xn .
n!1
n
Mit Beispiel 2.4.9 folgt limn!1 x = 0.
n!1
n!1
3.9. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ
161
Wir nehmen an, dass die Folge {fn }n2N gleichmäßig gegen eine Funktion f konvergiert. Diese
Funktion muss gleich der Funktion sein, gegen die diese Folge punktweise konvergiert. Diese
Funktion ist im Punkt x = 1 nicht stetig. Dies widerspricht dem Satz 3.9.1.
Wir wollen hier auch den Nachweis führen, ohne Satz 3.9.1 zu benutzen. Wir benutzen nun
das Cauchy-Kriterium (Lemma 3.9.1). Die Negation des Cauchy-Kriteriums für die gleichmäßige
Konvergenz ist
9✏ > 08N 9m, n > N 9x 2 [0, 1] :
|fn (x) fm (x)| ✏.
Wir wählen ✏ = 14 . Zu gegebenem N wählen wir n > N , m = 2n und x = 2
|fn (x)
fm (x)| = |xn
xm | = |xn
x2n | = | 12
1
4|
=
1
4
1
n
. Dann gilt
= ✏.
(iii) Die Folge fn , n 2 N, konvergiert punktweise gegen f = 0. Wir benutzen nun das CauchyKriterium (Lemma 3.9.1). Die Negation des Cauchy-Kriteriums für die gleichmäßige Konvergenz
ist
9✏ > 0 8N 2 N 9m, n > N 9x 2 [0, 1] :
|fn (x) fm (x)| ✏.
Wir wählen ✏ = 1. Zu gegebenem N wählen wir n > N , m = 2n und x =
|fn (x)
fm (x)| = fn ( n1 )
f2n ( n1 ) = |n
0| = n
1
n.
Dann gilt
1 = ✏.
2
Beispiel 3.9.2 (i) Die Folge fn : [0, 1) ! R, n 2 N, mit
x
x
fn (x) = 2 e n
n
konvergiert gleichmäßig gegen 0.
(ii) Die Folge gn : [0, 1) ! R, n 2 N mit
x x
gn (x) = e n
n
konvergiert punktweise gegen 0, aber nicht gleichmäßig gegen 0.
Beweis. (i) Die Ableitung von fn ist
x
x
1
x
e n
e n.
n2
n3
Deshalb gilt genau dann fn0 (x) > 0, wenn x < n und fn0 (x) < 0, wenn x > n. Nach Lemma 3.6.2
ist fn auf [0, n] monoton wachsend und auf [n, 1) monoton fallend. Deshalb hat fn in x = n ein
absolutes Maximum und es gilt
1
0  fn (x)  fn (n) =
.
en
(ii) Wir zeigen, dass die Folge {gn }n2N punktweise gegen 0 konvergiert.
x
x x
x
lim gn (x) = lim e n = ( lim )( lim e n ) = 0
n!1
n!1 n
n!1 n n!1
fn0 (x) =
Wir beobachten, dass für alle n 2 N die Gleichung gn (n) =
Kriterium (Lemma 3.9.1). Wir zeigen, dass
9✏ > 0 8N 2 N 9m, n > N 9x 2 [0, 1] :
Wir wählen ✏ =
1
9,
|gn (x)
1
e
gilt. Wir benutzen nun das Cauchy-
|gn (x)
gm (x)|
✏.
n > N , m = 9n und x = n. Dann gilt
gm (x)| =
1
e
1
e
9
1
9
1
e
1
e
9
1
9
1
e
1
9
1
3
1
2
1
= > = ✏.
9
9
9
2
Im Teil (ii) findet man wie im Teil (i) das absolute Maximum. Für unser Argument brauchen wir
aber nicht zu wissen, dass es sich um ein absolutes Maximum handelt.
162
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Beispiel 3.9.3 [105] Die Funktion von Takagi T : R ! R ist durch
T (x) =
1
1
X
X
1
1
k
d(2
x,
Z)
=
inf |2k x
2k
2k m2Z
k=0
m|
k=0
gegeben. T ist stetig, aber nirgendwo di↵erenzierbar.
Wir beschreiben, weshalb das Ergebnis wahr ist. Die Funktionen x 7! 2 k inf m2Z |2k x m|
ist eine Sägezahnfunktion mit Amplitude 2 k 1 und Periode 2 k . Da die einzelnen Funktionen
stetig sind und die Reihe wegen der rasch fallenden Amplituden gleichmäßig konvergiert, ist die
Grenzfunktion stetig. Andererseits ist die Ableitung der Funktionen in einem gegebenem Punkt
entweder 1 oder 1. Die Summe dieser Ableitungen konvergiert nicht.
Lemma 3.9.2 Es seien a, b, x, an , bn reelle Zahlen, n 2 N, so dass für alle n 2 N die Ungleichungen a < an < x < bn < b gelten, limn!1 an = x und limn!1 bn = x. Es sei f : [a, b] ! R eine
stetige Funktion, die in x di↵erenzierbar ist. Dann gilt
f (bn )
n!1
bn
f (an )
= f 0 (x).
an
lim
Beweis. Mit
bn
bn
x
bn

an
bn
an
=1
an
folgt
f (bn ) f (an )
f 0 (x)
bn an
✓
◆
✓
bn x f (bn ) f (x)
x an f (an )
=
f 0 (x) +
bn an
bn x
bn an
an
bn x f (bn ) f (x)
x an f (an )

f 0 (x) +
bn an
bn x
bn an
an
f (bn ) f (x)
f (an ) f (x)

f 0 (x) +
f 0 (x) .
bn x
an x
f (x)
x
f (x)
x
◆
f 0 (x)
f 0 (x)
Wegen
lim
n!1
f (bn )
bn
f (x)
x
f 0 (x) +
f (an )
an
f (x)
x
f 0 (x) = 0
folgt
lim
n!1
f (bn )
bn
f (an )
an
f 0 (x) = 0.
2
Beweis von Beispiel 3.9.3. Wir zeigen, dass T stetig ist. Die Funktion
: R ! R mit
(x) = inf m2Z |x m| ist stetig. Wir weisen dies nach. Wir zeigen, dass für alle x 2 R und alle
x0 2 R
(3.8)
| (x + x0 )
(x0 )| = inf |x + x0
m2Z
m|
inf |x0
m2Z
gilt. Wir unterscheiden zwei Fälle: Der erste Fall ist
inf |x + x0
m2Z
m|
inf |x0
m2Z
m|
0.
m|  |x|
3.9. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ
163
Dann gilt
inf |x + x0
m2Z
m|
inf |x0
m|
m2Z
=
inf |x + x0
m|
m2Z

inf (|x| + |x0
m2Z
= |x| + inf |x0
inf |x0
m|)
m|
m2Z
m|
m2Z
inf |x0
m|
m2Z
inf |x0
m| = |x|.
m2Z
Der zweite Fall ist
inf |x + x0
m|
m2Z
inf |x0
m| < 0.
m2Z
Dann gilt
inf |x + x0
m|
m2Z
inf |x0
m2Z
m| =
inf |x + x0
m| + inf |x0
m2Z
m|.
m2Z
Wegen
inf |x + x0
m|
m2Z
inf (|x0
m|
m2Z
|x|) =
|x| + inf |x0
m|
m2Z
gilt
inf |x + x0
m2Z
m|  |x|
inf |x0
m2Z
m|.
Hiermit folgt
inf |x + x0
m2Z
m|
inf |x0
m|  |x|.
m2Z
Damit sind auch die Funktionen k : R ! R mit k (x) = 2 k (2k x) stetig. Mit dem Cauchy
Kriterium für
Konvergenz von Reihen (Lemma 3.9.1) folgt, dass die Reihe der stetigen
Pgleichmäßige
1
Funktionen k=0 k gleichmäßig konvergiert.
n
X
k (x)
k=0
m
X
k (x)
k=0
=
n
X
k (x)
k=m+1

n
X
k=m+1
|
k (x)|

n
X
2
k=m+1
k
2
m
Mit Satz 3.9.1 folgt, dass die Grenzfunktion stetig ist.
Wir zeigen, dass T nirgendwo di↵erenzierbar ist. Es sei x 2 R und wir nehmen an, dass T in
x di↵erenzierbar ist.
Zuerst betrachten wir den Fall, dass x kein Element der Menge der dyadischen Brüche D =
{i2 n |i, n 2 Z} ist. Dazu zählen alle irrationalen Zahlen, aber auch rationale wie 13 .
Nach Lemma 3.9.2 folgt für alle Folgen un , vn , n 2 N, mit un < x < vn und limn!1 vn un = 0
lim
n!1
Mit (x) = inf m2Z |x
T (vn )
vn
T (un )
= T 0 (x).
un
m| folgt
T (x) =
1
X
1
inf |2k x
2k m2Z
m| =
k=0
1
X
1
(2k x).
2k
k=0
Falls u 2 D von der Ordnung n ist, d.h. u = 2in , dann gilt für alle k
(p) = 0 für p 2 Z gilt, folgt
n
X1 1
T (u) =
(2k u).
2k
n, dass 2k u 2 Z. Da
k=0
Es seien un , vn aufeinander folgende Zahlen der Ordnung n in D mit un  x < vn , also un = 2inn
und vn = in2+1
un =
n . Da x nicht Element von D ist, gilt sogar un < x < vn . Weiter gelten vn
(in + 1)2 n in 2 n = 2 n und
T (vn )
vn
n 1
T (un ) X 1 (2k vn )
=
un
2k
vn
k=0
(2k un )
un
=
n
X1
k=0
2n
k
( (2k vn )
(2k un )).
164
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Wir zeigen nun, dass für alle 0  k < n
1 (2k vn )
2k
vn
(2k un )
un
= 2n
k
( (2k vn )
±2k n
= ±1
2k n
(2k un )) =
gilt. Es gibt ein kn 2 Z mit
in in + 1
,
2 [kn , kn + 1].
2n k 2n k
(3.9)
Wir überlegen uns dies. Es sei kn die größte, ganze Zahl, die kleiner oder gleich 2nin k ist. Falls
in
 (kn +1) 2n1 k gilt, dann gilt 2inn+1k  (kn +1) und es gilt (3.9). Falls 2nin k > (kn +1) 2n1 k
2n k
gelten würde, dann
in
in + 1
< kn + 1 < n k .
2n k
2
Hieraus folgt
in < 2n
k
(kn + 1) < in + 1
Dies kann nicht sein, weil 2n
in
n
2 k
k
0 < 2n
bzw.
jn
n
2 k
Hiermit folgen
(2k vn ) =
und
k
(2 un ) =
(kn + 1)
in < 1.
in 2 N. Deshalb gibt es ein jn mit 0  jn < 2n
(kn + 1)
= kn +
k
k
und
in + 1
jn + 1
= kn + n k .
n
k
2
2
✓
◆
jn + 1
kn + n k =
2
✓
✓
◆
jn
kn + n k =
2
✓
jn + 1
2n k
jn
2n
k
◆
◆
.
Es ergeben sich drei Fälle:
0
jn
n
2 k
<
jn + 1
1

n
k
2
2
1
jn
jn + 1
 n k < n k 1
2
2
2
0
jn
n
2 k
<
1
jn + 1
< n k 1
2
2
Im ersten Fall erhalten wir
✓
jn
2n
k
◆
=
✓
jn
2n
k
und damit
(2k vn )
Im zweiten Fall
✓
jn
2n
k
◆
=1
(2k un ) =
jn
2n
(2k un ) =
◆
=
jn + 1
2n k
jn
1
= n k.
2n k
2
✓
und
k
und damit
(2k vn )
jn + 1
2n k
jn + 1
2n k
jn + 1
2n k
jn + 1
jn
+ n k =
n
k
2
2
◆
=1
1
2n k
jn + 1
2n k
.
Der dritte Fall kann nicht eintreten: Es würde
jn < 2n
k 1
< jn + 1
folgen. Dies kann nicht sein, weil k  n
T (vn )
vn
0 < 2n
bzw.
1 und damit 2n
k 1
n 1
T (un ) X
=
±1.
un
k=0
k 1
jn < 1
jn 2 N. Somit gilt für alle n 2 N
3.10. UNSTETIGE ABLEITUNGEN
165
Wir zeigen nun,
Pn 1dass dieser Ausdruck nicht für n ! 1 konvergiert. Dazu beobachten wir, dass
die Summe k=0 ±1 für gerades n eine gerade Zahl ist und für ungerades n eine ungerade Zahl.
Es sei p die Anzahl der Summanden, die gleich 1 sind. Dann sind n p Summanden gleich -1 und
es gilt
n
X1
±1 = p (n p) = 2p n.
k=0
Falls also n gerade ist, so ist auch 2p n gerade und 2p n ist ungerade, falls n ungerade ist.
Nun betrachten wir den Fall, dass x 2 D, also x = 2jm . Wir wählen vn = x + 21n . Dann gilt
für alle n m
T (vn )
vn
T (x)
x
=
=
n
X1
k=0
m
X1
1 (2k vn )
2k
vn
2n
k
(2k x)
x
=
n
X1
(2k vn ) =
k
( (2k vn )
(2k x))
k=0
( (2k vn )
(2k x)) +
k=0
Es gelten für alle k mit m  k  n
2n
n
X1
2n
k
( (2k vn )
(2k x)).
k=m
1, dass (2k x) = 0 und
✓ ✓
◆◆
1
2k x + n
= 2k
2
n
= 2k
n
.
Hiermit folgt
T (vn )
vn
m
X1
T (x)
=
2n
x
k
( (2k vn )
(2k x)) + (n
m).
k=0
Wegen (3.8) gilt
| (2k vn )
(2k x)|  2k
n
.
Hiermit und der Dreiecksungleichung folgt
T (vn )
vn
T (x)
x
(n
m)
m=n
2m.
Damit konvergiert der Di↵erenzenquotient nicht für n gegen 1. 2
3.10
Unstetige Ableitungen
Satz 3.10.1 Es sei f : R ! R eine di↵erenzierbare Funktion. Dann ist die Menge
der Punkte, in denen f 0 stetig ist, nicht leer. Die Menge ist eine dichte G -Teilmenge
von R.
siehe Munkres, Topology.
Satz 3.10.2 Eine Funktion g : R ! R hat genau dann eine Stammfunktion, wenn
die Menge ihrer Unstetigkeitsstellen eine magere F -Teilmenge von R ist.
Beispiel 3.10.1 (Volterra Funktion)
166
CHAPTER 3. FUNKTIONEN EINER REELLEN VERÄNDERLICHEN
Chapter 4
Metrische Räume
Wir führen hier metrische Räume ein und besprechen deren elementare Eigenschaften. Wir untersuchen ofene, abgechlossene und kompakte Mengen. Weiter
betrachten wir stetige Abbildungen zwischen metrischen Räumen.
Normierte Räume können als metrische Räume aufgefasst werden. Insbesondere
ist der Rn mit der Euklidischen Norm für uns von Bedeutung.
4.1
Metrische Räume
Definition 4.1.1 Es sei M eine Menge. Eine Funktion d : M ⇥ M ! R heißt
Metrik auf M , falls
(i) 8x, y 2 M : d(x, y)
0
(ii) 8x, y 2 M : d(x, y) = 0 , x = y
(iii) 8x, y 2 M : d(x, y) = d(y, x)
(iv) 8x, y, z 2 M : d(x, z)  d(x, y) + d(y, z)
Eine Menge mit einer Metrik (M, d) heißt metrischer Raum. Die Abschätzung (iv)
nennt man Dreiecksungleichung.
In einem metrischen Raum gilt die inverse Dreiecksungleichung, d.h. für alle x, y, z 2
M gilt
d(x, y) |d(x, z) d(z, y)|.
Definition 4.1.2 Es sei (M, d) ein metrischer Raum, x0 2 M und r
Teilmenge
B(x0 , r) = {x 2 M |d(x, x0 )  r}
heißt (abgeschlossene) Kugel um x0 mit Radius r. Die Menge
{x 2 M |d(x, x0 ) < r}
167
0. Die
168
CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME
nennen wir die o↵ene Kugel um x0 mit Radius r.
Eine Teilmenge U (x0 ) von M heißt Umgebung von x0 , falls es ein r > 0 gibt, so
dass
B(x0 , r) ✓ U (x0 ).
Definition 4.1.3 Ein Punkt x einer Menge A heißt innerer Punkt von A, wenn es
eine Umgebung U (x) gibt, so dass U (x) ✓ A.
Eine Menge A heißt o↵en, wenn alle Punkte von A innere Punkte von A sind.
Eine Menge A heißt abgeschlossen, falls das Komplement Ac o↵en ist.
Definition 4.1.4 Der o↵ene Kern einer Menge A ist
A= {x 2 A|x ist innerer Punkt von A}.
Definition 4.1.5 (i) Ein Punkt x0 2 M heißt Häufungspunkt der Menge A, falls
in jeder Umgebung U (x0 ) ein Punkt x 2 A mit x 6= x0 liegt.
(ii) Ein Punkt x0 2 M heißt Häufungspunkt der Folge xn , n 2 N, falls in jeder
Umgebung U (x0 ) unendlich viele Elemente der Folge liegen.
Beispiel 4.1.1 Es sei (M, d) ein metrischer Raum. Dann gelten
(i) ; und M sind o↵ene Mengen.
(ii) ; und M sind abgeschlossene Mengen.
(iii) Für alle r > 0 und alle x0 2 M ist B(x0 , r) = {x|d(x0 , x)  r} eine abgeschlossene Menge.
(iv) Für alle r > 0 und alle x0 2 M ist {x|d(x0 , x) < r} eine o↵ene Menge.
Beweis. (i) Die leere Menge besitzt keine Punkte. Deshalb ist jeder Punkt der leeren Menge ein
innerer Punkt.
M ist Umgebung aller ihrer Punkte und damit o↵en.
(ii) Da ; und M o↵en sind, sind deren Komplemente abgeschlossen.
(iii) Wir müssen zeigen, dass
B(x0 , r)c = {x|d(x0 , x) > r}
eine o↵ene Menge ist. Es sei y 2 B(x0 , r)c , also d(y, x0 ) > r. Wir zeigen, dass y innerer Punkt der
Menge B(x0 , r)c ist. Dazu weisen wir nach, dass
✓
◆
d(y, x0 ) r
B y,
✓ B(x0 , r)c
2
gilt. Es sei
✓
d(y, x0 )
x 2 B y,
2
r
◆
.
Falls x = y, dann gilt y 2 B(x0 , r)c . Nun der Fall x 6= y. Dann gelten 0 < d(x, y) und
d(x, y) 
d(y, x0 )
2
r
.
Somit
r < r + d(x, y)  d(y, x0 )
2
d(x, y)  d(x0 , x).
4.1. METRISCHE RÄUME
169
Beispiel 4.1.2 (i) (R, d) mit d(x, y) = |x
(ii) Es sei M eine Menge und
d(x, y) =
y| ist ein metrischer Raum.
(
0
1
falls x = y
falls x =
6 y
Dann ist (M, d) ein metrischer Raum. Weiter gelten
B(x0 , 1) = R
B (x0 , 1) = R
{x|d(x0 , x) < 1} = {x0 }
Die Metrik (ii) heißt diskrete Metrik. Sie wird manchmal auch als Metrik des
ö↵entlichen Nahverkehrs bezeichnet. Als Abstand zwischen zwei Punkten wird der
Fahrpreis genommen. In manchen Städten wird ein Einheitspreis erhoben.
Man könnte vermuten, dass
B (x0 , r) = {x|d(x0 , x) < r}
gilt. Dies ist i.A. falsch. Dazu das nächste Beispiel.
O↵ene Kugeln sind o↵ene Mengen und abgeschlossene Kugeln sind abgeschlossene
Mengen. Man beachte, dass der Abschluss einer o↵enen Kugel {x|d(x, y) < r} in
der abgeschlossenen Kugel {x|d(x, y)  r} enthalten ist, i.A. aber keine Gleichheit
herrscht. Wir geben dazu ein Beispiel an.
Beispiel 4.1.3 Es sei M = { 1, 0} [ ( 1, 2] [ ( 12 , 1) [ (1, 1) und d sei die Metrik, die durch
d(x, y) = |x y| definiert ist. Dann gelten
(i) {x|d(0, x) < 1} 6= {x|d(0, x)  1}.
(ii) {x|d(0, x) < 1} ist o↵en. Diese Menge ist keine o↵ene Kugel, d.h. für alle y und r > 0 gilt
{x|d(0, x) < 1} 6= {x|d(y, x)  r}.
(iii) {x|d(0, x) < 1} ist abgeschlossen, aber keine abgeschlossene Kugel, d.h. für alle y and r > 0
gilt {x|d(0, x) < 1} 6= {x|d(y, x)  r}.
Beweis. Es gelten {x|d(0, x) < 1} = {0} [ ( 12 , 1),
1
{x|d(0, x) < 1} = { 1, 0} [ ( , 1)
2
und
⇤
{x|d(0, x) < 1} = B(0, 1).
Beispiel 4.1.4 Die reellen Zahlen R seien mit den Metriken d1 (s, t) = |s
d2 (s, t) =
s
1 + |s|
t| und
t
.
1 + |t|
ausgestattet. Die o↵enen Mengen in (R, d1 ) und (R, d2 ) sind dieselben, (R, d1 ) ist vollständig,
aber (R, d2 ) ist nicht vollständig. Die Folge n, n 2 N, ist eine Cauchy Folge in (R, d2 ), die nicht
konvergiert.
170
CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME
Lemma 4.1.1 Es sei (M, d) ein metrischer Raum.
(i) Die Vereinigung von o↵enen Mengen ist o↵en.
(ii) Der Durchschnitt abgeschlossener Mengen ist abgeschlossen.
(iii) Der Durchschnitt endlich vieler o↵ener Mengen ist o↵en.
(iv) Die Vereinigung endlich vieler abgeschlossener Mengen ist abgeschlossen.
Beweis. (i) O◆ , ◆ 2 I, seien o↵ene Mengen. Wir zeigen, dass auch
[
O◆
[
Ac◆
◆2I
S
o↵en ist. Es sei x 2 ◆2I O◆ . Dann gibt es ein ◆0 mit x 2 O◆0 . Da O◆0 eine o↵ene
Menge
S ist, gibt es eine Umgebung U (x) mit U (x) ✓ O◆0 . Also ist x innerer Punkt
von ◆2I O◆ .
T
(ii) A◆ , ◆ 2 I seien abgeschlossene Mengen. Wir zeigen, dass ◆2I A◆ abgeschlossen
ist. Da A◆ abgeschlossen ist, ist Ac◆ o↵en. Nach (i) ist
◆2I
o↵en. Mit der Regel von deMorgan folgt
!c
[
\
c
A◆
=
A◆
◆2I
◆2I
abgeschlossen. 2
Definition 4.1.6 Der Abschluss Ā einer Teilmenge A eines metrischen Raumes ist
der Durchschnitt aller abgeschlossenen Mengen, die A enthalten.
Nach Lemma 3.4.7 ist der Abschluss einer Menge abgeschlossen. Der Abschluss
einer Menge A ist die kleinste abgeschlossene Menge, die die Menge A umfasst.
Definition 4.1.7 Es sei (M, d) ein metrischer Raum. Eine Teilmenge A von M
heißt dicht in M , wenn Ā = M .
Der Rand einer Menge A ist
@A = A\ A .
Lemma 4.1.2 Es sei A eine Teilmenge eines metrischen Raumes (M, d). Dann
sind äquivalent:
(i) A ist abgeschlossen.
(ii) A = Ā
(iii) A enthält alle ihre Häufungspunkte.
4.1. METRISCHE RÄUME
171
Beweis. (i) ) (ii) O↵enbar gilt immer A ✓ Ā. Der Abschluss der Menge A ist der
Durchschnitt aller abgeschlossenen Mengen, die A als Teilmenge enthalten. Da aber
A selbst abgeschlossen ist und sich als Teilmenge enthält ist sie selbst eine solche
Menge, über die der Durchschnitt gebildet wird. Also gilt Ā = A.
(ii) ) (i) Ā ist der Durchschnitt aller abgeschlossenen Mengen, die A enthalten.
Nach Lemma 4.1.1 ist der Durchschnitt abgeschlossener Mengen abgeschlossen, also
ist Ā abgeschlossen. Da A = Ā gilt, ist also A abgeschlossen.
(i) ) (iii) Wir zeigen, dass x 2 A, falls x Häufungspunkt von A ist, bzw. dass
x kein Häufungspunkt von A ist, falls x 2
/ A.
c
c
Falls x 2
/ A, dann x 2 A . A ist eine o↵ene Menge, weil A eine abgeschlossene
Menge ist. Also gibt es eine Umgebung U (x) mit U (x) ✓ Ac und x ist kein
Häufungspunkt von A.
(iii) ) (i) Wir zeigen, dass A nicht alle ihre Häufungspunkte enthält, falls A
nicht abgeschlossen ist. Es sei also A nicht abgeschlossen. Dann ist Ac nicht o↵en.
Dann gibt es einen Punkt x 2 Ac , der nicht innerer Punkt von Ac ist. Somit gilt
8U (x) : U (x) * Ac .
Also
9x 2 Ac 8U (x) : U (x) \ A 6= ;
Also ist x ein Häufungspunkt von A, der nicht in A enthalten ist. 2
Beispiel 4.1.5 Es seien die reellen Zahlen R mit der Metrik d(x, y) = |x
gilt Q = R.
y| ausgestattet. Dann
Definition 4.1.8 (i) Eine Folge {xn }n2N in einem metrischen Raum (M, d) heißt
konvergent gegen x, falls es für alle ✏ > 0 ein N 2 N gibt, so dass für alle n > N
d(x, xn ) < ✏
gilt.
(ii) Eine Folge {xn }n2N in einem metrischen Raum (M, d) heißt Cauchy Folge, falls
es für alle ✏ > 0 ein N 2 N existiert, so dass für alle n, m > N
d(xn , xm ) < ✏
gilt.
(iii) Eine Teilmenge eines metrischen Raumes heißt vollständig, falls jede Cauchy
Folge dieser Menge in ihr konvergiert.
Lemma 4.1.3 (i) Eine vollständige Teilmenge eines metrischen Raumes ist abgeschlossen.
(ii) Eine abgeschlossene Teilmenge eines vollständigen, metrischen Raumes ist vollständig.
172
CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME
Beweis. (i) Es sei (M, d) ein metrischer Raum. Wir zeigen, dass eine Teilmenge A
nicht vollständig ist, wenn sie nicht abgeschlossen ist. Wir nehmen also an, dass die
Menge A nicht abgeschlossen ist. Dann gilt A 6= M und Ac ist nicht o↵en. Es gibt
folglich ein x 2 Ac , das nicht innerer Punkt von Ac ist.
Deshalb gilt für alle n 2 N
B(x, n1 ) \ A 6= ;.
Also gibt es für jedes n 2 N ein xn 2 B(x, n1 ) \ A. Somit
lim xn = x,
n!1
aber der (eindeutige) Grenzwert liegt nicht in A.
(ii) Es sei (M, d) ein vollständiger, metrischer Raum und A eine abgeschlossene
Teilmenge. Weiter sei {xn }n2N eine Cauchy Folge in A. Da (M, d) vollständig ist,
konvergiert die Folge in M .
x0 = lim xn
n!1
Wir zeigen nun, dass x0 2 A. Falls x0 2 Ac , dann gibt es eine Umgebung U (x0 ) von
x0 mit U (x0 ) ✓ Ac und die Folge kann nicht gegen x0 konvergieren. 2
Definition 4.1.9 Eine Familie von o↵enen Mengen Oi , i 2 I, heißt o↵ene Überdeckung
einer Menge K, falls
[
K✓
Oi .
i2I
Eine endliche Teilüberdeckung einer o↵enen Überdeckung Oi , i 2 I, von K ist eine
endliche Teilfamilie Oi1 , . . . , Oin mit
K ✓ Oi1 [ · · · [ Oin .
Eine Teilmenge K eines metrischen Raumes heißt kompakt, falls jede o↵ene Überdeckung
eine endliche Teilüberdeckung besitzt, d.h.
[
K✓
Oi
=)
9n 2 N9i1 , . . . , in : K ✓ Oi1 [ Oi2 [ · · · [ Oin .
i2I
Beispiel 4.1.6 (i) Die Teilmenge { n1 |n 2 N} von R ist nicht kompakt.
(ii) Die Teilmenge {0} [ { n1 |n 2 N} von R ist kompakt.
Beweis. (i) Wir wählen
⇢
✓
◆
1
1
Mn = x d x,
< 2
n
4n
Dann ist Mn , n 2 N, eine o↵ene Überdeckung, aber es gibt keine endliche Teilüberdeckung. Dies
gilt, weil für alle m 6= n
m2
/ Mn
4.1. METRISCHE RÄUME
173
gilt. Wir prüfen dies nach.
d
✓
1 1
,
n m
◆
=
1
n
1
m
Das Minimum wird hier für m = n + 1 angenommen. Also gilt
✓
◆
1 1
1
1
d
,
> 2
n m
n(n + 1)
4n
(ii) Es sei Oi , i 2 I, eine o↵ene Überdeckung. Dann gibt es ein Oi0 mit 0 2 Oi0 . Dann gibt es ein
✏ > 0 mit
B(0, ✏) ✓ Oi0
Dann gilt weiter
Weiter gibt es für n 2 N mit
⇢
1
n
1 1
<✏
n n
✓ Oi0
✏ eine Menge Oin mit
1
2 Oin
n
Damit ist die Familie
Oi0 , Oi1 , . . . , Oi[ 1 ]
✏
eine endliche Teilüberdeckung. 2
Definition 4.1.10 Eine Teilmenge K eines metrischen Raumes heißt total beschränkt,
falls es zu jedem ✏ > 0 endlich viele Kugeln B(x1 , ✏), . . . , B(xn , ✏) mit demselben Radius ✏ gibt, so dass
n
[
K✓
B(xi , ✏)
i=1
gilt.
Man beachte, dass wir in der Definition der totalen Beschränktheit nicht gefordert
wird, dass die Mittelpunkte der Kugeln Elemente der Menge K sind. In der Literatur
findet man auch diese Definition. Tatsächlich sind beide Definitionen äquivalent.
Satz 4.1.1 Es sei (M, d) ein metrischer Raum und K eine Teilmenge dieses metrischen
Raumes. Dann sind äquivalent:
(i) K ist kompakt.
(ii) (Bolzano-Weierstrass) Jede Folge in K hat eine Teilfolge, die in K konvergiert.
(iii) K ist vollständig und total beschränkt.
Beweis. (i) ) (ii). Tatsächlich zeigen wir ¬(ii) ) ¬(i). Es sei {xn }n2N eine Folge
in K, die keine Teilfolge hat, die in K konvergiert. Dann gibt es zu jedem x 2 K eine
Kugel B(x, ✏x ), in der höchstens endlich viele Elemente der Folge {xn }n2N liegen.
Wir prüfen dies nach.
Dazu nehmen wir an, dass es ein x 2 K gibt, so dass für alle ✏ > 0 unendlich viele
Elemente der Folge in B(x, ✏) liegen. Wir konstruieren nun eine Teilfolge, die gegen
x konvergiert. Wir finden eine Teilfolge xnk , k 2 N, mit d(x, xnk ) < k1 . Wir wählen
174
CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME
als xn1 ein Element der Folge, das in B(x, 1) liegt. Wenn die ersten k Elemente
1
xn1 , . . . , xnk der Teilfolge gewählt sind, dann wählen wir ein xnk+1 2 B(x, k+1
) mit
1
nk < nk+1 . Dies ist möglich, weil in B(x, k+1 ) unendlich viele Elemente der Folge
liegen. Die so konstruierte Teilfolge konvergiert gegen x. Dies ist ein Widerspruch.
Die Familie
x2K
B (x, ✏x )
ist eine o↵ene Überdeckung von K. Sie besitzt keine endliche Teilüberdeckung, weil
in jeder der Mengen nur endlich viele Elemente der Folge enthalten sind.
(ii) ) (iii) Wir zeigen: Falls K nicht vollständig ist oder nicht total beschränkt
ist, dann gibt es in K eine Folge, die keine in K konvergente Teilfolge besitzt.
Wir nehmen zunächst an, dass K nicht vollständig ist. Dann gibt es eine CauchyFolge in K, die nicht in K konvergiert. Diese Cauchy-Folge besitzt auch keine
Teilfolge, die in K konvergiert, weil sonst bereits die Cauchy-Folge selbst in K
konvergieren würde.
Wir nehmen nun an, dass K nicht total beschränkt ist. Dann gibt es ein ✏ > 0,
so dass für alle k 2 N und alle xn1 , . . . , xnk 2 K
K*
k
[
B(xni , ✏)
i=1
gilt. Nun wählen wir eine Folge xn 2 K, n 2 N, so dass für alle n, m 2 N
d(xn , xm ) > ✏
gilt. Wir wählen x1 2 K. Wenn x1 , . . . , xn gewählt sind, dann wählen wir xn+1 in
der Menge
n
[
K\
B(xj , ✏)
j=1
Diese Menge ist nicht leer. 2
Korollar 4.1.1 Eine kompakte Menge ist abgeschlossen.
Beweis. Wegen Satz 4.1.1 ist eine kompakte Menge vollständig. Nach Lemma 4.1.3
ist eine vollständige Menge abgeschlossen. 2
4.2
Normierte Räume
Definition 4.2.1 Es sei X ein Vektorraum über R oder C. Eine Norm auf X ist
eine Funktion
k k : X ! [0, 1)
so dass
(i) für alle x 2 X und alle t 2 K (R, C)
ktxk = |t| kxk
4.2. NORMIERTE RÄUME
175
(ii) x = 0 genau dann, wenn kxk = 0.
(iii) für alle x, y 2 X
kx + yk  kxk + kyk
gilt. (X, k k) heißt normierter Raum.
In normierten Räumen gilt die umgekehrte Dreiecksungleichung
8x, y 2 X :
|kxk
kyk|  kxk + kyk.
Wir beobachten, dass d : X ⇥ X ! [0, 1)
d(x, y) = kx
yk
eine Metrik auf X ist. Damit übertragen sich Begri↵e und Eigenschaften metrischer
Vektorräume auf normierte Vektorräume. Ein normierter Raum ist vollständig,
wenn jede Cauchy Folge konvergiert. Ein vollständiger, normierter Raum heißt
Banachraum.
Die Kugel um x0 2 X mit Radius r 0 ist die Menge
B(x0 , r) = {x|kx
x0 k  r}.
Eine Menge A in einem normierten Raum heißt beschränkt, wenn es ein r > 0 mit
A ✓ B(0, r)
gibt.
Lemma 4.2.1 Es sei X ein normierter Raum und es gelte
x = lim xn .
n!1
Dann gilt
kxk = lim kxn k.
n!1
Beweis. Es gilt
8✏ > 09N 2 N8n > N :
kx
xn k < ✏.
Hieraus folgt sofort mit der umgekehrten Dreiecksungleichung
8✏ > 09N 2 N8n > N :
|kxk
kxn k| < ✏.
⇤
Auf dem Rn betrachten wir die Norm
kxk =
n
X
i=1
|xi |2
! 12
=
p
< x, x >.
Diese Norm bezeichnet man als Euklidische Norm.
176
CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME
Lemma 4.2.2 k · k ist eine Norm auf dem Rn und es gilt für alle x, y 2 Rn
| < x, y > |  kxkkyk.
Die Ungleichung wird als Ungleichung von Cauchy-Schwarz bezeichnet.
Beweis. O↵ensichtlich gilt kxk
t 2 R und alle x 2 Rn gilt
ktxk =
n
X
i=1
|txi |2
0 und falls x 6= 0, dann gilt kxk > 0. Für alle
! 12
= |t|
n
X
i=1
|xi |2
! 12
= |t|kxk.
Wir zeigen nun, dass für alle x, y 2 Rn die Ungleichung | < x, y > |  kxkkyk gilt.
Die Behauptung ist o↵ensichtlich, falls y = 0. Wir können also annehmen, dass
y 6= 0.
⌧
< x, y >
< x, y >
0
 x
y, x
y
< y, y >
< y, y >
< x, y >2 < x, y >2
< x, y >2
=< x, x > 2
+
=< x, x >
< y, y >
< y, y >
< y, y >
Damit folgt für alle x, y 2 Rn
< x, y >2 < x, >< y, y >= kxk2 kyk2 .
Nun weisen wir die Dreiecksungleichung nach. Für alle x, y 2 Rn gilt
kx + yk2 =< x + y, x + y >=< x, x > +2 < x, y > + < y, y > .
Mit der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt
kx + yk2  kxk2 + 2kxkyk + kyk2 = (kxk + kyk)2 .
2
Beispiel 4.2.1 Es werden auch durch
kxk1 =
n
X
i=1
|xi |
kxk1 = max |xi |
1in
Normen auf dem Rn definiert.
Lemma 4.2.3 Eine Folge {xk }k2N im Rn ist genau dann konvergent, wenn alle
Folgen der Koordinaten {xk (i)}k2N , i = 1, . . . , n, konvergieren.
Außerdem ist eine Folge {xk }k2N im Rn ist genau dann eine Cauchy Folge, wenn
alle Folgen der Koordinaten {xk (i)}k2N , i = 1, . . . , n, Cauchy Folgen sind.
4.2. NORMIERTE RÄUME
177
Beweis. Wir nehmen an, dass die Folge {xk }k2N konvergiert. Also gibt es ein x0 ,
so dass für alle ✏ ein N existiert, so dass für alle k mit k > N gilt
kx0
xk k < ✏.
Also gilt für alle i = 1, . . . , n
✏ > kx0
xk k =
n
X
i=1
xk (i)|2
|x0 (i)
! 12
|x0 (i)
xk (i)|.
Wir nehmen nun umgekehrt an, dass für alle i = 1, . . . , n gilt:
8✏9Ni 2 N8k > Ni :
|x0 (i)
xk (i)| < ✏.
Wir wählen nun N = max1in Ni . Dann gilt
8✏9N 2 N8k > N :
n
X
i=1
|x0 (i)
xk (i)|2 < n✏2 .
Hieraus folgt
8✏9N 2 N8k > N :
2
v
u n
uX
t
|x0 (i)
xk (i)|2 <
p
n✏.
i=1
Korollar 4.2.1 Der Rn mit der Euklidischen Norm ist vollständig.
Beweis. Nach Lemma 4.2.3 reicht es zu zeigen, dass die Koordinatenfolgen konvergieren. Dies gilt aber, weil R vollständig ist (Satz 2.3.2). 2
Definition 4.2.2 Wir sagen, dass zwei Normen k k1 und k k2 auf einem Vektorraum X äquivalent sind, wenn es Konstanten c1 und c2 gibt, sa dass für alle x 2 X
c1 kxk1  kxk2  c2 kxk1
gilt.
Beispiel 4.2.2 Wir betrachten auf dem Rn die Normen
kxk1 =
n
X
i=1
|xi |
Dann gilt für alle x 2 Rn
kx||2 =
n
X
i=1
2
|xi |
! 12
1
p kxk1  kxk2  kxk1
n
p
kxk1  kxk2  nkxk1
kxk1 = max |xi |.
1in
178
CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME
Beweis. Es sei
ei = (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0)
i = 1, 2, . . . , n
die Standardbasis im R . Dann folgt mit der Dreieckungleichung
n
kxk =
n
X
i=1
xi ei 
n
X
i=1
|xi |kei k = kxk1 .
Mit der Cauchy-Schwarz Ungleichung
n
X
i=1
|xi |  k(1, . . . , 1)k2 kxk2 =
Für alle x 2 R und j = 1, . . . , n gilt
p
nkxk2 .
n
n
X
kxk2 =
i=1
2
|xi |
! 12
|xj |.
Also
kxk2
Weiter
kxk2 =
2
n
X
i=1
|xi |2
! 12

kxk1 .
n
X
i=1
| max |xj ||2
1jn
! 12

p
nkxk1 .
Lemma 4.2.4 Eine Teilmenge des Rn mit der Euklidischen Norm ist genau dann
beschränkt, wenn sie total beschränkt ist.
Satz 4.2.1 Eine Teilmenge des Rn mit der Euklidischen Norm ist genau dann kompakt, wenn sie abgeschlossen und beschränkt ist.
Beweis. Nach Satz 4.1.1 ist eine kompakte Menge vollständig und total beschränkt.
Wegen Korollar 4.1.1 ist sie also abgeschlossen. Außerdem ist eine total beschränkte
Menge nach Lemma 4.2.4 beschränkt.
Nach Lemma 4.2.4 ist eine beschränkte Menge total beschränkt. Nach Lemma
4.1.3 ist eine abgeschlossene Teilmenge eines vollständigen, metrischen Raumes vollständig.
Nun wenden wir wieder Satz 4.1.1 an. 2
Beispiel 4.2.3 Es sei der Rn ausgestattet mit der Euklidischen Norm. Dann ist die abgeschlossene
Einheitskugel kompakt.
Beispiel 4.2.4 Wir bezeichnen
(
`2 =
x=
{x(i)}1
i=1
8i 2 N : x(i) 2 R ^
Dann gelten
(i) `2 ist ein Vektorraum über dem Körper R.
(ii) Es sei die Abbildung k k2 : `2 ! R für x 2 `2 durch
kxk2 =
1
X
i=1
2
|x(i)|
! 12
1
X
i=1
2
|x(i)| < 1
)
4.2. NORMIERTE RÄUME
179
definiert. k k2 ist eine Norm auf `2 .
(iii) Die Einheitskugel in `2
B2 (0, 1) = {x 2 `2 |kxk2  1}
ist beschränkt, nicht total beschränkt und nicht kompakt.
Beweis. (i) Wir zeigen, dass mit x, y 2 `2 auch x + y 2 `2 : Für alle n 2 N gilt
! 12
! 12
! 12
n
n
n
X
X
X
2
2
2
|x(i) + y(i)|

|x(i)|
+
|y(i)|
i=1
i=1
1
X

i=1
Es folgt
1
X
i=1
! 12
|x(i)|2
2
|x(i) + y(i)|
! 12
i=1
1
X
+
i=1
i=1
1
X

Es folgt
1
X
i=1
2
|x(i) + y(i)|
! 12

(iii) Wir betrachten die Folge {en }n2N mit
en (i) =
Dann gilt für n 6= m
ken
i=1
1
X
i=1
⇢
2
|x(i)|
2
|x(i)|
|y(i)|2
<1
<1
(ii) Wir zeigen die Dreiecksungleichung. Für alle n 2 N gilt
! 12
! 12
n
n
X
X
2
2
|x(i) + y(i)|

|x(i)|
+
i=1
! 12
! 12
! 12
n
X
i=1
1
X
+
+
i=1
1
X
i=1
2
! 12
2
! 12
|y(i)|
|y(i)|
2
|y(i)|
! 12
0 i 6= n
1 i=n
em k2 =
p
2.
Wir nehmen an, dass die abgeschlossene Einheitskugel total beschränkt ist. Dann gibt es endlich
viele Kugeln B(x1 , 14 ), . . . , B(xN , 14 ) mit
B(0, 1) ✓
1
4 ),
N
[
B(xi , 14 )
i=1
Also gibt es eine Kugel B(xi0 ,
die mindestens zwei verschiedene Vektoren en und em enthält.
Mit der Dreiecksungleichung folgt
p
1
2 = ken em k  ken xi0 k + kxi0 em k 
2
Dies ist ein Widerspruch. 2
Wir sagen, dass die Menge M die Konvergenzmenge der Reihe
(
)
1
X
M = x 2 Rn 9⇡ : x =
x⇡(k) .
k=1
Einen Beweis für den folgenden Satz findet man in [47].
P1
k=1
xk ist, wobei
180
CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME
Satz 4.2.2 (E. Steinitz) Die Konvergenzmenge einer Reihe ist die leere Menge oder
sie ist von der Form x0 + L, wobei x0 2 Rn und L ein Teilraum von Rn ist.
Dies ist eine Verallgemeinerung des Umordnungssatzes von Riemann.
Beispiel 4.2.5 (i) Der Raum der stetigen Funktionen C[a, b] mit der Norm
kf k = max |f (x)|
x2[a,b]
ist ein Banachraum. Die abgeschlossene Einheitskugel ist nicht kompakt.
(ii) Der Raum der beschränkten Folgen
⇢
`1 = (x(i))1
i=1 sup |x(i)| < 1
i2N
mit der Norm
kxk1 = sup |x(i)|
i2N
ist ein Banachraum.
(iii) Der Raum aller konvergenten Folgen
n
o
c = (x(i))1
i=1 lim xi existiert
i!1
mit der Norm
kxk1 = sup |x(i)|
i2N
ist ein Banachraum. c ist ein abgeschlossener Teilraum von `1 .
(iv) Der Raum aller gegen 0 konvergenten Folgen
n
o
c0 = (x(i))1
lim
x(i)
=
0
i=1
i!1
mit der Norm
kxk1 = sup |x(i)|
i2N
ist ein Banachraum. c0 ist ein abgeschlossener Teilraum von c und `1 .
Beweis. (i) Wir zeigen, dass die abgeschlossene Einheitskugel von C[a, b] nicht kompakt ist.
Dazu geben wir eine Folge {hn }n2N in C[a, b] an, die keine Teilfolge besitzt, die konvergiert. Um
die Notationen einfacher zu halten, machen wir dies für a = 0 und b = 1. Wir definieren hn ,
1
so dass hn auf den Intervallen [0, n+1
] und [ n1 , 1] den Wert 0 annimmt. Außerdem setzen wir
1
1
1
hn ( 2 ( n+1 + n )) = 1 und alle übrigen Funktionswerte sind zwischen 0 und 1. Dann gilt für alle
n 2 N, dass khn k1 = 1 und für alle n 6= m
khn
hm k1 = 1.
Wir weisen die Vollständigkeit nach. Es sei {fn }n2N eine Cauchy Folge in C[a, b]. Dann gilt
8✏ > 09N 2 N8n, m
N : sup |fn (x)
fm (x)| < ✏
x2[a,b]
Es folgt
8✏ > 09N 2 N8n, m
N 8x 2 [a, b] : |fn (x)
fm (x)| < ✏
4.3. STETIGE ABBILDUNGEN ZWISCHEN METRISCHEN RÄUMEN
181
Insbesondere ist für alle x 2 [a, b] die Folge {fn (x)}n2N eine Cauchy Folge. Da R vollständig ist,
konvergiert diese Folge. Wir setzen
f (x) = lim fn (x).
n!1
Wir zeigen, dass die Folge {fn }n2N gleichmässig gegen f konvergiert. Es gilt
8✏ > 09N 2 N8n
N 8x 2 [a, b]8m 2 N :
|fn (x)
fm (x)| < ✏
Es folgt
8✏ > 09N 2 N8n
N 8x 2 [a, b] :
|fn (x)
f (x)| < ✏.
Nach Analysis I ist die Grenzfunktion einer Folge von stetigen Funktionen, die gleichmässig konvergiert, stetig.
(ii) Es sei xn , n 2 N, eine Cauchy Folge in `1 . Dann ist für jedes i 2 N die Folge der
Koordinaten xn (i), n 2 N, eine Cauchy Folge in R. Somit existieren
x(i) = lim xn (i).
n!1
Weil xn , n 2 N, eine Cauchy Folge ist, ist x eine beschränkte Folge, also in `1 . Wir zeigen nun,
dass xn , n 2 N, in `1 gegen x konvergiert. Für alle ✏ > 0 existiert ein N , so dass für alle n, m mit
n, m n
kxn xm k1 < ✏
Somit gibt es zu jedem ✏ > 0 ein N , so dass für alle n, m
|xn (i)
xm (i)| < ✏
gilt, bzw. zu jedem ✏ > 0 ein N , so dass für alle n
|xn (i)
N und alle i 2 N
N , alle i 2 N und alle m
N
xm (i)| < ✏
gilt. Nun können wir zu jedem i die Zahl m so groß wählen, dass |xm (i) xi | < ✏. (Die Zahl m
hängt also von i ab.) Es folgt, dass zu jedem ✏ > 0 ein N existiert, so dass für alle n N und alle
i2N
|xn (i) x(i)| < 2✏.
⇤
4.3
Stetige Abbildungen zwischen metrischen Räumen
Definition 4.3.1 Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) zwei metrische Räume. Eine Funktion f : X ! Y ist in einem Punkt x0 2 X stetig, falls
8✏ > 09 > 08x 2 X, dX (x, x0 ) <
:
dY (f (x), f (x0 ) < ✏.
Wir sagen, dass die Funktion stetig ist, wenn sie in allen Punkten stetig ist.
Satz 4.3.1 Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) zwei metrische Räume. Eine Funktion
f : X ! Y ist genau dann in einem Punkt x0 2 X stetig, falls für alle Folgen
{xn }n2N , mit limn!1 xn = x0
lim f (xn ) = f (x0 )
n!1
gilt.
182
CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME
Lemma 4.3.1 (i) Es sei (X, d) ein metrischer Raum und x0 2 X. Es seien f, g :
X ! R Funktionen, die in x0 stetig sind. Dann sind auch f + g und f · g in x0
stetig.
(ii) Es seien (X, dX ), (Y, dY ) und (Z, dZ ) metrische Räume. Die Funktion f : X !
Y, d sei in x0 stetig und g : Y ! Z sei in f (x0 ) stetig. Dann ist g f in x0 stetig.
Das Urbild f
1
(U ) einer Menge U ist {x|f (x) 2 U }.
Satz 4.3.2 Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) zwei metrische Räume und f : X ! Y .
Dann sind äquivalent.
(i) f ist stetig.
(ii) Das Urbild jeder o↵enen Menge ist eine o↵ene Menge.
(iii) Das Urbild jeder abgeschlossenen Menge ist abgeschlossen.
Beweis. (i) ) (ii). Es sei U eine o↵ene Teilmenge von Y . Falls f 1 (U ) die leere
Menge ist, so ist f 1 (U ) = ; auch o↵en. Wir können also annehmen, dass f 1 (U )
nicht die leere Menge ist. Wir zeigen nun, dass f 1 (U ) o↵en ist.
Es sei x0 2 f 1 (U ). Dann gilt f (x0 ) 2 U . Da U o↵en ist, existiert ein ✏ > 0, so
dass
{y|dY (y, f (x0 )) < ✏} ✓ U.
Weil f stetig ist, existiert ein
> 0, so dass
{f (x)|dX (x, x0 ) < } ✓ {y|dY (y, f (x0 )) < ✏}.
Also gilt
{x|dX (x, x0 ) < } ✓ f
✓ f
1
({f (x)|dX (x, x0 ) < })
1
({y|dY (y, f (x0 )) < ✏}) ✓ f
1
(U )
und x0 ist ein innerer Punkt. Also ist f 1 (U ) eine o↵ene Menge.
(i) ( (ii). Es sei x0 2 X und ✏ > 0. Die Menge
{y|d2 (y, f (x0 )) < ✏}
ist o↵en. Da das Urbild einer o↵enen Menge o↵en ist, so ist auch
f
1
({y|d2 (y, f (x0 )) < ✏})
o↵en. Insbesondere ist x0 innerer Punkt dieser Menge. Also gibt es ein
dass
{x|d1 (x, x0 ) < } ✓ f 1 ({y|d2 (y, f (x0 )) < ✏}).
Hieraus folgt
{f (x)|d1 (x, x0 ) < } ✓ {y|d2 (y, f (x0 )) < ✏}.
Damit ist f in x0 stetig.
> 0, so
4.3. STETIGE ABBILDUNGEN ZWISCHEN METRISCHEN RÄUMEN
183
(ii) ) (iii). Es sei A eine abgeschlossene Teilmenge von Y . Dann ist Ac o↵en
und somit ist auch f 1 (Ac ) auch o↵en. Weiter gilt
(f
1
(Ac ))c = ({x|f (x) 2
/ A})c = {x|f (x) 2 A} = f
1
({y|y 2 A}).
Damit ist (f 1 (Ac ))c = f 1 (A) abgeschlossen.
(iii) ) (ii) wird genauso gezeigt. 2
Satz 4.3.3 Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) zwei metrische Räume und f : X ! Y
eine stetige Funktion. Dann ist das Bild einer kompakten Menge kompakt.
Beweis. Es sei K eine kompakte Menge in X . Es sei weiter O◆ , ◆ 2 I, eine o↵ene
Überdeckung von f (K). Wegen der Stetigkeit von f sind die Mengen
1
f
(O◆ )
◆2I
o↵en. Wegen
1
K✓f
[
◆2I
O◆
!
=
[
f
1
(O◆ )
◆2I
ist diese Familie von Mengen eine o↵ene Überdeckung von K. Da K aber kompakt
ist, gibt es eine endliche Teilüberdeckung f 1 (O◆1 ), . . . , f 1 (O◆n )
K✓
n
[
f
(O◆k )
k=1
Hieraus folgt
f (K) ✓ f
1
n
[
f
k=1
1
!
(O◆k )
✓
n
[
k=1
O◆k
Also ist O◆1 , . . . , O◆n eine endliche Teilüberdeckung für f (K). 2
Satz 4.3.4 Es sei (X, d) ein metrischer Raum und K ein kompakte Teilmenge von
X. R sei mit der Standardmetrik d ausgestattet. Eine stetige Funktion f : X ! R
nimmt auf K Minimum und Maximum an.
Umgekehrt kann man sich fragen, ob eine Menge, auf der jede stetige Funktion
sowohl Minimum und Maximum annimmt, kompakt sein muss. Für Teilmengen vom
Rn lässt sich dies leicht nachweisen. Wir zeigen, dass es zu jeder nicht kompakten
Menge, eine Funktion gibt, die auf dieser Menge unbeschränkt ist. Falls die Menge
unbeschränkt ist, so ist die Funktion f (x) = x21 + · · · + x2n stetig und unbeschränkt.
Falls die Menge nicht abgeschlossen ist, dann gibt es einen Punkt z, der im Abschluss
dieser Menge liegt, aber nicht in dieser Menge. Dann ist
f (x) =
|z1
x1
|2
1
+ · · · + |zn
xn |2
184
CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME
stetig und unbeschränkt.
Beweis. Nach Satz 4.3.3 ist f (K) eine kompakte Menge von R. Nach Satz 4.2.1 ist
f (K) beschränkt und abgeschlossen. Da f (K) beschränkt ist, existieren Infimum
und Supremum von f (K). Wir zeigen, dass das Supremum von f (K) angenommen
wird. Es gilt
8✏ > 09y 2 f (K) : sup f (K)  y + ✏.
Wenn sup f (K) nicht angenommen wird, d.h. sup f (K) 2
/ f (K), dann ist sup f (K)
ein Häufungspunkt von f (K). Da aber f (K) abgeschlossen ist, muss dann sup f (K) 2
f (K).
Genauso wird gezeigt, dass inf f (K) 2 f (K). 2
Korollar 4.3.1 Es seien a, b 2 R mit a < b und f : [a, b] ! R eine stetige Funktion.
Dann nimmt f auf [a, b] Minimum und Maximum an.
Beweis. [a, b] ist eine kompakte Menge. Wir wenden Satz 4.3.4 an. 2
Lemma 4.3.2 Auf einem endlich-dimensionalen, reellen oder komplexen, normierten
Raum sind alle Normen äquivalent.
Beweis. Es reicht, Rn und Cn zu betrachten. Mit k k2 bezeichnen wir die Euklidische Norm. Wir zeigen, dass alle Normen auf Rn stetige Abbildungen bzgl. der
Euklidischen Norm sind. Es seien
ei = (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0)
i = 1, 2, . . . , n
die Standardbasis des Rn . Es gilt
kxk =
n
X
i=1
xi ei 
n
X
i=1
|xi |kei k 
✓
◆X
n
max kei k
|xi |.
1in
i=1
Wegen Beispiel 4.2.2 gilt
n
X
i=1
Deshalb
(4.1)
kxk 
✓
|xi | 
p
nkxk2 .
! 12 ✓
◆
◆
n
X
p
p
2
max kei k
n
|xi |
 max kei k
n kxk2 .
1in
1in
i=1
Stetigkeit in x0 bedeutet
8✏ > 09 > 08x, kx
Wir wählen
=
✏
c
x0 k2 <
:
|kxk
kx0 k| < ✏.
und erhalten
|kxk
kx0 k|  kx
x0 k  ckx
x0 k2 < c = ✏.
4.3. STETIGE ABBILDUNGEN ZWISCHEN METRISCHEN RÄUMEN
185
Damit ist die Norm eine stetige Abbildung. Die Menge
@B2n = {x| kxk2 = 1}
ist kompakt. Deshalb wird
inf kxk
kxk2 =1
angenommen. Es gilt
(4.2)
c1 = min kxk > 0,
kxk2 =1
weil das Minimum nicht in x = 0 angenommen wird. Aus (4.1) und (4.2) folgt für
alle x mit kxk2 = 1
✓
◆
p
c1  kxk  max kei k
nkxk2 .
1in
Es folgt für alle x mit x 6= 0
c1 
x
 c2 .
kxk2
Deshalb gilt für alle x
c1 kxk2  kxk  c2 kxk2 .
2
Lemma 4.3.3 Es sei (M, d) ein metrischer Raum und K eine kompakte Teilmenge.
Es sei f : K ! R eine stetige Abbildung. Dann ist f auf K gleichmäßig stetig, d.h.
8✏ > 09 > 08x, y 2 K, d(x, y) <
:
|f (x)
f (y)| < ✏.
Beweis. Da f stetig ist, gilt:
8✏ > 08x 2 K9 = (x, ✏)8y 2 K, d(x, y) <
:
|f (x)
f (y)| < ✏.
Die Familie
B (x, (x, ✏))
x2K
ist eine o↵ene Überdeckung von K. 2
Es seien ⇡j : Rk ! R durch
⇡j (x) = xj
gegeben. Diese Abbildungen sind stetig. Wir bezeichnen ⇡j f , j = 1, . . . , k als die
Koordinatenabbildungen.
Lemma 4.3.4 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! Rk . Die
Funktion f ist genau dann stetig, wenn alle Koordinatenfunktionen fi , i = 1, . . . , k
stetig sind.
186
CHAPTER 4. METRISCHE RÄUME
Beweis. Wir zeigen zunächst, dass die Abbildungen ⇡j stetig sind.
|⇡j (x0 )
⇡j (x)| = |x0 (j)
xj |  kx0
xk
Damit sind f und ⇡j stetige Funktionen. Hintereinanderausführungen von stetigen
Funktionen sind auch stetig. Also ist ⇡j f stetig. ⇤
Beispiel 4.3.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R. f heißt in x0 Lipschitzstetig, falls es eine Umgebung V(x0 ) und ein L > 0 gibt, so dass für alle x 2 V(x0 )
d(f (x), f (x0 ))  Ld(x, x0 )
bzw.
|f (x)
gilt.
f (x0 )|  Lkx
x0 k
Chapter 5
Integralrechnung
5.1
Integralrechnung
In diesem Abschnitt beginnen wir mit der Integralrechnung. Sie wird uns in die Lage
versetzen, einen Flächeninhalt oder die Länge einer Kurve zu berechnen. Ebenso
die Arbeit, die verrichtet wird, wenn sich ein Partikel durch ein Kraftfeld bewegt.
Mittels der Kurvenlänge werden wir dann die trigonometrischen Funktionen
einführen.
Wir stellen fest, dass alle stetigen Funktionen, wie auch alle monotonen Funktionen Riemann-integrierbar sind. Wir geben Beispiele von Funktionen an, die nicht
Riemann integrierbar sind. Auch geben wir Beispiele an, die an sehr vielen Stellen
unstetig sind, aber trotzdem Riemann integrierbar.
Das Hauptergebnis der Integralrechnung ist der Hauptsatz der Di↵erential- und
Integralrechnung. Er besagt, dass die Integration die inverse Operation zur Di↵erentiation ist. Hiermit lassen sich dann viele Integrale einfach berechnen.
Riemann integrierbare Funktionen sind beschränkt. Wir erweitern den Begri↵
der Riemann Integrierbarkeit auf unbeschränkte Funktionen und sprechen dann von
Funktionen, die uneigentlich Riemann integrierbar sind. In diesem Zusammenhang
führen wir die Gamma Funktion ein.
Eine Partition eines Intervalls [a, b] ist eine endliche Teilmenge P = {x0 , x1 , . . . , xn }
mit
a = x0 < x1 < · · · < xn = b.
Ik = [xk 1 , xk ] heißt das k-te Teilintervall und
Intervalls Ik . Die Feinheit der Partition ist durch
kPk = max
1kn
k
= xk
xk
1
ist die Länge des
k
gegeben. Es sei f : [a, b] ! R beschränkt auf [a, b] und P = {x0 , x1 , . . . , xn } sei eine
Partition von [a, b]. Wir setzen
mk (f ) = inf{f (x)|x 2 Ik }
Mk (f ) = sup{f (x)|x 2 Ik }
m(f ) = inf{f (x)|x 2 [a, b]}
M (f ) = sup{f (x)|x 2 [a, b]}
187
188
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Die Untersumme von f bzgl. P ist
US P (f ) =
n
X
mk (f )
k.
Mk (f )
k.
k=1
Die Obersumme von f bzgl. P ist
OS P (f ) =
n
X
k=1
Lemma 5.1.1 Es sei f : [a, b] ! R eine beschränkte Funktion. Dann gilt für alle
Partitionen P
m(f )(b
a)  US P (f )  OS P (f )  M (f )(b
Beweis.
US P (f ) =
2
n
X
mk (f )
k
k=1

n
X
Mk (f )
k
k=1
a).
= OS P (f )
Eine Partition P 0 = {x00 , . . . , x0n } eines Intervalls [a, b] heißt Verfeinerung der
Partition P = {x0 , . . . , xm } von [a, b], falls
P = {x0 , . . . , xm } ✓ {x00 , . . . , x0n } = P 0 .
Lemma 5.1.2 Es sei f : [a, b] ! R eine beschränkte Funktion. Es sei P 0 eine
Verfeinerung der Partition P. Dann gelten
(i)
US P (f )  US P 0 (f )
(ii)
OS P (f )
OS P 0 (f )
Insbesondere gilt, dass
sup{US P (f )|P ist Partition}  inf{OS P (f )|P ist Partition}
Beweis. (i) Falls P 0 = {x00 , . . . , x0n } Verfeinerung von P = {x0 , . . . , xm } ist. Wir
setzen für k = 1, . . . , m und j = 1, . . . , n
Ik = [xk 1 , xk ]
k
= xk
xk
1
und
mk (f ) = inf{f (x)|x 2 Ik }
Mk (f ) = sup{f (x)|x 2 Ik }
Ij0 = [x0j 1 , x0j ]
0
j
= x0j
x0j
1
m0j (f ) = inf{f (x)|x 2 Ij0 }
Mj0 (f ) = sup{f (x)|x 2 Ij0 }.
5.1. INTEGRALRECHNUNG
189
Es gibt es j1 , . . . , jm , so dass für alle i = 1, . . . , m gilt xi = x0ji . Dann gilt für alle
i = 1, . . . , m
ji
[
0
0
[xi 1 , xi ] = [xji 1 , xji ] =
[x0` 1 , x0` ].
`=ji
1 +1
Hiermit folgt
US P (f ) =
=
n
X
m
X
i=1

=
m
X
n
X
=
m
X
i=1
inf{f (x)|x 2 [xi 1 , xi ]}(xi
inf{f (x)|x 2 [x0ji 1 , x0ji ]}(x0ji
8
<
inf f (x) x 2
:
ji
X
i=1 `=ji
n
X
`=1
=
k
k=1
m
X
i=1
=
mk (f )
1 +1
ji
[
k=ji
m0k (f )
x0ji 1 )
[x0k 1 , x0k ]
1 +1
9
ji
= X
;
`=ji
inf f (x) x 2 [x0` 1 , x0` ] (x0`
inf f (x) x 2 [x0` 1 , x0` ] (x0`
0
k
k=1
xi 1 )
(x0`
x0` 1 )
1 +1
x0` 1 )
x0` 1 )
= US P 0 (f ).
(ii) wird genauso gezeigt.
Wir zeigen nun den Zusatz. Zunächst zeigen wir, dass für alle Partitionen P und
Q
US P (f )  OS Q (f )
gilt. P [ Q ist Verfeinerung von P und Q. Deshalb gilt nach Lemma 5.1.2 für alle
P und Q
US P (f )  US P[Q (f )  OS P[Q (f )  OS Q (f ).
Hieraus folgt für all Q
sup US P (f )  OS Q (f )
P
und schließlich
sup US P (f )  inf OS Q (f ).
Q
P
2
Definition 5.1.1 Es sei f : [a, b] ! R eine beschränkte Funktion. Es gelte
sup US P (f ) = inf OS P (f ).
P
P
Dann heißt f Riemann-integrierbar und das Integral von f ist
Z b
f (x)dx = sup US P (f ) = inf OS P (f ).
a
P
P
190
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Um nachzu weisen, dass eine Funktion f Riemann integrierbar ist, reicht es zu
zeigen, dass es für alle ✏ > 0 Partitionen P, Q mit
OS P (f )  US P (f ) + ✏
gibt.
Wir setzen
Z
b
f (x)dx =
a
Z
a
f (x)dx.
b
Beispiel 5.1.1 (i) Es sei f : [a, b] ! R durch f (x) = c definiert. f ist integrierbar und
Z
b
f (x)dx = c(b
a).
a
(ii) Es sei f : [0, 1] ! R durch f (x) = x definiert. f ist integrierbar und
Z 1
1
f (x)dx = .
2
0
(iii) (Dirichlet) Es sei D : [0, 1] ! R durch
(
0
D(x) =
1
falls x irrational
falls x rational
definiert. f ist nicht Riemann integrierbar (f ist aber Lebesgue integrierbar). Weiter gilt
D(x) = lim lim cos2n (m!⇡x).
m!1 n!1
(iv) (Thomae) Es sei f : [0, 1] ! R durch
8
falls x irrational ist oder x = 0
<0
f (x) = 1
m
:
falls x =
und m und n teilerfremd sind
n
n
definiert. f ist in allen irrationalen Punkten stetig und unstetig in allen rationalen Punkten. f ist
in keinem Punkt di↵erenzierbar. f ist Riemann integrierbar und
Z 1
f (x)dx = 0.
0
Diese Funktion wurde 1875 von C.J. Thomae eingeführt. Sie hat viele Spitznamen: Popcorn
Funktion, Regentropfen Funktion, Lineal Funktion, Sterne über Babylon.
Carl Johannes Tomae wurde am 11.12.1840 in Laucha an der Unstrut geboren. Er promovierte
1864 in Göttingen bei Ernst Schering. 1879 wurde er Professor in Jena.
5.1. INTEGRALRECHNUNG
191
An der Graphik erkennt man, warum die Funktion auch Lineal Funktion genannt wird: Die
Striche, die die Funktionswerte angeben, sehen aus wie die Markierungen auf einem Lineal. Auch
der Ausdruck Regentropfen Funktion ist klar. Sie heißt auch Popcorn Funktion, weil die Striche
Popcorn andeuten, das aus einer heissen Pfanne aufspringt.
Beweis. (i)
m(f ) = inf{f (x)|x 2 [a, b]} = c
M (f ) = sup{f (x)|x 2 [a, b]} = c
Wir wählen als Partition P = {a, b}. Dann erhalten wir
US P (f ) = m(f )(b
OS P (f ) = m(f )(b
a)
a)
(ii) Wir wählen als Partitionen
n2N
Pn = {0, n1 , n2 , . . . , 1}
Es gelten
k
=
1
n
und
k
mk (f ) = inf f (x) =
1
Mk (f ) = sup f (x) =
n
x2Ik
x2Ik
k
n
Hiermit erhalten wir
n
X
US Pn (f ) =
mk (f )
k
=
k=1
k=1
n
1 X
(k
n2
=
n
X
k
k=1
n
11
n
1 n(n 1)
1
1) = 2
=
n
2
2
✓
1
1
n
◆
und
OS Pn (f ) =
=
n
X
Mk (f )
k
=
k=1
n
X
k1
nn
k=1
✓
◆
n
1 X
1 n(n + 1)
1
1
k
=
=
1
+
.
n2
n2
2
2
n
k=1
Deshalb gilt für alle n 2 N
✓
1
1
2
1
n
◆
 sup US P (f )  inf OS P (f ) 
P
P
1
2
✓
◆
1
1+
.
n
Also gilt
1
= sup US P (f ) = inf OS P (f ).
P
2
P
(iii) Wir zeigen, dass für alle Partitionen P
US P (D) = 0
OS P (D) = 1
gilt. Hierzu benutzen wir, dass es zwischen je zwei reellen Zahlen sowohl eine rationale als auch
eine irrationale Zahl gibt (Korollar 2.10.1). Es folgen
mk (D) = inf{D(x)|x 2 Ik } = 0
Mk (D) = sup{D(x)|x 2 Ik } = 1.
192
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Es folgt
US P (D) =
OS P (D) =
n
X
k=1
n
X
mk (D)
Mk (D)
k
=0
k
=
k=1
n
X
k
= 1.
k=1
(iv) Wir zeigen, dass f in allen rationalen Punkten, die von 0 verschieden sind, unstetig ist.
1
m
Es gilt f ( m
n ) = n , aber in jeder Umgebung von n findet man einen irrationalen Punkt.
Wir zeigen nun, dass f in allen irrationalen Punkten x stetig ist. Wir zeigen, dass für alle
Folgen {xn }n2N mit limn!1 xn = x
lim f (xn ) 6= f (x) = 0
n!1
gilt. Wir können annehmen, dass alle xn , n 2 N, rationale Zahlen sind, weil f auf irrationalen
n
Zahlen den Wert 0 annimmt. Es sei { m
kn }n2N eine Folge rationaler Zahlen mit
lim
n!1
mn
= x.
kn
Wir müssen zeigen, dass
1
= 0.
kn
Wir nehmen an, dies sei nicht so. Dann gibt es eine Teilfolge {knj }j2N , die beschränkt ist. Deshalb
ist auch {mnj }j2N beschränkt. Somit nimmt
⇢
mnj
knj j2N
lim
n!1
nur endlich viele Werte an. Deshalb ist
lim
j2N
mnj
knj
rational. Der Grenzwert ist aber gleich der irrationalen Zahl x.
Wir zeigen nun, dass f Riemann integrierbar ist und dass das Integral von f gleich 0 ist.
Dazu zeigen wir dass für alle Partitionen P gilt, dass US P (f ) = 0. Ausserdem zeigen wir, dass es
Partitionen Pn , n 2 N, gibt, so dass
r
2
OS P (f ) 
n
gilt. Hieraus ergibt sich unmittelbar die Behauptung.
Es gilt
n
X
US P (f ) =
mk (f ) k = 0.
k=1
Wir beweisen nun die Abschätzung für die Obersummen. Als Partitionen wählen wir
Pn = {0,
1 2
, , . . . , 1}
n n
n 2 N.
Es gelten k = n1 und Ik = [ k n 1 , nk ].
Um OS P (f ) zu bestimmen, müssten wir nun Mk (f ) berechnen. Dies kann sich wegen der
Funktion f kompliziert gestalten. Deshalb gehen wir einer anderen Frage nach, die leichter zu
beantworten ist: Die Funktion f nimmt die Werte 1q , q 2 N, an. Wir fragen, auf wievielen
Intervallen Ik der Wert von Mk (f ) gleich 1q ist? Es gilt
OS Pn (f ) =
n
X
k=1
Mk (f )
k
=
⇢
n
1
1X
1X1
1
Mk (f ) =
card k Mk (f ) = ,
n
n q=1 q
q
k=1
5.1. INTEGRALRECHNUNG
wobei
193
⇢
1
card k Mk (f ) =
q
q=1
1
X
Da in jedem Intervall Ik = [ k n 1 , nk ] eine Zahl
k
n
enthalten ist, gilt
x2Ik
⇢
1
card k Mk (f ) =
q
q=1
n
X
Weiter gilt
1
.
n
f ( nk )
Mk (f ) = sup f (x)
Deshalb gilt
= n.
⇢
1
card k Mk (f ) =
q
= n.
 q.
Dies gilt, weil es q + 1 rationale Zahlen in [0, 1] gibt, deren Nenner q ist:
0 1 2
q 1 q
, , ,...,
, .
q q q
q
q
Diese q + 1 Zahlen können in höchstens q + 1 verschiedenen Intervallen Ik auftreten. Also gilt
Mk (f ) = 1q in höchstens q + 1 verschiedenen Intervallen. Da qq = 1, haben wir es tatsächlich
höchstens mit q Intervallen zu tun.
Somit erhalten wir
n
1X1
OS Pn (f ) =
N (q),
n q=1 q
wobei N (q) ganze Zahlen mit 0  N (q)  q und
n
X
N (q) = n
q=1
ist (Es kann sein, dass einige der N (q) gleich 0 sind.). Wir behaupten, dass
n
1X1
N (q)
n q=1 q
für die folgende Wahl der Zahlen N (q) maximal ist. Es sei ` 2 N die kleinste Zahl, so dass
X̀
q
n.
q=1
Wir setzen
N (q) =
8
<
:
q
n
falls q = 1, 2, . . . , `
P`
1
p=1
p
1
falls q = `
Wir nehmen an, dies sei nicht so. Dann gibt es eine Zahl q0 2 N mit q0  `
oder
` 1
X
N (`) < n
p.
p=1
1 und N (q0 ) < q0
194
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Wir betrachten den ersten Fall. Wir beobachten, dass es ein q1 > q0 mit N (q1 )
gilt
1 gibt. Dann
n
1X1
N (q)
n q=1 q
(q 1
0
1 X 1
=
N (q) +
n q=1 q
(q 1
0
1 X 1
<
N (q) +
n q=1 q
)
qX
n
1 1
X
1
1
1
1
N (q0 ) +
N (q) + N (q1 ) +
N (q)
q0
q
q1
q
q=q +1
q=q +1
0
1
)
n
X
1
1) +
N (q)
q
q=q +1
qX
1 1
1
(N (q0 ) + 1) +
q0
q=q
0
1
1
N (q) + (N (q1 )
q
q
1
+1
1
Der zweite Fall wird genauso behandelt. Damit folgt
OS Pn (f ) 
1 X̀ 1
`
q= ,
n q=1 q
n
wobei ` die kleinste Zahl ist, für die
X̀
q
n
q=1
gilt. Wir behaupten, dass ` 
p
2n gilt. Es gilt
n
X̀
q=
q=1
Also gilt
`(` + 1)
1
 (` + 1)2 .
2
2
p
2n  ` + 1.
Da ` die kleinste ganze Zahl ist, die diese Ungleichung erfüllt, gilt ` 
r
p
2n
2
OS Pn (f ) 
=
.
n
n
p
2n. Damit erhalten wir
2
Wir definieren
Z a
f (x)dx = 0
Z
und
a
a
f (x)dx =
b
Z
b
f (x)dx.
a
Lemma 5.1.3 Es seien f, g : [a, b] ! R integrierbare Funktionen und c 2 R. Dann
gelten
(i) f + g ist integrierbar und
Z b
Z b
Z b
f + gdx =
f dx +
gdx
a
a
a
(ii) f g ist integrierbar.
(iii) cf ist integrierbar und
Z
a
b
cf dx = c
Z
a
b
f dx
5.1. INTEGRALRECHNUNG
195
Lemma 5.1.4 Es seien f, g : [a, b] ! R integrierbare Funktionen und es gelte
f (x)  g(x) für alle x 2 [a, b]. Dann gilt
Z b
Z b
f dx 
gdx.
a
Beweis.
OS P (f ) =
n
X
Mk (f )
k=1
Also gilt für alle Partitionen P
a
k

n
X
Mk (g)
k
k=1
= OS P (g)
OS P (f )  OS P (g).
Hieraus folgt
Z
a
2
b
f (x)dx = inf OS P (f )  inf OS P (g) =
P
P
Z
b
g(x)dx.
a
Lemma 5.1.5 Es sei f : [a, b] ! R eine integrierbare Funktion. Dann ist auch |f |
eine integrierbare Funktion und es gilt
Z b
Z b
f (x)dx 
|f (x)|dx.
a
a
Beweis. Wir zeigen, dass |f | integrierbar ist. Dazu zeigen wir, dass die Funktionen
f + und f mit
f + (x) = max{f (x), 0}
f (x) = max{ f (x), 0}
integrierbar sind. Es folgt dann, dass |f | = f + + f integrierbar ist. Weiter gilt
f = f + f . Wir zeigen hier, dass f + integrierbar ist.
Es sei P = {x0 , . . . , xn } eine Partition. Dann gilt für alle k = 1, . . . , n
(5.1)
Mk (f + )
mk (f + )  Mk (f )
mk (f ).
Wir prüfen dies nach. Da f  f + gilt, folgen
(5.2)
Mk (f ) = sup f (x)  sup f + (x) = Mk (f + )
x2Ik
(5.3)
x2Ik
mk (f ) = inf f (x)  inf f + (x) = mk (f + )
x2Ik
x2Ik
Wir betrachten nun zwei Fälle. Der erste Fall ist: Es gibt ein x0 2 Ik mit f (x0 )
Wir zeigen, dass in diesem Fall Mk (f ) = Mk (f + ). Es gilt für alle y 2 Ik
f (y)  sup f (x).
x2Ik
0.
196
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Da f (x0 )
0, so
0  f (x0 )  sup f (x).
x2Ik
Deshalb gilt für alle y 2 Ik
f + (y) = max{f (y), 0}  sup f (x).
x2Ik
Es folgt
Mk (f + ) = sup f + (x)  sup f (x) = Mk (f )
x2Ik
x2Ik
und damit Mk (f ) = Mk (f + ). Hiermit und mit (5.3) folgt (5.1) in diesem Fall.
Der zweite Fall ist: Für alle x 2 Ik gilt f (x) < 0. In diesem Fall gilt f + = 0 und
(5.1) folgt sofort.
Aus (5.1) folgt
+
OS P (f )
n
X
+
US P (f ) =
k=1
n
X

Mk (f + )
mk (f + )
(Mk (f )
mk (f ))
k
k
k=1
= OS P (f )
US P (f ).
Für jedes ✏ > 0 existieren Partitionen P0 und P1 , so dass
OS P0 (f )  inf OS P (f ) + ✏
und
P
gelten. Somit folgt für P = P0 [ P1
OS P (f + )
US P1 (f )
sup US P (f )
✏
P
US P (f + )  2✏.
Wegen
US P (f + )  sup US Q (f + )  inf OS Q (f + )  OS P (f + )
Q
Q
folgt
sup US Q (f + ) = inf OS Q (f + ).
Q
Q
Damit ist f + integrierbar. Ebenso zeigen wir, dass f integrierbar ist.
Z b
Z b
Z b
Z b
+
+
|f (x)|dx =
f (x) + f (x)dx =
f (x)dx +
f (x)dx
a
a
a
a
Z b
Z b
Z b
Z b
+
+
f (x)dx
f (x)dx =
f (x) f (x)dx =
f (x)dx
a
a
a
Genauso zeigen wir, dass
Z
b
|f (x)|dx
a
Insgesamt erhalten wir also
Z
a
2
b
|f (x)|dx
Z
b
f (x)dx.
a
Z
a
b
f (x)dx .
a
5.1. INTEGRALRECHNUNG
197
Lemma 5.1.6 Es sei f : [a, b] ! R integrierbar und c 2 [a, b]. Dann gilt
Z
b
f (x)dx =
a
Z
c
f (x)dx +
a
Z
b
f (x)dx
c
Satz 5.1.1 Die Funktion f : [a, b] ! R sei auf [a, b] monoton fallend oder monoton
wachsend. Dann ist f Riemann integrierbar.
Beweis. Es sei f monoton wachsend. Wir wählen als Partitionen
⇢
b a
b a
b a
Pn = a, a +
,a + 2
, . . . , a + (n 1)
,b
n
n
n
n 2 N.
Weil f monoton wachsend ist, gelten für k = 1, 2, . . . , n
✓
◆
✓
◆
b a
b a
mk (f ) = f a + (k 1)
und
Mk (f ) = f a + k
.
n
n
Damit folgt
OS Pn (f ) US Pn (f )
n
n
X
X
=
Mk (f ) k
mk (f )
=
=
=
k=1
n
X
k=1
n
X
✓
b
f a+k
k=1
✓
b
f a+k
b
a
n
(f (b)
k
k=1
a
n
a
n
◆
◆
b
a
n
b
a
n
✓
n
X
f a + (k
k=1
n
X1
k=0
✓
b
f a+k
1)
a
n
b
◆
a
n
b
◆
b
a
n
a
n
f (a)).
Es gilt also
OS Pn (f )
US Pn (f ) 
b
a
n
(f (b)
f (a)).
Wegen
US Pn (f )  sup US P (f )  inf OS P (f )  OS Pn (f )
P
P
folgt
inf OS P (f ) = sup US P (f ).
P
P
Damit ist f integrierbar. 2
Satz 5.1.2 Es sei f : [a, b] ! R stetig. Dann ist f Riemann integrierbar.
198
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Beweis. Wir benutzen den Satz 3.2.1: Falls f auf [a, b] stetig ist, dann ist f auf
[a, b] auch gleichmäßig stetig. Es gilt also
8✏ > 09 > 08x, y 2 [a, b], |x
y| <
:
Als Partition wählen wir
⇢
b a
b a
Pn = a, a +
,a + 2
, . . . , a + (n
n
n
wobei wir n so groß wählen, dass
k
=
b a
n
<
8k = 1, . . . , n 8x, y 2 Ik :
|f (x)
1)
b
a
n
f (y)| < ✏.
n 2 N,
,b
gilt und damit
|f (x)
f (y)| < ✏.
Hieraus folgt
Mk (f )
mk (f ) = sup f (x)
inf f (x) = max f (x)
x2Ik
x2Ik
x2Ik
min f (x) < ✏.
x2Ik
Damit erhalten wir
OS Pn (f )
US Pn (f ) =
Wegen
n
X
Mk (f )
k
k=1
n
X
mk (f )
k
< ✏(b
a).
k=1
US Pn (f )  sup US P (f )  inf OS P (f )  OS Pn (f )
P
P
folgt
inf OS P (f ) = sup US P (f ).
P
P
Damit ist f integrierbar. 2
5.2
Riemannsche Summen
Die Funktion f : [a, b] ! R sei beschränkt. P = {x0 , . . . , xn } sei eine Partition von
[a, b]. Es sei ⇠ = {⇠k }nk=1 mit ⇠k 2 Ik , k = 1, . . . , n. Dann heisst
SP =
n
X
f (⇠k )
k
k=1
Riemannsche Summe zur Partition P.
Insbesondere gilt für jede Partition P und alle ⇠
US P (f )  SP (f, ⇠)  OS P (f )
Wir setzen
lim SP (f, ⇠) = I
kPk!0
falls für alle ✏ > 0 ein
und alle ⇠
gilt.
> 0 existiert, so dass für alle Partitionen P mit kPk <
|SP (f, ⇠)
I| < ✏
5.3. RIEMANN-MESSBARE MENGEN UND DIE CANTOR-MENGE
199
Lemma 5.2.1 (i) Falls f : [a, b] ! R Riemann integrierbar ist, so existiert
lim SP (f, ⇠)
kPk!0
und es gilt
lim SP (f, ⇠) =
kPk!0
(ii) Existiert
Z
b
f (x)dx
a
lim SP (f, ⇠)
kPk!0
so ist f Riemann integrierbar und es gilt
lim SP (f, ⇠) =
kPk!0
Z
b
f (x)dx
a
Satz 5.2.1 (i) Es sei f : [a, b] ! R eine zweimal stetig di↵erenzierbare Funktion,
a0 < · · · < an sei eine Partition des Intervalls [a, b] in Teilintervalle gleicher Länge
und x1 , . . . , xn seien die Mittelpunkte dieser Teilintervalle. Dann gilt
Z b
(b a)3
f (x)dx (f (x1 ) + · · · + f (xn )) x 
max |f 00 (x)|
2
24n x2[a,b]
a
Z b
(b a)3
f (x)dx (f (a0 ) + 2f (a1 ) · · · + 2f (an 1 ) + f (an )) x 
max |f 00 (x)|
2 x2[a,b]
12n
a
(ii)
Z
a
b
f (x)dx
(f (a0 ) + 4f (x1 ) + 2f (a1 ) · · · + 2f (an 1 ) + 4f (xn ) + f (an )) x

(b a)5
max |f 0000 (x)|
2880n4 x2[a,b]
Die erste Approximation bezeichnet man als Mittelpunktsregel, die zweite als
Trapezregel und die dritte als Simpsonregel. Bei der Simpsonregel approximiert
man die Funktion durch Parabeln.
5.3
Riemann-messbare Mengen und die CantorMenge
Wir sagen, dass eine Teilmenge A der reellen Zahlen R Riemann-messbar ist, falls
sie beschränkt ist und die charakteristische Funktion
⇢
1
falls x 2 A
A =
0
falls x 2
/A
200
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
integrierbar ist. Das Maß µ(A) der Menge A ist durch
Z b
µ(A) =
A dx
a
definiert, wobei [a, b] ein Intervall ist, das die Menge A enthält.
Lemma 5.3.1 Es sei A eine Riemann messbare Teilmenge von R und s, t 2 R.
Dann ist auch s + tA Riemann messbar und
µ(s + tA) = tµ(A)
Beweis. Es seien a, b 2 R mit A ✓ [a, b] und P = {x0 , x1 , . . . , xn } eine Partition
mit
OS P ( A )  ✏ + US P ( A )
Dann gilt s + tA ✓ [s + ta, s + tb] und
s + tP = {s + tx0 , . . . , s + txn }
ist eine Partition mit
OS s+tP (
s+tA )
 t✏ + US s+tP (
s+tA )
Wir prüfen dies nach. Es gilt
mk (
A)
Mk (
= inf
A)
x2Ik
= sup
A (x)
A (x)
=
(
=
(
x2Ik
1
0
falls Ik ✓ A
falls Ik \ Ac 6= ;
1
0
falls Ik \ A 6= ;
falls Ik \ A = ;
Ebenso gilt
mk (
Mk (
s+tA )
s+tA )
= inf
s+tA (x)
x2Ik
= sup
s+tA (x)
x2s+tIk
Es folgt mk (
s+tA )
US s+tP (
= mk (
s+tA )
=
=
A)
n
X
k=1
(
=
1
0
(
und Mk (
mk (
s+tA )
falls s + tIk ✓ s + tA
falls s + tIk \ (s + tA)c 6= ;
1
0
falls (s + tIk ) \ (s + tA) 6= ;
falls (s + tIk ) \ (s + tA) = ;
s+tA )
s+tP
k
= Mk (
=
n
X
A ).
mk (
k=1
Dasselbe Ergebnis erhalten wir für die Obersummen. 2
Damit folgt
A )t
P
k
= t US P (
A)
5.3. RIEMANN-MESSBARE MENGEN UND DIE CANTOR-MENGE
201
Beispiel 5.3.1 (Cantor Menge) Die Cantor Menge C ist die Menge aller Zahlen
1
X
aj
j=1
aj 2 {0, 2}
3j
Es gelten
(i) C ⇢ [0, 1]
(ii) C ist eine kompakte Menge.
(iii) Es gilt C = 13 C [ ( 23 + 12 C)
(iv) Wir setzen C1 = [0, 1] und für n 2 N
Cn+1 = 13 Cn [ ( 23 + 12 Cn )
Dann gilt
C=
1
\
Cn
n=1
(v) Das Riemannsche Mass von C ist 0.
(vi) Die Mächtigkeit der Cantor Menge ist gleich der des Kontinuums.
(vii) C hat keine isolierten Punkte.
(viii) Für alle x, y 2 C existiert ein z 2
/ C, so dass x < z < y.
(ix) Für die Menge C + C = {x + y|x, y 2 C} gilt
C + C = [0, 2]
(x) Für die Di↵erenzmenge C
C = {x
C
y|x, y 2 C} gilt
C = [ 1, 1]
Wir sagen, dass eine Menge nirgends dicht ist, falls das Innere des Abschlusses
die leere Menge ist. Die Cantor Menge ist nirgends dicht. Eigenschaft (ix) zeigt,
dass das Mass einer Di↵erenzmenge von Nullmengen nicht notwendig 0 ist.
Geometrisch lässt sich die Cantor Menge wie folgt veranschaulichen. Das Intervall [0, 1] wird gedrittelt und das mittlere Drittel ( 13 , 23 ) entfernt. Die verbleibenden
Intervalle [0, 13 ] und [ 23 , 1] werden wiederum gedrittelt und die mittleren Intervalle
( 19 , 19 ) und ( 79 , 89 ) werden entfernt. Dieses Verfahren wird so fortgesetzt. So entsteht
bei jedem Schritt eine Menge Cn , n = 1, . . . , die Vereinigung von 2n 1 abgeschlossen+1
nen Intervallen der Länge
ist. Die Cantor Menge ist dann der Durchschnitt
T1 3
dieser Mengen C = n=1 Cn .
202
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
0
1
0
1
3
0
1
9
2
3
1
3
2
9
1
2
3
7
9
8
9
1
Konstruktion der Cantor Menge
Der
{0, 1} sei mit der diskreten Topologie ausgestattet
Q zweielementige Raum
N
und n2N {0, 1} = {0, 1} mit der Produkttopologie. Dann sind C und {0, 1}N
homöomorph.
Ein Satz von Alexandrov und Hausdor↵ besagt, dass jeder kompakte, metrische
Raum stetiges Bild der Cantor-Menge ist [Ben]. Dieser Satz hat eine Reihe von
überraschenden Anwendungen.
Beweis. (i) O↵ensichtlich sind alle Zahlen in der Cantor Menge grösser oder gleich
0. Ausserdem sind alle Zahlen kleiner als
✓
◆
1
X
2
1
=2
1 =1
3j
1 13
j=1
(ii) Wir müssen zeigen, dass die Cantor Menge abgeschlossen ist. Es sei
xk =
1
X
akj 3
j
akj 2 {0, 2} k = 1, 2, . . .
j=1
eine Folge in C, die in R konvergiert. (Da alle xk 2 [0, 1], gilt dasselbe für den
Grenzwert x.) Dann gibt es Zahlen aj , so dass für alle j 2 N
lim akj = aj
k!1
Deshalb gilt für alle j 2 N, dass aj 2 {0, 2}. Damit ist die Zahl
1
X
aj 3
j
j=1
ein Element der Cantor Menge. Wir zeigen nun, dass für alle j 2 N die Folge {akj }k2N
eine Cauchy Folge ist.
Wir nehmen an, dass es ein j gibt, so dass {akj }k2N keine Cauchy Folge ist. Es
sei j0 die kleinste Zahl, für die dies nicht wahr ist. Dann gibt es ein N , so dass für
alle k, m > N
|xk
xm |
=
1
X
akj
j=j0
akj0
am
j
3j
am
j0
3j
akj0
am
j0
3j
1
X
j=j0 +1
1
X
akj0 am
2
j0
=
j
j
3
3
j=j +1
0
akj
am
j
3j
1
3j0
5.3. RIEMANN-MESSBARE MENGEN UND DIE CANTOR-MENGE
203
Da {a`j0 }`2N keine Cauchy Folge ist, gibt es zu jedem N Zahlen k, m 2 N mit
k, m > N und
|akj0 am
j0 | = 2
Damit folgt aber |xk xm |
3 j0 und die Folge {xn }n2N ist keine Cauchy Folge.
Damit folgt, dass für alle j 2 N die Folge {akj }k2N eine Cauchy Folge ist und damit
eine konvergente Folge. Es gibt also Zahlen aj 2 {0, 2}, so dass
lim akj = aj
k!1
Wir behaupten, dass die Folge xk gegen das Element
x=
1
X
aj
j=1
3j
konvergiert. Es gibt zu jedem J 2 N ein kJ , so dass für alle j mit 1  j  J und
alle k mit k kJ gilt, dass akj = aj . Weiter folgt für alle k mit k kJ
|x
xk | =
1
X
aj
j=1
akj
3j
=
1
X
aj
j=J
akj
3j

1
X
2
=3
j
3
j=J
(iii) Wir zeigen zuerst, dass
Es sei x 2 C, also x =
Also gilt
x
3
C ◆ 13 C [
P1
aj
j=1 3j
2
3
+ 12 C
mit aj 2 {0, 2}. Dann gilt
1
x X aj
=
3
3j+1
j=1
2 C. Weiter gilt
1
1
X bj
2 x
2 X aj
+ = +
=
3 3
3 j=1 3j+1
3j
j=1
mit b1 = 2 und bj = aj 1 für j = 2, 3, . . . . Also gilt auch 23 + x3 2 C.
Wir zeigen nun, dass
C ✓ 13 C [ 23 + 12 C
P
aj
Es sei x 2 C, also x = 1
j=1 3j mit aj 2 {0, 2}. Falls a1 = 0, dann
x=
1
X
aj
j=2
3j
=
1
1 X aj
1
2
C
3 j=2 3j 1 3
Falls a1 = 2, dann gilt
x=
1
X
aj
j=1
3j
=
1
1
2 X aj
2 1 X aj
2 1
+
=
+
2
+ C
3 j=2 3j
3 3 j=2 3j 1 3 3
J
204
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
(iv) Wir zeigen hier zunächst, dass Cn+1 ✓ Cn . Dies zeigen wir durch Induktion.
Für n = 1 gilt
[0, 13 ] [ [ 23 , 1] = 13 C1 [ ( 23 + 13 C1 ) = C2
C1 = [0, 1]
Wir nehmen nun an, dass Cn
Cn . Nach Definition gilt
1
Cn+1 = 13 Cn [ ( 23 + 13 Cn )
Aus der Induktionsannahme Cn
1
C
3 n 1
Cn folgt
1
1
C
3 n
2
3
+ 13 Cn
2
3
1
+ 13 Cn
Hieraus folgt
Cn = 13 Cn
[ ( 23 + 13 Cn 1 )
1
1
C
3 n
[ ( 23 + 13 Cn ) = Cn+1
Nun zeigen wir, dass
C✓
1
\
Cn
n=1
Hierzu zeigen wir durch Induktion, dass für alle n 2 N gilt, dass C ✓ Cn . Es gilt
C1 = [0, 1]
C
Wir nehmen nun an, dass C ⇢ Cn . Dann folgt
Cn+1 = 13 Cn [ ( 23 + 13 Cn )
1
C
3
[ ( 23 + 13 C) = C
Wir zeigen, dass
C◆
1
\
Cn
n=1
Dazu zeigen wir zuerst, dass
1
\
Cn =
n=1
1
3
1
\
n=1
Cn [
2
3
+
1
3
1
\
Cn
n=1
!
Es gilt
1
\
Cn
=
n=1
◆
1
\
n=1
1
\
Cn+1 =
i,j=1
1
\
n=1
1
C
3 i
1
C
3 n
[ ( 23 + 13 Cn )
[ ( 23 + 13 Cj ) =
1
3
1
\
i=1
Ci
!
[
2
3
+
1
3
1
\
j=1
Cj
!
5.3. RIEMANN-MESSBARE MENGEN UND DIE CANTOR-MENGE
205
Andererseits gilt
1
3
1
\
Ci
i=1
◆
=
!
2
3
[
1
3
+
1
C
3 max{i,j}
i,j=1
1
\
1
\
Cn+1 =
T1
Cj
j=1
1
\
n=1
Es sei nun x 2
Darstellung
1
\
[
!
( 23
=
+
1
\
1
C
3 i
i,j=1
[ ( 23 + 13 Cj )
1
C
)
3 max{i,j}
=
1
\
1
C
3 n
n=1
[ ( 23 + 13 Cn )
Cn
n=1
n=1
Cn aber x 2
/ C. Da x 2 [0, 1] gilt, gibt es eine 3-adische
x=
1
X
aj
j=1
aj 2 {0, 1, 2}
3j
wobei es i0 , j0 2 N mit i0 < j0 und ai0 = 1 und aj0 6= 2 gibt. Wir wollen uns dies
überlegen. Falls es mindestens zwei i mit ai = 1 gibt, dann können wir ai0 = aj0 = 1
mit i0 < j0 wählen. Wenn es nur ein einziges i0 mit ai0 = 1 gibt und es gibt ein
j0 mit i0 < j0 und aj0 = 0, dann sind wir auch fertig. Falls es aber nur ein i0 mit
ai0 = 1 gibt und für alle i > i0 gilt, dass ai = 2, dann gilt weiter
x=
1
X
aj
j=1
3j
=
iX
0 1
j=1
iX
1
0 1
X
aj
1
2
aj
2
+ i0 +
=
+ i0 2 C
j
j
j
3
3
3
3
3
j=i +1
j=1
0
Wir betrachten der kleinste Index i0 , für den der Koeffizient gleich 1 ist.
Wir betrachten den Fall, dass i0 = 1, also a1 = 1. Dann folgt x 2 [ 13 , 23 ]. Es kann
nicht sein, dass x = 23 , weil 23 2 C. Es kann auch nicht sein, dass x = 13 , weil
x=
1
1 X 2
=
2C
j
3
3
j=2
Wir hatten aber angenommen, dass x 2
/ C. Insgesamt erhalten wir, dass x 2 ( 13 , 23 ).
Damit gilt x 2
/ C2 , im Widerspruch zu unserer Annahme.
Nun betrachten wir den Fall, dass i0 > 1. Wir konstuieren ein
y=
1
X
bj
j=1
3j
2
1
\
n=1
Cn
und
y2
/C
mit bi0 1 = 1. Wir können also i0 um 1 reduzieren. Dasselbe Argument wenden wir
i0 1 mal an, so dass wir den Fall i0 = 1 erhalten Wegen
!
!
1
1
1
\
\
\
Cn = 13
Cn [ 22 + 13
Cn
n=1
n=1
n=1
206
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
gilt
x2
1
3
1
\
Cn
oder
x2
n=1
bzw.
3x 2
1
\
Cn
oder
2
3
+
1
3
1
\
Cn
n=1
3x
22
n=1
1
\
Cn
n=1
Wir betrachten den ersten Fall. Dann gilt 3x 2
/ C, weil sonst x 2 C folgen würde,
im Gegensatz zu unserer Annahme. Dann wählen wir y = 3x und es gilt bi0 1 = 1.
(v) Da C eine nichtnegative Funktion ist, gilt für alle Partitionen P und alle
Untersummen US P ( C )
0  US P ( C )
Die Menge Cn ist eine disjunkte Vereinigung von 2n 1 abgeschlossenen Intervallen
der Länge 3n 1 , die alle in [0, 1] enthalten sind. Dies folgt mit Induktion aus
(iv). C1 = [0, 1] erfüllt die Aussage. Falls Cn die Aussage erfüllt, dann ist 13 Cn
eine disjunkte Vereinigung von 2n 1 abgeschlossenen Intervallen der Länge 3n , die
in [0, 13 ] enthalten sind. Ausserdem ist 23 + 13 Cn eine disjunkte Vereinigung von
2n 1 abgeschlossenen Intervallen der Länge 3n , die in [ 23 , 1] enthalten sind. Deshalb
besteht Cn+1 = ( 13 Cn ) [ ( 23 + 13 Cn ) aus 2n disjunkten, abgeschlossenen Intervallen
der Länge 3n .
Somit gibt es Zahlen ak , bk , k = 1, . . . , 2n 1 , mit 0 = a1 < b1 < a2 < b2 < a3 <
· · · < a2n 1 < b2n 1 = 1 und
n 1
2[
Cn =
[ak , bk ]
k=1
Nun wählen wir als Partition
P = {a1 , b1 + ✏, a2
✏, b2 + ✏, a3
✏, . . . , b2n
1
1
+ ✏, a2n
1
Weil C ✓ Cn gilt, folgt
sup
C (x)
x2[ak ✏,bk +✏]
1
sup
C (x)
x2[bk +✏,ak ✏]
Damit folgt für die Obersumme
OS P (
Da wir ✏ < 12 3
n+1
C)
 2n 1 (3
n+1
+ 2✏)
wählen können, folgt
✓ ◆n
2
OS P ( C )  2
3
(vi) Die Abbildung f : C ! [0, 1]
f
1
X
aj
j=1
3j
!
=
1
X
j=1
aj
2
2j
1
=0
✏, b2n 1 }
5.3. RIEMANN-MESSBARE MENGEN UND DIE CANTOR-MENGE
207
ist surjektiv.
Wir überlegen uns zuerst, dass diese Abbildung wohldefiniert ist. Ein Element
x 2 R hat entweder genau eine 3-adische Darstellung oder genau zwei 3-adische
Darstellungen. Wir müssen den Fall betrachten, dass x genau zwei 3-adische Darstellungen hat. Falls x genau zwei 3-adische Darstellungen hat und x ist ein Element der
Cantor Menge, dann hat nur eine Darstellung die Eigenschaft, dass die Koeffizienten
entweder 0 oder 2 sind. Wir überlegen uns dies.
Wenn eine Zahl zwei 3-adische Darstellungen besitzt, dann sind in einer der
Darstellungen fast alle Koeffizienten gleich 2. Wenn sämtliche Koeffizienten gleich 2
sind, dann handelt es sich um die Zahl 1, deren andere 3-adische Darstellung 310 ist.
Falls es einen Koeffizienten gibt, der von 2 verschieden ist, so muss es 0 sein.
Deshalb hat die andere 3-adische Darstellung dieser Zahl eine 1 als Koeffizienten.
Nun überlegen wir uns, dass die Abbildung surjektiv ist. Da wir sämtliche Koa
effizientenfolgen {aj }j2N mit aj 2 {0, 2} zulassen, handelt es sich bei { 2j }j2N um
sämtliche Folgen, der Glieder aus 0 oder 1 bestehen. Deshalb erhalten wir im Bild
alle dyadischen Darstellungen von Zahlen aus dem Intervall [0, 1].
(ix) [Nym] Wir verwenden die Darstellung
( 1
)
X 2cn
C=
cn 2 {0, 1}
n
3
n=1
Die
Gleichung C + C = [0, 2] ist äquivalent zu 12 C + 12 C = [0, 1]. Es gilt 12 C =
P1
cn
n=1 3n cn 2 {0, 1} . Deshalb
1
C
2
+ 12 C
=
=
(
1
X
cn + dn
( n=1
1
X
bn
n=1
3n
3n
)
cn , dn 2 {0, 1}
)
bn 2 {0, 1, 2}
= [0, 1]
In [85] wird eine geometrische Konstruktion verwendet, um dieses Ergebnis zu erzielen. Außerdem wird sowohl in [81] als auch [85] berechnet, auf wie viele verschiedene
Weisen man ein Element aus dem Intervall [0, 2] als Summe von zwei Elementen aus
C darstellen kann. Die Formel in [85] ist leider falsch, sie wurde in [81] korrigiert.
(x) Man kann das Ergebnis (ix) benutzen, um (x) P
zu beweisen. Es gilt C =
2
1 C = {1 x|x 2 C}. Hierzu beachte man, dass 1 = 1
n=1 3n . Somit gilt
1
C
=
=
(
(
1
an 2 {0, 2}
3n
an 2 {0, 2}
n=1
1
X
2
n=1
)
1
X
an
3n
an
Deshalb gilt weiter C + C = C + (1
[ 1, 1].
)
=
C) = 1 + (C
(
1
X
an
n=1
3n
)
an 2 {0, 2}
C), also C
C=1
(C + C) =
208
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Wir wollen aber noch ein geometrische Argument angeben. Wir wollen zeigen,
dass es zu jedem a 2 [ 1, 1] Elemente x, y 2 C gibt so dass a = y x. Dies kann
man auch so formulieren: Hat die Gerade y = x + a mit C ⇥ C einen nichtleeren
Schnitt.
Wir wollen hier die
T Darstellung der Cantor Menge als Schnitt der Mengen Cn
verwenden, also C = 1
n=1 Cn . Deshalb
!
!
1
1
1
1
\
\
\
\
C ⇥C =
Cn ⇥
Cn =
Cn ⇥ Ck =
Cn ⇥ Cn
n=1
n=1
n=1
n,k=1
In den Skizzen sind zwei dieser Mengen dargestellt.
Konstruktion des Produktes der
Cantor Menge mit sich selbst
Konstruktion des Produktes der
Cantor Menge mit sich selbst
Wir betrachten nun den Schnitt einer Geraden y = x + a, a 2 [ 1, 1], mit den
Mengen Cn ⇥ Cn , n = 0, 1, . . . . Eine solche Gerade hat mit jeder Menge Cn ⇥ Cn
einen nichtleeren Schnitt. Wegen Kompaktheit hat damit auch C ⇥ C mit einer
solchen Geraden einen nichtleeren Schnitt.
y=x+a
5.3. RIEMANN-MESSBARE MENGEN UND DIE CANTOR-MENGE
209
2
Die Cantor Menge ist ein Fraktal. Benoit Mandelbrot hat 1975 den Begri↵
”Fraktal” eingeführt. Er schrieb dazu:”Wolken sind keine Kugeln, Berge keine Kegel,
Küsten keine Kreise und die Baumrinde ist nicht glatt, noch wählt der Blitz eine
gerade Linie.”[Man, p.1] Fraktale haben im Vergleich zu Flächen und Körpern der
klassischen Geometrie eine irreguläre Struktur.Und wenn man diese Mengen durch
ein Vergrößerungsglas ansieht, dann treten weitere Irregularitäten hervor.
Mandelbrot hat folgende Definition gegeben: Ein Fraktal ist eine Menge, deren
Hausdor↵-Besicovitch Dimension strikt größer als die topologische Dimension ist
[Man, p.15]. Man kann zeigen, dass die Hausdor↵-Besicovitch Dimension der Cantor
2
Menge gleich ln
ist. Die topologische Dimension ist 0 [Edg].
ln 3
Beispiel 5.3.2 Die Cantor Funktion
(x) = sup
(1
X
j=1
aj
2
2j
x
1
X
aj
j=1
3j
: [0, 1] ! [0, 1] ist durch
und für alle j 2 N gilt aj 2 {0, 2}
)
definiert. Es gelten
(i) Die Cantor Funktion ist eine stetige, wachsende Funktion.
(ii) Die Cantor Funktion ist in allen Punkten von C nicht di↵erenzierbar und sie
ist in allen Punkten, die nicht in C liegen di↵erenzierbar. Die Ableitung ist in allen
diesen Punkten gleich 0.
(iii) Für alle x, y 2 [0, 1] gilt
| (x)
(y)|  2|x
ln 2
y| ln 3 .
Die Cantor Funktion wird auch Teufelstreppe genannt.
Beweis. (i) Es ist o↵ensichtlich, dass wachsend ist.
Wir weisen die Stetigkeit von nach. Wir betrachten zwei Fälle, x 2 C und
x2
/ C. Zunächst der Fall x 2
/ C. Da C kompakt ist ist das Komplement von C
o↵en. Also gibt es ein Intervall (x ✏, x + ✏), das im Komplement von C enthalten
ist. Da in diesem Intervall kein Element aus C enthalten ist, folgt
( 1 a
)
1
X j
X
a
j
2
(x + ✏)
= sup
x+✏
und für alle j 2 N gilt aj 2 {0, 2}
j
j
2
3
j=1
j=1
( 1 a
)
1
j
X
X
aj
2
= sup
x ✏
und für alle j 2 N gilt aj 2 {0, 2}
2j
3j
j=1
j=1
= (x
Damit ist
✏)
in einer Umgebung von x konstant, also stetig.
210
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Wir nehmen nun an, dass x 2 C. Damit gibt es Koeffizienten aj , so dass
x=
1
X
aj
j=1
mit
3j
aj 2 {0, 2}.
Zu gegebenen ✏ wählen wir j0 so groß, dass
2
und wir wählen
<3
j0
j0 +1
<✏
. Für ein y 2 C mit |x
y=
1
X
bj
j=1
mit
3j
y| <
gibt es eine Darstellung
bj 2 {0, 2}
und es gilt
1
X
aj
j=1
bj
3j
< .
Es sei j1 die kleinste Zahl, so dass aj 6= bj . Dann gilt |aj1
>
|aj1
3j1
bj1 |
1
X
|aj
j=j1 +1
3j
bj |
2
3j1
2
1
X
bj1 | und somit
3
j
=3
j1
.
j=j1 +1
Deshalb gilt j0  j1 und für alle z mit |z x| < gilt
(1 b
)
1
X j
X
b
j
2
(z) = sup
z
und für alle j 2 N gilt bj 2 {0, 2}
j
2
3j
j=1
j=1

j0
1
X
X
aj
+
2
j+1
2
j=1
j=j +1
0
j
 (x) + 2
j0
< (x) + ✏.
Die Ungleichung (x)  (z) + ✏ wird ähnlich bewiesen.
(ii) Die Di↵erenzierbarkeit in den Punkten x 2
/ C wird genauso wie die Stetigkeit
nachgewiesen: f ist auf einer Umgebung konstant. Damit ist die Ableitung dort 0.
Nun zeigen wir, dass in den Punkten x 2 C nicht di↵erenzierbar ist. Es sei
also x 2 C
1
X
ai
x=
ai 2 {0, 2}
i
3
i=1
und wir betrachten zuerst den Fall, dass die 3-adische Entwicklung von x unendlich
viele Koeffizienten besitzt, die gleich 2 sind. Es sei io so gewählt, dass ai0 = 2 gilt.
Dann wählen wir
(
1
X
ai
falls i 6= i0
bi
y=
mit bi =
i
3
0
falls i = i0
i=1
5.4. HAUPTSATZ DER DIFFERENTIAL- UND INTEGRALRECHNUNG
211
Für den Di↵erenzenquotienten erhalten wir
(x)
x
(y)
y
=
1
2i0
2
3i0
=
3i0
.
2i0 +1
Da wir i0 beliebig großwählen können, ist der Di↵erenzquotient nicht beschränkt.
(Die linksseitige Steigung in x ist unendlich.)
Nun betrachten wir den Fall, dass die 3-adische Entwicklung von x unendlich
viele Koeffizienten besitzt, die gleich 0 sind. Es sei i0 so gewählt, dass ai0 = 0. Nun
wählen wir
(
1
X
ai
falls i 6= i0
ci
z=
mit
c
=
.
i
3i
2
falls i = i0
i=1
Wir erhalten hier das analoge Ergebnis, die rechtsseitige Steigung ist unendlich. 2
Beispiel 5.3.3 Es gibt halbstetige, beschränkte Funktionen auf [0, 1], die nicht Riemann integrierbar sind.
Tatsächlich gibt es eine charakteristische Funktion auf einer abgeschlossenen Menge, die nicht
Riemann integrierbar ist.
Beweis. Wir konstruieren eine Menge vom Cantortyp. Wir entnehmen dem Intervall [0, 1] das Intervall ( 12 q, 12 +q). Den beiden übriggebliebenen Intervallen entnehmen wir wieder entsprechende
Intervalle. Die Vereinigung A über alle entnommenen Intervalle ist eine o↵ene, dichte Menge in
[0, 1]. Die Funktion Ac ist nach oben halbstetig, aber nicht Riemann integrierbar. 2
5.4
Hauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung
Es sei I ein Intervall und f : I ! R eine Funktion, die auf jedem abgeschlossenen
Teilintervall von I Riemann integrierbar ist. Die Funktion F : I ! R
Z x
F (x) =
f (t)dt
x0
heißt Integral von f .
Lemma 5.4.1 Es sei I ein Intervall und f : I ! R eine Funktion, die auf jedem
abgeschlossenen Teilintervall von I Riemann integrierbar ist. Dann ist jedes Integral
F : I ! R von f eine stetige Funktion.
Beweis. Es sei x 2 I. Wir wollen die Stetigkeit von F in x nachprüfen. Es sei
{xn }n2N eine Folge mit limn!1 xn = x. Dann gibt es ein Intervall [a, b] ✓ I mit
212
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
{xn }n2N ⇢ [a, b]. Da f auf [a, b] Riemann integrierbar ist, ist f auf [a, b] beschränkt.
Damit gilt
Z xn
Z x
|F (xn ) F (x)| =
f (t)dt
f (t)dt
x0
x0
Z x
Z x
=
f (t)dt 
|f (t)|dt  |x xn | sup |f (t)|.
xn
t2[a,b]
xn
2
Lemma 5.4.2 Es sei I ein Intervall und f : I ! R eine Funktion, die auf jedem
abgeschlossenen Teilintervall von I Riemann integrierbar ist. Außerdem sei f in
x 2 I stetig. Dann ist jedes Integral F von f in x di↵erenzierbar und es gilt
F 0 (x) = f (x).
Beweis. Es sei {xn }n2N eine Folge, die gegen x konvergiert. Wir zeigen, dass
F (xn )
n!1
xn
F (x)
= f (x).
x
lim
Es gilt
F (xn )
xn
F (x)
x
f (x)
=
=
=
=
=
1
xn
x
1
xn
x
1
|xn
|xn
|xn

x|
1
x|
1
x|
1
⇢Z
Z
Z
xn
f (t)dt
x0
xn
x
f (t)dt
f (x)
x0
f (t)dt
f (x)
x
Z
xn
f (t)dt
(xn x)f (x)
Z xn
f (x)dt
x
Z
xn
f (t)dt
x
Z
x
xn
f (t)
f (x)dt
|f (t)
f (x)|dt
x
Z
|xn x| x
 sup |f (x)
xn
f (t)|.
t2[x,xn ]
Also gilt
(5.4)
F (xn )
xn
F (x)
x
f (x)  sup |f (x)
f (t)|.
t2[x,xn ]
Wir zeigen nun, das man zu jedem ✏ > 0 ein N findet, so dass für alle n mit n > N
(5.5)
sup |f (x)
t2[x,xn ]
f (t)| < ✏
5.4. HAUPTSATZ DER DIFFERENTIAL- UND INTEGRALRECHNUNG
213
gilt. Da f in x stetig ist
8✏ > 09 > 08t, |x
t| <
:
|f (x)
f (t)| < ✏.
Wegen limn!1 xn = x
8 > 09N 2 N8n
N:
|xn
x| <
Insgesamt erhalten wir
8✏ > 09N 2 N8n
N 8t 2 [x, xn ] :
|f (x)
f (t)| < ✏.
Damit haben wir (5.5) gezeigt. Aus (5.4) und (5.5) folgt nun die Di↵erenzierbarkeit
in x 2
Definition 5.4.1 Es sei I ein Intervall, f : I ! R und F : I ! R eine di↵erenzierbare Funktion mit F 0 = f . Dann heißt F Stammfunktion von f .
Da mit F auch F + c eine Stammfunktion ist, gibt es zu einer Funktion f , die
eine Stammfunktion besitzt, immer unendlich viele Stammfunktionen.
Andererseits unterscheiden sich zwei Stammfunktionen F1 und F2 immer nur um
eine Konstante. Dies gilt, weil
(F1
F2 )0 = 0
Wir müssen Satz 3.6.3 anwenden.
Satz 5.4.1 (Hauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung) Es sei f : [a, b] ! R
eine stetige Funktion. Dann besitzt f eine Stammfunktion und für alle Stammfunktionen F gilt
Z
b
f (x)dx = F (b)
F (a).
a
Obwohl der Satz sicherstellt, dass es zu einer stetigen Funktion immer eine
Stammfunktion gibt, kann es sehr schwierig sein, eine solche Stammfunktion als
Zusammensetzung elementarer Funktionen explizit anzugeben.
2
Für die Funktion e x lässt sich zeigen, dass dies unmöglich ist.
Beweis. Wir betrachten das Integral
F (x) =
Z
x
f (t)dt.
a
Nach Lemma 5.4.2 gilt F 0 (x) = f (x). Weiter gilt
Z b
f (x)dx = F (b) = F (b)
F (a).
a
Da sich zwei Stammfunktionen nur bis auf eine Konstante unterscheiden, folgt die
Gleichung auch für beliebige Stammfunktionen. 2
Wir wollen nun eine etwas allgemeinere Version vom Hauptsatz der Di↵erentialund Integralrechnung angeben.
214
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Satz 5.4.2 Es sei f : [a, b] ! R Riemann integrierbar und F : [a, b] ! R eine
Stammfunktion von f . Dann gilt
Z b
f (t)dt = F (b) F (a).
a
Die Voraussetzung, dass f Riemann-integrierbar ist und eine Stammfunktion
besitzt ist etwas schwächer als die Stetigkeit, weil es di↵erenzierbare Funktionen
gibt, deren Ableitung nicht stetig ist.
Es gibt unbeschränkte Funktionen f , die eine Stammfunktion besitzen. Umgekehrt
gibt es Riemann-integrierbare Funktionen, die keine Stammfunktion besitzen.
Beweis. Es sei P = {x0 , x1 , . . . , xn } eine Partition von [a, b]. Dann gilt
F (b)
n
X
F (a) =
(F (xk )
F (xk 1 )).
k=1
Mit dem Mittelwertsatz folgt, dass es ⇠k 2 (xk 1 , xk ) gibt, so dass
F (b)
F (a) =
n
X
0
F (⇠k )(xk
xk 1 ) =
k=1
n
X
f (⇠k )(xk
xk 1 ).
k=1
Außerdem gilt
n
X
mk (f )(xk
k=1
xk 1 ) 
n
X
f (⇠k )(xk
k=1
xk 1 ) 
n
X
Mk (f )(xk
xk 1 ).
k=1
Hieraus folgt
US P (f )  F (b)
F (a)  OS P (f ).
Da f integrierbar ist, folgt
F (b)
F (a) = inf OS P (f ) = sup US P (f ) =
P
P
Z
b
f (t)dt.
a
2
Falls eine Funktion f : I ! R eine Stammfunktion besitzt, so bezeichnen wir die
Menge {F | F ist Stammfunktion von f } mit
Z
f (x)dx
und nennen dies das unbestimmte Integral von f .
Falls f Riemann integrierbar ist, so muss f nicht notwendig eine Stammfunktion
besitzen. Umgekehrt muss eine Funktion, die eine Stammfunktion besitzt, nicht
notwendig Riemann integrierbar sein.
5.4. HAUPTSATZ DER DIFFERENTIAL- UND INTEGRALRECHNUNG
215
Beispiel 5.4.1 (i) Die Funktion f : [ 1, 1] ! R
(
1
falls x 2 [ 1, 0]
f (x) =
1
falls x 2 (0, 1]
ist Riemann integrierbar, sie besitzt aber keine Stammfunktion.
(ii) Die Funktion f : [0, 1] ! R
8
falls x irrational ist oder x = 0
<0
f (x) = 1
m
:
falls x =
und m und n teilerfremd sind
n
n
ist Riemann integrierbar, besitzt aber keine Stammfunktion.
(iii) Es sei
8 2
falls x 2 [ 1, 1] und x 6= 0
< x cos x⇡2
f (x) =
:
0
falls x = 0
Dann ist f 0 unbeschränkt, also insbesondere nicht Riemann-integrierbar.
Beweis. (i) Wir betrachten die Partition
Pn =
Wir erhalten
⇢
1, 0,
1
,1
n
✓
1
US Pn (f ) = 0 · 1 + 0 · + 1 · 1
n
1
n
◆
=1
1
.
n
Es folgt
sup US Pn (f ) = 1.
n
Es gilt
✓
1
OS Pn (f ) = 0 · 1 + 1 · + 1 · 1
n
1
n
◆
= 1.
Also ist f Riemann integrierbar.
Wir nehmen an, dass f eine Stammfunktion F hat. Dann gilt nach Satz 5.4.2 für alle x 2 [ 1, 1]
Z x
f (t)dt = F (x) F ( 1)
1
Wir berechnen das Integral und erhalten
|x|
1 = F (x)
F ( 1)
oder
F (x) = |x|
1 + F ( 1)
Dies kann nicht sein, weil die linke Seite in 0 di↵erenzierbar ist, die rechte Seite jedoch nicht.
(ii) Wir hatten in Beispiel 3.4.7 bereits gezeigt, dass f eine integrierbare Funktion ist, und
dass
Z
1
f (t)dt = 0
0
gilt. Hieraus kann man folgern, dass für alle x 2 [0, 1]
Z x
f (t)dt = 0
0
216
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
gilt. Wenn es also eine Stammfunktion geben würde, dann müsste diese eine konstante Funktion
sein. Diese ist aber sicherlich nicht die Stammfunktion von f .
(iii) Falls 0 6= x gilt, dann kann man die Kettenregel anwenden und erhält
f 0 (x) = 2x cos
Für x = 0 rechnet man aus
x2 cos
x!0
x
f 0 (0) = lim
⇣ ⇡ ⌘ 2⇡
⇣⇡⌘
+
sin
x2
x
x2
⇡
x2
= lim x cos
x!0
⇣⇡⌘
=0
x2
f ist also auf ganz [ 1, 1] di↵erenzierbar. Wir weisen nun nach, dass f 0 unbeschränkt ist. Eine
unbeschränkte Funktion ist nicht Riemann integrierbar.
Wir betrachten die Punkte
1
xn = q
2n +
Dann gilt
2
1
f 0 (xn ) = 2 q
2n +
1
2
n2N
1
2
cos ⇡(2n + 12 ) + 2⇡
r
2n +
1
sin ⇡(2n + 12 ) = 2⇡
2
Beispiel 5.4.2 Es seien aq , q 2 Q, positive reelle Zahlen, so dass
durch
X
f (x) =
aq
P
q2Q
r
1
2n + .
2
aq < 1. Es sei f : R ! R
q<x
gegeben. Dann ist f Riemann integrierbar und F : R ! R
Z x
F (x) =
f (t)dt
0
ist auf R stetig, in allen irrationalen Punkten di↵erenzierbar und in allen rationalen Punkten nicht
di↵erenzierbar.
Beweis. In Satz 5.1.1 hatten wir gezeigt, dass eine monoton wachsende Funktion integrierbar ist.
Lemma 5.4.1 sagte aus, dass F auf R stetig ist.
In Beispiel 3.1.8 hatten wir gezeigt, dass f in den irrationalen Punkten stetig und in den
rationalen Punkten unstetig ist. Mit Lemma 5.4.2 folgt, dass F in den irrationalen Punkten
di↵erenzierbar ist.
Es bleibt zu zeigen, dass F in den rationalen Punkten nicht di↵erenzierbar ist. Es sei x0 2 Q.
Dann gilt
X
f (x) 
aq
für alle x  x0
q<x0
f (x)
X
aq
für alle x > x0
qx0
Wir nehmen an, F sei di↵erenzierbar in x0 .
⇢Z x
F (x) F (x0 )
1
=
f (t)dt
x x0
x x0
0
Z
0
x0
f (t)dt
=
1
x
x0
Z
x
x0
f (t)dt
5.5. SUBSTITUTION UND PARTIELLE INTEGRATION
217
Für x < x0 erhalten wir
Z x0
Z x0 X
X
F (x0 )
1
1
=
f (t)dt 
aq dt =
aq
x0
x0 x x
x0 x x q<x
q<x0
0
P
Es folgt, dass F 0 (x0 )  q<x0 aq . Andererseits gilt für x > x0
Z x
Z x X
X
F (x) F (x0 )
1
1
=
f (t)dt
aq dt =
aq
x x0
x x0 x0
x x0 x0
qx0
qx0
P
Es folgt, dass F 0 (x0 )
qx0 aq . Dies kann nicht sein, weil ax0 > 0. 2
F (x)
x
Beispiel 5.4.3 Es seien f, g : [a, b] ! R zwei Riemann-integrierbare Funktionen, die auf einer
dichten Menge übereinstimmen. Zeigen Sie, dass die Integrale gleich sind.
Beweis. Wir zeigen zuerst: Es sei h : [a, b] ! R eine Riemann-integrierbare Funktion, die auf
Rb
einer dichten Menge 0 ist. Dann gilt a hdx = 0. Da h Riemann-integrierbar ist, gilt
Z b
h(x)dx = sup US P (h) = inf OS P (h).
P
P
a
Da h auf einer dichten Menge 0 ist, gilt für alle Partitionen P
US P (h)  0  OS P (h)
und somit
sup US P (h)  0  inf OS P (h)
P
P
Wegen supP US P (h) = inf P OS P (h) folgt
Z
b
h(x)dx = 0.
a
Wenn nun zwei Riemann-integrierbare Funkktionen f und g auf einer dichten Menge übereinstimmen,
dann ist h = f g auf einer dichten Menge 0. 2
5.5
Substitution und partielle Integration
Satz 5.5.1 Es sei : [↵, ] ! [a, b] stetig di↵erenzierbar und es gelte ([↵, ]) =
[a, b]. Die Funktion f : [a, b] ! R sei stetig auf [a, b]. Dann gilt
Z ( )
Z
f (x)dx =
f ( (⇠)) 0 (⇠)d⇠.
(↵)
↵
Beweis. f hat eine Stammfunktion F , weil f stetig ist. Somit gilt
Z ( )
f (x)dx = F ( ( )) F ( (↵)).
(↵)
Andererseits folgt mit der Kettenregel, dass F
ist. Deshalb gilt
Z
eine Stammfunktion von (f
f ( (⇠)) 0 (⇠)d⇠ = F ( ( ))
↵
2
F ( (↵)).
)
0
218
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Satz 5.5.2 Es seien f, g : [a, b] ! R stetig di↵erenzierbare Funktionen. Dann gilt
Z
Z
b
0
f (x)g (x)dx = [f (b)g(b)
f (a)g(a)]
a
b
f 0 (x)g(x)dx.
a
Beweis. Die Produktregel besagt (f g)0 = f g 0 + f 0 g. Es folgt
Z
b
0
(f g) (x)dx =
a
Z
b
0
f (x)g (x)dx +
a
Z
b
f 0 (x)g(x)dx.
a
Hieraus folgt
f (b)g(b)
f (a)g(a) =
Z
b
0
f (x)g (x)dx +
a
Z
b
f 0 (x)g(x)dx.
a
2
Beispiel 5.5.1 Man benutze partielle Integration, um eine Stammfunktion von ln zu finden.
Lösung. Wir setzen f = ln und g(x) = x. Dann folgt mit partieller Integration
Z x
Z x
Z x
ln(t)dt
=
f (t)g 0 (t)dt = [f (x)g(x) f (1)g(1)]
f 0 (t)g(t)dt
1
1
1
Z x
= [x ln x ln 1]
dt = x ln x (x 1)
1
Also ist x ln x
5.6
x eine Stammfunktion von ln. 2
Mittelwertsatz der Integralrechnung
Satz 5.6.1 Es sei f : [a, b] ! R eine stetige Funktion. Dann existiert ein ⇠ 2 (a, b)
mit
Z
b
f (x)dx = f (⇠)(b
a).
a
Beweis. Da f stetig ist besitzt f eine Stammfunktion F . Nach dem Mittelwertsatz
gibt es ein ⇠ 2 (a, b) mit
F (b)
b
F (a)
= F 0 (⇠) = f (⇠)
a
Das bedeutet
f (⇠)(b
a) = F (b)
F (a) =
Z
a
2
b
f (x)dx
5.7. UNEIGENTLICHE INTEGRALE
219
Satz 5.6.2 Es seien f, g : [a, b] ! R stetige Funktionen und g
ein ⇠ 2 (a, b) mit
Z b
Z b
f (x)g(x)dx = f (⇠)
g(x)dx
a
0. Dann existiert
a
Beweis. Da f stetig ist, nimmt f auf [a, b] Minimum und Maximum an. Es gilt für
alle x 2 [a, b]
✓
◆
✓
◆
min f (t) g(x)  f (x)g(x)  max f (t) g(x).
t2[a,b]
t2[a,b]
Damit folgt
✓
◆Z b
✓
◆Z b
Z b
(5.6)
min f (t)
g(x)dx 
f (x)g(x)dx  max f (t)
g(x)dx.
t2[a,b]
a
t2[a,b]
a
a
Deshalb gibt es ein c mit
min f (t)  c  max f (t)
t2[a,b]
und
Falls
Rb
a
Z
t2[a,b]
b
f (x)g(x)dx = c
a
Z
b
g(x)dx
a
gdx > 0, dann wählen wir
c=
Rb
a
f (x)g(x)dx
.
Rb
gdx
a
Rb
Rb
Falls a gdx = 0, dann gilt wegen (5.6) auch a f (x)g(x)dx = 0. Dann können wir
ein beliebiges c wählen.
Da f aber stetig ist gibt es nach dem Zwischenwertsatz ein ⇠ 2 [a, b] mit c = f (⇠).
2
5.7
Uneigentliche Integrale
Es sei f : [a, 1) ! R eine Funktion, die auf jedem Intervall [a, b] mit b > a Riemann
integrierbar ist und für die der Grenzwert
Z b
lim
f (x)dx
b!1
a
existiert. Dann heißt f uneigentlich Riemann integrierbar auf [a, 1) und wir schreiben
Z 1
Z b
f (x)dx = lim
f (x)dx.
a
b!1
a
220
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Ebenso wird für f : ( 1, b] ! R das uneigentliche Integral
Z b
Z b
f (x)dx = lim
f (x)dx
a! 1
1
a
definiert.
Eine Funktion f : (a, b] ! R heißt uneigentlich Riemann integrierbar auf (a, b],
falls für alle ✏ mit 0 < ✏ < b a die Funktion f auf [a + ✏, b] integrierbar ist und der
Grenzwert
Z
b
lim
f (x)dx
✏!0
a+✏
existiert. Wir setzen dann
Z
b
f (x)dx = lim
✏!0
a
Z
b
f (x)dx.
a+✏
Ebenso für Funktionen f : [a, b) ! R.
Beispiel 5.7.1 (i) Es sei
1 < ↵ < 0. Dann gilt
Z 1
x↵ dx =
1
↵+1
0
(ii) Es sei
<
1. Dann gilt
Z
1
1
+1
x dx =
1
(iii)
Z
1
e
x
dx = 1
0
(iv)
Z
1
ln xdx =
1
0
(v)
1
x
ist weder auf [0, 1] noch auf [1, 1) uneigentlich Riemann integrierbar.
Beweis. (i)
Z
1
↵
x dx = lim
✏!0
0
(ii)
Z
1
x dx = lim
b!1
1
(iii)
Z
1
0
(iv)
Z
e
x
Z
1
x↵ dx = lim
✏!0
✏
Z
b
x dx = lim
b!1
1
dx = lim
b!1
Z
ln xdx =
0
=
lim
✏!0
x
e
i1
= lim
✏
✏!0
h
+1
1
+1 x
ib
= lim
Z
dx = lim
b!1
⇥
1
e
⇤
x b
0
ln xdx = lim [x ln x
✏!0
✏
(✏ ln ✏
✏)) =
⇣
b!1
1
lim ( 1
✏!0
↵+1
1
↵+1 x
b
0
1
h
1
1
↵+1
⇣
↵+1
1
↵+1 ✏
+1
1
+1 b
= lim
b!1
e
⌘
1
+1
b
=
⌘
=
+1 =1
1
x]✏
lim (✏ ln ✏
✏!0
✏) =
1
1
↵+1
1
+1
5.8. GAMMAFUNKTION
(v)
Z
1
0
Z
1
1
2
221
1
dx = lim
✏!0
x
Z
1
✏
1
dx = lim
b!1
x
Z
1
1
dx = lim [ln x]✏ = lim ( ln ✏) = 1
✏!0
✏!0
x
b
1
1
1
dx = lim [ln x]✏ = lim (ln b) = 1
b!1
b!1
x
Lemma 5.7.1 Die Funktion g : [a, 1) ! R sei uneigentlich Riemann integrierbar
und f : [a, 1) ! R sei für alle b mit a < b auf [a, b] Riemann integrierbar. Für alle
x 2 [a, 1) gelte 0  f (x)  g(x). Dann ist auch f auf [a, 1) uneigentlich Riemann
integrierbar und es gilt
Z
Z
1
a
1
f (x)dx 
g(x)dx
a
Dasselbe Ergebnis gilt auch für uneigentliche Integrale auf (a, b].
Beweis. Wegen Lemma 5.1.4 gilt für alle b und c mit b < c
Z b
Z b
Z c
f (x)dx 
g(x)dx 
g(x)dx.
a
Es folgt, dass
a
Z
a
a
b
f (x)dx 
Z
1
g(x)dx.
a
Somit ist das linke Integral eine beschränkte Funktion in b. Außerdem ist dieses
Integral eine monoton wachsende Funktion in b, weil f (x) 0. Damit existiert
Z b
lim
f (x)dx.
b!1
a
2
5.8
Gammafunktion
Die Fakultätsfunktion bildet eine natürliche Zahl n auf n! ab. Die Gammafunktion
erweitert die Fakultätsfunktion auf reelle und schließlich komplexe Zahlen. Sie
erfüllt die Funktionalgleichung (Satz 5.8.2)
8x > 0 :
(x + 1) = x (x),
woraus mit (1) = 1
(n + 1) = n!
folgt. Tatsächlich legt diese Funktionalgleichung die Gammafunktion im Wesentlichen
fest. Wenn man zusätzlich fordert, dass logarithmisch konvex ist, d.h. dass ln
konvex ist, dann gibt es nur eine solche Funktion.
222
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Satz 5.8.1 Für alle x > 0 existiert das Integral
Z 1
(x) =
e t tx 1 dt.
0
Wir bezeichnen die durch das Integral definierte Funktion
sche Gammafunktion.
: (0, 1) ! R als Euler-
Beweis. Es sei x > 0 gegeben. Wir zeigen zunächst, dass es eine Konstante b 2 R
gibt, so dass für alle t 2 [b, 1)
e t tx
(5.7)
1

1
t2
gilt. Um dies zu zeigen, reicht es nachzuweisen, dass für alle x > 0
lim e t tx+1 = 0
(5.8)
t!1
gilt. In der Tat, falls (5.8) gilt, dann gilt für alle x > 0
8✏ > 09b 2 R8t
b:
e t tx+1 < ✏.
Wir wählen ✏ = 1 und erhalten (5.7). Wir zeigen nun (5.8). Diese Gleichung folgt mit
der Formel von L’Hôpital (Satz 3.8.3). Wir wählen n 2 N mit x n  0 < x n + 1.
Es folgt für alle x > 0
lim e t tx n = 0
t!1
und damit
tx+1
(x + 1)tx
=
lim
= · · · = (x + 1)x(x
t!1 et
t!1
et
lim
1) · · · (x
tx n
= 0.
t!1 et
n + 1) lim
Die Funktion t 2 ist auf [b, 1) nach Beispiel 5.7.1 uneigentlich Riemann integrierbar,
also ist mit Lemma 5.7.1 und (5.7) auch e t tx 1 auf [b, 1) uneigentlich Riemann
integrierbar.
Für x 1 ist die Funktion e t tx 1 auf [0, b] stetig und damit Riemann integrierbar. Falls 0 < x < 1 dann gilt auf (0, b]
0  e t tx
Nach Beispiel 5.7.1 ist die Funktion tx
Deshalb gilt
Z
0
⇤
b
t x 1
e t
dt 
Z
0
1
t
 tx 1 .
auf (0, 1] uneigentlich Riemann integrierbar.
b
x 1
1
dt = lim
✏!0
Z
✏
b
tx 1 dt = lim( x1 bx
✏!0
1 x
✏ )
x
= x1 bx .
5.8. GAMMAFUNKTION
223
Satz 5.8.2 (i) Für alle x > 0 gilt
(x + 1) = x (x).
(ii) Für alle n = 0, 1, 2, . . . gilt
(n + 1) = n! .
Beweis. (i) Wir verwenden partielle Integration mit f (t) = e t und g(t) = tx .
Z b
Z b
Z b
t x
t x b
t x 1
b x
1
e t dt = [ e t ]1 +
e xt dt = ( e b + e ) +
e t xtx 1 dt
1
1
Z
1
1
1
⇢
Z b
b x
1
e t dt = lim ( e b + e ) +
e t xtx 1 dt
t x
b!1
1
Mit (5.8) folgt
e b bx = 0.
lim
b!1
Also
Z
1
1
1
e t dt = + x
e
t x
Genauso erhalten wir
Z 1
Z
t x
t x 1
e t dt = [ e t ]a +
a
Z
1
e t tx 1 dt.
1
1
t
x 1
e xt
dt = ( e
1
a x
+e a )+
a
Z
1
a
Wegen Stetigkeit und x > 0 gilt
lim e a ax = 0.
a!0
Also
Z
1
t x
e t dt =
0
Insgesamt
Z
1
1
+x
e
t x
e t dt = x
0
Z
Z
1
1
e t tx 1 dt.
0
e t tx 1 dt.
0
(ii) Wir zeigen die Aussage mit Induktion. Wegen Beispiel 5.7.1 gilt
Z 1
(1) =
e t dt = 1.
0
Mit (i) und der Induktionsannahme folgt
(n + 1) = n (n) = n(n
2
1)! = n!.
e t xtx 1 dt
224
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Lemma 5.8.1
d
=
dx
Z
1
tx 1 (ln t)e t dt
0
Satz 5.8.3 (Bohr-Mollerup) Eine Funktion G : (0, 1) ! (0, 1) ist auf (0, 1)
genau dann gleich der Gammafunktion, wenn G(1) = 1, für alle x > 0 G(x + 1) =
xG(x) gilt und G logarithmisch konvex ist, d.h. ln G konvex ist.
Für x < 0 und x 2
/ Z definieren wir
(x) =
(x + n)
x(x + 1) . . . (x + n
1)
wobei 0 < x + n < 1.
Die Gammafunktion tritt z.B. bei der Berechnung des Volumens der n-dimensionalen
Euklidischen Kugel auf:
n
⇡2
n
R
.
( n2 + 1)
5.9
Bogenlänge
Es sei f : [a, b] ! R. Wir bezeichnen
Graph(f ) = {(x, f (x))|x 2 [a, b]}
als den Graphen der Funktion f . Der Abstand von zwei Punkten (x0 , y0 ) und (x1 , y1 )
in R2 ist
p
|x0 x1 |2 + |y0 y1 |2 .
(Dies folgt aus dem Satz von Pythagoras.) Deshalb sagen wir auch, dass dies die
Länge der Verbindungsgeraden zwischen diesen Punkten ist. Deshalb setzen wir die
Kurvenlänge für eine Funktion f (x) = cx + d von (x0 , f (x0 )) bis (x1 , f (x1 )) als
p
|x0 x1 |2 + |f (x0 ) f (x1 )|2
fest. Für einen Polygonzug f , d.h. f : [a, b] ! R, a = x0 < x1 < · · · < xn = b und
für alle i = 1, . . . , n
f (x) = ci x + di
und für alle i = 1, . . . , n
für x 2 [xi 1 , xi ]
1
ci xi + di = ci+1 xi + di+1
Als Länge eines Polygonzuges definieren wir
n
X
p
L(Graph(f )) =
|xi
i=1
1
xi |2 + |f (xi 1 )
f (xi )|2 .
5.9. BOGENLÄNGE
225
Wir wollen nun den Graphen einer beliebigen Funktion f durch Polygonzüge approximieren und die Länge des Graphen von f als den Grenzwert der Längen der
Polygonzüge definieren. Für eine beliebige Funktion f und eine Partition P von
[a, b] setzen wir
n
X
p
LP (Graph(f )) =
|xi
xi |2 + |f (xi 1 )
1
i=1
f (xi )|2 .
Lemma 5.9.1 Es sei f : [a, b] ! R eine Funktion. Falls P 0 eine Verfeinerung von
P ist, so gilt
LP (Graph(f ))  LP 0 (Graph(f )).
Definition 5.9.1 Wir sagen, dass der Graph der Funktion f rektifizierbar ist, wenn
sup LP (Graph(f )) < 1
P
und wir setzen dann
L(Graph(f )) = sup LP (Graph(f )).
P
Satz 5.9.1 Falls f : [a, b] ! R stetig di↵erenzierbar ist, so ist Graph(f ) rektifizierbar und es gilt
Z bp
L(Graph(f )) =
1 + |f 0 (x)|2 dx.
a
Man beachte, dass in der Voraussetzung gefordert wird, dass f auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b] stetig di↵erenzierbar ist, es reicht nicht zu fordern, dass f auf dem
abgeschlossenen Intervall [a, b] di↵erenzierbar und auf dem o↵enen (a, b) stetig differenzierbar ist (Beispiel 5.9.2).
In den Punkten a und b ist f einseitig di↵erenzierbar.
Beweis. Es sei P eine Partition von [a, b].
n
X
p
LP (Graph(f )) =
|xi
1
i=1
n
X
=
(xi
i=1
xi |2 + |f (xi 1 )
s
f (xi 1 )
xi 1 ) 1 +
xi 1
f (xi )|2
f (xi )
xi
2
Nach dem Mittelwertsatz gibt es zu jedem i = 1, . . . , n ein ⇠i 2 (xi 1 , xi ) mit
f 0 (⇠i ) =
f (xi )
xi
f (xi 1 )
xi 1
226
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Damit erhalten wir
n
X
p
LP (Graph(f )) =
1 + |f 0 (⇠i )|2 (xi
xi 1 ).
i=1
p
1 + |f 0 |2 stetig und damit Riemann-
Da f stetig di↵erenzierbar ist, ist die Funktion
integrierbar. Deshalb gilt
n
X
p
0
2
sup US P ( 1 + |f | ) = sup
P
P
= inf
P
n
X
sup
i=1 t2[xi
1 ,xi ]
i=1
inf
t2[xi
1 ,xi ]
p
1 + |f 0 (t)|2 (xi
p
1 + |f 0 (t)|2 (xi
xi 1 )
p
xi 1 ) = inf OS P ( 1 + |f 0 |2 ).
P
Nach Definition des Integrals sind alle diese Ausdrücke gleich dem Integral
Z bp
1 + |f 0 (x)|2 dx.
a
Weiter gilt für alle P
n
X
p
US P ( 1 + |f 0 |2 ) =
i=1
inf
t2[xi
1 ,xi ]
p
1 + |f 0 (t)|2 (xi
n
X
p

1 + |f 0 (⇠i )|2 (xi
xi 1 )
xi 1 )
i=1
= LP (Graph(f ))
n
X
p

sup
1 + |f 0 (t)|2 (xi
i=1 t2[xi
xi 1 )
1 ,xi ]
p
= OS P ( 1 + |f 0 |2 ).
Wir erhalten also
p
p
US P ( 1 + |f 0 |2 )  LP (Graph(f ))  OS P ( 1 + |f 0 |2 ).
Es folgt für alle Partitionen P und Q
LP (Graph(f ))  LP[Q (Graph(f ))
p
p
 OS P[Q ( 1 + |f 0 |2 )  OS Q ( 1 + |f 0 |2 ).
Hieraus folgt für alle Partitionen P
p
LP (Graph(f ))  inf OS Q ( 1 + |f 0 |2 )
Q
und weiter
p
sup LP (Graph(f ))  inf OS Q ( 1 + |f 0 |2 ).
P
Q
5.9. BOGENLÄNGE
Es folgt
227
Z bp
L(Graph(f )) 
1 + |f 0 (x)|2 dx.
a
Andererseits folgt sofort, dass
Z bp
p
1 + |f 0 (x)|2 dx = sup US P ( 1 + |f 0 |2 )  sup LP (Graph(f )) = L(Graph(f )).
a
P
P
2
Beispiel 5.9.1 (i) (Kettenlinie) Es sei f : [a, b] ! R mit f (x) = cosh(x) = 12 (ex + e
gilt
L(Graph(f )) = sinh(b) sinh(a)
x
). Dann
3
(ii) Es sei f : [0, 1] ! R mit f (x) = x 2 . Dann gilt
8
13 32
27 (( 4 )
L(Graph(f )) =
1) = 1.44 . . .
Beweis. (i) Wir benutzen cosh0 = sinh, sinh0 = cosh und 1 + sinh2 x = cosh2 x.
Z bq
Z bp
L(Graph(f )) =
1 + | cosh0 (x)|2 dx =
1 + | sinh(x)|2 dx
=
Z
a
b
a
cosh(x)dx = sinh(b)
sinh(a)
a
(ii)
L(Graph(f )) =
Z
1
0
Wir führen nun die Substitution t = 1 +
L(Graph(f )) =
Z
1
2
13
4
4
9
Z
p
0
2
1 + |f (x)| dx =
0
9
4x
bzw. x =
p
tdt =
4
9
h
2 32
3t
4
9 (t
i 13
4
1
=
1
q
1 + 94 xdx
1) durch.
8
13 32
27 (( 4 )
1) = 1.44 . . .
Lemma 5.9.2 Es sei f : [a, b] ! R eine stetige, wachsende oder fallende Funktion.
Dann ist der Graph von f rektifizierbar und es gilt
p
|b a|2 + |f (b) f (a)|2  L(Graph(f ))  |b a| + |f (b) f (a)|.
Beweis. Wir nehmen an, dass f monoton wachsend ist. Wir zeigen die linke
Ungleichung. Wir wählen als Partition P = {a, b}. Dann erhalten wir
p
|b a|2 + |f (b) f (a)|2 = LP (Graph(f ))  L(Graph(f ))
Nun die rechte Abschätzung. Es sei P = {x0 , . . . , xn }. Es gilt
n
X
p
LP (Graph(f )) =
|xi
i=1
n
X

(|xi
i=1
1
1
xi |2 + |f (xi 1 )
xi | + |f (xi 1 )
f (xi )|2
f (xi )|)
228
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Da f monoton wachsend ist
n
X
LP (Graph(f )) 
(xi
i=1
2
n
X
xi 1 ) +
(f (xi )
f (xi 1 )) = b
a + f (b)
f (a).
i=1
Beispiel 5.9.2 Es sei f : [0, 1] ! R durch
8 2
< x cos x⇡2
f (x) =
:
0
falls x 2 [ 1, 1] und x 6= 0
falls x = 0
f ist di↵erenzierbar auf [0, 1] und auf (0, 1) stetig di↵erenzierbar. Der Graph von f ist nicht
rektifizierbar.
Beweis.
Z
1
✏
p
1 + |f 0 (x)|2 dx
Z
1
0
✏
Z
1
✏
Wir substituieren t =
Z
✏
1
⇡
x2
|f (x)|dx =
Z
1
2x cos
✏
⇣⇡⌘
2⇡
sin 2 dx
x
x
⇣ ⇡ ⌘ 2⇡
⇣⇡⌘
+
sin
dx
x2
x
x2
2.
. Wir erhalten für alle n mit 2⇡n + ⇡ 
p
1 + |f 0 (x)|2 dx
Z 2⇡n+⇡ p
p
p
t |sin t| dt 2 ⇡
t |sin t| dt
⇡
2⇡n
Z ⇡
p p
p p
2 ⇡ 2⇡n
sin tdt = 4 ⇡ 2⇡n.
p
2 ⇡
Z
⇡
✏2
⇡
✏2
0
2
Beispiel 5.9.3 Es sei
: [0, 1] ! [0, 1] die Cantorfunktion. Dann gilt
L(Graph(f )) = 2
Beweis. Aus Lemma 5.9.2 folgt sofort, dass
L(Graph(f ))  2
2
5.10
Die trigonometrischen Funktionen
Mit trigonometrischen Funktionen bezeichnet man Funktionen, die Zusammenhänge
von Winkeln und Seitenlängen in Dreiecken beschreiben. Der Sinus eines Winkels
↵, der kleiner als 90 ist, wird mit Hilfe eines rechtwinkligen Dreiecks definiert, in
dem ↵ als Winkel vertreten ist.
Die Hypotenuse ist die längste Seite in einem Dreieck, in dem ein Winkel ein
rechter Winkel ist, also ein Winkel von 90 . Die Hypotenuse liegt dem rechten
5.10. DIE TRIGONOMETRISCHEN FUNKTIONEN
229
Winkel gegenüber. Die anderen beiden Seiten werden als Katheten bezeichnet. Es
sei ↵ ein weiterer Winkel in diesem Dreieck. Dann bezeichnet man die Kathete,
die diesem Winkel gegenüber liegt, als Gegenkathete, die andere als Ankathete. Der
Sinus von ↵ ist der Quotient von Hypotenuse und Gegenkathete. Der Cosinus ist der
Quotient von Hypotenuse und Ankathete. Wir messen den Winkel im Bogenmaß,
d.h. Länge des zum Winkel gehörigen Kreisbogens dividiert durch den Radius des
Kreises.
√
1 − t2
t
Der Cosinus des Winkels, der durch den Kreisbogen über dem Intervall [t, 1]
gegeben ist, ist t. Wir werden zeigen, dass die Länge dieses Kreisbogens gleich
Z 1
1
p
dx
1 x2
t
ist. Damit erhalten wir
✓Z
1
1
◆
dx = t
p
1 x2
bzw. wenn arccos die zu cos inverse Funktion bezeichnet
Z 1
1
p
arccos t =
dx.
1 x2
t
cos
t
Diese Formel ermöglicht es uns, Ableitungen und weitere Formeln trigonometrischer
Funktionen zu berechnen.
Lemma 5.10.1 (i) Das uneigentliche Riemann Integral
Z 1
1
p
dx
1 x2
0
existiert.
p
(ii) Es sei x 2 [0, 1] und f : [0, x] ! R mit f (t) = 1 t2 . Dann gilt
Z x
1
p
L(Graph(f )) =
dt.
1 t2
0
230
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Beweis. (i) Es gilt für alle x 2 [0, 1)
p
1
Hieraus folgt
Z 1
0
✏
p
1
1
x2
1
1
1
p
p
.
1 x
x 1+x
=p
1
x2
dx 
Z
und damit
1 ✏
0
Z
p
1
p
dx = [ 2 1
1 x
t]10
✏
=2
p
2 ✏
1
1
p
dx  2.
1 x2
0
(ii) Wir betrachten zuerst den Fall x < 1. Mit Satz 5.9.1
Z xp
Z xr
Z x
t2
1
0
2
p
L(Graph(f )) =
1 + |f (t)| dt =
1+
dt =
dt.
2
1 t
1 t2
0
0
0
Nun der Fall x = 1. Mit Lemma 5.9.2 folgt, dass der Graph von f rektifizierbar
ist. Wir setzen fn1 : [0, 1 n1 ] ! R mit fn1 (x) = f (x) und fn2 : [1 n1 , 1] ! R mit
fn2 (x) = f (x). Dann gilt für alle n 2 N
L(Graph(f )) = L(Graph(fn1 )) + L(Graph(fn2 )).
Nach Satz 5.9.1 gilt
L(Graph(fn1 ))
=
Z
1
n
1
p
1
0
Deshalb gilt für alle n 2 N
Z
L(Graph(f ))
1
n
1
p
1
0
und somit
Z
L(Graph(f ))
1
p
1
0
Wegen Lemma 3.4.7 gilt
1
L(Graph(fn2 ))  +
n
s
✓
1
1
Hiermit folgt für alle n 2 N
L(Graph(f )) 
Z
0
1
t2
1
1
t2
1
n
1
p
1
t2
t2
dt
dt.
◆2
1
dt.
1
 +
n
r
2
.
n
dt.
Also gilt
L(Graph(f )) 
2
Z
0
1
1
n
p
1
1
1
dt + +
n
t2
r
2

n
Z
0
1
p
1
1
1
dt + +
n
t2
r
2
.
n
5.10. DIE TRIGONOMETRISCHEN FUNKTIONEN
231
Definition 5.10.1 Die Zahl ⇡ ist der halbe Umfang eines Kreises mit Radius 1.
Da der Graph der Funktion f : [0, 1] ! R mit f (t) =
beschreibt, gilt
Z 1
⇡
1
p
=
dx.
2
1 x2
0
p
1
t2 einen Viertelkreis
Weiter definieren wir ` : [ 1, 1] ! R
`(x) =
Z
x
1
p
1
1
t2
dt
p
Anschaulich ist `(x) die Länge des Kreisbogens zwischen den Punkten (x, 1
und (1, 0).
x2 )
Lemma 5.10.2 (i) `(1) = 0 und `( 1) = ⇡.
(ii) ` ist eine stetige, strikt fallende, beschränkte Funktion.
(iii) ` ist auf ( 1, 1) di↵erenzierbar und es gilt
`0 (x) =
p
1
1
x2
.
Beweis. 2
Definition 5.10.2 Wir definieren nun
arccos s = `(s)
cos t = ` 1 (t)
p
sin t =
1 cos2 t
s 2 [ 1, 1]
t 2 [0, ⇡]
t 2 [0, ⇡]
Lemma 5.10.3 (i) arccos ist auf [ 1, 1] stetig und auf ( 1, 1) di↵erenzierbar. Es
gilt
1
arccos0 s = p
1 s2
(ii) sin und cos sind auf [0, ⇡] stetig.
(iii) sin und cos sind auf (0, ⇡) di↵erenzierbar und es gilt
sin0 = cos
cos0 =
sin
Beweis. (i) Nach Lemma 3.4.7 ist ` auf [ 1, 1] stetig und auf ( 1, 1) di↵erenzierbar.
(ii) ` ist auf [ 1, 1] stetig und strikt monoton fallend. Deshalb existiert die
Umkehrfunktion ` 1 und sie ist stetig.
232
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
(iii) Da ` di↵erenzierbar auf ( 1, 1) ist, so ist `
Außerdem gilt
1
auf (0, ⇡) di↵erenzierbar.
d
d 1
1
1
cos t =
` (t) = d` 1
=
p 11 2
dt
dt
(` (t))
ds
1 |` (t)|
p
p
1
2
=
1 |` (t)| =
1 cos2 (t) = sin t.
Mit der Kettenregel folgt
d
dp
sin t =
1
dt
dt
2
cos t sin t
cos2 (t) = p
= cos t
1 cos2
Nun definieren wir die Funktionen für alle reellen Zahlen.
cos t = cos( t)
sin t = sin( t)
t 2 [ ⇡, 0)
und
cos(2⇡ + t) = cos t
sin(2⇡ + t) = sin t
t2R
Auch die fortgesetzten Funktionen sin und cos sind auf ganz R di↵erenzierbar und
es gilt sin0 = cos und cos0 = sin.
Wir setzen
sin t
tan t =
für cos t 6= 0
cos t
cos t
cot t =
für sin t 6= 0
sin t
arcsin t
= sin
arctan t
= tan
1
t
1
t 2 ( 1, 1) und
t
t 2 ( 1, 1) und
⇡
⇡
< arcsin t <
2
2
⇡
⇡
< arctan t <
2
2
Es gelten
arcsin0 (t) = p
1
1
und
t2
arctan0 (t) =
Lemma 5.10.4 Für alle x, y 2 R gelten
sin(x + y)
cos(x + y)
2
sin x + cos2 x
sin2 x
cos2 x
sin(x + ⇡2 )
=
=
=
=
=
=
sin x cos y + cos x sin y
cos x cos y sin x sin y
1
1
(1 cos 2x)
2
1
(1 + cos 2x)
2
cos x.
1
.
1 + t2
5.10. DIE TRIGONOMETRISCHEN FUNKTIONEN
233
Beweis. Wir definieren die Funktionen
f (x) = sin(x + y)
g(x) = cos(x + y)
sin x cos y cos x sin y
cos x cos y + sin x sin y
Es gilt f (0) = g(0) = 0. Weiter gilt f 0 (x) = g(x) und g 0 (x) =
(f 2 (x) + g 2 (x))0 = 2f (x)f 0 (x) + 2g(x)g 0 (x) = 2f (x)g(x)
Also gibt es ein c
f (x). Wir erhalten
2g(x)f (x) = 0
0, so dass für alle x 2 R
f 2 (x) + g 2 (x) = c
Da f (0) = g(0) = 0, gilt c = 0. Damit haben wir die ersten beiden Gleichungen
bewiesen.
Nun die dritte Formel. Wir setzen y = x in der Formel
cos(x + y) = cos x cos y
sin x sin y
und erhalten 1 = cos2 x + sin2 x.
Nun die vierte Formel. Mit y = x folgt aus Formel zwei
cos 2x = cos2 x
sin2 x = 1
2 sin2 x
2
Beispiel 5.10.1 (Weierstraß) [30, 48, 111] Es seien 0 < a < 1 und 1  a · b. Dann ist die
Funktion f : R ! R mit
1
X
f (x) =
an cos(bn ⇡x)
n=0
überall stetig und nirgendwo di↵erenzierbar
Weierstraß zeigte die Aussage in seiner Arbeit [111] für alle a mit 0 < a < 1 und alle ungeraden,
natürlichen Zahlen b mit 1 + 32 ⇡ < a · b. Hardy verbesserte dies Ergebnis [48] zu der obigen
Formulierung.
Lemma 5.10.5 Für alle s 2 R und alle t > 0 gilt
1
| cos(⇡(s + t)
t
cos(⇡s))|  ⇡.
Beweis. Wir betrachten die Funktion g : [s, s + t] ! R mit g(x) = cos(⇡x). Nach dem Mittelwertsatz gibt es ein x0 2 (s, s + t), so dass
g 0 (x0 ) =
Also
⇡ sin(⇡x0 ) =
g(s + t)
t
g(s)
1
(cos(⇡(s + t)
t
.
cos(⇡s)))
Es folgt
⇡
|⇡ sin(⇡x0 )| =
1
| cos(⇡(s + t)
t
cos(⇡s))|.
234
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
2
Beweis von Beispiel 5.10.1. Die Stetigkeit von f folgt mit dem Satz 3.9.1. In der Tat, die
Reihe konvergiert gleichmäßig.
Für alle m 2 N existiert ein `m 2 N, so dass
1
1
< bm r  `m +
2
2
`m
Wir setzen
`m + ✏m = bm r
Es folgt
0<
Für hm =
1 ✏m
bm
1
b
2
m
1

✏m
bm
<
3
b
2
m
erhalten wir
(5.9)
0<
1
b
2
m
 hm <
3
b
2
m
und es gilt
lim hm = 0.
m!1
Es gilt
f (r + hm )
hm
=
m
X1
n=0
f (r)
1
X
1
=
hm
1
X
an cos(bn ⇡(r + hm ))
n=0
n
a
(cos(bn ⇡(r + hm ))
hm
!
bn cos(bn ⇡r)
n=0
1
X
an
cos(bn ⇡r)) +
(cos(bn ⇡(r + hm ))
h
m
n=m
cos(bn ⇡r))
Wir schätzen den ersten Summanden ab. Wegen Lemma 5.10.5 gilt
| cos(bn ⇡(r + hm ))
cos(bn ⇡r)|  ⇡hm bn
Hiermit folgt
(5.10)
m
X1
n=0
an
(cos(bn ⇡(r + hm ))
hm
cos(bn ⇡r))  ⇡
m
X1
an bn = ⇡
k=0
am bm 1
ab 1
Nun schätzen wir den zweiten Summanden nach unten ab. Dazu zeigen wir, dass für alle n mit
n m
cos(bn ⇡(r + hm )) = ( 1)`m +1
(5.11)
Es gilt
bn ⇡(r + hm ) = bn
m
⇡(bm r + bm hm ) = bn
m
⇡(`m + ✏m + 1
Da bn m 2 N und ungerade und `m + 1 2 N, so ist bn
und umgekehrt. Es folgt (5.11).
Es gilt für alle n mit n m
m
cos(bn ⇡r) = cos(bn
m
m
⇡bm r = bn
⇡(`m + ✏m )) = cos(bn
m
m
m
⇡(`m + 1)
(`m + 1) gerade, wenn `m ungerade ist,
cos(bn ⇡r) = ( 1)`m cos(bn
Wir zeigen dies. Wegen bn ⇡r = bn
✏m ) = bn
m
⇡✏m ).
⇡(`m + ✏m )
⇡`m ) cos(bn
m
⇡✏m )
sin(bn
m
⇡`m ) sin(bn
m
⇡✏m )
5.11. DAS PRODUKT VON WALLIS
235
Da bn m `m 2 N, gilt sin(bn m ⇡`m ) = 0. bn m ist eine ungerade, natürliche Zahl. Deshalb ist
bn m `m eine gerade Zahl, wenn `m gerade ist, und eine ungerade Zahl, wenn `m ungerade ist. Es
folgt
cos(bn ⇡r) = ( 1)`m cos(bn m ⇡✏m ).
Es gilt
1
X
an
(cos(bn ⇡(r + hm ))
h
m
n=m
=
=
=
Da 1 + cos(bn
m
1
2
( 1)`m cos(bn
1
X
an
( 1)`m +1 1 + cos(bn
h
m
n=m
( 1)`m +1
hm
m
m
⇡✏m )
⇡✏m )
1
X
an
1 + cos(bn
h
m
n=m
m
⇡✏m )
0, an > 0 und hm > 0
⇡✏m )
1
X
an
(cos(bn ⇡(r + hm ))
h
m
n=m
Da
1
X
an
( 1)`m +1
h
m
n=m
cos(bn ⇡r))
 ✏m  12 , so gilt
cos(bn ⇡r)) =
⇡
2
 ⇡✏m 
⇡
2.
1
1 X n
a 1 + cos(bn
hm n=m
m
am
(1 + cos(⇡✏m ))
hm
⇡✏m )
Mit (5.9)
1
X
an
(cos(bn ⇡(r + hm ))
h
n=m m
am
2
= am bm
hm
3
cos(bn ⇡r))
Hiermit folgt
2 m m
a b
3

1
X
an
(cos(bn ⇡(r + hm ))
h
m
n=m
=
f (r + hm )
hm
f (r)
f (r + hm )
hm
f (r)

1
hm
1
+
hm
cos(bn ⇡r))
m
X1
n
!
n
a cos(b ⇡(r + hm ))
n=0
m
X1
n
n
am bm 1
f (r + hm )

ab 1
hm
f (r)
!
a cos(b ⇡(r + hm ))
n=0
.
Mit (5.10)
2 m m
a b
3
⇡
.
2
5.11
Das Produkt von Wallis
John Wallis (1616-1703) studierte in Cambridge Theologie und war als Kaplan tätig. Nachdem
es ihm im Bürgerkrieg gelungen war, verschlüsselte Botschaften zu entschlüsseln, wurde er von
Cromwell auf den Savilian Chair of Geometry in Oxford berufen.
Wallis konnte umfangreiche Rechnungen im Kopf ausführen, wie z.B. die Berechnung der
Wurzel einer 50-stelligen Zahl.
236
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Satz 5.11.1
n
1
Y
Y
⇡
4k 2
4k 2
= lim
=
2 n!1 k=1 4k 2 1 k=1 4k 2 1
Eine weitere Schreibweise für die Formel von Wallis ist
⇡
2 2 4 4 6 6
= · · · · · ···
2
1 3 3 5 5 7
(5.12)
Beweis. Wir setzen für m = 0, 1, 2, . . .
Z
Am =
⇡
2
sinm xdx
0
Es gilt
Z
Z ⇡
2
⇡
A0 =
dx =
A1 =
sin xdx = 1
2
0
0
Wir erhalten für m 2 die folgende Rekursionsformel
⇡
2
Am =
m 1
Am
m
2
Wir weisen dies nach. Dazu benutzen wir partielle Integration.
Z
Z
m
m 1
sin xdx = cos x sin
x + (m 1) cos2 x sinm
Wir nutzen aus, dass cos2 x = 1 sin2 x.
Z
sinm xdx = cos x sinm 1 x + (m
Hieraus erhalten wir
Z
m sinm xdx =
m 1
cos x sin
Wir setzen nun Integrationsgrenzen ein.
Z ⇡
2
m
sinm xdx = [ cos x sinm
1
1)
Z
x + (m
⇡
2
sinm
1)
x]0 + (m
Es ergibt sich
m
Z
0
Wir erhalten weiter
A2n
⇡
2
m
sin xdx = (m
sinm xdx
x
sinm
Z
⇡
2
xdx
2
xdx
sinm
2
0
1)
Z
⇡
2
sinm
2
xdx
0
n
(2n 1)(2n 3) · · · 3 · 1 ⇡
⇡ Y 2k 1
=
=
2n(2n 2) · · · 4 · 2 2
2 k=1 2k
n
A2n+1
Z
1)
0
2
2
Y 2k
2n(2n 2) · · · 4 · 2
=
=
(2n + 1)(2n 1) · · · 5 · 3 k=1 2k + 1
xdx
5.11. DAS PRODUKT VON WALLIS
237
Hieraus erhalten wir
n
A2n+1
2Y
(2k)2
=
A2n
⇡ k=1 (2k + 1)(2k
n
2 Y 4k 2
=
1)
⇡ k=1 4k 2 1
Wir zeigen nun, dass
A2n+1
=1
n!1 A2n
Für alle x 2 [0, ⇡2 ] gilt 0  sin x  1. Deshalb gilt für alle x 2 [0, ⇡2 ]
lim
sin2n+2 x  sin2n+1 x  sin2n x
Hieraus folgt
Z
⇡
2
2n+2
sin
0
xdx 
Z
⇡
2
2n+1
sin
0
Also gilt A2n+2  A2n+1  A2n . Mit A2n+2 =
xdx 
Z
2n+1
A
2n+2 2n
⇡
2
sin2n xdx.
0
erhalten wir
2n + 1
A2n+2
A2n+1
=

 1.
2n + 2
A2n
A2n
Somit bekommen wir
2n + 1
A2n+2
A2n+1
= lim
= lim
.
n!1 2n + 2
n!1 A2n
n!1 A2n
1 = lim
Wir erhalten
2
n
2 Y 4k 2
1 = lim
.
n!1 ⇡
4k 2 1
k=1
Beispiel 5.11.1 (Formel von Vieta)
v
s
r s
r u
r
u
2
1 1 1 1t1 1 1 1 1
=
+
+
+
······
⇡
2 2 2 2 2 2 2 2 2
Beweis. Es sei Pm ein regelmäßiges Polygon mit m Ecken auf dem Kreis mit Radius 1. Mit Am
bezeichnen wir die Fäche des Polygons Pm . Das Polygon ist Vereinigung von m gleichschenkligen
Dreiecken, deren Ecken jeweils der Mittelpunkt des Kreises und zwei nebeneinanderliegende Ecken
des Polygons sind. Die Höhe eines solchen Dreiecks vom Mittelpunkt zu der Seite, die die beiden
Ecken enthält, die auf dem Kreis liegen, bezeichnen wir mit hm . Dann gilt für alle m = 3, 4, . . .
Am
= hm .
A2m
Es gilt
kY1
2
=
h2j
A2k
j=2
238
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
und
lim Am = ⇡.
m!1
Außerdem gilt
hm = cos
Wir zeigen nun, dass h4 =
q
1
2
m
.
und für alle k = 3, 4, . . .
h2k =
Wir benutzen die Formel cos x2 =
h2k
⇣⇡⌘
q
r
1 1
+ hk
2 2 2
1
1+cos x
2
⇡
= cos k =
2
r
2
⇣ ⇡ ⌘
1 1
+ cos k 1 =
2 2
2
r
1 1
+ hk
2 2 2
5.12
Partialbruchzerlegung
5.13
Integralkriterium für Reihen
1
Satz 5.13.1 Es sei f : [1, 1) ! R eine stetige, positive, monoton fallende Funktion. Dann gelten
Z
n+1
f (x)dx 
1
n
X
f (k)
n
X
und
k=1
k=2
f (k) 
Z
n
f (x)dx.
1
P1
Insbesondere
konvergiert
n=1 an genau dann, wenn das uneigentliche RiemannR1
Integral 1 f (x)dx existiert und
1
X
n=2
f (n) 
Z
1
1
f (x)dx 
1
X
f (n).
n=1
Beweis. Wir definieren g : [1, n + 1) ! R durch
g(x) = f (k)
für x 2 [k, k + 1) und k = 1, . . . , n
Dann gilt 0  f  g und f und g sind auf [1, n + 1) Riemann-integrierbar. Es folgt
Z
1
n+1
f (x)dx 
Z
1
n+1
g(x)dx =
n Z
X
k=1
k
k+1
g(x)dx =
n
X
k=1
f (k)
5.13. INTEGRALKRITERIUM FÜR REIHEN
239
Für die Abschätzung von unten setzen wir h : [0, n) ! R für x 2 [k, k + 1) und
k = 1, . . . , n
h(x) = f (k + 1).
Dann gilt auf [1, n + 1), dass 0  h  f und f und h sind Riemann integrierbar.
Also
Z
n+1
f (x)dx
1
Falls
Z
n+1
h(x)dx =
1
R1
1
n Z
X
k+1
h(x)dx =
k
k=1
n
X
f (k + 1) =
k=1
k=2
f (x)dx < 1, dann
Z
1
Z
f (x)dx
1
n+1
X
n+1
f (x)dx
1
und somit
Z
1
f (k)
k=2
1
X
f (x)dx
1
f (k).
k=2
2
Beispiel 5.13.1 (i) Falls 1 < p < 1, dann konvergiert die Reihe
1
X
n
p
n
p
n=1
und es gilt
1
p
1
(ii) Es gilt für alle n 2 N

1
X
n=1
ln(n + 1) 
Die Reihe
divergiert.
(iii) Für alle n 2 N mit n
1
.
n
X
1
 1 + ln n
k
k=1
2 gilt
ln ln 2 
n
X
1
 ln ln n
k
ln
k
n=2
1
X
1
n
ln
n
n=2
divergiert.
(iv) Die Reihe
p
p
1
X
1
n
n=1
ln ln(n + 1)
Die Reihe

1
X
1
n(ln
n)2
n=2
ln ln 2 +
n+1
X
1
.
2 ln 2
f (k).
240
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
konvergiert und
1.442 · · · =
1
X
1
1
1
1


+
= 2.48 . . .
ln 2 n=2 n(ln n)2
2(ln 2)2
ln 2
(v) Die Reihe
1
X
1
n ln(n) ln(ln(n))
n=3
divergiert.
(vi) Die Reihe
1
X
1
2
n
ln(n)(ln(ln(n)))
n=3
konvergiert.
Beweis. (i) Es sei f : [1, 1) ! R durch f (x) = x p gegeben.
Z 1
Z 1
1
f (x)dx =
x p dx =
p
1
1
1
Es folgt
1
X
n
p
n=2
und somit
1
p
1

(ii) Es gilt für alle n 2 N
ln(n + 1) =
Z
n+1
1
1
X
n
1

p
p
n=1
1

1+
n
1
X
1
p
1
X1
1
dx 
1+
x
k
k=1
p
n
n=1
=
Z
n
1
p
p
1
.
1
dx = 1 + ln n.
x
Wir nehmen an, dass die Reihe konvergiert. Dann existiert das uneigentliche Riemann Integral.
Z 1
Z n
1
1
dx = lim
dx = lim [ln x]n1 = lim ln n = 1
n!1
n!1
n!1
x
1
1 x
P1
Also existiert das uneigentliche Integral nicht und die Reihe n=1 n1 divergiert.
1
(iii) Es sei f : [1, 1) durch f (x) = x ln
x gegeben. Eine Stammfunktion von f ist F : [1, 1) ! R
mit F (x) = ln ln x. Es folgt
n
X
k=3
und damit
1

k ln k
Z
n
X
k=2
n
2
1
dx = [ln(ln x)]n2 = ln(ln n)
x ln x
1
 ln(ln n)
k ln k
Ebenso
ln ln(n + 1)
ln ln 2 
Z
2
ln(ln 2) +
n+1
ln(ln 2)
1
.
2 ln 2
n
X 1
1
dx 
x ln x
k ln k
k=2
5.13. INTEGRALKRITERIUM FÜR REIHEN
(iv) Es sei f : [1, 1) durch f (x) =
mit F (x) = ln1x . Es folgt
Z
2
n
1
x(ln x)2
gegeben. Eine Stammfunktion von f ist F : [1, 1) ! R
1
dx =
x(ln x)2
Wir erhalten
(v) Die Stammfunktion von
241

1
ln x
n
=
2
1
ln 2
1
.
ln n
1
X
1
1
1
1


+
.
2
ln 2 n=2 n(ln n)
ln 2 2(ln 2)2
f (x) =
1
x(ln x)(ln ln x)
ist F (x) = ln ln ln x. Falls die Reihe konvergiert, dann existiert das uneigentliche Integral
Z 1
Z 1
1
1
dx = lim
dx = lim (ln ln ln n ln ln ln 3).
n!n
n!1
x(ln
x)(ln
ln
x)
x(ln
x)(ln
ln x)
3
3
Der letzte Ausdruck divergiert. Die Reihe konvergiert also nicht.
(vi) Die Stammfunktion von
1
f (x) =
x(ln x)(ln ln x)2
ist
F (x) =
Es folgen
1
X
1

n(ln
n)(ln
ln n)2
n=4
und
2
Z
3
1
1
.
ln ln x
f (x)dx 
1
X
1
n(ln
n)(ln
ln n)2
n=3
1
X
1
1
1
1


+
.
ln ln 3 n=3 n(ln n)(ln ln n)2
ln ln 3 3(ln 3)(ln ln 3)2
Beispiel 5.13.2 Entscheiden Sie, welche der folgenden Reihen konvergieren und welche divergieren.
Benutzen Sie dazu das Integralkriterium für Reihen. Es sei j 2 N und {aj }j2N mit a1 = e und
aj+1 = eaj .
(i)
X
1
n(ln n)(ln ln n)(ln ln ln n) · · · (ln
· · ln} n)
| ·{z
n aj
j
(ii)
1
X
n aj
1
n(ln n)(ln ln n)(ln ln ln n) · · · (ln
· · ln} n)2
| ·{z
j
(iii) Zeigen Sie mit (iv), dass die Reihe
1
X
n aj
für alle p > 1 konvergiert.
1
n(ln n)(ln ln n)(ln ln ln n) · · · (ln
· · ln} n)p
| ·{z
j
242
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Beweis. (i) Eine Stammfunktion von
f (x) =
1
x(ln x)(ln ln x)(ln ln ln x) · · · (ln
· · ln} x)
| ·{z
j
ist
F (x) = ln
· · ln} x
| ·{z
j+1
(ii) Eine Stammfunktion von
f (x) =
1
x(ln x)(ln ln x)(ln ln ln x) · · · (ln
· · ln} x)2
| ·{z
j
ist
F (x) =
1
ln
·
·
| {z· ln} x
j
(iii) Wegen (ii) wissen wir, dass
1
X
n aj
1
n(ln n)(ln ln n)(ln ln ln n) · · · (ln
· · ln} n)2
| ·{z
j+1
konvergiert. Wir zeigen nun, dass es zu jedem r > 0 ein nr 2 N gibt, so dass für alle n 2 N mit
n nr
(ln
· · ln} n)2  (ln
· · ln} n)r
| ·{z
| ·{z
j+1
j
gilt. Dazu reicht es zu zeigen, dass es zu jedem r > 0 ein x0 gibt, so dass für alle x
x0
(ln x)2  xr
gilt. Dies ist aber äquivalent dazu, dass es zu jedem s > 0 ein x0 gibt, so dass für alle x
x0
ln x  xs
gilt. Dies gilt, da wir r = 2s setzen können. Die letztere Ungleichung folgt aber z.B. aus der
Formel von L’Hopital.
1
ln x
1
x
lim s = lim
= lim
= 0.
s
1
x!1 x
x!1 sx
x!1 sxs
2
5.14
Unendliche Produkte
Es sei an , n 2 N, eine Folge reeller Zahlen. Als das unendliche Produkt bezeichnen
wir den Grenzwert
1
n
Y
Y
(1 + an ) = lim
(1 + ak ).
n=1
n!1
k=1
Wir sagen, dass das unendliche Produkt konvergiert, falls der Grenzwert existiert
und von 0 verschieden ist.
5.14. UNENDLICHE PRODUKTE
243
Satz
reeller Zahlen. Das Produkt
Q1 5.14.1 Es sei an , n 2 N, eine Folge positiver,
P1
n=1 (1 + an ) konvergiert genau dann, wenn
n=1 an konvergiert und es gilt
1+
1
X
n=1
an 
1
Y
1
X
(1 + an )  exp
n=1
!
an .
n=1
Beweis. Nach Satz gilt für alle t > 0, dass 1 + t  et . Deshalb gilt
!
n
n
n
Y
Y
X
(1 + ak ) 
eak = exp
ak .
k=1
k=1
k=1
Da die Zahlen ak positiv sind und die Exponentialfunktion stetig ist, erhalten wir
!
!
n
n
n
Y
X
X
(1 + ak )  lim exp
ak = exp lim
ak .
n!1
k=1
n!1
k=1
k=1
Q
Deshalb ist die Folge nk=1 (1 + ak ), n 2 N, monoton wachsend und beschränkt. Also
konvergiert diese Folge und es gilt
!
1
1
Y
X
(1 + an )  exp
an
n=1
n=1
Für alle s, t > 0 gilt (1 + s)(1 + t)
n
Y
1 + s + t. Hieraus erhalten wir
(1 + ak )
1+
k=1
n
X
ak
k=1
Es folgt
1
Y
(1 + ak )
1+
k=1
2
Beispiel 5.14.1 (i)
konvergiert, weil
(ii)
divergiert, weil
P1
P1
1
n=1 n
k=1
◆
1 ✓
Y
1
1+ 2
n
n=1
1
n=1 n2
konvergiert.
◆
1 ✓
Y
1
1+
n
n=1
divergiert.
n
X
ak
244
5.15
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Die Formel von Stirling
Satz 5.15.1 Für alle n 2 N mit n 2 gilt
p
p
2⇡n nn e n < n! < 2⇡n nn e
Insbesondere gilt
p
2⇡n nn e
lim
n!1
n!
n
1
e 12(n
1)
.
n
= 1.
Lemma 5.15.1 (Trapez-Regel) Es sei f : [0, 1] ! R eine zweimal stetig di↵erenzierbare Funktion. Dann existiert ein ⇠ 2 [0, 1] mit
Z 1
1
1 00
f (x)dx = (f (0) + f (1))
f (⇠).
2
12
0
Diese Formel heißt Trapez-Regel, weil die schraffierte Fläche den Flächeninhalt
+ f (1)) besitzt.
1
(f (0)
2
Beweis. Wir benutzen partielle Integration.
Z 1
Z 1
1
1
f (x)dx
= [(x 2 )f (x)]0
(x 12 )f 0 (x)dx
0
Z0 1
= 12 (f (0) + f (1))
(x 12 )f 0 (x)dx
⇢0
Z 1
0
1
1
1 2
1
= 2 (f (0) + f (1))
[( 2 x
x)f (x)]0
( 12 x2
2
0
Z 1
= 12 (f (0) + f (1)) +
( 12 x2 12 x)f 00 (x)dx
1
x)f 00 (x)dx
2
0
Mit dem Mittelwertsatz der Integralrechnung folgt für ein ⇠ 2 (0, 1)
Z 1
R1
f (x)dx = 12 (f (0) + f (1)) + f 00 (⇠) 0 12 x2 12 xdx
0
= 12 (f (0) + f (1)) + f 00 (⇠)[ 16 x3 14 x2 ]10
1 00
= 12 (f (0) + f (1)) 12
f (⇠).
2
Beweis. Wir zeigen zunächst, dass es zu jedem k 2 N, eine Zahl ⇠k 2 [k, k + 1] gibt,
so dass für alle n 2 N
!
n
n 1
X
X
1
1
ln k = (n + 12 ) ln n n + 1 12
⇠2
k=1
k=1 k
5.15. DIE FORMEL VON STIRLING
245
gilt. Mit der Trapez-Regel folgt: Es gibt ein ⇠k 2 [k, k + 1], so dass
Z k+1
1
ln xdx = 12 (ln k + ln(k + 1)) +
.
12⇠k2
k
Hieraus folgt
n 1Z
X
ln xdx =
k
k=1
n 1
X
(ln k + ln(k + 1)) +
k+1
1
2
1
12
k=1
Da ln 1 = 0 gilt, erhalten wir
Z n
ln xdx =
1
1
2
ln n +
n+1=
ln k +
1
12
k=1
Die Stammfunktion von ln x ist x ln x
n ln n
n
X
n 1
X
1
.
2
⇠
k
k=1
n 1
X
1
.
⇠2
k=1 k
x.
1
2
ln n +
n
X
ln k +
1
12
k=1
n 1
X
1
.
2
⇠
k
k=1
Somit erhalten wir
n
X
ln k = (n +
1
) ln n
2
n+1
1
12
k=1
n 1
X
1
.
2
⇠
k
k=1
Wir wenden auf beiden Seiten die Exponentialfunktion an.
!
!
n
n 1
X
X
1
1
exp
ln k = exp (n + 12 ) ln n n + 1 12
⇠2
k=1
k=1 k
Es folgt weiter
n 1
X
1
1
12
⇠2
k=1 k
exp (ln(n!)) = exp (n + 12 ) ln n exp ( n) exp 1
Also gilt
n! =
1
nn+ 2 e n
exp 1
Wir zeigen jetzt, dass
p
2⇡ < exp 1
n 1
X
1
1
12
⇠2
k=1 k
!
n 1
X
1
1
12
⇠2
k=1 k
p
< 2⇡ exp
✓
!
!
.
.
◆
1
.
12(n 1)
Hiermit folgt dann das Ergebnis. Da ⇠k 2 [k, k + 1] gilt, haben wir ⇠12  k12 . Außerk
P
P1 1
1
dem ist 1
k=1 k2 konvergent. Also ist auch
k=1 ⇠k2 konvergent. Damit existiert
!
n 1
X
1
1
lim exp 1 12
= c.
n!1
⇠2
k=1 k
246
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
p
2⇡ ist. Wir setzen
!
n 1
X
1
1
cn = exp 1 12
.
2
⇠
k
k=1
Wir zeigen, dass dieser Limes gleich
Man erkennt hieraus sofort, dass cn , n 2 N, eine monoton fallende Folge ist. Weiter
gilt
n!
cn = n n p .
n e
n
Außerdem gelten
c2n
limn!1 c2n
c2
=
=
=c
n!1 c2n
limn!1 c2n
c
lim
und
c2n
c2n
=
⇣
n! p
nn e n n
⌘2
(2n)!
p
(2n)2n e 2n 2n
p
p
(n!)2 22n n2n e 2n 2n
(n!)2 22n 2
p .
=
=
n2n e 2n n(2n)!
(2n)! n
Das Produkt von Wallis liefert
n
Y
⇡
4k 2
= lim
2 n!1 k=1 4k 2 1
und
r
! 12
(2k)(2k)
lim
= lim
n!1
n!1
(2k 1)(2k + 1)
k=1
✓
◆ 12
(2 · 2)(4 · 4)(6 · 6)(8 · 8) · · · (2n)(2n)
= lim
n!1 (1 · 3)(3 · 5)(5 · 7)(7 · 9) · · · (2n
1)(2n + 1)
n
2 n!
p
= lim
n!1 1 · 3 · 5 · 7 · · · (2n
1) 2n + 1
(2n n!)2
(2n n!)2
p
p .
= lim
= lim
n!1 (2n)! 2n + 1
n!1 (2n)! 2n
⇡
=
2
n
Y
4k 2
4k 2 1
k=1
! 12
n
Y
p
p
Es folgt c = 2⇡. Da cn , n 2 N, eine monoton fallende Folge ist, die gegen 2⇡
konvergiert, gilt für alle n 2 N mit n 2
!
n 1
X
p
1
1
2⇡ < cn = exp 1 12
.
2
⇠
k
k=1
Andererseits gilt
c = exp 1
1
X
1
1
12
⇠2
k=1 k
!
= exp 1
n 1
X
1
1
12
⇠2
k=1 k
!
exp
1
X
1
1
12
⇠2
k=n k
!
.
5.15. DIE FORMEL VON STIRLING
247
Mit dem Integralkriterium für Reihen folgt
Z 1
1
1
X
X
1
1
1
1
1
1
1
 12
 12
dx =
.
2
12
2
2
⇠
k
12(n 1)
n 1 x
k=n k
k=n
Deshalb gilt
c
Es folgt
cn exp
✓
◆
1
.
12(n 1)
p
cn  2⇡ exp
⇤
✓
◆
1
.
12(n 1)
Beispiel 5.15.1 Für n 2 N mit n 2 gilt
✓
◆ 2n
✓ ◆
✓
1
2
2n
1
p
exp

 exp
6(n 1)
n
12(2n
⇡n
Insbesondere gilt
2n
n
lim
n!1
p
n
22n
1)
◆
22n
p .
⇡n
1
=p .
⇡
In der Wahrscheinlichkeitstheorie und Kombinatorik muss man die Größenordnung von Binomialkoeffizienten kennen. Insbesondere ist der größte Binomialkoeffizient von Interesse. Das
2n
2
p ist. Wegen
Beispiel stellt sicher, dass 2n
n von der Größenordnung
n
n
n
2 = (1 + 1) =
n ✓ ◆
X
n
k=0
ist der größte Summand kleiner als 2n und größer als
2n
Binomialkoeffizient von der Größenordnung p
ist.
n
k
2n
n+1 .
Beweis. Die Formel von Stirling liefert
p
p
2⇡n nn e n < n! < 2⇡n nn e
Damit folgt
p
1
✓ ◆
2n
(2n)!
4⇡n (2n)2n e 2n e 12(2n
p
=

(n!)2
n
( 2⇡n nn e n )2
1)
n
Das Beispiel zeigt, dass der größte
1
e 12(n
1)
.
1
p
2 ⇡n22n n2n e 2n e 12(2n
=
2⇡ n n2n e 2n
1)
1
22n
= p e 12(2n
⇡n
1)
.
2
Das nächste Beispiel untersucht, wie häufig beim Werfen einer Münze ”Kopf”
oder ”Zahl” erscheint. Wir erwarten, dass ungefähr genauso häufig ”Kopf” wie
”Zahl” das Ergebnis ist. Wir berechnen hier die zu erwartende Abweichung. Wenn
wir eine Münze n-mal werfen, dann erhalten wir 2n mögliche Ergebnisse. Es gibt
genau nk Ergebnisse, wo ”Kopf” k-mal fällt und ”Zahl” n k-mal. Die Abweichung
vom Mittelwert ist |n 2k|. Die mittlere Abweichung ist also
n ✓ ◆
1 X n
|n 2k| .
2n k=0 k
248
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Beispiel 5.15.2 Es gibt positive Konstante c1 und c2 , so dass für alle n 2 N
n ✓ ◆
p
p
1 X n
c1 n  n
|n 2k|  c2 n
2
k
k=0
gilt.
Der folgende Beweis benutzt nur die Stirling Formel. Es gibt sehr viel elegantere Beweise.
Beweis. Mit Stirlings Formel folgt
✓ ◆
n
n!
=
k
k!(n k)!
✓
✓
1
1
exp
+
12 k 1 n
Für k =
n
2
✓
Für k =
1
k
1
◆◆
p n
nn
p
p
k
2⇡k k(n k)n
k
p
n
k
.
j erhalten wir
n
◆
✓
exp
1
12
n
2
j
n
2
j und 0  j 
✓
1
j
n
2
1p
3 n
1
+
n
2
1
+j
erhalten wir
✓
◆
n
n
j
2
1
◆◆
p n
22
p ⇣
⇡n 1
4j 2
n2
1
⌘ n+1
2
1+
2j
n
2j
n
!j
.
2n
p
.
4⇡n
2
Beispiel 5.15.3 Die Folge
s r
q
p
xn = 1! 2! 3! · · · n!
n2N
konvergiert.
Beweis. Wir zeigen, dass die Folge {xn }n2N monoton wachsend und nach oben beschränkt ist.
xn =
n
Y
1
(k!) 2k <
k=1
n+1
Y
1
(k!) 2k = xn+1
k=1
Damit ist die Folge monoton wachsend.
xn =
n
Y
(k!)
1
2k
k=1

n
Y
(k)
k=1
k
2k
=
n
Y
k=1
!
✓
◆
n
X
k
k ln k
exp (ln k) k = exp
2
2k
k=1
Es bleibt zu zeigen, dass
1
X
k ln k
k=1
2k
konvergiert. Dazu verwenden wir das Quotientenkriterium.
(k+1) ln(k+1)
2k+1
k ln k
2k
2
1 (k + 1) ln(k + 1)
1
=
=
2
k ln k
2
✓
◆✓
◆
ln(1 + k1 )
1
1+
1+
k
ln k
5.16. DER SATZ VON TAYLOR UND TAYLORREIHEN
249
Beispiel 5.15.4 (Satz von Chebychev, [TeMe, p. 19]) Für eine Zahl x > 0 bezeichnet ⇡(x) die
Anzahl aller Primzahlen, die kleiner oder gleich x sind. Dann gibt es zwei Konstanten a und b, so
dass für alle x > 0
x
x
a
 ⇡(x)  b
ln x
ln x
gilt.
Beweis. 2
5.16
Der Satz von Taylor und Taylorreihen
Brook Taylor (18.8.1685-29.12.1731) studierte in Cambridge. Er arbeitete auf dem Gebiet der
Di↵erentialgleichungen. Auf dem Gebiet der Kunst schrieb er über die Grundlagen der Perspektive
und beschrieb als erster das Prinzip des Fluchtpunktes [38].
Satz 5.16.1 Es sei I ein Intervall und f : I ! R sei (n + 1)-mal stetig di↵erenzierbar auf I. Es sei x0 innerer Punkt des Intervalls I. Dann gilt für alle inneren
Punkte x 2 I
n
X
f (k) (x0 )
f (x) =
(x x0 )k + Rn (x, x0 )
k!
k=0
wobei
1
Rn (x, x0 ) =
n!
Z
x
t)n f (n+1) (t)dt.
(x
x0
Man bezeichnet Rn als Restglied.
Beweis. Der Beweis wird mit Induktion geführt. Für n = 0 gilt
Z x
f (x) = f (x0 ) +
f 0 (t)dt.
x0
Dies folgt aus dem RHauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung (Satz 5.4.1).
x
Es gilt R0 (x, x0 ) = x0 f 0 (t)dt.
Nun der Induktionsschritt. Wir nehmen an, dass die Aussage für n 1 bewiesen
ist, d.h. wir haben
f (x) =
n 1 (k)
X
f (x0 )
k=0
k!
wobei
Rn 1 (x, x0 ) =
1
(n
x0 )k + Rn 1 (x, x0 ),
(x
1)!
Z
x
x0
(x
t)n 1 f (n) (t)dt.
250
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Durch partielle Integration erhalten wir
(
)
Z x
x
1
(x t)n (n)
(x t)n (n+1)
Rn 1 (x, x0 ) =
f (t)
+
f
(t)dt
(n 1)!
n
n
x0
x0
⇢
Z x
1
(x x0 )n (n)
(x t)n (n+1)
=
f (x0 ) +
f
(t)dt
(n 1)!
n
n
x0
(x x0 )n (n)
=
f (x0 ) + Rn (x, x0 ).
n!
Hieraus folgt
f (x)
n 1 (k)
X
f (x0 )
k=0
2
k!
(x
x0 )k =
(x
x0 )n (n)
f (x0 ) + Rn (x, x0 ).
n!
Satz 5.16.2 Es sei I ein Intervall und f : I ! R sei (n + 1)-mal stetig di↵erenzierbar auf I. Es sei x0 ein innerer Punkt des Intervalls I.
(i) (Lagrange Form des Restglieds) Für alle x 2 I gibt es ein ⇥ 2 (0, 1) mit
Rn (x, x0 ) =
f (n+1) (x0 + ⇥(x
(n + 1)!
x0 ))
(x
x0 )n+1 .
(ii) (Cauchy Form des Restglieds) Für alle x 2 I gibt es ein ⇥ 2 (0, 1) mit
Rn (x, x0 ) =
f (n+1) (x0 + ⇥(x
n!
x0 ))
(1
⇥)n (x
x0 )n+1 .
Man beachte, dass die Zahl ⇥ von f , n und x0 abhängt.
Beweis. (i) Nach dem Mittelwertsatz der Integralrechnung (Satz 5.6.2) gibt es ein
⇠ 2 (x0 , x) bzw. ⇠ 2 (x, x0 ), so dass
Z
Z
1 x
f (n+1) (⇠) x
n (n+1)
Rn (x, x0 ) =
(x t) f
(t)dt =
(x t)n dt
n! x0
n!
x0

x
(n+1)
f (n+1) (⇠)
1
f
(⇠)
=
(x t)n+1
=
(x x0 )n+1 .
n!
n+1
(n
+
1)!
x0
Wir wählen nun ⇥, so dass ⇠ = x0 + ⇥(x x0 ).
(ii) Mit dem Mittelwertsatz der Integralrechnung (Satz 5.6.2) erhalten wir
Z
1 x
1
Rn (x, x0 ) =
(x t)n f (n+1) (t)dt = (x ⇠)n f (n+1) (⇠)(x x0 ).
n! x0
n!
Wir wählen nun ⇥, so dass ⇠ = x0 + ⇥(x
x0 ). Damit erhalten wir
1
(x x0 ⇥(x x0 ))n f (n+1) (x0 + ⇥(x x0 ))(x
n!
f (n+1) (x0 + ⇥(x x0 ))
=
(1 ⇥)n (x x0 )n+1 .
n!
Rn (x, x0 ) =
x0 )
5.16. DER SATZ VON TAYLOR UND TAYLORREIHEN
2
Falls das Restglied Rn (x, x0 ) für n gegen 1 gegen 0 konvergiert, so gilt
f (x) =
1
X
f (k) (x0 )
(x
k!
k=0
x0 )k
Man nennt diese Reihe die Taylorrreihe von f .
Beispiel 5.16.1 (i) Für alle x 2 R gilt
1
X
xn
e =
.
n!
n=0
x
(ii) Für alle x 2 R gilt
1
X
e
(x
n!
n=0
ex =
(iii) Es sei a > 0. Für alle x 2 R gilt
ax =
1
X
(x · ln a)n
.
n!
n=0
(iv) Für alle x mit |x| < 1 gilt
ln(1
Für x =
1)n .
x) =
1
X
xn
.
n
n=1
1 erhält man mit dem Grenzwertsatz von Abel (Lemma 5.18.2)
1
X
( 1)n
= ln 2.
n
n=1
(v) Für alle x mit |x| < 1 gilt
1
1
(vi) Für alle x 2 R gilt
sin x =
x
1
X
=
cos x =
xn .
n=0
( 1)n+1
n=1
(vii) Für alle x 2 R gilt
1
X
1
X
x2n 1
.
(2n 1)!
( 1)n
n=0
x2n
.
(2n)!
(viii) Für alle x mit |x|  1 gilt
p
1
1+x=1+ x
2
1·1 2 1·1·3 3
x +
x
2·4
2·4·6
1·1·3·5 4
x + ···
2·4·6·8
(ix) Für alle x mit |x| < 1 gilt
arctan x =
1
X
( 1)n+1
n=1
x2n 1
.
2n 1
251
252
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Mit Hilfe des Grenzwertsatzes von Abel (Lemma 5.18.2) kann man weiter folgern
1
X ( 1)n+1
⇡
= arctan(1) =
=1
4
2n 1
(5.13)
1
3
+
1
5
1
7
+
1
9
···
k=1
Diese Reihe wird auch als Leibniz Reihe bezeichnet. Leibniz hatte ein geometrisches Argument
gefunden um zu zeigen, dass sich die Reihe zu ⇡4 aufsummiert.
Dieses Beispiel zeigt auch, dass eine Taylorrreihe eine Funktion nicht notwendig auf dem
gesamten Definitionsgebiet darstellen muss, arctan ist auf ganz R definiert, ihre Taylorreihe mit
Entwicklungsmitte 0 stellt die Funktion nur auf ( 1, 1) dar.
(x) Um eine Funktion in eine Taylorreihe entwickeln zu können, muss sie unendlich oft di↵erenzierbar sein. Andererseits gibt es Funktionen, die auf ganz R unendlich oft di↵erenzierbar sind,
aber in einem bestimmten Punkt nicht in eine Taylorreihe zu entwickeln sind. Das klassische
Beispiel hierzu ist die folgende Funktion, die man in 0 nicht in eine Taylorreihe entwickeln kann.
Es sei f : R ! R durch
8
✓
◆
1
>
<
exp
falls x 6= 0
x2
f (x) =
>
:0
falls x = 0
gegeben. Dann gilt für alle n = 0, 1, 2, . . .
f (n) (0) = 0
und
Rn (x, 0) = f (x)
Es gibt auch Funktionen, die auf einem Intervall unendlich oft di↵erenzierbar sind, aber in
keinem Punkt in eine Taylorreihe zu entwickeln (Beispiel 5.18.3).
4
x − 16 x3 +
1
5
120 x
2
1
2
3
4
5
6
sin x
-2
x − 16 x3
-4
Beweis. (i) Es gilt für alle n 2 N, dass f (n) (x) = ex . Deshalb gilt für alle n 2 N, dass f (n) (0) = 1.
Das Restglied konvergiert gegen 0.
Rn (x, 0) =
f (n+1) (⇥x)
(1
n!
⇥)n xn+1 =
e⇥x
(1
n!
⇥)n xn+1
Wegen ⇥ 2 (0, 1) folgt
|Rn (x, 0)| =
e⇥x
(1
n!
⇥)n |x|n+1 
e⇥x n+1
|x|
.
n!
5.16. DER SATZ VON TAYLOR UND TAYLORREIHEN
253
Wegen 0 < e⇥x  e⇥|x|  e|x| folgt
|Rn (x, 0)|  e|x|
|x|n+1
.
n!
Mit der Formel von Stirling (Satz 5.15.1) folgt
|x|n+1
= 0.
n!1
n!
lim
Deshalb gilt
lim |Rn (x, 0)| = 0.
n!1
Wir geben ein weiteres Argument hierfür an. Für x 6= 0 und alle n mit n
x gilt
|x|n+2
|x|n+1
<
.
(n + 1)!
n!
Ab einem hinreichend großen n ist die Folge also monoton fallend. Außerdem ist sie nach unten
beschränkt und damit konvergent. Deshalb gilt (Beispiel 2.4.9)
✓
◆✓
◆ ✓
◆✓
◆
|x|n+1
|x|
|x|n
|x|
|x|n+1
lim
= lim
lim
= lim
lim
= 0.
n!1
n!1 n
n!1 (n
n!1 n
n!1
n!
1)!
n!
f
(n)
(ii) Für alle n = 0, 1, 2, . . . gilt, dass f (n) (x) = ex . Also gilt für alle n = 0, 1, 2, . . . , dass
(1) = e.
(iii) Dies ergibt sich sofort aus
ax = ex ln a .
(iv) Für f (x) = ln(1
x) gilt
1
f 0 (x) =
Allgemein gilt für n
1
f 00 (x) =
x
1
(1
x)2
f 000 (x) =
2
(1
x)3
1
f (n) (x) =
(n 1)!
.
(1 x)n
Wir zeigen dies durch Induktion.
f (n+1) (x) =
d (n)
f (x) =
dx
d (n 1)!
=
dx (1 x)n
(1
n!
x)n+1
Wir schätzen das Restglied ab. Wir benutzen dazu die Cauchy Form des Restglieds. Die Lagrange
Form ist hier nur für x < 0 erfolgreich zu verwenden.
|Rn (x, 0)| =
Falls x  0, dann 1
⇥x
(1 ⇥)n xn+1
(1 ⇥x)n
1 und
|Rn (x, 0)|  |x|n+1 .
Die rechte Seite konvergiert für n ! 1 gegen 0. Falls x > 0, dann 1 ⇥  1 ⇥x und wir erhalten
ebenfalls
|Rn (x, 0)|  |x|n+1 .
(vi) Für alle k = 0, 1, 2, . . . gilt
f (4k) (x) = sin x
f (4k+2) (x) =
sin x
f (4k+1) (x) = cos x
f (4k+3) (x) = cos x
254
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Es folgt für alle k = 0, 1, 2, . . .
f (4k) (0) = 0
f
(0) = 0
f (4k+1) (0) = 1
f (4k+3) (0) = 1
(4k+2)
Wir schätzen das Restglied ab. Wir benutzen die Cauchysche Form des Restglieds (Satz 5.16.2).
Rn (x, 0) =
f (n+1) (⇥x)
(1
n!
⇥)n xn+1
Für alle n 2 N und alle x 2 R gilt |f (n) (x)|  1. Es folgt
|x|n+1
.
n!
|Rn (x, 0)| 
Nun wenden wir wieder die Formel von Stirling an (Satz 5.15.1).
✓
◆n
|x|n+1
|x|
e|x|
p
|Rn (x, 0)| 
=p
.
n
nn e n 2⇡n
2⇡n
(ix) Wir benutzen die Formel für die geometrische Reihe
1
X
d
1
arctan x =
=
( 1)n x2n .
dx
1 + x2 n=0
Wir integrieren die rechte Seite summandenweise
arctan x = c +
1
X
( 1)n
n=0
x2n+1
.
2n + 1
Für x = 0 erhalten wir c = 0 und
arctan x =
1
X
( 1)n
n=0
x2n+1
.
2n + 1
Also haben wir arctan durch eine Potenzreihe dargestellt. Diese Potenzreihe ist nach Satz 5.18.3
mit ihrer Taylorreihe identisch.
(x) Wir zeigen zunächst, dass für jedes n 2 N ein Polynom pn existiert, so dass für alle x mit
x 6= 0
✓
◆ ✓ ◆
1
1
f (n) (x) = exp
pn
2
x
x
gilt. Wir zeigen dies mit Induktion. Für n = 0 gilt
f
(0)
(x) = f (x) = exp
✓
1
x2
◆
.
Wir machen nun den Induktionsschritt. Wir nehmen an, dass die Aussage für n
gilt also
✓
◆
✓ ◆
1
1
f (n 1) (x) = exp
p
.
n
1
2
x
x
Es folgt
f (n) (x) = exp
✓
1
x2
◆
2
pn
x3
✓ ◆
✓
◆
1
1
+
exp
p0n
1
x
x2
Wir setzen
pn (t) = 2t3 pn
1 (t)
t2 p0n
1 (t).
✓ ◆✓
◆
1
1
.
1
x
x2
1 wahr ist, es
5.16. DER SATZ VON TAYLOR UND TAYLORREIHEN
255
Nun zeigen wir, dass für alle Polynome p
✓ ◆
✓
◆
1
1
lim p
exp
=0
x!0
x
x2
gilt. Es reicht zu zeigen, dass für alle n = 0, 1, 2, . . .
✓
◆
1
1
lim n exp
=0
x!0 x
x2
gilt. Wir zeigen dies durch Induktion. Es gelten
✓
◆
1
lim exp
=0
und
x!0
x2
Wir wenden die Formel von L’Hôpital an
✓
◆
1
1
x
lim n exp
= lim
2
x!0 x
x!0 exp
x
=
lim x exp
x!0
x!0
1
x2
◆
= 0.
n
1
x2
nx n
2
x3 exp
lim
✓
1
n 1
x!0 2 xn
= lim
1
x2
2
exp
✓
1
x2
◆
.
Nun zeigen wir, dass für alle n = 0, 1, 2, . . . gilt, dass f (n) (0) = 0. Wir wenden Induktion an. Es
gilt f (0) = 0 und damit f 0 (0) = 0. Nun der Induktionsschritt.
f (n) (0) =
=
lim
f (n
1)
x!0
1)
(0)
x
x!0
lim
f (n
(x)
f (n
1)
x
(x)
✓ ◆
✓
◆
1
1
exp
=0
1
x
x2
1
pn
x!0 x
= lim
2
Satz 5.16.3 [11] Zu jeder Folge reeller Zahlen {an }n2N gibt es eine unendlich oft di↵erenzierbare
Funktion f : R ! R, so dass für alle n = 0, 1, 2, . . .
f (n) (0) = an
gilt.
Beweis. Es seien ak , k 2 N, reelle Zahlen und bk , k 2 N, positive Zahlen. Tatsächlich wählen wir
später bk = (k!)2 |ak |. Wir betrachten die Funktion
f (x) =
1
X
k=0
ak xk
.
1 + bk x2
Wir nehmen an, dass f unendlich oft di↵erenzierbar ist und dass die Ableitung gleich der Summe
der Ableitungen ist. Dann gelten
f (0) = a0
und für n
f 0 (0) = a1
und
2
n
[2]
X
f (n) (0)
= an +
( 1)j an
n!
j=1
j
2j bn 2j .
Mit bk = (k!)2 |ak | erhalten wir für diese Bedingung
n
[2]
X
f (n) (0)
= an +
( 1)j an
n!
j=1
2j (((n
2j)!)2 |an
j
2j |) .
256
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Wir setzen a0 = c0 und a1 = c1 . Weiter setzen wir
n
[2]
X
( 1)j an
an = cn
2j)!)2 |an
2j (((n
j=1
Wir definieren hk : R ! R durch
hk (x) =
j
2j |) .
ak xk
.
1 + bk x2
In der Tat, die geometrische Reihe liefert für |bk x2 | < 1
hk (x) =
1
1
X
X
ak xk
k
j j 2j
=
a
x
(
1)
b
x
=
( 1)j ak bjk x2j+k .
k
k
1 + bk x2
j=0
j=0
Es folgt
1
X
(n)
hk (x) =
2j n k
( 1)j ak bjk (2j + k) · · · (2j + k
und damit
(n)
(hk )
(0) =
8
< n!( 1)j an
:
j
2j bn 2j
n + 1)x2j+k
k=n
0
n
2j
sonst
Wir zeigen nun, dass f unendlich oft di↵erenzierbar ist, falls die Folge abnn hinreichend schnell gegen
0 konvergiert. Wir benutzen Satz 5.17.2. Wir zeigen, dass die Reihe f punktweise und die Reihe
P1 (n)
gleichmäßig konvergiert. Es gilt für k n + 2
k=1 hk
(n)
(hk )
(x)  (n + 1)!
|ak |k! k
|x|
bk
n 2
.
Mit bk = (k!)2 |ak | folgt
1
X
(n)
(hk )
k=n+2
(x)  (n + 1)!
1
X
|x|k n
k!
2
.
k=n+2
Diese Reihe konvergiert gleichmäßig auf allen beschränkten Intervallen. 2
5.17
Gleichmäßige Konvergenz und Integral
Satz 5.17.1 (i) Es sei fn : [a, b] ! R, n 2 N, eine Folge Riemann-integrierbarer
Funktionen, die gleichmäßig gegen eine Funktion f konvergiert. Dann ist auch f
Riemann-integrierbar und
Z b
Z b
lim
fn (x)dx =
f (x)dx.
n!1
a
a
(ii) Es sei gnP: [a, b] ! R, n 2 N, eine Folge Riemann-integrierbarer Funktionen,
deren Reihe 1
n=1 gn gleichmäßig gegen die Funktion g konvergiert. Dann ist auch
g Riemann-integrierbar und es gilt
Z b
1 Z b
X
gn (x)dx =
g(x)dx.
n=1
a
a
5.17. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ UND INTEGRAL
257
Die entscheidende Voraussetzung ist die gleichmäßige Konvergenz. Es gibt eine
Folge von Funktionen, die punktweise konvergiert, man aber Limes und Integral
nicht vertauschen kann (Beispiel 5.17.1).
Für das Lebesgue Integral steht ein komfortablerer Satz zur Verfügung, der Satz
von der dominierten Konvergenz.
Ebenso wichtig ist bei den Voraussetzungen des Satzes, dass das Intervall beschränkt
ist. Es gibt Beispiele von Folgen, die auf R gleichmäßig konvergieren, bei denen man
aber nicht Limes und (uneigentliches) Integral vertauschen kann (Beispiel 5.17.2).
Beweis. (i) Wir zeigen zunächst, dass f Riemann-integrierbar ist. Da fn , n 2 N,
integrierbar sind, gilt
8n 2 N8 > 09P = {x0 , . . . , xK } :
|OS P (fn )
US P (fn )| < ,
wobei
OS P (fn ) =
US P (fn ) =
K
X
k=1
K
X
Mk (fn )
Mk (fn ) =
k
sup
x2[xk
mk (fn )
mk (fn ) =
k
f (x)
1 ,xk ]
inf
x2[xk
k=1
f (x).
1 ,xk ]
Wegen der gleichmäßigen Konvergenz gilt
8✏ > 09N 2 N8n > N 8x 2 [a, b] :
|fn (x)
f (x)| < ✏.
Zu gegebenem > 0 wählen wir ✏ = 2(b a) und ein n 2 N, so dass für alle x 2 [a, b]
die Ungleichung |fn (x) f (x)| < ✏ gilt. Nun wählen wir eine Partition P mit
|OS P (fn ) US P (fn )| < .
Dann gilt für alle k = 1, . . . , K
mk (fn ) =
inf
x2[xk
fn (x) 
1 ,xk ]
inf
x2[xk
1 ,xk ]
f (x) + ✏ = mk (f ) + ✏.
Also erhalten wir für alle k = 1, . . . , K
mk (fn )  mk (f ) + ✏.
Genauso erhalten wir für alle k = 1, . . . , K
Mk (fn )
Mk (f )
✏.
Damit erhalten wir
> |OS P (fn )
K
X
(Mk (f )
K
X
US P (fn )| =
(Mk (fn )
mk (f )
2✏)
k=1
= |OS P (f )
mk (fn ))
k
k=1
k
K
X
=
(Mk (f )
k=1
US P (f )|
.
mk (f ))
k
2✏(b
a)
258
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Also gilt
|OS P (f )
US P (f )| < 2 .
Damit haben wir nachgeprüft, dass f Riemann integrierbar ist. Wir zeigen nun,
dass
Z b
Z b
lim
fn (x)dx =
f (x)dx.
n!1
a
a
Es gilt
8✏ > 09N 2 N8n > N 8x 2 [a, b] :
|f (x)
fn (x)| < ✏.
Wir erhalten für alle n mit n > N
Z b
Z b
Z b
f (x)dx 
fn (x) + ✏dx =
fn (x)dx + ✏(b
a
a
a)
a
und ebenso
Z
b
fn (x)dx 
a
Hieraus folgt für alle ✏ > 0
Z b
Z
a
f (x) + ✏dx 
fn (x)dx
a
Wir erhalten also
b
f (x)dx + ✏(b
a).
a
b
f (x)dx  ✏(b
b
f (x)dx = lim
a
2
Z
a
Z
Z
b
n!1
Z
a).
b
fn (x)dx.
a
Beispiel 5.17.1 (i) Für n 2 N sei fn : [0, 1] ! R durch fn (x) = xn gegeben. Die Folge fn , n 2 N,
konvergiert punktweise gegen die Funktion f mit
(
0
für x 2 [0, 1)
f (x) =
1
für x = 1
Die Folge fn , n 2 N, konvergiert nicht gleichmäßig. Obwohl keine gleichmäßige Konvergenz vorliegt, gilt doch
Z 1
Z 1
lim fn (x)dx = lim
fn (x)dx.
0 n!1
(ii) Für n 2 N sei fn : [0, 1] ! R durch
8 2
>
<n x
fn (x) =
n2 x + 2n
>
:
0
n!1
0
x 2 [0, n1 )
x 2 [ n1 , n2 )
x 2 [ n2 , 1]
Die Funktionen fn , n 2 N, sind stetig, also insbesondere Riemann-integrierbar. Die Folge konvergiert punktweise gegen f = 0, aber die Folge konvergiert nicht gleichmäßig. Weiter gelten
Z 1
Z 1
lim fn (x)dx = 0
und
lim
fn (x)dx = 1.
0 n!1
n!1
0
5.17. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ UND INTEGRAL
259
Beweis. (i) Für x = 0 gilt limn!1 fn (x) = 0 und für x = 1 gilt limn!1 fn (x) = 1. Wir
betrachten nun x mit 0 < x < 1. Die Folge xn , n 2 N, ist eine positive, monoton fallende Folge.
Somit ist sie konvergent. Es folgt
lim xn = x lim xn
n!1
1
n!1
= x lim xn
n!1
Mit Beispiel 2.4.9 folgt limn!1 xn = 0.
Wir nehmen an, dass die Folge fn , n 2 N, gleichmäßig gegen eine Funktion f konvergiert.
Diese Funktion muss gleich der Funktion sein, gegen die diese Folge punktweise konvergiert. Diese
Funktion ist im Punkt x = 1 nicht stetig. Dies widerspricht dem Satz 3.9.1.
Wir wollen hier auch den Nachweis führen, ohne Satz 3.9.1 zu benutzen. Die Negation der
gleichmäßigen Konvergenz ist
9✏ > 08N 2 N9m, n > N 9x 2 [0, 1] :
|fn (x)
fm (x)|
✏
Wir wählen ✏ = 14 . Zu gegebenem N wählen wir n > N und m = 2n. Außerdem wählen wir
1
x = 2 n . Dann gilt
|fn (x)
Weiter gilt
lim
n!1
fm (x)| = |xn
Z
xm | = |xn
1
fn (x)dx = lim
n!1
0
Z
x2n | = | 12
1
xn dx = lim
n!1
0
1
4|
=
1
4
= ✏.
1
= 0.
n+1
(ii)
Z
1
fn (x)dx =
0
Z
1
n
Z
n2 xdx +
0
=
⇥1
2 2
2n
x
⇤ n1
0
+
⇥
2
n
1
n
1 2 2
2n x
n2 x + 2ndx
⇤2
+ 2nx n1 = 1
n
Die Folge fn , n 2 N, konvergiert punktweise gegen f = 0. Somit gilt
Z
0
1
fn (x)dx = 1 6= 0 =
Z
1
f (x)dx.
0
Hiermit und mit Satz 5.17.1 folgt, dass die Folge nicht gleichmäßig konvergiert.
Der direkte Nachweis ist nicht viel schwerer: Die Negation der gleichmäßigen Konvergenz ist
9✏ > 08N 2 N9m, n > N 9x 2 [0, 1] :
|fn (x)
fm (x)|
✏
Wir wählen ✏ = 1. Zu gegebenem N wählen wir n = 4N und m = 2N . Außerdem wählen wir
1
x = 2N
. Dann gilt
|fn (x)
1
fm (x)| = |f4N ( 2N
)
1
f2N ( 2N
)| = 2N
1 = ✏.
2
Beispiel 5.17.2 (i) Die Folge fn : [0, 1) ! R, n 2 N, mit
fn (x) =
konvergiert gleichmäßig gegen 0, es gilt aber
Z 1
lim
fn (x)dx = 1
und
n!1
0
x
e
n2
x
n
Z
0
1
lim fn (x)dx = 0
n!1
260
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
(ii) Für n 2 N sei gn : [0, 1) ! R durch
gn (x) =
x
e
n
x
n
gegeben. Die Folge gn , n 2 N, konvergiert gleichmäßig gegen 0, aber
Z 1
lim
gn (x)dx = 1.
n!1
0
Beweis. (i) Es gilt
Z
1
Z
fn (x)dx =
0
1
0
=
lim
x
e
n2
Z Rn
R!1
0
x
n
dx = lim
R!1
Z
R
0
x
e
n2
te t dt = lim [ te
t
R!1
x
n
dx
R
e t ]0n = 1.
Die Ableitung von fn ist
x
x
1
x
e n
e n.
n2
n3
Deshalb gilt genau dann fn0 (x) > 0, wenn x < n und fn0 (x) < 0, wenn x > n. Deshalb hat fn in
x = n ein absolutes Maximum und es gilt
fn0 (x) =
0  fn (x)  fn (n) =
1
.
en
(ii)
Z
0
1
Z R
x x
x x
e n dx = lim
e n dx
R!1 0 n
n
0
Z Rn
= n lim
te t dt = lim n[ te t
gn (x)dx =
Z
1
R!1
0
R!1
R
e t ]0n = 1
Die Folge gn , n 2 N, konvergiert gleichmäßig gegen 0. Dazu bestimmen wir das absolute Maximum
von gn .
1 x⇣
x⌘
gn0 (x) = e n 1
n
n2
Das absolute Maximum liegt im Punkt x = n2 . Somit gilt
0  gn (x)  g(n2 ) = ne
n
.
2
Satz 5.17.2 Es sei I ein Intervall und gn : I ! R, n 2 N, eine Folge stetig
di↵erenzierbarer Funktionen. Die Folge {gn }n2N , konvergiere punktweise gegen eine
Funktion g und die Folge der Ableitungen {gn0 }n2N , konvergiere gleichmäßig gegen
eine Funktion h. Dann ist g di↵erenzierbar und g 0 = h.
Beweis. gn0 , n 2 N, ist eine Folge stetiger Funktionen, die gleichmäßig gegen h
konvergiert. Mit Satz 5.17.1 folgt, dass für alle x0 , x 2 I
Z x
Z x
0
lim
gn (t)dt =
h(t)dt
n!1
x0
x0
5.17. GLEICHMÄSSIGE KONVERGENZ UND INTEGRAL
261
gilt. Wir wenden nun den Hauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung an (Satz
5.4.1). Für alle x0 , x 2 I gilt
Z x
lim (gn (x) gn (x0 )) =
h(t)dt.
n!1
x0
Für alle x0 , x 2 I gilt
g(x)
g(x0 ) =
Z
x
h(t)dt
x0
h ist stetig, weil die Folge gn0 aus stetigen Funktionen besteht und gleichmäßig
gegen h konvergiert (Satz 3.9.1). Nun können wir noch einmal den Hauptsatz der
Di↵erential- und Integralrechnung (Satz 5.4.1) anwenden und erhalten g 0 = h. 2
Beispiel 5.17.3 (Zetafunktion von Riemann) (i) Die Reihe
⇣(x) =
1
X
1
nx
n=1
konvergiert auf (1, 1) punktweise und heißt Riemannsche Zetafunktion. Sie konvergiert auf jedem
Intervall [a, b] ⇢ (1, 1) gleichmäßig. Sie ist di↵erenzierbar und die Ableitung ist
⇣ 0 (x) =
1
X
ln n
nx
n=1
(Tatsächlich ist die Riemannsche Zetafunktion für alle komplexen Zahlen erklärt. Die Bestimmung
der Nullstellen ist eines der berühmtesten und schwierigsten, o↵enen Probleme der Mathematik.
Die Riemannsche Vermutung besagt, dass alle Nullstellen der Zetafunktion auf der Geraden { 12 +
iy|y 2 R} liegen.)
(ii) Für n 2 N sei fn : R ! R durch fn (x) = n1 sin(n2 x) gegeben. Die Folge fn , n 2 N, konvergiert
gleichmäßig gegen f = 0. Die Folge fn0 , n 2 N, divergiert in jedem Punkt x 2 R.
Beweis. (i) Nach Beispiel 5.13.1 konvergiert die Reihe für jedes x 2 (1, 1). Dies wurde mit dem
Integralkriterium gezeigt. Wir zeigen, dass die Reihe gleichmäßig auf jedem Intervall [a, b] ⇢ (1, 1)
konvergiert.
Zu gegebenem ✏ > 0 wählen wir N so groß, dass für alle n mit n > N gilt, dass
P1
1
<
✏. Dies ist möglich, weil die Reihe konvergiert. Deshalb gilt für alle x 2 [a, b]
a
k=n+1 k
n
X
1
kx
k=1
Die Ableitung von
Pn
k=1
k
x
1
1
1
X
X
X
1
1
1
=

<✏
x
x
k
k
ka
k=1
k=n+1
k=n+1
ist
n
X
ln k
k=1
kx
Dies folgt mit der Kettenregel.
(k
x 0
) = (e
(ln k)x 0
) = ( ln k)k
Wir weisen nun nach, dass die Reihe
1
X
ln k
k=1
kx
x
262
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
auf jedem Intervall [a, b] ⇢ (1, 1) gleichmäßig konvergiert. Zunächst beobachten wir, dass
1
X
ln k
k=1
kx
konvergiert. Wir wählen ⌘ > 0 so klein, dass x ⌘ > 1 gilt. Dann gibt es ein k0 , so dass für alle
k > k0
ln k
1
 x ⌘
a
k
k
gilt. Es reicht nachzuprüfen, dass es ein k0 gibt, so dass für alle k > k0 gilt, dass ln k  k⌘ . Man
kann dies mit der Formel von L’Hospital nachprüfen.
Es gibt also für alle ✏ > 0 ein N , so dass für alle n mit n > N
1
X
ln k
<✏
ka
k=n
gilt. Hiermit erhalten wir für alle x 2 [a, b]
n
X
ln k
k=1
kx
1
X
ln k
k=1
kx
=
1
1
X
X
ln k
ln k

< ✏.
kx
ka
k=n+1
Mit Satz 5.17.2 folgt, dass
1
X
1
kx
k=1
!0
=
(ii) Zu gegebenem ✏ wählen wir N so groß, dass ✏ >
|fn (x)
k=n+1
1
X
ln k
k=1
1
N.
kx
.
Dann gilt für alle n > N und alle x 2 R
f (x)| = | n1 sin(n2 x)| 
1
n
< ✏.
Wir zeigen nun, dass in jedem x 2 R die Folge
fn0 (x) = n cos(n2 x)
divergiert. Wir nehmen an, es gebe einen Punkt x 2 R, so dass limn!1 n cos(n2 x) existiert.
Dann gilt limn!1 cos(n2 x) = 0. Wir zeigen, dass dies nicht sein kann. Für alle t 2 R gilt
cos 2t = 2 cos2 t 1. Also
cos((2n)2 x) = 2 cos2 (2n2 x)
= 8 cos4 (n2 x)
1 = 2(2 cos2 (n2 x)
8 cos2 (n2 x) + 1.
1)2
1
Es folgt
0 =
lim cos((2n)2 x)
n!1
lim (8 cos4 (n2 x) 8 cos2 (n2 x) + 1)
⇣
⌘4
⇣
⌘2
= 8 lim cos(n2 x)
8 lim cos(n2 x) + 1 = 1.
=
n!1
n!1
2
5.18
n!1
Potenzreihen
Es sei an , n = 0, 1, 2 . . . , eine Folge reeller Zahlen und x0 2 R. Die Reihe
1
X
n=0
an (x
x0 )n
5.18. POTENZREIHEN
263
heißt Potenzreihe in x 2 R mit Entwicklungsmitte oder Mittelpunkt x0 .
Wir lernen hier, dass man eine Potenzreihe und damit jede Taylorreihe summandenwiese di↵erenzieren kann. Außerdem stellen wir fest, dass die Taylorreihe einer
Potenzreihe die Potenzreihe selbst ist.
Es gibt unendlich oft di↵erenzierbare Funktionen, die in keinem Punkt durch
ihre Taylorreihe darstellbar sind.
Wir sagen, dass eine Funktion in einem Punkt analytisch ist, wenn sie in einer
Umgebung dieses Punktes durch ihre Taylorreihe darstellbar ist.
Lemma 5.18.1 Es sei an , n = 0, 1, 2 . . . , eine Folge reeller Zahlen und x0 2 R.
Falls die Potenzreihe
1
X
an (x x0 )n
n=0
für ein x1 mit x1 6= x0 konvergiert, so konvergiert sie für alle x mit |x x0 | < |x1 x0 |
absolut, d.h.
1
X
|an ||x x0 |n
n=0
konvergiert.
Divergiert die Reihe an einer Stelle x2 , so divergiert sie für alle x mit |x
|x2 x0 |.
Beweis. Da
1
X
x0 | >
x0 )n
an (x1
n=0
konvergiert, gilt nach Lemma 2.7.3
lim an (x1
n!1
x0 )n = 0.
Nach Lemma 2.4.1 ist eine konvergente Folge beschränkt. Deshalb gibt es ein C > 0,
so dass für alle n 2 N
|an (x1 x0 )n |  C
gilt. Hiermit folgt
1
X
n=0
|an (x
n
x0 ) | =
1
X
n=0
|an (x1
x
x0 ) |
x1
n
x0
x0
n
1
X
x
C
x1
n=0
x0
x0
n
.
Da
x
x1
x0
<1
x0
gilt, konvergiert die Reihe.
P1
Wir betrachten nun den Fall,
dass
die
Reihe
x0 )n divergiert. Wir
n=0 an (x2
P1
nehmen an, dass die Reihe n=0 an (x x0 )n für ein x mit |x x0 | > |x2 x0 |
264
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
konvergiert. Dies kann
aus dem ersten Teil dieses Lemmas folgt,
P1nicht sein, weil
n
dass dann die Reihe n=0 an (x2 x0 ) konvergiert. 2
Aus Lemma 5.18.1 ergibt sich, dass es drei Fälle geben kann. Der erste Fall
ist, dass die Potenzreihe nur für x = x0 konvergiert. Dann sagen wir, dass der
Konvergenzradius der Potenzreihe 0 ist. Der zweite Fall ist, dass die Potenzreihe
für alle x 2 R konvergiert. Dann sagen wir, dass der Konvergenzradius unendlich
ist. Der dritte Fall ist, dass es ein R > 0 gibt, so dass die Potenzreihe für alle x mit
|x| < R konvergiert und für alle x mit |x| > R divergiert. Dann sagen wir, dass der
Konvergenzradius R ist.
Das Konvergenzgebiet ist also immer ein Intervall. Im Komplexen stellt man
fest, dass das Konvergenzgebiet ein Kreis ist. Deswegen spricht man auch vom
Konvergenzradius.
Ob auf dem Rand des Konvergenzgebietes Konvergenz oder Divergenz vorliegt,
interessiert uns hier nicht.
Satz 5.18.1P
(Formel von Cauchy-Hadamard) Für den Konvergenzradius R einer
Potenzreihe 1
x0 )n gilt
n=0 an (x
8
0
>
>
>
>
>
<
R= 1
>
>
>
1
>
>
:
1
lim supn!1 |an | n
1
falls lim sup |an | n = 1
n!1
1
falls lim sup |an | n = 0
n!1
sonst
Beweis. Mit Lemma 2.7.9 folgt, dass die Reihe
1
X
x0 )n
an (x
n=0
absolut konvergiert, falls
1 > lim sup(|an ||x
n!1
1
x0 |n ) n = |x
1
x0 | lim sup(|an |) n .
n!1
Also konvergiert die Reihe absolut, falls
|x
x0 | <
1
1
lim supn!1 |an | n
Also gilt
R
2
1
1
lim supn!1 |an | n
.
.
5.18. POTENZREIHEN
265
P1
Beispiel 5.18.1 (i) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 xn ist 1.
P1
(ii) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 nxn ist 1.
P1
(iii) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 n2 xn ist 1.
P1
(iv) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 n12 xn ist 1.
P1
(v) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 21n xn ist 2.
P1
(vi) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 nn!n xn ist e.
P1
(vii) Der Konvergenzradius der Reihe n=0 x2n ist 1.
Beweis. (i)
1
lim sup |an | n = lim 1 = 1
n!1
n!1
(ii)
1
1
lim sup n n = lim n n = lim e
n!1
n!1
Mit Beispiel 3.8.2 folgt limn!1
ln n
n
ln n
n
n!1
= 0. Deshalb
1
lim n n = 1
n!1
(iii) Mit (ii) folgt
1
1
1
lim sup(n2 ) n = lim (n2 ) n = ( lim n n )2 = 1
n!1
n!1
n!1
(v)
n
lim sup(2
1
1
n!1 2
) n = lim
n!1
=
1
2
(vi) Wir benutzen die Formel von Stirling.
p
2⇡nnn e
n
< n! <
p
2⇡nnn e
n
exp
Es folgen
p
2⇡ne
und
(2⇡n)
1
2n
1
<
e
n
<
✓
p
n!
< 2⇡ne
n
n
n!
nn
◆ n1
< (2⇡n)
n
1
2n
1
exp
✓
1
exp
e
✓
1
12(n 1)
1
12(n 1)
✓
1
12n(n
◆
◆
1)
◆
.
1
Da limn!1 n n = 1 gilt, so gilt auch limn!1 (2⇡n) 2n = 1. Wegen der Stetigkeit der e-Funktion
gilt
✓
◆
✓
◆
1
1
lim exp
= exp lim
= exp(0) = 1.
n!1
n!1 12n(n
12n(n 1)
1)
Es folgt
lim
n!1
2
✓
n!
nn
◆ n1
=
1
.
e
In dem folgenden Beispiel ist es nicht einfach, den Konvergenzradius zu berechnen. Man braucht hier das richtige Hilfsmittel.
266
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Beispiel 5.18.2 (i) Der Konvergenzradius von
1
X
1 n
x
sin
n
n=1
ist 1.
(ii) Der Konvergenzradius von
1
X
tan(n)xn
n=1
ist
Beweis. (i) Für t mit 0  t 
Ungleichung sin t 12 t.
⇡
3
gilt
| sin n| = | sin(n
1
2
 cos t  1. Deshalb gilt für alle t mit 0  t 
1
|n
2
m⇡)|
Mit Satz 2.11.2 erhalten wir für alle m mit m
42
m
Außerdem gilt
n
m
m⇡| =
m n
2 m
⇡
3
die
⇡ .
2
<|
n
m
⇠ ⇡. Damit folgt
⇡|.
1
.
n42
| sin n|
2
P
n
Satz 5.18.2 Es sei f (x) = 1
n=0 an (x x0 ) eine Potenzreihe mit Konvergenzradius
R (Wir lassen auch R = 1 zu).
(i) Die Potenzreihe ist auf jedem beschränkten, abgeschlossenen Intervall [a, b] mit
[a, b] ⇢ (x0 R, x0 + R) gleichmäßig konvergent.
(ii) Die Potenzreihe f ist unendlich oft di↵erenzierbar und für alle k 2 N gilt
f
(k)
✓ ◆
1
X
n
(x) =
k!
an (x
k
n=k
x0 )n
k
=
1
X
n=k
n · (n
1) · · · (n
k + 1)an (x
x0 )n k .
Diese Potenzreihen haben denselben Konvergenzradius wie f .
Beweis. (i) Wir zeigen, dass
8✏ > 09N 2 N8n > N 8x 2 [a, b] :
n
X
ak (x
k=0
k
x0 )
1
X
ak (x
x0 )k < ✏.
k=0
Wir wählen r = max{b x0 , x0 a}. Dann gelten 0 < r < R und [a, b] ⇢ [x0
r, x0 + r]. Die Potenzreihe konvergiert absolut in x0 + r. Es gilt also
8✏ > 09N 8n > N :
1
X
k=n
|ak |rk < ✏.
5.18. POTENZREIHEN
267
Hiermit folgt für alle x mit |x
n
X
ak (x
x0 )k
k=0
1
X
x0 |  r
ak (x
x0 )k =
k=0
1
X
x0 )k 
ak (x
k=n+1
1
X
k=n+1
|ak |rk < ✏.
(ii) Wir zeigen zuerst, dass für alle k = 0, 1, 2, . . . die Reihen
✓ ◆
1
X
n
k!
an (x
k
n=k
denselben Konvergenzradius haben wie
sind
1
p
R=
lim supn!1 n |an |
Die Reihe
P1
k=0
x0 )n
k
x0 )k . Die Konvergenzradien
ak (x
1
R̃ =
✓ ◆
1
X
n
k!
an (x
k
n=k
x0 )n
q
k!
n k
lim supn!1
.
n
k
|an |
k
konvergiert genau dann, wenn die Reihe
✓ ◆
1
X
n
k!
an (x
k
n=k
x0 )n
konvergiert, weil sich beide Reihen nur um den Faktor (x x0 )k unterscheiden.
Also haben beide Reihen denselben Konvergenzradius. WirP
zeigen nun, dass der
Konvergenzradius der letzteren Reihe gleich dem der Reihe 1
x0 )n ist.
n=0 an (x
Es gilt
✓ ◆
n
1  k!
= n(n
k
1)(n
2) . . . (n
k + 1) =
k
Y1
(n
j=0
1
j)  nk .
k
Wegen limn!1 n n = 1 folgt für alle k 2 N, dass limn!1 n n = 1. Somit
✓ ✓ ◆◆ nk
n
lim k!
= 1.
n!1
k
Mit Lemma 2.6.8
✓ ◆
n
lim sup k!
an
k
n!1
Weiter gilt
1
n
✓ ✓ ◆◆ n1
1
1
n
 lim k!
lim sup |an | n = lim sup |an | n .
n!1
k
n!1
n!1
✓ ◆
n
lim sup |an |  lim sup k!
an
k
n!1
n!1
1
n
1
n
.
268
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Damit erhalten wir
✓ ◆
n
lim sup k!
an
k
n!1
1
n
✓ ✓ ◆◆ n1
1
1
n
= lim k!
lim sup |an | n = lim sup |an | n .
n!1
k
n!1
n!1
Wegen (i) konvergiert die Folge
fn (x) =
n
X
n2N
x0 )j
aj (x
j=0
auf jedem beschränkten, abgeschlossenen Intervall, das im Konvergenzintervall enthalten ist, gleichmäßig gegen f . Die Folge
fn0 (x)
=
n
X
x0 )j
jaj (x
n2N
1
j=1
konvergiert ebenfalls wegen (i) auf jedem beschränkten, abgeschlossenen Intervall,
das im Konvergenzintervall enthalten ist, gleichmäßig gegen die Funktion
1
X
jaj (x
x0 )j 1 .
j=1
Nach Satz 5.17.2 folgt, dass auf solchen Intervallen
0
f (x) =
1
X
jaj (x
x0 )j
1
j=1
gilt. Da dies für alle beschränkten, abgeschlossenen Intervalle gilt, die im Konvergenzintervall enthalten sind, gilt dies für das gesamte Konvergenzintervall. 2
P
Satz 5.18.3 (i) Es sei f (x) = 1
x0 )n eine Potenzreihe mit einem Konn=0 an (x
vergenzradius R, 0 < R  1. Dann gilt für alle n = 0, 1, 2, . . .
f (n) (x0 )
.
n!
P
P1
n
n
(ii) Falls die Potenzreihen 1
n=0 an (x x0 ) und
n=0 bn (x x0 ) Konvergenzradien
besitzen, die von 0 verschieden sind und in einem Intervall (x0 r, x0 + r), 0 < r,
dieselben Funktionswerte besitzen, d.h. falls für alle x 2 (x0 r, x0 + r)
an =
1
X
an (x
n=0
n
x0 ) =
1
X
n=0
dann gilt für alle n = 0, 1, 2, . . .
an = bn .
bn (x
x0 )n ,
5.18. POTENZREIHEN
269
Der Satz sagt aus, dass die Taylorreihe einer Potenzreihe die Potenzreihe selbst
ist.
Beweis. (i) folgt sofort aus Satz 5.18.2:
✓ ◆
1
X
n
(k)
f (x) =
k!
an (x
k
n=k
Deshalb erhalten wir
x0 )n k .
✓ ◆
k
f (x0 ) = k!
ak = k!ak .
k
k
(ii) Für alle x 2 (x0
r, x0 + r) gilt
1
X
(an
bn )(x
x0 )n = 0.
n=0
Für x = x0 erhalten wir hieraus, dass a0 = b0 . Nun di↵erenzieren wir k-mal und
erhalten mit Satz 5.18.2, dass für alle x 2 (x0 r, x0 + r)
✓ ◆
1
X
n
k!
(an bn )(x x0 )n k = 0
k
n=k
gilt. Für x = x0 erhalten wir ak = bk . 2
Es gibt C 1 -Funktionen, die in keinem Punkt in eine Potenzreihe entwickelbar sind [61]. Es sei
(
1
1
e x2 e (x 1)2
für 0 < x < 1
(x) =
0
sonst
Beispiel 5.18.3 Die Funktion
(x) =
1
X
1
(2k (x
k!
[x]))
k=1
ist überall unendlich oft di↵erenzierbar, aber nirgends analytisch.
Beweis. Wir setzen für j = 1, 2, . . .
j (x)
=
1
(2j (x
j!
[x])).
j ist für alle j 2 N unendlich oft di↵erenzierbar. Es gibt für alle k 2 N eine Konstante C, so dass
für alle x 2 R
1
X
(k)
| j (x)|  C
j=1
Hiermit und mit Satz 5.17.2 folgt, dass unendlich oft di↵erenzierbar ist.
Wir zeigen, dass in den Punkten
nm
o
|n
2
N,
m
2
Z,
m
ungerade
2n
ist in R dicht und in keinem Punkt in eine Taylorreihe zu entwickeln. 2
270
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Beispiel 5.18.4 Es gibt auf R eine wachsende, unendlich oft di↵erenzierbare Funktion, die nirgendwo analytisch ist.
Beweis. Die Stammfunktion von
sie ist nirgendwo analytisch. 2
(Beispiel 5.18.3) ist monoton wachsend, weil
Lemma 5.18.2 (Grenzwertsatz
P1 vonn Abel) Die Potenzreihe
Konvergenzradius R und n=0 an R konvergiere. Dann gilt
lim
x!R
1
X
1
X
n
an x =
n=0
P1
n=0
positiv ist und
an xn besitze den
an Rn
n=0
Beweis. Wir können annehemn, dass R = 1. Mit dem Produktsatz von Cauchy
(Lemma 2.7.11) folgt
1
1
Also gilt
x
1
X
an xn =
n=0
1
X
xn
n=0
1
X
n=0
1
X
an x = (1
n=0
an
(1
x)
n=0
= (1
n=0
x)
= (1
x)
= (1
x)
n=0
1
X
k=0
1
X
an
n=0
an x = (1
n=0
x)
N
X
n=0
!
xn
ak
!
(1
x)
1
X
(a0 + · · · + an )xn
n=0
!
ak
k=n+1
Wir wählen N so groß, dass für alle n
Es gilt
n
ak
k=0
1
X
1
X
n=0
1
X
1
X
(a0 + · · · + an )xn
1
1
X
X
n=0
1
X
n=0
n=0
1
X
an xn =
1
X
(a0 + · · · + an )xn .
1
X
x)
(a0 + · · · + an )xn .
n
n=0
an
an xn =
n=0
Hiermit folgt für alle x mit |x| < 1
1
X
1
X
(a0 + · · · + an ) xn
xn .
N die Ungleichung |
1
X
ak
k=n+1
!
!
n
x + (1
x)
P1
k=n+1
1
X
n=N +1
ak | < ✏ gilt.
1
X
k=n+1
ak
!
Es folgt für alle x mit 0 < x < 1
1
X
n=0
an
1
X
n=0
n
an x
 (1
= (1
x)
N
1
X
X
n
ak x + ✏(1
x)
n=0 k=n+1
x)
N
X
1
X
n=0 k=n+1
1
X
n=N +1
ak xn + ✏xN +1
xn
xn
5.19. RATIONALE, IRRATIONALE, ALGEBRAISCHE UND TRANSZENDENTE ZAHLEN271
Wegen |x| < 1 folgt weiter
1
X
n=0
P1
an
1
X
n
an x
n=0
 (1
x)
N
1
X
X
ak + ✏.
n=0 k=n+1
P
Da die Reihe n=0 an konvergiert, ist die Folge { 1
n=k an }k2N beschränkt. Also gibt
es eine Konstante C mit
1
X
an
n=0
n=0
Deshalb gilt für alle x mit x > 1
1
X
n=0
2
5.19
1
X
an xn  (1
x)C + ✏.
✏
C
an
1
X
n=0
an xn  2✏.
Rationale, irrationale, algebraische und transzendente Zahlen
Eine Zahl heißt rational, falls sie Quotient zweier ganzer Zahlen ist, sie heißt irrational, falls sie nicht rational ist.
Definition 5.19.1 Eine reelle Zahl heißt algebraisch, falls sie Nullstelle eines Polynoms ist, das nur ganze Zahlen als Koeffizienten hat.
Eine Zahl heißt transzendent, falls sie nicht algebraisch ist.
Definition 5.19.2 Der Grad einer algebraischen Zahl ist der kleinste Grad eines
Polynoms mit ganzzahligen Koeffizienten, das diese Zahl zur Nullstelle hat.
O↵enbar ist jede rationale Zahl algebraisch. Zu einer rationalen Zahl pq wählen
wir das Polynom p qx. Die Zahl pq ist Nullstelle des Polynoms p qx.
Jede transzendente Zahl irrational. Andererseits
p gibt es irrationale Zahlen, die
nichtptranszendent sind. Ein Beispiel hierfür
ist
2. Wir haben bereits gesehen,
p
dass 2 nicht rational ist (Satz 2.0.1). 2 ist aber Nullstelle des Polynoms
x2
2
p
und damit ist 2 algebraisch. Genauso findet man, dass jede Quadratwurzel einer
natürlichen Zahl algebraisch ist.
Bei der Einführung der reellen Zahlen hatten wir gezeigt, dass eine reelle Zahl
genau dann rational ist, wenn ihre Dezimalbruchdarstellung letztendlich periodisch
ist. Mit dieser Beobachtung kann man leicht irrationale Zahlen angeben. So ist
272
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
die Zahl, deren n2 -te Koeffizienten ihrer Dezimalbruchentwicklung gleich 1 sind und
deren übrige Koeffizienten gleich 0 sind, irrational, weil die Dezimalbruchdarstellung
nicht letztendlich periodisch ist (Beispiel 2.10.1).
Euler zeigte 1737, dass e eine irrationale Zahl ist. Lambert zeigte ca. 1770, dass
x
e und tan x irrational sind, falls x eine rationale Zahl ist, die von 0 verschieden ist.
Hieraus folgt, dass ⇡ eine irrationale Zahl sein muss, weil
arctan( ⇡4 ) = 1.
1873 zeigte Hermite, dass e transzendent ist. Lindemann zeigte 1882, dass ⇡ transzendent ist.
Man konnte bisher nicht beweisen, dass die Eulersche Zahl irrational ist. Auch
ist nicht bekannt, ob ⇡e irrational ist oder nicht.
Wichtig sind Darstellungen für Zahlen, wenn man mit ihnen rechnen will. Wir
hatten e als Limes eingeführt
✓
◆n
1
e = lim 1 +
.
n!1
n
Als weitere Darstellung für die Zahl e haben wir
1
X
1
e=
n!
n=0
gefunden. Diese Reihe konvergiert schnell und man kann leicht die Dezimalbruchdarstellung mit vorgegebener Genauigkeit ausrechnen.
Für die Zahl ⇡ hatten wir die Leibniz Reihe (5.13) angegeben
⇡
=1
4
1
3
+
1
5
1
7
+
1
9
···
Diese Reihe konvergiert allerdings sehr langsam. Die Formel von Wallis (Satz 5.11.1)
ist
1
⇡ Y 4k 2
=
.
2 k=1 4k 2 1
Die Formel von Vieta ist (Beispiel 5.11.1)
v
s
r s
r u
r
u
2
1 1 1 1 t1 1 1 1 1
=
+
+
+
······
⇡
2 2 2 2 2 2 2 2 2
Satz 5.19.1 e ist irrational.
Beweis. Wir nehmen an, dass e rational ist, es gibt also p, q 2 N mit e = pq . Es gilt
nach dem Satz von Taylor (Satz 5.16.1) für alle n 2 N, x 2 R und x0 2 R
x
e =
n
X
ex0
k=0
k!
(x
x0 )k + Rn (x, x0 ).
5.19. RATIONALE, IRRATIONALE, ALGEBRAISCHE UND TRANSZENDENTE ZAHLEN273
Wir verwenden die Lagrange Form des Restglieds (Satz 5.16.2). Für alle n 2 N,
x 2 R und x0 2 R existiert ein ⇥ 2 (0, 1) mit
Rn (x, x0 ) =
1
ex0 +⇥(x
(n + 1)!
x0 )
x0 )n+1 .
(x
Für x = 1 und x0 = 0 folgt, dass für alle n ein ⇥ 2 (0, 1) existiert, so dass
n
X
1
e⇥
e=
+
k! (n + 1)!
k=0
gilt. Weil
e⇥
(n+1)!
> 0, folgt, dass für alle n 2 N ein ⇥ 2 (0, 1) mit
n
X
1
e⇥
e
=
<
k!
(n + 1)!
(n + 1)!
k=0
e⇥
p
0<
=
(n + 1)!
q
existiert. Deshalb gilt für alle n 2 N
p
0<
q
n
X
1
e
<
.
k!
(n
+
1)!
k=0
Wir wählen nun n = q + 1. Damit
p
0<
q
q+1
X
1
e
<
k!
(q + 2)!
k=0
und somit
0 < (q + 1)(q
1)!p
q+1
X
(q + 1)!
k=0
Dies kann nicht sein, weil
(q + 1)(q
1)!p
k!
<
e
.
q+2
q+1
X
(q + 1)!
k=0
k!
eine ganze Zahl ist, die strikt größer als 0 und strikt kleiner als
e
gilt q+2
 3e < 1. 2
e
q+2
ist. Da q 2 N,
Satz 5.19.2 ⇡ ist irrational.
Beweis. [80] Wir nehmen an, dass ⇡ rational ist, dass also p, q 2 N mit ⇡ =
existieren. Wir wählen n 2 N so groß, dass
⇡ n+1 pn
< 1.
n!
p
q
274
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Dass dies möglich ist, folgt z.B. aus der Formel von Stirling. Es seien fn : R ! R
für alle x 2 R durch
xn (p qx)n
fn (x) =
n!
gegeben und Fn : R ! R durch
Fn = fn
fn(2)
+
fn(4)
··· + (
1)n fn(2n)
n
X
=
( 1)j fn(2j) .
j=0
Wir wollen nun zeigen, dass
(5.14)
Fn (0)
und
Fn (⇡)
ganze Zahlen sind. Dazu zeigen wir, dass für alle j = 0, 1, . . . , 2n
fn(j) (0) 2 Z.
Es gilt
fn (x) =
xn (p
qx)n
n ✓ ◆
xn X n k
=
p ( qx)n
n! k=0 k
k
n!
n ✓ ◆
1 X n
=
( 1)n k pk q n k x2n k .
n! k=0 k
Für j = 0, 1, . . . , n 1 erhalten wir
n ✓ ◆
1 X n
(j)
fn (x) =
( 1)n k pk q n k ((2n
n! k=0 k
k)(2n
k
1) · · · (2n
k
j + 1))x2n
k j
j + 1))x2n
k j
(j)
und es folgt sofort fn (0) = 0. Für j = n, . . . , 2n gilt
fn(j) (x) =
✓ ◆
n
1 X n
( 1)n k pk q n k ((2n
n! k=2n j k
k)(2n
k
1) · · · (2n
k
Wenn wir x = 0 einsetzen, bleibt nur der Summand für k = 2n
anderen sind 0. Wir erhalten also
✓
◆
j!
n
(j)
fn (0) =
( 1)j n p2n j q j n .
n! 2n j
j übrig, alle
Dies ist eine ganze Zahl, weil j n. Also ist auch Fn (0) eine ganze Zahl.
Nun zeigen wir, dass Fn (⇡) = Fn ( pq ) eine ganze Zahl ist. Dazu überlegen wir
uns, dass für alle x 2 R
(5.15)
fn (x) = fn ( pq
x)
5.19. RATIONALE, IRRATIONALE, ALGEBRAISCHE UND TRANSZENDENTE ZAHLEN275
gilt. In der Tat
fn ( pq
x) =
( pq
q( pq
x)n (p
x))n
=
( pq
x)n (qx))n
n!
n!
Aus (5.15) erhalten wir für alle x 2 R und alle j = 0, 1, . . . , 2n
fn(j) ( pq
= fn (x).
x) = ( 1)j fn(j) (x)
(j)
(j)
und damit, dass fn ( pq ) = ( 1)j fn (0) 2 Z. Schließlich erhalten wir Fn ( pq ) 2 Z.
Nun zeigen wir, dass
d
(F 0 (x) sin x Fn (x) cos x) = Fn00 (x) sin x + Fn (x) sin x = fn (x) sin x.
dx n
Wir müssen hierzu zeigen, dass Fn00 + Fn = fn gilt. Es gilt
(5.16)
Fn00
+ Fn
n
n
X
X
k (2k+2)
=
( 1) fn
+
( 1)k fn(2k)
k=0
k=0
n+1
n
X
X
k 1 (2k)
=
( 1) fn +
( 1)k fn(2k) = fn + ( 1)n fn(2n+2) .
k=1
Da
(2n+2)
fn
k=0
=0
Fn00 + Fn = fn .
Mit dem Hauptsatz der Di↵erential- und Integralrechnung und (5.16)
Z ⇡
⇡
(5.17)
fn (x) sin xdx = [Fn0 (x) sin x Fn (x) cos x]0 = Fn (⇡) Fn (0).
0
Andererseits gilt für alle x 2 (0, ⇡)
⇡ n pn
.
n!
Die linke Ungleichung gilt, weil sin auf (0, ⇡) strikt positiv ist und weil ⇡ = pq und
fn auf (0, pq ) strikt positiv ist. Wir weisen die rechte Ungleichung nach. Wegen
0 < x < ⇡ = pq gelten xn  ⇡ n und (p qx)n  pn . Deshalb
0 < fn (x) sin x 
⇡ n pn
.
n!
n!
Da fn · sin eine stetige Funktion ist, die auf dem Integrationsintervall mit Ausnahme
der Intervallendpunkte strikt positiv ist, folgt
Z ⇡
⇡ n+1 pn
0<
fn (x) sin xdx 
.
n!
0
fn (x) =
xn (p
qx)n

Mit (5.17)
⇡ n+1 pn
< 1.
n!
Fn (0) nach (5.14) eine ganze Zahl ist. 2
0 < Fn (⇡) + Fn (0) 
Dies kann nicht sein, weil Fn (⇡)
Cantor bewies 1874, dass die meisten Zahlen transzendent sind.
276
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Satz 5.19.3 (i) Die Menge der rationalen Zahlen und die Menge der algebraischen
Zahlen sind abzählbar.
(ii) Die Menge der irrationalen Zahlen und die Menge der transzendenten Zahlen
haben die Mächtigkeit der reellen Zahlen.
Lemma 5.19.1 [4] Für jede algebraische Zahl x mit Grad n > 1 existiert eine Zahl
c > 0, so dass für alle p 2 Z und alle q 2 N
p
c
> n
q
q
x
gilt.
Beweis. Es sei P ein irreduzibles Polynom mit P (x) = 0. Aus dem Mittelwertsatz
folgt
P ( pq ) = P (x) P ( pq ) = (x pq )P 0 (⇠).
Man kann annehmen, dass |x pq | < 1, sonst wäre das Ergebnis trivialerweise richtig.
Wegen ⇠ 2 [x, pq ], folgt weiter |⇠| < 1 + |x|. Hiermit folgt
1
|P 0 (⇠)| < .
c
Deshalb erhalten wir
|x
p
|
q
> c|P ( pq )|.
Da P irreduzibel ist, gilt P ( pq ) 6= 0 und q n P ( pq ) ist eine ganze Zahl, die dem Absolutbetrag nach größer oder gleich 1 ist. 2
Satz 5.19.4 Die Zahl
x=
1
X
10
k!
k=1
ist transzendent.
Beweis. Wir wählen
pj = 10j!
j
X
10
k!
qj = 10j! .
und
k=1
Dann gilt
x
2
1
X
pj
=
10
qj
k=j+1
k!
< 10
(j+1)!
1
X
k=0
10
k!
=
10 j
q
9 j
1
< qj j .
5.19. RATIONALE, IRRATIONALE, ALGEBRAISCHE UND TRANSZENDENTE ZAHLEN277
Unter Quadratur des Kreise versteht man die folgende Aufgabe. Zu einem
gegebenen Kreis soll man nur mit Zirkel und Lineal ein Quadrat konstruieren, das
denselben Flächeninhalt wie der Kreis hat.
Wenn wir annehmen, dass der Kreis den Radius 1 hat, dann bedeutet diese Aufgabe, dass man
p zu einem gegebenen Geradenstück der Länge 1 ein Geradenstück
der Länge ⇡ konstruiert. Diese Konstruktion soll nur mit Zirkel und Lineal
durchgeführt werden. Man kann zeigen, dass eine Konstruktion mit Zirkel und
Lineal auf ein Geradenstück mit einer Länge führt, die eine algebraische Zahl ist,
wenn man von einem Geradenstück
der Länge 1 ausgeht. Ein Beispiel hierfür ist die
p
Konstruktion der Länge 2, wobei man von der Länge 1 ausgeht.pMan konstruiert
ein Quadrat mit der Seitenlänge
1. Die Diagonale hat die Länge 2.
p
Hat man
mit den Seitp die Länge 2 konstruiert, dann kann man das Rechteck
p
enlängen 2 und 1 konstruieren.
Die
Diagonale
hat
die
Länge
3.
p
p Weil ⇡ und damit ⇡ transzendent ist, kann man kein Streckenstück der Länge
⇡ konstruieren.
Satz 5.19.5 Die Quadratur des Kreises ist nicht möglich.
278
CHAPTER 5. INTEGRALRECHNUNG
Chapter 6
Funktionen mehrerer reeller
Variablen
6.1
Zusammenhängende Mengen im Rn
Die Verbindungsstrecke [x, y] zwischen zwei Punkten x, y 2 Rn ist die Menge
{z|9t 2 [0, 1] : z = tx + (1
t)y}
Eine Teilmenge M des Rn heißt polygonzusammenhängend, falls es für alle x, y 2 M
endlich viele Punkte x1 , . . . , xm 2 M gibt, so dass x = x1 , y = xm und
P=
m
[1
i=1
[xi , xi+1 ] ✓ M
gilt. Man nennt P einen Polygonzug und sagt, dass x und y durch einen Polygonzug
verbunden werden können.
M heißt bogenzusammenhängend, falls für alle x, y 2 M eine stetige Funktion
f : [0, 1] ! Rn existiert, so dass f (0) = x, f (1) = y und f ([0, 1]) ✓ M gelten.
Eine Teilmenge M eines metrischen Raumes (X, d) heißt nicht zusammenhängend,
falls es zwei o↵ene Mengen U und V von X mit
M \ U 6= ;
M \ V 6= ;
(M \ U) [ (M \ V) = M
(M \ U) \ (M \ V) = ;
gibt. Eine Menge M ist also zusammenhängend, wenn man solche Mengen U und
V nicht finden kann.
Satz 6.1.1 Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) metrische Räume und f : X ! Y eine
stetige Funktion mit f (X) = Y . Falls X eine zusammenhängende Menge ist, dann
ist auch Y eine zusammenhängende Menge.
279
280
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Beweis. Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) metrische Räume und f : X ! Y eine
stetige Funktion. Wir zeigen, dass X nicht zusammenhängend ist, falls Y nicht
zusammenhängend ist.
Falls Y nicht zusammenhängend ist, dann gibt es zwei nichtleere, o↵ene Mengen
A und B mit
A\B =;
A[B =Y
Da f stetig ist, sind auch f
1
(A) und f
f
1
f
1
1
(B) o↵en. Wegen A \ B = ; folgt
(A) \ f
1
(A) [ f
1
(B) = ;
und wegen A [ B = Y gilt
(B) = X
Also ist X nicht zusammenhängend. 2
Beispiel 6.1.1 (i) R ist zusammenhängend.
(ii) [0, 1] ist zusammenhängend.
Beweis. (i) Wir nehmen an, dass R nicht zusammenhängend ist. Dann gibt es zwei o↵ene,
nichtleere Mengen A und B mit
A[B =R
A\B =;
Wir können annehmen, dass es ein a0 2 A und ein b0 2 B mit a0 < b0 gibt. Wir betrachten
c = sup{a 2 A|a < b0 }
Dann gilt c 2
/ A. Falls nämlich c 2 A, dann gäbe es eine Umgebung von c, die ganz in A liegt
und c kann nicht das Supremum sein. Wegen c 2
/ A folgt c 2 B. Da B o↵en ist, muss eine ganze
Umgebung von c in B enthalten sein. Also kann c nicht Supremum sein.
(ii) [0, 1] ist das stetige Bild von R, z.B. ist [0, 1] das Bild der stetigen Abbildung |sin|. 2
Satz 6.1.2 Es sei M eine Teilmenge des Rn .
(i) Falls M polygonzusammenhängend ist, so ist M auch bogenzusammenhängend.
(ii) Falls M bogenzusammenhängend ist, so ist M auch zusammenhängend.
Beweis. (i) Ein Polygonzug ist der Graph einer stetigen Funktion.
(ii) Da M bogenzusammenhängend ist, gibt es für alle x, y 2 M einen Weg
: [0, 1] ! Rn mit
(0) = x
(1) = y
([0, 1]) ✓ M
Wir nehmen an, dass M nicht zusammenhängend ist. Es gibt also o↵ene Mengen A
und B mit
A\B\M =;
M ✓A[B
A \ M 6= ;
B \ M 6= ;
6.1. ZUSAMMENHÄNGENDE MENGEN IM RN
281
Wir wählen nun x 2 A \ M und y 2 B \ M . Es gibt einen Weg , der die beiden
Punkte verbindet. Die Menge ([0, 1]) ist das stetige Bild einer zusammenhängenden
Menge also selbst zusammenhängend. Andererseits gelten
A \ ([0, 1]) 6= ;
A \ B \ ([0, 1]) = ;
Also ist
B \ ([0, 1]) 6= ;
A \ ([0, 1])) [ (B \ ([0, 1])) = ([0, 1])
([0, 1]) nicht zusammenhängend, was ein Widerspruch ist. 2
Satz 6.1.3 Es sei M eine o↵ene Teilmenge vom Rn . Dann sind äquivalent:
(i) M ist zusammenhängend.
(ii) M ist bogenzusammenhängend.
(iii) M ist polygonzusammenhängend.
Beweis. Die Implikationen (iii) ) (ii) ) (i) folgen aus Satz 6.1.2.
(i) ) (iii): Wir wählen einen beliebigen Punkt x0 2 M . Es sei Mx0 die Menge
aller Punkte, die mit x0 durch einen Polygonzug verbunden werden können. Falls
M = Mx0 , dann ist M polygonzusammenhängend.
Wir betrachten nun den Fall, dass Mx0 6= M . Wir zeigen, dass Mx0 o↵en ist.
Dazu müssen wir zeigen, dass wir zu jedem x 2 Mx0 eine Umgebung finden, die
ganz in Mx0 liegt. Zu x 2 Mx0 wählen wir eine o↵ene Kugel B(x, ✏), die ganz in M
liegt und deren Mittelpunkt x ist. Es sei
N
[
[x` 1 , x` ]
`=1
ein Polygonzug, der x0 und x verbindet und der in M liegt. Weiter sei y 2 B(x, ✏).
Dann ist
N
[
[x` 1 , x` ] [ [x, y]
`=1
ein Polygonzug, der x0 mit y verbindet und der in M liegt.
Ebenso zeigen wir, dass die Menge Nx0 aller x 2 M , die man nicht mit x0 durch
einen Polygonzug verbinden kann, o↵en ist. Wir betrachten einen Punkt y dieser
Menge und eine Kugel B(y, ✏) mit Mittelpunkt y, die ganz in M liegt. Dann müssen
alle Elemente dieser Kugel ebenfalls in Nx0 liegen. Falls nicht, so gibt es ein x 2 Mx0 ,
das in der Kugel B(y, ✏) liegt und damit einen Polygonzug
N
[
[y` 1 , y` ]
`=1
der x mit x0 verbindet (y0 = x0 und yN = x). Diesen Polygonzug können wir bis y
verlängern:
N
[
[y` 1 , y` ] [ [x, y].
`=1
282
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Somit liegt y in Mx0 , was falsch ist.
Also gibt es zwei o↵ene Teilmengen Mx0 und Nx0 , die disjunkt sind und deren
Vereinigung gleich M ist. Damit ist M nicht zusammenhängend. 2
Eine Menge, die o↵en und zusammenhängend ist, heißt Gebiet.
Beispiel 6.1.2 (i) Die Teilmenge
{(x, y)|x2 + y 2 = 1}
des R2 ist bogenzusammenhängend, aber nicht polygonzusammenhängend.
(ii) Die Teilmenge
{(x, y)|x = 0, y 2 R} [ {(x, y)|x 2 (0, 1] und y = sin x1 }
des R2 ist zusammenhängend, aber nicht bogenzusammenhängend.
Beweis. (ii) Wir bezeichnen
L = {(0, y)|y 2 R}
S = (x, y)|y = sin x1 und x 2 (0, 1]
Wir nehmen an, dass M = L [ S nicht zusammenhängend ist. Dann gibt es o↵ene Teilmengen A
und B mit
A\B\M =;
A[B ◆M
A \ M 6= ;
B \ M 6= ;
Wir betrachten zunächst den Fall
A\M =L
B\M =S
Da A o↵en ist, gibt es ein ✏ > 0, so dass
B((0, 0), ✏) ✓ A
Hieraus folgt
B((0, 0), ✏) \ M ✓ A \ M = L
1
Andererseits gilt für alle n 2 N, dass ( 2⇡n
, 0) 2 S. Wir können n hinreichend groß wählen, so dass
(
1
, 0) 2 B((0, 0), ✏)
2⇡n
Das ist ein Widerspruch.
Wir wenden uns nun dem Fall zu, dass
A \ M 6= L
B \ M 6= S
Dann muss einer der folgenden Fälle gelten.
A \ L 6= ;
und
B \ L 6= ;
A \ S 6= ;
und
B \ S 6= ;
oder
Deshalb ist L oder S nicht zusammenhängend. Dies ist aber falsch.
Wir zeigen nun, dass M nicht bogenzusammenhängend ist. Wir nehmen an, dass M bogenzusammenhängend ist. Insbesondere gibt es eine stetige Funktion : [0, 1] ! M mit (0) = (0, 0)
und (1) = (1, sin 1). Dann sind die beiden Koordinatenfunktionen 1 und 2 von stetig. Es
gilt 1 (0) = 0 und 1 (1) = 1. Da 1 stetig ist, nimmt 1 nach dem Zwischenwertsatz alle Werte
6.1. ZUSAMMENHÄNGENDE MENGEN IM RN
283
1
des Intervalls [0, 1] an. Also gibt es Zahlen tk 2 [0, 1] mit 1 (tk ) = 2⇡k
, k 2 N. Da tk , k 2 N, eine
beschränkte Folge ist, gibt es eine Teilfolge tki , i 2 N, die in [0, 1] konvergiert also
t0 = lim tki
i!1
Es folgt
lim (tki ) = lim (
i!1
Da 1 stetig ist und
si 2 (tki , tki+1 ) mit
i!1
1 (tki ),
2 (tki ))
= lim
i!1
✓
◆
1
, 0 = (0, 0)
2⇡ki
1
1
1 (tki ) = 2⇡ki und 1 (tki+1 ) = 2⇡ki+1 , gibt es nach dem
1
1 (si ) = ⇡(2ki + 1 ) . Die Folge si , i 2 N, konvergiert und
2
lim (si ) = lim
i!1
i!1
✓
1
⇡(2ki + 12 )
Zwischenwertsatz ein
◆
, 1 = (0, 1)
Dies ist ein Widerspruch, weil limi!1 (si ) = limi!1 (tki ). 2
Beispiel 6.1.3 [107] Es seien a, b 2 R mit a, b > 0 und a0 = a, b0 = b
an+1 =
p
an bn
bn+1 =
an + bn
2
2
für n = 0, 1, 2, . . . . Zeige: Die Folge {(an , bn )}1
n=0 konvergiert in R gegen den Punkt (agm, agm)
wobei
! 1
Z ⇡2
⇡
1
p
agm =
dt
.
2
0
a2 cos2 t + b2 sin2 t
Man nennt agm das arithmetisch-geometrische Mittel von a und b.
Beweis. Es reicht zu zeigen,
p dass an , n 2 N, und bn , n 2 N, in R gegen agm konvergieren.
Für alle s, t 0 gilt st  s+t
2 . Wir zeigen, dass für alle n = 1, 2, . . .
an  bn
bn+1  bn
p
gelten. Die Ungleichung an  bn folgt sofort aus der Ungleichung st 
Ungleichung an  bn
an+1 =
p
an bn
an  an+1
p
a2n = an
bn+1 =
s+t
2 .
Weiter folgt aus der
an + bn
 bn
2
Hieraus folgt, dass an , n 2 N eine beschränkte, monoton wachsende Folge ist, also eine konvergente
Folge ist. bn , n 2 N, ist eine beschränkte, monoton fallende Folge, also konvergent. Wir zeigen,
dass die Grenzwerte gleich sind.
lim bn+1 = lim
n!1
n!1
an + bn
1
1
=
lim an + lim bn
2
2 n!1
2 n!1
Also gilt
lim an = lim bn
n!1
n!1
Damit konvergiert die Folge (an , bn ), n 2 N, in R2 . Wir weisen jetzt nach, dass der Grenzwert
(agm, agm ist. Dazu weisen wir zunächst nach, dass
Z
0
gilt.
⇡
2
1
p
dt =
2
2
a cos t + b2 sin2 t
Z
0
⇡
2
1
q
dt
a+b 2
( 2 ) cos2 t + ab sin2 t
284
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Es gilt
Z
0
⇡
R⇡
1
1
p
d⇥ = 0 p
(c+d)2 2cd(1
c2 + 2cd cos ⇥ + d2
R⇡
1
= 0 p
2
4cd sin2
(c+d)
Mit der Transformation = ⇥
2 erhalten wir
Z ⇡
1
p
d⇥
2 + 2cd cos ⇥ + d2
c
0
=2
=2
R
⇡
2
0
R
⇡
2
0
⇥
2
1
(c+d)2 4cd sin2
p
d⇥
d⇥
d
1
(c+d)2 cos2 +(c d)2 sin2
p
Andererseits gilt für c > d
Z ⇡
Z ⇡2
1
p
q
d⇥ = 2
c2 + 2cd cos ⇥ + d2
0
0
c2 cos2
d
1
+ (c2
d
d2 ) sin2
c
ψ−Θ
r
cos ⇥)
c sin Θ
Θ
ψ
c cos Θ
Halbkreis mit Radius c
Es gilt
r2 = (c sin ⇥)2 + (d + c cos ⇥)2 = c2 + cd cos ⇥ + d2
c sin ⇥
⇥+d
tan = c cos
r = c cos
⇥+d
cos
sin(⇥
)=
d
c
sin
Damit folgt
d
tan
d⇥
und
1
cos2
=
d
c sin ⇥
d⇥ c cos ⇥ + d
d
c2 cos2 ⇥ + cd cos ⇥ + c2 sin2 ⇥
=
d⇥
(c cos ⇥ + d)2
c cos ⇥ + d d
c2 sin2 ⇥
= c cos ⇥ +
= c cos ⇥ + c sin ⇥ tan
2
cos
d⇥
c cos ⇥ + d
6.1. ZUSAMMENHÄNGENDE MENGEN IM RN
Hiermit folgt
Z ⇡
0
285
c cos ⇥ + d d
= c cos ⇥ cos + c sin ⇥ sin = c cos(
cos
d⇥
p
d
d
c cos(
⇥) = r
= c2 + 2cd cos ⇥ + d2
d⇥
d⇥
1
p
d⇥ =
2
c + 2cd cos ⇥ + d2
Z
⇡
1
d
d⇥ =
⇥) d⇥
c cos(
0
Z
⇥)
⇡
1
c cos(
0
⇥)
d
wobei ⇥ = ⇥( ). Aus der Skizze ist |
⇥| < ⇡2 und damit cos(
⇥) > 0 zu entnehmen. Deshalb
ist das letzte Integral gleich
Z
Z
1 ⇡
1
1 ⇡
1
q
q
d
=
d
2
c 0
c 0
1 dc2 sin2
1 sin2 (
⇥)
Z ⇡2
1
p
= 2
d
0
c2 d2 sin2
Z ⇡2
1
q
= 2
d
0
(c2 d2 ) sin2 + c2 cos2
Es folgt
Z
0
⇡
2
q
(c + d)2 cos2
1
+ (c
Nun setzen wir a = c + d und b = c
c2
Also gilt
d2 = (c + d)(c
Z
0
⇡
2
d =
d)2 sin2
Z
⇡
2
0
d. Damit gilt
d) = ab
c=
1
p
dt =
2
2
a cos t + b2 sin2 t
Z
⇡
2
0
q
(c2
1
d
d2 ) sin2
(c + d) + (c
2
d)
+ c2 cos2
=
a+b
2
1
q
dt
a+b 2
( 2 ) cos2 t + ab sin2 t
Hiermit können wir nun zeigen, dass die Grenzwerte von an , n 2 N, und bn , n 2 N, gleich agm
sind. Mit Induktion folgt für n = 1, 2, . . .
Z ⇡2
Z ⇡2
1
1
p
q
dt =
dt
2
2
2
2
0
0
a cos t + b sin t
a2n cos2 t + b2n sin2 t
Es folgt weiter
Z ⇡2
1
p
dt =
0
a2 cos2 t + b2 sin2 t
lim
n!1
=
Z
=
Z
⇡
2
⇡
2
0
1
q
dt
a2n cos2 t + b2n sin2 t
1
lim q
dt
2
2
an cos t + b2n sin2 t
n!1
0
0
Z
⇡
2
1
q
dt
limn!1 a2n cos2 t + limn!1 b2n sin2 t
Da die Grenzwerte der Folgen gleich sind, folgt weiter
Z ⇡2
Z ⇡2
1
1
1
1
⇡
p
p
dt =
dt =
.
2
2
2
2
2
2
lim
a
lim
a
n!1 n 0
n!1 n 2
0
a cos t + b sin t
cos t + sin t
286
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
2
Zum Schluss noch ein Auszug aus dem Buch ”Einführung in die informationstheoretische Ästhetik” von M. Bense [Ben, p.88-89]. In dem Abschnitt ”Texttopologie”
schreibt er:
Wie die mathematische Disziplin der Topologie sich mit Mengen von Elementen,
etwa Punkten, befaßt, deren Gesamtheiten als Räume bezeichnet werden, versucht
die Texttopologie in entsprechender Weise von Texten als Worträumen zu sprechen,
deren Elemente Wörter oder andere linguistische Elemente wie etwa Buchstaben des
Alphabets oder Morpheme sind......
Die topologische Struktur eines Textes - die texttopologische Struktur - kann
allgemein als das System der Umgebungen seiner Wörter und damit natürlich auch
als ein System der Teilmengen des allgemeinen zugrundeliegenden Wortraumes, also
des Textes aller Texte, aufgefaßt werden.
Ich sagte bereits, dass Texte Zusammenhänge von Wörtern formulieren. Die
Frage nach der Struktur eines Zusammenhangs ist eine ausgesprochen topologische
Frage. Doch setzt der Sinn dieser Frage einen anderen, ebenso wichtigen Begri↵
der Topologie voraus, den Begri↵ der o↵enen bzw. abgeschlossenen Menge. Der
Begri↵ <abgeschlossen> fungiert in der Topologie einfach als Komplement zum
Begri↵ <o↵en>, aber man sollte beide nicht allzu eng mit bildlichen Vorstellungen
verbinden. Vielleicht ist es gut, daran zu erinnern, daß der Begri↵ o↵ene Menge etwa
in dem Sinne verwendet wird, wie man <o↵enes Meer> sagt und daran denkt, daß
sich sein Horizont in einem gewissen Sinne immer weiter hinausschiebt. Jedenfalls
soll der Begri↵ O↵enheit einer Menge oder eines Raumes zum Ausdruck bringen,
daß noch eine Ergänzung möglich ist, die erst die Abgeschlossenheit erzeugt.
Die topologische Definition des Zusammenhangs besagt nun, daß eine Menge
zusammenhängend genannt werden darf, wenn sie nicht in zwei o↵ene oder, was
damit gleichbedeutend wäre, in zwei abgeschlossene Teilmengen zerlegbar ist. Überträgt
man diesen Aspekt auf Texte, so muß von zwei Wörtern oder sprachlichen Ausdrücken,
die einen Text bilden sollen, der eine Teil als o↵en bezeichnet werden können und
der der andere als abgeschlossen, damit von einem Zusammenhang die Rede sein
kann. Daß das möglich ist, erkennt man am Beispiel eines elementaren Satzes wie
<Das Meer ist grün>.
Der Subjektteil des Satzes,<Das Meer>, kannn als abgeschlossener Ausdruck
angesehen werden; er ist keiner Ergänzung bedürftig, um sinnvoll zu sein; er hat
eine klaren Objektbezug. Der Prädikatteil des Satzes hingegen <ist grün> muß als
o↵ener Ausdruck betrachtet werden; der Logiker Frege bezeichnete das Prädikat
als <ungesättigten Ausdruck>; tatsächlich fungiert ein Prädikat erst im Hinblick
auf das Subjekt sinnvoll.
Der Satz <Das Meer is grün> bildet daher im texttopologischen Sinne einen
Zusammenhang, weil er nicht in zwei o↵ene oder abgeschlossene Teilmengen zerlegbar ist, sondern in eine abgeschlossene und in eine o↵ene.
6.2. RICHTUNGSSTETIGKEIT, RICHTUNGSABLEITUNG UND PARTIELLE ABLEITUNGEN287
6.2
Richtungsstetigkeit, Richtungsableitung und
Partielle Ableitungen
Eine Richtung im Rn ist durch einen Vektor ⇠ 2 Rn mit
k⇠k2 =
n
X
i=1
|⇠i |2
! 12
=1
gegeben.
Definition 6.2.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge vom Rn . Eine Funktion f : U !
R heißt in x0 2 U in Richtung ⇠ stetig, falls es ein ⌘ > 0 gibt, so dass die Funktion
g : ( ⌘, ⌘) ! R mit g(t) = f (x0 + t⇠) in 0 stetig ist.
gilt
Äquivalent kann man sagen: Für alle reelle Folgen hk , k 2 N, mit limk!1 hk = 0
lim f (x0 + hk ⇠) = f (x0 ).
k!1
Falls f in x0 stetig ist, so ist f auch in jede Richtung stetig. Die Umkehrung gilt
nicht, wie das erste Beispiel belegt.
Beispiel 6.2.1 Es sei f : R2 ! R durch
(
1
f (x, y) =
0
falls y = x2 und x > 0
sonst
gegeben. f ist in (0, 0) nicht stetig, aber f ist in (0, 0) in jede Richtung stetig.
Beweis. Für die Folge ( k1 , k12 ), k 2 N, gilt
f ( k1 , k12 ) = 1.
Es folgt
lim f ( k1 , k12 ) = 1 6= 0 = f (0, 0).
k!1
Damit ist f in (0, 0) nicht stetig. 2
Definition 6.2.2 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn . Eine Funktion f : U ! R
heißt in x0 2 U in Richtung ⇠ di↵erenzierbar, falls
@f
f (x0 + h⇠)
(x0 ) = lim
h!0
@⇠
h
f (x0 )
existiert. Wir nennen diesen Wert die Richtungsableitung von f in Richtung ⇠.
288
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Es seien
ei = (0, . . . , 0, 1, 0 . . . , 0)
i = 1, . . . , n
die Einheitsvektoren. Die Richtungsableitung von f in Richtung ei wird als die i-te
partielle Ableitung bezeichnet und mit
@f
(x0 )
@xi
i = 1, . . . , n
notiert. Dies ist also gleich der Ableitung der Funktion g : (x0 (i) ⌘, x0 (i) + ⌘) ! R
mit
g(t) = f (x0 (1), . . . , x0 (i 1), t, x0 (i + 1), . . . , x0 (n))
im Punkt t = x0 (i).
Beispiel 6.2.2 (i) Es sei f : R2 ! R mit f (x, y) = exy . Dann gilt
@f
= yexy
@x
@f
= xexy
@y
(ii) Es sei f : R2 ! R mit f (x, y) = sin(xy). Dann gilt
@f
= y cos(xy)
@x
@f
= x cos(xy)
@y
sin(xy)
1
0.5
2
0
1
-0.5
-1
-2
0
-1
-1
0
1
2 -2
(iii) Es sei f : R2 ! R mit f (x, y) = x2 y 3 . Dann gilt
@f
= 2xy 3
@x
@f
= 3x2 y 2
@y
6.3. DIFFERENZIERBARKEIT IM RN
(iv) Es sei f : R2 ! R mit
f (x, y) =
(
1
0
289
falls x = 0 oder y = 0
sonst
Dann ist f nicht in (0, 0) stetig, aber die partiellen Ableitungen existieren in (0, 0) und es gelten
@f
(0, 0) = 0
@x
@f
(0, 0) = 0.
@y
und
Beweis. (iv) Wir zeigen, dass f nicht in (0, 0) stetig ist. Es gelten f (0, 0) = 1 und
lim f ( k1 , k1 ) = 0.
k!1
2
Es sei U eine o↵ene Teilmenge vom Rn und x0 2 U. Die Funktion f : U ! R sei
in x0 partiell di↵erenzierbar, d.h. die partiellen Ableitungen existieren. Der Vektor
✓
◆
@f
@f
grad f (x0 ) =
(x0 ), . . . ,
(x0 )
@x1
@xn
heißt Gradient von f . Wir schreiben auch rf (x0 ) für grad f (x0 ). Der Ausdruck r
wird Nabla genannt, weil er die Form eines harfenähnlichen jüdischen Saiteninstrumentes hat.
6.3
Di↵erenzierbarkeit im Rn
Wir führen hier die Di↵erenzierbarkeit von Funktionen mehrerer Veränderlicher ein.
Dabei zeigen wir, dass sich die Ableitung einer Funktion die Matrix ihrer partiellen Ableitungen ist. Eine wichtige Frage ist, wie man leicht nachweist, dass eine
gegebene Funktion di↵erenzierbar ist. Satz 6.3.4 stellt sicher, dass eine Funktion
di↵erenzierbar ist, wenn ihre partiellen Ableitungen stetig sind.
Definition 6.3.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und x0 2 U. Eine Funktion f : U ! R heißt di↵erenzierbar (oder auch total di↵erenzierbar) in x0 , falls es
eine lineare Abbildung T : Rn ! R gibt, so dass
(6.1)
lim
f (x0 + h)
h!0
f (x0 )
khk
Th
=0
gilt. Die lineare Abbildung T heißt das Di↵erential oder auch totales Di↵erential
von f . Wir schreiben für T auch df (x0 ).
Die Bedingung (6.1) lässt sich auch anders schreiben: Es gibt eine lineare Abbildung T : Rn ! R, eine Umgebung V(x0 ) von x0 und eine Abbildung R : V(x0 ) ! R,
so dass für alle h mit x0 + h 2 V(x0 )
f (x0 + h)
f (x0 ) = T h + R(h),
290
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
und
lim
h!0
R(h)
=0
khk
gelten. Die Äquivalenz zur Definition der Di↵erenzierbarkeit ergibt sich, indem man
R(h) = f (x0 + h)
f (x0 )
Th
wählt.
Die Matrixdarstellung (T (e1 ), . . . , T (en )) von T bzgl. der Standardbasis e1 , . . . , en
des Rn bezeichnen wir als die Ableitung von f im Punkt x0 . Wir schreiben dafür
auch (df (x0 )(e1 ), . . . , df (x0 )(en )). Wir schreiben für die Ableitung an der Stelle x0
auch
df
df (x0 )
(x0 )
bzw.
dx
dx
df
und für die Funktion, die einem Punkt die Ableitung zuordnet dx
.
Wenn wir T in der Matrixdarstellung bzgl. der Standardbasis e1 , . . . , en betrachten, dann nimmt die Definition der Di↵erenzierbarkeit die folgende Form an: Es
sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und x0 2 U. Eine Funktion f : U ! R heißt
di↵erenzierbar in x0 , falls es einen Vektor c = (c1 , . . . , cn ) 2 Rn , eine Umgebung
V(x0 ) und eine Funktion : V(x0 ) ! R gibt, so dass für alle x 2 V(x0 )
f (x) = f (x0 )+ < c, x
x0 > + (x)kx
x0 k
und
(x0 ) = lim (x) = 0
x!x0
gelten. Der Vektor c ist Ableitung von f in x0 .
Als geometrische Interpretation für die Ableitung einer Funktion f : R ! R
hatten wir angegeben, dass f durch eine Gerade approximiert werden kann. Für
eine Funktion f : Rn ! R kann man sagen, dass der Graph von f durch eine Ebene
approximiert werden kann.
Satz 6.3.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und x0 2 U. Die Funktion
f : U ! R sei in x0 di↵erenzierbar. Dann existieren alle partiellen Ableitungen und
die Ableitung von f in x0 ist
✓
◆
@f
@f
(x0 ), . . . ,
(x0 )
@x1
@xn
Beweis. Es sei V(x0 ) eine Umgebung von x0 , so dass für alle x 2 V(x0 )
f (x) = f (x0 )+ < c, x
x0 > + (x)kx
x0 k
gilt. Wir setzen x = x0 + hek . Dann gilt
f (x0 + hek ) = f (x0 )+ < c, hek > + (x0 + hek )khek k
= f (x0 ) + hck + |h| (x0 + hek ).
6.3. DIFFERENZIERBARKEIT IM RN
291
Es folgt
Wegen limx!x0
f (x0 + hek )
h
(x) = 0 folgt
f (x0 )
@f
f (x0 + hek )
(x0 ) = lim
h!0
@xk
h
= ck +
f (x0 )
|h|
(x0 + hek ).
h
|h|
(x0 + hek ) = ck .
h!0 h
= ck + lim
⇤
Bemerkung 6.3.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und x0 2 U. Die Funktion f : U ! R sei in x0 di↵erenzierbar. Dann ist f in jede Richtung ⇠, k⇠k2 = 1,
di↵erenzierbar und die Richtungsableitung erfüllt
@f
(x0 ) =< rf (x0 ), ⇠ >
@⇠
und
@f
(x0 )  krf (x0 )k2 =
@⇠
n
X
@f
(x0 )
@xi
i=1
2
! 12
.
Beweis. Mit Satz 6.3.1 folgt
f (x) = f (x0 )+ < rf (x0 ), x
x0 > + (x)kx
x0 k.
Mit x = x0 + h⇠ erhalten wir
f (x0 + h⇠) = f (x0 )+ < rf (x0 ), h⇠ > + (x0 + h⇠)kh⇠k
= f (x0 ) + h < rf (x0 ), ⇠ > +|h| (x0 + h⇠).
Es folgt
f (x0 + h⇠)
h
Damit erhalten wir
f (x0 )
=< rf (x0 ), ⇠ > +
@f
f (x0 + h⇠)
(x0 ) = lim
h!0
@⇠
h
f (x0 )
|h|
(x0 + h⇠).
h
=< rf (x0 ), ⇠ > .
Die Abschätzung folgt mit der Abschätzung von Cauchy-Schwarz,
@f
(x0 ) = |< rf (x0 ), ⇠ >|  krf (x0 )k2 k⇠k2 = krf (x0 )k2
@⇠
2
Falls eine Funktion in einem Punkt in jede Richtung di↵erenzierbar ist, so muss
sie nicht notwendig in diesem Punkt di↵erenzierbar sein. Die Funktion von Beispiel
6.2.1 ist in (0, 0) in jede Richtung di↵erenzierbar, aber nicht in (0, 0) di↵erenzierbar.
292
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Die Bemerkung zeigt, dass die Richtung
⇠=
rf (x0 )
krf (x0 )k
rf (x0 )
die Richtung des größten Anstiegs ist. Für ⇠ = krf
gilt
(x0 )k
⌧
@f
rf (x0 )
(x0 ) = rf (x0 ),
= krf (x0 )k
@⇠
krf (x0 )k
während für beliebige ⇠
@f
(x0 )  krf (x0 )k
@⇠
gilt.
Satz 6.3.2 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei in x0 differenzierbar. Dann existiert zu jedem ✏ > 0 ein > 0, so dass für alle x 2 U mit
kx x0 k2 <
|f (x) f (x0 )|  (krf (x0 )k2 + ✏)kx x0 k2 .
Beweis. Es gilt
f (x) = f (x0 )+ < rf (x0 ), x
x0 > + (x)kx
x0 k2 .
Da limx!x0 (x) = 0 gilt, gibt es ein > 0, so dass für alle x mit kx
Abschätzung | (x)| < ✏ gilt. Es ergibt sich
|f (x)
f (x0 )|  | < rf (x0 ), x
 krf (x0 )k2 kx
x0 k2 <
die
x0 > | + ✏kx x0 k2
x0 k2 + ✏kx x0 k2 .
2
Satz 6.3.3 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei in x0 differenzierbar. Dann ist f in x0 stetig.
Beweis. Nach Satz 6.3.2 gibt es ein
|f (x)
0,
so dass für alle x mit kx
f (x0 )|  (krf (x0 )k2 + 1)kx
x0 k2 <
x0 k2
gilt. Zu gegebenem ✏ wählen wir
= min
Dann gilt für alle x mit kx
|f (x)
2
⇢
0,
✏
krf (x0 )k2 + 1
.
x0 k2 <
f (x0 )|  (krf (x0 )k2 + 1)kx
x0 k2 < (krf (x0 )k2 + 1) = ✏.
0
6.3. DIFFERENZIERBARKEIT IM RN
293
Satz 6.3.4 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R. Es existiere
eine Umgebung V(x0 ) mit V(x0 ) ⇢ U, so dass die partiellen Ableitungen
@f
: V(x0 ) ! R
@xi
i = 1, . . . , n
existieren und in x0 stetig sind. Dann ist f in x0 di↵erenzierbar.
Mit Satz 6.3.4 kann man in den meisten Fällen nachweisen, dass eine Funktion
di↵erenzierbar ist. Zum richtigen Verständnis sei hier noch einmal betont: Man
@f
muss nachweisen, dass @x
als Funktion von V(x0 ) nach R, also als Funktion von n
i
@f
Veränderlichen in x0 stetig ist. @x
wird als Funktion von n Variablen aufgefasst.
i
Beweis. Es sei t 2 Rn . Dann gilt
f (x0 + t) = f (x0 )
+f (x0 (1) + t(1), x0 (2), . . . , x0 (n)) f (x0 )
..
.
+f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k) + t(k), x0 (k + 1), . . . , x0 (n))
f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k 1) + t(k 1), x0 (k), . . . , x0 (n))
..
.
f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (n) + t(n))
f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (n 1) + t(n 1), x0 (n)).
Also
n
X
f (x0 + t) = f (x0 ) +
(f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k) + t(k), x0 (k + 1), . . . , x0 (n))
k=1
f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k
1) + t(k
1), x0 (k), . . . , x0 (n)))
Dies nennt man eine Teleskopsumme. Wir wenden nun den Mittelwertsatz der
Di↵erentialrechnung (Satz 3.6.2) auf die Funktionen gk : [x0 (k), x0 (k) + t(k)] ! R,
k = 1, . . . , n mit
gk (s) = f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k
1) + t(k
1), s, x0 (k + 1), . . . , x0 (n))
an. Nach dem Mittelwertsatz gibt es für alle k = 1, . . . , n
⇠k 2 (x0 (k), x0 (k) + t(k))
mit
gk (x0 (k) + t(k)) gk (x0 (k))
t(k)
1
=
(f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k) + t(k), x0 (k + 1), . . . , x0 (n))
t(k)
f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k 1) + t(k 1), x0 (k), . . . , x0 (n))).
gk0 (⇠k ) =
294
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Hieraus folgt sofort für alle k = 1, . . . , n
f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k) + t(k), x0 (k + 1), . . . , x0 (n))
f (x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k 1) + t(k 1), x0 (k), . . . , x0 (n))
@f
= t(k)
(x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k 1) + t(k 1), ⇠k , x0 (k + 1), . . . , x0 (n)).
@xk
Damit folgt
f (x0 + t) = f (x0 )
n
X
@f
+
t(k)
(x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k
@x
k
k=1
1) + t(k
1), ⇠k , x0 (k + 1), . . . , x0 (n)).
1) + t(k
1), ⇠k , x0 (k + 1), . . . , x0 (n))
Also gilt
f (x0 + t)
f (x0 )
n
X
k=1
t(k)
@f
(x0 )
@xk
✓
@f
=
t(k)
(x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k
@xk
k=1
n
X
◆
@f
(x0 ) .
@xk
Wir setzen nun
(x0 + t)
✓
n
X
t(k) @f
=
(x0 (1) + t(1), . . . , x0 (k
ktk @xk
k=1
1) + t(k
1), ⇠k , x0 (k + 1), . . . , x0 (n))
◆
@f
(x0 ) .
@xk
Wegen der Stetigkeit der partiellen Ableitungen gilt
lim (x0 + t) = 0
t!0
und es folgt
f (x0 + t)
f (x0 )
n
X
k=1
t(k)
@f
(x0 ) = ktk (x0 + t).
@xk
2
Beispiel 6.3.1 (i) Es sei f : R2 ! R mit f (x, y) = exy . Dann ist f auf R2 di↵erenzierbar und
die Ableitung ist
✓
◆
@f @f
,
= (yexy , xexy ).
@x @y
6.3. DIFFERENZIERBARKEIT IM RN
295
(ii) Es sei f : R2 ! R mit f (x, y) = sin(xy). Dann ist f auf R2 di↵erenzierbar und die Ableitung
ist
✓
◆
@f @f
,
= (y cos(xy), x cos(xy)).
@x @y
(iii) Es sei f : (0, 1) ⇥ R ! R durch f (x, y) = xy gegeben. Dann ist f di↵erenzierbar und die
Ableitung ist
✓
◆
@f @f
,
= (yxy 1 , (ln x)xy ).
@x @y
In allen Fällen reicht es die Stetigkeit der partiellen Ableitungen nachzuprüfen und Satz 6.3.4
anzuwenden.
Beweis. (i) Wir zeigen, dass die partiellen Ableitungen stetig sind. Die Abbildungen p, q : R2 ! R
mit p(x, y) = x und q(x, y) = y sind stetig. Produkte von stetigen Funktionen sind stetig, also ist
p · q mit p · q(x, y) = x · y stetig. Hintereinanderausführungen von stetigen Funktionen sind stetig.
Deshalb ist ep·q stetig. 2
Ein Beispiel einer Funktion, die in einem Punkt di↵erenzierbar ist, die partiellen
Ableitungen aber unstetig sind, ist das folgende. Es ist eine Variation eines Beispiels
für Funktionen von R nach R (Beispiel 3.5.3).
Beispiel 6.3.2 Es sei f : R2 ! R durch
8 2
1
< (x + y 2 ) sin x2 +y2
f (x, y) =
:
0
(x, y) 6= (0, 0)
(x, y) = (0, 0)
gegeben. Die Funktion ist überall di↵erenzierbar, die partiellen Ableitungen sind nur in (0, 0)
unstetig.
Beweis. Die Funktion ist überall di↵erenzierbar. Die partiellen Ableitungen existieren überall
und sind bis auf (0, 0) überall stetig. Die partiellen Ableitungen für (x, y) 6= (0, 0) sind
@f
1
= 2x sin 2
@x
x + y2
2x
1
cos 2
x2 + y 2
x + y2
@f
1
= 2y sin 2
@y
x + y2
x2
2y
1
cos 2
2
+y
x + y2
Die partiellen Ableitungen sind stetig in allen (x, y) 6= (0, 0). Damit ist f für (x, y) 6= (0, 0)
di↵erenzierbar.
Wir zeigen nun, dass f in (0, 0) di↵erenzierbar ist und die Ableitung (0, 0).
Nun benutzen wir
1
f (x, y) f (0, 0)
1
p
= (x2 + y 2 ) 2 sin 2
2
2
x + y2
x +y
| sin t|  1
Also
p
f (x, y) f (0, 0)
p
 x2 + y 2
x2 + y 2
Insbesondere folgt, dass die partiellen Ableitungen in (0, 0) gleich 0 sind.
296
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Im Nullpunkt sind die partiellen Ableitungen nicht stetig. Wir zeigen, dass
stetig ist. Dazu betrachten wir die Folge
⇢✓
◆
1
0, p
.
2⇡k
k2N
Es gilt
@f
@y
✓
◆
1
2
0, p
=p
sin(2⇡k)
2⇡k
2⇡k
p
2 2⇡k cos(2⇡k) =
@f
@y
in (0, 0) nicht
p
2 2⇡k
Diese Folge konvergiert nicht gegen 0.
Die Unstetigkeit von @f
@y in (0, 0) wird genau so bewiesen, wir betrachten dazu die Folge
⇢✓
◆
1
p
,0
2⇡k
.
k2N
2
Beispiel 6.3.3 Es sei f : R2 ! R mit
8
0
>
<
f (x, y) =
q
>
y2
: y
x2 +y 2
falls
x=y=0
sonst
Dann ist f überall stetig und bis auf den Punkt (0, 0) di↵erenzierbar. Die partiellen Ableitungen
existieren überall.
Beweis. f ist überall stetig. f ist überall, bis auf den Punkt (0, 0) di↵erenzierbar. Die partiellen
Ableitungen existieren überall.
Wir berechnen die partiellen Ableitungen. Für (x, y) 6= (0, 0) gelten
s
@f
|y|
@f
y2
x2 |y|
(x, y) = xy
und
(x, y) =
+
3
3 .
@x
@y
x2 + y 2
(x2 + y 2 ) 2
(x2 + y 2 ) 2
Außerhalb des Nullpunktes sind die partiellen Ableitungen stetig und damit ist f dort di↵erenzierbar. Insbesondere ist f außerhalb des Nullpunktes stetig.
Wir berechnen die partiellen Ableitungen in (0, 0). Es gilt f (x, 0) = 0 und f (0, y) = y. Also
folgt
@f
@f
(0, 0) = 0
(0, 0) = 1
@x
@y
Wir zeigen nun, dass f in (0, 0) nicht di↵erenzierbar ist. Wir nehmen an, dass f in (0, 0) di↵erenzierbar ist. Dann gilt
⌧
⌧
@f
1
1
1
1
1
= rf (0, 0), ( p , p ) = (0, 1), ( p , p ) = p .
1 p1
p
@( 2 , 2 )
2
2
2
2
2
Andererseite lässt sich die Richtungsableitung direkt berechnen
@f
1 p1
p
@( 2 , 2 )
=
lim
t!0
f ( pt2 , pt2 )
f (0, 0)
t
1
t
t
1 t
= lim f ( p , p ) = lim p
t!0 t
t!0
t 2
2
2
Dies ist ein Widerspruch.
s
t2
2
t2
2
+
t2
2
=
1
2
6.4. PARTIELLE ABLEITUNGEN HÖHERER ORDNUNG
297
f ist in (0, 0) stetig, weil
|f (0, 0)
s
f (x, y)| = |y|
x2
y2
 |y|.
+ y2
2
Beispiel 6.3.4 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R in x0 di↵erenzierbar. Wir
bezeichnen die n-dimensionale Hyperebene, die durch
x(n + 1)
f (x0 ) =
n
X
@f
(x0 )(x(k)
@xk
x0 (k))
k=1
gegeben ist, als die Tangentialhyperebene an den Graphen von f im Punkt (x0 , f (x0 )).
6.4
Partielle Ableitungen höherer Ordnung
Otto Hesse wurde am 22. April 1811 in Königsberg geboren und er starb am 4. August 1874 in
München. Er studierte in Königsberg. Er lehrte in Königsberg, Halle, Heidelberg und München.
Wissenschaftlich beschäftigte er sich mit der analytischen Geometrie und Determinanten.
Hermann Amandus Schwarz wurde am 25. Januar 1843 in Hermsdorf in Schlesien geboren und
erstarb am 30. November 1921 in Berlin. Schwarz arbeitete auf dem Gebiet der Funktionentheorie
und der Theorie der Minimalflächen.
Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R eine Funktion, deren
@f
partielle Ableitung @x
auf U existiert. Diese partielle Ableitung ist eine Funktion
i
auf U. Falls die partielle Ableitung dieser Funktion in x0 nach der j-ten Koordinate
existiert, so bezeichnen wir diese mit
@2f
(x0 )
@xj @xi
Entsprechend definieren wir höhere Ableitungen. Falls die partielle Ableitung von
f nach xk1 , . . . , xk` auf U existiert und die partielle Ableitung dieser Funktion in x0
nach der Variablen xk`+1 existiert, dann bezeichnen wir diese mit
@ `+1 f
(x0 )
@xk`+1 , . . . , @xk1
Falls alle partiellen Ableitungen der Ordnung ` existieren und auf einer o↵enen
Menge U stetig sind, dann heißt f `-mal stetig di↵erenzierbar. C ` (U)ist der Vektorraum aller `-mal stetig di↵erenzierbaren Funktionen auf U.
Im Allgemeinen kommt es bei der Bildung höherer partieller Ableitungen darauf an, in welcher Reihenfolge man di↵erenziert. In vielen Fällen besteht Unabhängigkeit von der Reihenfolge. Man bezeichnet die Matrix
0 @2f
1
@2f
@2f
·
·
·
2
@x1 @x2
@x1 @xn
@x
B @ 2 f1
C
@2f
@2f
B @x2 @x1
C
·
·
·
2
@x2 @xn C
@x2
B
B
C
..
..
...
@
A
.
.
@2f
@2f
@2f
···
@xn @x1
@xn @x2
@x2
n
298
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
als Hesse Matrix. Für die Hesse Matrix von f wird auch die Bezeichnung r2 f
benutzt.
Beispiel 6.4.1 Es sei f : R3 ! R durch
f (x, y, z) = 3x2 y
z 3 + x2
3y 7
x6 z 3
gegeben. Dann gilt
@f
= 6xy + 2x
@x
und
0
B
@
@2f
@x2
@2f
@y@x
@2f
@z@x
@2f
@x@y
@2f
@y 2
@2f
@z@y
6x5 z 3
@2f
@x@z
@2f
@y@z
@2f
@z 2
1
@f
= 3x2
@y
@f
=
@z
21y 6
0
6y + 2 30x4 z 3
C @
6x
A=
18x5 z 2
6x
126y 5
0
3z 2
3x6 z 2
1
18x5 z 2
A
0
6
6z 6x z
Satz 6.4.1 (Hermann Amandus Schwarz) Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn ,
w 2 U und f : U ! R besitze zweite partielle Ableitungen, die in w stetig sind.
Dann gilt für alle i, j = 1, . . . , n
@2f
@2f
(w) =
(w).
@xi @xj
@xj @xi
Beweis. Wir nehmen an, dass i < j. Wir zeigen, dass für alle hi und hj reelle
Zahlen ⇥i und ⇥j mit 0 < ⇥i , ⇥j < 1 und
f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + hj , wj+1 , . . . , wn )
f (w1 , . . . , wj 1 , wj + hj , wj+1 , . . . , wn )
(6.2)
f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wn ) + f (w)
@2f
= hi hj
(w1 , . . . , wi 1 , wi + ⇥i hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥j hj , wj+1 , . . . , wn )
@xi @xj
˜ i und ⇥
˜ j gibt, so dass
existieren. Genauso zeigen wir, dass es ⇥
f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + hj , wj+1 , . . . , wn )
f (w1 , . . . , wj 1 , wj + hj , wj+1 , . . . , wn )
(6.3)
f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wn ) + f (w)
@2f
˜ i hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥
˜ j hj , wj+1 , . . . , wn ).
= hi hj
(w1 , . . . , wi 1 , wi + ⇥
@xj @xi
˜ i, ⇥
˜ j mit
Aus (6.2) und (6.3) folgt, dass es für alle hi und hj reelle Zahlen ⇥i , ⇥j , ⇥
˜ i, ⇥
˜ j < 1 und
0 < ⇥i , ⇥j , ⇥
@2f
(w1 , . . . , wi 1 , wi + ⇥i hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥j hj , wj+1 , . . . , wn )
@xi @xj
@2f
˜ i hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥
˜ j hj , wj+1 , . . . , wn ).
=
(w1 , . . . , wi 1 , wi + ⇥
@xj @xi
6.4. PARTIELLE ABLEITUNGEN HÖHERER ORDNUNG
gibt. Wegen der Stetigkeit von
@2f
@xi @xj
und
@2f
@xj @xi
299
im Punkt w folgt
@2f
@2f
(w) =
(w).
@xi @xj
@xj @xi
Wir zeigen nun (6.2). Dazu wenden wir den Mittelwersatz (Satz 3.6.2) auf die
Funktion : [wj , wj + hj ] ! R
(t) = f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wj 1 , t, wj+1 , . . . , wn )
f (w1 , . . . , wj 1 , t, wj+1 , . . . , wn )
an. Es gibt ⇥j mit 0 < ⇥j < 1, so dass
0
(wj + ⇥j hj ) =
(wj + hj )
hj
(wj )
.
Dies bedeutet aber
f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + hj , wj+1 , . . . , wn )
f (w1 , . . . , wj 1 , wj + hj , wj+1 , . . . , wn )
f (w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wn ) + f (w)
✓
@f
= hj
(w1 , . . . , wi 1 , wi + hi , wi+1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥j hj , wj+1 , . . . , wn )
@xj
◆
@f
(w1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥j hj , wj+1 , . . . , wn ) .
@xj
Wir wenden den Mittelwertsatz ein weiteres Mal an, dieses Mal auf die Funktion
: [wi , wi + hi ] ! R
(t) =
@f
(w1 , . . . , wi 1 , t, wi+1 , . . . , wj 1 , wj + ⇥j hj , wj+1 , . . . , wn ).
@xj
Es gibt ein ⇥i mit 0 < ⇥i < 1 und
0
(wi + ⇥i hi ) =
(wi + hi )
hi
(wi )
Wir erhalten (6.2). Die Gleichung (6.3) wird genauso bewiesen. 2
Beispiel 6.4.2 Es sei f : R2 ! R
8
<0
2
f (x, y) =
y2
: xy x
2
x + y2
falls
x=y=0
sonst
f ist in (0, 0) di↵erenzierbar, die partiellen Ableitungen zweiter Ordnung existieren für alle (x, y) 2
R2 und sind unstetig in (0, 0) und
@2f
@2f
(0, 0) 6=
(0, 0).
@x@y
@y@x
300
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Beweis. Für (x, y) 6= (0, 0) existieren die partiellen Ableitungen und man erhält sie durch direktes
Di↵erenzieren. Für x = 0 oder y = 0 gilt f (0, y) = f (x, 0) = 0. Wir erhalten
8
>
falls x = y = 0
<0
@f
4
2
2
4
(x, y) =
y
> y x + 4x y
@x
sonst
:
2
2
2
(x + y )
8
>
falls x = y = 0
<0
@f
4
2
2
4
(x, y) =
4x y
y
> xx
@y
sonst
:
2
2
2
(x + y )
Für die zweiten partiellen Ableitungen erhalten wir
8
>
< 1
2
@ f
= (x2 y 2 )(x4 + 10x2 y 2 + y 4 )
@x@y >
:
(x2 + y 2 )3
8
>
<1
2
@ f
= (x2 y 2 )(x4 + 10x2 y 2 + y 4 )
@y@x >
:
(x2 + y 2 )3
falls x = y = 0
sonst
falls x = y = 0
sonst
f ist in (0, 0) di↵erenzierbar, weil die partiellen Ableitungen dort stetig sind.
Da
@2f
@2f
(0, 0) = 1 6= 1 =
(0, 0)
@y@x
@x@y
gilt, muss mindestens eine der zweiten partiellen Ableitungen unstetig sein. Wir rechnen dies
elementar nach.
Für alle n 2 N gilt
@2f 1 1
( , )=0
@x@y n n
@2f 1
( , 0) = 1
@x@y n
2
Beispiel 6.4.3 Eine Funktion f : Rn ! R ist konvex, wenn für alle x, y 2 Rn und alle t 2 [0, 1]
f ((1
t)x + ty)  (1
t)f (x) + tf (y)
gilt.
(i) eine di↵erenzierbare Funktion f : Rn ! R ist genau dann konvex, wenn für alle x, y 2 Rn
f (x) + hrf (x), y
xi  f (y)
gilt.
(ii) Eine zweimal stetig di↵erenzierbare Funktion f : Rn ! R ist genau dann konvex, wenn die
Hesse Matrix in allen Punkten positiv semidefinit ist.
Beweis. (i) Da f konvex ist, gilt
f ((1
t)x + ty)  (1
t)f (x) + tf (y).
Es folgt
f (x) +
f (x + t(y
und damit
f (x) + lim
t!0
x))
t
f (x + t(y
x))
t
f (x)
 f (y)
f (x)
 f (y).
6.5. ABBILDUNGEN VOM RN IN DEN RM
301
Es gilt
lim
f (x + t(y
x))
f (x)
t
t!0
= hrf (x), y
xi
und somit
f (x) + hrf (x), y
xi  f (y).
(ii) f ist genau dann konvex, wenn für alle x0 2 Rn und alle ⇠ 2 Rn mit k⇠k2 = 1 die Funktion
g : R ! R mit
g(t) = f (x0 + t⇠)
konvex ist. Da f zweimal stetig di↵erenzierbar ist, so ist auch g zweimal stetig di↵erenzierbar.
Nach (3.4.7) ist g genau dann konvex, wenn für alle t 2 R gilt, dass g 00 (t) 0. Weiter gelten
g 0 (t) = hrf (x0 + t⇠), ⇠i =
und
g 00 (t) =
n
X
i,j=1
⇠i ⇠j
n
X
⇠j
j=1
@f
(x0 + t⇠)
@xj
@2f
(x0 + t⇠) = ⇠ t r2 (x0 + t⇠)⇠.
@xi @xj
Also ist f genau dann konvex, wenn für alle x0 und alle ⇠
0
n
X
i,j=1
⇠i ⇠j
@2f
(x0 ).
@xi @xj
2
Bei dem eben bewiesenen Satz ist es wichtig, dass die Definitionsmenge der
Funktion eine o↵ene Teilmenge des Rn ist. Dazu das folgende Beispiel.
Beispiel 6.4.4 [63] Es gibt eine Funktion f : Q2 ! Q, die überall di↵erenzierbar ist, die stetige,
partielle Ableitungen aller Ordnungen besitzt und die für alle (x, y) 2 Q2 die Ungleichung
@2f
@2f
(x, y) 6=
(x, y)
@x@y
@y@x
erfüllt.
6.5
Abbildungen vom Rn in den Rm
Carl Gustav Jacob Jacobi wurde am 10. Dezember 1804 in Potsdam geboren. Er starb
am 18. Februar 1851 in Berlin an einer Pockeninfektion. Er stammte aus einer wohlhabenden
jüdischen Bankiersfamilie in Berlin. Er machte schon mit 13 Jahren das Abitur. Er studierte in
Berlin. Er unterrichtete in Königsberg. Er forschte über elliptische Funktionen, auf dem Gebiet
der Di↵erentialgeometrie, der partiellen Di↵erentialgleichungen und der mathematischen Physik.
Nach ihm benannt sind die Jacobi Matrix, die Jacobi Polynome und der Mondkrater Jacobi.
Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! Rm . Die Koordinateabbildungen von f sind fi U ! R, i = 1, . . . m, mit fi =< f, ei >. Wir schreiben auch
f = (f1 , . . . , fm ), wobei fi , i = 1, . . . , m, die Koordinatenabbildungen sind.
302
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Definition 6.5.1 Eine Funktion f : U ! Rm heißt di↵erenzierbar (oder auch total
di↵erenzierbar) in x0 , falls es eine lineare Abbildung T : Rn ! Rm gibt, so dass
(6.4)
lim
f (x0 + h)
h!0
f (x0 )
khk
Th
=0
gilt. Die lineare Abbildung T heißt das Di↵erential oder auch totales Di↵erential
von f .
Dies lässt sich auch so formulieren: f heißt in x0 di↵erenzierbar, wenn es eine
m ⇥ n-Matrix
C = (ci,j )m,n
i,j=1
und eine Funktion
: V(x0 ) ! Rm gibt, die in einer Umgebung V(x0 ) von x0
definiert ist, so dass für alle i = 1, . . . , m
i (x0 )
= lim
x!x0
i (x)
fi (x) = fi (x0 ) +
=0
n
X
ci,j (xj
x0j ) +
i (x)kx
x0 k
j=1
gilt.
Insbesondere bedeutet diese Definition, dass jede Koordinatenfunktion fi , i =
1, . . . , m, in x0 di↵erenzierbar ist. Also gilt für i = 1, . . . , m und j = 1, . . . , n
ci,j =
@fi
(x0 ).
@xj
Man sieht auch, dass f di↵erenzierbar ist, falls alle Koordinatenabbildungen differenzierbar sind.
Falls alle partiellen Ableitungen in x0 existieren (f muss nicht di↵erenzierbar
sein), so nennt man die m ⇥ n Matrix
✓
◆m,n
df
@fi
@(f1 , . . . , fm )
J(x0 ) =
(x0 ) =
(x0 )
=
(x0 )
dx
@xj
@(x1 , . . . , xn )
i,j=1
die Jacobische Funktionalmatrix von f an der Stelle x0 . Ausgeschrieben ist sie
0 @f1
1
@f1
· · · @x
@x1
n
B ..
.. C
@ .
. A
@fm
@fm
· · · @xn
@x1
Beispiel 6.5.1 (Polarkoordinaten) Es sei f : (0, 1) ⇥ R ! R2 durch
f (r, ) = (r cos , r sin )
gegeben. f ist auf (0, 1) ⇥ R di↵erenzierbar und
! ✓
@f1
@f1
df
cos
@r
@
=
=
@f2
@f2
sin
d(r, )
@r
@
r sin
r cos
◆
.
Um nachzuweisen, dass f di↵erenzierbar ist, reicht es zu zeigen, dass f1 und f2 di↵erenzierbar
sind. Nach Satz 6.3.4 reicht es zu zeigen, dass die partiellen Ableitungen stetig sind.
6.6. KETTENREGEL
6.6
303
Kettenregel
Satz 6.6.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn , W sei eine o↵ene Teilmenge
des Rm . Es seien f : U ! Rm und g : W ! R` Funktionen mit f (U) ✓ W. Es
seien f in x0 2 U und g in f (x0 ) 2 W di↵erenzierbar. Dann ist auch g f in x0
di↵erenzierbar und
d(g f )
dg
df
(x0 ) = (f (x0 )) (x0 )
dx
dy
dx
bzw.
0 @(g f )1
1
(x0 ) . . . @(g@xfn)1 (x0 )
@x1
B
C
..
..
@
A
.
.
0
B
=@
@(g f )`
(x0 )
@x1
@g1
(f (x0 ))
@y1
...
..
.
@g`
(f (x0 )) . . .
@y1
...
@g1
(f (x0 ))
@ym
@(g f )`
(x0 )
@xn
10
CB
..
A@
.
@g`
(f (x0 ))
@ym
@f1
(x0 )
@x1
...
..
.
@fm
(x0 ) . . .
@x1
@f1
(x0 )
@xn
1
C
..
A.
.
@fm
(x0 )
@xn
Die Ableitung von g f ist das Matrizenprodukt der Ableitungen von g und f .
Beweis. Für alle i = 1, . . . , m gilt
fi (x) = fi (x0 )+ < rfi (x0 ), x x0 > + i (x)kx x0 k2
n
X
@fi (x0 )
= fi (x0 ) +
(xj x0j ) + i (x)kx x0 k2
@xj
j=1
mit
lim
x!x0
i (x)
= 0.
Für alle k = 1, . . . , ` gilt
mit
gk (y) = gk (f (x0 ))+ < rgk (f (x0 )), y f (x0 ) > + k (y)ky f (x0 )k2
m
X
@gk (f (x0 ))
= gk (f (x0 )) +
(yi fi (x0 )) + k (y)ky f (x0 )k2
@yi
i=1
lim
x!x0
k (x)
= 0.
Hieraus folgt
gk (f (x)) = gk (f (x0 ))+ < rgk (f (x0 )), f (x) f (x0 ) > + k (f (x))kf (x) f (x0 )k2
m
X
@gk
= gk (f (x0 )) +
(f (x0 ))(fi (x) fi (x0 )) + k (f (x))kf (x) f (x0 )k2
@y
i
i=1
✓
◆
m
X
@gk
= gk (f (x0 )) +
(f (x0 )) < rfi (x0 ), x x0 > + i (x)kx x0 k2
@y
i
i=1
+
k (f (x))kf (x)
f (x0 )k2 .
304
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Es folgt weiter
!
n
m
X
X
@gk
@fi
(g f )k (x) = (g f )k (x0 ) +
(f (x0 ))
(x0 ) (xj
@yi
@xj
j=1
i=1
m
X
@gk
+
i=1
Hiermit folgt
kf (x)
(f (x0 )) i (x) + k (f (x))
@yi
kx
(g f )(x) = (g f )(x0 ) +
i=1
m
X
@gk
+
i=1
@yi
!`,n
@fi
(f (x0 ))
(x0 )
@yi
@xj
m
X
@gk
= (g f )(x0 ) +
k (f (x))
kf (x)
kx
i=1
(x
kf (x)
(f (x0 )) i (x) + k (f (x))
@yi
kx
f (x0 )k2
x0 k2
lim
x!x0
i=1
kf (x)
(f (x0 )) i (x) + k (f (x))
@yi
kx
kx
x0 k2 .
f (x0 )k2
x0 k2
!`
k=1
kx
x0 k2
kx
x0 k2 .
x0 )
f (x0 )k2
x0 k2
Wir müssen überprüfen, dass für alle k = 1, . . . , `
m
X
@gk
!
x0 )
◆`,m ✓
◆m,n
@gk
@fi
(f (x0 ))
(x0 )
(x
@yi
@xj
k,i=1
i,j=1
m
X
@gk
+
f (x0 )k2
x0 k2
k,j=1
(f (x0 )) i (x) +
✓
x0j )
!`
!
k=1
=0
gilt. Dies gilt, weil
lim (x) = 0
und
x!x0
lim
(f (x)) = 0
x!x0
gelten und weil es eine Umgebung gibt, in der
kf (x)
kx
f (x0 )k2
x0 k2
beschränkt ist. Letzteres gilt, weil f in x0 di↵erenzierbar ist. Wir zeigen dies.
|fi (x)
n
X
@fi (x0 )
|xj x0j | + | i (x)|kx x0 k2
@x
j
j=1
!1
n
2 2
X
@fi (x0 )

kx x0 k2 + | i (x)|kx x0 k2
@xj
j=1
fi (x0 )| 
Hieraus folgt
kf (x)
kx
2
0
m
f (x0 )k2 @X

x0 k2
i=1
n
X
j=1
@fi (x0 )
@xj
2
! 12
21 2
1
+ | i (x)| A .
6.7. MITTELWERTSATZ
305
Beispiel 6.6.1 Es seien f : R2 ! R2 und g : R2 ! R durch
g(x, y) = x2 + y 2
f (r, ) = (r cos , r sin )
gegeben. Dann gilt
g f (r, ) = r2
und
@(g f )
= 2r
@r
@(g f )
=0
@
Beweis. Es gilt
g f (r, ) = r2 cos2
+ r2 sin2
= r2 .
Hieraus folgt sofort
@(g f )
= 2r
@r
@(g f )
=0
@
Wir wollen nun die Kettenregel benutzen, um dasselbe Ergebnis zu bekommen.
!
✓
◆
@f1
@f1
⇣
⌘
r cos
r sin
@g
@g
@r
@
2x 2y
=
@f2
@f2
@x
@y
r sin
r cos
@r
@
✓
◆
r cos
r sin
2r cos
2r sin
=
= ( 2r
r sin
r cos
6.7
0 )
Mittelwertsatz
Die abgeschlossene Verbindungsstrecke oder das abgeschlossene Intervall von zwei
Punkten x und y im Rn ist
[x, y] = {(1
t)x + ty|t 2 [0, 1]}.
(x, y) = {(1
t)x + ty|t 2 (0, 1)}.
Das o↵ene Intervall ist
Satz 6.7.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei auf U
di↵erenzierbar. Es seien x, y 2 U mit [x, y] ✓ U. Dann gibt es ein ⇠ 2 (x, y) mit
f (y)
f (x) =< rf (⇠), y
x>.
Der Satz folgt unmittelbar aus dem 1-dimensionalen Fall.
Beweis. Es sei F : [0, 1] ! R durch
F (t) = f (x + t(y
x))
gegeben. Mit der Kettenregel (Satz 6.6.1) erhalten wir
F 0 (t) =< rf (x + t(y
x)), y
x>.
306
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Nach dem Mittelwertsatz für Funktionen einer reellen Variablen gibt es ein ⇥ 2 (0, 1)
mit
F (1) F (0) = F 0 (⇥) =< rf (x + ⇥(y x)), y x > .
2
Eine Teilmenge M des Rn heißt konvex, falls für alle x, y 2 M auch die Verbindungsstrecke
[x, y] in M enthalten ist. Für solche Mengen ist die Voraussetzung von Satz 6.7.1
immer erfüllt.
Für Funktionen f : Rn ! Rm , wobei m
2 gilt, kann man den Satz nicht
formulieren. Dazu das folgende Beispiel.
Beispiel 6.7.1 Es sei f : R ! R2 durch
f (x) = (x2 , x3 )
gegeben. Dann gibt es kein ⇠ 2 [0, 1] mit
df
(⇠) = f (1)
dx
f (0)
df
Beweis. Wir nehmen an, dass es ein ⇠ 2 [0, 1] mit dx
(⇠) = f (1)
✓ ◆ ✓ ◆ ✓
◆
1
0
2⇠
=
1
0
3⇠ 2
f (0) gibt. Dann folgt
Hieraus folgt, dass 2⇠ = 1 und 3⇠ 2 = 1 gelten. Aus der ersten Gleichung folgt ⇠ = 12 . Dies in die
zweite Gleichung eingesetzt liefert 34 = 1, was falsch ist. 2
Satz 6.7.2 Es sei G ein Gebiet im Rn und f : G ! R sei auf G di↵erenzierbar. f
ist genau dann auf G konstant, wenn für alle x 2 G
rf (x) = 0
gilt.
Beweis. Falls f konstant ist, dann sind alle partiellen Ableitungen 0 und damit gilt
rf = 0.
Es gelte nun rf = 0. Da G ein Gebiet ist, gibt es für alle x, y 2 G einen
Polygonzug, der ganz in G liegt und der die beiden Punkte verbindet.
x1 = x
xm = y
m
[1
i=1
[xi , xi+1 ] ✓ G
Nach dem Mittelwertsatz gibt es für alle i = 1, 2, . . . , m 1 ein ⇠i 2 (xi , xi+1 ), so
dass
f (xi+1 ) f (xi ) =< rf (⇠i ), xi+1 xi >= 0
Deshalb gilt für alle i = 1, . . . , m
1
f (xi ) = f (xi+1 ).
6.8. DER SATZ VON TAYLOR
307
Insbesondere gilt f (x) = f (y). Also ist f konstant. 2
In Satz 6.7.2 wird vorausgesetzt, dass f auf einer zusammenhängenden Menge
definiert ist und dort di↵erenzierbar ist. Dies ist wesentlich. Die Funktion f :
R2 \ {(x, y)|x = 0} ! R
(
1
x>0
f (x, y) =
1
x<0
ist di↵erenzierbar und es gilt rf = 0, aber f ist nicht konstant.
6.8
Der Satz von Taylor
Für Funktionen f : I ! R, die m + 1-mal stetig di↵erenzierbar sind, hatten wir die
Formel von Taylor bewiesen:
f (x) =
m
X
f (k) (x0 )
k=0
k!
x0 )k + Rm (x, x0 ),
(x
wobei es ein ⇥ 2 (0, 1) gibt, so dass
Rm (x, x0 ) =
1
(x
(m + 1)!
x0 )m+1 f (m+1) (x0 + ⇥(x
x0 )).
Wir benutzen hier die Lagrange Form des Restglieds. Dieses Ergebnis soll nun auf
Funktionen f : Rn ! R verallgemeinert werden. Ein Polynom von n Veränderlichen
x1 , . . . , xn ist eine Funktion p : Rn ! R mit
p(x1 , . . . , xn ) =
N
X
k1 ,...,kn =1
ak1 ,...,kn xk11 xk22 · · · xknn
Der Grad des Polynoms p ist die größte Zahl k1 + k2 + · · · + kn mit ak1 ,...,kn 6= 0. Das
Polynom
5 + 2x + 6y + 2x2 y 2 + 7x3 y 4
hat die Koeffizienten
a0,0 = 5
a1,0 = 2
a0,1 = 6
a2,2 = 2
a3,4 = 7.
Alle anderen Koeffizienten sind 0.
Wir schreiben formal für h = (h1 , . . . , hn ) 2 Rn und r = ( @x@ 1 , . . . , @x@n )
< h, r >=
n
X
i=1
hi
@
@xi
308
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
und
n
X
m
< h, r > =
i=1
@
hi
@xi
!m
n
X
=
k1 ,...,km =1
hk1 · · · hkm
@m
.
@xk1 · · · @xkm
Wir fassen < h, r >m als eine lineare Abbildung bzw. als Di↵erentialoperator von
C m (U) nach C(U) auf.
!m
n
n
X
X
@
@ mf
m
< h, r > f =
hi
f=
hk1 · · · hkm
@xi
@xk1 · · · @xkm
i=1
k ,...,k =1
m
1
Wir behandeln r formal wie einen Vektor des Rn .
Satz 6.8.1 (Taylor) Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei
m + 1-mal stetig di↵erenzierbar. Es seien x0 , x 2 U, so dass [x0 , x] ⇢ U. Dann gibt
es ein ⇥ 2 (0, 1) mit
m
X
1
f (x) = f (x0 ) +
(< x
k!
k=1
+
Der Summand
x0 , r >k f )(x0 )
1
(< x
(m + 1)!
x0 , r >m+1 f )(x0 + ⇥(x
m
X
1
f (x0 ) +
(< x
k!
k=1
x0 )).
x0 , r >k f )(x0 )
wird als Taylorpolynom m-ten Grades bezeichnet und
Rm (x, x0 ) =
1
(< x
(m + 1)!
x0 , r >m+1 f )(x0 + ⇥(x
x0 ))
als das Restglied.
Beweis. Es gibt ein ✏ > 0, so dass
(x0
Wir definieren
✏(x
x0 ), x0 + (1 + ✏)(x
x0 )) ⇢ U.
: ( ✏, 1 + ✏) ! R durch
(t) = f (x0 + t(x
x0 )).
Da f m + 1-mal stetig di↵erenzierbar ist, folgt mit der Kettenregel, dass auch
m + 1-mal stetig di↵erenzierbar ist. Wir wenden nun den Taylorschen Satz für
Funktionen einer Variablen auf an. Es gibt also ein ⇥ 2 (0, 1), so dass
(1) = (0) +
m
X
k=1
(k)
(m+1)
(0)
(⇥)
+
.
k!
(m + 1)!
6.8. DER SATZ VON TAYLOR
309
Es gelten (1) = f (x), (0) = f (x0 ) und mit der Kettenregel folgt
(k)
(0) = (< x
x0 , r >k f )(x0 ).
Wir weisen dies mit Induktion nach. Es folgt mit der Kettenregel
0
(t) = hrf (x0 + t(x
x0 )), x
n
X
x0 i =
(xj
x0j )
j=1
@f
(x0 + t(x
@xj
x0 ))
Wir nehmen nun an, dass wir
(m)
n
X
(t) =
(xk1
k1 ,...,km =1
x0k1 ) · · · (xkm
x0km )
@ mf
(x0 + t(x
@xk1 · · · @xkm
x0 ))
nachgewiesen haben und schließen auf die Aussage m + 1. Dann gilt
(m+1)
=
=
(t)
n
X
(xk1
k1 ,...,km =1
n
X
(xk1
k1 ,...,km =1
x0k1 ) · · · (xkm
x0k1 ) · · · (xkm
⌧
x0km ) r
x0km )
@ mf
(x0 + t(x
@xk1 · · · @xkm
n
X
(xkm+1
x0km+1 )
km+1 =1
x0 )), x
x0
@ mf
@xkm+1 @xk1 · · · @xkm
@
2
Falls f unendlich oft di↵erenzierbar ist und
lim Rm (x, x0 ) = 0
m!1
gilt, dann erhalten wir
1
X
1
f (x) = f (x0 ) +
(< x
k!
k=1
x0 , r >k f )(x0 ).
Beispiel 6.8.1 (i) Es sei U eine o↵ene Teilmenge des R2 und (x0 , y0 ) 2 U. Die Abbildung
f : U ! R sei in (x0 , y0 ) unendlich oft di↵erenzierbar und
lim Rm ((x, y), (x0 , y0 )) = 0.
m!1
Dann gilt
1
m ✓ ◆
X
1 X m @ m f (x0 , y0 )
f (x, y) =
(x
m!
k @xk @y m k
m=0
x0 )k (y
y0 )m
k=0
(Man beachte, dass die Reihenfolge der Di↵erentiation keine Rolle spielt.)
(ii) Für alle (x, y) 2 R2 gilt
✓ ◆
1 X
m
X
1 m k m k
x+y
e
=
x y
.
m! k
m=0
k=0
k
.
310
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Beweis. (ii) Wir wenden hier die Formel von (i) an.
@ k+` ex+y
= ex+y
@xk @y `
Man kann diese Formel auch folgendermaßen herleiten. Für alle t 2 R gilt
et =
Mit t = x + y folgt
ex+y =
2
1
X
tm
.
m!
m=0
1
1
m ✓ ◆
X
X
(x + y)m
1 X m k m
=
x y
m!
m! m=0 k
m=0
m=0
k
.
Das Konvergenzgebiet von Taylorreihen im 1-Dimensionalen ist ein Intervall. Die
Konvergenzgebiete von Taylorreihen bzw. Potenzreihen mehrerer Veränderlichen
sehen komplizierter aus als im eindimensionalen Fall.
Beispiel 6.8.2 Die Potenzreihe
1
X
xn y n
n=0
konvergiert absolut in der Menge {(x, y)||x · y| < 1}. Diese Menge ist log-konvex, d.h. die Menge
{(ln x, ln y)|x · y < 1} ist konvex.
Man kann allgemein zeigen, dass die Konvergenzmenge einer Potenzreihe mit Entwicklungspunkt
0 log-konvex ist. Im Komplexen hängt dies mit Reinhardt-Gebieten zusammen [54].
6.9
Bogenlänge
Definition 6.9.1 Es sei (X, d) ein metrischer Raum und : [a, b] ! X eine Funktion und P = {x0 , . . . , xN } bezeichne Partitionen von [a, b]. Die Länge des Graphens
von wird durch
L(Graph( )) = sup
P
N
X
d( (xi ), (xi 1 ))
i=1
definiert.
Satz 6.9.1 Es sei : [a, b] ! Rn eine stetig di↵erenzierbare Funktion. 1 , . . . , n
sind die Koordinatenfunktionen von . In den Punkten a und b existieren die einseitigen partiellen Ableitungen und sie seien stetig dort. Dann ist die Länge des
Graphens von gleich
L(Graph( )) =
Z
a
b
n
X
@ i
(t)
@t
i=1
2
! 12
dt
6.9. BOGENLÄNGE
311
Lemma 6.9.1 Es sei eine Kurve in Polarkoordinaten gegeben. Dann
s
Z
2
dr
L() =
r2 +
d✓
d✓
Beweis. Es gilt
x = r cos ✓
y = r sin ✓
Deshalb gilt
@x
@r
=
cos ✓ r sin ✓
@✓
@✓
@y
@r
=
sin ✓ + r cos ✓
@✓
@✓
Somit
@x
@t
L() =
2
2
Z
@y
+
@t
s
@x
@t
2
2
2
=
@x @✓
@✓ @t
2
=
@✓
@t
@r
cos ✓
@✓
@✓
@t
2
=
@r
@✓
2
@y
+
dt =
@t
2
@y @✓
+
@✓ @t
Z
2
+ r2
@✓
@t
2
@r
r sin ✓ +
sin ✓ + r cos ✓
@✓
!
s
@r
@✓
2
+
r2
dt
d✓ =
d✓
Z
s
Beispiel 6.9.1 Der Umfang einer Ellipse E mit Achsenlängen a und b mit a
Z 2⇡ r
b2
L(@E) = a
1 (1
) cos2 ✓d✓
a2
0
@r
@✓
2
!2
2
+ r2 d✓
b ist
Der Ausdruck wird als elliptische Integral bezeichnet.
Ein elliptische Integral ist ein Integral der Gestalt
Z
p
R(x, P (x))dx,
wobei R eine rationale Funktion von zwei Variablen ist und P ein Polynom dritten oder vierten
Grades ohne mehrfache Nullstellen ist.
Beweis. Wir benutzen die Parametrisierung
x(t) = a cos ✓
y(t) = b sin ✓
312
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Dann gilt
Z
Z 2⇡ p
p
|x0 |2 + |y 0 |2 d✓ =
|a sin ✓|2 + |b cos ✓|2 d✓
0
0
Z 2⇡ r
Z 2⇡ r
b
b2
2
2
= a
| sin ✓| + | cos ✓| d✓ = a
1 (1
) cos2 ✓d✓
a
a2
0
0
L(@E) =
2⇡
2
Beispiel 6.9.2 (Goldene Spirale) Es seien 0 < a, b. Sp : [0, 1] ! R2 durch Sp(0) = 0 und
✓ ◆
b
1
t
Sp1 (t) = ae cos
t
✓ ◆
b
1
Sp2 (t) = ae t sin
t
Sp ist eine stetig di↵erenzierbare Funktion, deren partielle Ableitungen auch in den Punkten a und
b stetig sind. Die Kurvenlänge ist
p
a b2 + 1e b .
Beweis. Es gelten für t mit 0 < t  1
@ Sp1
(t) =
@t
@ Sp2
(t) =
@t
ab
e
t2
ab
e
t2
b
t
b
t
✓ ◆
1
a
cos
+ 2e
t
t
✓ ◆
1
a
sin
e
t
t2
b
t
b
t
✓ ◆
1
sin
t
✓ ◆
1
cos
t
Weiter erhalten wir
@ Sp1
(0) =
@t
@ Sp2
(0) =
@t
lim
ae
b
t
ae
b
t
t!0
lim
t!0
cos
t
sin
t
1
t
1
t
=0
=0
Es folgt
@ Sp1
@t
2
+
@ Sp2
@t
2
=
a2
e
t4
2 bt
b2 + 1
Die partiellen Ableitungen von Sp sind auf [0, 1] stetig. Wir können also Satz 3.4.7 anwenden. Es
folgt
Z 1
p
1 b
L(Graph(Sp)) = a b2 + 1
e t dt
2
0 t
Wir substituieren ✓ =
1
t
Z
p
2
L(Graph(Sp)) = a b + 1
1
2
1
e
b✓
p
d✓ = a b2 + 1e
x = r cos ✓ = a(cos ✓)eb✓
y = r sin ✓ = a sin ✓eb✓
b
6.9. BOGENLÄNGE
313
Die Bogenlänge von 0 bis (x(✓), y(✓)) ist
ap
1 + b2 eb✓ .
b
Die Krümmung im Punkt (x(✓), y(✓)) ist
e b✓
p
a 1 + b2
Der Winkel zwischen der Tangente der Kurve im Punkt (x(✓), y(✓)) und der Geraden
durch 0 und (x(✓), y(✓)) ist ✓.
Beispiel 6.9.3 Es seien 0 < ↵. sp : [0, 1] ! R2 durch sp(0) = 0 und
✓ ◆
1
sp1 (t) = t↵ cos
t
✓ ◆
1
sp2 (t) = t↵ sin
t
Der Graph von sp ist genau dann rektifizierbar, wenn ↵ > 2.
Beweis.
@ sp1
@t
@ sp2
@t
= ↵t↵
= ↵t↵
✓ ◆
1
+ t↵
t
✓ ◆
1
1
sin
t↵
t
1
cos
✓ ◆
1
t
✓ ◆
1
2
cos
t
2
sin
Es folgt
@ sp1
@t
2
2
@ sp2
@t
+
Deshalb
L(Graph(sp)) =
= t2↵
Z
0
Es gilt für ↵ > 1
L(Graph(sp)) =
Z
0
Für ↵ = 1
1
t↵
2
t↵
2
(↵2 t2 + 1)
p
↵2 t2 + 1dt.
Z
p
p
↵2 t2 + 1dt  ↵2 + 1
L(Graph(sp)) =
Für 0 < ↵ < 1
L(Graph(sp)) =
1
t↵
2
dt =
0
Z
1
t↵
2
0
Z
1
t↵
2
0
2
1
4
p
↵2 t2 + 1dt
p
↵2 t2 + 1dt
Z
1
t
0
Z
1
dt = 1.
1
t↵
2
0
Beispiel 6.9.4 Die Helix (Schraubenlinie) H : [0, T ] ! R3 ist durch
H1 (t) = a cos t
H2 (t) = a sin t
H3 (t) = b · t
definiert. Ihre Länge ist
T·
p
a2 + b2
p
↵2 + 1
dt = 1.
1
↵
1
314
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Beweis.
Z
L(Graph(H)) =
T
0
Z
=
T
0
= T
2
s
2
2
2
@H1
@H2
@H3
(t) +
(t) +
(t) dt
@t
@t
@t
p
|a sin(t)|2 + |a cos(t)|2 + b2 dt
p
a2 + b2
Beispiel 6.9.5 (Lemniskate von Jakob Bernoulli)
(x2 + y 2 )2 = 2a2 (x2
y2 )
r2 = 2a2 cos 2✓
Dann gilt
L() =
Z
2a2
p
dt =
4a4 t4
Z
q
1
1
dt = 2a
t4
4a4
Z
p
1
1
t4
Bei dem letzten Ausdruck handelt es sich um ein elliptisches Integral.
Beweis. Nach Lemma 3.4.7 gilt
L() =
s
Z
r2 +
Wir wählen nun r als Integrationsvariable
s
Z
d✓
L() =
r2 +
dr
2
2
dr
d✓
d✓
d✓
dr =
dr
p
Wegen r = a 2 cos 2✓ gilt
s
Z
dr
=
d✓
2a sin 2✓
p
2 cos 2✓
d✓
=
dr
p
2 cos 2✓
.
2a sin 2✓
und somit
2
1 + r2
d✓
dr
dr
Es folgt
d✓
dr
2
=
cos 2✓
.
2a2 sin2 2✓
Wegen r2 = 2a2 cos 2✓
sin2 2✓ = 1
cos2 2✓ =
4a4 r4
4a4
Hiermit folgt
d✓
dr
Es folgt weiter
L() =
2
2
2
=
Z
r
cos 2✓
r2
2a2
=
4 r4 =
2
4
4a
4a
r4
2a2 sin 2✓
2a2 4a4
s
1+
2
r2
d✓
dr =
dr
Z r
1+
r4
4a4
r4
dr
dt
6.10. EXTREMWERTE
6.10
315
Extremwerte
Es sei M eine Teilmenge des Rn und f : M ! R. Man sagt, dass f in einem
Punkt x0 2 M ein lokales oder relatives Minimum bzw. Maximum hat, falls es eine
Umgebung V(x0 ) gibt, so dass für alle x 2 V(x0 ) \ M
f (x)
f (x0 )
bzw.
f (x)  f (x0 )
gilt. Es liegt ein striktes lokales oder relatives Minimum bzw. Maximum vor, falls
es eine Umgebung V(x0 ) gibt, so dass für alle x 2 V(x0 ) \ M mit x 6= x0
f (x) > f (x0 )
bzw.
f (x) < f (x0 )
gilt. Wir sagen, dass ein lokales Extremum vorliegt, falls ein lokales Minimum oder
Maximum vorliegt.
f hat ein globales Minimum oder Maximum in x0 , falls für alle x 2 M
f (x)
f (x0 )
bzw.
f (x)  f (x0 )
gilt.
Lemma 6.10.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R nach allen
Variablen partiell di↵erenzierbar. Falls f in x0 ein lokales Extremum hat, so gilt
rf (x0 ) = 0.
Wir nennen Punkte x0 mit rf (x0 ) = 0 kritische Punkte .
Beweis. Wir betrachten f als Funktion ihrer i-ten Variablen, : (x0 (i)
)!R
(t) = f (x0 (1), . . . , x0 (i 1), t, x0 (i + 1), . . . , x0 (n))
O↵ensichtlich hat
, x0 (i) +
in t = x0 (i) ein lokales Extremum. Somit gilt
d
(x0 (i)) = 0
dt
Es folgt weiter
@f
(x0 )
@xi
=
d
(x0 (i))
dt
= 0. 2
Das folgende Beispiel zeigt, dass die Bedingung von Lemma 6.10.1 zwar notwendig,
aber nicht hinreichend ist.
Beispiel 6.10.1 Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = x · y gegeben. Es ist (0, 0) ein kritischer Punkt
mit rf (0, 0) = 0, aber es liegt in (0, 0) kein lokales Extremum vor.
Auf Grund der Form des Graphen von f sprechen wir von einem Sattelpunkt. Siehe hierzu die
Graphik.
316
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
f (x, y) = xy
-2 -1
0
1
2
4
2
0
-2
-4
-2
-1
1
0
2
Beweis. Es gilt
@f
=y
@x
@f
=x
@y
Also gilt rf (0, 0) = 0.
Wenn wir f auf die Gerade x = y einschränken, dann erhalten wir f (x, x) = x2 . Im Punkt
x = 0 liegt ein Minimum vor. Andererseits können wir f auf die Gerade y = x einschränken und
erhalten f (x, x) = x2 . Hier liegt in x = 0 ein Maximum vor. Somit kann in (0, 0) weder ein
Minimum noch ein Maximum vorliegen. 2
Es sei A = (ai,j )ni,j=1 eine reelle, symmetrische Matrix, d.h. At = A. Das
Polynom
n
X
t
QA (x) = x Ax =
ai,j xi xj
i,j=1
heißt die zu A gehörige quadratische Form. Die Matrix A bzw. die Funktion QA
heißt
(i) positiv semidefinit, wenn für alle x 2 Rn gilt, dass QA (x) 0.
(ii) negativ semidefinit, wenn für alle x 2 Rn gilt, dass QA (x)  0.
(iii) positiv definit, wenn für alle x 2 Rn mit x 6= 0 gilt, dass QA (x) > 0.
(iv) negativ definit, wenn für alle x 2 Rn mit x 6= 0 gilt, dass QA (x) < 0.
(v) indefinit, falls A weder positiv semidefinit, noch negativ semidefinit ist.
Lemma 6.10.2 Es sei A eine reelle, symmetrische Matrix. Dann gilt:
(i) A ist genau dann positiv (negativ) definit, wenn alle Eigenwerte von A strikt
positiv (strikt negativ) sind.
(ii) A ist genau dann positiv (negativ) semidefinit, wenn alle Eigenwerte von A
nichtnegativ (nichtpositiv) sind.
6.10. EXTREMWERTE
317
Beweis. (i) A besitze einen Eigenwert, der nicht positiv ist. Wir zeigen, dass A
nicht positiv definit ist. Es sei x ein Eigenvektor von A zum Eigenwert mit  0.
Dann folgt
n
X
t
t
QA (x) = x Ax = x x =
x2i  0
i=1
Um die andere Beweisrichtung zu führen, benötigt man das folgende Ergebnis der
linearen Algebra: Falls A eine reelle, symmetrische Matrix ist, dann gibt es eine
Matrix U , so dass U t U = I und
U AU t = D
eine Diagonalmatrix ist. Die Diagonalelemente der Matrix D sind die Eigenwerte
der Matrix A. Also gilt di,i > 0, i = 1, . . . , n.
Somit gilt A = U t DU und
xt Ax = xt U t DU x = (U x)t D(U x)
Wir setzen y = U x und erhalten
t
t
x Ax = y Dy =
n
X
di,i yi2 > 0
i=1
Die letzte Ungleichung gilt, weil di,i > 0 und y 6= 0. 2
Um zu entscheiden, ob eine Matrix positiv definit ist, müsste man also die Eigenwerte berechnen. Dies kann sich jedoch schwierig gestalten. Es reicht aber zu zeigen,
dass die Eigenwerte sämtlich positiv sind. Dies ist im wesentlichen der Inhalt des
folgenden Satzes.
Satz 6.10.1 Es sei A eine reelle, symmetrische n ⇥ n Matrix.
(i) A ist genau dann positiv definit, wenn für alle k = 1, . . . , n
0
1
a1,1 . . . a1,k
B
.. C > 0
det @ ...
. A
ak,1 . . . ak,k
gilt.
(ii) A ist genau dann negativ definit, wenn für alle k = 1, . . . , n
0
1
a1,1 . . . a1,k
B
.. C > 0
( 1)k det @ ...
. A
ak,1 . . . ak,k
gilt.
318
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Beispiel 6.10.2 (i) Die Matrix
0
B
@
0
1
..
.
0
n
1
C
A
ist genau dann positiv definit, falls für alle i = 1, . . . , n gilt, dass
(ii) Die Matrix
✓
◆
a b
b c
ist genau dann positiv definit, wenn a > 0 und ac
i
> 0.
b2 > 0 gelten.
Satz 6.10.1 lässt sich nicht direkt auf die Begri↵e positiv semidefinit und negativ
semidefinit übertragen. Dazu das folgende Beispiel. Es sei
✓
◆
0 0
A=
0
1
Für die Hauptunterdeterminanten erhalten wir
det(0) = 0
und
det
✓
0
0
0
1
◆
=0
aber A ist nicht positiv semidefinit.
Satz 6.10.2 Eine reelle, symmetrische n⇥n Matrix ist genau dann positiv semidefinit,
wenn alle Hauptunterdeterminanten von A nicht negativ sind, d.h. wenn für alle
k = 1, . . . , n und alle i1 , . . . , ik
0
1
ai1 ,i1 . . . ai1 ,ik
B
.. C 0
det @ ...
. A
aik ,i1 . . . aik ,ik
gilt.
Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei in x0 zweimal stetig
di↵erenzierbar. Wir bezeichnen die Matrix
✓ 2
◆n
@ f
(x0 )
@xi @xj
i,j=1
als Hesse-Matrix.
Lemma 6.10.3 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei zweimal
stetig di↵erenzierbar in U. Es seien x0 2 U und ✏ > 0 mit B2n (x0 , ✏) ✓ U . Dann gibt
es eine Funktion ⇢ : B2n (0, ✏) ! R mit limy!0 ⇢(y) = 0, so dass für alle h 2 B2n (0, ✏)
n
1 X @ 2 f (x0 )
f (x0 + h) = f (x0 )+ < rf (x0 ), h > +
hi hj + khk22 ⇢(h)
2 i,j=1 @xi @xj
gilt.
6.10. EXTREMWERTE
319
Beweis. Nach dem Satz von Taylor (Satz 6.8.1) gibt es zu jedem h 2 Rn ein
⇥(h) 2 (0, 1), so dass
n
1 X @ 2 f (x0 + ⇥(h)h)
f (x0 + h) = f (x0 )+ < rf (x0 ), h > +
hi hj .
2 i,j=1
@xi @xj
Deshalb
f (x0 + h) = f (x0 )+ < rf (x0 ), h > +
mit
n
1 X @ 2 f (x0 )
hi hj + r(h)
2 i,j=1 @xi @xj
n ✓
1 X @ 2 f (x0 + ⇥(h)h)
r(h) =
2 i,j=1
@xi @xj
◆
@ 2 f (x0 )
hi hj
@xi @xj
Dann gilt
n ✓
|r(h)|
1 X @ 2 f (x0 + ⇥(h)h)
=
khk22
2 i,j=1
@xi @xj
@ 2 f (x0 )
@xi @xj
◆
hi hj
.
khk2 khk2
Mit der Dreiecksungleichung und mit |hi |  khk für i = 1, . . . , n folgt
✓
n
|r(h)|
1 X @ 2 f (x0 + ⇥(h)h)

khk22
2 i,j=1
@xi @xj
@ 2 f (x0 )
@xi @xj
◆
.
Da die zweiten partiellen Ableitungen von f in x0 stetig sind, gilt für alle i, j =
1, . . . , n
✓ 2
◆
@ f (x0 + ⇥(h)h) @ 2 f (x0 )
lim
=0
h!0
@xi @xj
@xi @xj
und damit
|r(h)|
= 0.
h!0 khk2
2
lim
Wir setzen für h 6= 0
⇢(h) =
|r(h)|
khk22
und ⇢(0) = 0. 2
Lemma 6.10.4 Eine reelle, symmetrische n ⇥ n-Matrix A ist genau dann positiv
definit, wenn es ein c > 0 gibt, so dass für alle x 2 Rn
(6.5)
ckxk22

n
X
i,j=1
ai,j xi xj
320
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Beweis. Falls (6.5) gilt, dann gilt für alle x 2 Rn mit x 6= 0
0 < ckxk22 
n
X
ai,j xi xj = xt Ax.
i,j=1
Nun die Umkehrung. Es gelte für alle x 2 Rn mit x 6= 0
(6.6)
n
X
0<
ai,j xi xj .
i,j=1
P
{x 2 Rn |kxk2 = 1} ist eine kompakte Menge und die Abbildung, die x auf ni,j=1 ai,j xi xj
abbildet, ist stetig. Nach Satz 3.4.7 nimmt diese Abbildung auf der Menge {x 2
Rn |kxk2 = 1} ihr Minimum an. Also existiert
c = min
kxk2 =1
n
X
ai,j xi xj .
i,j=1
Wegen (3.4.7) gilt c > 0. Deshalb gilt für alle y 2 Rn mit y 6= 0
0 < c = min
kxk2 =1
n
X
i,j=1
ai,j xi xj 
und damit
0<
n
X
n
X
i,j=1
ai,j
zi zj
kzk2 kzk2
ai,j zi zj .
i,j=1
2
Satz 6.10.3 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! R sei zweimal
stetig di↵erenzierbar in U mit rf (x0 ) = 0. Dann gelten:
(i) Ist die Hesse-Matrix
✓ 2
◆n
@ f
(x0 )
@xi @xj
i,j=1
positiv definit, so hat f in x0 ein lokales Minimum. Ist die Hesse-Matrix negativ
definit, so hat f in x0 ein lokales Maximum.
(ii) Hat f in x0 ein lokales Minimum, so ist die Hesse-Matrix
✓
◆n
@2f
(x0 )
@xi @xj
i,j=1
positiv semidefinit. Hat f in x0 ein lokales Maximum, so ist die Hesse-Matrix negativ
semidefinit.
(iii) Ist die Hesse-Matrix indefinit, so hat f in x0 kein relatives Extremum.
6.10. EXTREMWERTE
321
Punkte, in denen die Hesse-Matrix indefinit ist, nennt man Sattelpunkte.
Beweis. (i) Nach Lemma 6.10.3 gilt
n
1 X @ 2 f (x0 )
f (x0 + h) = f (x0 )+ < rf (x0 ), h > +
hi hj + khk22 ⇢(h)
2 i,j=1 @xi @xj
mit
lim ⇢(h) = 0.
h!0
Wegen rf (x0 ) = 0 gilt
n
f (x0 + h) f (x0 )
1 X @ 2 f (x0 ) hi hj
=
+ ⇢(h).
khk22
2 i,j=1 @xi @xj khk2 khk2
Wegen Lemma 6.10.4 gibt es eine Konstante c > 0 mit
n
1 X @ 2 f (x0 ) hi hj
2 i,j=1 @xi @xj khk2 khk2
c.
Da ⇢ in 0 stetig ist, gibt es ein > 0, so dass für alle h mit khk2 <
|⇢(h)| < 2c gilt. Also gilt für alle h 6= 0 mit khk2 <
f (x0 + h) f (x0 )
khk22
die Ungleichung
c
>0
2
und damit
0 < f (x0 + h)
f (x0 ).
(ii) Es gibt ein > 0, so dass für alle x mit kx x0 k2 < die Funktion f
di↵erenzierbar ist. Deshalb gibt es für alle h mit khk2 < ein ⇥ 2 (0, 1), so dass
f (x0 + h)
1
f (x0 ) = (< r, h > f )(x0 ) + (< r, h >2 f )(x0 + ⇥(h)h)
2
n
n
X
X
@f
1
@2f
=
(x0 )hi +
(x0 + ⇥(h)h)hi hj
@xi
2 i,j=1 @xi @xj
i=1
Da rf (x0 ) = 0 gilt, folgt
f (x0 + h)
f (x0 ) =
n
1 X @2f
(x0 + ⇥(h)h)hi hj
2 i,j=1 @xi @xj
Da f in x0 ein lokales Minimum hat, so gibt es ein ✏ > 0, so dass für alle h mit
khk < ✏
n
1 X @2f
0  f (x0 + h) f (x0 ) =
(x0 + ⇥(h)h)hi hj
2 i,j=1 @xi @xj
322
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Es folgt, dass für alle h mit khk < ✏ und alle t 2 (0, 1)
n
1 X @2f
0
(x0 + ⇥(th)th)thi thj
2 i,j=1 @xi @xj
gilt. Hieraus folgt, dass für alle h mit khk < ✏ und alle t 2 (0, 1)
0
n
X
@2f
(x0 + ⇥(th)th)hi hj
@x
@x
i
j
i,j=1
gilt. Wegen der Stetigkeit von
@2f
@xi @xj
in x0 ergibt sich für t ! 0, dass für alle h mit khk < ✏
0
n
X
@2f
(x0 )hi hj
@x
@x
i
j
i,j=1
gilt. Damit ist die Hesse Matrix positiv semidefinit.
(iii) Falls die Hesse Matrix weder positiv semidefinit, noch negativ semidefinit
ist, dann gibt es ⇠, ⌘ 2 Rn mit
n
X
n
X
@2f
(x0 )⇠i ⇠j > 0
@x
@x
i
j
i,j=1
@2f
(x0 )⌘i ⌘j < 0.
@x
@x
i
j
i,j=1
Es folgt für alle t 2 (0, 1)
n
f (x0 + t⇠) f (x0 )
1 X @ 2 f (x0 ) ⇠i ⇠j
=
+ ⇢(t⇠).
kt⇠k22
2 i,j=1 @xi @xj k⇠k2 k⇠k2
Für hinreichend kleines t erhalten wir
f (x0 + t⇠)
f (x0 ) > 0.
Ebeenso zeigen wir für hinreichend kleine s
f (x0 + s⌘)
f (x0 ) < 0.
2
Beispiel 6.10.3 (i) Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = x2 + y 2 gegeben. f hat in (0, 0) ein lokales,
striktes Minimum.
(ii) Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = xy gegeben. f hat in (0, 0) einen Sattelpunkt.
(iii) Es sei f : R ! R durch f (x) = x3 gegeben. Satz 6.10.3 reicht nicht aus, um zu entscheiden,
ob ein Minimum oder Maximum in 0 vorliegt. (Tatsächlich liegt keines von beiden vor.)
6.10. EXTREMWERTE
323
Beweis. (i) Es gilt
@f
= 2x
@x
@f
= 2y
@y
Also ist (0, 0) der einzige kritische Punkt. Die Hesse-Matrix im Punkt (0, 0) ist
! ✓
◆
@2f
@2f
2 0
@x2
@x@y
=
@2f
@2f
0 2
2
@y@x
@y
Die Eigenwerte der Matrix sind alle strikt positiv, also ist sie positiv definit.
(ii) Es gilt
@f
@f
=y
=x
@x
@y
Also ist (0, 0) der einzige kritische Punkt. Die Hesse-Matrix in (0, 0) ist
✓
◆
0 1
1 0
Die Eigenwerte sind 1 und 1. Also ist die Matrix indefinit. Es liegt ein Sattelpunkt vor.
(iii) In 0 liegt der einzige kritische Punkt vor und die Hesse-Matrix ist dort 0. 2
Beispiel 6.10.4 Es sei f : R2 ! R mit
f (x, y) = (2x2 + 3y 2 )e
x2 y 2
.
Dann sind (0, 0), (0, 1), (0, 1), (1, 0), ( 1, 0) die kritischen Punkte. In (0, 0) liegt ein relatives
Minimum vor, in (0, 1) und (0, 1) liegen relative Maxima vor und in (1, 0) und ( 1, 0) liegen
Sattelpunkte vor.
Beweis. Die ersten partiellen Ableitungen sind
@f
= (4x
@x
4x3
6xy 2 )e
@f
= (6y
@y
x2 y 2
6y 3
4x2 y)e
x2 y 2
Die kritischen Punkte erfüllen
0 = 2x(2
2x2
3y 2 )
und
0 = 2y(3
2x2
3y 2 ).
.
324
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Also gelten
x=0
oder
2x2 + 3y 2 = 2
y=0
oder
2x2 + 3y 2 = 3.
und
Hieraus ergeben sich vier Fälle
2x2 + 3y 2 = 2
y=0
x=0
y=0
2x2 + 3y 2 = 2
2x2 + 3y 2 = 3
x=0
2x2 + 3y 2 = 3
Somit sind (0, 0), (±1, 0) und (0, ±1) die kritischen Punkte.
@2f
@x2
@2f
@y 2
@2f
=
@x@y
12xye
x2 y 2
= (4
12x2
6y 2 )e
= (4
20x2
6y 2 + 8x4 + 12x2 y 2 )e
= (6
18y 2
4x2 )e
= (6
30y 2
4x2 + 12y 4 + 8x2 y 2 )e
x2 y 2
+ (4x
4x3
x2 y 2
+ (4x
+ (6y
6xy 2 )( 2y)e
Die Hesse Matrizen in (0, 0), (±1, 0), (0, ±1) sind
✓
◆
✓ 8
◆
4 0
0
e
2
0 6
0
e
4x3
6xy 2 )( 2x)e
x2 y 2
x2 y 2
6y 3
4x2 y)( 2y)e
x2 y 2
x2 y 2
x2 y 2
= ( 20xy + 8x3 y + 12xy 3 )e
✓
2
e
0
0
12
e
x2 y 2
◆
2
Beispiel 6.10.5 Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = (y x2 )(y 3x2 ) gegeben. Diese Funktion
hat in (0, 0) kein relatives Extremum, aber f eingeschränkt auf jede Gerade durch (0, 0) besitzt in
(0, 0) ein striktes relatives Minimum.
6.10. EXTREMWERTE
325
Beweis. Die ersten partiellen Ableitungen sind
@f
=
@x
3x2 )
2x(y
@f
= (y
@y
x2 ) =
6x(y
3x2 ) + (y
8xy + 12x3
x2 ) = 2y
4x2 .
Die kritischen Punkte erfüllen
12x3 = 8xy
4x2 = 2y.
und
Hieraus folgt
12x3 = 16x3
und damit x = 0. Also gilt auch y = 0. Der einzige kritische Punkt ist (0, 0). Die zweiten,
partiellen Ableitungen sind
@2f
=
@x2
@2f
=2
@y 2
8y + 36x2
Die Hesse Matrix in (0, 0) ist
✓
0 0
0 2
◆
@2f
=
@x@y
8x.
.
Diese Matrix besitzt einen strikt positiven Eigenwert. Das bedeutet, dass in (0, 0) kein relatives
Maximum vorliegen kann. Wir können nicht schließen, ob in (0, 0) ein lokales Minimum vorliegt
oder nicht. Um einzusehen, dass in (0, 0) kein lokales Extremum vorliegt, betrachten wir die Gerade
{(0, y)|y 2 R} und die Kurve {(x, 2x2 )|}. Es gelten f (0, y) = y 2 und f (x, 2x2 ) = x4 . Deshalb
nimmt f in jeder Umgebung von (0, 0) sowohl strikt positive, als auch strikt negative Werte an.
Deshalb liegt in (0, 0) kein relatives Extremum vor.
Wir schränken nun f auf die Gerade y = ax ein.
a (x)
= f (x, ax) = (ax
0
a (x)
0 und
a
2
±
a
p
2 3
x2 )(ax
= 2a2 x
3x2 ) = a2 x2
4ax3 + 3x4
12ax2 + 12x3
sind kritische Punkte.
00
a (x)
= 2a2
24ax + 36x2
Somit liegt in 0 ein striktes relatives Minimum vor.
Wir wollen noch untersuchen, wie der Graph von f aussieht. In dem Punkt
a
relatives Maximum von a und in a2 + 2p
ein relatives Minimum vor. 2
3
a
2
a
p
2 3
liegt ein
Beispiel 6.10.6 (Beste Approximation im quadratischen Mittel) Es sei f 2 C[0, 1]. Es gibt genau
ein Polynom
n
X
pn (x) =
ak xk
k=0
n-ten Grades, so dass
Z
0
minmal ist.
Es sei
bk =
Z
0
1
|f (x)
pn (x)|2 dx
1
f (x)xk dx
k = 0, 1, . . . , n
326
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Dann lassen sich die Koeffizienten des Polynoms durch
0
1 0
a0
✓
◆n
1
B .. C B
@ . A=@
i + j + 1 i,j=0
an
1
b0
.. C
. A
bn
berechnen.
Die minimierenden Polynome sind nicht mit den Taylorpolynomen identisch.
Beweis. Wir setzen
F (a0 , . . . , an ) =
Z
1
f (x)
0
=
Z
0
n
X
2
k
ak x
dx
k=0
1
|f (x)|2 dx
2
n
X
ak
k=0
Z
1
f (x)xk dx +
0
n
X
ai aj
.
i+j+1
i,j=0
F ist ein Polynom 2. Grades. Wir wollen den Punkt bestimmen, an dem das absolute Minimum
angenommen wird. Zunächst wissen wir noch nicht, dass das Minimum überhaupt angenommen
wird, wir wissen auch noch nicht, dass dieser Punkt eindeutig ist.
Wir untersuchen die kritischen Punkte.
Z 1
n
X
@F
ai
= 2
f (x)xj dx + 2
@aj
i
+
j+1
0
i=0
Damit erfüllen die kritischen Punkte a die Gleichungen
Z 1
n
X
ai
=
f (x)xj dx
i
+
j
+
1
0
i=0
j = 0, 1, . . . , n
Wir zeigen nun, dass es genau eine Lösung diese Gleichungssystems gibt. Dazu zeigen wir, dass
die Matrix
✓
◆n
1
i + j + 1 i,j=0
invertierbar ist. Wir zeigen, dass alle Eigenwerte der Matrix
✓
◆n
1
i + j + 1 i,j=0
strikt positiv sind. Um dies zu zeigen, benutzen wir Satz und weisen nach, dass für alle k = 0, . . . , n
✓
◆k
1
0 < det
i + j + 1 i,j=0
gilt. Hierzu benutzen wir die folgende Formel. Für alle Zahlen a0 , . . . , an und b0 , . . . , bn mit
ai + bj 6= 0, i, j = 0, . . . , n gilt
Q
aj )(bi bj )
✓
◆n
0  i, j  n (ai
1
j <i
Qn
det
=
ai + bj i,j=0
i,j=0 (ai + bj )
Mit ai = i + 1 und bj erhalten wir für alle k = 1, . . . , n
Q
j)2
✓
◆k
0  i, j  k (i
1
j <i
det
= Qk
>0
i + j + 1 i,j=0
i,j=0 (i + j + 1)
6.10. EXTREMWERTE
327
Damit gibt es genau einen kritischen Punkt, der die behauptete Gleichung erfüllt. Die Hesse Matrix
von F an dieser Stelle ist
✓
◆n
1
.
i + j + 1 i,j=0
Wie wir eben festgestellt haben besitzt sie nur positive Eigenwerte und damit liegt ein striktes,
lokales Minimum vor.
Nun zeigen wir, dass das lokale Minimum auch ein globales ist. Dazu müssen wir zeigen, dass
ein globales Minimum existiert. Da ein globales Minimum insbesondere ein lokales ist und es nur
ein lokales Minimum gibt, muss das lokale Minimum das globale sein.
Wir überlegen uns, dass es ein r gibt, so dass für alle a 2 Rn mit kak r
F (0)  F (a)
gilt. Wir bezeichnen
Q(a) =
n
X
ai aj
i
+
j+1
i,j=0
und
L(a) = 2
n
X
aj
j=0
Z
1
f (x)xj dx.
0
Mit der Ungleichung von Cauchy Schwarz folgt
0
n Z
X
|L(a)|  2kak @
1 12
f (x)xj dx A .
0
j=0
Weiter gilt, dass
2
1
inf Q(b) = min Q(b) > 0.
kbk=1
kbk=1
Das Infimum wird angenommen, weil Q eine stetige Funktion ist und die Menge {b| kbk = 1}
kompakt ist. Das Minimum ist strikt größer als 0, weil Q positiv definit ist. Wir wählen
2
r=
✓
Pn
j=0
R1
0
2
j
f (x)x dx
minkbk=1 Q(b)
◆ 12
.
Hiermit gilt
F (a) = Q(a)
L(a) +
Z
1
0
2
kak Q
0
Für a mit kak
✓
a
kak
◆
|f (x)|2 dx
0
n Z
X
@
2kak
j=0
kbk=1
F (a)
0
j=0
Z
0
1 12
f (x)x dx A +
j
0
n Z
X
2@
B
kak @kak min Q(b)
r folgt
2
1
0
1
Z
0
1
|f (x)|2 dx
1 12 1
Z
C
f (x)xj dx A A +
2
0
1
|f (x)|2 dx.
1
|f (x)|2 dx = F (0).
Also wird das Minimum von f in der Menge {a| kak  r} angenommen. Also muss es sich um das
lokale Minimum handeln.
Tatsächlich hätten wir nicht nachweisen brauchen, dass die Hesse Matrix positiv definit ist.
Es reicht zu zeigen, dass ein globales Minimum existiert und dass es einen eindeutigen kritischen
Punkt gibt.
328
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Unter allen quadratischen Polynomen liefert
p2 (x) = (39e
das Minimum für
Z
0
105) + (588
570)x2
216e)x + (210e
1
|ex
(a0 + a1 x + a2 x2 )|2 dx.
Das Polynom ist nicht mit dem Taylorpolynom von ex identisch.
Bei der Berechnung des Polynoms verfahren wir wie folgt. Es gelten
Z 1
Z 1
Z 1
x
x
e dx = e 1
xe dx = 1
x2 ex dx = e
0
0
Das Gleichungssystem
0
hat die eindeutige Lösung
1
@
1
2
1
3
1
2
1
3
1
4
2.
0
10
1 0
1
a0
e 1
A @ a1 A = @ 1 A
a2
e 2
1
3
1
4
1
5
(a0 , a1 , a2 ) = (39e
105, 588
216e, 210e
570).
2
Beispiel 6.10.7 Eine rechteckige Schachtel ohne Deckel werde aus 12 m2 Karton hergestellt. Man
finde die Schachtel mit maximalem Volumen.
Die Länge, Breite und Höhe der Schachtel sei mit x, y, z bezeichnet. Dann ist das Volumen
gleich
V = xyz.
Für die Fläche erhalten wir
F = 2xz + 2yz + xy = 12.
Wir lösen diese Gleichung nach z auf
z=
Hiermit
V = xy
12 xy
.
2(x + y)
12 xy
12xy x2 y 2
=
.
2(x + y)
2(x + y)
Wir fassen V als Funktion von {(x, y)|x > 0 und y > 0} nach R auf.
@V
y 2 (12 2xy x2 )
=
@x
2(x + y)2
@V
x2 (12 2xy y 2 )
=
@y
2(x + y)2
Für die kritischen Punkte gilt
x 6= 0
y 6= 0
weil anderenfalls V = 0. Deshalb gilt
12
2xy
x2 = 0
12
2xy
x2 = 12
3x2
Hieraus folgt
x2 = y 2 .
Da x > 0 und y > 0, so gilt x = y. Es folgt
0 = 12
2xy
y2 = 0
6.11. UMKEHRABBILDUNGEN
329
und damit
x = 2.
Damit gilt auch y = 2. Für z erhalten wir
z=
12 xy
12 4
=
= 1.
2(x + y)
8
Wir prüfen nach, dass es sich um ein lokales Maximum handelt.
@2V
@x2
=
=
@ y 2 (12 2xy x2 )
@x
2(x + y)2
1 ( 2y 3 2xy 2 )(x + y)2 2(x + y)y 2 (12
2
(x + y)4
2xy
x2 )
Für x = y = 2 erhalten wir
@2V
@2V
(2,
2)
=
(2, 2) =
@x2
@y 2
1.
Die gemischten, partiellen Ableitungen sind
@2V
@y@x
=
=
@ y 2 (12 2xy x2 )
@y
2(x + y)2
1 (24y 6xy 2 2x2 y)(x + y)2 2(x + y)y 2 (12
2
(x + y)4
2xy
x2 )
.
Für x = y = 2 erhalten wir
@2V
@2V
(2, 2) =
(2, 2) =
@y@x
@x@y
Für die Hesse Matrix an der Stelle (2, 2) erhalten wir
! ✓
@2V
@2V
@x2
@y@x
=
@2V
@2V
@x@y
@y 2
1
1
2
1
.
2
1
2
1
◆
.
Die Eigenwerte der Matrix sind 12 und 32 . Damit haben wir nachgewiesen, dass ein lokales
Maximum in x = y = 2 vorliegt. Es bleibt noch zu zeigen, dass dies ein globales ist.
6.11
Umkehrabbildungen
Falls f : Rn ! Rn eine lineare Abbildung ist, also f (x) = Ax, wobei A eine n ⇥ nMatrix ist, so ist f genau dann invertierbar, wenn die Determinante von
df
=A
dx
von 0 verschieden ist. Der allgemeine Fall folgt wieder mittels Approximation der
fi , i = 1, . . . , n durch Taylorpolynome 1. Grades
fi (x0 + h) ⇠ fi (x0 ) +
n
X
@fi
(x0 )hk .
@x
k
k=1
330
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Definition 6.11.1 Es seien (X, dX ) und (Y, dY ) metrische Räume und f : X ! Y
eine Abbildung. f heißt o↵en, falls das Bild einer o↵enen Menge wieder o↵en ist.
Falls f invertierbar und o↵en ist, dann ist f
1
stetig.
Lemma 6.11.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge vom Rn , w 2 U und f : U ! Rn
stetig di↵erenzierbar mit
df
(w)
dx
(6.7)
invertierbar. Dann gibt es eine Umgebung von w, auf der f injektiv ist.
Beweis. Wir zeigen, dass es ein ✏ > 0 gibt, so dass für alle ⇠1 , . . . , ⇠n 2 B2n (w, ✏)
✓
◆n !
@fi
(6.8)
det
(⇠i )
6= 0
@xj
i,j=1
gilt. Damit sind die Matrizen invertierbar. (Wir brauchen hier tatsächlich, dass wir
jedes i einen anderen Vektor einsetzen können.) Dazu betrachten wir die Abbildung
F : Rn⇥n ! R mit
✓
◆n !
@fi
(6.9)
F (⇠1 , . . . , ⇠n ) = det
(⇠i )
.
@xj
i,j=1
Wir statten den Rn⇥n mit der Norm
k(⇠1 , . . . , ⇠n )k = max k⇠i k2
1in
aus. Diese Abbildung erfüllt
F (w, . . . , w) 6= 0
und sie ist stetig. Sie ist stetig, weil die partiellen Ableitungen stetig sind und weil
det stetig ist (det ist ein Polynom). Da F stetig ist, gibt es ein ✏ > 0, so dass für
alle (⇠1 , . . . , ⇠n ) 2 B n⇥n ((w, . . . , w), ✏)
F (⇠1 , . . . , ⇠n ) 6= 0
gilt. Damit haben wir (6.9) nachgewiesen.
Es seien nun y, z 2 B2n (w, ✏). Nach dem Mittelwertsatz gibt es für alle i =
1, . . . , n ein ⇥i mit 0 < ⇥i < 1 und
fi (y)
fi (z) =
Es folgt
f (y)
f (z) =
n
X
@fi
(z + ⇥i (y
@x
j
j=1
✓
@fi
(z + ⇥i (y
@xj
z))(yj
◆n
z))
(y
zj ).
z).
i,j=1
Da die Matrix nach (6.8) invertierbar ist, folgt f (y) 6= f (z), falls y 6= z. 2
6.11. UMKEHRABBILDUNGEN
331
Lemma 6.11.2 Es sei U eine o↵ene Teilmange des Rn und f : U ! Rn sei stetig
di↵erenzierbar in U. Es sei w 2 U und die Funktionalmatrix von f in w sei invertierbar. Dann gibt es eine Umgebung W von f (w) mit W ✓ f (U).
Beweis. Nach Lemma 6.11.1 gibt es ein ✏ > 0, so dass f auf B2n (w, ✏) injektiv ist.
df
Außerdem können wir annehmen, dass det( dx
(x)) 6= 0 auf B2n (w, ✏) gilt. Dies gilt,
df
weil f stetig di↵erenzierbar auf U ist und det( dx
(w)) 6= 0.
n
Wir betrachten g : B2 (w, ✏) ! R mit
g(x) = kf (x)
f (w)k2 .
Es gibt ein ⌘ > 0, so dass für alle x mit kx
wk = ✏
⌘  g(x)
gilt. Wir zeigen dies. Da g auf B2n (w, ✏) injektiv ist, gilt für alle x mit kx wk2 = ✏
g(x) > 0. Anderenfalls würde f (x) = f (w) gelten und f wäre nicht injektiv. Da g
stetig ist und B2n (w, ✏) kompakt, nimmt g auf {x|kx wk2 = ✏} ihr Minimum an.
Diese Minimum ist strikt größer als 0.
Wir zeigen nun, dass für alle y mit ky f (w)k2 < ⌘2 ein x mit kx wk2 < ✏ und
f (x) = y existiert, also
B2n (f (w), ⌘2 ) ✓ f (B2n (w, ✏)).
Dazu betrachten wir die Funktion h : B2n (w, ✏) ! R mit
yk22 .
h(x) = kf (x)
Diese Funktion nimmt ihr Minimum in einem inneren Punkt von B2n (w, ✏) an. Wir
zeigen dies. Da h stetig ist und B2n (w, ✏) kompakt, nimmt h ihr Minimum auf
B2n (w, ✏) an. Wir zeigen, dass das Minimum nicht auf der Menge {x|kx wk2 = ✏}
angenommen wird. In der Tat, für alle x mit kx wk2 = ✏ gilt
⌘  kf (x)
Wegen ky
f (w)k2 = kf (x)
f (w)k2 
⌘
2
y+y
f (w)k2  kf (x)
folgt für alle x mit kx
⌘
 kf (x)
2
Wir nehmen nun an, dass es ein z mit kz
h(z) = kf (z)
yk22 =
yk2 + ky
wk2 = ✏
yk2 .
wk2 = ✏ und
min
kx wk2 ✏
kf (x)
yk22
gibt. Dann gilt
kf (z)
yk2 =
yk2 
min
min
kx wk2 ✏
kf (x)
yk2
und damit
⌘
 kf (z)
2
kx wk2 ✏
kf (x)
yk2  kf (w)
⌘
yk2 < .
2
f (w)k2 .
332
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Dies ist ein Widerspruch. Also wird das Minimum in einem inneren Punkt z der
Menge B2n (w, ✏) angenommen. Somit gilt rh(z) = 0. Es folgt
!n
n
X
@fi (z)
0 = rh(z) = 2
(fi (z) y)
@xj
i=1
j=1
bzw.
0=
✓
◆n
@fi
@xj
(f (z)
y).
i,j=1
Da die Matrix auf B2n (w, ✏) invertierbar ist, folgt f (z) = y. 2
Satz 6.11.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und f : U ! Rn sei auf U
stetig di↵erenzierbar. Es seien x0 2 U und
✓
◆
df
det
(x0 ) 6= 0.
dx
Dann gibt es o↵ene Umgebungen V(x0 ) von x0 und W(f (x0 )) von f (x0 ), so dass
V(x0 ) bijektiv auf W(f (x0 )) abgebildet wird, d.h. es gibt auf W(f (x0 )) eine Umkehrabbildung f 1 .
Die Umgebungen V(x0 ) und W(f (x0 )) können so gewählt werden, dass f 1 auf
W(f (x0 )) stetig di↵erenzierbar ist und für alle x 2 V(x0 )
(6.10)
df 1
(f (x)) =
dy
✓
◆
df
(x)
dx
1
gilt.
Wenn man bereits weiß, dass f 1 existiert und di↵erenzierbar ist, dann folgt die
Gleichung (6.10) aus der Kettenregel. In der Tat, aus
f
1
(f (x)) = x
folgt
d
f
dx
1
(f (x)) = In .
Mit der Kettenregel folgt
df 1
df
(f (x)) (x) = In .
dy
dx
Also gilt
df 1
(f (x)) =
dy
✓
◆
df
(x)
dx
1
.
Beweis. Wir weisen zuerst die Existenz der o↵enen Umgebungen V(x0 ) und W(f (x0 ))
von x0 und f (x0 ) nach. Wegen Lemma 6.11.1 gibt es eine o↵ene Umgebung V1 (x0 )
6.11. UMKEHRABBILDUNGEN
333
(x)
von x0 , auf der f injektiv ist. Wir können außerdem sicher stellen, dass dfdx
auf
V1 (x0 ) invertierbar ist. Nun betrachten wir die Menge f (V1 (x0 )). Wegen Lemma
6.11.2 ist diese Menge o↵en. Mit demselben Argument schließen wir, dass die Abbildung f auf V1 (x0 ) eine o↵ene Abbildung ist. Somit ist f 1 stetig.
Da f di↵erenzierbar ist, gilt
f (x) = f (x0 ) +
df (x0 )
(x
dx
x0 ) + (x)kx
x0 k2
mit
lim (x) = 0.
x!x0
Wegen x = f
y
Es folgt
✓
◆
df (x0 )
dx
1
1
(y) und x0 = f
y0 =
df (x0 )
(f
dx
1
(y0 )
(y)
f
(y) f
1
1
1
(y y0 ) = f
1
(y0 )) + (f
1
(y))kf
✓
◆
df (x0 )
(y0 )+
dx
1
f
1
(y)))kf
1
(y)
(y0 )k2 .
1
( (f
1
(y) f
1
(y0 )k2 .
Also
1
f
✓
◆ 1
df (x0 )
(y) = f (y0 ) +
(y y0 )
dx
✓
◆ 1
df (x0 )
kf
+
( (f 1 (y)))
dx
1
1
(y)
ky
f 1 (y0 )k2
y0 k2
!
ky
Es bleibt zu zeigen
✓
lim
y!y0
Da f
1
df (x0 )
dx
◆
1
( (f
1
lim f
1
kf
1
(y) = f
1
(y)))
(y)
ky
f 1 (y0 )k2
y0 k2
!
= 0.
stetig ist, gilt
y!y0
(y0 ).
Also
lim (f
y!y0
1
(y)) = (f
1
(y0 )) = (x0 ) = 0.
Es bleibt zu zeigen, dass
kf
für y ! y0 beschränkt bleibt.
(6.11)
kf
1
(y)
ky
1
(y)
ky
f 1 (y0 )k2
y0 k2
f 1 (y0 )k2
kx
=
y0 k2
kf (x)
x0 k2
=
f (x0 )k2
1
kf (x) f (x0 )k2
kx x0 k2
y0 k2 .
334
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Es gilt
df (x0 )
(x
dx
kf (x)
f (x0 )k2
kf (x)
kx
f (x0 )k2
x0 k2
x0 )
k (x)k2 kx
2
x0 k2
und damit
✓
◆
df (x0 )
x x0
k (x)k2
dx
kx x0 k2 2
df (x0 )
inf
(z)
k (x)k2
kzk2 =1
dx
2
Da die Menge {z|kzk2 = 1} kompakt ist und die Abbildung, die z auf
abbildet, stetig ist, wird das Infimum angenommen. Also
✓
◆
kf (x) f (x0 )k2
df (x0 )
x x0
k (x)k2
kx x0 k2
dx
kx x0 k2 2
df (x0 )
min
(z)
k (x)k2
kzk2 =1
dx
2
Da
df (x0 )
dx
df (x0 )
dx
(z)
2
invertierbar ist, gilt
↵ = min
kzk2 =1
df (x0 )
(z)
dx
> 0.
2
Da in x0 stetig ist, gibt es ein ✏ > 0, so dass für alle x 2 B2n (x0 , ✏) die Ungleichung
| (x)| < ✏ gilt. Wir wählen ✏ = ↵2 . Dann gilt für alle x 2 B2n (x0 , ↵2 )
kf (x)
kx
f (x0 )k2
x0 k2
↵
.
2
Mit (6.11) folgt für alle y mit B2n (y0 , )
kf
1
(y)
ky
f 1 (y0 )k2
2
 .
y0 k2
↵
2
Beispiel 6.11.1 (i) Es sei f : R2 ! R2 durch
f (r, ) = (x(r, ), y(r, )) = (r cos , r sin )
gegeben. f ist in allen Punkten (r, ) mit r 6= 0 lokal invertierbar. Die lokalen Inversen sind durch
r=
p
x2 + y 2
= arctan
y
x
gegeben (x 6= 0).
(ii) Es sei f : (0, 1) ⇥ R ! R2 durch
f (r, ) = (x(r, ), y(r, )) = (r cos , r sin )
6.11. UMKEHRABBILDUNGEN
335
gegeben. f ist in allen Punkten (r, ) lokal invertierbar, f ist aber nicht global invertierbar.
(iii) Es sei f : R2 ! R2 durch
f (x, y) = (u(x, y), v(x, y)) = (x2 + y 2 , xy)
gegeben. f ist lokal umkehrbar, falls x2 6= y 2 . Die lokalen Inversen sind durch
s
r
v
u
u2
r
x=
y=
+
v2
q
2
4
u
u2
v2
2 +
4
gegeben.
(iv) (Polarkoordinaten) Es sei f : Rn ! Rn durch
f (r,
1, . . . ,
n 1)
= (x1 , . . . , xn )
und
x1 = r cos
x2 = r sin
x3 = r sin
..
.
xn 1 = r sin
xn = r sin
1
cos
1 sin
1
2
2
cos
. . . sin
1 . . . sin
1
3
cos
2 sin
n 2
n 1
n
n 1
gegeben. Dies lässt sich auch so schreiben
x1
xk
xn
= r cos 1
kY1
= r
sin
= r
i=1
n
Y1
sin
i
cos
k = 2, 3, . . . , n
k
1
i
i=1
Es gilt
det
✓
df
d(r, 1 , . . . ,
n 1)
◆
= rn
1
= rn
1
sinn
n
Y2
2
1
sinn
sinn
3
k 1
k.
2
. . . sin
n 2
k=1
Beweis. (i) Wir wenden den Umkehrsatz an. Die Abbildung f ist stetig di↵erenzierbar, weil die
partiellen Ableitungen existieren und stetig sind.
@x
= cos
@r
@x
=
@
r sin
Die Determinante der Funktionalmatrix ist
!
✓
@x
@x
cos
@r
@
det
=
det
@y
@y
sin
@r
@
@y
= sin
@r
r sin
r cos
◆
= r cos2
@y
= r cos
@
+ r sin2
= r.
336
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Die Funktionalmatrix ist also für alle (r, ) mit r 6= 0 von 0 verschieden. Somit ist f in allen diesen
Punkten lokal invertierbar. Dies kann man auch leicht dadurch einsehen, dass man die Inverse
berechnet. Aus x = r cos und x = r sin folgen
r2 = x2 + y 2
y
= tan .
x
und
Mit dem Satz über die Umkehrfunktion erhalten wir für die Ableitung der Inversen
✓
◆ 1
df 1
df
(f (r, )) =
(r, )
d(x, y)
d(r, )
bzw.
df 1
(f (r, )) =
d(x, y)
=
✓
cos
sin
✓
◆
r sin
r cos
◆
y
r
=
x
x
r
y
r2
1
=
✓
x
x2 +y 2
y
x2 +y 2
p
r2
cos
1
r sin
p 2y
x +y 2
x
x2 +y 2
◆
sin
1
r cos
!
.
Da wir die Umkehrabbildung explizit ausgerechnet haben, können wir die Ableitung auch direkt
ausrechnen.
(ii) f ist wegen (i) in allen Punkten lokal umkehrbar, aber nicht global umkehrbar, weil
f (r, ) = f (r, + 2⇡).
(iii) Für die Funktionaldeterminante von f erhalten wir
!
✓
◆
@f1
@f1
2x 2y
@x
@y
det
= det
= 2x2
@f2
@f2
y
x
@x
@y
2y 2 .
Die Funktionaldeterminante ist also genau dann 0, wenn x2 = y 2 . Auch hier können wir die
Inversen explizit berechnen. Aus u = x2 + y 2 und v = xy folgt
x=
v
y
und
u=
v2
+ y2 .
x2
Es folgt
y4
und damit
y=
s
y2 u + v2
u
+
2
r
u2
4
v2 .
(iv) Wir entwickeln die Determinante gemäss der Laplace Formel nach der letzten Spalte, d.h. der
n 1 -Spalte. In dieser Spalte sind nur die letzten beiden Koordinaten von 0 verschieden.
✓
◆
@xn
det
@(r, 1 , . . . , n 1 )
✓
◆
✓
◆
@xnn 1
@xnn
@xn
@xn
=
det
det
@ n 1
@(r, 1 , . . . , n 1 ) (n,n) @ n 1
@(r, 1 , . . . , n 1 ) (n 1,n)
Weiter gilt
✓
@xnn 1 @xnn 1
@xn
,
,..., n
@r
@ 1
@ n
✓
@xnn @xnn
@xnn
,
,...,
@r @ 1
@ n 2
1
2
◆
◆
= cos
= sin
n 1
n 1
@xnn 11 @xnn 11
@xn
,
,..., n
@r
@ 1
@ n
@xnn 11 @xnn 11
@xn
,
,..., n
@r
@ 1
@ n
1
1
2
1
1
2
!
.
!
6.11. UMKEHRABBILDUNGEN
337
Damit erhalten wir
det
✓
@xn
@(r, 1 , . . . ,
weil die letzte Zeile der Matrix
det
✓
@xn
@(r, 1 , . . . ,
n 1)
◆
= cos
1 ,..., n
n 1)
n
(n,n)
@xn
@(r,
1 det
1)
◆
✓
@xn 1
@(r, 1 , . . . ,
n 2)
◆
gestrichen wird. Ebenso erhalten wir
= sin
n 1
(n 1,n)
det
✓
@xn 1
@(r, 1 , . . . ,
wobei wir beachten, dass die vorletzte Zeile gestrichen wird. Es folgt
✓
◆
@xn
det
@(r, 1 , . . . , n 1 )
✓
◆
@xnn
@xn 1
= cos n 1
det
@ n 1
@(r, 1 , . . . , n 2 )
✓
@xn
@xn 1
sin n 1 n 1 det
@ n 1
@(r, 1 , . . . ,
✓
◆
n
2
Y
@xn 1
=r
sin i det
@(r, 1 , . . . , n 2 )
i=1
n 2)
n 2)
◆
◆
2
Es stellt sich die Frage, ob man beim Umkehrsatz die Voraussetzung, dass die
Funktion stetig di↵erenzierbar ist, abschwächen kann? Reicht vielleicht, die Di↵ferenzierbarkeit aus? Dies ist nicht der Fall. Dazu das folgende Beispiel.
Beispiel 6.11.2 Es sei f : R ! R durch
⇢
x + x2 cos x⇡2
f (x) =
0
x 6= 0
x=0
definiert. f ist überall di↵erenzierbar f 0 (0) = 1, aber nicht in 0 lokal umkehrbar.
Beweis. Falls eine di↵erenzierbare Funktion auf einem Intervall umkehrbar ist, so muss ihre
Ableitung nicht negativ oder nicht positiv auf dem Intervall sein. Da f 0 (0) = 1, so muss die
Ableitung auf dem Intervall nicht negativ sein. Es gilt
f 0 (x) = 1 + 2x cos
und für
erhalten wir
0
also
1
x= q
2k +
1
1
1
A = 1 + 2q
f @q
2k + 32
2k +
0
⇡
2⇡
⇡
+
sin 2
2
x
x
x
0
1
3
2
r
✓
◆
✓
◆
3
3
3
cos 2k⇡ + ⇡ + 2⇡ 2k + sin 2k⇡ + ⇡
2
2
2
1
A=1
f @q
2k + 32
0
3
2
2⇡
r
2k +
3
<0
2
338
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
2
1
0.5
-1
-0.5
0.5
1
-0.5
-1
6.12
Implizite Funktionen
Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und fi : U ! R, i = 1, . . . , m. Unter welchen
Voraussetzungen kann man das Gleichungssystem
fi (x) = 0
i = 1, . . . , m
lösen? Kann man das Gleichungssystem nach bestimmten Variablen auflösen? Unter
welchen Voraussetzungen sind die Lösungen di↵erenzierbare Funktionen?
Wir betrachten das Gleichungssystem
x2 + y 2 + z 2 = 1
ex = sin y
Dieses Gleichungssystem hat
x = ln(sin y)
p
z =
1 y2
| ln(sin y)|2
als eine Lösung (vorausgesetzt die Ausdrücke sind sinnvoll). Wir haben nach x und
z aufgelöst.
Es seien m, n 2 N mit m < n und U eine o↵ene Teilmenge des Rn . Weiter sei
F : U ! Rm eine Funktion. Wir sagen, dass das System F (x) = 0 bzw.
fi (x) = 0
i = 1, . . . , m
lokal in x0 nach x(1), . . . , x(m) auflösbar ist, falls es eine Umgebung V(x0 (m +
1), . . . , x0 (n)) von (x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) 2 Rn m und eine eindeutige Funktion
: V(x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) ! Rm
6.12. IMPLIZITE FUNKTIONEN
339
gibt, so dass für alle (x(m + 1), . . . , x(n)) 2 V(x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) und alle i =
1, . . . , m
fi ( 1 (x(m + 1), . . . , x(n)), . . . ,
m (x(m
+ 1), . . . , x(n)), x(m + 1), . . . , x(n)) = 0
und
(x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) = (x0 (1), . . . , x0 (m))
gilt. Wir sagen, dass
implizit durch das Gleichungssystem definiert ist.
Satz 6.12.1 Es seien m < n, U eine o↵ene Teilmenge des Rn und F : U ! Rm
stetig di↵erenzierbare Funktionen auf U. Es sei x0 2 U mit F (x0 ) = 0. Die Matrix
✓
◆m
@fi
(x0 )
@xk
i,k=1
sei nicht singulär. Dann ist das Gleichungssystem F (x) = 0 lokal in x0 auflösbar und
die Lösung ist auf einer Umgebung von (x0 (m+1), . . . , x0 (n)) stetig di↵erenzierbar.
Die Funktionalmatrix von berechnet sich durch
✓
◆m,n
@ i
(x0 (m + 1), . . . , x0 (n))
@xk
i=1,k=m+1
✓
◆m ! 1 ✓
◆m,n
@fi
@fi
=
(x0 )
(x0 )
.
@xk
@xk
i,k=1
i=1,k=m+1
Satz 6.12.1 ist insbesondere dann von Interesse, wenn es zu kompliziert ist, ein
Gleichungssystem aufzulösen. Der Satz hat also theoretisches Interesse. Er stellt
nur sicher, dass es eine Lösung gibt, ohne jedoch eine explizite Formel für die Lösung
zu liefern.
Zum Beweis wird der Mittelwertsatz verwendet. Die Beweisidee und Formulierung
geht auf lineare Gleichungssysteme zurück. Falls fi , i = 1, . . . , m, lineare Abbildungen sind, so hat man
n
X
ai,k x(k) = 0
i = 1, . . . , m
k=1
Dieses System lässt sich nach x(1), . . . , x(m) auflösen, wenn die Determinante der
Matrix
✓
◆m
@fi
m
(ai,k )i,k=1 =
@xk i,k=1
von 0 verschieden ist, bzw. wenn diese Matrix eine Inverse besitzt. Wir überlegen
uns dies. Es gilt
n
X
ai,k x(k) = 0
i = 1, . . . , m
k=1
340
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
genau dann, wenn
m
X
ai,k x(k) =
k=1
gilt. A
1
n
X
ai,k x(k)
sei die Inverse der Matrix A = (ai,k )m
i,k=1 . Dann folgt
0
1
!m
x(1)
n
X
B
C
A @ ... A =
ai,k x(k)
x(m)
bzw.
i = 1, . . . , m
k=m+1
k=m+1
0
1
x(1)
B .. C
@ . A=A
x(m)
n
X
1
i=1
!m
ai,k x(k)
k=m+1
.
i=1
Der Schritt von einem linearen Gleichungssystem auf ein allgemeines wird durch
Approximation mittels der Taylorpolynome 1. Grades vollzogen.
n
X
@fi
fi (x0 + h) ⇠ fi (x0 ) +
(x0 )hk
@xk
k=1
i = 1, . . . , m
Beweis. Wir betrachten die ergänzte Abbildung F̃ : U ! Rn mit
F̃ (x) = (f1 (x), . . . , fm (x), xm+1 , . . . , xn ).
Dann gilt
det
dF̃
dx
!
= det
✓
@fi
@xk
◆m
i,k=1
!
Nach dem Satz über die Umkehrabbildung (Satz 6.11.1) gibt es eine o↵ene Umgebung W von F̃ (x0 ) und eine Inverse F̃ 1 : W ! V zu F̃ mit
F̃
Nun definieren wir
1
(y) = (
1 (y), . . . ,
m (y), ym+1 , . . . , yn ).
:! Rm durch
i (zm+1 , . . . , zn )
=
i (0, . . . , 0, zm+1 , . . . , zn )
für alle i = 1, . . . , m. Es gilt
x = F̃ (F̃
1
(x)) = F̃ ((
1 (x), . . . ,
m (x), xm+1 , . . . , xn )).
Für x = (0, . . . , 0, xm+1 , . . . , xn ) folgt für i = 1, . . . , m
0 = fi ( 1 (0, . . . , 0, xm+1 , . . . , xn ), . . . , m (0, . . . , 0, xm+1 , . . . , xn ), xm+1 , . . . , xn )
= fi ( 1 (xm+1 , . . . , xn ), . . . , m (xm+1 , . . . , xn ), xm+1 , . . . , xn ).
6.12. IMPLIZITE FUNKTIONEN
341
Also gilt
F ( (x)) = 0.
Wir beweisen die Ableitungsformel. Es sei f = (f1 , . . . , fm ) und V eine o↵ene
Umgebung von (x0 (m + 1), . . . , x0 (n)) im Rn m , so dass für alle (x(m + 1), . . . , xn ) 2
V und alle
i = 1, . . . , m
i : V ! R
gilt
f ( 1 (x(m + 1), . . . , x(n)), . . . ,
m (x(m
+ 1), . . . , x(n)), x(m + 1), . . . , x(n)) = 0.
Wir definieren g : V ! Rn durch
g(x(m + 1), . . . , x(n))
= ( 1 (x(m + 1), . . . , x(n)), . . . ,
m (x(m
+ 1), . . . , x(n)), x(m + 1), . . . , x(n)).
Hiermit ergibt sich für alle (x(m + 1), . . . , x(n)) 2 V
f
g(x(m + 1), . . . , x(n)) = 0.
Deshalb gilt für alle (x(m + 1), . . . , x(n)) 2 V
d(f g)
(x(m + 1), . . . , x(n)) = 0.
d((x(m + 1), . . . , x(n)))
Mit der Kettenregel (Satz 6.6.1) folgt für alle (x(m + 1), . . . , x(n)) 2 V
df
dg
(g(x(m + 1), . . . , x(n)))
(x(m + 1), . . . , x(n)) = 0.
dx
d(x(m + 1), . . . , x(n))
In Matrizenschreibweise erhalten wir
0
0
B
@
@f1
@x1
...
..
.
@fm
@x1
@f1
@xn
..
.
...
@fm
@xn
B
1B
B
B
CB
AB
B
B
B
B
@
@ 1
@xm+1
... ...
@ m
@xm+1
1
0
..
.
... ...
0 ...
1 ...
...
0
...
..
.
@ 1
@xn
C
C
C
@ m C
@xn C
0 C
C = 0.
0 C
C
C
A
1
..
.
0
Es folgt für alle j = m + 1, . . . , n und alle i = 1, . . . , m
1
m
X
@fi @ k
@fi
+
= 0.
@x
@x
k @xj
j
k=1
In Matrizenschreibweise ist dies
✓
◆m,n
✓
◆m ✓
◆m,n
@fi
@fi
@ k
=
.
@xj i=1,j=m+1
@xk i,k=1 @xj k=1,j=m+1
⇤
342
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
Beispiel 6.12.1 (i) Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = x2 y gegeben.
(ii) Es sei f : R2 ! R durch f (x, y) = y x3 gegeben. f (x, y) = 0 kann lokal in (0, 0) nach x
aufgelöst werden. Wir können aber nicht den Satz über implizite Funktionen anwenden, um dies
sicherzustellen.
(iii) Es sei f : (0, 1) ⇥ (0, 1) ⇥ (0, 1) ! R durch
f (x, y, z) = xy + y z + z x
3
gegeben. f (x, y, z) = 0 kann in (1, 1, 1) lokal nach x aufgelöst werden und die Ableitung von x(y, z)
im Punkt (1, 1) ist
dx
(1, 1) = ( 1, 1).
d(y, z)
(iv) Es sei f : R2 ! R durch
f (x, y) = x3 + y 3
x+y
gegeben. f hat in allen Punkten, in denen f (x, y) = 0 gilt, eine lokale Auflösung nach y. Im
Punkt x = p13 hat die implizite Funktion ein striktes lokales Maximum und im Punkt x = p13 ein
striktes lokales Minimum. In allen anderen Punkten, in denen eine Auflösung möglich ist, liegen
keine Extrema vor.
Beweis. (i) Um die implizite Funktion f (x, y) = 0 bzw. x2 y = 0 zu bestimmen, braucht man
den Satz über implizite Funktionen nicht. Wir wollen aber an diesem Beispiel die Aussage des
Satzes über implizite Funktionen studieren.
O↵ensichtlich ist die Auflösung nach y die Funktion y = x2 . Um den Satz anzuwenden müssen
wir
@f
= 1
@y
berechnen. Diese 1 ⇥ 1 Matrix ist nicht singulär. Also ist f (x, y) = 0 in allen Punkten (x0 , y0 ) mit
x20 y0 = 0 lokal auflösbar. Die Ableitung lässt sich durch die Formel
dy
=
dx
✓
@f
@y
◆
1
@f
= 2x
@x
berechnen. Da wir die Auflösung y = x2 kennen lässt sich dieses Ergebnis auch direkt berechnen.
p
Als Auflösung nach x erhalten wir x = y. Der Satz kann angewendet werden und sagt aus,
dass wir lokal auflösen können, falls die partielle Ableitung @f
@x = 2x von 0 verschieden ist. Dies
schließt den Punkt (0, 0) aus. Tatsächlich gibt es auch keine lokale Auflösung im Punkt (0, 0).
Eine solche Funktion müsste nach Definition in einer Umgebung des Punktes 0 existieren. Die
p
Auflösung y existiert aber nur rechts von 0.
Die Berechnung der Ableitung liefert
dx
=
dy
(ii) O↵ensichtlich ist x =
angewendet werden, weil
✓
@f
@x
◆
1
@f
1
1
=
= p .
@y
2x
2 y
p
3 y eine Auflösung nach x.
Der Satz kann aber nicht in (0, 0)
@f
=
@x
3x
für x = 0 gleich 0 ist.
(iii) Der Punkt (1, 1, 1) erfüllt die Gleichung. Wegen
@f
= yxy
@x
1
+ (ln z)z x
6.12. IMPLIZITE FUNKTIONEN
343
gilt
@f
(1, 1, 1) = 1.
@x
Also ist f im Punkt (1, 1, 1) nach x lokal auflösbar. Weiter gilt
@f
= (ln x)xy + zy z
@y
@f
= (ln y)y z + xz x
@z
1
@f
(1, 1, 1) = 1
@y
1
@f
(1, 1, 1) = 1
@z
Damit erhalten wir
⇣
@x
@y (1, 1)
@x
@z (1, 1)
⌘
=
✓
◆
@f
(1, 1, 1)
@x
1
⇣
@f
@y (1, 1, 1)
@f
@z (1, 1, 1)
⌘
= ( 1, 1).
(iv) Wegen
@f
= 3y 2 + 1 > 0
@y
ist f (x, y) = 0 in allen Punkten (x0 , y0 ) mit f (x0 , y0 ) = 0 lokal auflösbar.
✓
dy
=
dx
@f
@y
◆
1
✓
Diese Gleichung erhält man auch so: Aus x3 + y 3
3x2 + 3y 2 y 0
@f
@x
◆
1 3x2
3y 2 + 1
=
x + y = 0 folgt
1 + y0 = 0
und damit
y0 =
1 3x2
.
3y 2 + 1
Deshalb sind die einzigen kritischen Punkte x = p13 und x =
f ( p13 , y) = 0. Für einen solchen Wert y muss gelten
1
y3 + y = p
3
p1 .
3
Tatsächlich gibt es ein y mit
1
2
( p )3 = p
3
3 3
2
Für y = 0 und y = 1 ergibt sich 0 < 3p
< 1. Also gibt es nach dem Zwischenwertsatz ein y mit
3
2
3
y + y = 3p3 . Ebenso verfahren wir für x = p13 .
Nun prüfen wir nach, dass in
p1
3
y 00 =
Für x =
p1
3
p1
3
ein Minimum liegt.
(3y 2 + 1)( 6x) (1 3x2 )6yy 0
(3y 2 + 1)2
erhalten wir
(3y 2 + 1)( 6x)
2
ein Maximum und in
(1
3x2 )6yy 0 =
6
p (3y 2 + 1) < 0.
3
344
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
6.13
Lagrangesche Multiplikatoren
Joseph Lagrange (1736-1813) wurde in Turin geboren. Er sollte Jura studieren, studierte aber
Mathematik und wurde mit 19 Jahren Professor für Mathematik an der Königlichen Militär Schule
in Turin. Er wurde von Friedrich II. zum Nachfolger von Euler an der Akademie der Wissenschaften
in Berlin ernannt. Nach Friedrichs Tod ging er auf Einladung von Louis XVI. nach Paris. 1788
verö↵entlichte er sein wichtigstes Werk ”Analytische Mechanik”. Dieses Werk setzt die Mechanik
von Newton, den Bernoullis und Euler fort. Es wird die Idee entwickelt, dass Probleme in der
Mechanik auf gewöhnliche und partielle Di↵erentialgleichungen zurückzuführen sind. Da er sehr
introvertiert war, überlebte er die Französische Revolution.
Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn . Es seien f : U ! R und g : U ! Rm
stetig di↵erenzierbare Funktionen. Wir wollen die lokalen Extrema von f auf der
Menge
{x 2 U|g(x) = 0}
bestimmen. Wir bezeichnen dies als ein Extremwertproblem mit Nebenbedingungen.
Satz 6.13.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn . Es seien f : U ! R und
g : U ! Rm stetig di↵erenzierbare Funktionen. Es sei x0 2 U mit g(x0 ) = 0 und
✓
◆
dg
rg
(x0 ) = m
dx
Wir nehmen an, dass f in x0 einn lokales Extremum unter der Nebenbedingung
g(x) = 0 habe. Dann gibt es ein 2 Rm mit
rf (x0 ) =
Die Zahlen
1, . . . ,
m
m
X
i=1
i rgi (x0 )
heißen Lagrangesche Multiplikatoren.
Beweis. Wir können annehmen, dass die Matrix
0 @g1
1
@g1
(x0 ) . . . @x
(x
)
0
@x1
m
B
C
..
..
@
A
.
.
@gm
@gm
(x0 ) . . . @xm (x0 )
@x1
nicht singulär ist, anderenfalls ordnen wir die Variablen x1 , . . . , xn neu.
Aus dem Satz über implizite Funktionen folgt, dass g(x) = 0 lokal in x0 nach
x(1), . . . , x(m) auflösbar ist. Also gibt es eine Umgebung V(x̃0 ) von x̃0 = (x0 (m +
1), . . . , x0 (n)) und eine Funktion : V ! Rm mit
g( 1 (x(m + 1), . . . , x(n)), . . . ,
m (x(m
+ 1), . . . , x(n)), x(m + 1), . . . , x(n)) = 0
6.13. LAGRANGESCHE MULTIPLIKATOREN
345
Wir definieren
F (x(m + 1), . . . , x(n))
= f ( 1 (x(m + 1), . . . , x(n)), . . . ,
m (x(m
+ 1), . . . , x(n)), x(m + 1), . . . , x(n)).
Nach Voraussetzungen hat F in x̃0 ein lokales Extremum. Also erhalten wir mit der
Kettenregel für alle k = m + 1, . . . , n
m
X @f
@F
@ i
@f
0=
=
(x0 )
(x̃0 ) +
(x0 )
@xk
@x
@x
@x
i
k
k
i=1
wobei wir beachten, dass
x0 = ( 1 (x0 (m + 1), . . . , x0 (n)), . . . ,
m (x0 (m + 1), . . . , x0 (n)), x0 (m + 1), . . . , x0 (n))
Also gilt
@f
(x0 ) =
@xk
m
X
@f
@ j
(x0 )
(x̃0 )
@xj
@xk
j=1
Wir definieren nun die Lagrangeschen Multiplikatoren durch das lineare Gleichungssystem
m
X
@gi
@f
(x0 ) =
(x0 )
j = 1, . . . , m
i
@xj
@xj
i=1
Da die Matrix
✓
◆m
@gi
(x0 )
@xj
i,j=1
nicht singulär ist, gibt es eine eindeutige Lösung . Damit haben wir auch die
Bedingung
m
X
rf (x0 ) =
i rgi (x0 )
i=1
für die Koordinaten j = 1, . . . , m erfüllt. Weiter erhalten wir
@f
(x0 )
@xk
=
=
=
m
X
@f
@ j
(x0 )
(x̃0 )
@x
@x
j
k
j=1
m X
m
X
i
j=1 i=1
m
m
X
X
i
i=1
j=1
@gi
@ j
(x0 )
(x̃0 )
@xj
@xk
@gi
@ j
(x0 )
(x̃0 )
@xj
@xk
Mit der Kettenregel erhalten wir für k = m + 1, . . . , n aus
g( 1 (x(m + 1), . . . , x(n)), . . . ,
m (x(m
+ 1), . . . , x(n)), x(m + 1), . . . , x(n)) = 0
346
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
dass
m
X
@gi
@ j
(x0 )
(x̃0 ).
@x
@x
j
k
j=1
@gi
(x0 ) =
@xk
Somit erhalten wir für k = m + 1, . . . , n
m
2
X
@f
(x0 ) =
@xk
i=1
i
@gi
(x0 ).
@xk
Beispiel 6.13.1 (Geometrisches und arithmetisches Mittel) Es sei x 2 Rn mit xi
1, . . . , n. Dann gilt
! n1
n
n
Y
1X
xi

xi
n i=1
i=1
0, i =
Beweis. Wir können das Problem auch so formulieren: Finde das Maximum von
! n1
n
Y
xi
i=1
unter der Nebenbedingung
n
1X
xi = 1
n i=1
xi
0, i = 1, . . . , n.
Es reicht, das Maximum der Funktion f : {x 2 Rn |8i : xi
f (x) =
n
Y
0} ! R
xi
i=1
mit der Nebenbedingung
n
0 = g(x) =
1X
xi
n i=1
1
zu finden. Da die Funktion f auf der abgeschlossenen und beschränkten, also kompakten Menge
(
)
n
X
n 1
x2R
xi = 1 und xi 0, i = 1, . . . , n
n i=1
stetig ist, nimmt diese Funktion dort Minimum und Maximum an. Das Maximum wird o↵ensichtlich in einem Punkt x mit xi > 0, i = 1, . . . , n angenommen. f besitzt somit ein Maximum
und es wird in einem Punkt x mit xi > 0, i = 1, . . . , xn angenommen. Das Maximum ist insbesondere ein relatives Maximum.
@f
@g
Nun wenden wir Satz 6.13.1 auf die Funktion f an. Wir erhalten aus @x
= @x
, dass
k
k
Y
xi =
1in
i 6= k
1
n
Es folgt für alle k = 1, . . . , n
n
Y
i=1
xi =
1
xk .
n
Pn
Da xi 6= 0, i = 1, . . . , n, so gilt 6= 0. Damit gilt x1 = x2 = · · · = xn . Wegen n1 i=1 xi = 1 folgt
weiter x1 = x2 = · · · = xn = 1. Also wird das Maximum im Punkt (1, 1, . . . , 1) angenommen. 2
6.14. DIFFERENTIATION IN BANACHRÄUMEN
6.14
347
Di↵erentiation in Banachräumen
René Maurice Fréchet wurde am 2. September 1878 in Maligny geboren. Er starb am 4. Juni 1973
in Paris. Er lehrte an der Universität Straßburg und in Paris an der École Normale Supérieure.
Er arbeitete auf dem Gebiet der Topologie und Wahrscheinlichkeitstheorie.
Lineare Abbildungen zwischen endlich-dimensionalen, normierten Räumen sind
stetig. Wenn der Grundraum nicht endlich-dimensional ist, so gibt es lineare Abbildungen, die nicht stetig sind.
Es seien X und Y Banachräume und U eine o↵ene Teilmenge von X. Wir sagen,
dass eine Funktion f : U ! Y in einem Punkt x0 2 U schwach di↵erenzierbar oder
auch Gâteaux-di↵erenzierbar ist, wenn es eine stetige, lineare Abbildung A : X ! Y
gibt, so dass für alle x
f (x0 + tx)
t!0
t
lim
f (x0 )
= A(x)
gilt. Wir sagen, dass f in x0 di↵erenzierbar bzw. Fréchet-di↵erenzierbar ist, falls
es eine stetige, lineare Abbildung A : X ! Y , ein ✏ > 0 und eine Funktion :
B(0, ✏) ! Y gibt, so dass für alle x mit kxk < ✏
f (x0 + x) = f (x0 ) + A(x) + (x)
und
lim
x!0
(x)
=0
kxk
gelten. O↵ensichtlich ist f in einem Punkt x0 Gâteaux-di↵erenzierbar, wenn f in
x0 Fréchet-di↵erenzierbar ist.
Lemma 6.14.1 (i) Die lineare Abbildung der Gâteaux-Di↵erenzierbarkeit ist eindeutig.
(ii) Die lineare Abbildung der Fréchet-Di↵erenzierbarkeit ist eindeutig.
(iii) Die lineare Abbildung der Gâteaux-Di↵erenzierbarkeit und die der FréchetDi↵erenzierbarkeit stimmen überein.
Wenn f Fréchet-di↵erenzierbar ist, dann bezeichnen wir A als das Di↵erential
bzw. Fréchet Di↵erential von f und schreiben
f 0 (x0 )
Df (x0 )
Beweis. (i) Wir nehmen an, es gäbe zwei verschiedene, lineare, stetige Abbildungen
A und B. Dann gelten für alle x
f (x0 + tx)
t!0
t
lim
f (x0 )
= A(x)
348
CHAPTER 6. FUNKTIONEN MEHRERER REELLER VARIABLEN
und
lim
t!0
f (x0 + tx)
t
f (x0 )
= B(x).
Also gilt für alle x
A(x) = B(x)
und damit A = B.
(ii) und (iii) folgen aus (i). ⇤
Lemma 6.14.2 Es seien X und Y Banachräume und U eine o↵ene Teilmenge von
X. Es sei f : U ! Y eine Abbildung, die in x0 Fréchet-di↵erenzierbar ist. Dann ist
sie in x0 stetig.
Lemma 6.14.3 Es seien X und Y Banachräume und U eine o↵ene Teilmenge von
X. Es seien f, g : U ! Y Abbildungen, die in x0 Fréchet-di↵erenzierbar sind. Dann
ist f + g in x0 Fréchet-di↵erenzierbar.
Beispiel 6.14.1 Es sei f : R2 ! R durch
( ⇣
f (x, y) =
x·y 2
x2 +y 4
0
⌘2
(x, y) 6= (0, 0)
(x, y) = (0, 0)
Dann ist f Gâteaux-di↵erenzierbar, aber nicht Fréchet-di↵erenzierbar.
Das zweite Di↵erential D2 f ist eine Abbildung von U nach L(X, L(X, Y )).
Chapter 7
Integration im Rn
Für alle i = 1, . . . , n seien
1 < ai < bi < 1 . Die Menge
n
Y
I=
[ai , bi ]
i=1
heißt abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall. Die Zahl
n
Y
µ(I) =
(bi
ai )
i=1
heisst n-dimensionales Volumen, n-dimensionales Mass oder n-dimensionaler Inhalt
von I. Eine Menge P = {I1 , . . . , Im } von abgeschlossenen Intervallen heißt Partition
von I, wenn
m
[
I=
Ik
und
Ik \ I` = ; k 6= `
k=1
gilt.
Der Durchmesser (A) einer Menge A des Rn ist
(A) = sup kx
yk
x,y2A
Die Feinheit einer Partition P ist
kPk = max (Ik )
1km
Man kann leicht nachrechnen, dass für alle Partitionen P = {I1 , . . . , Im } von I
µ(I) =
m
X
µ(Ik )
k=1
0
gilt. Eine Partition P 0 = {I10 , . . . , Im
0 } von I heisst Verfeinerung der Partition
P = {I1 , . . . , Im } von I, falls für jedes k 0 , k 0 = 1, . . . , m0 ein k, k = 1, . . . , m mit
Ik0 ✓ Ik existiert.
349
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
350
Insbesondere gilt (Ik0 )  (Ik ) und damit kP 0 k  kPk.
Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall im Rn und f : I ! R sei
beschränkt auf I. P = {I1 , . . . , Im } sei eine Partition von I. Wir setzen
mk (f ) = inf f (x)
Mk (f ) = sup f (x)
x2Ik
x2Ik
m(f ) = inf f (x)
M (f ) = sup f (x)
x2I
x2I
Die Zahl
US P (f ) =
m
X
mk (f )µ(Ik )
k=1
heißt Untersumme von f bezüglich P und die Zahl
OS P (f ) =
m
X
Mk (f )µ(Ik )
k=1
heißt Obersumme von f bezüglich P. Es gilt
m(f )µ(I)  US P (f )  OS P (f )  M (f )µ(I)
Lemma 7.0.4 Es sei P 0 eine Verfeinerung von P. Dann gilt
(i) OS P 0 (f )  OS P (f )
(ii) US P 0 (f ) US P (f )
Lemma 7.0.5 Es seien P1 und P2 Partitionen von I. Dann gilt
US P1 (f )  OS P2 (f )
Als unteres Integral von f auf I bezeichnen wir
Z
Z
f (x)dx =
f (x1 , . . . , xn )d(x1 , . . . , xn ) = sup US P (f )
P
I
I
Als oberes Integral von f auf I bezeichnen wir
Z
Z
f (x)dx =
f (x1 , . . . , xn )d(x1 , . . . , xn ) = inf OS P (f )
I
P
I
Wir sagen, dass f auf I Riemann-integrierbar ist, falls
sup US P (f ) = inf OS P (f )
P
P
gilt und nennen diese Zahl das Riemann-Integral von f über I. Diese Zahl wird mit
Z
Z
f (x)dx = f (x1 , . . . , xn )d(x1 , . . . , xn )
I
bezeichnet.
I
351
Bemerkung 7.0.1 (i) Es gilt
Z
I
f (x)dx 
Z
f (x)dx
I
(ii) Für alle ✏ > 0 existiert ein , so dass für alle Partitionen P mit kPk 
Z
Z
f (x)dx ✏
 US P (f ) 
f (x)dx
I
I
Z
Z
f (x)dx
 OS P (f ) 
f (x)dx + ✏
I
I
Beweis. (i) folgt sofort aus Lemma. 2
Satz 7.0.1 Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall und f : I ! R
sei auf I stetig. Dann ist f Riemann-integrierbar.
Beweis. Da I abgeschlossen und beschränkt ist, ist I kompakt. Deshalb ist f nach
Lemma auf I gleichmässig stetig.
8✏ > 09 > 08x, y 2 I, d(x, y) <
: |f (x)
f (y)| <
✏
µ(I)
Es sei P = {I1 , . . . , Im } eine Partition von I mit kPk < . Dann gilt
R
R
0  I f (x)dx
f (x)dx
I
 OS P (f ) US P (f )
m
m
X
X
=
Mk (f )µ(Ik )
mk (f )µ(Ik )
k=1
k=1
m
X
=
(Mk (f )
k=1
m
X
✏
mk (f ))µ(Ik ) 
µ(Ik ) = ✏
µ(I)
k=1
2
Bemerkung 7.0.2 Falls f (x) = c auf I gilt, dann gilt
Z
f (x)dx = cµ(I)
I
Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall und f : I ! R sei auf I
beschränkt. Es sei P = {I1 , . . . , Im } eine Partition von I. Es sei ⇠ = (⇠1 , . . . , ⇠m )
mit ⇠k 2 Ik , k = 1, . . . , m. Dann heisst
SP (f, ⇠) =
m
X
k=1
f (⇠k )µ(Ik )
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
352
Riemannsche Summe von f bzgl. P und ⇠.
O↵ensichtlich gilt
US P (f )  SP (f, ⇠)  OS P (f )
Falls ein J 2 R existiert, so dass für alle ✏ > 0 ein
Partitionen P mit kPk < und für alle ⇠
|SP (f, ⇠)
> 0 existiert, so dass für alle
J| < ✏
gilt, dann sagen wir, dass die Riemannschen Summen gegen J konvergieren und
schreiben
J = lim SP (f, ⇠)
kPk!0
Satz 7.0.2 Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall.
(i) Falls f auf I Riemann-integrierbar ist, so gilt
Z
lim SP (f, ⇠) = f (x)dx
kPk!0
I
(ii) Falls
lim SP (f, ⇠)
kPk!0
existiert, so ist f auf I Riemann-integrierbar und es gilt
Z
lim SP (f, ⇠) = f (x)dx
kPk!0
7.1
I
Iterierte Integrale
Satz 7.1.1 Es sei I = [a, b] ⇥ [c, d] und f : I ! R sei Riemann-integrierbar. Für
alle x 2 [a, b] existiere das Integral
Z
d
f (x, y)dy
c
Dann existiert das iterierte Integral
Z bZ
a
und es gilt
Z
I
d
f (x, y)dydx
c
f (x, y)d(x, y) =
Z bZ
a
c
d
f (x, y)dydx
7.1. ITERIERTE INTEGRALE
353
Beweis. Da f auf I integrierbar ist, gilt:
Z
8✏ > 09 > 08P, kPk < :
f (x, y)d(x, y)
US P (f ) < ✏
I
Wir wählen nun spezielle Partitionen. Es seien
Px = {x0 , . . . , xm }
und
Py = {y0 , . . . , yn }
Partitionen von [a, b] und [c, d]. Dann ist
i = 1, . . . , m
j = 1, . . . , n
Ii,j = [xi 1 , xi ] ⇥ [yj 1 , yj ]
eine Partition P von I = [a, b] ⇥ [c, d]. Für die Feinheit der Partition P erhalten wir
kPk
=
max
sup{kx
yk |x 2 Ii , y 2 Jj }
1im
! 1jn
=
max
1im
! 1jn
q
(xi
xi 1 )2 + (yj
yj 1 )2
Mit der Dreiecksungleichung für die Euklidische Norm folgt
kPk  max |xi
1im
xi 1 | + max |yj
yj 1 |  kPx k + kPy k
1jn
Da f auf I integrierbar ist, folgt
8✏ > 09 > 08Px , kPx k < , 8Py , kPy k < :
Z
f (x, y)d(x, y) ✏  US P (f )
I
◆
m,n ✓
X
=
inf f (x, y) µ(Ii,j )
=
i,j=1
m
X
(x,y)2Ii,j
(xi
i=1
xi 1 )
n ✓
X
j=1
inf
(x,y)2Ii,j
◆
f (x, y) (yj
yj 1 )
Es seien ⇠i 2 [xi 1 , xi ]. Dann folgt weiter
8✏ > 09 > 08Px , kPx k < , 8⇠8Py , kPy k < :
Z
m
n
X
X
f (x, y)d(x, y) ✏ 
(xi xi 1 )
(
I
i=1
j=1
inf
(⇠i ,y)2Ii,j
f (x, y))(yj
yj 1 )
Die inneren Summen sind Untersummen für Integrale über Funktionen f (⇠i , y),
wobei y die Variable ist. Nach Voraussetzung sind diese Funktionen integrierbar.
Also gilt
8✏ > 09 > 08Px , kPx k < , 8⇠, ⇠i 2 [xi 1 , xi ] :
Z
Z d
m
X
f (x, y)d(x, y) ✏ 
(xi xi 1 )
f (⇠i , y)dy
I
i=1
c
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
354
Die rechte
R d Seite dieser Ungleichung ist eine Riemannsche Summe für die Funktion
F (x) = c f (x, y)dy. Es gilt
8✏ > 09 > 08Px , kPx k < , 8⇠, ⇠i 2 [xi 1 , xi ] :
Z
m
X
f (x, y)d(x, y) ✏ 
(xi xi 1 )F (⇠i )
I
i=1
Ebenso erhalten wir
8✏ > 09 > 08Px , kPx k < , 8⇠, ⇠i 2 [xi 1 , xi ] :
Z
m
X
f (x, y)d(x, y) + ✏
(xi xi 1 )F (⇠i )
I
i=1
Damit erhalten wir
8✏ > 09 > 08Px , kPx k < , 8⇠, ⇠i 2 [xi 1 , xi ] :
Z
m
X
f (x, y)d(x, y)
(xi xi 1 )F (⇠i ) < ✏
I
i=1
Nach Satz 3.4.7 ist die Funktion F auf [a, b] integrierbar und
Z
Z bZ d
f (x, y)d(x, y) =
f (x, y)dydx
I
a
c
2
Bemerkung 7.1.1 (i) Aus der Existenz des Integrals
Z
f (x, y)d(x, y)
I
folgt nicht die Existenz der iterierten Integrale. Ebenso folgt aus der Existenz der
iterierten Integrale nicht notwendig die des Integrals.
(ii) Es sei f : [a, b] ⇥ [c, d] ! R eine stetige Funktion. Dann ist f integrierbar,
die iterierten Integrale existieren und es gilt
Z
Z dZ b
Z bZ d
f (x, y)d(x, y) =
f (x, y)dxdy =
f (x, y)dydx
[a,b]⇥[c,d]
c
a
a
c
Dies ist ein Spezialfall des Satzes von Fubini.
Als ein Beispiel zum ersten Teil der Bemerkung kann die folgende Funktion
angeführt werden. f : [0, 1] ⇥ [0, 1] ! R ist durch
(
1
falls x = 12 und y 2 Q
f (x, y) =
0
sonst
gegeben. Das Integral von f existiert und ist gleich 0, aber das Integral
Z 1
f ( 12 , y)dy
0
existiert nicht.
7.1. ITERIERTE INTEGRALE
355
Beispiel 7.1.1 (i) Es sei f : [0, 1] ⇥ [0, 1] ! R durch f (x, y) = xy gegeben. Dann
ist f integrierbar und es gilt
Z
f (x, y)d(x, y) = 14
[0,1]⇥[0,1]
(ii) Es sei f : [1, e] ⇥ [1, e] ! R durch f (x, y) = xy gegeben. Dann ist f integrierbar
und es gilt
Z
Z e+1 y
e
e+1
f (x, y)d(x, y) =
dy ln
y
2
[1,e]⇥[1,e]
2
Das nichtausgewertete Integral hängt mit dem Exponentialintegral Ei zusammen.
(iii) Es sei f : [2, 4] ⇥ [3, 5] ! R durch f (x, y) = ex+y gegeben. Dann ist f integrierbar und es gilt
Z
f (x, y)d(x, y) = (e4 e2 )(e5 e3 )
[0,1]⇥[1,2]
(iv) Es seien g : [a, b] ! R und h : [c, d] ! R integrierbare Funktionen und f :
[a, b] ⇥ [c, d] ! R sei durch f (x, y) = g(x)h(y) gegeben. Dann ist f integrierbar und
es gilt
Z
Z
Z
b
f (x, y)d(x, y) =
[a,b]⇥[c,d]
d
g(x)dx
a
h(y)dy
c
(v) Es sei f : [0, 1] ⇥ [0, 1] ! R durch f (x, y) = cos(xy) gegeben. Dann ist f
integrierbar und es gilt
Z
f (x, y)d(x, y) = Si(1) = 0.94608 . . .
[0,1]⇥[0,1]
wobei Si(x) den Integralsinus bezeichnet, der durch
Z x
sin t
Si(x) =
dt
t
0
festgelegt ist.
Beweis. (i) f ist stetig, also ist f integrierbar und die iterierten Integrale existieren
und sind gleich dem Integral.
Z
Z 1Z 1
Z 1
Z 1
2 1
1
1
f (x, y)d(x, y) =
xydydx =
[ 2 xy ]0 dx = 2
xdx = 14
[0,1]⇥[0,1]
0
0
0
0
(ii) f ist stetig, also ist f integrierbar und die iterierten Integrale existieren und sind
gleich dem Integral.
Z
Z eZ e
Z e
y
1
f (x, y)d(x, y)
=
x dxdy =
[ y+1
xy+1 ]e1 dy
[1,e]⇥[1,e]
1
Z
e
1
y+1
1
e
1
=
dy =
y+1
1 y+1
Z e+1 y
e
e+1
=
dy ln
y
2
2
Z
2
e+1
ey
dy
y
[ln(y + 1)]e1
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
356
(iii)
Z
f (x, y)d(x, y)
Z
=
[2,4]⇥[3,5]
4
2
Z
=
Z
5
x+y
e
dydx =
3
4
Z
[ex ey ]53 dx =
2
Z
4
2
4
Z
5
ex ey dydx
3
ex (e5
e3 )dx
2
(v) Da f stetig ist, gilt
Z
f (x, y)d(x, y) =
[0,1]⇥[0,1]
Es gilt
Z
1
0
Z
Z
1
0
1
cos(xy)dxdy
0
8
< sin y
y
cos(xy)dx =
:
1
falls y 6= 0
falls y = 0
Diese Funktion der Variablen y ist auf [0, 1] stetig. Damit erhalten wir
Z
f (x, y)d(x, y) =
[0,1]⇥[0,1]
Z
1
0
sin y
dy = Si(1)
y
2
Beispiel 7.1.2 Es sei f : [0, 1] ⇥ [0, 1] ! R durch
8
falls x = 0 oder y = 0
<0
f (x, y) =
x y
:
falls x =
6 0 und y =
6 0
(x + y)3
f ist nicht Riemann-intgrierbar, die iterierten Integrale existieren und es gilt
Z
0
1
Z
1
f (x, y)dxdy =
0
1
2
Z
1
0
Z
1
f (x, y)dydx =
0
1
2
Beweis. f ist nicht Riemann-integrierbar, weil f unbeschränkt ist. Dazu betrachten wir die
Gerade y = 2x. Auf dieser Geraden nimmt f die folgenden Werte an
f (x, 2x) =
x
=
27x3
1
27x2
Für x 2 (0, 1] ist diese Funktion nicht beschränkt.
Wir zeigen nun, dass die iterierten Integrale existieren. Es gilt f (0, x) = 0 und ist integrierbar.
Für y 6= 0 ist
8 x y
<
x 6= 0
f (x, y) = (x + y)3
:
0
x=0
eine Funktion in x, die auf (0, 1] stetig und auf [0, 1] beschränkt ist, also integrierbar. Es gilt
Z
0
1
x y
dx =
(x + y)3

x
(x + y)2
1
=
0
1
(1 + y)2
7.1. ITERIERTE INTEGRALE
357
Damit erhalten wir
Z
1
0
Z
1
0
x y
dxdy =
(x + y)3
Z
1
0

1
1
dy
=
2
(1 + y)
1+y
1
=
1
2
0
Andererseits erhalten wir
Z
1
0
und
Z
0
2
1
Z
1
0

x y
y
dy
=
(x + y)3
(x + y)2
x y
dydx =
(x + y)3
Z
1
0
1
=
0
1
dy =
(1 + y)2
1
(1 + y)2

1
1+y
1
=
1
2
0
Satz 7.1.2 Es sei I = [a1 , b1 ]⇥[a2 , b2 ]⇥· · ·⇥[an , bn ] und f : I ! R sei integrierbar.
Für k mit 1  k  n bezeichnen wir
Ixk = [a1 , b1 ] ⇥ · · · ⇥ [ak 1 , bk 1 ] ⇥ [ak+1 , bk+1 ] ⇥ · · · ⇥ [an , bn ]
(i) Es existiere für jedes xk 2 [ak , bk ] das Integral
Z
f (x1 , . . . , xn )d(x1 , . . . , xk 1 , xk+1 , . . . , xn )
Ixk
Dann existiert das iterierte Integral
Z
bk
ak
Z
f (x1 , . . . , xn )d(x1 , . . . , xk 1 , xk+1 , . . . , xn )dxk
Ixk
und ist gleich dem Integral
Z
f (x)dx
I
(ii) Falls für alle (x1 , . . . , xk 1 , xk+1 , . . . , xn ) 2 Ixk das Integral
Z
bk
f (x1 , . . . , xn )dxk
ak
existiert, so existiert auch das iterierte Integral
Z
Ixk
und ist gleich
Z
bk
f (x1 , . . . , xn )dxk d(x1 , . . . , xk 1 , xk+1 , . . . , xn )
ak
Z
I
f (x)dx
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
358
Beispiel 7.1.3 Es sei f : [0, 1] ⇥ · · · ⇥ [0, 1] ! R durch
f (x1 , . . . , xn ) =
n
Y
xk
k=1
gegeben. f ist integrierbar und
Z
f (x)dx =
[0,1]⇥···⇥[0,1]
1
2n
Beweis. f ist stetig und damit integrierbar. Es gilt
Z
f (x)dx
=
[0,1]⇥···⇥[0,1]
Z
1
=
n
1Y
xk dx1 · · · dxn
0 k=1
Z 1
Z 1 Y
n
1
···
xk dx2 · · · dxn
2
0
0
k=1
0
···
Z
Mit Induktion erhalten wir das Ergebnis. 2
7.2
Riemann-Integral auf beschränkten Mengen
Es sei X eine Teilmenge des Rn und f : X ! R. Wir bezeichnen fX : Rn ! R mit
(
f (x)
x2X
fX (x) =
0
x2
/X
als Erweiterung von f auf den Rn .
Falls X eine beschränkte Menge vom Rn ist, I ein n-dimensionales, abgeschlossenes Intervall mit X ✓ I und f : X ! R beschränkt ist, so bezeichnen wir
Z
Z
Z
Z
f (x)dx =
fX (x)dx
f (x)dx =
fX (x)dx
X
I
X
I
als Unter- und Oberintegral. Man kann leicht zeigen, dass die Ausdrücke nicht von
der Wahl des Intervalles I abhängen. Wir sagen, dass f auf X Riemann-integrierbar
ist, falls
Z
Z
f (x)dx =
X
und bezeichnen diese Zahl mit
f (x)dx
X
Z
X
f (x)dx
7.3. DAS MASS VON MENGEN
359
Satz 7.2.1 Es sei X eine beschränkte Teilmenge des Rn und g, f : X ! R seien
Riemann-intgrierbar. Dann sind auch g + f , cf , |f | und gf Riemann-integrierbar
und es gelten
(i)
Z
Z
cf dx = c
f dx
X
(ii)
Z
X
f + gdx =
X
(iii)
Z
f dx +
X
Z
X
7.3
Z
f (x)dx 
gdx
X
Z
X
|f (x)|dx
Das Maß von Mengen
Es sei X eine beschränkte Teilmenge des Rn , I ein abgeschlossenes, n-dimensi-onales
Intervall mit X ✓ I und P = {I1 , . . . , Im } eine Partition von I. Wir bezeichnen
X
X
M P (X) =
µ(Ik )
M P (X) =
µ(Ik )
Ik ✓X
Ik \X6=;
Die Zahlen
µ(X) = sup M P (X)
P
µ(X) = inf M P (X)
P
heissen inneres und äußeres Riemann Maßvon X. Die Menge X heißt Riemann
messbar, wenn µ(X) = µ(X) gilt, und diese Zahl bezeichnen wir als Riemann Maß
µ(X) von X.
Lemma 7.3.1 Es sei X eine beschränkte Teilmenge des Rn . X ist genau dann
Riemann-messbar, wenn die charakteristische Funktion X
(
1
falls x 2 X
X (x) =
0
falls x 2
/X
Riemann-integrierbar ist.
Es gilt für X ✓ I
µ(X) =
Z
I
X dx
=
Z
dx
X
Beweis. Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall und P = {I1 , . . . , Im }
eine Partition von I. Dann gilt
◆
m ✓
X
X
US P ( X ) =
inf X (x) µ(Ik ) =
µ(Ik ) = M P (X)
k=1
x2Ik
Ik ✓X
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
360
OS P (
X)
=
m ✓
X
k=1
◆
X
sup X (x) µ(Ik ) =
µ(Ik ) = M P (X)
x2Ik
Ik \X6=;
Es folgt
OS P (
X)
US P (
X)
= M P (X)
M P (X)
2
Beispiel 7.3.1 Die Teilmenge [0, 1] \ Q von R ist nicht Riemann-messbar.
Wir hatten bereits gezeigt, dass die Funktion
[0,1]\Q
nicht Riemann-integrierbar
ist.
Lemma 7.3.2 (i) Es seien A und B beschränkte Teilmengen des Rn mit A\B = ;.
Dann gilt
µ(A [ B)  µ(A) + µ(B)
(ii) Es seien A und B Riemann-messbare Teilmengen des Rn mit A \ B = ;. Dann
ist auch A [ B Riemann-messbar und es gilt
µ(A [ B) = µ(A) + µ(B)
(iii) Es seien A und B Riemann-messbare Teilmengen des Rn mit A ✓ B. Dann ist
B \ A Riemann-messbar und es gilt
µ(B \ A) = µ(B)
µ(A)
Eine Riemann-messbare Teilmenge A des Rn heisst Nullmenge, falls µ(A) = 0.
Wir definieren µ(;) = 0.
Beweis. (ii) Es gilt wegen Lemma 3.4.7
Z
µ(A) =
A dx
Damit folgt, dass
integrierbar ist und
Z
Z
Z
µ(A) + µ(B) =
A dx +
B dx =
A
+
µ(B) =
Z
B
Weil A und B disjunkt sind erhalten wir
µ(A) + µ(B) =
2
B dx
Z
A[B dx
A
+
B dx
7.3. DAS MASS VON MENGEN
361
Beispiel 7.3.2 (i) Eine Teilmenge von Rn , die nur aus endlichen vielen Punkten
besteht, ist eine Nullmenge.
(ii) Die Cantor-Menge ist eine Nullmenge.
(iii) Eine beschränkte Teilmenge X von Rn , die ganz in einer Hyperebene
Hj = {x 2 Rn |xj = const.}
enthalten ist, ist eine Nullmenge.
(iv) Die Vereinigung von endlich vielen Nullmengen ist eine Nullmenge.
Beweis. (iii) Da X eine beschränkte Teilmenge vom Rn ist, gibt es ein K > 0, so
dass
X ✓ [ K, K] ⇥ · · · ⇥ [ K, K]
Ausserdem ist X eine Teilmenge von Hj
X ✓ R ⇥ · · · ⇥ R ⇥ [c
✏, c + ✏] ⇥ R ⇥ · · · ⇥ R
Deshalb gilt für alle ✏ > 0
X ✓ [ K, K] ⇥ · · · ⇥ [ K, K] ⇥ [c
✏, c + ✏] ⇥ [ K, K] ⇥ · · · ⇥ [ K, K]
Somit gilt für alle ✏ > 0
0  µ(X)  µ(X)  (2K)n 1 2✏
Also gilt
0 = µ(X) = µ(X)
2
Der Rand @X einer Teilmenge X eines metrischen Raumes ist
@X = X\ X
Satz 7.3.1 Eine beschränkte Teilmenge X des Rn ist genau dann Riemann-messbar,
wenn µ(@X) = 0.
Beweis. Es gelte µ(@X) = 0 und I sei ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall
mit X ✓ I. Da I abgeschlossen ist, so gilt X ✓ I.
Es sei P = {I1 , . . . , Im } eine Partition von I mit
M P (@X) < ✏
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
362
Es gilt
µ(X)
µ(X)  M P (X)

X
X
µ(Ik )
Ik \X6=;
X
M P (X) =
X
Ik \@X6=;
X
µ(Ik )
Ik ✓X
Ik \X6=;
µ(Ik ) =
Ik ✓!X
µ(Ik )
µ(Ik ) = M P (@X) < ✏
Es folgt, dass µ(X) = µ(X). Also ist X Riemann-integrierbar.
Die Umkehrung wollen wir nur für abgeschlossene Mengen zeigen. Es sei I ein
abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall mit X ✓ I und P = {I1 , . . . , Im } eine
Partition mit
M P (X) M P (X) < ✏
Wir setzen
X1 =
(
x 2 @X x 2
/
[
Ik
Ik ✓X
)
X2 =
(
x 2 @X x 2
[
Ik
Ik ✓X
)
O↵enbar gilt
@X = X1 [ X2
X1 \ X2 = ;
S
x 2 X2 bedeutet, dass x nicht innerer Punkt der Menge Ik ✓X Ik sein kann. Sonst
wäre x ja auch innerer Punkt von X und nicht Randpunkt von X. Also ist x
Randpunkt einer der n-dimensionalen Intervalle Ik . Die Ränder von Ik liegen in
Hyperebenen der Art
Hj {x 2 Rn |xj = c}
Mit Beispiel 3.4.7 folgt, dass µ(X2 ) = 0. Damit ergibt sich
µ(@X) = µ(X1 [ X2 )  µ(X1 ) + µ(X2 ) = µ(X1 )  M P (X1 ) =
X
µ(Ik )
Ik \X1 6=;
Es gilt
{k|Ik \ X1 6= ;}
= {k|Ik \ @X 6= ; und Ik * X}
= {k|Ik \ @X 6= ;} \ {k|Ik ✓ X}
✓ {k|Ik \ X 6= ;} \ {k|Ik ✓ X}
Da X eine abgeschlossene Menge ist, gilt X = X und wir erhalten
{k|Ik \ X1 6= ;} ✓ {k|Ik \ X 6= ;} \ {k|Ik ✓ X}
Damit folgt
µ(@X) 
X
Ik \X1 6=;
µ(Ik ) 
X
Ik \X6=;
µ(Ik )
X
Ik ✓X
µ(Ik ) = M P (X)
M P (X) < ✏
Also gilt für alle ✏ > 0, dass 0  µ(@X)  µ(@X) < ✏. Somit gilt µ(@X) = µ(@X) =
0. 2
7.3. DAS MASS VON MENGEN
363
Korollar 7.3.1 Falls die Teilmenge X des Rn Riemann-messbar ist, so sind auch
X und X Riemann-messbar und es gilt
µ(X) = µ(X ) = µ(X)
Beweis. Es sei X Riemann-messbar. Dann ist nach Satz auch @X Riemann-messbar
und µ(@X) = 0. Es folgt
µ(X\ X )  µ(X\ X ) = µ(@X) = 0
Also ist X\ X eine Nullmenge und damit insbesondere messbar.
Weiter folgt hiermit und mit Lemma, dass X \ (X\ X ) =X messbar ist und
µ(X ) = µ(X)
µ(X\ X ) = µ(X)
Wiederum mit Lemma 3.4.7folgt, dass X =X [@X messbar ist und
µ(X) = µ(X [@X) = µ(X ) + µ(@X) = µ(X )
2
Als Anwendung dieses Korollars wollen wir zeigen, dass [0, 1]\Q nicht Riemannmessbar ist.
Wir nehmen an, dass [0, 1] \ Q Riemann-messbar ist. Es gilt
[0, 1] \ Q = [0, 1]
([0, 1] \ Q) = ;
Nach Korollar 3.4.7 gilt
0 = µ(;) = µ([0, 1]) = 1
Dies ist ein Widerspruch.
Lemma 7.3.3 Eine Teilmenge X vom Rn ist genau dann eine Nullmenge, wenn
es zu jedem ✏ > 0 endlich viele abgeschlossene, n-dimensionale Intervalle I1 , . . . , Im
gibt, so dass
m
m
[
X
X✓
Ik
µ(Ik ) < ✏
k=1
k=1
Beispiel 7.3.3 Es sei X eine kompakte Teilmenge des Rn und f : X ! Rm sei
eine stetige Funktion. Dann ist die Teilmenge
{(x, f (x))|x 2 X}
des Rn+m eine Nullmenge.
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
364
Beweis. Da X kompakt und f stetig ist, ist f gleichmässig stetig.
8✏9 8x, y 2 X, kx
yk <
: kf (x)
f (y)k < ✏
Es sei I ein abgeschlossenes, n-dimensionales Intervall mit X ✓ I. Wir wählen nun
eine Partition P = {I1 , . . . , IN }, so dass für alle i = 1, . . . , N gilt, dass (Ii ) < .
Wegen der gleichmässigen Stetigkeit von f gilt
8i = 1, . . . , N 8x, y 2 Ii \ X : kf (x)
f (y)k < ✏
Es folgt
8i, Ii \ X 6= ;, 9xi 2 Ii 8x 2 Ii :
(x, f (x)) 2 Ii ⇥ [f1 (xk ) ✏, f1 (xi ) + ✏] ⇥ · · · ⇥ [fm (xk )
✏, fm (xi ) + ✏]
Hieraus folgt für alle ✏ > 0
µ({(x, f (x))|x 2 X})
X

µ(Ii ⇥ [f1 (xk )
Ii \X6=;

N
X
✏, f1 (xi ) + ✏] ⇥ · · · ⇥ [fm (xk )
✏, fm (xi ) + ✏])
µ(Ii )(2✏)m = (2✏)m µ(I)
i=1
Also gilt µ({(x, f (x))|x 2 X}) = 0. 2
Beispiel 7.3.4 (i) Es sei f : [ 1, 1] ! R durch f (x) =
p
{(x, 1 x2 )|x 2 [ 1, 1]}
p
1
x2 gegeben. Dann ist
eine Nullmenge im R2 .
Hieraus folgt, dass
{(x, y)|x2 + y 2 = 1}
eine Nullmenge ist.
P
(ii) Es sei f : {(x1 , . . . , xn 1 )| ni=11 x2i  1} ! R durch
v
u
n 1
u
X
t
f (x1 , . . . , xn 1 ) = 1
x2i
i=1
gegeben. Dann ist
v
8
u
<
u
(x1 , . . . , xn 1 , t1
:
eine Nullmenge im Rn .
Hieraus folgt, dass
eine Nullmenge ist.
n 1
X
x2i )|
i=1
{x| kxk = 1}
n 1
X
i=1
9
=
x2i  1
;
7.4. BERECHNUNG VON INTEGRALEN
7.4
365
Berechnung von Integralen
Es sei X eine beschränkte Teilmenge des R2 und f : X ! R sei messbar. Es seien
y, y : [a, b] ! R zwei stetige Funktionen, so dass
X = {(x, y)|a  x  b und y(x)  y  y(x)}
Man kann das Integral folgendermaßen berechnen
Z
Z b Z y(x)
f (x, y)d(x, y) =
f (x, y)dydx
X
a
y(x)
Beispiel 7.4.1 Es sei X = {(x, y)|0  x  1 und x2  y  x} und f : X ! R
sei durch f (x, y) = x + y gegeben. Dann gilt
Z
3
f (x, y)d(x, y) = 20
X
Beweis. Wir überlegen uns, dass f eine integrierbare Funktion ist. Nach Beispiel
ist X messbar und damit X integrierbar. Die Funktion f˜ : [0, 1] ⇥ [0, 1] ! R mit
f (x, y) = x + y ist eine stetige Funktion, also integrierbar. Das Produkt von zwei
integrierbaren Funktionen ist wieder integrierbar, also ist X f˜ = fX integrierbar.
Z
Z 1Z x
Z 1
f (x, y)d(x, y)
=
x + ydydx =
[xy + 12 y 2 ]xx2 dx
2
X
0
Z0 1 x
⇥
⇤
3 2
1 5 1
3
=
x
x3 12 x4 dx = 12 x3 14 x4 10
x 0 = 20
2
0
2
Dies kann man auch für den Rn formulieren. Es sei X eine kompakte Teilmenge
des Rn . Es seien X(n 1) eine kompakte Teilmenge des Rn 1 und xn , xn : X(n 1) !
R, so dass
X = {x|xn (x1 , . . . , xn 1 )  xn  xn (x1 , . . . , xn 1 ), (x1 , . . . , xn 1 ) 2 X(n
Weiter seien X(k 1), 2  k  n 1 kompakte Teilmengen des Rk
X(k 1) ! R seien stetige Funktionen, so dass
1
und xk , xk :
X(k) = {x|xk (x1 , . . . , xk 1 )  xk  xk (x1 , . . . , xk 1 ), (x1 , . . . , xk 1 ) 2 X(k
Außerdem gelte
X(1) = {x1 |a  x1  b} = [a, b]
Dann gilt für stetige Funktionen
Z
Z b Z x2 (x1 )
Z
f (x)dx =
···
X
a
x2 (x1 )
xn (x1 ,...,xn
xn (x1 ,...,xn
1)
f (x)dxn dxn
1)
1
1)}
· · · dx1
1)}
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
366
Beispiel 7.4.2 Es sei
X = {(x, y, z)| 0  x, y, z und x + y + z  1}
und f : X ! R sei durch f (x, y, z) = 1 gegeben. Dann gilt
Z
f (x, y, z)d(x, y, z) = 16
X
Beweis. Es gilt
{(x, y, z)|0  x, y, z und x + y + z  1}
= {(x, y, z)|0  x  1, 0  y  1
Damit erhalten wir
Z
f (x, y, z)d(x, y, z)
=
X
Z
1
0
=
=
Z
1 x
0
1
Z0 1
0
Z
Z
Z
1 x y
0
1 x
1
x
0
1
2
x, 0  z  1
Z
1
Z
dzdydx =
Z 01
ydydx =
[y
y}
1 x
[z]10
x y
dydx
0
xy
0
x + 12 x2 dx = [ 12 x
x
x2 + 16 x3 ]10 =
1 2 1 x
y ]0 dx
2
1
6
2
7.5
Transformationsformel für Integrale
Satz 7.5.1 Es sei U eine o↵ene Teilmenge des Rn und g : U ! Rn eine stetig
di↵erenzierbare Abbildung, die U eineindeutig auf V = g(U) abbildet. Für alle y 2 U
gelte
✓
◆
dg
det
(y) 6= 0
dy
Es sei K eine messbare, kompakte Teilmenge von V und f : K ! R sei auf K stetig.
Dann gilt
✓
◆
Z
Z
dg
f (x)dx =
f (g(y)) det
(y) dy
dy
K
g 1 (K)
Diese Formel ist die Verallgemeinerung der Substitutionsformel für Funktionen
einer Variablen.
Z b
Z 1 (b)
f (x)dx =
f ( (t)) 0 (t)dt
a
1 (a)
7.5. TRANSFORMATIONSFORMEL FÜR INTEGRALE
367
Man beachte, dass in der Verallgemeinerung der Absolutbetrag der Determinante
genommen wird.
Zum Verständnis dieser Formel erinnere man sich daran, dass der Absolutbetrag
der Determinante gleich dem Volumen des von den Spaltenvektoren aufgespannten
Parallelflachs ist. Die Funktionaldeterminante von g beschreibt die Änderung, die
das Volumen unter der Transformation g erfährt.
Beispiel 7.5.1 Das Volumen der n-dimensionalen Euklidischen Kugel mit Radius R
(
)
n
X
n
2
x2R
|xi |  R
i=1
ist
n
⇡2
( n2 + 1)
Rn
Beweis. Wir benutzen Polarkoordinaten.
g : [0, R] ⇥ [0, ⇡] ⇥ · · · ⇥ [0, ⇡] ⇥ [0, 2⇡] ! Rn
g(r,
1, . . . ,
x1
x2
x3
n 1)
= r cos
= r sin
= r sin
..
.
= r sin
= r sin
xn 1
xn
= x = (x1 , x2 , . . . , xn )
1
cos
1 sin
1
2
2
. . . sin
1 . . . sin
1
cos
3
cos
2 sin
n 2
n 1
n
n 1
g bildet [0, R] ⇥ [0, ⇡] ⇥ · · · ⇥ [0, ⇡] ⇥ [0, 2⇡] auf {x| kxk  R} ab. Die Abbildung g ist auf
(0, R) ⇥ (0, ⇡) ⇥ · · · ⇥ (0, ⇡) ⇥ (0, 2⇡)
injektiv. Wir weisen die Injektivität nach. Es gelte
g(r,
1, . . . ,
n 1)
= x = g(r̃, ˜1 , . . . , ˜n
1)
Es folgt r = kxk = r̃. Also gilt r = r̃. Weiter gilt
r cos
1
= r̃ cos ˜1 = r cos ˜1
Also gilt cos 1 = cos ˜1 . Auf dem Intervall (0, ⇡) ist der Cosinus aber injektiv, also gilt 1 = ˜1 .
Durch Induktion erhalten wir nun, dass alle weiteren Winkel ebenfalls gleich sein müssen.
Um das Volumen zu berechnen wollen wir nun die Transformationsformel anwenden. Auf der
o↵enen Menge
(0, R) ⇥ (0, ⇡) ⇥ · · · ⇥ (0, ⇡) ⇥ (0, 2⇡)
ist g injektiv und stetig di↵erenzierbar. Als kompakte Teilmenge wählen wir
I✏ = [✏, R
✏] ⇥ [✏, ⇡
✏] ⇥ [✏, ⇡
Z
Z
✏] ⇥ · · · ⇥ [✏, ⇡
✏] ⇥ [✏, 2⇡
✏]
Wir erhalten dann
µ(g(I✏ )) =
g(I✏ )
dx =
I✏
@(x1 , . . . , xn )
d(r,
@(r, 1 , . . . , n 1 )
1, . . . ,
n 1)
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
368
Man kann zeigen, dass für ✏ ! 0 die linke Seite der Gleichung gegen µ(I0 ) konvergiert (wir
verzichten hier auf das Argument). Damit ist das Volumen gleich
Z
@(x1 , . . . , xn )
d(r, 1 , . . . , n 1 )
@(r,
1, . . . , n 1)
I✏
Z RZ ⇡
Z ⇡ Z 2⇡
=
···
rn 1 sinn 2 1 · · · sin n 2 drd 1 · · · d n 1
0
=
Z
0
rn
0
=
Z
⇡
2
0
R
2⇡ n
R
n
1
Z
dr
⇡
sinn
sinn
2
2
1d 1
0
sin2m xdx =
⇡
2
0
⇡
1d 1
0
0
Z
Z
···
Z
···
⇡
Z
⇡
sin
n 2d n 2
0
sin
Z
2⇡
d
n 1
0
n 2d n 2
0
m
(2m 1)(2m 3) · · · 3 · 1 ⇡
⇡ Y 2k 1
=
2m(2m 2) · · · 4 · 2
2
2
2k
sin2m+1 xdx =
0
2m(2m 2) · · · 4 · 2
=
(2m + 1)(2m 1) · · · 5 · 3
Damit erhalten wir für m = 1, 2, . . .
Z ⇡
Z
2m
sin xdx
0
k=1
m
Y
⇡
sin2m
1
xdx = 4
0
2k
2k + 1
k=1
⇡ 1
⇡
=
2 2m
m
Damit folgt für gerades n, dass das Volumen der n-dimensionalen Euklidischen Kugel mit Radius
R gleich
n 2
n
2
2⇡ n Y
⇡
⇡2
R
= Rn n
n
m
( 2 )!
m=1
ist. Der Fall, dass n ungerade ist, wird ähnlich behandelt. 2
Beispiel 7.5.2 Berechnung des Volumens der 3-dimensionalen Euklidischen Kugel
bzgl. rechtwinkliger Koordinaten.
Beweis. Das Volumen ist
Z R Z pR2 x2 Z pR2 x2
R
p
p
R2 x2
R2
Es gilt
x2
Z p
a2
dzdydx =
y2
=
Z
=⇡
2
R
t2 dt
✓
p
=
t a2
1
2
Z
p
R2 x2
p
R2 x2
R
Damit erhalten wir für das Volumen
Z R p
y R2 x2 y 2 + (R2
R
Z
y2
t2
p
2 R2
t
+ a arcsin
a
2
p
R2 x2
x2
p
R2 x2
R
(R2
x2 )(arcsin(1)
arcsin( 1))dx
R
Z
R
(R2
R
⇥
x2 )dx = ⇡ R2 x
⇤
1 3 R
x
3
R
=
y 2 dydx
◆
y
x2 ) arcsin p
R2
x2
4⇡ 3
R
3
dx
7.5. TRANSFORMATIONSFORMEL FÜR INTEGRALE
369
Beispiel 7.5.3 (Das Gravitationspotential eines hohlen Planeten)
Es sei
n
o
p
2
2
2
P = (x, y, z)|r1 
x + y + z  r2
ein hohler Planet. Wir nehmen an, dass die Dichte ⇢(x, y, z) = 1 ist. Es sei M die
2
Gesamtmasse des Planeten, m die Masse im Punkt (x, y, z) und G = 6, 67·10 11 Nkg·m2
die Gravitationskonstante. Dann gilt für das Gravitationspotential
8
p
GmM
>
<p
falls
x2 + y 2 + z 2 > r2
2 + y2 + z2
x
V (x, y, z) =
p
>
:
Gm2⇡(r22 r12 )
falls
x2 + y 2 + z 2 < r1
Das Potential im Inneren des Planeten ist konstant, es herrscht also Schwerelosigkeit im Innern.
Beweis. Für das Gravitationspotential im Punkt (x0 , y0 , z0 ) gilt
V (x0 , y0 , z0 ) = Gm
Z
P
p
(x
x0
)2
⇢(x, y, z)
+ (y y0 )2 + (z
z0 )2
d(x, y, z)
P ist eine kompakte Menge und
p
(x
1
x0
)2
y0 )2 + (z
+ (y
z0 )2
ist eine stetige Funktion auf einer o↵enen Umgebung von P , weil entweder
p
(x x0 )2 + (y y0 )2 + (z z0 )2 > r2
oder
p
(x
x0 )2 + (y
y0 )2 + (z
z0 )2 < r1
gilt. Da der Planet rotationssymmetrisch ist, können wir annehmen, dass (x0 , y0 , z0 ) =
(R, 0, 0). Außerdem wollen wir zu Polarkoordinaten übergehen.
x
y
z
Es gilt
= r cos
= r sin cos ✓
= r sin sin ✓
✓
@(x, y, z)
det
@(r, , ✓)
r 2 [r1 , r2 ]
2 [0, ⇡]
✓ 2 [0, 2⇡]
◆
= r2 sin
Wie schon bei der Berechnung des Volumens der Kugel müssen wir eine Grenzwertbetrachtung durchführen, wenn wir zu Polarkoordinaten übergehen. Wir erhalten
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
370
schließlich
V (R, 0, 0)
Z r2 Z
= Gm
⇡
Z
2⇡
r2 sin
p
(R
r cos )2 + r2 sin2 cos2 ✓ + r2 sin2 sin2 ✓
Z ⇡ Z 2⇡
r2 sin
p
= Gm
d✓d dr
(R r cos )2 + r2 sin2
r1
0
0
Z r2 Z ⇡
r2 sin
p
= 2⇡Gm
d dr
(R2 2rR cos + r2
r1
0
r1
Z r2
0
0
Wir substituieren u =
d✓d dr
2rR cos . Es gilt
du
= 2rR sin
d
u(0) =
2rR
u(⇡) = 2rR
Damit erhalten wir
Z
r2
Z
2rR
r
p
dudr
2
2
r1
2rR 2R r + R + u
Z
i2rR
⇡Gm r2 hp 2
2
=
2r r + R + u
dr
R
2rR
r1
Z
p
⇡Gm r2 p 2
=
2r r + R2 + 2rR 2r r2 + R2
R
Zr1r2
⇡Gm
=
2r|R + r| 2r|R r|dr
R
r1
2⇡Gm
2rR dr
Da r > 0 und R > 0, so gilt |r + R| = r + R. Andererseits gilt R
R > r2 und R r < 0, falls R < r1 . Damit erhalten wir zwei Fälle
Z
8
⇡Gm r2 2
>
>
4r dr
falls r2 < R
< R
r1
Z
V (R, 0, 0) =
⇡Gm r2
>
>
:
4rRdr
falls r1 > R
R
r1
r > 0, falls
Damit erhalten wir
8
< 4⇡Gm (r3
2
V (R, 0, 0) =
3R
:
2⇡Gm(r22
r13 )
falls r2 < R
r12 )
falls r1 > R
Da wir angenommen hatten, dass für die Dichte ⇢(x, y, z) = 1 gilt, erhalten wir
M=
2
4⇡ 3
(r
3 2
r13 )
7.6. UNSTETIGKEITSMENGEN VON FUNKTIONEN UND IHREN ABLEITUNGEN371
7.6
Unstetigkeitsmengen von Funktionen und ihren
Ableitungen
[88]
Satz 7.6.1 Es sei X ein separabler, metrischer Raum, in dem jede o↵ene Menge
überabzählbar viele Elemente enthält. Es sei f eine Funktion, die von X nach
R abbildet. Die Menge aller Punkte, in denen f unstetig ist, ist eine F -Menge.
Umgekehrt gibt es zu jeder F -Menge A von X eine Funktion, die in allen Punkten
von A unstetig und in allen Punkten von Ac stetig ist.
Beweis. Es sei f : X ! R eine beschränkte Funktion. Wir bezeichnen
(
)
!(f, x0 ) = lim
sup
!0
f (x)
inf
f (x)
x2B(x0 , )
x2B(x0 , )
als Oszillation von f in x0 . !(f, x0 ) existiert, weil für alle
sup
f (x)
sup
f (x)
x2B(x0 , )
f (x)
0
x2B(x0 , )
x2B(x0 , )
gilt und weil für alle , ˜ mit
inf
>0
˜
inf
x2B(x0 , )
f (x) 
sup
f (x)
x2B(x0 , ˜)
inf
x2B(x0 , ˜)
f (x)
gilt. Wir zeigen, dass f genau dann in x0 stetig ist, wenn !(f, x0 ) = 0 gilt. Wir
nehmen an, dass f in x0 stetig ist.
8✏ > 09 > 08x 2 B(x0 , ) : |f (x)
f (x0 )| < ✏
Hieraus folgt
sup
f (x) < f (x0 ) + ✏
x2B(x0 , )
und
inf
x2B(x0 , )
f (x) > f (x0 )
✏
Also !(f, x0 ) < 2✏.
Wir setzen
D✏ = {x|!(f, x)
✏}
und zeigen, dass D✏ für alle ✏ > 0 eine abgeschlossene Menge ist. Wir zeigen, dass
D✏c eine o↵ene Menge ist. Es gelte !(f, x0 ) < ✏. Dann gibt es ein > 0, so dass für
alle x 2 B(x0 , )
sup f (x)
inf f (x) < ✏
x2B(x0 , )
x2B(x0 , )
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
372
Hieraus folgt, dass für alle x 2 B(x0 , )
!(f, x) < ✏
gilt. Damit ist die Menge aller Unstetigkeitsstellen von f gleich
[
D1
n
n2N
und damit eine F -Menge.
Wir zeigen nun, dass es zu jeder F -Menge eine Funktion gibt, die in genau
diesen Punkten unstetig ist. Es seien M eine abzählbare, dichte Teilmenge von X
und
1
[
A=
An
n=0
wobei An abgeschlossene Mengen sind und überdies An ✓ An+1 für n = 0, 1, 2, . . .
gilt. Wir setzen A0 = ;. Wir definieren nun
Bn = {x|x 2 (An \ An 1 ) \ (An \ An 1 ) oder x 2 (An \ An 1 ) \ M }
Wir definieren
f (x) =
8
>
<2
n
falls
>
:0
falls
x 2 Bn
1
[
x2
/
Bk
k=1
f ist wohldefiniert, da Bn \ Bm = ; für n 6= m gilt. Wir wollen dies nachprüfen.
Falls n > m, so gelten
Bn ✓ An \ An
1
und
Bm ✓ Am
Wir zeigen nun, dass f für alle x 2 A unstetig ist. Es ergeben sich drei Fälle. Falls
x 2 (An \ An 1 ) \ M , dann gilt f (x) = 2 n und es gibt ein 0 , so dass für alle
mit 0 < < 0 und alle y mit d(x, y) <
y 2 (An \ An 1 )
gibt. Hieraus folgt, dass es ein y mit d(x, y) <
gibt, so dass
y 2 (An \ An 1 ) \ M c
Für ein solches y gilt
y2
/
1
[
Bk
k=1
Falls y 2 Bk gilt, so folgt wegen Bk ✓ Ak \ Ak 1 , dass k = n. Aus y 2 (An \ An 1 ) \
M c erhalten wir
y2
/ (An \ An 1 ) \ (An \ An 1 ) und y 2
/ (An \ An 1 ) \ M
7.6. UNSTETIGKEITSMENGEN VON FUNKTIONEN UND IHREN ABLEITUNGEN373
Damit gilt f (y) = 0. Damit ist f nicht in x stetig.
Wir nehmen nun an, dass x 2 (An \ An 1 ) \ M c . Wie wir uns eben überlegt
haben, gilt dann f (x) = 0. Ebenso wie im ersten Fall finden wir ein 0 , so dass für
alle mit 0 < < 0 ein y mit d(x, y) < und mit
y 2 (An \ An 1 ) \ M
existiert. Also gilt f (y) = 0. Dies widerspricht der Stetigkeit von f in x. Als dritten
zu betrachtenden Fall haben wir
x 2 (An \ An 1 ) \ (An \ An 1 )
Damit haben wir f (x) = 2 n . Weil x kein innerer Punkt von An \ An 1 ist, gibt
es eine Folge von Punkten xk 2 (An \ An 1 )c , k 2 N, mit d(x, xk ) < k1 . Für alle
xk , k 2 N, gilt entweder xk 2 An 1 oder xk 2 Acn . Damit gilt, dass xk 2
/ Bn gilt.
Hieraus folgt sofort, dass für alle k 2 N
f (xk ) = 0
oder
f (xk )
2
(n 1)
oder
f (xk )  2
(n+1)
Auch dies widerspricht der Stetigkeit von f in x.
Nun zeigen wir, dass f in allen x 2
/ A stetig ist. Es gilt f (x) = 0. Es sei ✏ > 0
gegeben. Wir wählen N so gross, dass ✏ > 2 N gilt. Nun wählen wir so klein, dass
für alle A1 , . . . , AN
B(x, ) \ An = ;
gilt. Somit gilt für alle y mit d(x, y) <
y2
/
N
[
An
n=1
Insbesondere gilt für alle y mit d(x, y) <
y2
/
N
[
Bn
n=1
Deshalb gilt für alle y mit d(x, y) < , dass
f (y)  2
N 1
Damit folgt für alle y mit d(x, y) <
|f (x)
f (y)|  2
N 1
<✏
2
Beispiel 7.6.1 (i) Q ist eine F -Menge.
(ii) R \ Q ist keine F -Menge.
(iii) Jede Teilmenge von R, die nicht Lebesgue messbar ist, ist keine F -Menge.
374
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
Satz 7.6.2 (i) Es sei f : [a, b] ! R eine di↵erenzierbare Funktion. Dann ist die
Menge aller Punkte, in denen f 0 stetig ist, eine G -Menge, die in [a, b] dicht liegt.
(ii) Zu jeder G -Menge A, die in [a, b] dicht liegt, gibt es eine Funktion f :
[a, b] ! R, für die die Menge, in denen f 0 stetig ist, gleich A ist.
Satz 7.6.3 (Bruckner, p. 228) (i) Es sei f : [a, b] ! R eine stetige Funktion. Dann
ist die Menge der Punkte, in denen f di↵erenzierbar ist, vo der Form A \ B, wobei
A eine F -Menge ist und B eine F -Menge mit (B) = ([a, b]) ist.
(ii) Umgekehrt lässt sich zu jeder solchen Menge eine entsprechende Funktion
finden.
7.6. UNSTETIGKEITSMENGEN VON FUNKTIONEN UND IHREN ABLEITUNGEN375
Notizen
Die Menge der invertierbaren Matrizen ist o↵en: Die Determinante ist eine
stetige Abbildung.
Der Limes Superior ist der grösste Häufungspunkt der Folge.
Wo ist die Funktion f mit f (x) = 0 für x irrational und f ( m
)=
n
m teilerfremd sind di↵erenzierbar?
1
n
wobei n und
Konvergenzradius von
1
X
tan(n)xn
n=1
bestimmen.
Der Konvergenzradius von
1
X
1 n
x
sin n
n=1
ist 1.
| sin n| = | sin(n
1
|n
2
m⇡)|
m⇡| =
m n
|
2 m
⇡|
Da ⇡ irrational ist, gilt
n
m
⇠ ⇡. Damit folgt
|
Ausserdem gilt
n
m
⇡|
| sin n|
1
mk
1
nk 1
Bei der Einführung der metrischen Räume muss auch die Stetigkeit von Funktionen auf metrischen Räumen abgehandelt werden. U.a. dass eine stetige Funktion
auf einer kompakten Menge Minimum und Maximum annimmt.
Die Euklidische Norm muss schon bei den metrischen Räumen eingeführt werden.
Ausserdem müssen an dieser Stelle die kompakten Mengen vom Rn charakterisiert
werden.
Der Satz von Alexando↵-Hausdor↵: Jeder kompakte metrische Raum ist das
stetige Bild der Cantor-Menge. siehe der Artikel von Benyamini im AMM.
Bei der Einführung der Gammafunktion weitere Eigenschaften herleiten, um die
Berechnung des n- dimensionalen Volumens der Kugel einfacher zu gestalten.
Der Satz von Tschebysche↵ über die Primzahlverteilung kann bewiesen werden
,wenn man die Grössenordnung von 2n
bestimmt hat.
n
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
376
Die Determinante der Matrix
0
↵ 1
0 ··· ··· 0
B 1 ↵
1
0 ··· 0
B
B ..
..
@ .
.
0 ··· ··· ··· 1 ↵
1
C
C
C
A
führt auf die Di↵erenzengleichung [LeLe,p.98]
Dn = ↵Dn
Dn
1
2
Aufgabe oder Beipiel: Bestimme die Anzahl aller surjektiven Abbildungen zwischen einer Menge mit n Elemente und einer mit k Elementen:
✓ ◆
n n k
k k!
k
Es gibt genau
✓ ◆
n n
k
k
k
Möglichkeiten eine Menge mit n Elementen in k Teilmengen aufzuteilen, so dass
jede Teilmenge mindestens ein Element enthält.
Michel Rolle wurde 1652 in der Auvergne geboren, er starb 1719. Er war Mitglied
der Académie des Sciences. Sein Hauptwerk Traité d’Algebre erschien 1690.
card(R)=card(R2 ), card(R)=card([0,1])
Berechne
R
xx dx, möglicherweise als Reihe.
Aufgabe: Man versucht aus Dominosteinen einen Brückenbogen zu bauen, der
sich selbst trägt. Man stapelt die Steine übereinander und verschiebt sie dann
seitlich, ohne dass der entstehende Bogen umfällt. Wie weit kommt man? Antwort:
proportional zum Logarithmus der Anzahl der Steine.
Im Abschnitt über die Formel von Stirling wird die Trapez-Regel benutzt und
bewiesen. Interessant ist auch die Simpson Regel: Das Integral weicht höchstens um
(b a)5
max |f (iv) (x)|
2880n4 x
von
(f (a0 ) + 4f (x1 ) + 2f (a1 ) + · · · )
ab.
x
6
7.6. UNSTETIGKEITSMENGEN VON FUNKTIONEN UND IHREN ABLEITUNGEN377
Die Mittelpunktsregel ist auch interessant: Das Integral weicht höchstens um
(b a)3
max |f (iv) (x)|
x
24n2
von
(f (x1 ) + · · · + f (xn )) x
ab. xi sind die Mittelpunkte der Teilintervalle.
Das Nadel Problem von Bu↵on.
(i) Ein Punkt (y, ✓) wird zufallsartig in dem Rechteck [0, 1] ⇥ [0, ⇡] gewählt. Bestimme die Wahrscheinlichkeit, dass y  sin ✓ gilt.
(ii) Eine Nadel der Länge 1 wird auf eine Fläche fallen gelassen, auf die parallele
Linien gezeichnet sind, die jeweils den Abstand 1 voneinander haben. Es sei P der
niedrigere der beiden Endpunkte von der Nadel, y sei der Abstand von P zur der
Linie, die oberhalb von P liegt und ✓ sei der Winkel, den die Nadel mit einer Linie
hat, die parallel zu den gegebenen Linien ist und die durch P läuft. Zeige, dass die
Wahrscheinlichkeit, dass die Nadel eine Linie tri↵t, gleich der von (i) ist.
Z ⇡
sin ✓d✓ = 2
0
Also ist die Wahrscheinlichkeit gleich 2/⇡.
Vermutlich ist es besser die e-Funktion durch Potenzreiehen einzuführen.
Berechne den Erwartungswert vom Abstand eines zufällig in einem Kreis mit
Radius 1 gewählten Punktes vom Kreismittelpunkt. Die Verteilungsfunktion ist
F (x) = P(0  X  x) =
⇡x2
= x2
⇡
Damit ergibt sich für die Wahrscheinlichkeitsdichte
f (x) = F 0 (x) = 2x
und
E(X) =
Z
0
1
2x2 dx =
2
3
Der triaxiale Tritorus ist
x = sin u(1 + cos v)
2⇡
y = sin(u + )(1 + cos(v +
3
4⇡
z = sin(u + )(1 + cos(v +
3
2⇡
))
3
4⇡
))
3
wobei ⇡  u  ⇡ und ⇡  v  ⇡. (http://astronomy.swin.edu.au/pbourke/geometry/)
CHAPTER 7. INTEGRATION IM RN
378
Beispiel 7.6.2 Die Folge
{(cos n, sin n)|n 2 N}
liegt dicht in {(x, y)|x2 + y 2 = 1}.
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