Noam Chomsky Artikel 1: Über die „Containment-Doktrin“ Artikel 2: Über die Kommunistenhatz Artikel 3: Über den fortdauernden Kampf um die Meinungsfreiheit Aus: Media Control – Wie die Medien uns manipulieren, Noam Chomsky, Europa Verlag: Hamburg, 2003 Rezensentin: Name: Corina Malicek Matrikelnummer: 0306717 Studienkennzahl: 033 641 696511 VO Medienpädagogik: Medienbildung, Medienkompetenz, Medienkultur Univ.-Prof. Dr. Thomas A. Bauer, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Universität Wien, WS 2004/2005 1 Abstract Artikel 1: Über die „Containment-Doktrin“ Wie ist die amerikanische Außenpolitik zu verstehen? Reagieren die Amerikaner auf eine Herausforderung der internationalen Ordnung oder sind sie selbst aktiv? Der erste Artikel versucht zu klären, unter welchen Gesichtspunkten es zum Containment, zur Eindämmung der Bedrohung aus dem Sowjetblock kam und wie diese Aktivitäten verstanden werden können. Ein kurzer Überblick über den Kampf zwischen kapitalistischer Ordnung und der Angst vor dem Überhandnehmen des Kommunismus. Abstract Artikel 2: Über die Kommunistenhatz Ausgehend von Woodrow Wilsons Kommunistenhatz („Red Scare“), die eine Art von Legitimierung späterer Aktionen ähnlicher Art war, wurden von den Amerikanern viele Aktionen gesetzt, die den Kommunisten Einhalt gebieten sollte. In diesem Artikel werden Ausschlüsse sozialistischer Kongressabgeordneter, Ausweisungen und Deportationen, sowie Gefängnisstrafen für Kritiker der amerikanischen Politik genannt. Interessant sind hier vor allem die Statements der „Washington Post“ oder der „New York Times“, die das repressive Vorgehen gegen die „unsichtbare“ Gefahr befürworteten. Abstract Artikel 3: Über den fortdauernden Kampf um die Meinungsfreiheit Auch wenn Amerika als ein “Staat bürgerlicher Freiheiten” bezeichnet wird, so war es ein langer Weg, bis Grundrechte wie die Meinungsfreiheit in Theorie und Praxis durchgesetzt werden konnten. Die Durchsetzung solcher Rechte ist jedoch nicht der Regierung zu verdanken, sondern Massenbewegungen wie der Linken, Arbeiterbewegungen und anderen fortschrittliche Gruppen, die um dieses Recht trotz Verfolgungen und Verhaftungen kämpften. Schlagwörter Containment-Doktrin; Grand Area; Kalter Krieg, Woodrow Wilson; “Alien and Sedition Acts”; Roll-Back; Red Scare; COINTELPRO, Meinungsfreiheit; Liberale und “Neue Linke” in Amerika, Propaganda-Modell 2 1. Artikel 1: Über die „Containment-Doktrin“ 1.1 Zusammenfassung Die Containment- oder Eindämmungspolitik, zurückzuführen auf den amerikanischen Diplomaten George F. Kennan, wurde von den USA ab 1947 gegenüber der UdSSR verfolgt. Sie war ein Versuch die internationale Ordnung zu verteidigen und die Ausbreitung des Kommunismus aufzuhalten. Nach dem zweiten Weltkrieg wollten die USA ihre Vormachtstellung um keinen Preis verlieren, sie wollten die strategischen Zentren der Weltwirtschaft gewinnen: es ging ihnen „um die Aufrechterhaltung einer globalen Machtbalance angesichts dessen, was sie als Bedrohung dieses Gleichgewichts durch Moskau wahrnahmen.“ 1 Die so genannte „Grand Area“2 sollte allen voran gegen die Sowjetunion verteidigt werden, und das mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Man kann zwei Varianten der Containment-Strategie unterscheiden: Rollback-Strategie und Abschreckung. Wie lässt sich der Wechsel zwischen den Varianten erklären? Einerseits ist der Grund dafür in der Kontrolle zu suchen, die man über die großflächigen Gebiete behalten wollte, andererseits „(…) die Notwendigkeit, eine glaubhafte Bedrohung vorweisen zu können, um die Öffentlichkeit zur Subventionierung neuer Technologien […] zu motivieren.“3 Die Macht der Sowjetunion wurde mit der Westeuropas gleichgesetzt und ihnen wurde die Fähigkeit zugesprochen, aus einer Schwäche eine Stärke zu machen4. In weiterer Folge wurde auch der Koreakrieg als Vorwand benutzt, um militärisch aufzurüsten und gegen diese Bedrohung der Kommunisten vorzugehen. 2. Artikel 2: Über die Kommunistenhatz 2.1 Zusammenfassung Ausgehend von Woodrow Wilsons Kommunistenhatz („Red Scare“), die eine Art von Legitimierung für spätere Eingriffe war, wurden von den Amerikanern viele Aktionen gesetzt, die den Kommunisten Einhalt gebieten sollten. Allen voran können hier die „Palmer Razzien“ genannt werden, bei denen angebliche Radikale zusammen getrieben 1 Gaddis (1982), S. 43; zit. nach Chomsky (2003), S. 225 „Die Grand Area wird darin bestimmt als jenes Gebiet, das, in ihren Worten „strategisch notwendig [ist], um die Welt zu kontrollieren“; Magdoff, Harry et al. „Die imperialen Ambitionen der USA und des Irak zit. Nach http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Irak/magdoff.html 3 Chomsky (2003), S. 227 4 Die Sowjetunion sei zwar arm und unterentwickelt, sie könne aber aus weniger mehr machen. Vgl.Chomsky (2003), S. 228 2 3 und außer Landes verwiesen wurden, der sozialistische Kongressabgeordnete Victor Berger wurde aus dem Repräsentantenhaus ausgeschlossen und Emma Goldman5 musste das Land verlassen. Die Washington Post und die New York Times hießen diese Aktionen nicht nur willkommen, sie beschrieben auch die Ausweisung von Victor Berger und anderer sozialistischer Abgeordneter als „beeindruckende Demonstration des Amerikanismus“ (Washington Post) und als „insgesamt amerikanische Entscheidung (…) die die überwiegende Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung gutheißen wird.“6 Basierend auf den „Alien and Sedition Acts“7 1789 fühlte man sich legitimiert, „aufrührerische Äußerungen“ gleichsam mit „Schuld“ zu setzen – die Kommunistenhatz ging so weit, dass sich Generalstaatsanwalt Palmer dazu veranlasst fühlte, durch repressives Aktivitäten gegen die „Roten“ vorzugehen. Egal, ob es sich nun um theoretische Ideale oder um eine tatsächliche Verletzung des Gesetzes handelte.8 Durch die gesetzten Aktionen konnte 1920 dann ein Rückgang der kriminellen Aktivitäten verzeichnet werden – von der radikalen Presse war wochenlang nichts mehr zu hören. Vor allem die amerikanische Presse unterstützte diese Vorgehensweise und schränkte sich erst ein, als die Hysterie gegen Einwanderer die billigen Arbeitskräfte zu gefährden drohte. Ziel diese „Hatz“ war nicht nur, die Arbeiterbewegungen einzuschränken und radikale Parteien zu vertreiben, sondern auch die interventionistische Außenpolitik Amerikas zu rechtfertigen. Züge dieser Politik lassen sich auch später noch erkennen, beispielsweise wurde nach dem zweiten Weltkrieg durch ein Programm namens COINTELPRO die stärker werdenden Bürgerrechtsbewegungen eingedämmt. 3. Artikel 3: Über den fortwährenden Kampf um die Meinungsfreiheit 3.1 Zusammenfassung 1943 wurden die USA von der American Civil Liberties Union als „Staat bürgerlicher Freiheiten“9 bezeichnet – die Politiken und Gesetze zeigen da jedoch ein gänzlich anderes Bild, allen voran die Meinungsfreiheit. Gesetzlich festgelegt durch den ersten 5 Emma Goldman kämpfte um die revolutionäre Selbstbefreiung der Arbeiterschaft, die volle Gleichberechtigung der Frau, freie Sexualmoral und Geburtenkontrolle. Sie wurde oftmals wegen Organisation einer antimilitärischen Kampagne während des Ersten Weltkrieges verhaftet – 1919 musste sie zusammen mit anderen aktiven Anarchisten russischer Herkunft die USA verlassen. Vgl. http://www.twokmikimali.de/texte/Emma_Goldman_Bio.htm 6 Chomsky (2003), S. 232 7 Anti-Aufruhr Gesetz 8 Vgl. Chomsky(2003), S. 233 9 ACLU, Reviev of the Year (bis Juni 1943), abgedr. I Nelson, op.cit., S.264, ebd. S.241 4 Verfassungszusatz (First Amendment), in der Praxis jedoch beschränkt durch unzählige andere Zusätze. Sollte die Meinungsfreiheit ein Recht für jeden Menschen sein, so gab es weder in Gesetzgebung noch Praxis einen tatsächlichen Anspruch. Erst zwischen 1919 und 1940 wurden endlich Änderungen erzielt – vorher wurde das Ausmaß der freien Meinungsäußerung von Behörden und Institutionen nach eigenem Ermessen festgelegt. Man erkannte, dass das Anti-Aufruhr-Gesetz mit dem First Amendment in starkem Konflikt stand und in weiterer Folge verkündete der Oberste Gerichtshof, dass „aufrührerische Verleumdung (…) – Kritik an der Regierung – in Amerika nicht als Verbrechen deklariert werden kann“10. Die Geschichte der Repression in Amerika hat lange Tradition: war es 1917 das Spionagegesetz das es verbot, falsche Berichte zu verbreiten, die den militärischen Erfolg Amerikas behindern könnten, so kamen 1918 weitere Vergehen hinzu. Jegliche Äußerungen – gemeint sind hier beleidigende oder illoyale – gegenüber den Vereinigten Staaten selbst, der Flagge oder der Verfassung, alles was zum Widerstand führen oder die Sache des „Feindes“ unterstützen könnte, waren verboten. Und zwar mündlich, schriftlich, im Druck oder in anderen Veröffentlichungen.11 Kurz gesagt: die Regierung und ihr Handeln durfte in keiner Weise angezweifelt werden. Diese Art der Repression wurde von vielen Aufständen begleitet und erforderte nur noch restriktivere Maßnahmen: Dutzende Verhaftungen, Deportationen von Ausländern, oppositionelle Zeitungen wurden vom Postversand ausgeschlossen und der internationale Nachrichtenversand unter Kriegszensur gestellt. Der Ruf nach Meinungsfreiheit war jedoch nicht zu überhören und eine endgültige Durchsetzung hat Amerika nicht der Regierung zu verdanken, sondern allein Massenbewegungen wie den Linken, Arbeiterbewegungen und anderen fortschrittlichen Gruppen, die um dieses Recht trotz Verhaftungen und Verfolgung gekämpft haben. 4. Auswertung und Besprechung der Artikel Noam Chomsky ist bekannt für seinen äußerst kritischen Blick für Medien und vor allem, wie Medien in einer Gesellschaft gebraucht werden. Durch diese drei Artikel wird dem Leser nicht nur ein Überblick über die Entwicklungen von der Zeit nach dem ersten Weltkrieg bis in die 80er Jahre in Amerika gegeben, es wird auch anhand vieler Beispiele gezeigt, wie von der amerikanischen Politik gesetzte Aktionen von den Medien, allen 10 11 Kalven (1988), S. 66 zit. nach Chomsky (2003), S. 239 Vgl. Chomsky (2003), S. 239 5 voran den Zeitungen, transportiert wurden. Das Hauptaugenmerk liegt bei der amerikanischen Außenpolitik, restriktiven innenpolitischen Maßnahmen, Aktionen gegen den Sowjetblock, den Kalten Krieg, Verfolgungen und Verhaftungen. Jedoch niemals ohne Berücksichtigung eines der wichtigsten Werkzeuge der Politik und der öffentlichen Meinungsbildung: der Medien. Nach der starken Bedrohung durch die ehemalige UdSSR war für die USA klar, dass sie handeln musste. Die Containment-Strategie (in Artikel 1) war ein Weg, um durch Einschüchterung, Zurückdrängung und der Demonstration von Stärke den für die Amerikaner bevorstehenden „Sturz des kapitalistischen Systems durch den Kommunismus“ aufzuhalten. Um die geplanten Maßnahmen in die Tat umsetzen zu können, musste man den Feind noch gefährlicher machen, die Bevölkerung noch ängstlicher und die Bedrohung auf die gesamte Welt umlegen. Man versetzte die Bevölkerung in Hysterie und schreckte nicht davor zurück, den Koreakrieg als Ausflüchte zu benützten, um aufzurüsten und Unsummen in neue Technologien zu investieren. Chomsky versucht in den Artikeln eine Art Brückenschlag: er präsentiert Fakten und will gleichsam deutlichen machen, wie die Medien als Propaganda-Werkzeug dienten und dienen. Medien – zur Zeit des Containment und der Kommunistenhatz (Artikel 2) waren dies vor allem Zeitungen – agieren hier als ein gut durchdachtes System der Übermittlung von Werten, Glaubensansätzen, Regeln, Gesetzen und natürlich Feindbilder. Ein Land wie Amerika braucht die Propaganda als eine Art Öffentlichkeitsarbeit, um den Fein für jeden Einzelnen begreifbar zu machen – um für jeden Einzelnen zu legitimieren, wieso politische Aktionen gesetzt werden. Ein perfektes Zusammenspiel von Politik und Medien. Die Geschichte hat gezeigt, dass hier eine sehr selektive Auswahl getroffen wird von dem, was die Bevölkerung erfahren darf, was sie glauben und wie sie darauf reagieren soll. Die Entwicklungen rund um die Containment-Strategie und die Kommunistenhatz haben gezeigt, dass oftmals Aktivitäten von den USA provoziert werden und dann im Ablauf verschärft. Als rechte Hand agierte hierbei die Presse. „Die Mächtigen können sich verteidigen, und die Presse darf ihnen, zur Freude der einen, zum Ärger der anderen, je nachdem, wie viel Recht sie der Regierung zur Kontrolle der öffentlichen Meinung einräumen, Unterstützung gewähren.“12 Welche Absichten jedoch hinter einer künstlichen Hysterie gegen die Bedrohungen von Außen stecken, wird erst bei genauen Nachforschungen klar: „Tatsächlich war die Politik einer militärisch bestimmten 12 Chomsky (2003), S. 236 6 keynesianischen Wachstumsorientierung, die durch die sowjetische Bedrohung gerechtfertigt wurde, entscheidend für den Fortschritt der High-Tech-Industrie (…)“.13 Auch Woodrow Wilsons Kommunistenhatz, die Verbreitung von Panik vor der roten Gefahr war kein wahlloses politisches Werkzeug. Man wusste genau, dass man durch die staatliche Gewalt die Arbeiterbewegungen, politisch Andersdenkende und sonstige Gruppierungen unterdrücken und die Öffentlichkeit weitgehend vor weiteren aufrührerischen Gedanken oder Taten abschrecken kann. Die Schuld allein den Medien zuzuschreiben, wäre jedoch eine einseitige Betrachtung, auch wenn sie durch diese Selektion der Öffentlichkeit viele Fakten vorenthalten und somit ihre „Unmüdigkeit“ fördern. „Ihre verantwortungsethische Innensteuerung [nämlich die der Medienschaffenden] muss durch korporative Selbstverpflichtung ergänzt werden und ist auf die Unterstützung durch eine kritische Medienöffentlichkeit und durch Selbstkontrollinstanzen angewiesen.“14 Die kritische Nutzung der Bevölkerung ist wichtig, Voraussetzung dafür aber Meinungsfreiheit für jeden. Ein grundsätzliches Recht, das in Amerika keine lange Tradition hat (Artikel 3). Medien können neue Möglichkeiten, Ansichten und Chancen eröffnen, kritisch betrachtet zu einer wohlüberlegten Meinung beitragen – die Gefahren dürfen jedoch niemals außer Acht gelassen werden. 13 14 Chomsky(2003), S. 230 Paus-Haase (2002), S. 142 7 5. Bibliographie Bücher: Chomsky, Noam (2003) Media Control – Wie die Medien uns manipulieren, 2. Aufl. Europa Verlag, Hamburg 2003 Paus-Haase, Ingrid/Lampert, Claudia/Süss, Daniel (Hrsg.) (2002): Medienpädagogik in der Kommunikationswissenschaft. Positionen, Perspektiven, Potenziale. 1. Aufl., Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2002 Internet: www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Irak/magdoff.html www.twokmikimali.de /texte/Emma_Goldman_Bio.htm 6. Weiterführende Literatur Büttner, Christian (2000): “Krieg im Fernsehen: Kriegsnachrichten zwischen Werbung und Spielfilm, in: Paus-Haase, Ingrid (Hrsg.), Information – Emotion – Sensation: Wenn im Fernsehen die Grenzen zerfließen, S. 114 – 129 Gaddis, John Lewis (1997): We now know. Rethinking Cold War History, Oxford (1997) 8