Skript 09

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SS 2013
Prof. Dr. Hans-Werner Hahn
Vorlesung: Europäische Revolutionen 1848/49
9. Die Gegenrevolution in Österreich
I.
Österreichische Entwicklung bis zur Wiener Oktoberrevolution:
W. HÄUSLER, Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung. Demokratie und soziale Frage in
der Wiener Revolution von 1848, Wien 1979.
L. HÖBELT, 1848. Österreich und die deutsche Revolution, Wien/ München 1998.
H. RUMPLER, Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in
der Habsburgermonarchie, Wien 1997.
Trotz der Märzereignisse von 1848 und des Sturzes von Metternich versuchten Hof- und
Regierungskreise, die Zugeständnisse an die Märzbewegung in Grenzen zu halten. Es
bedurfte neuen Drucks und neuer Kämpfe, ehe auch Österreichs Innenpolitik im Mai 1848 auf
den Kurs der anderen deutschen Staaten einschwenkte. Wien schien seit Mai fest in der Hand
der Revolutionsbewegung. Der neu gebildete Sicherheitsausschuss wirkte als eine Art
Nebenregierung. Der Hof hatte Wien verlassen und war nach Innsbruck gegangen. Anfang
Juli wurde auf Druck der Revolutionsbewegung eine neue Regierung gebildet, in der zwar
einige der bisherigen Minister mitarbeiteten (Kriegsminister Theodor Baillet von LATOUR),
die aber insgesamt doch einen liberal-demokratischen Anstrich hatte. Gleichzeitig trat im Juli
1848 in Wien der neu gewählte Reichstag zusammen, den bis auf Ungarn und Oberitalien alle
Gebiete der Habsburger Monarchie beschickten. Die nichtdeutschen Abgeordneten waren in
der Mehrheit. In sozialer Hinsicht dominierte das bürgerliche und bäuerliche Element (ein
Viertel waren Bauern). In politischer Hinsicht hatten die Wahlen (allgemeines und gleiches
Wahlrecht) einen Sieg der gemäßigten Kräfte erbracht. Selbst in Wien gewann die Linke nur
ein Drittel der Sitze.
Die wichtigste Entscheidung traf der Reichstag zunächst in der Agrarfrage. Hier kam es
nach dem Antrag von Hans KUDLICH zu einer schnellen und recht bauernfreundlichen
Regelung. Die Folge war ein weitgehendes Ausscheiden der Bauern aus der Revolutionsbewegung und eine Stärkung der Konservativen. Die Hauptstadt Wien blieb allerdings
weiterhin ein Unruheherd. Einerseits war Wien Zentrum radikaldemokratischer Bestrebungen.
Andererseits ballten sich hier nach wie vor große soziale Probleme (Teuerung und
Verarmung). Auch ein Beschäftigungsprogramm der Regierung brachte wenig Entlastung.
Am 23. August 1848 kam es zu schweren Unruhen der Erdarbeiter, die von den bürgerlichen
Sicherheitskräften niedergeschlagen wurden. Im September nahm die politische und soziale
Polarisierung weiter zu mit komplizierten Frontlinien. Die radikaldemokratischen Kräfte
bereiteten sich auf den Entscheidungskampf mit der Reaktion vor und setzten Regierung und
Reichstag zunehmend unter Druck.
II.
Wiener Oktoberrevolution:
Auslöser der Wiener Oktoberrevolution war die ungarische Frage. Das Königreich Ungarn
hatte die Revolution genutzt, um seine eigenständige Stellung gegenüber Wien auszubauen.
Der Sieg der ungarischen Revolution mit all ihren nationalistischen Übersteigerungen
verschärfte innerhalb des Königreichs Ungarn zugleich die Nationalitätenkonflikte mit
Serben, Kroaten, Rumänen, Slowaken und Deutschen. Dies machten sich die alten Gewalten
der Habsburger Monarchie gezielt zunutze, indem sie von Anfang an die antiungarischen
Kräfte unterstützten. Dies galt besonders für die kroatische Nationalbewegung, an deren
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Spitze der Graf und General Joseph JELLAČIĆ stand, den der Kaiser noch im März 1848 zum
Statthalter (Ban) von Kroatien ernannt hatte. Nach den militärischen Siegen in Italien (Juli
1848), an denen die Kroaten auch ihren Anteil hatten, widerrief der Kaiser im September alle
den Ungarn gemachten Zugeständnisse. Gleichzeitig ging die kroatische Nationalbewegung
nun in den offenen Kampf gegen die Ungarn. Als der ungarische Reichstag um die
Unterstützung des österreichischen Reichstages bat, lehnte dies die Mehrheit des letzteren ab.
Ausschlaggebend waren die Stimmen der Slawen. Der so genannte Austroslawismus, für den
der Erhalt und föderative Ausbau des Habsburger Gesamtstaates günstiger war als Siege der
deutschen und ungarischen Nationalbewegungen, unterstützte die großösterreichischen Ziele
des kaiserlichen Hofes. Nachdem Ende September der Ungarnbeauftragte des Kaisers, Graf
Franz Philipp von LAMBERG, bei seiner Ankunft in Budapest erschlagen worden war,
mobilisierte die österreichische Regierung Truppen gegen die Ungarn. Während die auf dem
Lande stationierten Einheiten den Befehlen folgten, meuterten große Teile der in Wien
stationierten Einheiten.
Am 6. Oktober begann die "Wiener Oktoberrevolution". Meuternde Truppen und
Aufständische vertrieben die Regierung aus Wien. Kriegsminister LATOUR wurde nach
schweren Misshandlungen an einer Laterne aufgehängt. Große Chancen hatten die Wiener
Revolutionäre, die für wenige Wochen neue Strukturen schufen, jedoch nicht, zumal sich
große Teile der Bevölkerung – vor allem das besitzende Bürgertum – von Anfang an dem
neuen Kurs verweigerten. Während der Ministerpräsident Johann von WESSENBERG noch
vermitteln wollte, sahen die Kräfte der Gegenrevolution nun ihre Stunde gekommen. Fürst
Alfred zu WINDISCHGRÄTZ zog von Prag aus mit 60.000 Soldaten Richtung Wien und begann
nach einem abgelaufenen Ultimatum am 26. Oktober mit der Rückeroberung der Stadt. Am
28. Oktober setzten die entscheidenden Kämpfe ein, am 31. Oktober war Wien in der Hand
der Gegenrevolution. WINDISCHGRÄTZ hatte auch alle Vermittlungsversuche der von der
Paulskirche und der Reichszentralgewalt geschickten Reichskommissare abgelehnt.
Nach dem Sieg der Gegenrevolution kam es zu einer Verhaftungswelle und zahlreichen
Hinrichtungen. Zu den Opfern zählte Robert BLUM, der mit Julius FRÖBEL nach Wien
gegangen war, sich dort von der Kampfesstimmung hatte mitreißen lassen und vorübergehend
auch mitgekämpft hatte. Als Abgeordneter der Paulskirche genoss er jedoch parlamentarische
Immunität. Trotzdem ließen ihn die neuen Herren in Wien (WINDISCHGRÄTZ, SCHWARZENBERG) in einem juristisch fragwürdigen Verfahren verurteilen und am 9. November 1848
hinrichten. Man wollte damit der gesamten Demokratenbewegung einen entscheidenden Stoß
versetzen. Der Mord an Robert Blum löste in ganz Deutschland eine Welle des Protestes aus.
[vgl. Ralf ZERBACK, Robert Blum, Leipzig 2007].
III.
Die Neuordnung der Habsburger Monarchie:
Am 19. November wurde Fürst Felix SCHWARZENBERG, der Schwager von WINDISCHGRÄTZ, als Ministerpräsident und Außenminister berufen. Er war ein entschiedener Gegner
der nationalen, großdeutschen und demokratischen Bestrebungen. Seine neue Politik lief
darauf hinaus, die Habsburger Monarchie als Gesamtstaat zu erhalten und ihr die alte
Vorherrschaft über Mitteleuropa zurückzugeben. Voraussetzung dieser Politik war die
Niederschlagung der Revolutionen in Ungarn und Deutschland. Allerdings sah SCHWARZENBERG, dass man dies nicht mehr im Stile METTERNICHS tun konnte. Er bemühte sich deshalb
um eine engere Kooperation mit dem Besitzbürgertum, holte Fachleute wie den Handelsminister Karl Ludwig von BRUCK in sein Kabinett und löste zum Erstaunen der wirklichen
Konservativen auch den Reichstag nicht auf. Der Reichstag wurde in das ruhigere Kremsier
verlegt, sollte aber seine Arbeiten an der österreichischen Verfassung weiterführen. Noch war
Österreich nicht auf dem Weg in den Neoabsolutismus. Die Abdankung des bisherigen
Kaisers und die Thronbesteigung seines gerade 18-jährigen Neffen Franz Joseph am 2.
Dezember 1848 sollte sich im Nachhinein jedoch bereits als wichtige Weichenstellung in
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Richtung Neoabsolutismus erweisen. Schon in den ersten Wochen ließ der junge Monarch
starke autokratische Züge erkennen. Die erfolgreiche Wiener Gegenrevolution gab auch den
preußischen Konterrevolutionären neuen Auftrieb und erschwerte alle Lösungsversuche, die
die Paulskirche in der deutschen Politik unternahm.
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