II. Die deutsche Frage im 19. Jahrhundert

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I.
Die Umgestaltung Europas durch Napoléon
1. Der revolutionäre Einfluß Frankreichs auf Europa vor
Napoléon
Die Mainzer Republik
Seit April 1792 befindet sich das Königreich Frankreich im Krieg mit Preußen und
Österreich. Nach dem Sieg der französischen Armee über die preußischen Truppen bei
Valmy am 20. September 1792, stoßen die französischen Truppen nach Deutschland vor
und besetzen kampflos Mainz am 21. Oktober.
Sofort ergreifen deutsche Sympathisanten der Revolution die Gelegenheit und gründen
einen Jakobinerklub unter der Leitung von Georg Forster, um auch in Deutschland eine
Revolution auszulösen. In Mainz wird die Zivilverwaltung mit Jakobinern besetzt.
Die Franzosen schaffen in den besetzten Gebieten die Feudalverhältnisse ab. Aber sie
ordnen auch Requisitionen für die Armee an, die die Unzufriedenheit der Bevölkerung
hervorrufen. Als sie Wahlen durchführen lassen, ist daher die Beteiligung sehr gering.
Trotz der geringen Unterstützung durch die Masse der Bevölkerung wird am 17. März der
„Nationalkonvent der freien Deutschen diesseits des Rheins“ konstituiert, der einige Tage
später um den Anschluß an die französische Republik bittet.
Doch die Truppen der Koalition der Könige holen zum Gegenschlag aus und beginnen
Mainz zu belagern, das am 23 Juli 1793 fällt. Die deutschen Jakobiner werden verfolgt.
2. Die siegreichen Kriege Napoleons gegen die europäischen
Koalitionen
In den Jahren 1796 und 1797 vertrieb der General Bonaparte die Österreicher aus Italien.
Österreich ist gezwungen, um Frieden zu bitten. Während der Abwesenheit Napoleons, der
versucht Ägypten zu erobern, besetzen die Österreicher dank russischer Hilfe Italien erneut.
Nach dem Staatsstreich vom 18. und 19. Brumaire besiegt der nunmehr erste Konsul die
Österreicher bei Marengo. Österreich schließt den Frieden von Lunéville (1801). England
unterzeichnet 1802 den Frieden von Amiens. Zwischen 1802 und 1803 herrscht in Europa Frieden.
Im Jahre 1803 bricht der Krieg mit England erneut aus. England organisiert die Dritte Koalition
gegen Frankreich, an der sich Russland, Österreich, Neapel und Schweden beteiligen. Nach der
Aufgabe der Landungsprojekte in England im Jahre 1805, überrumpelt Napoleon die Österreicher
und schließt sie in der Festung Ulm ein. Die den Österreichern zu Hilfe kommenden Russen
werden am 2. Dezember 1805 bei Austerlitz geschlagen.
Ab August 1806 rüstet sich Preußen, das sich nicht an der Dritten Koalition beteiligt hatte zum
Krieg gegen Frankreich. Bevor Russland und Schweden den Preußen zu Hilfe kommen können,
vernichtet Napoleon die preußische Armee bei Jena und Auerstedt (14. Oktober 1806). Preußen
setzt den Krieg mit russischer Hilfe fort, aber die Niederlagen bei Eylau und Friedland zwingen die
Vierte Koalition zum Friedenschluss von Tilsit (Juli 1807). Napoleon ist auf dem Höhepunkt seiner
Macht und er schickt sich an die Errungenschaften der Revolution in den besetzten Gebieten
durchzusetzen.
3. Die Reformen Napoleons
a) Die Territorialreformen
Die besiegten Staaten müssen entweder Gebiete an Frankreich abtreten oder aber Napoléon setzt
neue Könige ein. Deutschland wird zuerst umgestaltet. Durch den Reichsdeputationshauptschluss
(1803) wird die politische Karte Deutschlands stark vereinfacht. Die Besitzungen der vielen
kleinen Reichsritter werden aufgehoben und den größeren Fürsten zugeschlagen. Auch die
geistlichen Fürstentümer werden aufgehoben.
Im August 1806, nach der Niederlage der Habsburger, erklären 16 deutsche Fürsten ihren Austritt
aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, nachdem sie den Kaiser der Franzosen als
ihren Protektor anerkannt haben (12. Juli 1806). Das Deutsche Reich hört damit auf zu bestehen.
Aus verschiedenen kleineren deutschen Fürstentümern bildet Napoléon auch neue Staaten, wie das
Großherzogtum Berg und das Königreich Westfalen. In diesen Staaten, ebenso wie in den anderen
Staaten, in denen er seine Verwandten als Könige einsetzt (Königreich Neapel – erst sein Bruder
Joseph, dann sein Schwager Murat; Königreich Italien – er selbst als König, sein Stiefsohn Eugène
als Vizekönig; in Spanien sein Bruder Joseph; in Holland, sein Bruder Louis) , wird die
Verwaltung nach französischem Vorbild organisiert. Das Königreich Westfalen, das aus ehemals
braunschweigischen, hessischen, preußischen und Hannoveraner Gebieten gebildet wird, wird von
seinem jüngsten Bruder Jérôme regiert. In diesem Staat soll die Überlegenheit der französischen
Verwaltung allen anderen Staaten demonstriert werden.
b) Die Rechts- und Gesellschaftsreformen
Napoléon sucht in den besetzten Gebieten die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen. Er
ordnet Reformen an, die auf administrativem Wege, das durchsetzen, was die Revolution in
Frankreich geschaffen hat.
Alle Untertanen werden vor dem Gesetz gleichgestellt. Die Privilegien aller Art werden
abgeschafft. Alle Stände müssen von nun an Steuern zahlen. Die Ämter und Stellen des Staates
stehen rechtlich
allen Bürgern offen. Die Leibeigenschaft wird abgeschafft, ebenso alle aus ihr abgeleiteten
Frondienste und Abgaben. Ein anderer Teil der Abgaben bleibt aber bestehen, kann aber von den
Pflichtigen abgekauft werden.
Im Königreich Westfalen und in einigen anderen Staaten wird das französische Zivilgesetzbuch,
der Code Civil oder Code Napoléon eingeführt.
Alle Untertanen bekommen das Recht, frei ihren Glauben auszuüben. Damit wird auch die
rechtliche Diskriminierung der Juden beendet.
Manche Staaten, wie z.B. Bayern oder Preußen, imitieren diese Reformen zumindest teilweise.
4.Die militärische Niederlage Napoleons und die Restauration
a.) Das Fortdauern der Kriege
England bleibt unbesiegt zur See und ein englisches Heer kämpft in Spanien gegen die
französischen Truppen. Im Jahre 1812 kommt es zum Krieg Frankreichs mit Russland. Die Grosse
Armee Napoleons geht in Russland unter. In Deutschland erklärt Preußen Frankreich den Krieg
(1813). Nach anfänglichen Siegen wird die französische Armee in der sogenannten Völkerschlacht
bei Leipzig geschlagen und muss sich nach Frankreich zurückziehen. Die Truppen der
antifranzösischen Koalition verfolgen sie bis Paris. Napoleon muss abdanken.
b.) Der Nationalismus
Die Unterhaltung seiner Truppen, die Napoléon von den besetzten Staaten fordert, verstimmt die
Bevölkerungen. Aber vor allem ertragen es intellektuelle Kreise schwer, dass ihre Heimat von
Ausländern beherrscht wird. In Deutschland rufen Philosophen wie Fichte und Dichter wie Körner
zum Kampf gegen die Franzosen auf. In anderen Ländern (Spanien, Russland) nutzt die Kirche die
Gläubigkeit der Bevölkerungen aus, um sie gegen Napoléon aufzustacheln, der als Gesandter des
Teufels bezeichnet wird.
c.) Die Restauration
Die siegreichen Monarchen organisieren einen Kongress in Wien (1814-1815). Dort wird Europa
neu aufgeteilt. Die vier Hauptmächte Österreich, Russland, Preußen und England vertreten die
Idee, dass ein Gleichgewicht der Kräfte die Garantie für einen dauerhaften Frieden sei. Dieser
Frieden ist die Voraussetzung für die Erhaltung der gesellschaftlichen Zustände und der Macht des
Adels. Die Monarchen schließen die sogenannte „Heilige Allianz“ und verpflichten sich jedem
Monarchen zu Hilfe zu kommen, wenn seine Herrschaft von einer Revolution bedroht wird. Viele
der von Napoleon eingeführten Neuerungen werden wieder rückgängig gemacht. Das Prinzip des
Gottesgnadentums bleibt erhalten, der Adel bekommt seine Privilegien wieder. Manche der
Reformen werden nicht widerrufen, wie die Abschaffung der Leibeigenschaft in Preußen.
Austrittserklärung der Rheinbundstaaten vom 1. August 1806
Fragen zum Text:
1. a) Wer sind die Autoren dieses Textes ? Wie werden Sie im Text bezeichnet ?
b) An wen richtet sich dieses Dokument ?
c) Stellt dieses Dokument in seinen historischen Zusammenhang !
2. Was ist mit dem Ausdruck „ Die Begebenheiten der letzten drei Kriege, welche Deutschland
beinahe ununterbrochen beunruhigt haben, und die politischen Veränderungen, welche daraus
entsprungen sind“ gemeint ?
3. Was ist Deutschland zum Entstehungszeitpunkt dieses Dokuments ? Wie schätzen die Autoren
die Lage Deutschlands ein ?
4. Was könnten die Autoren mit „ befolgen sie bloß das durch frühere Vorgänge und selbst durch
Erklärungen der mächtigeren Reichstände aufgestellte System.“ meinen ?
5. Was tun die Autoren mit diesem Dokument ? Wie rechtfertigen sie ihre Tat ?
6. Besaßen die Autoren ein deutsches Nationalgefühl ?
7. Welche historische Bedeutung kommt diesem Dokument zu ?
8. Wie wird Preußen auf diese neue Situation reagiert haben ? Begründet Eure Antwort anhand
Eures historischen Wissens !
Vokabelhilfen:
Mittägliches Deutschland – „l’Allemagne du Midi“, d.h. Süddeutschland
Bei dem Drange – sous l’empire de, sous la pression de, dans l’urgence de
Beantwortung der Fragen
1. Am ersten August 1806 geben 16 Fürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
Nation eine Erklärung ab, in der sie ihr Handeln rechtfertigen. Es handelt sich
ausschließlich um Fürsten der kleinen und mittleren deutschen Staaten des westlichen und
südlichen ( alte Bezeichnung : mittäglich ) Deutschland. Diese Erklärung ist an die übrigen
deutschen Fürsten und and die internationale Öffentlichkeit gerichtet. Es handelt sich dabei
um einen staatsrechtlichen Akt. Im August 1806 beherrscht Frankreich politisch und
militärisch weite Teile West- und Süddeutschlands. Der Kaiser des Deutschen Reiches, der
Habsburger Franz II. (I.), der auch Kaiser von Österreich ist, ist militärisch besiegt worden
( Ulm und Austerlitz) und politisch geschwächt. Die Autoren haben am 12. Juli 1806 mit
Frankreich ein Bündnisabkommen geschlossen, den Rheinbund. Der Kampf um die
Vorherrschaft zwischen Frankreich und Österreich in West- und Süddeutschland ist nicht
neu ( Dreißigjähriger Krieg), aber hat seit 1792 eine neue Wendung genommen.
2. Frankreich und Österreich sind nämlich seit 1792 mehrfach im Kriegszustand gewesen :
1792- 1797 (Frieden von Loeben), 1799-1801 (Frieden von Lunéville), 1805 (Frieden von
Pressburg). Während dieser Kriege haben mehrer west- und süddeutsche Staaten, wie z. B.
Bayern und Württemberg an Frankreichs Seite gekämpft. Diese Kriege haben sich zum
Teil auf ihrem Gebiet abgespielt. Auch haben diese deutschen Fürsten von der
Unterstützung Frankreichs profitiert, denn der Reichsdeputationshauptschluss wurde im
wesentlichen von Frankreich inszeniert. Faktisch spielte Frankreich also seit mehr als 10
Jahren die entscheidende Rolle im westlichen Teil des Heiligen Römischen Reiches
Deutscher Nation.
3. Deutschland ist zu diesem Zeitpunkt ein relativ locker zusammengebundenes
Staatsgebilde, mit einem Oberhaupt – dem Kaiser -, einem Reichstag, der in Regensburg
tagt, sowie weiteren gemeinsamen Funktionen. Die Deutschen haben auch eine mehr oder
weniger einheitliche Sprache. Manche Dichter und andere Intellektuelle verfechten auch
die Idee einer einheitlichen deutschen Literatur. Aber in Wirklichkeit sind die meisten
deutschen Fürstentümer innen- und auch außenpolitisch unabhängig und bezeichnen sich
zum Teil als souverän ( d.h. sie erkennen keinen Oberherren an). Faktisch äußert sich diese
„Selbständigkeit“ auch darin, dass sie gegeneinander Krieg führen. Im Grunde schätzen
die Autoren die politische Einheit Deutschlands als nicht mehr bestehend ein, was in dem
Ausdruck : „so hat sie doch im Grunde nur die Hinfälligkeit einer ... durch den Unbestand
fehlerhaft gewordenen Verfassung bestätiget.“
4. Übrigens beziehen sie sich auch auf das Verhalten der mächtigeren Reichsstände. Es
handelt sich dabei sicherlich um Österreich und Preußen, die sich, ungeachtet ihrer
Zugehörigkeit zum deutschen Reich, im 18. Jahrhundert häufig bekriegt haben. Auch
hatte Preußen ebenfalls vom Reichsdeputationshauptschluss profitiert.
5. Die 16 deutschen Fürsten treten mit diesem Dokument aus dem Reich aus. Das Heilige
Römische Reich wird damit stark verkleinert. Sie rechtfertigen ihre Tat offenbar mit dem
mangelnden Schutz durch Österreich und mit der Überlebtheit und der Fehlerhaftigkeit der
Reichsinstitutionen.
6. In dem Dokument bezeichnen sie sich als Deutsche. Ihr Verhalten ist von der älteren
preußisch oder österreichisch beeinflussten Geschichtsschreibung als nationaler Verrat
gewertet worden. Die Rechtfertigung der 16 Fürsten entbehrt aber nicht einer gewissen
Logik und entspricht, was das Verhalten der beiden deutschen Großmächte betrifft, sogar
der Wahrheit. Allerdings ist das Bekenntnis zur deutschen Nation nur eine Rechtfertigung.
Wenn es um Macht ging haben die Fürsten in der Regel mit jeder ausländischen Macht
paktiert.
7. Der Austritt der 16 Fürsten leitet die staatsrechtliche Auflösung des deutschen Reiches ein,
die einige Tage später durch den Verzicht des österreichischen Kaisers auf die deutsche
Kaiserkrone vollendet wird. Das Dokument ist aber auch unter einem anderen Aspekt
interessant. Im allgemeinen geht man davon aus, das der deutsche Nationalismus sich vor
allem unter dem Eindruck der napoleonischen Besetzung entwickelte, da die Kriegslasten
unter der Bevölkerung Unzufriedenheit hervorriefen. Die Tatsache aber, dass die Fürsten
sich veranlasst sehen, ihre Tat mit Bezug auf das Nationalgefühl zu rechtfertigen, zeigt,
dass dieses Gefühl bereits existierte.
8. Preußen sah durch dieses Bündnis seinen Einfluss in Norddeutschland schwinden. Es
erkannte den Rheinbund erst nicht an und mobilisierte dann, um gegen Frankreich Krieg
zu führen. Es trat der 4. Koalition bei, wurde aber vernichtend geschlagen (Jena – 14.
Oktober 1806). Nachdem sein Bündnispartner Russland auch besiegt worden war (Eylau,
Friedland), musste es die Hälfte seines Gebietes abtreten, schloss sich aber dem Rheinbund
nicht an.
Der deutsche Schriftsteller Johann Gottfried Seume über den Unterschied zwischen den Soldaten
der französischen und preußischen Armee
„Der Franzose ohne Unterschied schlägt sich für ein Vaterland, das ihm nun lieb geworden ist, das
ihm und seiner Familie eine gleiche Aussicht auf alle Vorteile vorhält und diese Vorteile wirklich
gewährt.
Für wen soll der deutsche Grenadier sich auf die Batterie und in die Bajonette stürzen ? Er bleibt
sicher, was er ist, und trägt seinen Tornister so fort und erntet kaum ein freundliches Wort von
seinem mürrischen Gewalthaber. Er soll dem Tode unverwandt ins Auge sehen, und zu Hause
pflügt sein alter, schwacher Vater frönend die Felder des gnädigen Junkers, der nichts tut und
nichts zahlt und mit Misshandlungen vergilt. Der Alte fährt schwitzend die Ernte des Herrenhofes
(Rittergutes) ein und muss oft die seinige draußen verfaulen lassen; und dafür hat er die
jämmerliche Ehre, der einzige Lastträger des Staates zu sein: eine Ehre, die klüglich nicht
anerkannt wird ! Soll der Soldat deshalb mutig fechten, um eben dieses Glück einst selbst zu
genießen ?“
Fragen zum Text
1. Welchen Unterschied stellt der Autor zwischen dem französischen und dem deutschen
Soldaten fest?
2. Warum kämpft der Franzose für ein Vaterland ? Erklärt dabei den Ausdruck „das ihm nun
lieb geworden ist“ !
3. In welcher Lage befindet sich die Familie des deutschen Soldaten ? Erklärt dabei die
Ausdrücke „frönend“ und „Gewalthaber“!
4. Warum muss der Vater häufig seine Ernte draußen verfaulen lassen ? In welcher Gegend
(welchem Staat) wohnt der Vater wahrscheinlich ?
5. Erklärt den Relativsatz: „der Junker, der nichts tut und nichts zahlt“ !
6. Versucht anhand der Informationen, die der Text liefert, die Entstehungszeit des Textes
einzugrenzen!
7. Analysiert der Autor die Lage von einem neutralen Standpunkt ? Begründet Eure Antwort
anhand von Belegen im Text!
1. Der Autor, Johann Gottfried Seume, stellt in diesem Text Unterschiede in der
Haltung und Motivation des deutschen und des französischen Soldaten fest. Seiner
Ansicht nach, besitzt der Franzose ein Nationalgefühl, das heißt, er liebt sein
Vaterland und identifiziert sich mit ihm, wohingegen er dem Deutschen unterstellt,
kein solches Nationalgefühl zu besitzen. Dieser Unterschied wirkt sich laut Seume
auch auf die Kampfmoral der deutschen und französischen Soldaten aus. Die
Franzosen wissen wofür sie kämpfen, haben also eine hohe (gute) Kampfmoral, die
Deutschen hingegen eine schlechte.
2. Mehrere Gründe können für diese Unterschiede angegeben werden. Einerseits
weist der Autor klar auf die Rolle der französischen Revolution hin. Durch die
Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 und durch die revolutionäre
Gesetzgebung (1789 und 1793) waren alle Bürger Frankreichs vor dem Gesetz
gleich. Diese Gleichheit wurde auch in den Losungsworten der Republik zum
Ausdruck gebracht. Die Revolution hatte auch die Stände und ihre Privilegien
abgeschafft und somit konnten auch Soldaten aus den unteren sozialen Schichten in
höhere Offiziersränge aufsteigen. Durch die Abschaffung der Feudallasten und der
persönlichen Unfreiheit, da wo sie in Frankreich noch bestand, waren viele Bauern
wirklich Eigentümer ihrer Höfe geworden und diese Errungenschaften wollten sie
3.
4.
5.
6.
7.
gegen jede äußere Bedrohung verteidigen. Diese Bedrohung war seit dem
Ausbruch des Krieges 1792 eine Realität geworden.
Laut Aussage Seumes befindet sich die Familie des deutschen Soldaten in der
Abhängigkeit eines adligen Herren (Junker), der über ihn die Gerichtsbarkeit
ausübt, das heißt er besitzt über ihn die richterliche und polizeiliche Gewalt.
Wahrscheinlich spielt er auch auf die Leibeigenschaft an. Die Familie war in
diesem Fall an das Grundstück gebunden, das sie bewirtschaftete und der Vater
musste den Gerichtsherren um Erlaubnis bitten, wenn er oder seine Kinder heiraten
wollten. Der Feudalherr konnte auch bestimmte Abgaben bei der Vererbung des
Bauernhofes verlangen. Vor allem aber erhielt er vom Bauern Geld- und
Naturalabgaben. Der Bauer musste auch Frondienste leisten, „frönen“, das heißt er
musste unentgeltlich auf dem Gut des Herren Arbeiten verrichten.
Diese Frondienste waren in den verschiedenen Gegenden unterschiedlich schwer.
In Frankreich waren sie im allgemeinen am Vorabend der Revolution relativ leicht,
das heißt zeitlich beschränkt gewesen. Im Osten Deutschlands und in Osteuropa
waren sie jedoch sehr schwer: ein Bauer musste manchmal bis zu 6 Tagen in der
Woche auf dem Herrenhof arbeiten bzw. dem Herrn ein Gespann und Knechte zur
Verfügung stellen. Der Autor bezieht sich wahrscheinlich auf Preußen, da er
schreibt, der Vater müsse häufig seine eigene Ernte verfaulen lassen, während er
auf dem Rittergut arbeite. Die Höhe der Abgaben und die Last der Frondienste
führten in diesen Gegenden in der Tat häufig zur Verarmung der Bauernschaft und
der Landbevölkerung im allgemeinen.
Der Junker, der deutsche Landadlige, war privilegiert: er bezahlte keine Steuern
und lebte von den Abgaben. Laut der damals herrschenden Ideologie bestand seine
Aufgabe allerdings darin, dem König mit der Waffe zu dienen und die Gesellschaft
zu beschützen. Vor allem Friedrich II. erwartete von den Adligen, dass sie als
Offiziere in der Armee dienten.
Der Text ist eindeutig nach der Abschaffung der Privilegien in Frankreich 1789
entstanden. In Deutschland sind diese Privilegien noch nicht oder nur zum Teil
abgeschafft. Der Text muss sich also auf die Zeit vor den von Napoleon initiierten
Reformen beziehen. Vermutlich sucht der Autor eine Erklärung für von deutschen
Armeen (vielleicht kürzlich ) erlittenen Niederlagen. Solche entscheidenden
Niederlagen hatten sowohl Österreich – 1805 bei Ulm und Austerlitz – als auch
Preußen – 1806 bei Jena – erlitten.
Der Autor benutzt seine Analysen, um die herrschenden Zustände in Deutschland
zu kritisieren. Dabei bedient er sich des sprachlichen Mittels der Ironie: den
mürrischen Junker nennt er „gnädig“, wie es im Sprachgebrauch der Zeit üblich
war; die Pflicht zu dienen bezeichnet er als jämmerliche Ehre und die Lage der
abhängigen Bevölkerung nennt er „Glück“.
Beschreiben und kommentieren Sie die beiden Karten !
Die beiden Karten zeigen die politischen Verhältnisse Südwestdeutschlands zu zwei
verschiedenen Zeitpunkten : 1792 und 1806. Es ist also möglich, eine Entwicklung zu
beobachten. Die Daten sind nicht zufällig gewählt worden. Im Jahre 1792 bricht der Krieg
zwischen dem revolutionären Frankreich, das sich in diesem Jahr zur Republik
proklamiert, und den europäischen Monarchien aus. Dieser Krieg wird, mit kurzen
Unterbrechungen, bis 1815 dauern und in Europa große Umwälzungen hervorrufen. Die
erste Karte zeigt also den Zustand am Vorabend dieser Veränderungen (man hätte genauso
gut eine Karte von 1789 nehmen können). Südwestdeutschland erscheint als politisch stark
zersplittert. Zwei Fürstentümer heben sich von den kleineren Territorialeinheiten ab:
Baden und Württemberg. Ihre Gebiete sind aber nicht zusammenhängend. Östlich davon
erscheint das Kurfürstentum Bayern, ohne namentlich erwähnt zu sein. Diese Fürstentümer
waren seit dem Mittelalter und dem Dreißigjährigen Krieg erstarkt. Neben diesen
Fürstentümern sieht man noch viele kleine Territorien, sogenannte Zwergstaaten, von
denen nur die Reichsstädte in der Legende erwähnt werden. Die Reichsstädte, wie
übrigens auch die Reichsritter, unterstanden direkt dem Kaiser des Heiligen Römischen
Reiches Deutscher Nation und waren im Reichstag in Regensburg vertreten. Diese vielen
kleinen Staaten hatten häufig eine eigene Gesetzgebung, Maße, Münzen und Gewichte. Sie
erhoben auch eigene Zölle an ihren Grenzen.
Die zweite Karte zeigt dasselbe Gebiet im Jahre 1806. Die Siege der französischen
Armeen, vor allem seit Napoleon, führten zu Veränderungen der politischen Geographie.
Das nunmehr Kaiserreich gewordene Frankreich hat sich die linksrheinischen Gebiete des
Heiligen Römischen Reiches einverleibt. Diese Gebiete waren im Verlaufe der Kriege
mehrfach besetzt worden (Mainzer Republik) und nach den Siegen Frankreichs über
Österreich (Frieden von Lunéville – 1801) an Frankreich gefallen. Der
Reichsdeputationshauptschluss 1803 hatte diese Gebietsabtretung bestätigt. Gleichzeitig
hatte dieser politische Akt unter dem Druck des zur Vormacht Westeuropas aufgestiegenen
Frankreich es den größeren und mittleren deutschen Fürstentümern gestattet, sich die
Kleinstaaten, das heißt die freien Reichstädte, die Reichsritterschaft sowie die geistlichen
Fürstentümer zu annektieren und somit ihre Gebiete abzurunden. Die mittleren
Fürstentümer wurden Verbündete Frankreichs und erhielten nach dem Ende des Heiligen
Römischen Reiches, aus dem sie ausgetreten waren, manchmal neue Titel, wie z. B.
Bayern, das vom Kurfürstentum zum Königreich avancierte (siehe Karte). Zu diesen von
Frankreich abhängigen Staaten gehörte übrigens auch die Schweiz, die als eine Art
Tochterrepublik von Eidgenossenschaft in Helvetische Republik umbenannt wurde.
Auszug aus den Bestimmungen des Rheinbundvertrages
Artikel 1 Die Staaten Ihrer Majestäten der Könige von Bayern und Württemberg (usw.)
werden auf immer vom deutschen Reichsgebiete getrennt und unter sich durch einen
eigenen Bund unter dem Namen Verbündete Rheinische Staaten vereinigt.
Artikel 2 Jedes deutsche Reichsgesetz, welches bis jetzt Ihre Majestäten und
Durchlauchten die Könige, Fürsten und Grafen, welche im vorhergehenden Artikel
benannt sind, ihre Untertanen und Staaten oder Teile derselben betreffen oder verbinden
konnte, soll künftig ...nichtig und ohne Wirkung sein.
Artikel 12 Seine Majestät der Kaiser der Franzosen soll als der Beschützer des Bundes
proklamiert werden und ernennt in dieser Eigenschaft beim Absterben des jedesmaligen
Fürsten-Primas ( der erste der Fürsten) dessen Nachfolger.
Artikel 35 Jeder Kontinentalkrieg, welchen einer der vertragschließenden Teile zu
bestehen hat, wird unmittelbar für alle übrigen eine gemeinschaftliche Sache.
Fragen
1. Stellt das Dokument vor (Art, Autoren, Datum, Kontext usw.)
2. In welchem Zustand befanden sich das deutsche Reich und Europa zum Zeitpunkt
des Entstehens dieses Dokumentes ?
3. Was fällt Euch an den Titeln der erwähnten Personen auf ?
4. Was wurde mit diesem Vertrag geschaffen ? Welcher Art war das Bündnis ?
5. Welche langfristigen Folgen hatte dieses Dokument ?
Der Rheinbundvertrag
1. Seit Beginn des Jahres 1806 hat sich das europäische Kräfteverhältnis
grundlegend geändert. Durch die Niederlage der Österreicher und Russen bei
Austerlitz am 2. Dezember 1805 ist Frankreich zu führenden Macht in Europa und
somit auch in Deutschland geworden. Frankreichs Einfluss auf die westlichen Teile
Deutschlands war bereits vorher bedeutend gewesen, wie es durch den
Reichsdeputationshauptschluss (1803) bekräftigt wurde. Vor allem die Fürsten
West- und Süddeutschlands hatten von der napoleonischen Politik profitiert und
ihre Gebiete vergrößert. Sie waren zum Teil Verbündete Frankreichs, obwohl sie
formell zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörten und dem
Kaiser von Österreich unterstanden. Durch die österreichische Niederlage bei
Austerlitz war die Autorität des deutschen Kaisers so sehr gesunken, dass 16
Fürsten des Reichs im Juli 1806 nicht zögerten, einen völkerrechtlichen Vertrag
mit einer ausländischen Macht, dem Kaiserreich Frankreich, zu schließen.
2. Napoleon beherrscht zu diesem Zeitpunkt Westeuropa, außer England. West- und
Süddeutschland stehen weitgehend unter französischem Einfluss, aber im NordOsten bewahrt Preußen immer noch seine Macht, zumal es mit Russlands
Unterstützung rechnen kann. Einige deutsche Staaten wie Hessen und
Braunschweig stehen auf preußischer Seite. Im allgemeinen ist Deutschland in
viele Staaten geteilt, obwohl der Reichsdeputationshauptschluss zu einer
Vereinfachung der Territorialstruktur (Flurbereinigung) geführt hat. Die
Reichsritter sind ebenso verschwunden wie die meisten der freien Reichsstädte.
3. Deren Gebieten wurden nämlich in die Territorien der größeren Fürstentümer
eingegliedert. Manche der Fürsten erhielten durch Napoleon Königstitel wie zum
Beispiel die Kurfürsten von Bayern und Württemberg. Normalerweise war ein
deutscher Fürst kein souveräner Monarch, wie das der Fall eines Königs ist.
4. Durch diesen Vertrag wurde der Rheinbund geschaffen. Er war wie man im
Artikel 35 lesen kann ein militärisches Verteidigungsbündnis zwischen Frankreich
und den 16 deutschen Mitgliedstaaten. Es gab auch so etwas wie eine interne
Ordnung der Fürsten, da Napoleon als Protektor auch den sogenannten FürstenPrimas ernennt.
5. Durch dieses Bündnis hörte das deutsche Reich faktisch auf zu bestehen und kurze
Zeit später legt der Kaiser von Österreich die deutsche Kaiserkrone nieder. Der
Rheinbund hatte keinen langen Bestand, auch wenn durch Napoleons Siege fast
alle deutschen Fürstentümer außer Österreich und Preußen diesem Bunde beitraten.
Nach der Niederlage Napoleons 1813/14 zerfiel der Rheinbund. Die deutschen
Staaten gründeten danach den sogenannten Deutschen Bund.
Quellenkommentar
1. [ Kontext ] Nach seinem Siege über die 4. Koalition und dem Friedensschluss von
Tilsit (Juli 1807), bildet Napoleon aus den von dem besiegten Preußen und seinen
Verbündeten abgetretenen Gebieten verschiedenen Staaten auf deren Throne er
seine Verwandten oder Verbündeten setzt. Zu diesen Vasallenstaaten gehört auch
das Königreich Westfalen, dessen Herrscher Napoleons jüngster Bruder Jérôme
wird. Dieses Königreich erhält eine von Napoleons Mitarbeitern erarbeitete
Verfassung (die erste geschriebene Verfassung auf deutschem Boden). Dieses
Zirkularschreiben des Ministers der Justiz und des Innern dieses Königreichs
handelt von den konkreten Folgen dieser Verfassung. Es handelt sich um ein
Zirkular, das heißt, dass dieser Brief mit dem gleichen Inhalt an die Präsidenten
aller Gerichte des neuen Staates gegangen ist. Der Minister, übrigens ein Franzose,
Siméon, gibt seinen Untergebenen Erklärungen und Anweisungen. Da es sich um
einen Brief von den Anfängen des Königreichs handelt, sind die Minister nur
provisorisch ernannt.
2. Dieses Schreiben befasst sich mit der Auslegung der Verfassung, mit der
Abschaffung der Leibeigenschaft und der Einführung des Code Napoléon (Code
civil français) als bürgerliches Gesetzbuch im Königreich Westfalen, die Napoleon
verfassungsmäßig vorgeschrieben hat (Artikel 48 der Verfassung vom 15.
November 1807).
3. (siehe Frage 2)
4. Die auftretenden Probleme waren zunächst sprachlicher Natur. Der Code civil war
das französische Zivilgesetzbuch. Es lag von diesem Gesetzbuch keine offizielle
deutsche Übersetzung vor, die allen Gerichten als einzig gültige vorgeschrieben
hätte werden können. Die Richter, fast in den meisten Fällen Deutsche,
beherrschten die französische Sprache nicht immer ausreichend.
5. Die Verfassung hebt die Feudallasten auf, die als von der Leibeigenschaft
herrührend angesehen werden, das heißt alle Abgaben, die eine Person leisten
musste, weil sich persönlich von einem Herren oder Gutsbesitzer abhängig war,
denn nun waren die Menschen vor dem Gesetz alle gleich. Alle Abgaben, die aber
für die Abtretung oder Verleihung von Gütern, Grund und Boden geleistet worden
waren.
Die Ursprünge des deutschen Nationalismus
Fragen
1. Welcher Gedanke taucht in den Dokumenten 1 bis 4 auf ?
2. In welchem Zustand befindet sich Deutschland zur Entstehungszeit der Dokumente
? Begründet Eure Antwort anhand von konkreten Belegen in den Texten !
3. Aus welchem Stand stammt der Autor des Dokuments 1 ?
4. Vergleicht die Dokumente 2 und 4 ! An welche sozialen Gruppen richten sich die
beiden Autoren ? Begründet Eure Antwort !
5. Analysiert das Dokument 5 ! Was erfahren wir über die Auswirkungen der
napoleonischen Reformen in Preußen ?
Antworten
1. Der in allen 4 Dokumenten auftauchende Gedanke ist der, dass alle Deutschen,
auch wenn sie in verschiedenen Fürstentümern des ehemaligen Reiches wohnen,
ein Volk, eine Nation bilden. In den Dokumenten 1 bis 3 erscheint außerdem das
Wort Vaterland bzw. Vaterlandsliebe. Die Dokumente handeln also vom
„Patriotismus“ bzw. Nationalismus.
2. Deutschland befindet sich zum Entstehungszeitpunkt der Dokumente einerseits im
Zustande politischer Zersplitterung, obwohl die meisten deutschen Staaten
Mitglieder eines Militärbündnisses mit Frankreich sind. Andererseits befindet sich
Deutschland unter französischer Herrschaft, d.h. unter der Herrschaft eines Volkes,
das eine andere Sprache sprach und nie in einem deutschen Staatsverband integriert
gewesen war.
3. Der Autor, der Baron vom Stein, stammt aus dem Adel. Er gehörte zu jenen
Reichsrittern, die durch den Reichsdeputationshauptschluss, sein Gebiet verloren
hat. Sein Hass gegen Napoleon ist grenzenlos.
4. Schill richtet sich offenbar an die ländliche (bäuerliche) Bevölkerung, da er die
Bevölkerung aufruft, sich mit Picken und Sensen zu bewaffnen. Der Autor des
Dokuments 4 richtet sich an Studenten, das heißt an eine intellektuelle Minderheit,
das zukünftige Bildungsbürgertum. Er sagt: „euch, die ihr dereinst des Volkes
Lehrer, Vertreter und Richter sein werdet“. Diese Schichten sollten die
hauptsächliche soziale Basis des Nationalismus stellen.
5. In Preußen, das nicht Mitglied des Rheinbundes war, waren zwar begrenzte
Reformen durchgeführt worden. Aber die Macht der Junker wurde nicht wesentlich
beschnitten. Das Gesinde, die wirtschaftlich von den Gutsherren abhängige
Landbevölkerung, wurde also bis 1918, bis zur Novemberrevolution, rechtlich
benachteiligt. Der Einfluss der französischen Revolution blieb also in diesem
Staate begrenzt.
Dokumententhema
Der Wiener Kongress und Europa: ein vernünftiger
Friede?
I. Teil : Fragen zu den Dokumenten
1. Was erfahren wir in den Dokumenten über die territoriale
Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress und über die
gegenseitigen Beziehungen der Mächte ?
2. Was erfahren wir über die Akteure des Wiener Kongresses und
ihre Ziele ?
3. Wogegen richtete sich der Wiener Kongress ? Wessen
Erwartungen wurden enttäuscht ?
4. Was bedeutet das Wort „vernünftig“ im Titel ? Durch welche
Synonyme könnte man es ersetzen ?
5. Gebt eine Antwort auf die Titelfrage! Zeigt dabei auch die Grenzen
der gelieferten Dokumente (Autoren, Kontext usw.) !
II. Teil: Gebt eine strukturierte Antwort auf die Fragestellung
(mindestens 2 Seiten, 3 Seiten sind ausreichend).
Berichtigungsvorschlag
Erster Teil
1. Da Frankreich aller seiner nach 1792 gewonnenen Gebiete bereits durch den 1. Pariser
Frieden verlustig gegangen war, bestand das Ziel des Kongresses zunächst einmal in der
Verteilung der Beute. Der Wiener Kongress ordnete die politische Geografie Europas neu,
indem er in mehrerer Hinsicht die vorrevolutionären Gebietsverhältnisse wiederherstellte.
Die Siegermächte legten in der Regel Wert darauf, die Territorien, die sie an Napoleon
verloren hatten, wieder in ihren Besitz zu bekommen. Dies traf vor allem auf die
Habsburger Monarchie zu, die in ihren verschiedenen Kriegen gegen Frankreich (1797,
1801, 1805, 1809) zahlreiche Provinzen, vor allem in Italien, Illyrien aber aus den
österreichischen Kernlanden, hatte abtreten müssen. Auch Großbritannien erhielt
Hannover zurück, das seit 1803 von französischen Truppen besetzt gewesen war. Aber der
Kongress veränderte auch in mancher Hinsicht die Territorialverhältnisse und trug dem
neu entstandenen Kräfteverhältnis Rechnung. Als Entschädigung für seinen Verzicht auf
die ehemals preußischen Provinzen des Großherzogtums Warschau, abgesehen von Posen
und Thorn, erhielt Preußen weit mehr westdeutsche Gebiete zurück, als es vor 1806
besessen hatte. Russland dehnte sich durch die Schaffung des Königreichs Polen
(Kongresspolen) nach Westen aus. Im Herzen Europas blieb eine Vielzahl kleinerer
Staaten erhalten. Diese wurden zum Teil gestärkt, wie die Niederlanden, an die man den
ehemals österreichischen Teil, das heutige Belgien, anschloss. Dasselbe trifft für die
Schweiz zu, die Territorialgewinne machte. Vor allem aber blieb die territoriale
Zersplitterung Deutschlands erhalten, auch wenn man die napoleonischen
Rationalisierungen, wie die Abschaffung der Reichsritter nicht in Frage stellte. Insgesamt
wurde ein gewisses Kräftegleichgewicht wiederhergestellt, an dem besonders
Großbritannien interessiert war.
2. Die Hauptakteure des Kongresses waren der österreichische Staatskanzler Metternich, der
russische Zar Alexander I., der britische Außenminister Viscount Castlereagh, der
preußische Staatskanzler Fürst Hardenberg sowie der französische Vertreter Talleyrand.
Detailliert informieren uns die Dokumente nur über Metternich. Aus dem Dokument 3
erfahren wir, dass der österreichische Staatsmann nach seiner Herkunft, Ausbildung und
Haltung ein Aristokrat des 18. Jahrhunderts war und dementsprechend versuchte, die alten
Zustände zu bewahren bzw. wiederherzustellen. Seine Feindschaft den nationalen
Bewegungen gegenüber erklärt sich auch durch die Bedeutung, die die Nationalitätenfrage
für die Habsburger Monarchie hatte. Im übrigen wird ihm ein heller Sinn für gemeinsame
europäische Verantwortlichkeiten unterstellt. Das Dokument 4 erhellt die Motive
Metternichs: Legitimität, d.h. Gottesgnadentum, monarchische Autorität, d.h.
Absolutismus, Stabilität, d.h. Kräftegleichgewicht. In diesem Punkte stimmte Metternich
mit dem britischen Außenminister überein, zumal die Balance of Powers in Europa
traditionelles Ziel britischer Politik war.
3. Der Wiener Kongress richtete sich gegen die Hegemonie eines Staates, gegen
Verfassungen und gegen die Usurpation von Herrschaft. Die Entstehung eines einzigen
großen Reichs sollte verhindert werden. Das Prinzip der Volkssouveränität sollte
unterdrückt werden. Liberalismus und Nationalismus sollten bekämpft werden, zumal
gerade der Nationalismus Mächten wie Österreich und Russland gefährlich werden konnte.
Folglich wurden die Erwartungen der Liberalen und der nationalen Minderheiten
enttäuscht. Deutschland blieb zersplittert, Polen behielt nur formell eine eigene
Staatlichkeit.
4. Vernünftig heißt normalerweise durchdacht, überlegt, ausgewogen. In dem hier genannten
Zusammenhang bedeutet es auch dauerhaft, indem man unterstellt, dass ein auf
gegenseitigen Kompromissen beruhender Frieden auch von Dauer sei. Man könnte
vernünftig also auch durch (von allen Seiten) akzeptabel ersetzen.
5. Um die Frage zu beantworten, ob der Wiener Kongress wirklich einen vernünftigen
Frieden geschlossen hat, ist es notwendig, den Standpunkt der Autoren und die
Bedingungen der Erstellung der Dokumente zu analysieren. Die meisten Dokumente, vier
von fünf, sind keine Quellen sondern entstammen entweder historischen Werken (M. 2, M.
3) oder Geschichtslehrbüchern M.1 und M. 5). Sie sind also wesentlich später entstanden
(1967 – 1996). Das Dokument 5 weist keine Datumsangabe auf. Der zeitliche Abstand
müsste den Verfassern eigentlich die Möglichkeit, geben die „Vernünftigkeit“, d.h. die
Dauerhaftigkeit des Wiener Friedens einzuschätzen. Die späte Entstehungszeit ist aber
keine Garantie für die Objektivität der Autoren. Diese können keine neuen Fakten
anführen, die nicht aus Quellen stammen. Außerdem kann ihre Faktenauswahl subjektiv
sein, sie muss es aber nicht. Nur ein Dokument kann als eine Quelle bezeichnet werden,
obwohl ihr Autor in diesem Falle auch ein Historiker ist, Adolf Heeren, der 1816
publizistisch zu einer der Schöpfungen des Kongresses Stellung bezieht. Er rechtfertigt das
Werk des Wiener Kongresses und etwas anderes wäre damals im Deutschland der
Restauration auch schwer denkbar gewesen. Was seine Stellungnahme interessant macht,
ist seine Prognose: eine Einheit Deutschlands würde das europäische Gleichgewicht
zerstören und in gewisser Hinsicht „napoleonische Verhältnisse“ schaffen, aber unter
deutschem Vorzeichen. Den Verfassern dieses Dossiers ist die Geschichte des 20.
Jahrhunderts schließlich bekannt. Die Dokumente stellen das Werk des Wiener Kongresses
überwiegend als vernünftig, ausgewogen und dauerhaft dar, wobei sie allerdings
eingestehen, dass dieses Werk mit Enttäuschungen sowohl für die Nationalitäten, als auch
die liberale Bewegung einherging.
Zweiter Teil : Der Wiener Kongress und Europa ein vernünftiger Friede
?
Die Vertreter der europäischen Mächte, die vom Herbst 1814 bis zum Juni 1815 in Wien
versammelt waren, stellten sich zur Aufgabe, die territorialen Verhältnisse, die durch die
zahlreichen Kriege zwischen 1792 und 1814 ständig verändert worden waren, neu zu ordnen.
Dabei ging es natürlich den Siegern darum, eine Ordnung zu schaffen, die ihnen die
Gebietsgewinne auf Dauer sicherte. Andererseits wollten die absolutistischen Kontinentalmächte in
Zukunft jegliche revolutionäre Bewegung unterdrücken. Der Krieg hatte sich als außerordentlich
revolutionierend erwiesen. Waren nicht die preußischen Reformen im wesentlichen durch die
Erfordernisse des Krieges bedingt gewesen ? Hatte nicht die Notwendigkeit alle Kräfte des Staates
zu mobilisieren dem Preußenkönig das Versprechen einer Verfassung abgenötigt ? Somit
erforderte die Beibehaltung der alten Zustände fast zwangsläufig den Frieden zwischen den
Großmächten.
Wir werden zuerst analysieren, auf welchen Kompromissen dieser Frieden beruhte und
anschließend untersuchen, inwieweit dieser Frieden wirklich von Dauer war und von Dauer seien
konnte.
Auf dem Wiener Kongress schacherten die Siegermächte um größtmögliche Gebietsgewinne und
um die Sicherung ihrer territorialen Kriegsziele. Russland bekam Polen, das es bereits 1811
versucht hatte zu annektieren. Es behielt auch Finnland, das es dank Napoleon hatte erobern
können. Preußen sicherte sich zahlreiche Gebiete in Westdeutschland und wurde somit für seine
militärischen Anstrengungen in den Jahren 1813 und 1814 belohnt und natürlich wollte es seinen
alten Feind Sachsen eliminieren, das sich unglücklicherweise im falschen Lager befunden hatte.
Auch Österreich bekam seine italienischen Besitzungen wieder. Seine Zugeständnisse sind relativ
minimal, da die österreichischen Niederlande auch vor 1792 nur bedingt zur Verfügung der
Habsburger gestanden hatten. Die Habsburger bestanden auch auf den polnischen Gebieten, die sie
nach der Niederlage von 1809 an das Großherzogtum Warschau verloren hatten.
Im allgemeinen beruhten die Kompromisse nicht auf Mäßigung, sondern die Mäßigung war eine
Folge des realen Kräfteverhältnisses. Dementsprechend schlossen die Siegermächte während des
Kongresses inoffizielle Allianzen untereinander, um ihre Ziele durchzusetzen. So waren England
und Österreich entschlossen, die preußisch-russischen Ansprüche zu bekämpfen. Talleyrand
profitierte davon, indem er sich mit Metternich und Castlereagh verbündete. England war
traditionell für ein Gleichgewicht der Kräfte, da es so alle Mächte gegeneinander ausspielen konnte
und seine Seeherrschaft ungefährdet blieb. Deshalb legte es auch Wert darauf, das Belgien mit
Antwerpen nicht unter die Kontrolle einer europäischen Großmacht geriet.
Die Bestimmungen des Kongresses trugen den Bestrebungen der Völker, der Nationalitäten und
der liberalen Bewegung kaum Rechnung, obwohl zum Beispiel der preußische König während der
sogenannten Befreiungskriege seinem Volk eine Verfassung versprochen hatte. Die Karlsbader
Beschlüsse von 1819 führten zur Verfolgung aller freiheitlichen und nationalistischen
Bewegungen. Allerdings forderte der russische Zar den nach Frankreich zurückgekehrten König
Ludwig XVIII. zur Mäßigung auf. Auch die Schaffung eines Königreichs Polen entsprach dem
Wunsch, vor allem des polnischen Adels, nach einem eigenen Staat. Aber die Hoffnungen der
deutschen Patrioten wurden ebenso enttäuscht, wie die der Italiener, ganz zu schweigen von der
Unterdrückung der Iren durch die Engländer. Die Großmächte, die viele ethnische Minderheiten
unter ihrer Herrschaft vereinten, waren zwangsläufig gegen jede Veränderung, da die
Unabhängigkeit dieser Völker das Ende ihrer Herrschaft oder doch zumindest eine Einschränkung
ihrer Macht bedeutet hätte. Häufig waren die nationalen Bewegungen auch liberal. Der vom
Wiener Kongress geschaffene Frieden beruhte also auf der Bewahrung des Alten und auf der
Unterdrückung der nationalen und liberalen Bewegungen. Konnte er deshalb von Dauer sein ?
Der Nationalismus war eine aufstrebende vielschichtige Erscheinung. Auch die freiheitlichen
Ideen konnten nicht auf Dauer unterdrückt werden. Das hatte Napoleon auf Sankt Helena klar
vorausgesagt. Zum einen brachen die Kontinentalmächte selbst den Frieden, wenn die absolute
Monarchie in einem Land bedroht war. So intervenierte z. B. Frankreich 1823 in Spanien, um die
Revolution gegen die spanischen Bourbonen zu unterdrücken. Im Jahre 1830 brachen dann im
Gefolge der Julirevolution in Frankreich in verschiedenen Ländern Europas (Italien, Polen)
Revolutionen aus, die dann von den eingreifenden Truppen der absoluten Monarchen brutal
unterdrückt wurden. Auch die Niederschlagung der Revolution von 1848 beruhte auf der
gegenseitigen Unterstützung der Mächte der „Heiligen Allianz“ (zu der England nicht gehörte).
Schließlich wurden auch die staatlichen Einigungen Italiens und Deutschland indirekt vom
Nationalismus aber, vor allem im Falle Deutschlands, aufgrund des preußischen Konservatismus
verursacht. Die Kriege von 1859, 1866 und 1870/71 brachen alle den Frieden. Alle Kriege stellten
zwar nicht das europäische Gleichgewicht in Frage, aber modifizierten es doch. Der Krimkrieg
1853 bis 1856 beendete die dominierende Rolle Russlands und seit 1870 hatte Deutschland die
dominierende Rolle inne. Insofern haben die Dokumente dieses Dossiers eine etwas zu einseitige
Sichtweise auf das Werk des Wiener Kongresses.
Der Friede des Wiener Kongresses konnte also nicht dauerhaft sein, weil er bedeutenden sozialen
und politischen Entwicklungstendenzen des 19. Jahrhunderts entgegenstand. Wenn man von den
militärischen Interventionen der Heiligen Allianz absieht, war das Erbe des Kongresses bereits
1848 zerstört. Hinsichtlich der Friedenslösungen stellte übrigens der erste Weltkrieg nur bedingt
eine Zäsur dar, da außereuropäische Mächte in den Friedensprozess einbezogen wurden. Eine
Berücksichtigung der Interessen der Völker begann sich erst nach 1945, wenn auch bedingt
durchzusetzen.
Jahresendkontrolle in Geschichte
Erster Teil: Quellenkommentar
Dokument 1
(An die Räte der Magdeburger Kriegs- und Domänenkammer)1
Hochwohlgeborene und Wohlgeborene Hochzuehrende Herren
Unseren hochzuehrenden Herren wird ohne jeden Zweifel schon bekannt sein, wie die
französischen Truppen unter dem Commando des Generals Custine abermals einen Einfall in das
teutsche Reich gethan und demselben es gelungen sei den 21. dieses Monats die wichtige Festung
Mainz nach einem kurzen Widerstande zur Übergabe gebracht zu haben.
Dem Verlaute nach rücken dieselben durch das Hessen-Casselsche weiter vor und sollen gesonnen
sein, dieses Land auch in Besitz zu nehmen, so dass man in Cassel in den größten Sorgen ist, die
Tresorie von da schon weggebracht hat und allenthalben auf seine Sicherheit bedacht nimmt.
Da solchergestalt der niedersächsische Kreis, wenn dieses französische Corps es unternehmen
sollte weiter vorzudringen, denselben allenthalben offen ist und bei dieser Voraussetzung die
hiesigen Lande und zumal dasselbe seinen Marsch über das Eichsfeld nehmen soll, auch die
dortigen Lande den feindlichen Behandlungen desselben ausgesetzt seyn würden. So wird es
darauf ankommen, was für schleunige Maßregeln zu gereichen sein mögen, um den
Niedersächsischen Kreis zu decken [...]
Die Braunschweigisch-Lüneburgischen Geheimen Räte2, Braunschweig, den 28. Oktober 1792
Fragen
1. Stellt das Dokument kurz vor.
2. Was ist das „teutsche Reich“ zum Entstehungszeitpunkt des Dokuments ?
3. Warum sind die Braunschweiger Räte besonders besorgt ? In welcher Beziehung steht das
Herzogtum Braunschweig zu Preußen ?
4. Bezieht Stellung zu der Aussage, die von den Franzosen besetzten Gebiete, seien
„feindlichen Behandlungen ausgesetzt“. Denkt bei der Beantwortung dieser Frage auch an
Eure Kenntnisse über die Mainzer Republik.
5. Inwieweit waren die Befürchtungen der Autoren begründet ?
Dokument 2
Auszug aus den Bestimmungen des Rheinbundvertrages
Artikel 1 Die Staaten Ihrer Majestäten der Könige von Bayern und Württemberg (usw.) werden auf
immer vom deutschen Reichsgebiete getrennt und unter sich durch einen eigenen Bund unter dem
Namen Verbündete Rheinische Staaten vereinigt.
Artikel 2 Jedes deutsche Reichsgesetz, welches bis jetzt Ihre Majestäten und Durchlauchten die
Könige, Fürsten und Grafen, welche im vorhergehenden Artikel benannt sind, ihre Untertanen und
Staaten oder Teile derselben betreffen oder verbinden konnte, soll künftig ...nichtig und ohne
Wirkung sein.
Artikel 12 Seine Majestät der Kaiser der Franzosen soll als der Beschützer des Bundes proklamiert
werden und ernennt in dieser Eigenschaft beim Absterben des jedesmaligen Fürsten-Primas ( der
erste der Fürsten) dessen Nachfolger.
Artikel 35 Jeder Kontinentalkrieg, welchen einer der vertragschließenden Teile zu bestehen hat,
wird unmittelbar für alle übrigen eine gemeinschaftliche Sache.
Fragen
1. Stellt das Dokument vor (Art, Autoren, Datum, Kontext usw.)
2. In welchem Zustand befanden sich das deutsche Reich und Europa zum Zeitpunkt des
Entstehens dieses Dokumentes ?
3. Was fällt Euch an den Titeln der erwähnten Personen auf ?
4. Was wurde mit diesem Vertrag geschaffen ? Welcher Art war das Bündnis ?
5. Welche langfristigen Folgen hatte dieses Dokument ?
1
2
Verwaltungsorgan der preußischen Provinz Magdeburg
Regierung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg, vom Herzog eingesetzt.
Zweiter Teil: Redaktion: Verfasst einen kurzen Abriss über die deutsch-französischen politischen,
militärischen und diplomatischen Beziehungen vom Beginn des 16. bis zur Napoleonzeit. Inwieweit änderten
sich die Beziehungen nach dem Beginn des 19. Jahrhunderts ?
Berichtigungsvorschlag für die Jahresendkontrolle in Geschichte
Erster Teil: Quellenkommentar
Dokument 1:
1. Stellt das Dokument kurz vor.
Seit dem 20. April 1792 herrscht in Europa Krieg. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches
Leopold II. und der König von Preußen haben mit der Konvention von Pillnitz ein Bündnis gegen
das revolutionäre Frankreich geschlossen.
Bei diesem Dokument handelt es sich um ein Schreiben der Braunschweigisch-Lüneburgischen
Geheimen Räte, d.h. die Regierung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg an die Räte der
Magdeburger Domänenkammer, die Verwaltungsbehörde des Herzogtums Magdeburg, das eine
preußische Provinz ist. Der Anlass dieses Schreibens ist das Vordringen der französische Truppen
unter dem Kommando des Generals Custine auf dem Gebiete des Heiligen Römischen Reiches
Deutscher Nation. Nach dem Sieg bei Valmy am 20. September 1792 und dem Rückzug der
Preußen steht den Armeen der französischen Revolution der Weg über den Rhein offen. Die
Franzosen haben einen Monat nach Valmy und eine Woche vor dem Schreiben die Festung Mainz
besetzt, deren Besitz einerseits die Rheingrenze sicherte, aber auch gute Möglichkeiten zum Einfall
in das Deutsche Reich bot.
2. Was ist das „teutsche Reich“ zum Entstehungszeitpunkt des Dokuments ?
Das „teutsche Reich“, d.h. das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ist ein sehr locker
zusammengefügtes Staatsgebilde, das aus vielen mittleren und kleinen Fürstentümern, freien
Reichsrittern sowie den Gebieten der Reichsritterschaft besteht. Zwei Staaten heben sich aufgrund
ihrer Fläche, Einwohnerzahl und militärischen Bedeutung von diesen kleineren Gebieten ab:
Österreich und Preußen. Es gibt gemeinsame Instanzen wie den Kaiser, der gleichzeitig Erzherzog
von Österreich ist und den Reichstag in Regensburg. In Wirklichkeit kam es im 18. Jahrhundert
häufig vor, dass sich die deutschen Staaten untereinander bekriegten und Bündnisse mit
ausländischen Mächten gegeneinander abschlossen, wie z. B. im Siebenjährigen Krieg von 17561763. Vor allem Österreich und Preußen standen sich oft feindlich gegenüber. Die kleineren
Fürstentümer folgten meist der einen oder anderen Macht.
3. ,Warum sind die Braunschweiger Räte besonders besorgt ? In welcher Beziehung steht das
Herzogtum Braunschweig zu Preußen ?
Traditionell war das kleine Herzogtum Braunschweig, in Mitteldeutschland gelegen, ein
Verbündeter Preußens. Der Herzog von Braunschweig war der Generalstabschef des Preußischen
Heeres. Dieser Fürst war den Franzosen ein Begriff, hatte er doch ein berühmt-berüchtigtes
Manifest an die Pariser veröffentlichen lassen, in dem er droht Paris dem Erdboden
gleichzumachen, sollte dem König Ludwig XVI. auch nur ein Haar gekrümmt werden. Diese
Drohung hatte den Hass der Pariser Bevölkerung auf die ausländischen Konterevolutionäre nur
noch angeheizt. Die Pariser hatten die Tuilerien gestürmt (10. August 1792), den König gestürzt
und die Republik proklamiert. Man kann sich vorstellen, dass die Minister des Herzogs von
Braunschweig die Rache der Franzosen fürchteten, denn ihre Territorium kam nun in die
Reichweite der französischen Revolutionsarmee.
4. Bezieht Stellung zu der Aussage, die von den Franzosen besetzten Gebiete, seien
„feindlichen Behandlungen ausgesetzt“. Denkt bei der Beantwortung dieser Frage auch an
Eure Kenntnisse über die Mainzer Republik.
Traditionell wurden besetzte Gebiete von feindlichen Armee mit Kriegsteuern und
Einquartierungen belastet. Diesem Los entgehen auch die Mainzer nicht. Man muss aber
hervorheben, dass die Franzosen sich als Befreier der Völker von den Monarchen, den „Tyrannen“,
sehen und nicht die Völker an sich als ihre Feinde betrachten. Dementsprechend schaffen sie kurz
nach der Einnahme der Festung Mainz die Feudallasten ab, erlauben die Gründung eines
Jakobinerklubs, d.h. des Vorläufers einer politischen Partei. Allerdings besetzen sie auch die
Mainzer Verwaltung mit Anhängern revolutionärer Ideen. Feindlich behandelt werden also nicht
die Gebiete, sondern das Ancien Regime, das dort noch herrschte.
5. Inwieweit waren die Befürchtungen der Autoren begründet ?
Die Mainzer Republik war nur eine Episode in der deutschen Geschichte. Die Franzosen mussten
sich zurückziehen. Ohne französische Unterstützung konnte sich auch die Mainzer Republik nicht
halten. Am 23. Juli 1793 besetzen die Truppen der Koalition die Stadt und verfolgen die Jakobiner.
Mittelfristig sollten sich allerdings diese Befürchtungen bewahrheiten. Vierzehn Jahre später wird
die preußische Armee unter dem Kommando des Herzogs von Braunschweig eine vernichtende
Niederlage gegen die französische Armee erleiden. Der Herzog von Braunschweig wird in der
Schlacht bei Auerstedt tödlich verwundet werden und nach dem Friedensschluss wird sein
Herzogtum in das Königreich Westfalen integriert werden.
Dokument 2:
Der Rheinbundvertrag
1. Stellt das Dokument vor (Art, Autoren, Datum, Kontext usw.)Seit Beginn des Jahres 1806
hat sich das europäische Kräfteverhältnis grundlegend geändert. Durch die Niederlage
der Österreicher und Russen bei Austerlitz am 2. Dezember 1805 ist Frankreich zu
führenden Macht in Europa und somit auch in Deutschland geworden. Frankreichs
Einfluss auf die westlichen Teile Deutschlands war bereits vorher bedeutend gewesen, wie
es durch den Reichsdeputationshauptschluss (1803) bekräftigt wurde. Vor allem die
Fürsten West- und Süddeutschlands hatten von der napoleonischen Politik profitiert und
ihre Gebiete vergrößert. Sie waren zum Teil Verbündete Frankreichs, obwohl sie formell
zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörten und dem Kaiser von
Österreich unterstanden. Durch die österreichische Niederlage bei Austerlitz war die
Autorität des deutschen Kaisers so sehr gesunken, dass 16 Fürsten des Reichs im Juli 1806
nicht zögerten, einen völkerrechtlichen Vertrag mit einer ausländischen Macht, dem
Kaiserreich Frankreich, zu schließen.
2. In welchem Zustand befanden sich das deutsche Reich und Europa zum Zeitpunkt des
Entstehens dieses Dokumentes ? Napoleon beherrscht zu diesem Zeitpunkt Westeuropa,
außer England. West- und Süddeutschland stehen weitgehend unter französischem
Einfluss, aber im Nord-Osten bewahrt Preußen immer noch seine Macht, zumal es mit
Russlands Unterstützung rechnen kann. Einige deutsche Staaten wie Hessen und
Braunschweig stehen auf preußischer Seite. Im allgemeinen ist Deutschland in viele
Staaten geteilt, obwohl der Reichsdeputationshauptschluss zu einer Vereinfachung der
Territorialstruktur (Flurbereinigung) geführt hat. Die Reichsritter sind ebenso
verschwunden wie die meisten der freien Reichsstädte.
3. Was fällt Euch an den Titeln der erwähnten Personen auf ?Deren Gebieten wurden
nämlich in die Territorien der größeren Fürstentümer eingegliedert. Manche der Fürsten
erhielten durch Napoleon Königstitel wie zum Beispiel die Kurfürsten von Bayern und
Württemberg. Normalerweise war ein deutscher Fürst kein souveräner Monarch, wie das
der Fall eines Königs ist.
4. Was wurde mit diesem Vertrag geschaffen ? Welcher Art war das Bündnis ?Durch diesen
Vertrag wurde der Rheinbund geschaffen. Er war wie man im Artikel 35 lesen kann ein
militärisches Verteidigungsbündnis zwischen Frankreich und den 16 deutschen
Mitgliedstaaten. Es gab auch so etwas wie eine interne Ordnung der Fürsten, da Napoleon
als Protektor auch den sogenannten Fürsten-Primas ernennt.
5. Welche langfristigen Folgen hatte dieses Dokument ? Durch dieses Bündnis hörte das
deutsche Reich faktisch auf zu bestehen und kurze Zeit später legt der Kaiser von
Österreich die deutsche Kaiserkrone nieder. Der Rheinbund hatte keinen langen Bestand,
auch wenn durch Napoleons Siege fast alle deutschen Fürstentümer außer Österreich und
Preußen diesem Bunde beitraten. Nach der Niederlage Napoleons 1813/14 zerfiel der
Rheinbund. Die deutschen Staaten gründeten danach den sogenannten Deutschen Bund.
Zweiter Teil: Redaktion: Verfasst einen kurzen Abriss über die deutsch-französischen politischen,
militärischen und diplomatischen Beziehungen vom Beginn des 16. bis zur Napoleonzeit. Inwieweit änderten
sich die Beziehungen nach dem Beginn des 19. Jahrhunderts ?
Die Angst vor der habsburgischen Umklammerung
Nachdem der französische König Franz I. die Wahl zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches
gegen den Habsburger Karl verloren hatte, sah sich die französische Monarchie der Gefahr einer
Umklammerung durch das Habsburgerreich (Österreich, Norditalien, Süditalien, Spanien)
ausgesetzt. Franz I. und sein Nachfolger Heinrich II. führten viele Kriege gegen Kaiser Karl V.
Während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) unterstützte Frankreich die protestantischen
Gegner des katholischen Kaisers zuerst finanziell durch Subsidien und dann, ab 1635, militärisch,
um jede Vergrößerung des kaiserlichen Einflusses in Deutschland zu verhindern. Es gab also
keinen deutsch-französischen Gegensatz, da Frankreich Verbündete im Deutschen Reich hatte,
sondern einen dynastischen Gegensatz zu den Habsburgern.
Die französische Einflussnahme in Deutschland im 18. Jahrhundert
Frankreich ging als die stärkste Macht Europas aus dem Dreißigjährigen Krieg hervor. Viele
deutsche Fürsten versuchten das Modell des französischen Absolutismus in ihren Fürstentümern
anzuwenden (landesherrlicher Absolutismus). Frankreich war ein wichtiger Akteur in der Politik
des Deutschen Reiches, führte Krieg gegen Preußen zwischen 1756-1763. In dieser Zeit war es mit
Österreich verbündet. Nach dem Siebenjährigenkrieg holte Friedrich II. auch französische
Steuerfachleute nach Preußen, um sein Steuersystem zu reformieren.
Es gab also auch im 18. Jahrhundert eher Beziehungen zwischen Frankreich und verschiedenen
deutschen Staaten, als eigentliche deutsch-französische Beziehungen.
Die Revolution und die Umgestaltung Deutschlands durch Napoleon
Zunächst betrachteten die beiden deutschen Großmächte die französische Revolution mit einer
gewissen Schadenfreude, schwächte sie doch den französischen König. Doch ab 1792, als die
Revolution nach Deutschland überzuschwappen drohte, waren es gerade der Kaiser des Deutschen
Reiches, der Erzherzog von Österreich, und der König von Preußen, die dem französischen Volk
den Kampf ansagten. Auch die napoleonischen Kriege waren zunächst Kriege zwischen den
Monarchen und der französischen Nation. Durch die Siege Napoleons wurde Deutschland
territorial umgestaltet, politisch und rechtlich reformiert. Das Deutsche Reich wurde aufgelöst und
der Rheinbund als Militärbündnis zwischen den meisten deutschen Fürsten und Napoleon gebildet.
Die Entstehung des Nationalismus
Doch die französische Einflussnahme auf die Geschicke Deutschlands stieß auch auf Widerstand.
Nicht nur die ehemaligen Privilegierten, sondern auch ein Teil des sich entwickelnden deutschen
Bildungsbürgertums standen den französischen Einflüssen feindlich gegenüber. Die Ideologie des
Nationalismus entwickelte sich. Wie häufig in der Geschichte ging die Entstehung des
Nationalismus mit der Entwicklung von Feindbildern einher und so wurde Frankreich zum
„Erbfeind“ des deutschen Volkes erklärt. Dieses Feindbild sollte dann die deutsch-französischen
Beziehungen im 19. Jahrhundert entscheidend beeinflussen. In dieser Zeit ging es um die
Konfrontation zweier großer Nationen.
II. Die deutsche Frage im 19. Jahrhundert
1. Die Revolution von 1848 und der Versuch einer Einigung auf
demokratischem Wege
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A. Deutschlands Entwicklung bis 1848
Der Wiener Kongress besiegelt in Europa den Sieg der
Konterrevolution. Die von Napoleon begonnenen Reformen
wurden nicht weiter geführt oder sogar widerrufen.
Außenpolitisch versuchten sich die europäischen Monarchen zu
unterstützen, um eine Ausbreitung der Revolution zu verhindern.
Auf Betreiben des Zaren Alexander I. schlossen Russland,
Preußen, Österreich und Frankreich die sogenannte „Heilige
Allianz“ ab und verpflichteten sich, sich im Falle einer Revolution
in einem Land gegenseitig zu unterstützen.
In Deutschland wird 1815 durch den Wiener Kongress anstelle des
1806 aufgelösten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation
der Deutsche Bund gegründet. Der Kaiser von Österreich wird
Präsident des Bundes. Er hatte aber nicht mehr Macht als der
Kaiser des Heiligen Römischen Reiches vor 1806.
Während der sogenannten Befreiungskriege hatten verschiedene
Intellektuelle und Studenten die nationalstaatliche Einigung
Deutschlands verlangt. Die Fürsten hatten ihren Völkern
Verfassungen versprochen im Falle eines Sieges über Napoleon.
Von diesen Versprechungen wurde nicht viel gehalten. Im Jahre
1817 versammelten sich Studenten aus ganz Deutschland auf der
Wartburg zum vierten Jahrestag der Schlacht bei Leipzig und
forderten die Einheit Deutschlands. Sie verbrannten aber auch
alles, was an die Franzosenherrschaft erinnerte, so Exemplare des
Code civil.
Im Jahre 1819 fassten die Fürsten die Karlsbader Beschlüsse, in
denen sie sich verpflichteten alle freiheitlichen Bestrebungen zu
unterdrücken und die Demokraten und Nationalisten zu verfolgen.
Die Julirevolution in Frankreich hatte politische Auswirkungen in
ganz Europa. In Italien zeigten sich 1830 in der Romagna, in
Parma und Modena revolutionäre Erhebungen, die aber ohne
Mühe von den Österreichern niedergeschlagen wurden. In Polen
brach ein Aufstand gegen die Zarenherrschaft aus. Auch das
spätere Belgien erhob sich. In Deutschland wurden in einigen
Staaten Verfassungsreformen durchgeführt:
Der Herzog Karl von Braunschweig wurde durch eine
Volkserhebung wegen seiner Tyrannei gestürzt und durch seinen
jüngeren Bruder Wilhelm ersetzt (1830). Hannover, das in
Personalunion vom König von England regiert wurde, erhielt
einen eigenen Vizekönig in der Gestalt des Herzogs von
Cambridge und somit etwas mehr Selbständigkeit. 1833 wurde
dort ein neues „Grundgesetz“ erlassen. Kurhessen bekam 1831
eine neue Verfassung. In Sachsen, das kaum von den
napoleonischen Reformen berührt worden war, wurde 1830 die
Gemeindeverfassung erneuert. Der König einigte sich friedlich mit
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dem Landtage über die Einführung einer Gesamtverfassung. Man
beseitigte dort auch die Erbuntertänigkeit der Bauern.
In Süddeutschland, dessen Staaten ja bereits Konstitutionen
besaßen, machten sich republikanische Strömungen geltend, die
nach einigen Aufstandsversuchen unterdrückt wurden und scharfe
Überwachungen von Presse und Universitäten zur Folge hatten. In
Frankfurt am Main wurde eine Zentralkommission zur Verfolgung
von sogenannten „Demagogen“ eingesetzt. Auch in den anderen
Staaten waren die politischen Fortschritte nicht definitiv gesichert.
Als z.B. in Hannover 1837 der König Ernst August an die Macht
kam, hob er ohne jeden Grund die 1833 erlassene Verfassung
wieder auf. Der Protest der sieben Göttinger
Universitätsprofessoren, unter denen sich die Gebrüder Grimm
befanden, wurde mit Amtsenthebung oder Ausweisung geahndet.
Dieser Rechtsbruch stärkte den konstitutionellen Gedanken in
Deutschland erheblich.
Fragen
1. In welchen Ländern kam es unter dem Eindruck der Julirevolution zu
revolutionären Bewegungen ?
2. Warum hatte die Julirevolution in Frankreich scheinbar andere Auswirkungen in
den süddeutschen Staaten als in den mittel- und norddeutschen Staaten ?
3. Wofür sind die Gebrüder Grimm bekannt ?
4. Wie wurden die Revolutionäre und Nationalisten von den Regierungen genannt ?
A. Die Revolution und ihr Scheitern
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Die Februarrevolution in Paris fand fast überall in Deutschland
Widerhall. In den meisten Klein- und Mittelstaaten bewilligten die
Regierungen die Forderungen der Volksvertretungen auf
Erweiterung der Volksrechte. Es wurden die Pressefreiheit, die
Errichtung von Schwurgerichten und die Bewaffnung der Bürger
als Bürgermiliz zugestanden. Viele Ministerien wurden
umgebildet und missliebige Minister durch Oppositionsführer
ersetzt. In den Bundestag wurden 17 Vertreter des Volkes als
Vertrauensmänner berufen.
Am 5. März fand in Heidelberg eine liberale Versammlung statt,
die die ganze Bewegung in eine nationale Richtung drängte. Sie
beschloss die Einberufung eines Vorparlaments nach Frankfurt am
Main.
Inzwischen erfasste die Revolution Österreich und Preußen. In
Österreich hatte unter der Herrschaft Kaiser Ferdinands der
Minister Metternich alle freiheitlichen Bewegungen der Deutschen
und das Streben der nichtdeutschen Bevölkerungsgruppen
unterdrückt. Unter dem Eindruck von Tumulten in Wien und den
Forderungen im niederösterreichischen Landtage nach einer
Verfassung, trat Metternich zurück (13. März 1848). In Böhmen
forderten die Tschechen die Wiedererrichtung des böhmischen
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Staates und bildeten einen Nationalausschuss. Ungarn erhielt eine
eigene Verfassung. Die Lombardei und Venetien fielen von
Österreich ab.
Das vom 31. März bis 4. April tagende Vorparlament beschloss
die Berufung einer deutschen Nationalversammlung. Diese trat am
18. Mai 1848 zusammen. 586 Abgeordnete aus dem gesamten
Bundesgebiet versammelten sich in der Paulskirche in Frankfurt.
Die Debatten gestalteten sich schwierig. Eine geringe Zahl der
Abgeordneten war für die Ausrufung der Republik. Um zur
nationalen Einheit zugelangen, konnte man entweder einen
engeren Bund unter Führung Preußens unter Ausschluss
Österreichs bilden – das war die kleindeutsche Lösung – oder
beide Mächte sollten im Bunde bleiben (großdeutsche Lösung).
Die Versammlung ging vom Gedanken der Volkssouveränität aus.
Sie beriet und formulierte die Grundrechte: Rechtsgleichheit,
Schutz gegen Übergriffe der Behörden, Vereins- und
Versammlungsfreiheit, Glaubens- und Lehrfreiheit,
Schwurgerichte und die Abschaffung der Todesstrafe. Mit diesen
nur durch das Übergewicht der Liberalen beschlossenen
Grundrechten waren die konservativen Kreise nicht in vollem
Maße einverstanden.
Während dieser monatelangen Verhandlungen hatte sich einiges in
Deutschland geändert. Am 31. Oktober 1848 marschierte das Heer
in Wien ein und schlug den Aufstand nieder. Der Kaiser berief den
Fürsten Schwarzenberg ins Ministerium, der gewillt war, den
Absolutismus in der gesamten Monarchie wieder herzustellen. In
Österreich begann die Periode des Neoabsolutismus. Der neue
Kaiser Franz-Joseph gewährte dem Volk eine Verfassung, die
jedoch nicht dem Volk oder seinen Vertretern zur Abstimmung
vorgelegt wurde.
In Berlin stellte das Militär ebenfalls die alte Ordnung wieder her.
Die Bürgergarde wurde aufgelöst. Die Nationalversammlung
wurde nach Brandenburg verlegt und dann aufgelöst. Der König
gewährte eine Verfassung, die er 1850 beschwor. Es gab nunmehr
ein Parlament, das aus zwei Kammern bestand: dem Herrenhaus,
das sich aus ernannten Vertretern des Großgrundbesitzes
zusammensetzte und einer zweiten Kammer, die aus indirekten
Wahlen, nach dem Dreiklassenwahlrecht hervorging.
Im Oktober 1848 hatten in Frankfurt die Verhandlungen zu einer
Reichsverfassung begonnen. Nach langen Schwankungen siegten
die Kleindeutschen. Am 28. März 1849 wurde König Wilhelm IV.
von Preußen mit 290 von 538 Stimmen zum „erblichen Kaiser der
Deutschen“ gewählt. Der König stand der in Frankfurt
beschlossenen Verfassung mit starker Abneigung gegenüber, da
sie weitgehende demokratische Freiheiten enthielt. Außerdem
hätte er im Falle einer Annahme die Verfassung den übrigen
deutschen Fürsten aufzwingen müssen. Das hätte ihn aber in Krieg
mit Österreich verwickelt. Also lehnte er die Kaiserkrone ab. Der
Versuch Deutschland zu einen war fehlgeschlagen.
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Das Parlament in Frankfurt löste sich im März 1849 auf; die
Aufstände in den verschiedenen Staaten Deutschlands wurden
niedergeschlagen.
Fragen
1. Wie kamen die Verfassungen in Österreich und Preußen zustande ? Wo gab es
historische Vorläufer ?
2. Welche Rechte sollten in der deutschen Verfassung verankert werden ?
3. Aus welchen Gründen lehnte der König von Preußen die Kaiserkrone ab ?
2. Die nationalstaatliche Einigung Deutschlands „von
oben“
A. Kräfte und Faktoren der Einigung
a) Die politische Zersplitterung besteht fort
-
-
-
Die vom Mittelalter herrührende Zersplitterung Deutschlands besteht im
wesentlichen immer noch, wenngleich Napoleon die territoriale
Ordnung Deutschlands etwas vereinfacht hat. Es existieren also
weiterhin zahlreiche Klein- und Mittelstaaten.
Diese Staaten sind im Rahmen des Deutschen Bundes
zusammengeschlossen, haben aber im Innern eine weitgehende
Autonomie.
Der Kaiser von Österreich ist gleichzeitig Präsident des Deutschen
Bundes. Die Bundesversammlung hat sehr beschränkte Befugnisse.
b) Aber es gibt Kräfte und Faktoren die auf eine
Vereinigung hinwirken
-
-
-
Das Wirtschaftsbürgertum entwickelt sich im Zuge der
Industrialisierung und fordert einen einheitlichen Wirtschaftsraum.
Dieser Forderung wird nur zum Teil durch die Gründung des
Zollvereins (1834) Rechnung getragen.
Es existiert eine deutsche Nationalsprache und Literatur.
Gleichzeitig entwickelt sich auch das Bildungsbürgertum, das zum
Träger des sprachlichen Nationalismus wird. Nationale Mythen finden
somit eine weite Verbreitung.
Der europäische Kontext begünstigt ebenfalls die Einigung
Deutschlands. Einerseits ist Deutschland von großen Nationalstaaten
umgeben, anderseits ist auch Italien dabei, sich mit Hilfe Napoleons III.
nationalstaatlich zu vereinigen
c) um die Hindernisse auf dem Weg der Einheit zu
beseitigen
-
-
-
Der deutsche Dualismus, das heißt der Gegensatz zwischen
den beiden deutschen Großmächten Österreich und Preußen,
der seit dem 18. Jahrhundert bestand, behindert die
Vereinigung, da beide Mächte die Führungsrolle
beanspruchen.
Die Dynastien der deutschen Fürstentümer sind
entschiedene Gegner der Einigung, da sie durch diese ihre
Souveränität verlieren würden.
Das internationale Kräftegleichgewicht ist für eine
Einigung nicht von Vorteil, da jede Veränderung zugunsten
einer Macht von den anderen Mächten verhindert wird.
B. Die Reichseinigung durch Eisen
und Blut
a) Die Industrialisierung und das
Erstarken Preußens
-
Preußen ist für den Großteil des deutschen Wirtschaftsaufschwungs
verantwortlich.
Dadurch steigt sein Gewicht im Deutschen Bund, seine Gebiete
außerhalb des deutschen Bundes haben eine geringere Bedeutung.
Der Schwerpunkt der Habsburger Monarchie liegt zum Teil außerhalb
des Bundesgebiets.
b)
-
Die Bismarcksche „Revolution von oben“
In Deutschland entwickelt sich die national-liberale Bewegung gegen
die Fürstenhäuser.
Bismarcks Plan besteht darin, der Revolution zuvorzukommen und die
Einheit durch Preußen zu realisieren.
c) Die Blutigen Meilensteine auf dem Weg zur Einhei
-
Im Jahre 1864, nutzt Bismarck die Verletzung der Rechte der
deutschen Bevölkerung Schleswigs und Holsteins, die unter dänischer
Herrschaft stehen, um Österreich mit in einen Krieg gegen Dänemark zu
verwickeln. Preußen und Österreich sollen beide die deutsche
Bevölkerung von der Unterdrückung durch die Dänen befreien. In
kurzer Zeit wird Dänemark besiegt, Österreich und Preußen teilen sich
die Beute.
-
-
-
Im Jahre 1866 provoziert Bismarck Österreich zum Krieg und
besiegt es bei Königgrätz (Sadowa). Österreich muss aus dem
Deutschen Bund austreten. Preußen besetzt einige deutsche Staaten, die
auf Österreichs Seite gekämpft haben. Es bildet den Norddeutschen
Bund, dessen Bundeskanzler Bismarck wird.
Im Jahre 1870, provoziert Bismarck Frankreich zum Krieg. Er lässt
einen Verwandten des preußischen Königs für die spanische Thronfolge
kandidieren. Dies wird von Frankreich als Provokation angesehen.
Napoleon III. verlangt, dass Preußen erklären soll, dass es nie wieder
eine solche Kandidatur unterstützen würde. Der König von Preußen
lehnt dieses Verlangen ab. Bismarck kürzt die Antwort derartig, dass sie
wie eine Beleidigung des französischen Kaisers wirkt. (Emser
Depesche) Frankreich erklärt daraufhin Preußen den Krieg.
Auf der Seite Bismarcks kämpfen auch die Armeen der süddeutschen
Staaten. Die französischen Armeen werden bei Sedan besiegt. Im
Januar 1871 wird im Spiegelsaal des Versailler Schlosses das
Deutsche Reich ausgerufen.
C. Die Folgen der deutschen Einheit
a) Der wirtschaftliche Aufschwung
Deutschlands
-
-
Nach der Reichseinigung erlebt Deutschland einen rapiden
Wirtschaftsaufschwung. Der Wirtschaftsboom wird durch den
Gründerkrach (1878)zeitweise unterbrochen, aber am Anfang
des 20. Jahrhunderts überholt Deutschlands Wirtschaft die
britische Wirtschaft.
Zu diesem Aufschwung haben auch die 5 Milliarden Goldfrancs
französischer Kriegskontribution beigetragen.
b) Das europäische Gleichgewicht ist zerstört
2. Das europäische Gleichgewicht ist zerstört.
-
-
Das traditionelle Gleichgewicht der europäischen Großmächte wird
durch die Entstehung einer neuen Militär- und Wirtschaftsmacht im
Herzen Europas in Frage gestellt.
Bismarck wird zum „Schiedsrichter“ Europas. Er organisiert die
Balkankonferenz von 1878 und die Konferenz von 1884. Bei letzterer
ging es um die Regelung der kolonialen Streitigkeiten der Mächte.
b) Der deutsch-französische Gegensatz
-
-
Durch den Raub Elsass-Lothringens entsteht eine
dauerhafte Feindschaft zwischen Deutschland und
Frankreich.
Die diplomatische Isolierung Frankreichs wird zum Ziel
deutscher Außenpolitik.
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Der Haltung Frankreichs gegenüber zwang uns nach meiner Ansicht das nationale
Ehrgefühl zum Kriege, und wenn wir den Forderungen dieses Gefühls nicht gerecht
wurden, so verloren wir auf dem Wege zur Vollendung unserer nationalen Entwicklung
den ganzen 1866 gewonnenen Vorsprung, und das 1866 durch unsere militärischen
Erfolge gesteigerte deutsche Nationalgefühl südlich des Mains drohte wieder zu erkalten.
Das in den süddeutschen Staaten neben dem partikularistischen und dynastischen
Staatsgefühl lebendige Deutschtum hatte bis 1866 das politische Bewusstsein
gewissermaßen mit der gesamtdeutschen Fiktion unter Leitung Österreichs beschwichtigt,
teils aus süddeutscher Vorliebe für den alten Kaiserstaat, teils in dem Glauben an die
militärische Überlegenheit desselben über Preußen...Es war das Vertrauen auf die durch
Preußen entwickelte germanische Kraft und die Anziehung welche einer entschlossenen
und tapferen Politik innewohnt, wenn sie Erfolg hat und dann sich in vernünftigen und
ehrlichen Grenzen bewegt. Diesen Nimbus hatte Preußen gewonnen; er ging
unwiderruflich oder doch auf lange Zeit verloren, wenn in einer nationalen Ehrenfrage die
Meinung im Volke Platz griff, dass die französische Insulte „ La Prusse cane“ einen
tatsächlichen Hintergrund habe.
Otto von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Stuttgart und Berlin, 1898, S. 404 f.
Berichtigungsvorschlag
Im Jahre 1898 erscheinen die Memoiren des ehemaligen Reichskanzlers Otto von
Bismarck, denen dieser Auszug entnommen ist. Am Ende seines Lebens blickt der 1815
geborene Bismarck auf sein Leben zurück und sucht seine politischen Handlungen, wie
fast alle Memoirenschreiber, zu rechtfertigen. Hier erläutert er die Motive für sein
Verhalten am Vorabend des deutsch-französischen Krieges von 1870-1871, den er bewusst
provoziert hat. Bismarck, der 1862 Ministerpräsident des Königreiches Preußen geworden
war, arbeitete seit seiner Regierungsübernahme auf eine Einigung des staatlich noch
zersplitterten Deutschlands durch Preußen hin. Deutschland war von 1815 bis 1866 nur ein
lockerer Staatenbund, der zwar über gemeinsame Institutionen, wie die
Bundesversammlung verfügte, aber im Prinzip waren die deutschen Staaten souverän.
Bismarck spielt auf diesen Zustand an, indem er von „einer gesamtdeutschen Fiktion unter
Leitung Österreichs“ spricht. Der österreichische Kaiser war in der Tat gleichzeitig
Präsident des Deutschen Bundes. Dieser Zustand änderte sich schlagartig im Jahre 1866,
ein Jahresdatum, das der Autor gleich dreimal erwähnt. In diesem Jahre provozierte
Preußen unter Bismarck einen Krieg gegen Österreich, das am 3. Juli 1866 bei Königgrätz
entscheidend geschlagen wurde. Der Ausgang dieses Krieges war nicht von Anfang an klar
gewesen, worauf Bismarck anspielt, als er von dem Glauben an die militärische
Überlegenheit Österreichs über Preußen spricht. Nach diesem Kriege schied die
Habsburger Monarchie aus dem deutschen Staatsverband aus. Das neuzubildende
Deutschland würde also kleiner als das ehemalige Heilige Römische Reich Deutscher
Nation und der Deutsche Bund sein. Während des Krieges von 1866 war ein Großteil der
deutschen Bundesstaaten Österreich gefolgt. Die nördlich des Mains gelegenen
Fürstentümer büßten diese Fehlentscheidung mit ihrer Unabhängigkeit. Sie wurden in den
neugebildeten Norddeutschen Bund integriert, der unter der Führung Preußens stand und
dessen Bundeskanzler Bismarck wurde.
Um die Einheit zu vollenden, mussten also noch die süddeutschen Staaten einverleibt
werden. Eine einfache Eroberung dieser Staaten wie Bayern oder Württemberg war nicht
möglich. Zwar konnten sich diese Staaten nun nicht mehr auf das geschwächte Österreich
stützen, aber sie hätten das Kaiserreich Frankreich zu Hilfe rufen können. Napoleon III.
war sowieso über Bismarcks Politik erbost. Dieser hatte nämlich bei dem Treffen in
Biarritz 1865 dem französischen Kaiser das Versprechen abgerungen, dass Frankreich in
den preußisch-österreichischen Krieg nicht eingreife. Er hatte dabei aber Gegenleistungen
erwartet wie die Gebiete rechts des Rheins oder Luxemburg. Davon wollte Bismarck jetzt
nichts mehr wissen. Die französische Regierung fühlte sich geprellt und es kam das
Schlagwort auf „Rache für Sadowa“ (nach der französischen Bezeichnung für Königgrätz).
Um die süddeutschen Staaten auf seine Seite zu ziehen, greift Bismarck zu einer List. In
diesen Staaten herrschten mehrere Meinungen nebeneinander. Einerseits waren natürlich
die Fürstenhäuser gegen eine deutsche Einigung, da sie ihre Macht verloren hätten.
Bismarck weist eindeutig auf das partikularistische und dynastische Staatsgefühl hin. Aber
er weiß auch, dass eine starke nationalistische Strömung innerhalb dieser Staaten besteht,
die meist politisch liberal war und die vom Bildungsbürgertum getragen wurde. Der Autor
bezeichnet diese Strömung als Deutschtum. Für diese Strömung wurde Preußen zum Staat,
der die Einheit vollziehen konnte. Von den militärischen Erfolgen 1864 gegen Dänemark,
1866 gegen Österreich abgesehen, war die Hohenzollernmonarchie auch der am weitesten
industrialisierte Staat Deutschlands. Sicherlich dramatisiert der Autor die Lage in der er
sich befand, um den Krieg gegen Frankreich 1870 zu rechtfertigen. Seiner Ansicht nach
musste schnell gehandelt werden, um die öffentliche Meinung bei Laune zu halten.
Schließlich fürchtete Bismarck, dass er die Kontrolle über die national-liberale Bewegung
verlöre, die ja auch den Dynastien gegenüber feindlich eingestellt war, was er aber in
diesem Text nicht zugibt. Der Ausspruch „La Prusse cane“, spielt wahrscheinlich direkt
auf die sogenannte Reculade von Olmütz an, wo 1850 Preußen vor Österreich
zurückgewichen war. Das sollte sich zwanzig Jahre später nicht wiederholen. Bismarck
provozierte also Frankreich durch die Emser Depesche und Napoleon III, der ebenfalls
dem Druck seiner nationalistischen öffentlichen Meinung ausgesetzt war, beantwortete
diese Provokation mit der Kriegserklärung.
In derselben psychologischen Auffassung, in welcher ich 1864 im dänischen Kriege aus
politischen Gründen gewünscht hatte, dass nicht den altpreußischen, sondern den
westfälischen Bataillonen, die bis dahin keine Gelegenheit gehabt hatten, unter preußischer
Führung ihre Tapferkeit zu bewähren, der Vortritt gelassen werde, und bedauerte, dass der
Prinz Friedrich Karl meinem Wunsche entgegengehandelt hatte, in derselben Auffassung
war ich überzeugt, dass die Kluft, die die Verschiedenheit des dynastischen und
Stammesgefühls und der Lebensgewohnheiten zwischen dem Süden und dem Norden des
Vaterlandes im Laufe der Geschichte geschaffen hatte, nicht wirksamer überbrückt werden
könne als durch einen gemeinsamen nationalen Krieg gegen den seit Jahrhunderten
aggressiven Nachbar; Ich erinnerte mich, dass schon in dem kurzen Zeitraume von 1813
bis 1815, von Leipzig und Hanau bis Belle-Alliance, der gemeinsame und siegreiche
Kampf die Beseitigung des Gegensatzes ermöglicht hatte zwischen einer hingebenden
Rheinbundpolitik und dem nationaldeutschen Aufschwung [...]. Das gemeinsam
vergossene Blut von dem Übergange der Sachsen bei Leipzig bis zu der Beteiligung unter
englischem Kommando bei Belle-Alliance hatte ein Bewusstsein gekittet, vor dem die
Rheinbundserinnerungen erloschen. Die Entwicklung der Geschichte in dieser Richtung
wurde unterbrochen durch die Besorgnis, welche die Übereilung des nationalen Drangs für
den Bestand staatlicher Einrichtungen erweckte.
Dieser Rückblick bestärkte mich in der Überzeugung, und die politischen Erwägungen in
betreff der süddeutschen Staaten fanden mutatis mutandis auch auf unsere Beziehungen zu
der Bevölkerung von Hannover, Hessen, Schleswig-Holstein Anwendung. Dass diese
Auffassung richtig war, beweist die Genugtuung, mit der heut, nach zwanzig Jahren, nicht
nur die Holsteiner, sondern auch die Hanseaten der 1870er Heldentaten ihrer Söhne
gedenken. Alle die Erwägungen, bewusst und unbewusst, verstärkten in mir die
Empfindung, dass der Krieg nur auf Kosten unserer preußischen Ehre und des nationalen
Vertrauens auf dieselbe vermieden werden könne.
In dieser Überzeugung machte ich von der [...] königlichen Ermächtigung Gebrauch, den
Inhalt des Telegramms zu veröffentlichen und reduzierte [...] das Telegramm durch
Streichungen, ohne ein Wort hinzuzusetzen oder zu ändern, ...
Otto von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Stuttgart und Berlin, 1898, S. 405 f.
Fragen:
1. Um welchen Quellentyp handelt es sich? Was kann man daraus für die
Analyse ableiten ?
2. In diesem Dokument erwähnt der Autor drei Zeitpunkte oder Etappen.
Analysiert diese Zeitpunkte, indem Ihr den jeweiligen historischen Kontext
mit Euren Kenntnissen erhellt !
3. Was versucht der Autor in diesem Dokument zu rechtfertigen ?
4. Legt den Gedankengang des Autors offen und erklärt auf welchen
historischen Realitäten dieser Gedankengang beruhte !
5. Welche Folgen hatte die im letzten Abschnitt erwähnte Tat ?
Belle-Alliance – nom prussien donné à la bataille de Waterloo
Berichtigungsvorschlag
1. In seinen Memoiren gibt der ehemalige Reichskanzler Otto von Bismarck seine
Sicht auf sein politisches Leben wider. Wie dies bei diesem Quellentyp in der
Regel der Fall ist, dienen die Lebenserinnerungen des Fürsten Bismarck dazu, die
Handlungen ihres Autors auf die eine oder andere Weise zu rechtfertigen, vor
seinen Zeitgenossen und vor der Nachwelt. Der Autor erwähnt Ereignisse, die er
mehr oder weniger nah erlebt, bzw. an ihnen mitgewirkt hat. Aber die Memoiren
sind auch eine Art Darstellung der Geschichte und damit bereits eine Interpretation.
Miterlebte Ereignisse werden vom Autor mit Ereignissen vermischt, die der 1815
geborene Bismarck nicht oder nicht bewusst miterlebt haben kann, wie die
sogenannten Befreiungskriege (1813-1814) und die Schlacht bei Waterloo (1815).
Abgesehen von den Absichten des Autors, kann der zeitliche Abstand zu den
erlebten Ereignissen auch zu Unterlassungen und zum Vergessen führen, wobei
beides häufig nicht zu trennen ist. Man kann aber davon ausgehen, dass Bismarck
bei der Verfassung seiner Memoiren, die acht Jahre nach dem Ende seines
politischen Lebens erschienen sind, auf seine Aufzeichnungen und andere Akten
zurückgreifen konnte.
2. Der Autor jongliert in diesem Auszug mit der Chronologie und springt in seinen
Betrachtungen von der Zeit der deutschen Einigung, zu weiter zurückliegenden
Ereignissen wie den napoleonischen Kriegen und bezieht sogar Umstände aus der
Entstehungszeit seiner Memoiren mit in seine Darstellung mit ein. Der vorliegende
Textauszug dient dazu, die Handlungen Bismarcks vor dem Krieg von 1870 zu
rechtfertigen. Er erwähnt deshalb seine Erfahrungen aus dem Krieg, den er 1864
mit Österreich zusammen gegen Dänemark geführt hat und der mit der Annexion
Schleswigs und Holsteins endete. Um die aus den relativ neuen preußischen
Provinzen stammenden Truppen zu Stolz auf ihren neuen Staat zu veranlassen,
befürwortete Bismarck, dass die Westfalen, die erst seit 1813 zum preußischen
Staatsverband gehörten, vorzugsweise gegen die Dänen kämpften. Er begründet
diese Haltung mit den historischen Erfahrungen während der Kriege von 1813 bis
1815. Damals sei ein gesamtdeutsches Nationalgefühl entstanden, beziehungsweise
hätte sich verstärkt. Er spielt unter anderem auf das Überlaufen der Sachsen zu den
Truppen der sechsten Koalition bei Leipzig und auf die Bayern an, die nach dieser
Schlacht versucht hatten, die nach Frankreich zurückweichenden Franzosen bei
Hanau aufzuhalten, obwohl sie kurz vorher noch Napoleons Verbündete
(Rheinbund) gewesen waren. Auch die Hannoveraner hatten so ein Nationalgefühl
entwickelt, denn sie hatten unter englischem Kommando an der Schlacht bei
Waterloo teilgenommen. Um dieses Nationalgefühl nicht erkalten zu lassen oder
neu zu entfachen, will Bismarck einen neuen Krieg, gegen den Feind von 1813:
Frankreich. Laut Bismarck war diese Entwicklung zu nationaler Einheit durch
konservative Ängste gebremst worden, wobei er wahrscheinlich auf die
süddeutschen Dynastien anspielt. Den Erfolg seiner Politik rechtfertigt Bismarck
mit der nationalistischen Haltung, die er mehr als 20 Jahre nach dem deutschfranzösischen Krieg bei den Hanseaten und Holsteinern feststellt. Allerdings sind
die Ereignisse von 1870 zu dieser Zeit eine Art Gründungsereignis geworden,
während der aufkommende Nationalismus der 1890er Jahre soziologische
Ursachen hat.
3. Bismarck sucht in diesem Text den deutsch-französischen Krieg, den er 1870
provoziert hat, zu rechtfertigen. Der ganz Textabschnitt leitet in den Memoiren den
Abschnitt über die Emser Depesche ein.
4. Ausgehend von den nationalen Erinnerungen von 1813 bis 1815, will Bismarck
einen Krieg gegen Frankreich führen, an dem sich auch die süddeutschen Staaten
beteiligen sollen, die nach dem Krieg gegen Österreich 1866 nicht in den
Norddeutschen Bund unter preußischem Vorsitz eingetreten sind, um anschließend
eine Einigung Deutschlands unter preußischer Führung und damit die Aufgabe
ihrer staatlichen Souveränität zu akzeptieren.
5. Das Kürzen der Emser Depesche ließ die Antwort des preußischen Königs an den
französischen Botschafter wie eine Provokation erscheinen, da die Forderungen des
französischen Kaisers schroff und definitiv abgelehnt wurden. Da Bismarck
bewusst diese Antwort an die Presse und die Botschaften leiten ließ, konnte
Napoleon III. nicht zurückweichen, um vor der Welt und vor allem der öffentlichen
Meinung Frankreichs nicht das Gesicht zu verlieren. Deshalb erklärte er Preußen
Krieg. Dadurch erschien Preußen als der angegriffene Staat und die anderen
deutschen Staaten traten auf seiner Seite in den Krieg gegen Frankreich ein.
In derselben psychologischen Auffassung, in welcher ich 1864 im dänischen Kriege aus
politischen Gründen gewünscht hatte, dass nicht den altpreußischen, sondern den
westfälischen Bataillonen, die bis dahin keine Gelegenheit gehabt hatten, unter preußischer
Führung ihre Tapferkeit zu bewähren, der Vortritt gelassen werde, und bedauerte, dass der
Prinz Friedrich Karl meinem Wunsche entgegengehandelt hatte, in derselben Auffassung
war ich überzeugt, dass die Kluft, die die Verschiedenheit des dynastischen und
Stammesgefühls und der Lebensgewohnheiten zwischen dem Süden und dem Norden des
Vaterlandes im Laufe der Geschichte geschaffen hatte, nicht wirksamer überbrückt werden
könne als durch einen gemeinsamen nationalen Krieg gegen den seit Jahrhunderten
aggressiven Nachbar; Ich erinnerte mich, dass schon in dem kurzen Zeitraume von 1813
bis 1815, von Leipzig und Hanau bis Belle-Alliance, der gemeinsame und siegreiche
Kampf die Beseitigung des Gegensatzes ermöglicht hatte zwischen einer hingebenden
Rheinbundpolitik und dem nationaldeutschen Aufschwung [...]. Das gemeinsam
vergossene Blut von dem Übergange der Sachsen bei Leipzig bis zu der Beteiligung unter
englischem Kommando bei Belle-Alliance hatte ein Bewusstsein gekittet, vor dem die
Rheinbundserinnerungen erloschen. Die Entwicklung der Geschichte in dieser Richtung
wurde unterbrochen durch die Besorgnis, welche die Übereilung des nationalen Drangs für
den Bestand staatlicher Einrichtungen erweckte.
Dieser Rückblick bestärkte mich in der Überzeugung, und die politischen Erwägungen in
betreff der süddeutschen Staaten fanden mutatis mutandis auch auf unsere Beziehungen zu
der Bevölkerung von Hannover, Hessen, Schleswig-Holstein Anwendung. Dass diese
Auffassung richtig war, beweist die Genugtuung, mit der heut, nach zwanzig Jahren, nicht
nur die Holsteiner, sondern auch die Hanseaten der 1870er Heldentaten ihrer Söhne
gedenken. Alle die Erwägungen, bewusst und unbewusst, verstärkten in mir die
Empfindung, dass der Krieg nur auf Kosten unserer preußischen Ehre und des nationalen
Vertrauens auf dieselbe vermieden werden könne.
In dieser Überzeugung machte ich von der [...] königlichen Ermächtigung Gebrauch, den
Inhalt des Telegramms zu veröffentlichen und reduzierte [...] das Telegramm durch
Streichungen, ohne ein Wort hinzuzusetzen oder zu ändern, ...
Otto von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Stuttgart und Berlin, 1898, S. 405 f.
Fragen:
6. Um welchen Quellentyp handelt es sich? Was kann man daraus für die
Analyse ableiten ?
7. In diesem Dokument erwähnt der Autor drei Zeitpunkte oder Etappen.
Analysiert diese Zeitpunkte, indem Ihr den jeweiligen historischen Kontext
mit Euren Kenntnissen erhellt !
8. Was versucht der Autor in diesem Dokument zu rechtfertigen ?
9. Legt den Gedankengang des Autors offen und erklärt auf welchen
historischen Realitäten dieser Gedankengang beruhte !
10. Welche Folgen hatte die im letzten Abschnitt erwähnte Tat ?
Belle-Alliance – nom prussien donné à la bataille de Waterloo
Berichtigungsvorschlag
6. In seinen Memoiren gibt der ehemalige Reichskanzler Otto von Bismarck seine
Sicht auf sein politisches Leben wider. Wie dies bei diesem Quellentyp in der
Regel der Fall ist, dienen die Lebenserinnerungen des Fürsten Bismarck dazu, die
Handlungen ihres Autors auf die eine oder andere Weise zu rechtfertigen, vor
seinen Zeitgenossen und vor der Nachwelt. Der Autor erwähnt Ereignisse, die er
mehr oder weniger nah erlebt, bzw. an ihnen mitgewirkt hat. Aber die Memoiren
sind auch eine Art Darstellung der Geschichte und damit bereits eine Interpretation.
Miterlebte Ereignisse werden vom Autor mit Ereignissen vermischt, die der 1815
geborene Bismarck nicht oder nicht bewusst miterlebt haben kann, wie die
sogenannten Befreiungskriege (1813-1814) und die Schlacht bei Waterloo (1815).
Abgesehen von den Absichten des Autors, kann der zeitliche Abstand zu den
erlebten Ereignissen auch zu Unterlassungen und zum Vergessen führen, wobei
beides häufig nicht zu trennen ist. Man kann aber davon ausgehen, dass Bismarck
bei der Verfassung seiner Memoiren, die acht Jahre nach dem Ende seines
politischen Lebens erschienen sind, auf seine Aufzeichnungen und andere Akten
zurückgreifen konnte.
7. Der Autor jongliert in diesem Auszug mit der Chronologie und springt in seinen
Betrachtungen von der Zeit der deutschen Einigung, zu weiter zurückliegenden
Ereignissen wie den napoleonischen Kriegen und bezieht sogar Umstände aus der
Entstehungszeit seiner Memoiren mit in seine Darstellung mit ein. Der vorliegende
Textauszug dient dazu, die Handlungen Bismarcks vor dem Krieg von 1870 zu
rechtfertigen. Er erwähnt deshalb seine Erfahrungen aus dem Krieg, den er 1864
mit Österreich zusammen gegen Dänemark geführt hat und der mit der Annexion
Schleswigs und Holsteins endete. Um die aus den relativ neuen preußischen
Provinzen stammenden Truppen zu Stolz auf ihren neuen Staat zu veranlassen,
befürwortete Bismarck, dass die Westfalen, die erst seit 1813 zum preußischen
Staatsverband gehörten, vorzugsweise gegen die Dänen kämpften. Er begründet
diese Haltung mit den historischen Erfahrungen während der Kriege von 1813 bis
1815. Damals sei ein gesamtdeutsches Nationalgefühl entstanden, beziehungsweise
hätte sich verstärkt. Er spielt unter anderem auf das Überlaufen der Sachsen zu den
Truppen der sechsten Koalition bei Leipzig und auf die Bayern an, die nach dieser
Schlacht versucht hatten, die nach Frankreich zurückweichenden Franzosen bei
Hanau aufzuhalten, obwohl sie kurz vorher noch Napoleons Verbündete
(Rheinbund) gewesen waren. Auch die Hannoveraner hatten so ein Nationalgefühl
entwickelt, denn sie hatten unter englischem Kommando an der Schlacht bei
Waterloo teilgenommen. Um dieses Nationalgefühl nicht erkalten zu lassen oder
neu zu entfachen, will Bismarck einen neuen Krieg, gegen den Feind von 1813:
Frankreich. Laut Bismarck war diese Entwicklung zu nationaler Einheit durch
konservative Ängste gebremst worden, wobei er wahrscheinlich auf die
süddeutschen Dynastien anspielt. Den Erfolg seiner Politik rechtfertigt Bismarck
mit der nationalistischen Haltung, die er mehr als 20 Jahre nach dem deutschfranzösischen Krieg bei den Hanseaten und Holsteinern feststellt. Allerdings sind
die Ereignisse von 1870 zu dieser Zeit eine Art Gründungsereignis geworden,
während der aufkommende Nationalismus der 1890er Jahre soziologische
Ursachen hat.
8. Bismarck sucht in diesem Text den deutsch-französischen Krieg, den er 1870
provoziert hat, zu rechtfertigen. Der ganz Textabschnitt leitet in den Memoiren den
Abschnitt über die Emser Depesche ein.
9. Ausgehend von den nationalen Erinnerungen von 1813 bis 1815, will Bismarck
einen Krieg gegen Frankreich führen, an dem sich auch die süddeutschen Staaten
beteiligen sollen, die nach dem Krieg gegen Österreich 1866 nicht in den
Norddeutschen Bund unter preußischem Vorsitz eingetreten sind, um anschließend
eine Einigung Deutschlands unter preußischer Führung und damit die Aufgabe
ihrer staatlichen Souveränität zu akzeptieren.
10. Das Kürzen der Emser Depesche ließ die Antwort des preußischen Königs an den
französischen Botschafter wie eine Provokation erscheinen, da die Forderungen des
französischen Kaisers schroff und definitiv abgelehnt wurden. Da Bismarck
bewusst diese Antwort an die Presse und die Botschaften leiten ließ, konnte
Napoleon III. nicht zurückweichen, um vor der Welt und vor allem der öffentlichen
Meinung Frankreichs nicht das Gesicht zu verlieren. Deshalb erklärte er Preußen
Krieg. Dadurch erschien Preußen als der angegriffene Staat und die anderen
deutschen Staaten traten auf seiner Seite in den Krieg gegen Frankreich ein.
Der Krieg mit dem französischen Nachbarn ist zu Ende. In Deutschland weilten 385000
französische Kriegsgefangene...Die Staatskunst Bismarcks hat es zustande gebracht,
fremde Mächte von einer Intervention abzuhalten, so dass der Kampf der beiden größten
Völker Europas durch die gleiche Genialität der politischen wie der militärischen Führung
Deutschlands in einem halben Jahre ausgestritten gewesen ist...
Inzwischen ist nach dem gemeinsamen Kampf auf den blutgetränkten Schlachtfeldern
ein gemeinsames Reich entstanden. Württemberg hat den Anfang gemacht, dann gab es
Konferenzen in München mit den Ministern der süddeutschen Staaten, verzögert durch die
Sonderwünsche Bayerns...
Ein gemeinsamer Reichstag wird festgesetzt...Ein Bundesrat steht neben dem Oberhaupt
des Reiches...So steht nach einer Pause von 65 Jahren ein neues deutsches Reich da,
allerdings nicht mehr ein Reich aller Deutschen. Die Deutschen von Österreich stehen
abseits. Es ist ein Klein-Deutschland geworden. Für die ganze Zeit dieses zweiten Reiches
bleibt das Schicksal der Deutschen Österreichs, die an dem Aufschwung der übrigen nun
geeinten Nation keinen Anteil finden können, die Schattenseite an dem großen Werk. In
ihrem nationalen Bestand sind sie nun zum Teil bedroht.
Richard Suchenwirth, Deutsche Geschichte, Leipzig 1936, S.485 f.
I.
Vokabelhilfen
Staatskunst – art politique, art diplomatique
Ausgestritten haben – ici avoir tranché, décidé
Verzögern – retarder
Abseits stehen – être ou rester à l’écart
Schicksal – destin, sort, destinée
Nationaler Bestand Existence nationale
Der Krieg mit dem französischen Nachbarn ist zu Ende. In Deutschland weilten 385000
französische Kriegsgefangene...Die Staatskunst Bismarcks hat es zustande gebracht,
fremde Mächte von einer Intervention abzuhalten, so dass der Kampf der beiden größten
Völker Europas durch die gleiche Genialität der politischen wie der militärischen Führung
Deutschlands in einem halben Jahre ausgestritten gewesen ist...
Inzwischen ist nach dem gemeinsamen Kampf auf den blutgetränkten Schlachtfeldern
ein gemeinsames Reich entstanden. Württemberg hat den Anfang gemacht, dann gab es
Konferenzen in München mit den Ministern der süddeutschen Staaten, verzögert durch die
Sonderwünsche Bayerns...
Ein gemeinsamer Reichstag wird festgesetzt...Ein Bundesrat steht neben dem Oberhaupt
des Reiches...So steht nach einer Pause von 65 Jahren ein neues deutsches Reich da,
allerdings nicht mehr ein Reich aller Deutschen. Die Deutschen von Österreich stehen
abseits. Es ist ein Klein-Deutschland geworden. Für die ganze Zeit dieses zweiten Reiches
bleibt das Schicksal der Deutschen Österreichs, die an dem Aufschwung der übrigen nun
geeinten Nation keinen Anteil finden können, die Schattenseite an dem großen Werk. In
ihrem nationalen Bestand sind sie nun zum Teil bedroht.
Richard Suchenwirth, Deutsche Geschichte, Leipzig 1936, S.485 f.
Staatskunst – art politique, art diplomatique
Ausgestritten haben – ici avoir tranché, décidé
Verzögern – retarder
Abseits stehen – être ou rester à l’écart
Schicksal – destin, sort, destinée
Nationaler Bestand Existence nationale
III. Der Weg zum Ersten Weltkriegs
1. Der Nationalismus als Destabilisierungsfaktor
a) Das Ende des europäischen Gleichgewichts
- Seit dem Ende des 18. Jahrhundert hatten sich die
nationalenBewegungen entwickelt. In Italien und
Deutschland hatten sie die staatliche Einigung
begünstigt. Sie hatten damit zur Entstehung neuer
Großmächte beigetragen und damit das europäische
Gleichgewicht zerstört. (siehe die Vision von Heerens
in dem Dossier über den Wiener Kongress).
- Bei der Gründung dieser Staaten hatten manchmal
andere Staaten Gebiete verloren und diese Verluste
begünstigten die Entwicklung von Revanchegelüsten.
Der Raub Elsass-Lothringens führte zu einem
dauerhaften Gegensatz zwischen Frankreich und
Deutschland und bestimmte die Bündnispolitik beider
Staaten. Solange er Reichskanzler war, versuchte
Bismarck Frankreich außenpolitisch zu isolieren.
(Karikatur : Elsass-Lothringen als Eisenkugel am
Bein). Er schloss zunächst das Dreikaiserbündnis mit
Österreich-Ungarn und Russland ab. Nach dem
Balkankrieg von 1876-1877 und der darauffolgenden
Balkankonferenz entzweiten sich Russland und
Deutschland immer mehr. Dies gab Frankreich die
Möglichkeit, seine diplomatische Isolierung zu
sprengen und mit Russland ein Militärbündnis
abzuschließen. Damit war für Deutschland die von
Bismarck so gefürchtete Umklammerung zu einer
Realität geworden.
b) Der Einfluss der nationalistischen Bewegungen auf die öffentliche
Meinung
-
Der Nationalismus wurde auch zu einem Risikofaktor,
weil er innerhalb der Staaten Europas zunahm und
Druck auf die Regierungen ausübte. Im Zusammenhang
mit dem deutsch-französischen Krieg hatte bekanntlich
Bismarck bewusst den Druck der nationalistischen
öffentlichen Meinung sowohl auf die französische als
auch auf die Regierungen der süddeutschen Staaten
ausgenutzt.Der Nationalismus verstärkte sich gegen
Ende des 19. Jahrhunderts in den meisten europäischen
Staaten. Dies äußerte sich durch die Entstehung
nationalistischer Vereine, die zum Teil extreme und
-
heute lächerlich wirkende Verherrlichung der
nationalen Vergangenheit.
Das Anwachsen der nationalen Bewegungen erklärt
sich im wesentlichen durch die zahlenmäßige
Vergrößerung der Mittelschichten. In Deutschland war
das das sogenannte Bildungsbürgertum. Diese
Schichten gründeten ihren sozialen Aufstieg vor allem
auf die in ihrer Landessprache erworbenen Bildung.
Mit dem Erstarken der internationalistisch orientierten
Arbeiterbewegung und dem Auftreten konjunkturell
bedingter wirtschaftlicher Schwierigkeiten fühlten sich
Teile dieser Schichten in ihrer Existenz bedroht. Der
vorher liberale Nationalismus verwandelte sich in einen
konservativen, antiparlamentarischen und
fremdenfeindlichen und zum Teil rassistischen
Nationalismus.
2. Die Aufteilung der Welt als Zankapfel
-
-
-
Das Deutsche Reich hatte erst nur eine halbherzige
Kolonialpolitik betrieben. Bismarck dachte in
europäischen Dimensionen und legte wenig Wert auf
Kolonien. Er präsentierte sich somit 1884 als neutraler
Schiedsrichter auf der Berliner Kongokonferenz, bei
der es um die Aufteilung Afrikas ging. Einige deutsche
Abenteurer wie Carl Peters hatten einige Gebiete in
Afrika besetzt, wie z. B. Südwestafrika (Namibia) oder
Ostafrika . Auch im Pazifik besaß Deutschland einige
Inseln. Aber insgesamt war das deutsche Kolonialreich
wesentlich kleiner als die seiner französischen und
britischen Rivalen.
Nach der Entlassung Bismarcks verlangten
nationalistische und imperialistische Kreise eine
aggressivere Kolonialpolitik. Beim neuen deutschen
Kaiser Wilhelm II. fanden diese Kreise Gehör. Von nun
ab versuchte Deutschland seinen kolonialen Rückstand
aufzuholen und stieß dabei auf die Interessen der
etablierten Kolonialmächte Frankreich und
Großbritannien, z.B. in Marokko.
Im Jahre 1905 kommt es zur ersten Marokkokrise. Das
Sultanat befindet sich im Zustand der Anarchie, was die
Großmächte, vor allem Frankreich ermutigt, dieses
Land zu kontrollieren. Der französische Außenminister
Delcassé plant Marokko unter französisches Protektorat
zu stellen. Kaiser Wilhelm II. landet daraufhin in
Tanger, wo er eine Rede hält und sich als Verteidiger
der marokkanischen Freiheit aufspielt. Frankreich muss
der Einberufung einer internationalen Konferenz
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zustimmen, die über das Schicksal Marokkos
entscheiden soll.
Diese findet im Januar in Algesiras statt, aber
Deutschland ist isoliert, da nur Österreich-Ungarn seine
Ansprüche unterstützt. Frankreich kann seinen Einfluss
in Marokko ausdehnen. Die Briten unterstützen
Frankreich, da sie 1904 mit der französischen Republik
ihre Streitigkeiten beigelegt haben.(Entente cordiale).
Im Jahre 1911 kommt es zu zweiten Marokkokrise, die
beinahe zum Krieg führt. Als französische Truppen die
Stadt Fez besetzen, betrachtet Berlin diesen Akt als
eine Verletzung des Status quo. Am ersten Juli 1911
legt das deutsche Kanonenboot „Panther“ im Hafen
Agadir an und landet ein symbolisches
Truppenkontingent an. Berlin signalisiert, dass es bereit
ist auf Marokko zu verzichten, wenn es dafür
Kompensationen in Zentralafrika erhält. Der
französische Regierungschef Caillaux scheint bereit,
diese Lösung anzunehmen, aber die deutschfeindliche
öffentliche Meinung zwingt ihn, die unverschämten
deutschen Ansprüche abzulehnen. Deutschland verlangt
den gesamten französischen Kongo. England erklärt
sich bereit nötigenfalls auf Frankreichs Seite in den
Krieg zu ziehen. Nach langwierigen Verhandlungen
einigen sich beide Mächte: Frankreich erhält das
Protektorat über Marokko und Deutschland einen
bedeutenden Teil des Kongo mit Zugang zum Meer.
Die wesentliche Folge der zweiten Marokkokrise ist die
Verstärkung der Feindseligkeit zwischen beiden
Mächten. Beide betrachten das Verhandlungsergebnis
als eine Demütigung. In Frankreich muss Caillaux
abtreten, er wird durch den Lothringer Poincaré ersetzt.
3. Die Konkurrenz der europäischen Großmächte und der
Sozialdarwinismus
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Der Erwerb von Kolonien geschah nicht nur aus
Gründen des Prestige, sondern erfolgte vor allem aus
wirtschaftlichen Gründen. Die deutsche Wirtschaft
entwickelte sich rasch und suchte sich Rohstoffquellen
und Absatzmärkte zu sichern. Mächte wie Deutschland
und Italien sahen sich als bei der Aufteilung der Welt
zu spät gekommen an und wollten den Rückstand
nachholen. Vor allem Großbritannien fürchtete die
Konkurrenz Deutschlands.
Der Wille der deutschen Regierung sich einen Platz an
der Sonne zu schaffen und Prestigesucht veranlassten
den deutschen Kaiser eine Kriegsflotte zu bauen.
Großbritannien fühlte sich daraufhin in seiner
Sonderstellung als Seemacht bedroht.
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Die Lehre Darwins wurde von vielen Zeitgenossen auf
die menschliche Gesellschaft und auf die Beziehungen
zwischen den Völkern übertragen. So wurde die
menschliche Geschichte als Überlebenskampf
interpretiert bei dem nur die stärksten überlebten. Dies
war die Auslese. Manche Völker wurden als schwach
und dekadent angesehen, andere wiederum als stark
und gefährlich. Die deutschen Politiker sahen
Frankreich als dekadent an, da die französische
Bevölkerung stagnierte. Andererseits fürchteten sie den
Aufstieg Russlands.
4. Die Schwäche der pazifistischen Bewegungen
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Es gab auch pazifistische Bewegungen in den
europäischen Ländern, wie z.B. die sozialistisch
inspirierte Arbeiterbewegung. Eines der Ziele der 2.
Internationale war die Verhinderung eines Krieges. In
Frankreich erklärte Jean Jaurès: „Es liegt im Wesen des
Kapitalismus Kriege hervorzurufen.“ Auf ihren
Kongressen in Stuttgart 1907 und in Kopenhagen 1910
hatte die Internationale nach Wegen gesucht, den Krieg
zu verhindern. Eine Methode schien wirksam zu sein:
der internationale Generalstreik. Aber die Führer der
SPD glaubten nicht an diese internationale
Arbeitersolidarität. Die Vertreter auf dem
Kopenhagener Kongress sahen vor auf dem folgenden
Kongress über die Vorschläge des britischen
Sozialisten James Keïr-Hardie und des Franzosen
Edouard Vaillant abzustimmen, die den Generalstreik
empfahlen, um einen Krieg zu verhindern. Doch der
nächste Kongress war erst für August 1914 vorgesehen.
Am 27. Juli 1914 scheiterte eine Konferenz
französischer und deutscher Gewerkschafter in Brüssel
trotz britischer Vermittlungsversuche. Zahlreiche
Sozialisten beteiligten sich an pazifistischen
Demonstrationen in Berlin und Paris. Die
Protestveranstaltung in Leipzig vom 26. Juli 1914
leitete eine Kette von Antikriegsveranstaltungen ein.
Zwischen dem 28. und 30. Juli fanden in 30 Städten
Deutschlands Protestdemonstrationen gegen den Krieg
statt, an denen sich insgesamt 243000 Personen
beteiligten, allein in Berlin gab es 23
Großveranstaltungen, die größte versammelte 29000
Menschen.
Am 4. August stimmt die SPD im Reichstag den
Kriegskrediten zu, mit einer Ausnahme: Karl
Liebknecht. Ebenfalls am 4. August treten die
Sozialisten Marcel Sembat und Jules Guesde in die
französische Regierung ein. Der Burgfrieden verdrängt
den Internationalismus.
5. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges
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Am 28. Juni 1914 wurde der österreichische Thronfolger von einem serbischen
Nationalisten in Sarajewo erschossen.
Österreich stellte daraufhin Serbien ein Ultimatum. Dieses Ultimatum war
sorgfältig durch die Wiener Regierung vorbereitet und von Wilhelm II. gebilligt
worden. Der 6. Artikel des Ultimatums stellte eine Verhöhnung der serbischen
Souveränität dar: die österreichisch-ungarische Regierung verlangte, dass die
polizeiliche Untersuchung der Schuldigkeit am Attentat von Sarajewo von
Vertretern Habsburgs überwacht würde.
Die deutsche Regierung gab am 6. Juli der österreichischen Regierung eine
Blankovollmacht, d.h. sie erklärte sich bereit Österreich-Ungarn im Falle eines
Krieges zu unterstützen.
Nachdem Belgrad das Ultimatum abgelehnt hatte, erklärte Wien Serbien den Krieg
am 28. Juli.
Um nicht gänzlich seinen Einfluss auf dem Balkan zu verlieren, beschließt
Russland am 29. Juli 1914 die Mobilisierung seiner Armee. Die russische
Regierung glaubt, dass sie auf Grund ihres zwar modernen, aber wenig dichten
Eisenbahnnetzes viel Zeit braucht, um die russische Armee zu konzentrieren.
Die deutsche Regierung fordert daraufhin am 31. Juli die russische Regierung auf,
die Mobilisierung zu stoppen. Der Zar schickt mehrere Telegramme an seinen
Cousin Wilhelm II., damit dieser Wien zur Raison bringt. Auch London übt Druck
auf Berlin aus und schlägt vor zu vermitteln. Berlin mobilisiert seinerseits am 1.
August 1914. Am 2. August dekretiert Frankreich die Generalmobilmachung und
am 3. August beginnen die Feindseligkeiten.
Den Regierungen entgleitet die Entscheidung, die Militärs nehmen das Zepter in
die Hand, aus Angst von dem jeweiligen Gegner überrumpelt zu werden.
Der Krieg wird von allen Seiten als ein Verteidigungskrieg bezeichnet.
Der Krieg wird als eine kurze Angelegenheit dargestellt: Retour après la victoire
dans trois mois
Die Soldaten haben ziemlich naive Vorstellung von der Art und Weise der
Kriegsführung, im Gegensatz zu den politischen Führern
Die Nationalisten wie Hitler sind begeistert: „Ich fiel auf die Knie und dankte dem
Himmel“
In den einzelnen Staaten wird sogenannter Burgfrieden zwischen den politischen
Parteien geschlossen. Kaiser Wilhelm erklärte : „Ich kenne keine Parteien mehr,
ich kenne nur noch Deutsche. In Frankreich spricht man von der Union Sacrée.
Der nationale Hass zwischen den Völkern kommt auf dem Gipfelpunkt an. Die
britische Dynastie aus dem Hause Hannover muss sich in Windsor umbenennen,
da jegliche Verbindungen zu Deutschland von der nationalistischen Volksmeinung
negativ aufgenommen werden. Auch Sankt Petersburg wird in Petrograd
umbenannt.
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