Ethnische Minderheiten im niederländischen Schulwesen von Katrin Dörner Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2. Ethnische Minderheiten in den Niederlanden 2.1 Definition des Minderheitenbegriffs 2.2 Migrationsminderheiten in den Niederlanden 2.2.1 Migranten aus den ehemaligen Kolonien und überseeischen Gebieten der Niederlande 2.2.2 Arbeitsmigranten aus den Anrainerstaaten des Mittelmeeres 3. Strukturen und Bedingungen des niederländischen Schulwesens 3.1 Freiheit des Unterrichts 3.1.1 Schulgründungsfreiheit 3.1.2 pädagogische und inhaltliche Profilierung 3.1.3 freie Wahl der Schule 3.2 interkultureller Unterricht 3.3 Unterricht in eigener Sprache und Kultur (OETC) und Niederländisch als Zweitsprache (NT2) 3.4 "onderwijsvoorrangsbeleid" (OVB) 3.5 strukturelle Bedingungen des niederländischen Schulsystems 4. Ethnische Segregation im niederländischen Schulwesen 4.1 Segregation im niederländischen Schulalltag 4.2 Ursachen der Segregation 4.3 Maßnahmen gegen segregative Tendenzen 5. Die Bildungsposition ethnischer Minderheiten 5.1 Leistungs- und Schulniveau 5.2 Ursachen von Bildungsrückständen 5.2.1 häusliche Bedingungen 5.2.2 schulische Bedingungen 6. Maßnahmen zur Erhöhung der Bildungschancen ethnischer Minderheiten 6.1 Projekte für Eltern 6.1.1 Information über das niederländische Bildungswesen und Schullaufbahnberatung 6.1.2 Qualifizierung der Eltern zur Unterstützung der Kinder 6.1.3 aktive Elternbeteiligung / Kommunikation zwischen Schule und Eltern 6.2 Maßnahmen auf Schulebene 6.2.1 Effektivitätssteigerung von Schule 6.2.2 Projekte zur "Öffnung" von Schule 6.2.3 Vertrag zwischen Schule, Schüler und Eltern 7. Resumee Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis Erklärung 1. Einleitung Im Zuge eines immer enger zusammenwachsenden Europas und durch Zuwanderung aus allen Teilen der Welt ist auch die niederländische Gesellschaft zunehmend heterogener geworden. Diese Situation hat auch Auswirkungen auf die Schule und stellt sie vor neue Herausforderungen. Sie ist als eine Institution der Sozialisation in den Gesamtprozeß der gesellschaftlichen Entwicklung eingebunden und unterliegt daher dem historischen Wandel. Dieser hat eine immer größere kulturelle Vielfalt hervorgebracht, wodurch sich auch die aktuellen Sozialisationsbedingungen für die Kinder verändert haben. Schule hat die Aufgabe, den gesamten Nachwuchs auf seine gesellschaftliche Partizipation vorzubereiten und entsprechende Fähigkeiten zu vermitteln. Um die junge Generation z.B. für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren, muß sie versuchen, allen Schülern - unabhängig von sozialer Herkunft oder Muttersprache - gleiche Bildungschancen zu bieten und ihr jeweiliges Potential zu fördern. Sie sollte also nicht nach ethnischen oder sozialen Kriterien selektieren. Ihr kommt als Institution, in der Schüler mit unterschiedlichen Hintergründen aufeinandertreffen daneben aber auch Bedeutung für deren Integration zu. Dazu ist auf sozialer Ebene ein toleranter und kooperativer Umgang miteinander notwendig. Im Anpassungsprozeß an eine vielfältige Schülerschaft wird aber auch deutlich, inwieweit Schule selbst offen für Veränderungen durch die Schüler ist. Ethnische Minderheiten unterscheiden sich qua Definition nach sozialem Status und "kulturellem Abstand" am stärksten von der niederländischen Aufnahmegesellschaft. Sie werden daher in dieser Arbeit beispielhaft als gesellschaftlich statusärmste Gruppierung zur Analyse des niederländischen Schulwesens herangezogen. Ihre Situation kann ein guter Indikator dafür sein, wie flexibel und anpassungsfähig Schule für unterschiedliche Ausgangslagen und Bedingungen bei ihren Schülern ist. Sie läßt damit aber auch Schwachstellen des niederländischen Bildungswesens stärker hervortreten. Der Umgang mit Minderheiten im Schulwesen deutet zudem darauf hin, welche Art des multikulturellen Zusammenlebens die niederländische Gesellschaft realisieren will. Die Analyse der niederländischen Situation erscheint wegen ihrer gesellschaftlichen und pädagogischen Bedingungen interessant. Die Niederlande werden nicht nur vom Ausland z.B. wegen ihrer Antidiskriminierungsgesetzgebung häufig als Vorbild einer multikulturellen Gesellschaft präsentiert, sie pflegen auch gerne selbst ihr "Image als tolerante Handelsnation" (Roser, 2000 a). Jedoch ist auch in den Niederlanden die Zahl rassistisch motivierter Delikte in den letzten Jahren nach Angaben des Innenministeriums stark angestiegen, wobei tätliche Angriffe gegenüber Ausländern aber eher selten sind (Roser, 2000 d). Rechtsextreme Parteien spielen politisch zwar keine große Rolle, doch wünschen sich einer kürzlich veröffentlichten Studie zufolge die Hälfte der Niederländer keinen Ausländer als Nachbarn, bewerten diese, ähnlich wie Österreicher und Deutsche, eher negativ und sehen in der Anwesenheit von allochthonen Minderheiten mehr Nachals Vorteile (Roser, 2000 c). Der amerikanische Sozialpsychologe Thomas F. Pettigrew, der die Verhältnisse zwischen unterschiedlichen Gruppen in der niederländischen Gesellschaft untersucht hat, fand demgemäß heraus, daß dort eher subtile Vorurteile gegenüber Ausländern verbreitet sind (Pettigrew, 1995). Er führte dies auf die niederländische Tradition der "Versäulung" der Gesellschaft, die Organisation des gesamten öffentlichen Lebens in strikt getrennten konfessionellen und weltanschaulichen Gruppen, zurück. Diese fördere einerseits die Stereotypenbildung untereinander, verbiete aber andererseits offene und grobe Ausdrucksformen von Gruppenvorurteilen und Diskriminierung, da die Existenz der Säulen nur durch gegenseitige Toleranz gesichert werden konnte. Moderner Rassismus, der seine Wurzeln auch in der ideologischen Rechtfertigung des westlichen Kolonialismus hat, sei in den Niederlanden daher ebenso vorhanden jedoch in verschleierterer Form anzutreffen. In bildungspolitischer und pädagogischer Hinsicht bieten die Niederlande ein interessantes Forschungsfeld und sind Quelle zahlreicher Anregungen. Gerade in der deutschen Diskussion um eine verstärkte Autonomie der Einzelschule und die Qualitätssicherung wird gerne auf die Erfahrungen aus den Niederlanden zurückgegriffen (siehe bspw. Liket, 1993 a, b). Auch gelten sie als Mekka für Bildungsreformer aller pädagogischer Couleur, die dort "ihre" Schule mit staatlicher Finanzierung verwirklichen können. Liberale Geister verweisen auf die starke Bedeutung des Elternwillens und die Regulierung der Bildungslandschaft durch Marktmechanismen. Charakteristisch für das niederländische Bildungswesen ist "der Schüler als Kunde", wie Rasche (1996) anhand eines Schulmodells bilanziert. Finanzpolitiker freuen sich über die finanzielle Autonomie der Einzelschule und insgesamt werden die sprachfreudigen Niederländer als "fit" für das vereinigte Europa beurteilt, lernen alle niederländischen Kinder auf der Schule doch immerhin zwei, auf den höheren Sekundarschulen sogar drei moderne Fremdsprachen. Die Stärke eines Schulwesens zeigt sich jedoch auch in seinem Umgang mit den "Schwächsten", wozu von ihrem Status und ihren Chancen her ethnische Minderheiten gerechnet werden müssen. Ihre Schulleistungen bleiben deutlich hinter dem Durchschnitt der autochthonen niederländischen Bevölkerung zurück, und die Arbeitslosigkeit unter den Migrantengruppen ist trotz des allgemeinen Rückgangs gerade unter den allochthonen Jugendlichen erschreckend hoch (Tesser et al., 1999). Neben der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt ist dies auf eine niedrige Qualifikation und relativ hohe Schulabbrecherquoten unter den Migrantenkindern zurückzuführen. Hinzu kommt, daß die Segregation von Schülern nach ethnischer Herkunft nach Auffassung der OECD in den Niederlanden ein wachsendes Problem darstellt (Karsten, 1994). Die Auseinandersetzung mit der Situation von ethnischen Minderheiten im Schulwesen der Niederlande ist daher aus mehreren Gründen interessant. Zum einen leben in den Niederlanden aufgrund der historischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert - wie der Dekolonisation und der zunehmenden Arbeitsmigration - Minderheiten mit sehr unterschiedlichem kulturellen und sprachlichen Hintergrund sowie gesellschaftlichem Status. Sie weisen eine mehr oder weniger erfolgreiche Bildungsbeteiligung auf. Dies hat Folgen für die Schulpraxis und (Bildungs-) politik. Zum anderen sind die Niederlande durch ein - im Vergleich zu anderen europäischen Staaten - "freieres" Schulwesen zu kennzeichnen, das aufgrund seiner strukturellen Bedingungen eine Vielfalt an Reaktionsmöglichkeiten auf der schulischen Ebene bietet. Sie sind z.B. ein ideales Forschungsfeld, um die Effekte von Wahlfreiheit auf Vergleichbarkeit und Qualität von Schulen zu studieren (Ritzen et al., 1997). Die strukturellen Vorgaben und praktischen Umsetzungen sollen daher in ihrer Relevanz für die Lage ethnischer Minderheiten in dieser Arbeit zusammengetragen, analysiert und auf ihre Ergebnisse hin verglichen werden. Gleichzeitig aber birgt das freie und "kundenorientierte" niederländische Bildungswesen keine Regelungen hinsichtlich der Vermeidung von segregativen Tendenzen in sich. Sie können daher nur innerhalb des Systems mit dessen Mechanismen überwunden werden. Daraus ergibt sich eine Reihe von Fragestellungen, die in dieser Arbeit verfolgt werden sollen: Wie hat sich das niederländische Bildungswesen auf die Anwesenheit und Bedürfnisse von Migrationsminderheiten eingestellt? Welche Bedingungen des niederländischen Schulwesens haben Einfluß auf die Situation ethnischer Minderheiten? Welche Ursachen können für die Bildungsposition ethnischer Minderheiten verantwortlich sein? Führt ein durch den Markt geregeltes Bildungswesen nicht zu einer weiteren Marginalisierung und Verschlechterung ihrer Position? Welche Maßnahmen werden gegen die segregativen Tendenzen im niederländischen Bildungswesen ergriffen? Welche Möglichkeiten hat das niederländische Bildungswesen zur Verbesserung der Situation ethnischer Minderheiten und welche Konzepte werden aktuell zur Bekämpfung von Bildungsrückständen verfolgt? Zunächst sollen jedoch kurz die verschiedenen ethnischen Minderheiten in den Niederlanden vorgestellt werden (Kap. 2). Es folgt eine Analyse der Strukturen und Bedingungen des niederländischen Schulwesens auf ihre Relevanz für die Situation ethnischer Minderheiten (Kap. 3). Daraufhin werden die konkrete Lage dieser Gruppen im Schulalltag und deren mögliche Ursachen beschrieben. Diese kann gekennzeichnet werden durch ethnische Segregation (Kap. 4) und Bildungsrückstände (Kap. 5). Maßnahmen, die ihre Situation verbessern sollen und auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen werden schließlich in Kapitel 6 vorgestellt, woran sich der Versuch einer resümierenden Zusammenfassung und Wertung der Gesamtproblematik anschließt (Kap. 7). 2. Ethnische Minderheiten in den Niederlanden Bevor die Situation ethnischer Minderheiten im Schulwesen analysiert werden kann, soll zunächst geklärt werden, mit welchen Minderheiten in den Niederlanden sich diese Arbeit befaßt und welchen Platz sie in der niederländischen Gesellschaft einnehmen. Dazu ist zunächst eine Definition des verwendeten Begriffs der "Minderheit" notwendig, gefolgt von einem kurzen Abriß der jeweiligen Migrationsgeschichte und gesellschaftlichen Lage der gewählten Gruppen. 2.1 Definition des Minderheitenbegriffs Der Begriff der Minderheit deutet zunächst auf eine zahlenmäßig kleinere Gruppe hin. Implizit ist damit aber auch schon deren Status in Abgrenzung zum Begriff der Mehrheit enthalten. Der zunächst so neutral klingende Begriff birgt in sich bereits die Zuweisung einer gesellschaftlichen Position, die als randständig und marginalisiert gekennzeichnet werden kann (Kroon & Vallen, 1994). Eine Minderheit wird definiert aus dem Blickwinkel und im Vergleich zu der herrschenden Majorität und von dieser im Hinblick auf bestimmte Merkmale als weniger wertvoll angesehen. "Auf Grund welcher konkreter Merkmale bestimmte Individuen als Minderheit betrachtet und behandelt werden, hängt also größtenteils von den Werten und Normen ab, die von der herrschenden Gruppe mit allgemeinem Geltungsanspruch vertreten werden." (Klima, 1988) Dies hat Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Majorität und Minorität und die Beurteilung der gesellschaftlichen Lage der Minderheit. Fraglich ist dabei, ob diese Außensicht auch der eigenen Einschätzung und Selbstdefinition der Betroffenen entspricht. Daher ist weiterhin zu klären, wer sich aufgrund welcher Merkmale zu dieser Einheit zählt bzw. gezählt wird. Zur Charakterisierung der in dieser Arbeit ausgewählten Minderheiten, wird daher zusätzlich der Begriff "ethnisch" verwendet. Eine Ethnie kann als Gruppe von Menschen bezeichnet werden, die aufgrund mehrerer gemeinsamer Merkmale, wie Abstammung, Sprache, Religion, Kultur von außen als Einheit betrachtet wird, bzw. sich selbst als zusammengehörig fühlt. Dabei handelt es sich um ein dynamisches Konzept, denn die individuelle Abgrenzung von anderen sowie die äußere Zuschreibung kann fließend und Veränderungen unterworfen sein (Kroon & Vallen, 1994). Je nachdem auf welche Merkmale man sich bezieht, werden ethnische Minderheiten auch mit anderen Begriffen tituliert: als Ausländer, mit dem Kriterium der Staatsangehörigkeit als "Allochtone", gekennzeichnet durch die nicht niederländische Herkunft der Eltergeneration oder als Migranten, als von außerhalb der Niederlande Zugewanderte. Der Begriff der Ethnie umfaßt im Vergleich dazu mehr als die gegenwärtige oder ursprüngliche Nationalität und grenzt differenzierter, aber auch uneindeutiger voneinander ab. Nähme man in dieser Arbeit, die sich mit der Lage ethnischer Minderheiten im niederländischen Schulwesen befaßt, nur die Nationalität als Kriterium, so könnte man dieser Gruppe nicht die naturalisierten Ausländer, die der dritten Generation, sowie die niederländischen Staatsbürger aus den ehemaligen Kolonien zuordnen. Wäre die Muttersprache der entscheidende Faktor, so würde beispielsweise auch die autochthone Minderheit der Friesen hinzugezählt werden können. Hier soll es jedoch nicht um autochthone ethnische Minderheiten, sondern um "Migrationsminderheiten" gehen, auch wenn man bei den Angehörigen der zweiten und dritten Generation im Allgemeinen nicht mehr von Migration sprechen kann, denn sie sind zum großen Teil bereits in den Niederlanden geboren. Als politische Zielgruppen, explizit ausgedrückt im "minderhedenbeleid", der Minderheitenpolitik der niederländischen Regierung, werden nur solche ausgewählt, die von der breiten Öffentlichkeit, also nach dem Maßstab der Majorität als "anders" und in irgendeiner Form problematisch angesehen werden (Karsten & Leeman, 1988). Sie unterscheiden sich in kultureller Hinsicht von den Niederländern und befinden sich gleichzeitig in einer schlechten sozialen Position (Penninx, 1993). Ihre Lage wird mit dem Begriff "achterstand" (Rückstand) charakterisiert und als verbesserungswürdig erachtet. Teile der alteingesessenen autochthonen "weißen" niederländischen Bevölkerung mit schlechtem sozio-ökonomischem Status, sowie gesellschaftlich höher positionierte, erfolgreiche Allochtone bleiben damit außerhalb des Blickfeldes. Der Akzent liegt also stärker auf den sozial-ökonomischen Rückständen als auf den ethnisch-kulturellen Differenzen der Minderheiten (Kroon & Vallen, 1994). Im Begriff der Minderheit verdichtet sich also eine aus der Sicht der Mehrheit besondere Problematik, die aus dem niedrigen sozial-ökonomischen Status in Verbindung mit der ursprünglich ausländischen Herkunft der so bezeichneten Menschen herrührt. Als Minderheiten die zu definieren, die Ziel der niederländischen Minderheitenpolitik sind, ist pragmatisch, aber auch tautologisch. Da die Abgrenzung von ethnischen Minderheiten schwierig ist und im Grunde immer vor dem Hintergrund der entsprechenden Zuschreibung und Positionszuweisung der herrschenden Majorität gesehen werden muß, erscheint eine solche politische, den "mainstream" ausdrückende und zugleich durch Änderung der Verhältnisse wandelbare Definition als angemessen und passend. Sie wird weiterhin dadurch gerechtfertigt, daß es in dieser Arbeit um die Situation von ethnischen Minderheiten im niederländischen Bildungswesen geht, deren gesellschaftliche Position gerade durch ihre "Bildungsferne" zu charakterisieren ist, während Zielsetzung und Hoffnung der Bildungspolitik dahingehen, diesen Minderheitenstatus durch angepaßte Bildungsmaßnahmen zu verbessern. Schulleistungen von allochthonen Schülern, die hier nicht zu den Herkunftsgruppierungen der Minderheiten gezählt werden, sind dagegen im Durchschnitt nicht schlechter als die niederländischer Altersgenossen (Tesser et al., 1999). Auch diese Tatsache unterstreicht den Sinn der Unterscheidung von Minderheiten und Allochthonen. Nicht berücksichtigt wird bei dieser politischen Definition, wie die sogenannten Minderheiten selbst ihre Position einschätzen und bewerten, dieses Manko kann aber in der praktischen Bildungsarbeit durch Kommunikation mit den Betroffenen überwunden werden. Insgesamt wird die äußere Zuschreibung zur Kategorie einer ethnischen Minderheit immer schwieriger: Auf der einen Seite zählen Mitglieder der dritten Generation der Migranten, deren Eltern bereits in den Niederlanden geboren sind, unabhängig von ihrer sozial-kulturellen Position bevölkerungsstatistisch nicht mehr zu den Allochthonen. Auf der anderen Seite gibt es einen ansehnlichen Teil von Allochthonen auch aus den "klassischen" Minderheitengruppierungen, die nicht mehr unter sozialer Benachteiligung leiden und sich auch in kultureller Hinsicht kaum von autochthonen Niederländern unterscheiden. Völlig außerhalb des Blickfeldes bleiben Kinder aus gemischten Ehen (Tesser et aal., 1999). Die Berücksichtigung der Selbstzuschreibung zu einer bestimmten Ethnie wird daher immer wichtiger, ebenso wie die Optimierung von Bildungschancen ungeachtet bestimmter Kategorisierungen. In niederländischen Publikationen wird in jüngster Zeit der Begriff "Allochtone" wegen seiner Neutralität bevorzugt, auch wenn damit die "klassischen" Minderheitengruppierungen gemeint sind. Die Begriffe Minderheiten, Allochthone und Migranten werden daher - sofern sie die gleichen Gruppen bezeichnen - in dieser Arbeit synonym verwendet. 2.2 Migrationsminderheiten in den Niederlanden Die ethnisch äußerst heterogen zusammengesetzte Gesellschaft in den Niederlanden - sie zählt alleine 150 verschiedene Nationalitäten (Leiprecht & Lutz, 1996) - kann als Folge von unterschiedlichen Migrationsbewegungen im Laufe der Jahrhunderte verstanden werden. Obwohl sich bereits seit Ende des sechzehnten Jahrhunderts große Zahlen von Immigranten in den Niederlanden niedergelassen und nicht unerheblich zur wirtschaftlichen und kulturellen Blüte des "Goldenen Zeitalters" beigetragen haben (Cornelis, 1990), interessieren in diesem Zusammenhang nur die jüngsten Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts nach dem Zweiten Weltkrieg. Da nach den Zerstörungen des Krieges der Wiederaufbau nur mühsam in Gang kam, bemühte sich das in den eigenen Augen überbevölkerte Land zunächst, Menschen zur Auswanderung zu bewegen. Während mehr als eine halbe Million Niederländer v.a. in die Vereinigten Staaten von Amerika, nach Australien und Kanada emigrierten, fand aufgrund des Dekolonialisierungsprozesses eine zunehmende Immigration in die Niederlande aus Indonesien, Surinam und den Niederländischen Antillen, Arbeitsmigration aus den Mittelmeerländern und Zuwanderung von politischen Flüchtlingen und Asylsuchenden statt. Die Migranten kamen und kommen aus den vielfältigsten Gründen in die Niederlande. Sie differieren nach Alter, Geschlecht, Bildungsstand, ökonomischer Lage, staatsbürgerschaftlichen Rechten, besetzen im Zielland verschiedenste Positionen und haben einen dementsprechenden sozialen Status inne. Insgesamt waren 1992 immerhin bald 15 % der Bevölkerung in den Niederlanden allochthoner Herkunft, nur ein Teil von ihnen wird zu den ethnischen Minderheiten gerechnet. Dennoch verstanden sich die Niederlande bis 1980 nicht als Einwanderungsland und verwiesen auf den vorübergehenden Aufenthalt der Migranten (Penninx, 1993). Als Minderheiten im Sinne der obengenannten Definition interessieren aus dieser heterogenen Gruppe solche, die eine schwache soziale und ökonomische Position in der Gesellschaft einnehmen. Hierzu zählen vor allem Menschen surinamischer, antillianischer, molukkischer, türkischer, marokkanischer und südeuropäischer Herkunft. Sie sind die wichtigsten Zielgruppen der seit 1983 in der "minderhedennota" formulierten niederländischen Minderheitenpolitik, die sich zum Ziel gesetzt hat, die gesellschaftliche Integration dieser Bevölkerungsgruppen zu fördern. Ihre soziale Benachteiligung gegenüber der autochthonen Bevölkerung sollte mit kompensatorischen Maßnahmen des Staates beseitigt werden (Leiprecht & Lutz, 1996). Ihr Anteil lag im Jahre 1993 ca. 950000 Menschen (Veenman, 1994), das waren ca. 6 % der Gesamtbevölkerung. Er steigt aber aufgrund des relativ hohen positiven Geburtensaldos und der weiterhin bestehenden Immigration zur Familienvereinigung und -gründung v.a. bei Türken und Marokkanern. Inzwischen gehört ca. ein Drittel dieser Bevölkerungsgruppen bereits zur zweiten und dritten Generation der Migranten. Daraus resultiert im Durchschnitt eine große Anzahl von jungen Menschen, was besonders für Schule und Arbeitsmarkt Bedeutung hat. Heute gehören bereits mehr als 9 % der niederländischen Bevölkerung zu den ethnischen Minderheiten, über die Hälfte von ihnen besitzt die niederländische Staatsbürgerschaft. Bis zum Jahre 2015 erwartet man einen Anstieg auf 14 % der Gesamtbevölkerung. Dabei machen inzwischen die "klassischen Minderheiten", mit denen sich diese Arbeit befaßt, nur noch zwei Drittel aus. Nachdem sich die Immigration dieser Gruppen Ende der achtziger Jahre seinem Ende zuneigte, setzte in den neunziger Jahren in großem Umfang Migration von Asylsuchenden und Flüchtlingen v.a. aus asiatischen und afrikanischen Ländern in die Niederlande ein. Aber auch die Reihen der "klassischen" Minderheiten werden noch stets durch Neuankömmlinge verstärkt (Tesser et al., 1999). Die Heterogenität der Migranten nach Herkunftsland, Alter und Aufenthaltsdauer wird daher weiter zunehmen, sodaß eine Minoritäten- und Bildungspolitik, die von einer "naturwüchsigen" Integration der zweiten und dritten Migrantengeneration ausgeht, auf längere Sicht scheitern muß. Auch der Anteil der Seiteneinsteiger in das niederländische Bildungswesen, die ihre Schullaufbahn also nicht in den Niederlanden beginnen und bei den "klassischen" Minderheiten die bisher problematischste Bildungsposition einnahmen, wird daher wieder ansteigen. Die ethnischen Minderheiten sind nicht gleichmäßig über die gesamte Niederlande verteilt, sondern stark in den Städten konzentriert. Nur die Molukker bilden hier eine Ausnahme, da sie bei ihrer Ankunft kollektiv in separierte Wohngebiete, sogenannte "Molukkergemeinden", außerhalb der "Randstad" verwiesen wurden. Sie sind überdurchschnittlich vertreten in den Provinzen Gelderland, Overijssel und Nord-Brabant. Die anderen Gruppen finden sich vorwiegend in den vier großen Städten der Niederlande: Amsterdam, Rotterdam, Utrecht und Den Haag (Cornelis, 1990). Die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in Amsterdam beispielsweise gehört heute schon zu den ethnischen Minderheiten und man prognostiziert für die niederländische Hauptstadt in 15 Jahren eine überwiegend allochthone Gesamtbevölkerung (Tesser et al., 1999). Wenn von Minderheitenproblemen die Rede ist, betrifft dies also in der Hauptsache die großen Städte. Die Niederlande als Ganze stellen dagegen noch keine multikulturelle Gesellschaft dar. Bevor die Situation von ethnischen Minderheiten im Schulwesen analysiert werden kann, soll zunächst kurz die Geschichte ihrer Migration in die Niederlande dargestellt werden. Dabei wird zwischen den Gruppen aus den ehemaligen niederländischen Kolonien und überseeischen Gebieten und den "klassischen" Arbeitsmigranten aus den Anrainerstaaten des Mittelmeeres unterschieden. Flüchtlinge und Asylbewerber stellen eine sehr heterogene Gruppe dar, deren soziale Lage und Bildungsgrad in der Forschungsliteratur bisher kaum beachtet wurde und daher in dieser Darstellung keine Berücksichtigung finden kann. Auch sie sind jedoch, ebenso wie "Zigeuner" und Nichtseßhafte Zielgruppen der niederländischen Minoritätenpolitik. 2.2.1 Migranten aus den ehemaligen Kolonien und überseeischen Gebieten der Niederlande Im Zuge der Proklamation der Republik Indonesien durch Soekarno im Jahre 1945 und der endgültigen Erlangung der Souveränität 1949, kamen im Zeitraum von 1946 bis 1962 zunächst ca. 300000 Einwanderer und Repatriierte aus der ehemaligen niederländischen Kolonie Ostindien in die Niederlande (Penninx, 1993). War ihre gesellschaftliche Position zunächst auf Grund ihrer meist gemischt niederländisch-indonesischen Abstammung in der Kolonie derart hervorgehoben, daß sie als Europäer "zweiter Klasse" die anderen Indonesier für sich arbeiten lassen konnten, so durften sie sich nach der Unabhängigkeitserklärung als niederländische Staatsbürger im Mutterland niederlassen. Die Integration dieser sozio-ökonomischen Elite der "indischen Niederländer" in die niederländische Gesellschaft verlief weitestgehend problemlos, so daß repräsentative Studien darüber nicht existieren (Amersfoort, 1982). Heute ist ihre Bildungsposition so unauffällig, daß sie nicht zu den besonderen Zielgruppen der niederländischen Bildungspolitik zählen und nicht als Minderheit angesehen werden (Lindo, 1996; Pettigrew, 1995). Auch erhalten sie in der Berechnung der Lehrerplanstellen einer Schule im Gegensatz zu den anderen kolonialen Herkunftsgruppen kein zusätzliches Gewicht. Ihre Situation wird daher im weiteren nicht verfolgt. Auch die übrigen Migrantenkinder asiatischer Herkunft und hier v.a. die relativ zahlreichen Chinesen werden von der Regierung nicht zu den Minderheiten gezählt, da für die Gruppe als Ganze keine Bildungsrückstände zu verbuchen sind (Teunissen, 1990 a). Anders sieht es mit den Molukkern in den Niederlanden aus, die zum großen Teil von der Insel Ambon stammten und daher oft auch Ambonezen genannt werden. Sie kamen aufgrund ihres gehobenen Status als Soldaten der ehemaligen kolonialen Streitkräfte, dem "Koninklijk Nederlands Indisch Leger" (KNIL) in Indonesien nach dessen Unabhängigkeit politisch in Schwierigkeiten. Einerseits befürchteten die neuen Machthaber, daß sie in der molukkischen Freiheitsbewegung für eine eigene "Republik Maluku Selatan" (RMS) aktiv werden könnten, andererseits waren die Ambonesen als die "letzten Getreuen" der niederländischen Kolonialmacht bei den anderen Ethnien Indonesiens wenig beliebt (Kievelitz, 1986). Die Molukker wanderten daher mit ihren Familien Anfang der Fünfziger Jahre in die Niederlande aus. Sie planten aber baldmöglichst in eine noch zu gründende Freie Republik der Molukken zurückzukehren, die jedoch nie verwirklicht wurde (Penninx, 1993). Durch ihre kollektive Entlassung aus dem Militär war ihre Haltung gegenüber den Niederländern zunächst von Enttäuschung und Verbitterung geprägt und das Vertrauensverhältnis zu den ehemaligen Kolonialherren wurde erschüttert. Da ihr Wunsch nach Rückkehr in die Heimat vorrangig blieb, verlegten die Molukker ihre Lebensperspektive lange Zeit nicht in das niederländische Exil. Auch die niederländische Regierung ging davon aus, daß die Molukker wieder nach Indonesien zurückkehren würden, wenn die Turbulenzen der postkolonialen Jahre überwunden wären. Eine Integration in die niederländische Gesellschaft war daher zunächst weder von molukkischer noch von staatlich-niederländischer Seite erwünscht. In der beiderseitigen Vorstellung einer baldigen Rückkehr wurde eine individuelle Unterbringung nicht für notwendig erachtet und stattdessen Sammelunterkünfte, teilweise in früheren Konzentrationslagern der Deutschen Wehrmacht organisiert. So wohnen die Molukker in relativ geschlossenen Wohnvierteln, den sogenannten "Molukkergemeinden" konzentriert. Erst in den letzten Jahren beginnt diese Ghettoisierung sich langsam zu verändern. Es bildete sich dort eine Gemeinschaft mit eigenen Regeln und eigener Kultur, was in Verbindung mit den zahlreichen Verwandtschaftsverhältnissen zu einer starken Gruppenkohäsion und -solidarität geführt hat. Die sozial-ökonomische Position der Herkunftsfamilien war sehr homogen und vorwiegend niedrig. Eine Statushierarchie ergab sich eher aus der ehemaligen Position innerhalb der Armee oder wichtigen Funktionen in der neuen molukkischen Gemeinschaft. Der Status hatte dann auch am ehesten Einfluß auf die Höhe der Bildungsambitionen für die Kinder. Insgesamt erachteten die meisten Eltern eine Ausbildung auf lbo-Niveau (berufsbildende Sekundarschule auf niedrigem Niveau) als ausreichend und den Bedürfnissen im Herkunftsland nach Berufsausbildung am meisten entsprechend. Dies war auch die Haltung der öffentlichen Politik, sodaß in Verbindung mit der gleichlautenden Empfehlung des Schulkonsulenten des Kommissariates Ambonezensorge (CAZ) der Übergang auf lbo-Schulen unabhängig von den individuellen Schülerleistungen bereits als institutionalisiert gekennzeichnet werden kann (Dagevos & Veenman, 1992). Aufgrund der langen Aufenthaltsdauer gehört inzwischen ein beträchtlicher Anteil der Molukker bereits zur dritten Generation der Einwanderer. Bei der jüngeren Generation wird daher in den Familien vorwiegend Niederländisch und nicht mehr die ursprüngliche Muttersprache "Malais" gesprochen. Ins Licht der Öffentlichkeit gelangte die Situation der Molukker erst mit den gewalttätigen Ausschreitungen und Zugentführungen molukkischer Jugendlicher in den 70er Jahren (siehe dazu Kievelitz, 1986, S.67 ff.), die damit auf ihre, durch hohe Arbeitslosigkeit noch verstärkte, soziale und kulturelle Außenseiterposition aufmerksam machen wollten. Die Folge waren zunehmende Integrationsbemühungen der niederländischen Regierung, zu denen neben einer intensiveren sozio-kulturellen Förderung auch die Einrichtung von Spezialkursen in Sprache und Geschichte für molukkische Kinder durch das niederländische Bildungsministerium gehörte (Kievelitz, 1986). Heute droht die radikale molukkische Jugendorganisation "Vrije Molukse Jongeren" wieder mit Gewalt. Sie sind über die Zurückhaltung der niederländischen Regierung gegenüber dem seit 1999 entflammten kriegerischen Konflikt zwischen Christen und Moslems auf den Molukken enttäuscht und fordern deren Engagemant für ein Eingreifen der UN und die Entsendung einer Schutzmacht (Roser, 2000 b). Die Hoffnung der Molukker auf eine selbständige Republik rückt dadurch allerdings in immer weitere Ferne. In ihrem gesellschaftlichen Status und der Bildungsposition haben die Molukker immer noch keinen Anschluß an die autochthone niederländische Bevölkerung gefunden. Bei ihnen kann seit ihrer gezwungenen, gruppenweisen Einwanderung von 12.500 Menschen im Jahre 1951 nicht mehr von Migration gesprochen werden, ihr Bevölkerungsanteil umfaßt zur Zeit schätzungsweise an die 40000 (Veenman, 1994). Die Einwanderung aus Surinam, das bis 1975 zum Königreich der Niederlande gehörte, war bis zu diesem Zeitpunkt unbeschränkt möglich. Schon seit Mitte der Fünfziger Jahre kamen Surinamer zum Studieren und Arbeiten in die Niederlande. Das Schulwesen auf Surinam ähnelte von Struktur und Inhalten her stark dem des niederländischen Mutterlandes und auch das gesellschaftliche Leben der Oberschichten war stark an das Niederländische angelehnt. Abgesehen von Medizin und Recht war dort jedoch kein Studium möglich. Daher wurde die Bildungslaufbahn, anfangs vor allem von kreolischen Surinamern aus den städtischen Oberschichten der Inselhauptstadt Paramaribo in den Niederlanden fortgesetzt. Diese stellten in der öffentlichen Meinung jedoch kein Problem dar, denn sie sprachen Niederländisch und blieben meist nur während des Studiums in den Niederlanden (Karsten & Leeman, 1988). Ab Mitte der Sechziger Jahre wurde durch eine begrenzte Zahl von Stipendien des surinamesischen Staates das Studium in den Niederlanden auch für finanziell schwächer gestellte Interessenten möglich. Surinamer konnten sich aber auch um ein niederländisches Stipendium bewerben. 1967 kamen z. B. 23 % der surinamischen Studenten aus der Unterschicht (Karsten & Leeman, 1988). Zwar bot die Schulbildung auf Surinam nicht immer die gleichen Zugangschancen zu weiterführenden Ausbildungen in den Niederlanden, sodaß dort zunächst auf einem niedrigeren Niveau begonnen werden mußte, insgesamt gab es aber auch aufgrund der Sprachkenntnisse keine großen Übergangsprobleme. Bis Anfang der Siebziger Jahre wollten die meisten Studenten nach ihrer Weiterqualifikation in den Niederlanden nach Surinam zurückkehren. Es herrschte eine optimistische Vorstellung über die Zukunft des Landes vor, man wollte zu dessen Aufbau beitragen und fühlte sich gegenüber der Familie oder dem Staat, die das Studium finanziert hatten, verpflichtet (Dagevos & Veenman, 1992). Wegen der Unsicherheit über die soziale und ökonomische Situation Surinams nach dessen Unabhängigkeit verstärkte sich die Migration Mitte der Siebziger Jahre und umfaßte nun in zunehmendem Maße schlecht ausgebildete Surinamer aus eher ländlichen Regionen und Hindustanen (Amersfoort, 1982). Die Anzahl der Surinamer in den Niederlanden stieg von 37000 im Jahre 1970 auf über 100000 in 1975 an, darunter ein wachsender Anteil von Menschen, die mit der niederländischen Sprache und Kultur nicht vertraut waren (Karsten & Leeman, 1988). Auch vor dem Ende der Übergangsvereinbarungen bezüglich der Niederlassung in den Niederlanden und der Annahme der Staatsbürgerschaft nahm die Zahl der Migranten 1980 noch einmal zu. Seit 1981 ist es für Surinamer nur mit einem Visum möglich, in die Niederlande einzureisen. Die politisch instabile Situation in den achtziger Jahren in Surinam bewog erneut Menschen, in die Niederlande auszuwandern. Diese wurden z. T. als Flüchtlinge oder im Zuge der Familienzusammenführung zugelassen (Cornelis, 1990). Die Einwanderer aus Surinam besitzen meist die niederländische Staatsangehörigkeit, nur ca. 10% sind surinamische Staatsbürger (Penninx, 1993). Sie haben sich zum überwiegenden Teil in den Großstädten Amsterdam, Rotterdam und Den Haag niedergelassen. Die Bevölkerung auf Surinam besteht aus verschiedenen Gruppen. Im Zusammenhang dieser Arbeit muß zwischen den zwei größten Bevölkerungsgruppen Surinams differenziert werden, den vorwiegend christlichen Kreolen (Nachfahren westafrikanischer Sklaven und weißer Kolonisten) und den Hindustanen (Nachfahren indischer Vertragsarbeiter) (Leiprecht & Lutz, 1996). Sie unterscheiden sich in sozio-kultureller und sprachlicher Hinsicht stark voneinander, womit andere Ausgangsvoraussetzungen zur Teilnahme am Bildungswesen verbunden sind. In den Familien der kreolischen Oberschichten wurde auch auf Surinam vorwiegend Niederländisch gesprochen, weil dadurch u.a. Respekt vor den Eltern ausgedrückt wurde, während die Benutzung des indigenen "Sranan Tongo" als Sprache der Sklaven als ordinär galt und den Kindern von ihren Eltern verboten wurde. In den Sechziger Jahren wurde Sranan dann aber zu einem Symbol für ethnische Identität bei den kreolischen Surinamern. Es wird heute auch im öffentlichen Leben auf Surinam, ebenso wie Sarnami (s. u.) zunehmend benutzt (Karsten & Leeman, 1988). Traditionell ist die Familienstruktur bei den Kreolen eher matriarchalisch Die Mutter hat eine dominante Position inne und sorgt neben dem Haushalt auch für das Familieneinkommen. Dies bedeutet, daß die Verantwortung früh beim Kind liegt und der finanziellen Selbständigkeit und damit guten Ausbildung der Mädchen ein hoher Wert beigemessen wird (Dagevos & Veenman, 1992). In den Niederlanden verschärft sich die familiäre Situation der kreolischen Kinder dadurch, daß sie häufig in Ein-Eltern-Familien aufwachsen. Die Hindustanen entstammen auf Surinam häufiger ländlichen Gebieten außerhalb Paramaribos und finanziell schwächeren Milieus. Traditionell wachsen die Kinder in einem weiten Netzwerk von Familienbeziehungen auf und die Verkehrssprache untereinander ist "Sarnami", eine Form des Hindi, so daß Niederländisch erst in der Schule gelernt werden mußte. Auch in den Niederlanden wurde 1986 in den hindustanischen Familien zu 30 % nur Sarnami gesprochen, während die kreolischen Eltern Sranan nur neben dem Niederländischen verwenden (Karsten & Leeman, 1988). Die Hindustanen haben dagegen auf eigene Initiative Kurse in Hindi organisiert. Zudem bestehen in den Niederlanden drei Basischulen mit speziell hinduistischer Ausrichtung, wovon die erste 1988 in Den Haag gegründet wurde (Rutten, 1996). Die Anzahl der in den Niederlanden lebenden surinamischen Einwanderer beläuft sich zur Zeit auf ca. 290000 Menschen, das übersteigt sogar den heutigen Umfang der Gesamtbevölkerung in Surinam (Leiprecht & Lutz, 1996). Die Arbeitslosigkeit ist v.a. unter den Jugendlichen mit 28 % bei den Männern und 22 % bei den Frauen sehr hoch (Tesser et al., 1999). Die Niederländischen Antillen und Aruba hingegen gehören auch heute noch zum Königreich der Niederlande. Ihre Einwohner haben daher die niederländische Staatsangehörigkeit und können seit 1954 ungehindert in die Niederlande, häufig auch zu Ausbildungszwecken, einwandern, so daß es relativ große Migrations-bewegungen in beiden Richtungen gibt (Penninx, 1993). Abhängig von der Konjunktur auf den Antillen, kehren viele Studenten dorthin zurück. Politische Spannungen in den siebziger Jahren waren ein weiterer Grund, in die Niederlande auszuwandern (Cornelis, 1990). Die Anzahl der von den Antillen stammenden Menschen in den Niederlanden hat sich seit Mitte der achtziger Jahre von 47000 bis heute auf 95000 mehr als verdoppelt (Tesser et al., 1998). Durch die hohe Zahl neuer Immigranten hat sich das vergleichsweise günstige Bild ihrer sozialen Position inzwischen wieder zum Negativen hin verschoben. So waren 1998 unter den antillianischen Jugendlichen 16 % der Jungen und 32 % der Mädchen arbeitslos (Tesser et al., 1999). 2.2.2 Arbeitsmigranten aus den Anrainerstaaten des Mittelmeeres Wie in anderen westeuropäischen Staaten führte auch in den Niederlanden der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und die prosperierende Industrie bereits seit Mitte der 50er Jahre zu einem Arbeitskräftemangel von ungelernten und anzulernenden Arbeitern. Daraufhin wurden Anfang der 60er Jahre von Betrieben und der Regierung erste "Gastarbeiter" aus Südeuropa und Nordafrika angeworben. Werbungsvereinbarungen kamen beispielsweise 1961 mit Spanien und 1964 mit der Türkei zustande (Lindo, 1996). Die schlechten Arbeitsperspektiven in den Herkunftsländern bewogen vor allem junge Männer zur Migration, wobei die Wahl des Ziellandes eher zufällig war. Generell hatten die Arbeitsmigranten daher nur ein niedriges Ausbildungsniveau. Sowohl im Zielland als auch unter den Arbeitsmigranten selbst bestand zunächst die Vorstellung eines befristeten Aufenthaltes und einer baldigen Rückkehr in das Heimatland. Tatsächlich kehrten zwischen 1960 und 1970 60 % der Gastarbeiter in ihre Herkunftsländer zurück (Cornelis, 1990). Mit dem Anwerbestop Mitte der 70er Jahre war es für Türken, Marokkaner und bis zu den Freizügigkeitsregelungen der EG auch für Spanier, Portugiesen und Italiener generell nur auf dem Wege des Familiennachzugs möglich, in die Niederlande einzuwandern. Ausnahmen gelten für politische Flüchtlinge oder Inhaber eines Studienvisums, das aber keine Arbeitserlaubnis beinhaltet und nicht die Bewerbung um ein niederländisches Stipendium ermöglicht (Dagevos & Veenman, 1992). Der Bevölkerungsanteil der Südeuropäer konsolidierte sich in den 70er Jahren, während die türkische Bevölkerung aufgrund der Familienzusammenführung weiter wuchs (Lindo, 1996). Inzwischen sinkt der Anteil der Italiener und Spanier sogar, obwohl sie als EU-Angehörige freien Zugang in die Niederlande haben. Die Anzahl der Türken und Marokkaner hat sich hingegen von 30000 respektive 22000 im Jahre 1972 auf 280000 bzw. 233000 in 1997 fast verzehnfacht (Tesser et al., 1998). Aufgrund der Tatsache, daß noch stets türkische und marokkanische Heiratskandidaten in die Niederlande geholt werden, bleibt ein Teil der Eltern dauerhaft erste Generation (Jungbluth, 1994 a). Mit der Veränderung der Bedürfnisse des Arbeitsmarktes und einer strukturellen Verschiebung in den Dienstleistungssektor wurden viele der in der Industrie tätigen Arbeitsmigranten arbeitslos. In den 80er Jahren betraf dies 20% der iberischen und 40 % der türkischen und marokkanischen Arbeiter (Lindo, 1996). Zwar ist die Arbeitslosigkeit insgesamt auch unter den Minderheiten wegen der günstigen ökonomischen Entwicklung inzwischen zurückgegangen, aber unter den Türken und Marokkanern mit 20 % im Jahre 1998 noch bis zu sieben Mal höher als unter der autochthonen Bevölkerung (durchschnittlich 3 %). Besonders besorgniserregend ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit unter den ethnischen Minderheiten. Sie liegt beispielsweise bei den marokkanischen 15 bis 24Jährigen bei fast 30 % (Tesser et al., 1999). Eine Rolle spielt hierbei auch das erreichte Ausbildungsniveau. Wesentlich ist daher, zu untersuchen, welche Chancen das niederländische Bildungssystem den unterschiedlichen ethnischen Minderheiten eröffnet, unter welchen Bedingungen die Kinder das Schulwesen durchlaufen und welche Möglichkeiten es den einzelnen Schulen bietet. 3. Strukturen und Bedingungen des niederländischen Bildungswesens Im folgenden soll auf besondere Bedingungen des niederländischen Bildungswesens eingegangen werden, die Bedeutung für die Situation ethnischer Minderheiten haben. Das sind auf der einen Seite allgemeine Strukturen des Schulwesens, die auch Auswirkungen auf allochthone Schüler haben und andererseits spezielle Maßnahmen und Vorkehrungen, die als Reaktion auf die Anwesenheit von Migranten entstanden sind. Die Darstellung beschränkt sich dabei auf den Primar- und Sekundarschulbereich, die Zeit also, die alle Kinder in niederländischen Schulen verbringen. 3.1 Freiheit des Unterrichts Das wesentliche Charakteristikum des niederländischen Schulwesens ist die Freiheit des Unterrichts und beinhaltet die "vrijheid in stichting, richting und inrichting" (Gründung, Richtung und Einrichtung) von Schulen. Sie wurde 1917 in Artikel 23 der niederländischen Verfassung festgeschrieben und beendete einen seit Mitte des 19. Jahrhunderts währenden Streit zwischen den verschiedenen Konfessionen und dem Staat, um das Recht auf Gründung und Unterhaltung eigener Schulen. Diese, aus den historischen Bedingungen des Ausgleichs zwischen widerstreitenden Kräften gewachsene Situation hat als Ergebnis eine Bildungslandschaft, die zu zwei Dritteln aus privaten (bijzonderen) und nur einem Drittel öffentlichen Schulen besteht (Skiera. 1991). Dabei kommt der Staat gleichmäßig für die Finanzierung aller Schulen auf. Das ist einzigartig in Europa (Dronkers, 1995). Obwohl das niederländische Schulwesen zu 100 Prozent vom Staat finanziert wird, hat dieser nicht die Befugnis, sich in Inhalte, pädagogische oder organisatorische Formen der privaten Schulen einzumischen. Wegen dieses ausgeprägten Privatschulwesens kann die niederländische Regierung nur unter großen Schwierigkeiten Bildungsreformen in die Wege leiten und eine konstruktive Schulpolitik durchführen. So muß der Staat bei gewünschten Erneuerungen vor allem gegenüber den Privatschulen in Fragen der Inhalte und Methoden im Unterricht äußerste Zurückhaltung üben und die Balance zwischen Anregung und Eingriff in die Schulfreiheit wahren (Kroon & Sturm, 1994). Weitreichende Änderungen können nur unter Beteiligung der verschiedenen Schulträger und einem unter diesen ausgehandelten Konsens erreicht werden. So gab es 1994 alleine 6300 verschiedene Schulträger (Karsten, 1994). Schon die Reform der Basisschule hat aus diesem Grund mehr als zehn Jahre bis zu ihrer gesetzlichen Umsetzung gebraucht (Lumer-Henneböhle & Nyssen, 1988). Reformen werden deshalb zunächst häufig an einzelnen öffentlichen Schulen als Pilotprojekte eingeführt und "ausprobiert". Politische Absichtserklärungen können aufgrund dieser eingeschränkten zentralen Realisierungsmöglichkeiten bloße Rhethorik bleiben oder sehr lange bis zu ihrer Verwirklichung brauchen. Zwischen bildungspolitischen Programmen und der Umsetzung an den Schulen besteht daher eine beträchtliche Kluft, sie sind eigentlich eher als Anregungen zu verstehen. Zudem hat die Gemeinde als Träger der öffentlichen Schulen aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen finanziellen Gleichstellung privater und öffentlicher Schulen Schwierigkeiten, besonders förderungswüdige Reformprojekte mit zusätzlichen Finanzmitteln zu unterstützen. Denn dies würde die Verpflichtung beinhalten, allen anderen Schulen ebensolche Zuwendungen zugute kommen zu lassen (Karsten, 1994). Eine Folge dieser gesetzlich verankerten Zurückhaltung des Staates ist aber auch, daß die Lösung inhaltlicher und organisatorischer Probleme zum Beispiel im Zusammenhang mit der Aufnahme allochthoner Kinder weitgehend den Schulen selbst überlassen ist. Dafür stehen diesen bei entsprechender Schülerpopulation (siehe Kap. 3.4) zusätzliche personelle Mittel zur Verfügung. Daneben können Schulen in den Niederlanden, auch zur Umsetzung pädagogischer Reformen, auf ein Netzwerk von Einrichtungen zurückgreifen, wie die Schulbegleitungsdienste, Institute für Curriculum- und Testentwicklung, pädagogische Zentren und Institutionen zur Weiterbildung von Lehrern. Auch diese sollen die Reformfähigkeit des Schulwesens verbessern. Die Schulbegleitungsdienste sind regional ansässige Dienstleister für Schulen. Sie bestehen aus einer Reihe von Fachkräften, die von der Schule z. B. bei der Durchführung von Reformen, zur Förderung einzelner Schüler oder zur Unterstützung bei der internen Evaluation angefordert werden können (Lumer-Henneböhle & Nyssen, 1988). Den nationalen Instituten für Curriculum- (stichting voor de leerplanontwikkeling) und Testentwicklung (centraal instituut voor toetsontwikkeling - CITO) kommt besondere Bedeutung für die Vereinheitlichung schulischer Inhalte und Anforderungsniveaus zu. Zwar können die Schulen Lehrmittel, Unterrichtsmaterialien und -inhalte vor allem in der Basisschule vorwiegend selbst bestimmen, doch sind sie gerade bei relativ neuen Fächern, wie Technik und Versorgung im Rahmen der "basisvorming" (siehe 3.5) oder interkulturellem Unterricht auf curriculare Vorschläge angewiesen. Auch der landesweite Test am Ende der Basisschule (siehe 3.1.2) und Tests zur Überprüfung der Kenntnisse in den Pflichtbereichen der basisvorming wurden vom CITO entwickelt . Die Pädagogischen Zentren stellen die Vermittlungsebene zwischen Wissenschaft und Schulpraxis dar. Sie setzen erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse und bildungspolitische Vorgaben in schulpraktische Vorschläge um (ebda). Diese Institutionen haben sich aber offenbar erst langsam auf die Anwesenheit ausländischer Kinder eingestellt. Im Jahr 1984 mangelte es beispielsweise immer noch an den elementarsten Voraussetzungen, wie angepaßten Lehrmethoden, Tests und ausreichenden Kenntnissen bei den Lehrkräften, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt bereits 10 Jahre lang Migrantenkinder in bedeutendem Umfang an niederländischen Schulen befanden (Appelhof, 1984). Wenn man die jüngsten bildungspolitischen Empfehlungen (MOCW, 2000) zu Rate zieht, scheinen die inzwischen vorhandenen Angebote an Methoden, Materialien und Fortbildungen, wie auch Driessen (2000) feststellt, im konkreten Schulalltag auch heute noch nicht gegriffen zu haben. 3.1.1 Schulgründungsfreiheit Diese grundgesetzlich verankerte Unterrichtsfreiheit bedeutet in der Praxis, daß das Recht zur Gründung einer Schule basierend auf einer bestimmten Weltanschauung nicht verwehrt werden kann, sofern die Grundbedingungen hinsichtlich der Schülerzahl, der Lehrerqualifikation, der Einrichtung etc. den allgemeinen Normen entsprechend erfüllt sind. Der Staat hat diese dann mit den gleichen finanziellen Mitteln wie die anderen Schulen auszustatten. Generell muß eine Schule mindestens 200 Schüler vorweisen, um Anspruch auf öffentliche Fördermittel zu haben. Die ideologische Orientierung ist dabei seit kurzem allein eine Angelegenheit der Schulleitung und der Eltern (MOCW, 1996, 12). Auch ethnische Minderheiten können also eigene Schulen, bei vollständiger Finanzierung durch den niederländischen Staat, gründen und haben seit 1988 von diesem Recht Gebrauch gemacht (siehe Kap. 4.1). So gibt es in den Niederlanden außer den katholischen und protestantischen Privatschulen, auch Basisschulen in jüdischer, muslimischer oder hinduistischer Trägerschaft. Daneben bestehen weltanschaulich neutrale Privatschulen, die sich einer speziellen pädagogischen Richtung verschrieben haben, wie die Freien Schulen (nach der Lehre Rudolf Steiners), Montessori-Schulen oder Schulen nach dem Jenaplan. Auch manche öffentliche oder christliche Privatschule arbeitet nach reformpädagogischen Modellen, die Trägerschaft alleine sagt also noch nichts über das pädagogische Profil einer Schule aus. Der Anspruch auf eigene Schulen kann sich nirgends auf eine so starke formell wie materiell gewährte Basis stützen, wie in den Niederlanden (Kroon & Sturm, 1994). Dabei ergibt sich aufgrund der gleichen Finanzierung keine Hierarchie zwischen privaten und öffentlichen Schulen (Dronkers, 1995). Fase (1993) beurteilt daher die niederländische als die radikalste Lösung für Pluralismus in der Erziehung. 3.1.2 pädagogische und inhaltliche Profilierung Aufgrund der nur groben staatlichen Vorgaben bezüglich der Fächer und Stundenanteile und der fehlenden Bestimmungen über Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien hat jede Schule unabhängig von ihrer Trägerschaft das Recht und die Pflicht, ein eigenes Profil zu entwickeln. Unterschieden werden muß dabei zwischen Basisschulen und Sekundarschulen. Die Basisschule ist angehalten, ihr gewähltes Profil mit seinen Zielen, Inhalten und pädagogischen Methoden im sogenannten "Schularbeitsplan" (schoolwerkplan) detailliert zu dokumentieren. Auf dieser Grundlage kann intern und extern evaluiert werden (Lumer-Henneböhle & Nyssen, 1988). Dies bietet der Schule die Möglichkeit, ihre eigene Qualität zu überprüfen und dementsprechende Veränderungen vorzunehmen. So kann das Schulprogramm auf die besonderen Bedürfnisse der Klientel abgestimmt und können die gesetzlichen Vorgaben in ihrem Interesse umgesetzt werden. Auch der Einsatz zusätzlicher Lehrerstunden, den die Schule zum Beispiel aufgrund eines hohen Anteils an Minderheitenkindern zugemessen bekommt (siehe Kap. 3.4), muß im Schularbeitsplan festgelegt werden. Dort wird ebenfalls die Art des Elternkontaktes und der Elternmitwirkung dargelegt. Der Schularbeitsplan stellt also ein indirektes Mittel staatlicher Steuerung und öffentlicher Transparenz dar (Kroon & Sturm, 1994). Gegenüber der Schulaufsicht ist er als Rechenschaftsbericht zu verstehen (Liket, 1993 b). Im konkreten Schulalltag kann man jedoch feststellen, daß der Schularbeitsplan, einmal aufgestellt, nur wenigen Veränderungen und Anpassungen an die aktuelle Lage unterworfen ist. Die dort festgelegten Ziele und Maßnahmen entsprechen daher häufig nicht mehr der durchaus veränderten Praxis (siehe bspw. Kroon & Sturm, 1994). In der Basisschule wird die inhaltliche Freiheit nur durch national entwickelte (CITO-) Tests im letzten Schuljahr eingeschränkt. Die Teilnahme daran ist für die Grundschulen zwar nicht verpflichtend, jedoch benötigen Kinder für den Zugang zu einer höheren Sekundarschule neben einer entsprechenden Empfehlung auch ein durch den Test nachgewiesenes Leistungsniveau in Sprache, Rechnen und Informationsverarbeitung. Der Test gibt daher implizit ein Anforderungsniveau für Kenntnisse in den getesteten Fächern vor. Manche Basisschulen, vor allem solche mit einem hohen Anteil an allochthonen und Arbeiterkindern, nehmen allerdings nicht an dem CITO-Test teil. Man kann daraus schließen, daß sie die dafür notwendigen Inhalte gar nicht anbieten (Jungbluth, 1994a). Der curriculare Spielraum der Basisschulen scheint aber insgesamt nicht die gewünschten Erfolge zu zeitigen, sodaß die Regierung erwägt, durch verbindliche Richtziele ihren Einfluß auf den Unterricht zu verstärken. Der Schularbeitsplan reicht als Mittel der Innovation und Kontrolle offenbar nicht aus (Kroon & Sturm, 1994). In der Sekundarschule ist dagegen seit 1993 mit Einführung der "basisvorming", einer curricularen Fächervorgabe mit festgelegten Kernzielen, die 80% der Zeit in den ersten Jahren der Sekundarstufe für alle Schulen bestimmt (siehe dazu genauer auch Kap. 3.5), eine inhaltliche Vereinheitlichung verwirklicht worden. Auch die staatlichen Abschlußprüfungen am Ende der Sekundarschule, die neben der schuleigenen Prüfung abgenommen werden, stellen eine Form der Lenkung und Qualitätskontrolle dar. Das Profil der Schulen ist der Öffentlichkeit zugänglich und bildet die Basis für Vergleiche zwischen Schulen und die letztendliche Wahl der gewünschten Schule für das eigene Kind. Die Schulen sind verpflichtet, einen Schulführer herauszugeben, aus dem für die Eltern u.a. die Wahl der Lehrmittel sowie die erzielten Unterrichtsergebnisse ersichtlich sind (MOCW, 1998, 2). Inzwischen werden sogenannte "Qualitätskarten" der Schulen erstellt, die deren diesbezüglichen Resultate beinhalten. Sie sind in einem von der Schulinspektion erstellten Qualitätsleitfaden veröffentlicht und sogar im Internet zugänglich (www.owinsp.nl). Den Eltern ermöglichen sie einen Qualitätsvergleich zwischen den für ihre Kinder geeigneten weiterführenden Schulen (MOCW, 1998, 10). Allerdings kann sich durch die Veröffentlichung der Schülerleistungen die Position von benachteiligten Kindern, dazu zählen auch die Minderheiten, verschlechtern und diese Praxis die ethnische Segrgation fördern (Driessen, 2000). Die Verantwortung für die Qualität der Leistungen liegt somit sehr stark bei der einzelnen Schule, sie muß sich mit ihren Ergebnissen dem Markt stellen. Dabei sind jedoch nur die kognitiven Leistungen der Schüler berücksichtigt, während andere Fähigkeiten der Kinder wie soziale Kompetenzen nicht meß- und darstellbar sind. Daneben sind das "Klima" der Schule, besondere Schwerpunkte und Angebote, sowie die Zusammensetzung der Schüler- und Lehrerschaft weitere Bedingungen, die die Beurteilung und Wahl einer Schule beeinflussen können. 3.1.3 freie Wahl der Schule Aus der vielfältigen Bildungslandschaft können sich Eltern eine Schule für ihr Kind aussuchen. Sie sind nicht verpflichtet, die Schule in ihrem Wohnbezirk zu wählen. Aber auch die Privatschulen selbst können die Zulassung der Kinder an bestimmte Bedingungen, z.B. Konfessionalität knüpfen. Die Zulassungspolitik muß dabei aber konsequent sein. So dürfen z. B. katholische Schulen nicht islamischen Kindern den Zugang aus religiösen Gründen verwehren, wenn sie daneben protestantische Kinder aufnehmen. Die starke Berücksichtigung des Elternwillens findet seine Entsprechung in der gewünschten Beteiligung von Eltern im "medezeggenschapsraad" (Mitbestimmungsrat) und "ouderraad" (Elternrat) der Schule. Ethnische Minderheiten sind hier bisher kaum vertreten, so daß ihre Vorstellungen selten Gehör finden können (Rutten, 1996). Eine Folge der freien Schulwahl in den Niederlanden ist der sogenannte "white flight", worunter die Meidung von Schulen mit vielen allochthonen Kindern durch autochthone niederländische Eltern verstanden wird. Nach Angabe vieler Schulleitungen geschieht dies vor allem dann, wenn der Anteil an Minderheitenkindern die 50 - 60 Prozentmarke überschreitet (Karsten, 1994). Diese Tendenz verstärkt die Gefahr einer ethnischen Segregation der Schüler unterschiedlicher Herkunft und mündet vor allem in den großen Städten im Entstehen von sogenannten "schwarzen" und "weißen" Schulen. Neben ethnischen bestimmen vorwiegend soziale Präferenzen die Schulwahl der Eltern (Fase, 1993). Wegen des meist niedrigen Sozialstatus ethnischer Minderheiten läßt sich hieraus ein Grund für ihre Konzentration an bestimmten Schulen ablesen und erklärt, warum die niederländischen Kinder auf "schwarzen" Schulen größtenteils auch aus sozial benachteiligten Verhältnissen kommen. Die schulischen und sozialen Folgen dieser segregativen Tendenzen im niederländischen Bildungswesen sind umstritten. Sie erlangten Mitte der achtziger Jahre sogar große öffentliche Aufmerksamkeit und Besorgnis, inzwischen aber gehören sie nicht mehr zu den "brennenden" Themen der niederländischen Bildungspolitik. Dennoch werden die Segregation ethnischer Minderheiten, ihre Ursachen und Folgen sowie mögliche Gegenmaßnahmen wegen ihrer zentralen Bedeutung für das niederländische Schulwesen in Kapitel 4 genauer dargestellt, analysiert und diskutiert. Die Freiheit der Schulwahl wird aber im Hinblick auf ihre Konsequenzen für ethnische Minderheiten nicht nur negativ bewertet. Sie wird gerade als Möglichkeit einer Verbesserung der Schulqualität gesehen (Ritzen et al., 1997), die in der Folge auch das Ausbildungsniveau von Migrantenkindern erhöhen kann. Weiterhin wird der Zugang zu gleichen Bildungschancen durch die freie Schulwahl gewährleistet (Rutten, 1996). 3.2 interkultureller Unterricht Seit 1985 ist interkultureller Unterricht (intercultureel onderwijs) im Basisschulgesetz verankert und seit 1988 auch auf die weiterführenden Schulen ausgedehnt worden. Hierbei ist nicht definiert, was genau unter interkulturellem Unterricht zu verstehen oder wie dieser unterrichtspraktisch zu füllen ist. Jede Schule kann diesem demnach eine eigene Form verleihen. Als gesetzliche Ausführung findet sich nur der Hinweis, daß davon ausgegangen wird, daß die Kinder (in den Niederlanden) in einer multikulturellen Gesellschaft aufwachsen und der Unterricht dieser Bedingung Rechnung zu tragen hat (Lumer-Henneböhle & Nyssen, 1988). "Intercultureel onderwijs" ist also kein neues Fach, sondern eine gesetzliche Regelung, die den gesamten Unterricht durchziehen soll. Er ist als Reaktion auf die Anwesenheit "anderer" Kulturen in der niederländischen Gesellschaft entstanden, aber keine Maßnahme speziell für Migrantenschüler. Als Adressaten des interkulturellen Unterrichts sind somit alle Kinder und nicht nur die mit einer anderen als "der niederländischen Kultur" gemeint. In den entsprechenden bildungspolitischen Veröffentlichungen des Ministeriums werden als Zielsetzungen der interkulturellen Erziehung folgende formuliert: Erleichterung der Integration von ausländischen Schüler in die niederländische Gesellschaft, das Kennenlernen verschiedener Kulturen, der Abbau von Vorurteilen und die Förderung des gegenseitigen Verständnisses und der Toleranz (MOCW, 1991, 7). In der Praxis zeigt sich eine große Bandbreite von unterschiedlichen Unterrichtszugängen zu diesem Thema, entgegen der bildungspolitischen Intention sind diese häufig beschränkt auf die allochthonen Schüler. Es überwiegt in der schulischen Umsetzung ein interkultureller Unterricht, der durch die Information über Kulturunterschiede Vorurteile abbauen will (Leiprecht & Lutz, 1996). Eine solche, vorwiegend kulturalistische Ausrichtung, bei der z.B. über bestimmte Gewohnheiten bei der "anderen Kultur" berichtet wird, kann dabei sogar stereotype Vorstellungen erst fördern und die Sichtweise auf ethnische Minderheiten einseitig reduzieren. Aber auch Antirassismusaktivitäten werden in diesem Rahmen an den Schulen durchgeführt. Einen besondern Weg ist die Stadt Den Haag gegangen. In einer Arbeitsgruppe aus Lehrern, Eltern, Schülern und Vertretern verschiedener Initiativen wurde für die Schulen in Anlehnung an das niederländische Grundgesetz ein Anti-Diskriminierungsartikel entworfen, der Eingang in die einzelnen Schulverfassungen finden soll. Er umfaßt neben Umgangsformen auch Empfehlungen über Unterrichtsziele und ist für die konkrete Ausgestaltung in den Schulen offen. Allein die hierdurch angestoßene Auseinandersetzung über gemeinsame Werte und die Diskussion über Diskriminierung an der eigenen Schule kann zum Aufbau eines entsprechenden Schulklimas beitragen (Dijk, 1993). Auch Özgüzel (1992) schlägt deshalb als Ziel des interkulturellen Unterrichts vor, ein besseres Schulklima zu kreieren, in dem sich jeder Schüler ungeachtet seiner Herkunft gleichwertig, sicher und "zu Hause" fühlen kann. Nur 20 Prozent von 500 untersuchten Basisschulen seien aber mit dieser Aufgabe bewußt beschäftigt. Nach Fase (1993) hat nur die Hälfte aller Schulen Maßnahmen in Richtung interkultureller oder anti-rassistischer Erziehung unternommen, von der Suche nach ethnozentrischen Lehrmaterialien bis hin zur Ausarbeitung spezieller Themen in Zusammenhang mit Migration und Minoritäten. Insgesamt ermöglicht also die Freiheit des Unterrichts die Einführung aber auch Abwehr neuer interkultureller Konzepte (Leiprecht & Lutz, 1996). Trotzdem hat der interkulturelle Unterricht in den Niederlanden nach der Wertung von Driessen (2000) nur ein schwaches Profil entwickelt. 3.3 Unterricht in eigener Sprache und Kultur (OETC) und Niederländisch als Zweitsprache (NT2) Der Unterricht in eigener Sprache und Kultur (OETC - onderwijs in eigen taal en cultuur), neuerdings OALT (onderwijs in levende allochthone talen - Unterricht in lebenden allochthonen Sprachen) und Niederländisch als Zweitsprache (NT2 - Nederlands als tweede taal) sind speziell als Reaktion auf die Anwesenheit anderssprachiger Migranten in den Niederlanden entstanden. Seit dem Schuljahr 1974/75 eröffnete das Bildungsministerium den Schulen die Möglichkeit, OETC innerhalb der Schulzeit durch ausländische Unterrichtsassistenten anzubieten. Diese Chance wurde vor allem von türkischen und marokkanischen Arbeitsmigranten ergriffen. Auf eigene Initiative ethnischer Minderheiten wurde daneben auch außerschulischer Unterricht in den Muttersprachen organisiert, noch bevor sich die offizielle Politik damit befaßte (Kroon & Vallen, 1992). Zunächst wurde mit dem schulischen Unterricht in der Herkunftssprache der Kinder deren mögliche Rückkehr und Wiedereingliederung in das heimische Schulwesen verfolgt. Als 1980 von der niederländischen Regierung die stark rückkehrorientierte Politik verlassen und die permanente Anwesenheit unterschiedlicher ethnischer und damit auch sprachlicher Minderheiten in den Níederlanden anerkannt wurde, änderte sich die Zielsetzung der Bildungspolitik auch im Hinblick auf den Sprachunterricht (Rutten, 1996). Dieser verfolgte jetzt mehr das Ziel, die eigene kulturelle Identität der Minderheiten zu bewahren und das Selbstbewußtsein der Kinder zu fördern. Seit 1985 ist OETC im Basisschulgesetz verankert. Es räumt bestimmten Minderheitengruppen das Recht auf Unterricht in der eigenen Sprache und Kultur in einem Umfang von maximal 2,5 Unterrichtsstunden wöchentlich innerhalb der regulären Unterrichtszeit ein, dafür versäumen die Schüler ein anderes Fach. Zusätzlich können 2,5 Stunden außerhalb der normalen Stundentafel gegeben werden, diese Möglichkeit wird von den Schulen jedoch selten genutzt (Kroon & Vallen, 1992). Allerdings wird OETC nur auf ausdrücklichen Wunsch und Antrag der Eltern in den Basisschulen angeboten. Die Mindestteilnehmerzahl beläuft sich dabei auf 8 Schüler je Schule und Sprache. 1985 nahmen an diesem Unterricht 46000 Schüler, vor allem Kinder ausländischer Arbeitnehmer teil. Ihr Anteil hatte sich bis 1990 bereits auf 61000 erhöht, darunter sind aber auch ca. 1700 molukkische Kinder, die noch in ihrer malaiischen Muttersprache unterrichtet werden (MOCW; 1991,7). Im Jahr 1991 wurde insgesamt nur an 20 Prozent der Basisschulen überhaupt OETC angeboten, das waren ca. 1250 Basisschulen. In den verschiedenen Sprachgruppen nahmen zwischen 63 und 83 Prozent der Schüler am Muttersprachunterricht teil, vor allem türkische und marokkanische Kinder (Fase, 1993). Seit 1987 ist OETC auch im weiterführenden Unterricht gesetzlich geregelt. Die durchschnittlich 2 bis 4 Stunden pro Woche können als Unterrichtsfach zusätzlich oder anstelle anderer Unterrichtsstunden genommen werden. Arabisch und Türkisch können seitdem auch als Examensfächer im LBO und MAVO gewählt werden. Insgesamt boten diese Möglichkeit 1991 110 Schulen an, sie wurde von je ca. 3500 Schülern wahrgenommen. Auch entsprechend qualifizierte Dozenten werden seit 1984 ausgebildet (Özgüzel, 1992). Trotz oder gerade wegen der gesetzlichen Regelung des Sprachunterrichtes ist die Frage, welche Sprachen für OETC in Frage kommen, sehr vielschichtig. Generell wird Unterricht nur in den offiziellen Landessprachen der Herkunftsländer und Zielgruppen der niederländischen Minderheitenpolitik erteilt. Das sind aber nicht unbedingt auch die Muttersprachen der Kinder, z.B. bei Kurden aus der Türkei oder Berbern aus Marokko. Ausnahmen gelten zudem für die molukkischen Kinder, die in malaiisch statt indonesisch (Bahasa) unterrichtet werden und für die türkischen Armenier, die Armenischunterricht erhalten (Kroon & Vallen, 1992). Dagegen finden die indigenen Sprachen der unterschiedlichen surinamischen Bevölkerungsgruppen, Sranan Tongo, Sarnami, Hindi überhaupt keine Berücksichtigung, da das Niederländische aufgrund der kolonialen Vergangenheit Surinams dort offizielle Staatssprache ist (Karsten & Leeman, 1988). Auch die niederländischen Antillen gehören daher nicht zu den Zielgruppen des OETC (MOCW, 1991, 7). Dort wird aber neben Niederländisch auch Papiamentu gesprochen (Extra, 1991). Chinesische Kinder sind wegen des fehlenden Minderheitenstatus der relativ großen Gruppe chinesischstämmiger Einwanderer von der Möglichkeit ausgeschlossen, OETC in ihrer Schule vermittelt zu bekommen (ebda). Anerkannte Flüchtlinge hingegen können unabhängig von ihrem Herkunftsland, Unterricht in ihrer Muttersprache im Rahmen des OETC beanspruchen. Auch Angehörige der anderen EU- Mitgliedsstaaten haben aufgrund der europäischen Vereinbarungen Anrecht auf Unterricht in der eigenen Sprache (MOCW, 1991, 7). Der Unterricht in den Herkunftssprachen ethnischer Minderheiten richtet sich ausschließlich an die ausländischen Schüler, für autochthone niederländische Kinder sind als Fremdsprachen nur die der europäischen Hegemonialmächte Englisch, Französisch und Deutsch vorgesehen. Sie können also von den Sprachkenntnissen der Mitschüler aus ethnischen Minderheiten nicht profitieren. Der Nutzen von OETC ist stark umstritten, er stand daher von Anfang an stark unter Druck (Leiprecht & Lutz, 1996). Diskutiert wird auf der einen Seite der positive Einfluß von Unterricht in der Muttersprache auf die Schullaufbahn allochthoner Kinder, auf der anderen Seite wird die Befürchtung geäußert, daß die Teilnahme an OETC zu Lasten des Erlernens der niederländischen Sprache gehe (Özgüzel, 1992; Kroon & Vallen, 1992; Driessen, 1990). Sogar ein Abschaffen dieses Unterrichts wurde daher schon erwogen. Vor allem der Wissenschaftsrat für Regierungspolitik plädierte 1989 für eine Intensivierung des Zweitsprachenunterrichts in Niederländisch (NT2) auf Kosten des Minderheitensprachunterrichts (OETC). Dem Kultur- und Spracherhalt maß er dagegen keine besondere Bedeutung bei (Kroon & Vallen, 1994). Inzwischen wird OETC daher nur noch außerhalb der regulären Unterrichtszeit angeboten (Leiprecht & Lutz, 1996; Driessen, 2000). Die negative Bewertung der Minderheitensprachen hängt nach der Auffassung von Kroon & Vallen (1992) mit dem eher niedrigen Sozialstatus der Sprecher zusammen. Grundsätzlich werde Mehrsprachigkeit in den Niederlanden nämlich sehr positiv, als bereichernd und vorteilhaft bewertet. Dagegen würden die Muttersprachen der statusarmen Immigrantengruppen als Handicap für das Erlernen des Niederländischen betrachtet und selten in ihrem Eigenwert erkannt. Extra (1991) erklärt die allgemein negative Haltung gegenüber dem Erlernen der Muttersprache ethnischer Minderheiten damit, daß Sprache keinen Kern der kulturellen Identität von Niederländern darstelle. Er macht das daran fest, daß Niederländer selbst in der Emigration innerhalb einer Generation ihre Muttersprache aufgeben würden. Festzuhalten ist, daß der OETC, und hier vor allem außerschulisch angebotener, die Sprachfertigkeit in der eigenen Sprache verbessert, während die niederländischen Sprach- und Rechenleistungen davon nicht betroffen sind (Driessen, 1990). Die Teilnahme an OETC hat also weder positive noch negative Bedeutung für die Leistungen in den anderen Unterrichtsfächern. Allochthone Eltern messen dem Unterricht in eigener Sprache und Kultur jedoch hohen Wert bei. Der Umfang des von der Schule angebotenen Unterrichts reicht ihnen häufig nicht aus, sodaß gerade für das Erlernen des Arabischen marokkanische Eltern ihre Kinder zusätzlich auf Koranschulen schicken (siehe bspw. Pels, 1991). Lehrer für OETC stellen in den Schulen meistens die einzigen Personen mit demselben ethnischen Hintergrund wie die allochthonen Schüler dar. Zwar bemühen sich pädagogische Akademien verstärkt, allochthone Erwachsene für den Schuldienst zu gewinnen, wie über besondere Projekte, die eine zweijährige Ausbildung zum Grundschullehrer für Allochthone mit abgeschlossener höherer Berufsausbildung anbieten (Özgüzel, 1992), doch machen diese bisher nur einen sehr geringen Teil der Lehrerschaft aus. Auch die Regierung will den Migrantenanteil an Lehrern der Primar- und Sekundarschulen, sowie Unterrichtsassistenten und sonstigem Schulpersonal durch Werbemaßnahmen und großzügige Anerkennung ausländischer Lehrbefähigungsnachweise erhöhen (MOCW; 1999, 2). Diese könnten einen wichtigen Part und eine intermediäre Funktion im Kollegium übernehmen, da sie eher über den kulturellen Hintergrund und das Verständnis für die Belange allochthoner Schüler und Eltern verfügen. Allerdings nehmen viele OETC-Lehrer in der Schule eine isolierte Position ein (Özgüzel, 1992). Der OETC-Unterricht spielt innerhalb des gesamten Curriculums nur eine marginale Rolle und genießt insgesamt ein geringes Ansehen, sodaß diese Lehrer von ihren Kollegen nicht als vollwertige Teammitglieder anerkannt werden. Zudem sind sie wegen der geringen Stundenzahl nur in Teilzeit und daher an mehreren Schulen gleichzeitig tätig, was die Kommunikation unter Kollegen und die Einbindung in die Schule erschwert. Auf der anderen Seite wird der OETC - Lehrer als "Experte" für ethnische Minderheiten für allerlei Probleme mit allochthonen Eltern und Schülern neben seinem Unterricht herangezogen. Da häufig die Notwendigkeit eines solchen Ansprechpartners an den Schulen besteht, werden für diese Funktion mancherorts sogenannte "Schulkontaktpersonen" aus den Reihen der Migranten selbst eingestellt (Gelauff-Hanzon & Bouwer, 1996). Die Initiative ging hierfür 1982 von der Gemeinde Den Haag aus (Erp, 1997). Die Sprache des Herkunftslandes findet nicht nur im OETC Berücksichtigung. Sie kann vor allem in Aufnahmeklassen auch als Unterrichtssprache oder Hilfssprache im Unterricht eingesetzt werden, um den Anschluß an den niederländischen Unterricht zu erleichtern (Lumer-Henneböhle & Nyssen, 1988). In den siebziger Jahren und bis Mitte der achtziger Jahre existierten für Seiteneinsteiger in die niederländischen Schulen die sogenannten "internationalen schakel-klassen", in denen neben Niederländisch (ca. 8 bis 12 Stunden pro Woche) auch die übrigen Fächer unterrichtet wurden. Gleichzeitig wurde eine sozialpädagogische Begleitung der Neuankömmlinge angeboten. Maximal 2 Jahre durften allochthone Schüler in diesen Klassen verweilen, anschließend sollten sie am regulären Unterricht teilnehmen. Der Übergang gestaltete sich jedoch oft schwierig, sodaß nun von der Regierung eine rasche Aufnahme in den regulären Klassen mit zusätzlichen (separaten) Stunden in niederländischer Sprache (NT2) bevorzugt wird (Özgüzel, 1992). Neue ausländische Schüler sollen nun maximal 1 Jahr am sogenannten Integrationsunterricht teilnehmen, in dem sie von speziell ausgebildeten Lehrern in Niederländisch unterrichtet werden. Die Formen separater Einrichtungen für allochthone Schüler haben inzwischen an Bedeutung verloren, da der Anteil der Seiteneinsteiger in das niederländische Schulwesen erheblich zurückgegeangen ist. Allerdings könnte sich dieser Trend durch den Zuwachs an Asylbewerbern und Flüchtlingen (siehe Tesser et al., 1999) wieder umkehren. Zweisprachige Modelle, bei denen allochthone Kinder in den ersten Grundschuljahren in ihrer Erstsprache unterrichtet werden, wurden in den Niederlanden bisher kaum verwirklicht (Driessen, 2000), obwohl sich gezeigt hat, daß dies positiven Effekt für das Erlernen der Zweitsprache, die Leistungen in anderen Fächern und das Wohlbefinden der Schüler haben kann (Kroon & Vallen, 1992). Fase (1993) schreibt den Vorzug von NT2 vor bilingualen Modellen den Kosten und der schwierigen Realisierungsmöglichkeit in multi-lingualen Klassen zu. Durch speziellen Unterricht in Niederländisch als Zweitsprache (NT2) soll auf die besonderen Bedingungen beim Erwerb des Niederländischen als Fremdsprache eingegangen werden. Man versucht hierdurch sprachliche Defizite und häufig daraus resultierende Wissensrückstände bei den ethnischen Minderheiten abzubauen und damit ihre Bildungsposition zu verbessern. Die Beherrschung der Sprache des Immigrationslandes ist notwendige (aber nicht unbedingt hinreichende) Voraussetzung für Erfolg in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt, sowie für die gesellschaftliche Integration (Kroon & Vallen, 1992). Obwohl das niederländische Bildungsministerium bereits 1980 gerade NT2-Unterricht als zentralen Faktor der Bildungspolitik gegenüber ethnischen Minderheiten bewertet hat, wurde dieser bisher nicht Gegenstand gesetzlicher Regelungen. Die Schule kann diesem Unterricht daher nur aufgrund der durch eine allochthone Schülerschaft allgemein höher bemessenen Lehrerstunden (sieh Kap. 3.4) einen gewissen Umfang einräumen. Seine Qualität hängt dabei stark von der Qualifizierung der Lehrer und der Verfügbarkeit guter Lehrmittel ab. Wie die Regierung selbst 1988 in einer Notiz zu NT2 feststellte, waren diese Voraussetzungen aber noch sehr unzureichend. Auch die fehlende nationale Koordination wurde bemängelt. Daraufhin wurden für 5 Jahre jährlich 5 Millionen Gulden zur Entwicklung und Implementierung von Materialien, Weiterqualifikation von Lehrern und wissenschaftlichen Evaluation der Effektivität dieser Maßnahmen in der konkreten Unterrichtspraxis zur Verfügung gestellt (Kroon & Vallen, 1992). Die Kenntnisse von Niederländischlehrern auf dem Gebiet der Vermittlung des Niederländischen als Zweitsprache (NT2), sowie ihre Teilnahme an entsprechenden Fortbildungen waren nach Özgüzel (1992) jedoch im Jahre 1991 noch gering. Auch Jungbluth (1994 b) beurteilt die Randbedingungen für OETC und NT2, wie Lehrerqualifikation und Integration in das Curriculum als so schlecht, daß der Unterricht bislang nur wenig effektiv sein konnte. In den letzten Jahren wurde zwar eine Vielzahl von Materialien und Methoden entwickelt, die jedoch in der Schulpraxis kaum genutzt werden. Die Ergebnisse sind deshalb immer noch enttäuschend (Driessen, 2000). Auch in dem neuesten bildungspolitischen Programm der Regierung zur Bekämpfung von Bildungsrückständen (siehe OECW, 2000) wird daher das Gebiet des Niederländischen als Zweitsprache, insbesondere die Weiterbildung der Lehrer noch als verbesserungswürdig angesehen. 3.4 "onderwijsvoorrangsbeleid" (OVB) Der onderwijsvoorrangsbeleid (OVB - "Unterrichtsprioritätspolitik, Schulvorzugspolitik") bezeichnet eine Politik, die durch "Bevorzugung", d.h. besondere (finanzielle) Berücksichtigung sozial benachteiligter Gruppen im Schulwesen deren Bildungschancen angleichen und ihre gesellschaftliche Position verbessern will. Sie bezieht sich nicht nur auf ethnische Minderheiten, sondern auf alle Schüler, die aufgrund der unterprivilegierten Lage ihrer Eltern, bemessen an Ausbildungsniveau und Beruf, der Gefahr sogenannter Bildungsrückstände (onderwijsachterstanden) ausgesetzt sind. Bereits in den 70er Jahren verfolgte die Regierung als Folge der Diskussion um soziale Chancengleichheit eine Politik, die die Bildungsabschlüsse von Kindern aus schwachen sozio-ökonomischen Verhältnissen anheben sollte. Dieser "onderwijsstimuleringsbeleid" richtete sich zunächst an autochthone "achterstands"-Gruppen. Allochthone Schüler betraf der "culturele minderhedenbeleid" (kulturelle Minderheitenpolitik), in dem auch der Unterricht in der Muttersprache geregelt wurde. Mitte der 80er Jahre wurden diese beiden Politikrichtungen im "onderwijsvoorrangsbeleid" zusammengefaßt, mit der Zielsetzung, die Bildungsrückstände, die als Folge von ökonomischen, sozialen und/oder kulturellen Faktoren entstehen, zu vermindern (Mulder & Vierke, 1998). Über zwei verschiedene Wege kommen seitdem zusätzliche finanzielle Mittel den Schülern zugute. Zum einen beinhaltet diese Regelung eine erhöhte Ausstattung der Basisschulen mit einem gewissen Anteil an Zielgruppenkindern (mindestens 9 %), die aufgrund sozio-ökonomischer oder ethnisch kultureller Kriterien als besonders förderungsbedürftig bewertet werden, mit Lehrerplanstellen. Auf der Basis der jährlichen Schülerzählung und Einstufung der Kinder nach unterschiedlichem "Gewicht", wird die Anzahl der Lehrerstunden berechnet. Ein autochthoner niederländischer Schüler aus "normalen" Verhältnissen wird dabei einfach gerechnet, während ein Kind von Eltern mit schwachem sozio-ökonomischen Status und/oder geringer Schulbildung 1,25 - fach und ein Schüler, der zusätzlich allochthoner Herkunft ist, 1,9 - fach gewichtet wird. Im Schuljahr 1986/87 gehörte fast die Hälfte aller Grundschüler zu einer Zielgruppe des OVB. Nachdem im Jahre 1993 die Kriterien für autochthone Kinder, denen ein 1,25-Gewicht beigemessen wird, verschärft wurden, ist deren Anteil um die Hälfte gesunken. Seitdem dürfen beide Elternteile maximal eine Ausbildung auf vbo-Niveau abgeschlossen haben und das Berufskriterium entfällt. Für die allochthonen Schüler mit einem 1,9-Gewicht hingegen gilt nach wie vor, daß nur das niedrige Bildungsniveau eines Elternteils und die Herkunft aus den oben genannten Ländern, bzw. aus einem nicht-englischsprachigen Land außerhalb Europas (außer Indonesien) oder der Flüchtlingsstatus hinreichende Vorbedingungen sind. Hieran wird wiederum der besondere Status der indischen Niederländer deutlich, die scheinbar nicht mit besonderen Bildungsproblemen zu kämpfen haben. Zur Zeit wird aufgrund der Leistungsergebnisse von allochthonen Kindern, von denen ein Elternteil ein höheres Ausbildungsniveau hat, diskutiert, ob die Gewichte neu angepaßt werden müssen. Vor allem südeuropäische und molukkische Schüler aus entsprechenden Familien kommen in ihren Sprach- und Rechenleistungen nahe an den Landesdurchschnitt heran. Im Rechnen erzielen die chinesischen Schüler und die vietnamesischen Flüchtlingskinder sogar überdurchschnittliche Ergebnisse, während die anderen Zielgruppen (Marokkaner, Türken, Surinamer und Antillianer) noch hinter den Leistungen der autochthonen Schüler zurückbleiben, deren beide Elternteile ein niedriges Ausbildungsniveau haben (Mulder & Vierke, 1998). Deutlich wird hier, daß neben sozio-ökonomischen Faktoren auch die jeweilige ethnische Zugehörigkeit der Schüler als entscheidendes Kriterium für die Schulleistungen angesehen werden muß. Die zusätzlichen "faciliteiten" (Vergünstigungen) , die die Schule in Form von Lehrerstunden zugeteilt bekommt, sind nicht an Auflagen geknüpft und die Schule kann sie daher nach ihrem Ermessen einsetzen. So ist sie in der Lage, diese für spezielle Maßnahmen hinsichtlich der allochthonen Kinder, wie zusätzliche Stunden in Niederländisch und anderen Fächern oder Hausaufgabenhilfe, aber auch allgemein zur Verminderung der Klassenstärke oder Einstellung zusätzlicher Lehrkräfte zu nutzen. Für welche Möglichkeit sich die einzelne Schule entscheidet, muß allerdings im Schularbeitsplan dargelegt werden und auch für den effizienten Einsatz der zusätzlichen Lehrkräfte sind die Schulen demgemäß selbst verantwortlich. Der bestimmungsmäßige Gebrauch der Lehrerstunden ist daher undeutlich und 10 bis 20% der Mittel werden nach der Einschätzung von Özgüzel (1992) nicht für ihren eigentlichen Zweck eingesetzt. Außer den zusätzlichen Mittelzuweisungen an Schulen, die eine entsprechend "gewichtete" Schülerschaft haben, gibt es in den Niederlanden auch eine staatliche Unterstützung für umfassendere Maßnahmen in den sogenannten "onderwijsvoorrangs"-Gebieten (Unterrichtsprioritätsgebieten, bildungspolitischen Schwerpunktgebieten). Sie sind durch einen hohen Anteil an Schülern aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen gekennzeichnet, in denen sich soziale und Bildungsprobleme konzentrieren und zu einer Kumulation von Rückständen führen. Die zur Verfügung gestellten Mittel betreffen neben anderen sozialen Einrichtungen auch die dortigen Schulen, die gemeinsam mit den Wohlfahrtseinrichtungen Aktivitäten durchführen und koordinieren. Zwar sind seit August 1998 diese "voorrangs"Gebiete aufgehoben und der neue "Gemeentelijk Onderwijsachterstandenbeleid (GOA)" ist in Kraft, die "Gewichtsregelung" bleibt daneben aber weiter bestehen. Dies bedeutet, daß die Hauptrolle bei der Bekämpfung von Bildungsrückständen nun bei der Gemeinde liegt, die die Maßnahmen von unterschiedlichen Seiten in einer lokalen Politik zusammenfaßt. Als Träger der öffentlichen Schulen hat sie nun die Möglichkeit, Gemeinde- und Schulaktivitäten zusammenzuführen und in ein Gesamtkonzept einzubetten (Mulder & Vierke, 1998). Weiterführende Schulen erhalten zusätzliche, sogenannte Cumi (culturele minderheden) - Mittel nicht aufgrund einer "Gewichtsregelung", sondern in Abhängigkeit von der Aufenthaltsdauer und dem Herkunftsland der Migrantenkinder. Nur wenn die Schüler weniger als 4 Jahre Unterricht in den Niederlanden verbracht haben, werden bspw. für Surinamer, Antillianer, Arubaner und Molukker zusätzliche faciliteiten (0,2 -0,5 Einheiten) zur Verfügung gestellt (Özgüzel, 1992). Für andere Herkunftsländer gibt es 0,9, bei 4 bis 8-jährigem Aufenthalt 0,4 Einheiten. Schüler, die direkt aus dem Herkunftsland in das niederländische Schulwesen eintreten erhalten zusätzlich 2,35 Einheiten zugemessen. Dazu müssen aber 10 solcher Seiteneinsteiger in einer Klasse versammelt werden (Kroon & Vallen, 1994). Insgesamt kann man also finanziell von einer verstärkten Förederung, wenn nicht sogar von einer positiven Diskriminierung der Kinder aus ethnischen Minderheiten sprechen, wenngleich die Verwendung der Mittel durch die einzelne Schule nicht von staatlicher Seite kontrolliert und möglicherweise nicht nur für ihre Belange eingesetzt wird. Die gesetzlich geregelte Förderung von Schulen nach dem OVB wird seit 1988 regelmäßig auf ihre Ergebnisse hin evaluiert. Dazu werden alle 2 Jahre an den Grundschulen Leistungstests in Niederländisch und Mathematik durchgeführt. Auf dieser Basis gibt es bisher jedoch keine Anzeichen für die Wirksamkeit der "Schulvorzugspolitik" (Jungbluth 1994 a; Driessen, 2000). Von Kritikern wird daher die Subventionierung von Schulen, ohne daß daran Bedingungen geknüpft werden, als sinnlos angesehen. Sie befürworten dagegen eine klare Maßnahmenpolitik der Regierung (Jungbluth, 1994 a). 3.5 strukturelle Bedingungen des niederländischen Schulsystems Für die weitere Einschätzung der Situation von ethnischen Minderheiten im niederländischen Bildungswesen müssen wesentliche Strukturen des Schulsystems kurz dargestellt werden. Die niederländische Grundschule "basisschool" besuchen alle Kinder schon vom vierten bis zum zwölften Lebensjahr. Danach fällt die Entscheidung für eine der zahlreichen weiterführenden Schulen, abhängig von der Empfehlung der basisschool, ggf. den Ergebnissen des CITO-Tests und der Zulassung durch die gewählte Schule. Nur für den Übergang zum VBO ist kein zusätzlicher Test notwendig. Kinder können die Basisschulzeit aber auch freiwillig um ein Jahr verlängern, um die gesetzten Ziele zu erreichen und sich für eine höhere Sekundarschulform zu qualifizieren (Kroon & Sturm, 1994). Das stark gegliederte und selektive Sekundarschulwesen verfügt dabei nicht nur über allgemeinbildende Schulen auf drei verschiedenen Niveaus (dem vierjährigen mavo, dem fünfjährigen havo und sechsjährigen vwo), mit unterschiedlichen curricularen Schwerpunkten, sondern auch über eine Schulform mit vorwiegend berufsbildendem bzw. -vorbereitendem vierjährigen Unterricht in verschiedenen Fachrichtungen auf niedrigem Niveau (lbo, neuerdings vbo genannt). Auf dieser "Restschule" sind Schüler aus ethnischen Minderheiten überrepräsentiert (Extra, 1991). Manche weiterführenden Schulen schließen sich zu sogenannten "Schulengemeinschaften" zusammen und unterrichten die Schüler im ersten Jahr, dem "Brückenjahr" gemeinsam. Sofern die Curricula aufeinander abgestimmt und die Übergänge zwischen den Schulformen offen sind, kann man hier von einer gesamtschulartigen Einrichtung sprechen, die jedoch nur auf Initiative der beteiligten Schulen zustande kommt (Skiera, 1991). Besonders vorteilhaft für eine späte Entscheidung des letztendlichen Bildungsweges sind die sogenannten breiten Brückenklassen, die auch noch einen Übergang zum HAVO ermöglichen. Aus diesem Grund sind sie auch bei den Minderheiten äußerst populär (Tesser et al., 1999). Seit letztem Schuljahr wurde daneben eine neue Schulform, der VMBO (vorbereitender berufsbildender Unterricht der Mittelstufe) eingeführt, der den bisherigen VBO und MAVO zu einer Unterrichtsform zusammenfaßt (MOCW; 1999, 12). Diese beiden Schulformen werden bisher von 60 % der Schüler besucht, sogar 90 % der Minderheitenkinder landen schließlich auf einer dieser beiden Schulformen (Tesser et al., 1999). Mit der neuen "Kombination" soll der Übergang zu weiterführenden Ausbildungen erleichtert werden. Möglicherweise könnte hiermit die Sackgasse VBO entschärft und die besseren Chancen eines MAVO-Abschlusses genutzt werden, ohne den berufsbildenden Charakter des VBO zu verlieren. Sein Profil hat sich jedoch bereits seit 1993 durch die "basisvorming" (s.u.) stark verändert, sodaß es die alte berufsbildende Sekundarschule als Endstation nicht mehr gibt. Immerhin sind seitdem 80 % der Unterrichtszeit für die allgemeine Grundbildung reserviert, sodaß spezielle berufsvorbereitende Inhalte nur in der restlichen Zeit vermittelt werden können. Außer der (freiwilligen) organisatorischen Zusammenfassung mehrerer Schulformen, besteht seit 1993 eine inhaltliche Vereinheitlichung der ersten drei Sekundarschuljahre für alle Schulformen durch die sogenannte "basisvorming", eine Art allgemeiner "Grundbildung" für alle Sekundarschüler. Daraus ergeben sich keine Veränderungen in der Struktur des Sekundarschulwesens. Das gemeinsame Bildungsprogramm besteht aus einem Kerncurriculum aus 15 Fächern, wobei die Ziele der Pflichtgegenstände ausführlich festgelegt sind (Meijer, 1994). Es umfaßt 80 % der Unterrichtsstunden, kann allerdings auf zwei verschiedenen Niveaus und schon in 2 oder erst nach 4 Jahren abgeschlossen werden. Zur basisvorming gehören z.B. mindestens zwei Fremdsprachen, für HAVO und VWO-Schüler sogar drei. Ausländische Schüler können auch ihre Muttersprache statt einer zweiten Fremdsprache wählen. Die Schulen können selbst entscheiden, wie sie die Fächer über die Schuljahre verteilen, ob sie Bereiche kombinieren, die basisvorming auf 2, 3 oder 4 Jahre ausrichten und wie sie die restlichen 20 % füllen (MOCW, 1993, 4). Allerdings sind die Lernziele festgelegt und das CITO hat zur Überprüfung der von den Schülern erlangten Fähigkeiten einheitliche Tests auf Landesebene entwickelt. Die Durchführung der Abschlußtests liegt bei den Schulen selbst. Privatschulen haben daneben das Recht, eigene Lernziele und Prüfungen zu entwickeln. Durch die "basisvorming" soll das Leistungsniveau insgesamt erhöht und allen Schülern notwendige Basisfähigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden. Kritiker verweisen aber darauf, daß die ethnische, sprachliche und kulturelle Pluralität der Schüler in der basisvorming nicht berücksichtigt wurde (Meijer, 1994). Der Übergang zwischen den unterschiedlichen Schulformen kann trotz Einführung der basisvorming noch am ehesten auf Schulengemeinschaften ermöglicht werden. Neben den regulären Grund- und Sekundarschulen existiert in den Niederlanden ein stark differenziertes Sonderschulwesen, in dem Schüler mit ähnlichen Schwierigkeiten oder Behinderungen in einer Schulform zu möglichst homogenen Lerngruppen zusammengefaßt werden. Zwar wurde in der Vergangenheit versucht, möglichst viele Sonderschulzuweisungen durch Fördermaßnahmen im Rahmen der sogenannten "zorgverbreding" zu verhindern und die Schüler in der regulären Basisschule zu behalten (Lumer-Henneböhle & Nyssen, 1988), dennoch findet sich auch unter den Sonderschülern ein verhältnismäßig großer Anteil an Kindern allochthoner Herkunft. Ihr Prozentsatz war beispielsweise 1991 im weiterführenden Sonderunterricht drei Mal höher als bei autochthonen Schülern (20% gegenüber 6%) (Özgüzel, 1992). Fase (1993) stellt fest, daß vor allem surinamische und antillianische Jungen in Sonderschulen für Lern- und Verhaltensschwierigkeiten leicht überrepräsentiert sind. Die starke Selektivität des niederländischen Bildungswesens zeigt sich nicht nur an dem verzweigten Sekundarschulbereich, sondern auch innerhalb dieser Schulformen. Nur bestimmte Fächerkombinationen und Leistungsniveaus bei den Abschlüssen eröffnen den Weg zu einer weiterführenden berufsqualifizerenden Einrichtung oder einer höheren allgemeinbildenden Schule. Die Leistungen und die gewählten Fächer entscheiden also unter Umständen schon sehr früh über den weiteren möglichen beruflichen Werdegang der Kinder. Hier sind allochthone Kinder aufgrund des häufig vorhandenen Informationsdefizits ihrer Eltern und fehlender Aufklärung bei solchen schwerwiegenden Entscheidungen oft auf sich allein gestellt. Auch stereotype Einschätzungen ihrer Fähigkeiten durch die niederländischen Lehrer und dementsprechende Empfehlungen führen dazu, daß sie in ihrer Schullaufbahn durch falsche Entscheidungen an diesen Schnittstellen gegenüber ihren autochthonen Altersgenossen häufig benachteiligt sind. So sieht Crul (2000), der zahlreiche türkische und marokkanische Jugendliche nach ihrer Schullaufbahn befragt hat, in diesen selektiven Mechanismen im niederländischen Schulsystem eine Hauptursache für ihr niedrigeres Ausbildungsiveau. 4. Ethnische Segregation im niederländischen Schulwesen An der schulischen Segregation ethnischer Minderheiten wird die Problematik struktureller Bedingungen des niederländischen Schulwesens deutlich. Auch die bildungspolitische Einschätzung dieser Tendenzen offenbart die Sichtweise auf diese Problemgruppen. Es folgt daher eine Darstellung der Situation und möglichen Ursachen der ethnischen Segregation im niederländischen Schulwesen und den entwickelten Strategien zur Desegregation. 4.1. Segregation im niederländischen Schulalltag Segregation hat im niederländischen Bildungswesen eine lange, historisch gewachsene und erstrittene Tradition. Das "versäulte" Schulsystem beruht auf einer Segregation der Gesellschaft auf weltanschaulicher Basis. Obwohl in der Bevölkerung die Religiösität und damit Zugehörigkeit zu einer bestimmten "Säule" an Bedeutung abgenommen hat, bestehen die Bildungsinstitutionen in versäulter Form weiter (Dronkers, 1995). Während die Existenz katholischer und protestantischer Schulen als völlig problemlos angesehen wird, gilt dies nicht unumstritten für islamische Schulen. So reagieren Gemeinden nicht gerade positiv auf entsprechende Gründungsanfragen islamischer Gruppen und befürchten ihre zunehmende Isolierung und wachsenden Fundamentalismus (Teunissen, 1990). Auch die Presse berichtet in den letzten Jahren zunehmend kritisch über islamische Schulen und deren Probleme in den Kollegien und befaßt sich mit den Fragen, die sich aus dem Aufeinandertreffen islamischer und westlicher Werte ergeben (Inspectie, 1999). Weniger die Richtung einer Schule wird im allgemeinen als Kennzeichen der Segregation der Schüler angesehen, sondern die ungleiche Verteilung von Kindern ethnischer Minderheiten und ihre Konzentration an bestimmten, öffentlichen wie privaten (auch christlichen) Schulen. Diese werden ab einem bestimmten Prozentsatz als "schwarze" Schule bezeichnet und von den "weißen" Schulen mit einem überwiegenden Anteil an autochthonen niederländischen Schülern unterschieden. Undeutlich ist dabei, wann eine Schule als "schwarz" zu charakterisieren ist. Zum einen hinsichtlich der Herkunft der Schüler, zum anderen in Bezug zu deren zahlenmäßigem Anteil. Entscheidend ist nicht, wie der Wortlaut vermuten lassen könnte, die Hautfarbe der Kinder, sondern ihr Status als Minderheit im Sinne der niederländischen Minderheitenpolitik. Dazu gehören beispielsweise EU-Ausländer ebensowenig wie (schwarze) Nordamerikaner oder Hongkong-Chinesen, dagegen aber niederländische Staatsangehörige surinamischer Herkunft und Molukker, die bereits in der dritten Generation in den Niederlanden weilen. Im Vordergrund, auch vom Umfang her stehen jedoch Kinder türkischer und marokkanischer Familien. Die Kriterien bezüglich des hinreichenden prozentualen Anteils allochthoner Kinder für eine "schwarze" Schule haben sich mit der Bevölkerungsentwicklung und Konzentration von ethnischen Minderheiten in den Städten im Laufe der Jahre verändert. Sie differieren zudem je nach der Sichtweise verschiedener Autoren (Dors et. al., 1991; Teunissen, 1988, 1996). So werden für die Definition einer "schwarzen" Schule bestimmte Prozentsätze allochthoner Schüler vorausgesetzt oder ihr Anteil in der Schule in Bezug zu ihrem Bevölkerungsanteil im Stadtteil oder der ganzen Stadt gesetzt. Ebenso umstritten ist, welcher Anteil von Migrantenkindern an einer Schule als problematisch für den Unterricht oder die Schulleistungen anzusehen ist. 1974 waren beispielsweise bereits 25 % allochthone Schüler an einer Schule unerwünscht (Teunissen, 1996). Ein Anteil, der heutzutage eher eine "weiße" Schule in den Großstädten charakterisiert. Dors et al. (1991) sprechen beispielsweise von einer "Konzentrationsschule", wenn dort 10 % mehr Allochthone vertreten sind, als dem Prozentsatz der allochthonen Einwohner in der gesamten Gemeinde entspricht. Nach diesem Kriterium kommt Segregation im Schulwesen in allen von ihm untersuchten 27 Gemeinden vor, sodaß im Ergebnis dort 30 % der Schulen "schwarze" Schulen sind. Dieses Resultat ist nicht alleine mit der Bevölkerungszusammensetzung in den Stadtteilen erklärbar. Insgesamt weicht in den Niederlanden die Schülerpopulation an 10 % der Basisschulen um mehr als 20 % vom Gemeindedurchschnitt ab (Teunissen, 1996). Allerdings muß hierbei bedacht werden, daß die Wohnbevölkerung in den Vierteln der Großstädte, in denen viele allochthone Familien wohnen, auf autochthoner Seite vorwiegend durch Senioren, Studenten und Singles geprägt ist (Rutten, 1996). Wäre die Schülerpopulation dort ein genaues Abbild der Stadtteilbevölkerung, würde das den Anteil schwarzer Schulen kaum verringern. Im Allgemeinen ist die Segregation von Schülern nicht-niederländischer Herkunft in sogenannten Konzentrationsschulen vor allem ein Problem der großen Städte. Dort sind inzwischen an 40 % der Basisschulen die Kinder um mehr als die Hälfte aus Migrantenfamilien (Teunissen, 1996). Die erste Nachricht über ethnische Segregation im niederländischen Schulwesen erschien am 25. März 1971 in der Zeitung "Het Parool", in der über `"Apartheid" op de Bijlmerscholen`, die Zunahme vor allem surinamischer Schüler auf den Grundschulen im Amsterdamer Bijlmermeer berichtet wurde (Dors et al., 1991). Im Schuljahr 1991/92 bestanden in den vier großen Städten (Amsterdam, Rotterdam, Utrecht, Den Haag) um die 20% Grundschulen mit mehr als der Hälfte ausländischen Kindern, während auf das ganze Land bezogen 37 % der Basisschulen überhaupt keine Kinder mit anderer als niederländischer Nationalität hatten und 45% der Primarschulen einen 1 bis 10 prozentigen Anteil ausländischer Schüler verbuchten (Veenman, 1994). Aber auch in den großen Städten, in denen ja ein Großteil der ethnischen Minderheiten lebt und teilweise 50% der Bevölkerung ausmacht, gibt es zwischen 4 und 8% rein "weiße" Basisschulen, was ein Hinweis auf den Rückzug "weißer" autochthoner niederländischer Eltern aus Schulen mit einem steigenden Anteil allochthoner Kinder ("white flight") sein könnte. Ethnische Segregation in den weiterführenden Schulen bleibt dagegen meist außerhalb des Blickfeldes, da dort die Schüler nicht nach Ethnizität registriert werden und so keine statistischen Gegebenheiten wie durch die "Gewichtsregelung" an Basisschulen vorliegen (Rutten, 1996). Obwohl bereits seit 1977 Schulen mit einem Prozentsatz von 60 bis 90% allochthoner Kinder bestehen (Teunissen, 1988), hat das Problem der Segregation im Schulwesen erst seit einer Fülle von Presseberichten über "Apartheid in der Schule" im Jahre 1986 und sich daran anschließenden Diskussionen breite öffentliche Aufmerksamkeit erlangt. Ursache war der Protest Rotterdamer allochthoner Eltern, die auf die Entwicklung zweier Grundschulen in einem Stadtteil aufmerksam machten. Sie beklagten, daß auf der Schule ihrer Kinder kaum noch "weiße" Schüler seien, während die Nachbarschule viele autochthone niederländische Kinder besuchen. Obwohl sie mit der Qualität der eigenen Schule zufrieden waren, befürchteten sie, daß ihre Kinder in der Schule immer weniger Gelegenheit hätten, miteinander Niederländisch zu sprechen. Zahlreiche Zeitungsartikel behandelten daraufhin das Thema "schwarzer" und "weißer" Schulen. Schwerpunktmäßig wurden dabei die Probleme, die aus dieser Situation für Lehrer und ihren Unterricht erwachsen, die Frage einer kritischen Grenze und das Phänomen des "white flight" diskutiert (Dors et al., 1991). Der Zusammenhang zwischen einer hohen Konzentration allochthoner Schüler und schlechten Schulleistungen, eine Befürchtung vieler Eltern, die für den "white flight" mitverantwortlich gemacht wird, ist jedoch uneindeutig (Leiprecht & Lutz, 1996), zumal auch der Anteil autochthoner Schüler auf Konzentrationsschulen nicht repräsentativ ist und diese häufig ebenfalls aus schwachen sozio-ökonomischen Verhältnissen stammen (Karsten, 1994). Letzteres kann auch als eine Folge der Segregation bewertet werden (Jungbluth, 1994 b). Auch Schulen in islamischer oder hinduistischer Trägerschaft sind von ihrer Schülerpopulation her "schwarze" Schulen. Ihre Existenz beruht aber auf der Entscheidung allochthoner Eltern, ihre Kinder auf einer Schule entsprechend ihres religiösen und kulturellen Hintergrunds, der sich von der Mehrheit der autochthonen niederländischen Bevölkerung unterscheidet, unterrichten zu lassen. Sie nehmen dabei die Trennung von niederländischen Schülern bewußt in Kauf und hoffen, daß das dortige Angebot besser auf die Bedürfnisse der eigenen Kinder zugeschnitten ist. Sie nutzen die Möglichkeit, die das niederländische Schulsystem bietet, nämlich eigene Schulen nach eigenen weltanschaulichen Vorstellungen zu gründen. Insgesamt gibt es heute 28 islamische Schulen, die ca. 6800 der Migrantenkinder versammeln (Inspectie, 1999). Man könnte hier von Emanzipation einzelner Migranten in und durch eine segregierte Situation sprechen. Dabei existiert, so wie im übrigen Schulwesen auch, nicht eine islamische "Musterschule", sondern die einzelnen Schulen unterscheiden sich in ihrer religiösen Orthodoxie und Unterrichtsweise stark voneinander. Allgemein verfolgen die islamischen Schulen das Ziel, eine Verbesserung der Schülerleistungen bis zum Niveau des durchschnittlichen autochthonen Altersgenossen zu erreichen. Dies soll besonders durch Abstimmung auf den eigenen kulturellen Hintergrund erzielt werden. Auch die Integration in die niederländische Gesellschaft unter Erhalt der eigenen islamisch-religiösen Identität wird von diesen Schulen angestrebt (ebda). Bedenken muß man jedoch, daß auch auf islamischen Schulen die Lehrerschaft zum überwiegenden Teil aus autochthonen "weißen" niederländischen Lehrern besteht. Durchschnittlich 70 % des Kollegiums haben nach Angaben von Driessen (1996) keinen islamischen Hintergrund und sprechen ausschließlich Niederländisch. Das niederländische Bildungsministerium beurteilt den dortigen Unterricht nicht schlechter als an anderen Schulen mit mehr als 70% Zuwandererkindern. Die Qualität des Lehrangebotes und die Zahl der Unterrichtsstunden seien sogar höher. Allerdings würden die Kinder an islamischen Schulen weniger zu Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit angeregt (MOCW, 1999, 5). Auch die Schulaufsicht kommt zu dem Ergebnis, daß die Schüler dort nicht schlechter abschneiden als an Schulen mit einer ähnlichen Zusammensetzung der Schülerschaft, also anderen "schwarzen" Schulen. Die Rechenleistungen waren im Durchschnitt sogar höher (Inspectie, 1999). Das verfolgte Ziel einer Verbesserung des Leistungsniveaus gegenüber anderen Schulen, an denen Migrantenkinder unterrichtet werden, wurde damit von den islamischen Schulen (noch) nicht erreicht. Auch bei mono-ethnischen Schulen, d.h. mit einem überwiegenden Anteil an Schülern aus nur einer ethnischen Minderheit, war gegenüber multi-ethnischen Schulen kein genereller Nachteil bezüglich der Schulleistungen feststellbar (Mulder & Vierke, 1998). Man hatte angenommen, daß Schüler mit demselben Sprachhintergrund häufiger miteinander in ihrer Muttersprache kommunizieren und bei Kindern unterschiedlicher Muttersprachen das Niederländische häufiger als Verkehrssprache untereinander genutzt wird und daher multi-ethnische Schulen vorteilhafter für den Erwerb der niederländischen Sprache sind. Von offizieller Seite werden daher islamische und andere "schwarze" Schulen nicht als bildungspolitisches Problem gesehen. Es wird allerdings auf die qualitativen Unterschiede zwischen verschiedenen Basisschulen, die Migrantenkinder unterrichten hingewiesen (Inspecte, 1997). (siehe Kap. 6.2.1) Soziale Folgen der ethnischen Zusammenstellung von Schulen bleiben dabei außer Betracht, es geht vielmehr um die "Resultate" effektiver Schulen (Teunissen, 1988). Auch aus einer Kabinettsreaktion auf einen Bericht zu Konzentration und Segregation im niederländischen Schulwesen war demgemäß zu vernehmen, daß ethnische Konzentration als solche kein Problem darstelle, außer wenn soziale Ungleichheit und Ethnizität zusammenfielen, sodaß Chancenungleichheit entlang ethnischer Grenzen verlaufe (Tazelaar et al., 1996). Segregation von Kindern nach ethnischer Herkunft auf unterschiedlichen Schulen kann im Hinblick auf die Integration in eine multikulturelle Gesellschaft nicht wünschenswert sein. Dies gilt im Grunde für "schwarze" Schulen ebenso wie für "weiße" Schulen, an deren Existenz in den Niederlanden jedoch nicht gerüttelt wird. Für autochthone niederländische Schüler scheint es also keine Rolle zu spielen, ob sie zusammen mit Kindern aus anderen Kulturen unterrichtet werden. Kinder aus ethnischen Minderheiten hingegen sollen auf einer "weißen" Schule bessere Leistungen vollbringen können. Hinter dieser Idee könnte man nach Teunissen (1988) ebenso rassistische Elemente erkennen, wie in dem Wunsch der dortigen Eltern, "unter sich zu bleiben". Hinter dem Versuch, "schwarze" Schulen zurückzudrängen, liegt der Gedanke, daß auf Schulen mit einer heterogenen Schulbevölkerung besserer Unterricht möglich ist. Dies bezieht sich vorwiegend auf die allochthonen Kinder, die so mehr Möglichkeiten haben, mit der niederländischen Sprache in Kontakt zu kommen, aber auch auf die autochthonen niederländischen Kinder, die auf "schwarzen" Schulen drohen, in eine Minderheitenposition zu gelangen. Schon 1988 hat Teunissen aber in seiner Studie über "witte" (weiße) en "zwarte" (schwarze) basisscholen festgestellt, daß dies erst bei einem Anteil von unter 20% der niederländischen Schüler nachteilig für diese ist, wohingegen die Migrantenkinder von einem höheren Anteil an Schülern der gleichen Herkunft durch Prozesse der ethnischen Gruppenbildung profitieren. In "weißen" Schulen würden sie hingegen sozial ausgeschlossen und kulturell marginalisiert (Teunissen, 1996). Auch zahlreiche andere statistische Daten weisen per se keine schlechteren Unterrichtsresultate für Schüler mit vergleichbarem Hintergrund an "schwarzen" Schulen auf, es scheint ebenso gute wie schlechte Basisschulen unabhängig von der Zusammensetzung der Schülerschaft zu geben (Driessen, 1990; Tesser & Mulder, 1990). Es war generell kein oder nur ein geringer statistischer Zusammenhang zwischen der ethnischen Zusammenstellung und den Schulleistungen von Grundschülern feststellbar. Dieser verschwand völlig, wenn auch Faktoren des Ausbildungsniveaus der Eltern miteinbezogen wurden (Teunissen, 1996). Erp et. al. (1992) z. B. fanden bei ihrer Untersuchung an Basisschulen mit einem unterschiedlich hohen Anteil allochthoner Kinder (40 - 80 %) nur einen negativen Einfluß auf die Sprachleistungen autochthoner Schüler in Klasse 8 durch eine höheren Prozentsatz Allochthoner in der Klasse, allle anderen Ergebnisse waren nicht eindeutig. Insgesamt finden vorrangig die möglichen kognitiven, nicht aber die sozialen Folgen der Segregation in der niederländischen Öffentlichkeit und Bildungspolitik Beachtung. Die Integration in die niederländische Gesellschaft, ihre Akzeptanz innerhalb derselben und der Kontakt zu autochthonen Altersgenossen stehen dagegen kaum zur Debatte. So ist z. B. auch Teunissen (1996) der Ansicht, daß man die Zusammensetzung der Schulen als gegeben hinnehmen müsse und das Augenmerk auf die Verbesserung der Effektivität von Schulen gelegt werden sollte. 4.2 Ursachen der Segregation Nicht nur die Entscheidung von Eltern, ihre Kinder nicht auf eine Schule mit einem hohen Anteil an Migrantenkindern zu schicken ("white flight"), ist als Ursache für diese Situation zu sehen. Die ethnische Zusammensetzung der Schule wird von Eltern bei der Wahl zwar mitbedacht, sei nach einer Untersuchung von Teunissen (1996) aber nur für wenige ausschlaggebend. Weitere Gründe liegen in der Wohnsituation von ethnischen Minderheiten, schulischen Vorkehrungen (wie z. B. Auffangklassen und Muttersprachunterricht nur an bestimmten Schulen) und der Existenz religiöser Basisschulen auf islamischer oder hindustanischer Grundlage. Wenn man den Anstieg, vor allem der jungen allochthonen Bevölkerung und ihre starke Konzentration in den großen Städten berücksichtigt (siehe Kap. 2.2), wird klar, daß dort viele Stadtviertel und damit auch die dortigen Schulen zunehmend "schwarz" werden. Aufgrund ihrer vorwiegend schwachen ökonomischen Lage sind ethnische Minderheiten auf günstigen Wohnraum in ehemaligen Arbeitervierteln oder nichtrestaurierten Altstadtgebieten angewiesen und dort verstärkt anzutreffen. Auch die Vergreisung der Stadtbevölkerung, durch die niedrige Geburtenrate unter den Niederländern und den Umzug von finanziell besser situierten Familien in die Vororte verstärkt den Trend der Konzentration der Minderheiten in den Großstadtvierteln. Ethnische Segregation im Schulwesen wird also mit der Bevölkerungsentwicklung vor allem in den großen Städten zwangsläufig noch zunehmen. 90 % der Segregation nach ethnischer Herkunft in den Grundschulen Amsterdams ist bereits der Wohnsegregation zuzuschreiben (Teunissen, 1996). Aber auch schulische Bedingungen können segregative Tendenzen schaffen und vertärken. So haben allochthone Kinder zwar ein Recht auf Unterricht in der eigenen Sprache, die Schulen müssen diesen aber nicht generell, sondern nur auf Antrag bereitstellen. Verständlich ist daher, daß allochthone Eltern solche Schulen wählen, auf denen dieses Angebot bereits besteht. Die Aufnahme von Seiteneinsteigern in sogenannten "Auffangklassen" ist dagegen nur an einzelnen Schulen möglich. Zwar können die Schüler anschließend prinzipiell auf allen Schulen ihren Bildungsweg weiterverfolgen, in der Praxis aber bleiben sie meist in der "Aufnahmeschule", was dort zu einer Konzentration von allochthonen Schülern führt (Rutten, 1996). Auch die pädagogisch sinnvolle zeitliche Konzentration von allochthonen Schülern kann also zu weiterer ethnischer Segregation im Schulwesen beitragen. Die Existenz von Basisschulen auf eigener weltanschaulicher Grundlage kann die Segregation ethnischer Minderheiten im Schulwesen jedoch nur in geringem Maße erklären, da nur ca. 4 % der allochthonen Schüler eine islamische oder hinduistische Basisschule besuchen (Rutten, 1996). Auch unter den Basischulen mit mehr als 90 % Migrantenkindern haben diese nur einen 25prozentigen Anteil (Teunissen, 1996). 4.3 Maßnahmen gegen segregative Tendenzen Ob "schwarze" Schulen per se schlechter für die Leistungsergebnisse und das Wohlbefinden der Schüler sind, ist letztlich völlig umstritten und bleibt unklar (s.o.). Fraglich ist zudem, ob Segregation nicht von Seiten der Migranten teilweise gewünscht (islamische, hindustanische Schulen) und von der breiten niederländischen Bevölkerung überhaupt als Problem angesehen wird, schließlich kann jeder auf die bevorzugte Schule ausweichen. Auch das Entstehen "schwarzer" Schulen wird eher als unvermeidlicher "naturwüchsiger" Prozeß angesehen oder ist sogar für das "Überleben" mancher Schulen, wegen der niedrigen Geburtenrate bei Autochthonen und der zusätzlichen Subventionen für allochthone Schüler notwendig (Karsten, 1994). Dennoch sollen im folgenden mögliche Maßnahmen gegen Segregation im Schulwesen dargestellt und diskutiert werden. Für die segregativen Tendenzen im niederländischen Bildungswesen wird häufig die Möglichkeit der freien Schulwahl und der damit verbundene "white flight" verantwortlich gemacht. Einige autochthone niederländische Eltern entscheiden sich aufgrund ihrer Vorurteile gegenüber Migrantenkindern, aus Angst vor einem zu niedrigen Unterrichtsniveau, aus Sorge, daß ihre Kinder in eine Minderheitenposition gelangen könnten oder anderen Gründen gegen eine Schule mit einem (relativ) hohen Anteil allochthoner Schüler. Um diese Tendenzen einzudämmen, gibt es Überlegungen und Maßnahmen in verschiedenen Richtungen: die freie Wahl einzuschränken, durch gezielte Aufklärung dem negativen Ruf einer Schule entgegenzuwirken oder durch ein, auch für "weiße" Kinder besonders attraktives (Zusatz-) Angebot, diese vermehrt für "schwarze" Schulen zu gewinnen. Dieser letzte Weg wird ausdrücklich von den sogenannten "Magnetschulen" beschritten, von denen die älteste in Amsterdam Oud-West seit 1990 existiert. Auf dieser besonderen Basisschule wird folgendermaßen gearbeitet: Es wird ein Thema aus dem künstlerischen Bereich gewählt, in Verbindung mit dem regulären Curriculum gebracht und von den Kindern innerhalb der normalen Schulzeit in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen bearbeitet. Auf die hohe Qualität und abschließende Präsentation der Ergebnisse in der Öffentlichkeit wird großer Wert gelegt, denn nur so kann der "Magnet" seine Anziehungskraft entfalten. Aber nicht nur das ursprüngliche Ziel, der Segregation entgegenzuwirken und eine gemischtere Schulpopulation, die der ethnischen Zusammenstellung der Bevölkerung im Stadtteil entspricht, zu erreichen wird von dieser Schule verfolgt. Es wird ebenfalls eine Multikulturalisierung der Schule angestrebt. Dies bedeutet, daß "schwarze" und "weiße" Kinder und Eltern in der Schule die Gelegenheit finden sollen, (spielerisch) zu lernen, miteinander und mit den unterschiedlichen Kulturen umzugehen. Auch dazu bieten sich insbesondere künstlerische Aktivitäten an. In der Amsterdamer Schule jedenfalls ist die Schülerzahl insgesamt deutlich gestiegen, und sie hat ihr Ziel einer heterogeneren Schülerschaft erreicht. Zu diesem Resultat können aber auch andere Entwicklungen, wie die Bevölkerungszusammensetzung im Stadtteil und die Errichtung einer islamischen Schule beigetragen haben (Erp, 1997). Dem ursprünglichen Konzept der Magnetschule liegt der Gedanke zugrunde, daß schon durch eine gemischtere Schulpopulation besserer Unterricht möglich ist. Die Magnetschulen jüngeren Datums, das sind 6 neukonzipierte Schulen in Amsterdam seit 1995, setzen nicht in erster Linie auf eine ethnisch anteilsmäßig ausgewogene Schülerschaft, sondern mehr auf eine allgemeine Verbesserung der Schulleistungen und des Wohlbefindens allochthoner Kinder. Die Arbeit mit "Magnetthemen" innerhalb eines multikulturellen Curriculums und die Verlängerung der Aktivitäten auch außerhalb der regulären Schulzeit sollen dazu beitragen (Erp, 1997). Erstaunlich für den ausländischen Betrachter ist, daß diese Idee aus den USA übernommen wurde, wo dies doch eigentlich eine typisch niederländische Vorgehensweise ist. Niederländische Schulen müssen sich generell dem "Markt" stellen und daher bemühen, durch ihr (besonderes) Profil Schüler anzuziehen. Sicherlich muß eine "schwarze" Schule wegen ihres meist negativen Images besondere Anstrengungen unternehmen, allgemein attraktiver zu werden. Neu ist vielleicht die Situation, bestimmte Schülergruppen zu werben. Trotzdem ist das "Magnetkonzept" in den Niederlanden nicht angeschlagen (Rutten, 1996), zumindest nicht mit der ursprünglichen, auch desegregativen Zielsetzung. Eine organisatorische Maßnahme zur Desegregation auf der Ebene der Gemeinde liegt darin, die Kinder nach ethnischer Herkunft gleichmäßiger über die vorhandenen Schulen zu verteilen. Dieses "bussing-Prinzip", das in den Vereinigten Staaten in großem Umfang mit schwarzen Amerikanern realisiert wurde oder die Einführung von Schulbezirken, mit der Verpflichtung das Kind auf die nächstgelegene Grundschule zu schicken, ist in den Niederlanden schon aus juristischen Gründen nicht zu verwirklichen. Das Recht der freien Schulwahl würde dadurch beschnitten. Insgesamt scheint auf Gemeindeebene aber auch nur ein geringes Problembewußtsein hinsichtlich ethnischer Segregation zu bestehen. Eine gezielte Gemeinde- und/oder Schulpolitik zur Vermeidung dieser Tendenz war jedenfalls nicht zu entdecken (Dors et al., 1991). Nur die Stadt Gouda hat in dieser Hinsicht Initiative entwickelt. Ihr ist es geglückt, die allochthonen Schüler gleichmäßiger über die vorhandenen Basisschulen zu verteilen. Sie erreichte dies auf der Basis freiwilliger Mitarbeit und gemeinsamer Absprachen zwischen den Schulen, Schulträgern und Eltern, da es in den Niederlanden keine rechtlichen Möglichkeiten gibt, den Schülerstrom zu regulieren (Rutten, 1996). Kritisch ist dabei zu bewerten, daß mit dieser Maßnahme (nur) die Migrantenkinder je nach Wohnort aus ihrem sozialen Umfeld gerissen werden und Kontakte zu Mitschülern dadurch vorwiegend auf die Schulzeit beschränkt bleiben. Ob die freie Schulwahl nur negativen Einfluß im Hinblick auf die segregativen Tendenzen im niederländischen Bildungswesen hat, ist jedoch umstritten. Schon Jungbluth (1994 b) sah gerade in der freien Schulwahl der Eltern zwischen unterschiedlich effizienten Schulen die Möglichkeit, die Bildungschancen auch von den Migrantenkindern zu erhöhen, die aufgrund ihrer Schichtzugehörigkeit seiner Meinung nach durch die bisherige ständische Orientierung des Bildungswesens benachteiligt sind. Dazu müssen Eltern ausreichend über die Schule und deren Qualität u.a. anhand der Leistungen ihrer Schüler im Verhältnis zu denen vergleichbarer Schüler auf anderen Schulen informiert sein. Inzwischen wurde diese Möglichkeit über die sogenannten Qualitätskarten (siehe 3.1.2), eine Art Schulqualitätskontrolle realisiert. Wie die Eltern von diesem Angebot Gebrauch machen und ob im tatsächlichen Umfeld überhaupt eine Wahlmöglichkeit besteht, ist damit noch nicht geklärt. Die Schule befindet sich durch diese Entwicklung generell verstärkt unter (Konkurrenz-) Druck, ihre Angebote auch auf die Bedürfnisse von Migrantenkindern abzustimmen. Jungbluth (1994 b) sieht darin die Chance einer emanzipatorischen Bewegung der Migranten. Aber auch andere niederländische Autoren bewerten die freie Schulwahl gerade im Hinblick auf die Bildungsposition der Minderheiten eher positiv (Karsten, 1994). Sie ermöglicht den Eltern am Schulleben zu partizipieren und ihren erzieherischen Vorstellungen Ausdruck zu verleihen. Daraus könne eine Qualitätsverbesserung resultieren. Fraglich ist, ob die ethnischen Minderheiten in den Niederlanden bereits solchen Einfluß haben, um eine Veränderung der Schulen zu bewirken. Man kann sich höchstens auf lokaler Ebene Auswirkungen vorstellen, falls sich benachbarte Schulen als sehr unterschiedlich in ihrer Qualität erweisen und daher von den Eltern bevorzugt bzw. gemieden werden. Eine in diesem Sinne "gute" Schule könnte aber durch die verstärkte Anziehungskraft auf Minderheitenkinder wiederum die segregativen Tendenzen im Bildungssystem verstärken, sowohl zum Vorteil der Migrantenkinder, als auch zum Nachteil der gesamtgesellschaftlichen Integration. Aber vielleicht könnte die Emanzipation der ethnischen Minderheiten, auch in einer segregierten Situation ja eine Vorbedingung für eine gleichberechtigtere Partizipation in der niederländischen Gesellschaft sein. 5. Die Bildungsposition ethnischer Minderheiten Da Bildungserfolge zentral für die gesellschaftliche Position ethnischer Minderheiten sind, sollen die heutige Ausgangslage und mögliche Ursachen von Bildungsdefiziten der Migrantenkinder im Folgenden analysiert werden. 5.1 Leistungs- und Schulniveau Das niederländische Bildungsministerium beurteilt die deutlich unter dem Durchschnitt liegenden Leistungen von Schülern aus Migrantengruppen als besorgniserregend (MOCW, 1998, 6). Auch die Leistungsunterschiede zwischen Schülern aus "höheren" und "niederen" Schichten, zu den letzteren kann ein Großteil der ethnischen Minderheitengruppen gezählt werden, wurden nicht eingeholt. Wenn auch die zweite Generation der Migranten im Vergleich zu ihren Eltern eine deutlich bessere Bildungsposition erreichen konnte, so hat sich teilweise der Abstand zu den autochthonen Altersgenossen, die ebenfalls Fortschritte gegenüber der älteren Generation erzielt haben, sogar noch vergrößert. Das gilt auch für Kinder, die ihre gesamte Bildungslaufbahn in den Niederlanden zurückgelegt haben, den sogenannten "onderinstromers". Allerdings ist bei ihnen ein geringeres "drop-out", d.h. Schulabbruch oder Beendigung der Schullaufbahn ohne Zeugnis, und insgesamt ein höheres Endniveau als bei den sogenannten "neveninstromers", den Seiteneinsteigern in das niederländische Bildungswesen zu verzeichnen. Die sogenannte Zwischengeneration, das sind Kinder der ersten Migrantengeneration, die noch im Herkunftsland geboren sind, haben also ein viel niedrigeres Bildungsniveau erlangt als die übrige zweite Generation (Tesser et al., 1999). So sind die demographischen Veränderungen, wie die längere Aufenthaltsdauer und der geringere Anteil an Seiteneinsteigern auch als die wesentlichste Ursache für Verbesserungen anzusehen. Auf ethnische Kategorien bezogen, nehmen insgesamt die ungünstigste Bildungsposition Türken und Marokkaner ein, in einer Zwischenposition befinden sich Molukker, Antillianer und Surinamer, während bei den Südeuropäern der geringste Rückstand gegenüber den niederländischen Schülern festzustellen ist. Auch der Anteil an Schülern, die ohne Diplom die Schule verlassen und daher besonders geringe gesellschaftliche Chancen haben, ist unter den Minderheiten noch drei bis vier Mal höher als bei den autochthonen Niederländern Allochthone Schüler, die nicht zu den Minderheitengruppierungen gehören, sind dagegen in ihren Schulleistungen vergleichbar mit den autochthonen Mitschülern (Tesser et al., 1999). Eine Unterscheidung nach gesellschaftlichem Status und nicht (nur) nach Nationalität oder Herkunft scheint also auch hier gerechtfertigt. Bei den molukkischen Jugendlichen, die in den Niederlanden geboren sind und über sehr gute niederländische Sprachkenntnisse verfügen, war die Quote der Schulabbrecher und Schüler, die ohne Diplom die Schule verlassen, noch 1992 doppelt so hoch wie bei den niederländischen Klassengenossen (Özgüzel, 1992). Die Beherrschung der niederländischen Sprache allein reicht also offenbar nicht aus, um eine Schullaufbahn erfolgreich abzuschließen. Auch von den Türken und Marokkanern hatte noch 1993 beispielsweise die Hälfte kein Abschlußdiplom einer Sekundarschule erreicht (Veenman, 1994). Dieser Anteil ist bei den Jugendlichen der zweiten Generation inzwischen auf 8,5 % gesunken (Crul, 2000) und es wächst insgesamt der Anteil an Türken und Marokkanern, die eine befriedigende Schullaufbahn durchlaufen (Crul, 1996). Die Verteilung über die verschiedenen Sekundarschultypen hat sich ebenfalls zum Positiven verändert. Der größte Teil (50 %) der türkischen und marokkanischen Schüler befindet sich auf der MAVO und beinahe 20 % folgen einem HAVO oder VWO-Unterricht. Die starke Überrepräsentation auf dem niedrigsten Schulniveau, dem VBO, scheint mit der zweiten Generation langsam zu verschwinden, aber immerhin ein Drittel der Türken und Marokkaner besucht immer noch diese Schulstufe. 5.2 Ursachen von Bildungsrückständen Veränderte demographische Bedingungen, wie ein längerer Aufenthalt der Migranten, sowie ein großer Anteil an Kindern, die bereits in den Niederlanden geboren sind, können als wesentliche Ursachen für die Verbesserung der Bildungsposition allochthoner Kinder verantwortlich gemacht werden. Für die noch zu verzeichnenden Rückstände sucht man die Gründe zum einen in der Herkunftsfamilie, v.a. in deren sozial-ökonomischer Position und zum anderen in den schulischen Bedingungen, wie Anteil allochthoner Kinder, Schulklima, Organisation, Kontakt zwischen Schule und Eltern. Im Durchschnitt beginnnen die Minderheitenkinder bereits die Basisschule mit einem Defizit gegenüber autochthonen Kindern. Neben Sprachkenntnissen fehlt ihnen auch allgemeines Hintergrundwissen. Dieser Rückstand wird im Laufe der Basisschulzeit nicht vollständig eingeholt (Tesser et al., 1999). Familiäre Ausgangsbedingungen sowie kompensatorische Fähigkeiten der Schule müssen also für die Bildungsposition ethnischer Minderheiten in Betracht gezogen werden. Im folgenden sollen daher die häuslichen und schulischen Bedingungen auf ihre Relevanz für den Schulerfolg der allochthonen Kinder analysiert werden. 5.2.1 häusliche Bedingungen Da ein Großteil der Eltern aus ethnischen Minderheiten über eine niedrige Berufsposition und geringe Schulbildung verfügt, werden die Bildungsprobleme ihrer Kinder häufig mit denen von Arbeiterkindern verglichen oder sogar auf diese reduziert. So wird dem sozio-ökonomischen Status der Herkunftsfamilie ein großer Einfluß auf die Bildungschancen der Kinder beigemessen. Die schlechte finanzielle Lage der Familien erlaubt es oft nicht, den Kindern eine langwierige höhere Ausbildung zu finanzieren. Teilweise müssen die Kinder schon früh zum Familieneinkommen beitragen. Ein geringer Verdienst kann sich auch negativ auf die Wohnungssituation auswirken, sodaß allein durch beengte räumliche Bedingungen die Lernmöglichkeiten von Kindern beeinträchtigt sein können. Als weiterer, zentraler Faktor wird die geringe eigene Schulbildung der Eltern ins Feld geführt, die es ihnen erschwert, ihren Kindern in schulischen Dingen praktisch zu helfen. Das liegt vor allem an fehlenden fachlichen Kenntnissen, aber bei allochthonen Eltern häufig zusätzlich noch an mangelhaften niederländischen Sprachkenntnissen und fehlendem Wissen über das niederländische Schulwesen. Auch ist die Wahl eines höheren Bildungsweges für Eltern, die selbst eine hohe Ausbildung genossen haben, selbstverständlicher. Im Durchschnitt sind die Schulleistungen von autochthonen wie allochthonen Kindern aus "unteren" Schichten niedriger als bei denen aus "höheren" Schichten. Aus einer Reihe von Schullaufbahnuntersuchungen wurde ersichtlich, daß ein Großteil der Leistungsunterschiede auch bei Kindern aus ethnischen Minderheiten mit der Schichtzugehörigkeit erklärt werden können (Driessen, 1990; Langen & Jungbluth, 1990). In Jungbluths (1994 b) Studie an Schülern der 8. Klasse von 44 Basisschulen, bei der die Schülerleistungen in Relation zu den Faktoren Intelligenz, Familienmerkmalen und Ethnizität gesetzt wurden, zeigte sich, daß die Leistungen türkischer und marokkanischer Schüler auch bei vergleichbarer Intelligenz hinter ihren niederländischen und "kolonialen" Altersgenossen zurückbleiben. Dabei waren die ethnischen Unterschiede nur zur Hälfte als Folge der Schichtzugehörigkeit erklärbar. Also müssen noch andere Bedingungen für die Bildungsposition von Migranten verantwortlich sein. Die Bedeutung von sozio-ökonomischen Merkmalen der Herkunftsfamilie für den Bildungserfolg der Kinder ergibt sich demnach vorwiegend aus dem Vergleich der Leistungen allochthoner mit autochthonen Schülern. Die großen Unterschiede verringern sich dann etwas, wenn man den Status der Familie mitberücksichtigt. Wenn man aber die unterschiedlichen Bildungserfolge von Kindern innerhalb einer Migrantengruppierung analysiert, so stellt sich das Bildungsniveau der Eltern nicht immer als relevanter Faktor dar. Bei den türkischen und marokkanischen Jugendlichen der zweiten Generation schnitten beispielsweise Kinder von Analphabeten in ihren Schulleistungen nicht signifikant schlechter ab, als Kinder von Eltern, die die Grund- oder weiterführende Schule besucht hatten (Crul, 1996). Die sozio-ökonomischen Hintergrundsmerkmale der Eltern bieten also nur teilweise eine Erklärung für die schlechte Bildungsposition der Allochthonen. Die Unterschiede innerhalb der Minderheitengruppierungen können sie nicht erklären. Auch die Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Migrantengruppen (siehe Lindo, 1996; Mulder & Vierke, 1998) deuten darauf hin, daß die sozio-ökonomischen Verhältnisse nicht als alleinige Ursache herhalten können . Die Schwierigkeit, sozio-ökonomische Bedingungen als Faktor für Bildungsrückstände bei Minderheitengruppen verantwortlich zu machen, liegt besonders darin, daß nach niederländischen Maßstäben sich fast alle Arbeitsmigranten in der untersten sozio-ökonomischen Schicht befinden (Teunissen, 1990a). Für die schlechte Bildungsposition ethnischer Minderheiten können sozio-ökonomische Faktoren also mitverantwortlich gemacht werden, aber sie erklären erstaunlicherweise nicht den von Crul (2000) festgestellten Schulerfolg von Allochthonen auf einem höheren Bildungsweg, die denselben häuslichen Bedingungen unterliegen . Auch Dagevos und Veenman (1992) konstatieren bei ihren "Successvollen (erfolgreichen) Allochtonen" Bildungserfolg trotz der schlechten finanziellen Lage der Herkunftsfamilie. Sie schreiben die erreichte Position jedoch u.a. dem "kulturellen Kapital" der Familie zu. Da Kinder ethnischer Minderheiten im Durchschnitt aber niedrigere Bildungsabschlüsse erreichen als autochthone Kinder, deren Eltern über ein ähnlich niedriges Bildungsniveau verfügen, wird als Ursache für Bildungsrückstände (zusätzlich) die Ethnizität diskutiert. Diese wird neben der Sprache (s.u.) durch eine bestimmte Kultur charakterisiert. Kulturelle Faktoren werden also gleichermaßen für den Bildungserfolg wie die Bildungsdefizite ethnischer Minderheiten verantwortlich gemacht. Da die schlechte Beherrschung der niederländischen Sprache als ein wichtiges Hindernis für eine erfolgreiche Schullaufbahn gilt, ist die Familiensprache von großer Bedeutung. Vor allem der begrenzte Wortschatz im Niederländischen behindere auch die Fortschritte in anderen Fächern (Tesser et al., 1999). Türkische und marokkanische Kinder sprechen zu Hause vorwiegend ihre eigene Sprache, in manchen molukkischen und hindustanischen Familien wird noch Malais bzw. Hindi gesprochen, während in den kreolischen Familien die Kinder generell mit Niederländisch aufwachsen (Karsten & Leeman, 1988). Ihre kommunikativen Fähigkeiten auf Niederländisch sind daher schon bei Schuleintritt größer. Der Rückstand in der niederländischen Sprachentwicklung beträgt dagegen bei türkischen, marokkanischen und antillianischen Kindern auch am Ende der Basisschule noch durchschnittlich zwei Schuljahre (Tesser et al., 1999). Um Defiziten in der niederländischen Sprache, auch unter autochthonen Kindern schon früh zu begegnen, setzt die Sprachförderung nach den neuesten bildungspolitischen Vorstellungen der Regierung jetzt schon im Vorschulbereich an und wird in den ersten Grundschuljahren verstärkt (MOCW; 2000). Die Beherrschung der niederländischen Sprache durch die Eltern hat zudem großen Einfluß darauf, wieweit sie ihren Kindern in schulischen Dingen helfen können, bedingt aber auch die Möglichkeit, zur Schule Kontakt aufzunehmen. Fraglich ist jedoch, wie neben der Sprache die übrigen kulturellen Faktoren ethnischer Minderheiten zu spezifizieren sind und inwiefern sie Einfluß auf Bildungslaufbahn und -erfolge von Kindern nehmen. Von mehreren Autoren wird darunter die Haltung gegenüber Schulbildung gefaßt (Dagevos &Veenman, 1992; Lindo, 1996). Im allgemeinen unterscheidet sich diese aber nicht von der autochthoner Eltern, sie messen der Schulbildung ihrer Kinder ebenso große Bedeutung bei. Ausnahmen finden sich bei türkischen und marokkanischen Mädchen, für die manche Eltern aufgrund ihrer religiösen Rollenvorstellungen eine höhere Ausbildung für nicht wesentlich erachten. Religiöse Auffassungen können aber auch gerade eine Triebfeder für hohe Bildungsambitionen sein. So genießt unter strenggläubigen Hindustanen Bildung und dabei vor allem ein Universitätsstudium hohes Ansehen, da innerhalb dieser Religion die Maximierung der eigenen Anlagen betont wird (Dagevos & Veenman, 1992). Ein anderer Grund, gerade Mädchen zu einer höheren Ausbildung zu animieren, liegt in dem Ziel der ökonomischen Selbständigkeit und damit finanziellen Unabhängigkeit von Frauen begründet. Traditionell sind die kreolischen Frauen häufig selbst für das Familieneinkommen zuständig, sodaß sie aus eigener Erfahrung die Notwendigkeit einer guten Ausbildung für ihre Töchtern betonen. Lindo (1996) verweist weiterhin auf die Verhaltenserwartungen und Vorbilder innerhalb der sozialen Netzwerke der Migrantengruppen, sofern sie für den einzelnen wichtige Bezugsgruppen darstellen. So seien nicht nur die Haltung der Eltern, sondern auch der Einfluß der Geschwister und Freunde für das Kind von Bedeutung. Zudem hätten die Auffassungen der weiteren Migrantengemeinschaft durch den Mechanismus der sozialen Kontrolle Einfluß auf das Schulverhalten. Allgemeine kulturelle Werte und Traditionen würden hingegen keine Erklärung bieten. Um festzustellen, warum der Schulerfolg verschiedener Migrantengruppen so unterschiedlich ist und der Frage nachzugehen, ob daran kulturelle Faktoren beteiligt sind, untersuchte er die Migrantenfamilien auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Dazu wählte er iberische, eine inzwischen relativ unproblematische und gesellschaftlich integrierte Gruppe, und türkische Jugendliche, die nach wie vor mit den Marokkanern das Schlußlicht in der Bildungsposition bilden, da deren Familienhintergrund und Ausgangslage der Eltern zum Zeitpunkt der Migration vergleichbar sind. In der ersten Phase der Niederlassung in den Niederlanden nahmen sie den gleichen Platz in der ökonomischen Struktur ein, verfügten über ein ähnliches Bildungsniveau und gleichwertige Berufspositionen. Um Einflüsse der sozialen Umgebung aufzuspüren, führte Lindo Langzeitinterviews mit fast 100 Jugendlichen im Alter von 16 bis 27 Jahren aus spanischen, türkischen und portugiesischen Familien durch und befragte deren Eltern, Geschwister und Partner. Elterliches Verhalten erklärte dabei nicht allein den unterschiedlichen Schulerfolg iberischer und türkischer Jugendlicher. Bedeutend war in seiner Untersuchung der Einfluß der sozialen Bezugsgruppe durch gruppenspezifische Verhaltensmaßstäbe, die nicht unbedingt durch Druck von außen, sondern auch über internalisierte Erwartungen wirksam waren. Als erschwerend für eine längere und höhere Ausbildung haben sich bei den türkischen Jugendlichen eine frühe Hochzeit (mit durchschnittlich 20 Jahren) und familiäre Verpflichtungen, auch finanzieller Art erwiesen, die für die iberischen Jugendlichen nicht von Bedeutung waren. Positiv hat sich die stärkere Berufstätigkeit der iberischen Mütter ausgewirkt, die durch den häufigeren Kontakt zu Niederländern auch größere Kenntnisse über das Schulwesen und dessen Möglichkeiten sammeln und an ihre Kinder weitergeben konnten. Die Untersuchung von Lindo (1996) hat jedoch vorwiegend Aussagekraft für die erste Migrantengeneration, bei denen die Eltern und teilweise auch die Kinder noch im Herkunftsland geboren sind, sowie für Familien, die stark in die soziale Gemeinschaft der Migranten eingebunden sind. Die Geschlossenheit einer Gruppe gegenüber der niederländischen Gesellschaft kann jedoch generell nicht ausschlaggebend für die schlechteren Schulleistungen ihrer Kinder sein, da z.B. die Chinesen trotzdem eine gute Bildungsposition einnehmen. Auch Tesser et al. (1999) stellen in ihrem Bericht über die heutige Bildungsposition von Minderheiten fest, daß das Bildungsniveau der Kinder entgegen ihren Erwartungen nicht mit dem Grad der sozialen Integration ihrer Eltern in der niederländischen Gesellschaft zusammenhängt. Die Migrantengemeinschaft hatte beispielsweise auch bei den Molukkern große Bedeutung. So genoß eine höhere Ausbildung unter den Molukkern allgemein nicht unbedingt hohes Ansehen (siehe Kapitel 2.2.1). Die Entscheidung für eine höhere Schule führte daher unter Umständen zu sozialer Isolierung, auch weil man sich der sozialen Kontrolle in den "Molukkergemeinden" besonders schlecht entziehen konnte (Dagevos & Veenman, 1992). Pels (1991) weist dagegen deutlich auf kulturell bedingte Unterschiede in der Sozialisation von marokkanischen gegenüber niederländischen Kindern hin. Aus ihren Beobachtungen von marokkanischen Kindern zwischen 4 und 6 Jahren in der Schule und zu Hause ergab sich, daß das Spiel der Kinder nicht durch Spielzeug und kreatives Material in der Familie stimuliert wurde. Auch wüchsen die Kinder in einer mündlichen Kultur auf, die vom Erzählen geprägt sei, während der Umgang mit und das Lesen von Büchern keinen Stellenwert einnähmen. Eine nicht existente Lesekultur im häuslichen Milieu sei daher nicht nur vom niedrigen Bildungsniveau der Eltern, sondern kulturell bedingt. Für die sprachliche und weitere kognitive Entwicklung wird aber gerade die Bedeutung des (Vor-) Lesens herausgehoben, wie auch das (selbständige) Aneignen von Wissen über Bücher im niederländischen Schulwesen großen Stellenwert hat. Auch spielerisches und selbstentdeckendes Lernen sei durch das fehlende Angebot von entsprechendem Material ungewohnt und der Umgang damit müßte erst in der Schule erlernt werden. Der Entwicklung individueller Qualitäten, Eigenständigkeit und Autonomie ständen in der marokkanischen Kultur das Einfügen in die moralische und soziale Ordnung entgegen. In der niederländischen Schule sei für die marokkanischen Kinder zudem das traditionelle Rollenverhältnis zu Erwachsenen, in dem z.B. Disziplin gefordert ist und Rückfragen seitens des Kindes nicht akzeptiert werden, dysfunktional. Es erschwere eine offene Interaktion mit den Lehrern, das Ergreifen von Initiative und das Nachfragen, wenn das Kind Hilfe benötigt. Das durch die familiäre Sozialisation erworbene "kulturelle Kapital" marokkanischer Kinder schließe daher schlechter an die Anforderungen und Voraussetzungen der niederländischen Schule und an ihre pädagogischen Methoden an. Auch Driessen et al. (1995) messen neben dem Bildungsniveau der Eltern dem Aspekt der mangelnden Lesekultur v.a. bei Türken und Marokkanern wesentliche Bedeutung für das Defizit bei, mit dem die Kinder bereits die Basisschule beginnen. So würde 50 % der türkischen und marokkanischen Kinder in der Vorschulzeit weder vorgelesen noch der Sprachentwicklung förderliche Reime und Lieder mit ihnen geübt. Die Sprachstimulation sei daher insgesamt gering. In unterschiedlichen Studien über Migrantengruppen ist eine generell positive Haltung gegenüber Schulbildung festzustellen, die dort ebenso verbreitet ist wie unter autochthonen Niederländern (Pels, 1991; Dagevos & Veenman, 1992; Crul, 1996; Lindo, 1996). Sie kann sich jedoch in unterschiedlich starker Stimulierung und Unterstützung der Kinder äußern. Eine stimulierende Umgebung für die kognitive Entwicklung z.B. durch Vorlesen (s.o.) hat sich dabei als ebenso wesentlich für die Schulleistungen erwiesen, wie die sozial-emotionale Unterstützung durch die Familie (Lindo, 1996). Die Möglichkeiten sind dabei abhängig von eigenen Bildungserfahrungen, Kentnissen und kulturellen Gewohnheiten der Eltern (s.o.). Crul (1996) unterscheidet vier Aspekte von möglichem bildungsunterstützendem Verhalten der Eltern: praktische Hilfe (beim Lernstoff), Rat (bei Schul- und Fächerwahl), Begleitung des Kindes (durch Kontrolle von Schulergebnissen und Hausaufgaben und regelmäßigen Kontakt zur Schule), Stimulierung (Leistungsanregung und moralische Unterstützung). Da es (in seiner Studie türkischen und marokkanischen) Eltern an Kenntnissen, aufgrund des eigenen Bildungsniveaus (s.o), und Einblick in das niederländische Bildungswesen häufig mangelt, können sie ihren Kindern nur auf die letzten beiden Weisen Unterstützung geben. Die Unterschiede in qualitativer sowie in quantitativer Art waren bei den von ihm untersuchten türkischen und marokkanischen Familien sehr groß. Mit Ausnahme einer sehr kleinen Gruppe von Schülern, deren Eltern der Schulausbildung ihrer Kinder sehr passiv gegenüberstehen, wichen die Kinder, die von zu Hause aus besonders stark unterstützt wurden, jedoch in ihren Schulleistungen kaum von den übrigen Kindern ab (Crul, 1996). Teilweise beschränkt sich die Förderung der Kinder auf die häusliche Situation, sodaß sich die Eltern zwar über Fortschritte bei ihren Kindern erkundigen und die Hausaufgaben kontrollieren, aber selbst keinen Kontakt zur Schule aufnehmen. Ursache hierfür sind möglicherweise Erfahrungen aus dem Herkunftsland sein, wo es nicht üblich ist, Kontakte mit den Lehrkräften zu unterhalten. Aber auch hier kann es wieder allein an der mangelnden niederländischen Sprachbeherrschung liegen. Dies trifft vor allem auf türkische und marokkanische Eltern zu (Dagevos & Veenman, 1992). Für die Jugendlichen der zweiten Generation konnte allerdings das Maß des Kontaktes der Eltern mit den Lehrern statistisch nicht mit ihren Schulleistungen in Zusammenhang gebracht werden (Crul, 1996). Diese Ergebnisse schließen jedoch nicht aus, daß für die sogenannnte Zwischengeneration und für Seiteneinsteiger das Verhalten der Eltern durchaus Einfluß auf die Bildungserfolge ihrer Kinder hat. Das statistisch nicht erkennbare Gewicht von Unterstützung durch die Eltern in schulischen Dingen weist vielleicht auch nur darauf hin, daß die Hilfe durch Andere (z.B. Geschwister, Mitschüler, Verwandte, Lehrer), die Crul (1996, 2000) gerade in seiner qualitativen Untersuchung gefunden hat, bisher zu stark vernachlässigt und in seiner Bedeutung nicht erkannt wurde. Als große Hürde für die weitere Schullaufbahn allochthoner Kinder erweist sich demnach die Unkenntnis über Struktur und Möglichkeiten des niederländischen Bildungswesens. Ein fundierter Rat bei Schullaufbahnentscheidungen kann den Kindern daher von elterlicher Seite oft nicht gegeben werden. Die Surinamer bilden in dieser Hinsicht eine Ausnahme, da neben der geringeren Sprachbarriere die Schulstruktur im Herkunftsland derjenigen in den Niederlanden stark ähnelt. Kinder allochthoner Herkunft sind daher in ihrer Schulwahl auf Empfehlungen von Schule, Geschwistern und Freunden angewiesen. Zudem hat sich gezeigt, daß wegen des fehlenden Überblicks viele allochthone Eltern nicht gegen zu niedrige Schulempfehlungen vorgehen (Dagevos & Veenman, 1992; Crul, 2000). Allerdings muß an dieser Stelle auch auf die von Crul (1996, 2000) herausgestellte Bedeutung der (älteren) Geschwister und anderer Personen aus dem sozialen Netzwerk des Kindes für die Schullaufbahn hingewiesen werden. Mehr als die Eltern können sie, aus eigener Erfahrung mit dem niederländischen Bildungswesen, den Schülern praktische Hilfe leisten und sie bei der Schul- und Fächerwahl beraten. Die jüngeren Geschwister erreichen demnach durch diese Unterstützung auch signifikant höhere Bildungsabschlüsse als die ältesten Kinder in einer Familie (Crul, 1996). In der bildungssoziologischen Literatur wurden bisher vorwiegend Bildungsniveau, Herkunft und Verhalten der Eltern als Variablen zur Erklärung des Schulerfolgs der Kinder diskutiert. Der Einfluß und die Unterstützung von Geschwistern, Verwandten und anderen wichtigen Bezugspersonen dürfen nach den Ergebnissen der Interviews von Crul (1996; 2000), Lindo (1996) und Dagevos & Veenman (1992) jedoch nicht vernachlässigt werden. Auch die statistischen Gegebenheiten weisen auf die Bedeutung der Stellung in der Geschwisterreihe für das erlangte Bildungsniveau hin und relativieren damit die Relevanz der elterlichen Faktoren.. Kulturelle Einflüsse auf die Bildungschancen der Kinder und ihr Gewicht sind schwer zu fassen. Bestimmte religiöse Vorstellungen und traditionell geprägte Rollenvorstellungen und Lebensauffassungen sind mehr oder weniger stark und nicht bei allen Mitgliedern einer nationalen Herkunft festzustellen. Zudem verändern sie sich im Laufe des Aufenthaltes in den Niederlanden und in Auseinandersetzung mit der dortigen Aufnahmegesellschaft. Nur Pels (1991) hat in ihrer Untersuchung marokkanischer Familien einen kulturellen Faktor, der direkt und eng mit kognitiver Bildung in Zusammenhang zu bringen ist, herausgefiltert. Fraglich ist jedoch, ob nicht auch dieser gerade innerhalb einer neuen kulturellen Umgebung und durch Erhöhung der Basisfähigkeiten der Eltern gewissen Veränderungen ausgesetzt ist. Zweifellos erschwert die nicht niederländische Muttersprache den Kindern das Lernen, da sie nicht die Unterrichtssprache in der Schule ist. Die hohen Schulleistungen bspw. chinesischer Kinder, die fehlenden Unterschiede in den Bildungserfolgen zwischen niederländischen Kindern und Allochthonen, die nicht zu den Minderheiten gerechnet werden auf der einen und die schlechtere Bildungsposition von niederländisch aufgewachsenen, molukkischen und surinamischen Kindern auf der anderen Seite relativieren jedoch auch den Faktor Sprache. Aus diesen Ergebnissen lassen sich Konsequenzen für Ansatzpunkte zur Verbesserung der Bildungschancen allochthoner Kinder auf Schulebene ableiten: Zum einen sollte die Schule berücksichtigen, daß viele Migrantenkinder bei der Bewältigung des Lernstoffes nicht auf die Hilfe der Eltern zurückgreifen können und entsprechende Unterstützung daher von schulischer Seite rechtzeitig und kontinuierlich nötig ist, um nicht in Rückstand zu geraten (siehe z.B. 6.2.3). Zum anderen ist die intensive Aufklärung über das niederländische Bildungswesen, die verschiedenen Bildungsgänge, Übergangsmöglichkeiten und Berufsaussichten und eine darauf abgestimmte individuelle Beratung bei der Wahl von Schulform und Fächern gerade für Minderheitenkinder unerläßlich (siehe 6.1.1). Außerdem sind Angebote für die Eltern selbst notwendig, die ihre eigenen Kenntnisse erhöhen und ihnen ermöglichen, ihre Kinder auch in kognitiver Hinsicht stärker zu fördern (siehe 6.1.2). Die Ursachen für die geringeren Bildungserfolge ethnischer Minderheiten (nur) an "hausgemachte" Bedingungen bei den Migranten selbst zu knüpfen kann daher zur Folge haben, daß notwendige Veränderungen der Schule nicht ausreichend in Betracht gezogen werden.. 5.2.2 schulische Bedingungen Aus verschiedenen Untersuchungen zu allochthonen Schülern wird ersichtlich, daß zahlreiche Lehrer niedrige Erwartungen über deren Potential haben (Jungbluth, 1994 b). Diese beruhen häufig auf stereotypen Auffassungen und haben Einfluß auf die Schulempfehlung nach der Basisschule. Dies betraf laut Dagevos & Veenman (1992) vor allem die von den Lehrern antizipierten Rollenvorstellungen für türkische und marokkanische Mädchen und war anfänglich sogar Teil der Politik gegenüber den Molukkern, für die stereotyp die lbo-Schule als passende gewählt wurde. Allerdings wurde in einzelnen Studien auch festgestellt, daß allochthone Kinder eine gegenüber ihrem Testergebnis vergleichsweise hohe Schulempfehlung bekommen haben (Tesser et al., 1999). Dies führe im Endeffekt zu höheren Schulabbrecherquoten und schlechteren Examen. Allerdings betraf diese Überbewertung der Leistungen allochthoner Kinder vorwiegend die Schüler mit schlechteren Testwerten, während diejenigen, die bei dem Test eher hoch abgeschnitten hatten, häufig niedrigere Empfehlungen bekamen als ihre autochthonen Altersgenossen. Dabei muß jedoch die Aussagekraft des Cito-Tests kritisch in Augenschein genommen werden, da es fundierte Zweifel an seiner Kulturunabhängigkeit gibt (Kroon & Vallen, 1991). Die Fragen sind von der Sichtweise der niederländischen Lebenswelt aus "eingefärbt". Der Test scheint daher die individuellen Kapazitäten, besonders der allochthonen Schüler nur schlecht wiedergeben zu können (Özgüzel, 1992). In Cruls Studie (2000) hat sich jedenfalls erwiesen, daß die Leistungen von türkischen und marokkanischen Kindern in der Brückenklasse der Sekundarschule nicht mit ihrer ursprünglichen, auf den Testwerten basierenden Empfehlung der Basisschule übereinstimmten. Eine (zu) niedrige Schulempfehlung erweist sich in den genannten retrospektiven Untersuchungen als entscheidende Schwelle und große Bürde für die weitere Schullaufbahn allochthoner Kinder. Teilweise werden die für den Cito-Test notwendigen Inhalte, der seinerseits Vorbedingung für eine höhere Sekundarschulempfehlung ist, in Basisschulen mit vielen Migranten- und /oder Arbeiterkindern aber auch gar nicht erst angeboten (Jungbluth, 1994 b). Ein weiterer, schwer zu messender Faktor, mit dem Kinder aus ethnischen Minderheiten mancherorts zu kämpfen haben, ist die Diskriminierung durch Lehrer und Mitschüler. Ob diese nur Einfluß auf das Wohlbefinden der Schüler hat oder auch auf ihre Schulleistungen ist fraglich. Sie kann nicht nur in verbalen Äußerungen oder offenkundigem Verhalten vorliegen, sondern auch strukturell im Schulwesen verankert sein, z.B. in der fehlenden Abstimmung des Curriculums auf den sprachlichen und kulturellen Hintergrund und die Lebenswelt der allochthonen Kinder. Bezüglich Diskriminierung und ungleicher Behandlung von Migrantenkindern durch Lehrer und ihrem Einfluß auf die Schulleistungen gibt es in Lindos (1996) Befragung türkischer und iberischer Jugendlicher keine eindeutigen Ergebnisse. Bedeutsam erwies sich hier eher die effektive Reaktion auf ungleiche Behandlung. Erfolgreiche allochthone Jugendliche jedenfalls berichten bei ihm nicht von fehlender Diskriminierung, sondern von mindestens einer wichtigen positiven Beziehung zu einem autochthonen Niederländer. Allerdings gilt nicht nur direkte Diskriminierung, sondern auch die unterschiedlichen Erwartungen von Lehrern gegenüber verschiedenen Schülergruppen als Ursache für ungleiche Bildungserfolge. Jungbluth untersuchte an 44 Grundschulen die These, ob "die nach sozialen Stereotypen geprägten Lehrererwartungen (...) zu einer informellen Lernzieldifferenzierung und diese wiederum zu Leistungsunterschieden zwischen Schülern unterschiedlicher Sozialkategorien (führen)." (Jungbluth, 1994 b, S. 117) Die Leistungsunterschiede waren auf der einen Seite durch Intelligenz, Schichtzugehörigkeit und Ethnizität zu erklären. Andererseits wurden die Fähigkeiten v. a. der türkischen und marokkanischen Migrantenkinder von den Lehrern negativer eingeschätzt als die der Mitschüler. Überdurchschnittliche Intelligenz von türkischen und marokkanischen Schülern wurde von ihnen sogar überhaupt nicht als solche erkannt. Dies mündete in niedriger anvisierten Lernzielniveaus für diese Ethnien. Besser schnitten in dieser Untersuchung insgesamt die Schüler aus den ehemaligen Kolonien ab. Die Einschätzung ihrer Fähigkeiten war extremer als die ihrer autochthonen niederländischen Klassengenossen.