Wichtige handschriftliche Quellen zu Kaulbachs Berliner Zyklus im

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Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte
Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich
1848–1860 Deutschland, Gruppe 1, Quellengruppe 1
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Quellen zu Aufgabe Offizielle Historienmalerei: Kaulbach, Piloty und
Makart
Quellengruppe 1: Wilhelm von Kaulbach
Quellen zu Kaulbachs Berliner Zyklus
Annemarie Menke-Schwinghammer: Weltgeschichte als >Nationalepos<. Wilhelm von
kulturhistorischer Zyklus im Treppenhaus des Neuen Museums in Berlin, Berlin 1994, S. 212–223.
Kaulbachs
Vertrag zwischen Kaulbach und Waagen, München, 15. Mai 1843
Bayerische Staatsbibliothek München, Kaulbach-Archiv VI, 1
Vertrag
Zwischen dem Königlich Bayerischen Hofmaler Herrn Wilhelm Kaulbach und dem hierzu
besonders bevollmächtigten Agenten Seiner Majestät des Königs von Preußen, Herrn Carl
Waagen, ist unter dem heutigen, auf Grund des Interims Kontractes vom 27sten July 1842
folgendes Uebereinkommen getroffen, von beiden genannten Kontrahenten eigenhändig
unterzeichnet und in Duplo ausgefertigt worden.
§1
Herr Wilhelm Kaulbach übernimmt, sechs große Freskobilder in Berlin im Verlauf von zehn
Jahren für Seine Majestät den König von Preußen auszuführen, mit den Compositionen und
Cartons zu den vier noch nicht vorhandenen, sogleich zu beginnen, und die Gemälde selbst
nach drei Jahren, also Anno 1846, anzufangen.
§2
Die Gegenstände dieser Bilder sind:
1., Die Zerstörung des Babylonischen Thurmbaues;
2., Das alte Hellas in seiner höchsten Blüthe.
Ueber beide werden noch nähere Beredungen stattfinden.
3., Die Zerstörung Jerusalems durch Tims; nach der bereits vorhandenen Composition;
4., Die Hunnenschlacht; nach der bereits vorhandenen Composition;
5., Der Einzug Gottfrieds von Bouillon in das befreite Jerusalem oder ein noch näher zu
bestimmender Gegenstand aus der Zeit Carls des Großen oder der Hohenstaufen
6., ein noch näher zu bestimmender, den ganzen Ciclus bedeutsam abschließender
Gegenstand; über beide werden noch nähere Beredungen stattfinden.
§3
Die Dimension der zur Ausführung dieser Bilder bestimmten Räume sind dem Herrn
Kaulbach mitgeteilt wie sie auf beiliegendem Blatte verzeichnet werden.
§4
Herr Wilhelm Kaulbach erhält von Seiner Majestät dem Könige von Preußen für jedes dieser
Freskobilder ./. Fünf und Dreißig Tausend Gulden Rheinisch ./. oder ./. Zwanzig Tausend
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Thaler./. wofür jedoch der zu einem solchen Bilde angefertigte Carton auch mit in den Besitz
Seiner Majestät des Königs von Preußen übergeht.
§5
Herr Wilhelm Kaulbach übernimmt dagegen die Verpflichtung für Alles zu sorgen, was zur
guten Ausführung jener Bilder erforderlich ist, doch erhält derselbe die nöthigen Gerüste,
Farben und drei Handlanger, nämlich einen Polier und zwei Farbenreiber auf königliche
Kosten.
§6
Die Zahlungen geschehen in folgender Weise:
1., Nach Vollendung jedes kleinen Cartons in der ungefähren Größe von 5–6 Fuß, wodurch
die Composition festgestellt wird, erhält Herr Kaulbach =4000 Gulden=, wogegen der
kleine Carton bis zur Vollendung des größeren durch Herrn Kaulbach, Eigenthum Seiner
Majestät des Königs bleibt.
2., Nach Vollendung jedes großen Cartons erhält Herr Kaulbach die Summe von =8000
Gulden=, wogegen dieser Carton Eigenthum Seiner Majestät des Königs wird, der kleine
aber dem Künstler wieder anheimfällt.
3., Nach Vollendung jeder Farben-Skizze erhält Herr Kaulbach abermals eine Zahlung von
=3000 Gulden=, wogegen bis zur Vollendung des Fresko-Bildes durch Herrn Kaulbach,
diese Farbenskizze Eigenthum Sr. Majestät des Königs verbleibt.
4., Der noch übrig bleibende Rest von =20,000 Gulden= wird in vier Raten
gezahlt und zwar:
die erste von =4000 Gulden= nach Vollendung eines Viertheils des großen Freskobildes
die zweite von =4000 Gulden= nach Vollendung des zweiten Viertheils deßelben
die dritte von =4000 Gulden= nach Vollendung des dritten Viertheils deßelben
und
die vierte von =8000 Gulden= nach Vollendung des ganzen Freskobildes
wogegen dann dem Herrn Wilhelm Kaulbach die Farben-Skizze wieder anheimfällt.
So geschehen München den 15ten May 1843
Wilhelm Kaulbach
Carl Waagen
»Die Zerstörung des Babylonischen Thurmbaus« (Konzept)
Bayerische Staatsbibliothek München, Kaulbach-Archiv Vl,2
Die Zerstörung des Babylonischen Thurmbaus.
Ueber dem ganzen Vorgang erscheint Gottvater als Regierer und Lenker der Welt, welcher
den König Nimrod – diesen großen >Menschenjäger< – und sein Treiben, verwirft, das
Denkmal seiner Tyrannei und seines Stolzes, zertrümmert und das Joch der geknechteten
Völker zerbricht. Unter ihm, jener Despot selbst, zwischen seinen zusammengestürzten
Götzen, Sonne und Mond – die in ihrem Falle seine vor ihm liegenden Kinder erschlagen
haben – umgeben von den Bildern der Planeten [von umgeben ... bis Planeten im Original mit
Bleistift wieder gestrichen!], in unbeugsamen [!] Trotz und verzweiflungsvollem Ingrimm
umsichblickend und den Bitten seiner Gemahlin, sich vor dem Einigen zu beugen, nicht
achtend. –
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Zu seiner Rechten, Höflinge die ihren Herrn, dessen Reich und Macht dahin ist, verhöhnen
und seiner Götter spotten, auf der entgegengesetzten Seite, Andere die ihm und seinem
Regiment fluchen, und Sänger die >Wehe< rufend, dieser Stätte des Schreckens entfliehen. –
Hinter jenen Gruppen, der Thurm selbst angedeutet, aus welchem die Arbeiter nach allen
Richtungen hin dem Verderben zu entrinnen suchen, während Einige ihren Genossen zurufen,
daß die Stunde der Erlösung aus harter Sklaverei erschienen ist, und Andere sich freudig
begrüßen.
Im Vorgrunde und seitwärts, die sich scheidenden, befreiten Völker, welche – durch die
Verschiedenheit ihrer Ansicht von Gott und göttlichen Dingen, schon längst innerlich
getrennt, und durch das in Folge jener inneren Zerspaltung sich verschieden gestaltende Wort
– auch sich äußelich [!] entfremdet, nur durch harten Zwang zusammen gehalten waren, – in
die Weite ziehen um sich über den Erdboden zu verbreiten und entgegengesetzte Richtungen
eigenthümlicher Ausbildung zu verfolgen. –
So ist im Vorgrunde, vom Könige rechts, in den Semmniten, den Asiaten, der Stamm der
Priester dargestellt. – Der Patriarch Pelech deutet hinauf zu Jehova, dem einigen Gott seiner
Verehrung, deßen empfangenen Segen er seinem ihn umgebenden Geschlechte mittheilt. –
Mehrere Figuren dieser Gruppe wenden sich voll Abscheu von den, die Mitte des Vorgrundes
bildenden Nachkommen Chamms – den Afrikanern, dem Stamm der Knechte – die in
schwarzem Götzendienst befangen, mit ihren Idolen und Fetischen davonziehen. –
Neben jenen, die Nachkommen des Japhet; /Europäer/ – das Heldengeschlecht – in die Welt
hinausstürmend um sich das Land ihrer Zukunft mit dem Schwerdte zu erobern. –
Unter dieser Gruppe, der Architekt, den hier, wie der Sage nach bei den meißten großen
Bauwerken, am Ende ein schwarzes Verhängniß um so sicherer ereilen muß, als er zum
Werkzeug deßen was Gott nicht wohlgefiel, sich gebrauchen ließ.
Erläuterung zum Homer (Konzept)
Bayerische Staatsbibliothek München, Kaulbach-Archiv VI,3:
Das zweite Bild des großen Zyklus in Berlin in welchem Kaulbach die Entwicklung des
Menschen Geschlecht darstellt, ist der Homer [mit Blei wieder gestrichen!]
Aufrecht die Leyer im Arm steht der mythische Sänger im Kahn den eine ernste
Frauengestalt, die Cumenische Sibille, mit dem Ruder hält. Von den Klängen gezogen hebt
sich das göttliche Lied zu hören Thetis aus dem Meere, von dienenden Meerfrauen
begleitet. Tiefer im Bilde umtanzen junge Krieger in harmonischem Ring einen
dampfenden Altar, während die Götter, vom Liede des Sängers geboren, auf dem
Opferdunst und dem Regenbogen dahinziehen, den Tempeln zu, die der sinnende Mensch
ihnen jüngst gegründet. Eros der älteste schwebt voran, den Grazien zugewandt, Apollo
dann mit männlichem Tritt und nach ihm das edle Gefolge der Musen deren kindlich
froheste, die komische losen Sprungs dem Zug nachhüpft. Darauf nahen die Großen: Zeus
und Hera von Wolken königlich getragen, Pallas Athene dicht dahinter und dann andere
Götter und Göttinen [!].
* Links in der äußersten Ecke des Bildes sitzt der alte Wahrsager Bakis und schreibt seine
Weissagung von der einstigen Blüthe Griechenlands auf dem Marmor.
Am Strande dem Dichter zunächst sitzen im Kreis edle Hellenen vom perikleischen Adel.
Sokrates mit dem stoischen Hummor und der Miene des befriedigten Kritikers. Äschilus
mit dem Staunen des Begreifenden und Sophokles im Auge den Blick fürs Erhabene, des
Genies das vom Genie entzündet wird. Näher im Bilde vor der horchenden Gruppe lehnt
ein Vater mit seinem Sohn, beide geleerte Schalen Weines in der Hand, gefesselt von der
Macht der genießenden Phantasie. Hinten aber in ehrerbieriger Ferne, Schulter an Schulter,
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der gläubig empfangende Demos. Künstler rühren sich im Rücken der Gruppe, dem
Gedanken Gestalt zu schaffen durch würdige Bauwerke. Ein Meister mit den lernenden
Knaben hat sich gemüht ein rohes Abbild menschlicher Gestalt anmuthlos dem Stein
abzugewinnen, während die Luft bevölkert ist von den dahinziehenden edlen Gestalten im
fürstlichen Schritt die zierlichen Glieder bewegend.
Erklärung zu den Kreuzfahrern (Konzept)
Bayerische Staatsbibliothek München, Kaulbach-Archiv VI, 5:
Die Kreuzfahrer vor Jerusalem (das fünfte Bild in dem Cyclus in Berlin). Sechs junge
Priester tragen die Lade des neuen Bundes [(gefüllt mit Reliquien) und geziert – im
Original wieder gestrichen] mit dem Allerheiligsten. Gottfried von Bouillon [hat seine
goldene Krone vom Haupt genommen – wieder gestrichen] trägt eine Dornen-Krone, seine
goldnen [zum – wieder gestrichen] Opfer bringend. Christus umgeben von der Fürbitterin
Maria und den Märtyrern Jerusalems [umgeben – wieder gestrichen] segnet die
Einziehenden. Boemund von Sicilien, Robert von Flandern, Balduin. [u.s.w. und Tankred
– wieder gestrichen] Knappen und Ritter tragen geschmückte Christen-Fahnen und
Saracenische kostbare Beute, welche sie den Heiligen opfern. In der Mitte des
Vordergrundes Peter der Einsiedler im Büßer-Gewände, als Chorführer einer Gruppe
Büßender. Der Sage nach zog eine edle Dame mit, von Mooren-Sklaven getragen und von
Tankred begleitet. Sie wurde von den Saracenen gefangen und der edle Saladin war ihr
Enkel. In der Ferne jubelnde Schaaren, nach überstandenen Mühseligkeiten beim Anblick
der heiligen Stadt die Fahnen schwenkend
Brief W. v. Kaulbachs an den Freiherrn v. Bergh, 29. Nov. 1858
Bayerische Staatsbibliothek München, Kaulbach-Archiv VI,6a
Hochwohlgeborener Freiherr,
Hochverehrtester Herr Oberstlieutenant!
In Ihrem schätzbarsten Schreiben vom 19ten d. Mts haben Sie die Frage angeregt, ob ich
bezüglich des 6ten Bildes mündlich oder schriftlich einen bestimmten Auftrag erhalten
habe, und welchen; sodann, ob derselbe von mir angenommen sei?
Erlauben Sie mir, den Sachverhalt in Kürze auseinander zu setzen. Ich war von jeher der
Meinung, daß als Gegenstand des 6ten Bildes das Zeitalter der Reformation gewählt
werden sollte. Die Gründe, welche mich zu dieser Ansicht geführt haben, scheinen mir
auch jetzt noch überzeugend zu sein.
Das 6te Bild muß dem Stoffe nach den übrigen 5 Bildern ebenbürtig sein und muß
zugleich mit denselben in einem gewissen inneren Zusammenhang stehen.
Bei dem Thurmbau zu Babel, welches das erste Bild ist, durchfluthet die Völker eine
gewaltige religiöse Bewegung. Die Begriffe von Gott und den göttlichen Dingen
verwirren sich, die Völker spalten sich und reden mit verschiedenen Zungen. Was ist nun
natürlicher, als daß der Cyklus meiner Bilder mit einer weltgeschichtlichen, religiösen
Bewegung abschließe!
Die Reformation besitzt diesen Charakter. Sie ist das großartigste religiöse Ereigniß,
welches die neue Geschichte kennt. Sie umfaßt die Zeit, wo die religiösen Ideen geläutert
und mit neuer Kraft erwachen, wo Glaubenseifer alle Völker durchglühte, und wo auch
sonst Dinge geschehen, wie z.B. die Entdeckung einer zweiten Erdkugel, die
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Wiedererschließung der classischem [sic] Literatur, die Auffindung großer
Naturgesetze am Sternenhimmel etc., welche auf den Gang der Culturgeschichte der
Menschheit mit entscheidendem Gewicht eingewirkt haben.
Wie schön ließe sich die Composition gestalten, wenn diese merkwürdigen, mit der
Reformation gleichzeitigen, oder wenigstens fast an sie grenzenden geschichtlichen
Momente zur Ausschmückung des Bildes verwendet würden.
Gestatten Sie mir, meine künstlerischen Ideen noch etwas näher zu fixiren. Ich denke
mir das 6te Bild in folgender Gestalt:
Den Rahmen desselben macht eine im Bau begriffene Kirche mit einer Vorhalle und
drei Schiffen. Im Mittel sind die Reformatoren stehend, predigend und das Abendmahl
in beiderlei Gestalten austheilend, links in dem Seitenschiffe sind die Astronomen
versammelt, den Sternenhimmel prüfend und seine Gesetze verkündend, rechts im
Seitenschiff steht Guttenberg, den ersten Druckbogen in die Höhe haltend, über ihm
befindet sich Albrecht Dürer, welcher die Schöpfungsgeschichte an die Decke malt. In
der Vorhalle drängen sich alle jene Personen und gruppiren sich alle jene
geschichtlichen Ereignisse, welche das Zeitalter der Reformation zu einem Abschnitt
in der Welthistorie erhoben haben. Hier sieht man die neue Wissenschaft mit ihren
Repräsentanten, die Wiederweckung [!] der alten klassischen Literatur, hier zeigt sich
Columbus mit den Attributen der neuen Welt, in der einen Hand den Compaß, mit der
ändern hindeutend auf das von ihm entdeckte Amerika. Ueber den Reformatoren
befindet sich eine Orgel mit Sängern, welche das protestantische Kirchenlied singen.
Alles ist von religiösem Geiste durchdrungen und fortgerissen.
Diese Ideen habe ich nochmals Herrn v. Olfers vorgetragen. Sie sind aber bei ihm auf
keinen günstigen Boden gefallen. Er zeigte Bedenklichkeiten, für die mir alles
Verständniß fehlte.
Er schlug mir vor, die Einweihung des Cölner Doms oder die Verkündigung des
Landfriedens unter Kaiser Maximilian auf dem 6ten Bilde darzustellen.
Die Einweihung des Cölner Doms wird, wenn es wirklich einmal dazu kommen sollte,
auf die Geschicke der Völker wenig Einfluß äußern.
Die Verkündigung des Landfriedens unter Kaiser Maximilian hat zwar stattgefunden,
sie ist aber nach dem übereinstimmenden Urtheil aller hervorragenden Historiker – ich
nenne hier nur von Ranke und von Sybel – eine Thatsache ohne erhebliche historische
Bedeutung, wie denn bekanntlich Kaiser Maximilian selbst kein Fürst von eigentlich
großen Eigenschaften gewesen ist.
Mit solchen politischen Nullitäten kann ich das große geschichtliche Kunst-Epos im
Berliner Museum nicht abschließen. Abgesehen aber hiervon eignen sich diese
historisch unbedeutenden Stoffe nicht einmal zur bildlichen Darstellung. Bei der
Einweihung einer Kirche sind die Weihgebete des Priesters die Hauptsache; der
Landfrieden wird mündlich verkündet, die betreffende Urkunde wird abgelesen.
Gebete und Worte aber können, wie ich mich durch mehrmalige, auf den Wunsch des
Herrn v. Olfers, unternommene Versuche persönlich zur Genüge überzeugt habe, nicht
gemalt werden.
Aus diesen Gründen konnte ich auf die Präpositionen des Herrn v. Olfers nicht
eingehen und bin immer wieder auf meinen ursprünglichen Gedanken, auf die
Darstellung der Reformation, zurückgekommen.
Gewiß ist es auch für einen Staat, wie Preußen, der in Europa an der Spitze des
Protestantismus steht, und in dem die Wissenschaft unter der erleuchteten Regierung
seiner Fürsten zur höchsten Blüthe gediehen ist, am würdigsten, wenn das Zeitalter der
Reformation, die Zeit der religiösen Wiedergeburt, die Morgenröthe der neuen CulturEpoche zum Gegenstand des 6ten Bildes gemacht, wenn die Anfänge jener geistigen
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Bewegung auf dem 6ten Bilde geschildert und verherrlicht werden, welche das
Fundament der politischen Größe Preußens bildet.
Indem ich Sie nun schließlich dringend bitte, meine wohlabgewogenen Ansichten und
Vorschläge in den maaßgebenden Kreisen mit Ihrem viel vermögenden Einflüsse künftig
unterstützen zu wollen, habe ich mit dem Ausdruck der ausgezeichnetsten Hochachtung die
Ehre zu sein
Ihr ganz ergebenster gez. W. v. Kaulbach
Münster [?], d. 29 November 1858
H. v. Abeken an den Freiherrn v. Bergh, 28. Feb./7. März. 1859,
in Abschrift Josephine Kaulbachs, Bayerische Staatsbibliothek München, Kaulbach-Archiv VI,6a. Nachschrift
dazu, Berlin, 9. März 1859, im Original, Bayerische Staatsbibliothek München, Kaulbach-Archiv VI,6a.
Verehrtester Gönner!
Indem ich Ihnen mit vielem Danke Kaulbach’s Brief [den ostensiblen Brief an den Freiherrn
von Bergh, 29. 11. 1858] zurücksende, muß ich um Erlaubniß bitten, ihn mit einigen
flüchtigen Bemerkungen zu begleiten, die Sie meinem Interesse für die Sache verzeihen
werden.
Gewiß hat Kaulbach Recht, daß der Gegenstand des sechsten Bildes nur eine große
weltgeschichtliche Periode sein darf, als Schluß würdig des Anfanges, der Völkerzerstreuung.
Was die beiden von Herrn v. Olfers vorgeschlagenen Gegenstände betrifft, so hat er in Bezug
auf den einfachen Wortlaut, wie er ihn wiedergiebt, wohl auch Recht, daß diese Ereignisse:
der Landfrieden Kaiser Maximilians oder die Einweihung des Coelner Doms, weder
malerisch noch würdig genug sind. Aber er thut doch wohl Herrn v. Olfers Unrecht, der diese
Gegenstände nicht in ihrer unmalerischen Vereinzelung, sondern in höherem Sinn aufgefaßt
wissen wollte: den Landfrieden Maximilians nur als rückblickenden Abschluß der
Vergangenheit – den Coelner Dom als prophetisches Bild einer Zukunft, in welcher die
Gegensätze, welche die Gegenwart noch verwirren, ausgeglichen sein, und dem zerstörten
Thurm von Babel eine hergestellte, vereinte christliche Kirche gegenüber stehen würde. Bei
jenem Rückblick und Abschluß der Vergangenheit würde auch der Blick vorwärts nicht ganz
ausgeschlossen sein, und fast alles, was Kaulbach für sein Bild andeutet, würde auch hirbei
Platz gefunden haben, nur daß der Mittelpunkt dieses Kosmos der letzte Ritter, nicht der erste
Prediger (protestantische Geistliche oder Theologen:) gewesen wären. Ja, das meiste von
dem, was er anführt, gehört vielmehr der Epoche Maximilians, der Zeit vor den religiösen
Bewegungen, als der Epoche der Reformation: so die Erfindung der Buchdruckerkunst, die
Erschließung der klassischen Literatur, die Entdeckung von Amerika. Herr v. Olfers wollte
gewiß alles dies nicht ausschließen. Er nahm für dieses Bild den Standpunkt vor der religiösen
Spaltung; für das prophetische Bild nahm er ihn gewissermaßen schon, allerdings
anticipirend, nach der Versöhnung dieser Spaltung. In diesem Sinne aufgefaßt, haben die
Vorschläge des Herrn v.Olfers doch wohl eine tiefere Bedeutung, als man ihnen zugesteht.
Aber ich kann ihnen allerdings auch nicht beistimmen. Ich glaube nicht, daß für das
abschließende Bild der Standpunkt in der Vergangenheit gewählt, daß der Mittelpunkt
desselben eine Gestalt werden dürfe, die, wie der letzte Ritter, so sehr im Mittelalter wurzelt.
Das prophetische Bild aber, wo der Thurm zu Babel sich in eine christliche Kirche
verwandelt, läßt sich – ich sage es mit Betrübniß – in unserer gährenden und Ungewissen Zeit
noch nicht einmal denken, geschweige denn malen, so prophetisch der ächte Künstler immer
ist.
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In gewissem Sinne prophetisch wird und muß das sechste Bild immer werden; und dazu wird
Kaulbach es immer machen, mag er nun die Prophetie auf die Erde, oder oben in den Himmel
versetzen.
Darin indessen kann ich ihm nicht beistimmen, daß die Reformation – im kirchlichen Sinne,
als repräsentirt durch die predigenden und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt
austheilenden Geistlichen den Mittelpunkt des den Uebergang zu der neuen Weltperiode
darstellenden Bildes abgeben könne.
Ich spreche ganz ungescheut, ja recht crude meinen wesentlichen und entscheidenden Grund
dagegen aus: um der Katholiken willen darf die Reformation nicht der eigentliche Gegenstand
des Bildes werden.
Mag man mich von protestantischer, ja selbst von evangelischer Seite verketzern; es ist nun
einmal doch nicht anders. Das Bild wird gemalt und das ganze Museum wird gebaut nicht von
und für die Protestanten allein, sondern eben so gut von und für die Katholiken. Es darf darum
an so wichtiger Stelle nicht etwas geben, wobei die Katholiken nicht nur auch menschlich
garnichts mitempfinden können, sondern was sie im tiefsten verletzen muß, was sie geradezu
als einen beständigen Vorwurf, als eine Beleidigung ansehen müssen. Das Museum wird aus
Staatsmitteln gebaut; und der Staat hat nicht das Recht dazu, aus diesen Mitteln der Minorität
seiner Bürger geradezu ins Gesicht zu schlagen.
Aber, sagt man mir, die Evangelischen steuern ja auch zu dem Coelner Dom, der katholischen
Kirche. – Daß dies etwas ganz anderes ist, springt leicht in die Augen, wenn man bedenkt,
daß die Existenz eines katholischen Kirchengebäudes in keiner Weise eine Beleidigung für die
Protestanten sein kann, die Verherrlichung aber der Reformation durch eine solche
Darstellung allerdings einen Vorwurf gegen die Kirche implicirt, welche sich nicht hat
reformieren wollen. Ueberdieß könnte ich denjenigen sehr wohl begreifen – nicht billigen –
der im Landtage gegen eine Bewilligung für den Coelner Dom glaubte stimmen zu müssen;
nicht billigen, denn wir sollen uns doch eben dadurch von den Katholiken unterscheiden, daß
wir die Gemeinschaft mit ihnen nicht abbrechen, daß wir thun können und thun, was sie nicht
thun können oder nicht thun. Ich muß dann aber auch bezweifeln, daß ein katholischer
Abgeordneter sich verpflichtet fühlen kann, gegen [?!] die Bewilligung für das Museumsbild
zu stimmen, und daß er, wenn er, wie natürlich, überstimmt wird, zwar eben so natürlich seine
Steuer dazu ohne Weigern zahlt, aber es mit einem Gefühle der Mißstimmung und des Grolles
thut, und daß ihm das Museum nicht den erhebenden und erfreulichen Eindruck macht, mit
dem jeder Preuße, ja jeder Deutsche daraus scheiden sollte.
Aber – sagt man mir ferner – die Reformation ist ja doch einmal ein historisches Ereigniß,
und als solches können es auch die Katholiken anerkennen, ja, zugeben, daß es manche
heilsamen Folgen auch für sie gehabt habe. – Was das letzte betrifft, so würden die
Katholiken diese heilsamen Folgen wohl etwa nur in der Weise anerkennen können, wie wir
auch aus der Fremdherrschaft, ja aus dem Jahre der Anarchie 1848 heilsame Folgen für uns
zugeben; und beide würden wir doch wahrhaftig nicht malen wollen! Seien wir doch billig
und bedenken, daß zwei Fünftel der Bevölkerung nun einmal auf diesem Standpunkte stehen!
Ich lasse mich auch garnicht irre machen, durch den Spott, als nähme ich zarte, ängstliche
Rücksichten auf diese zwei Fünftel. Es handelt sich nicht um Delikatesse und Zartgefühl; es
handelt sich um ein bestimmtes Recht dieser zwei Fünftel! Preußen hat, Gottlob! eine
evangelische Dynastie und ein erfreulich evangelisches Volk; aber ein evangelischer Staat ist
es nicht, sondern ein paritätischer, und seine Finanzen und Steuern insbesondere sind nicht
evangelisch. Auch die Kunst in Preußen, so sie in großen Momenten und monumentalen
Schöpfungen ins Leben hineintritt, ist nicht evangelisch, sondern menschlich und deutsch,
wenn man will, paritätisch, d.h. sie steht außer dem Gegensatze und darf diesem Gegensatze
nicht dienen, wie sie doch dann thun würde, wenn sie die Reformation verherrlichte.
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Und verherrlicht müßte die Reformation doch werden, wenn sie überhaupt einmal gemalt
wird; dazu bin ich nun wieder ein viel zu guter Protestant, als daß ich die Reformation gemalt
sehen möchte als ein bloßes historisches Ereigniß, von dem neutralen Standpunkte aus, dem
Evangelium und Romanismus einerlei und gleichberechtigt wären. So, wie auch die
Katholiken die Reformation gelten lassen können, wird Kaulbach sie nicht malen wollen und
nicht malen können; sonst wäre er ohne das Herz, was neben der Phantasie auch zum Künstler
gehört. Wird sie gemalt, so muß sie auch in ihrer tiefsten, segensreichen Bedeutung gemalt
werden, als die Rückkehr zu dem einfachen und wahren Christenthum, als die Befreiung der
Geister, als der Anfang eines neuen Lebens, als eine neue Ausgießung des Geistes Gottes!
Wenn sie nicht als solche große That Gottes mit überzeugender siegreicher Gewalt auch im
Bilde uns entgegentritt, so will ich sie lieber gar nicht im Bilde haben. – Als solche aber sie an
monumentaler Stelle im Kunsttempel für das ganze Land hinzustellen, dazu hat der
paritätische Staat kein Recht.
Auf seinem paritätischen Wesen aber, auf der gleichen Rücksicht für Katholiken und
Protestanten, auf diesem tiefen, in so vieler Hinsicht beklagenswerthen Zwiespalt, auf dieser
Misch-Ehe beruht Preußens Beruf und Hoffnung auf die Zukunft. Preußen ist darin
Deutschland gleich; und eben darum ist es selbst innerlich schon Deutschland, und muß es
auch einmal äußerlich werden. Oestreich kann nie Deutschland werden, weil es nicht
paritätisch ist wie Preußen. Scheuen wir uns darum nicht, aus diesem Berufe und dieser
Hoffnung auch die Consequenzen zu ziehen, und uns auch einmal etwas zu versagen, was uns
sonst am Herzen liegen möchte. Die Reformation zu verherrlichen, finden sich noch andere
Räume und Gelegenheiten genug.
Dazu kommt nun bei mir auch noch ein großes Bedenken vom malerischen Standpunkte aus.
Der eigentliche, innerste Kern der Reformation, der darin besteht, daß sie des Menschen Ich
frei gemacht, indem sie es ganz unmittelbar Gott gegenüber, und das persönliche Verhältniß
zu Ihm wieder hergestellt hat, läßt sich nicht darstellen. Gerade in dieser Befreiung des
Individuums, in dem allerpersönlichsten, liegt ihre welthistorische Bedeutung. Diese ist durch
das Wort geschehen; >Worte und Gebete lassen sich nicht malen<, sagt Kaulbach. Es giebt
keine historische symbolische Handlung, in welcher sich diese Bedeutung concentrirt, wie in
einem Brennpunkte versammelte. Man könnte sagen, sie hat sich in den Worten Luthers:
>hier stehe ich; ich kann nicht anders< ausgesprochen; aber diese Scene, den bunten
Reichstag zu malen, hat Kaulbach, wie es scheint, garnicht einmal ins Auge gefaßt; und mit
vollem Recht. Jene Worte lassen sich eben doch nicht malen; und wenn Kaulbach auch in
dem Luther wohl einen ändern Bekenner hingestellt haben würde als der schwindsüchtige
Professor Huss Lessings ist: so würde doch weder der Mann noch der Akt jemals dem
Beschauer den Eindruck jener Worte machen können. – Aber auch Kaulbachs eigener
Vorschlag: die Geistlichen predigend und das Abendmahl in beiderlei Gestalt austheilend,
reicht nicht von ferne an den Gegenstand hinan. Dies Bild würde immer nur an die
theologische und specifisch kirchliche Seite der Reformation erinnern, also recht eigentlich an
die Kirchenspaltung, und damit an alle Uebel, die in ihrem Gesetze über das deutsche
Vaterland hereingebrochen sind, vom theologischen Schulgezänke des 16’ Jahrhunderts, bis
zu den Confessions- und Unionsstreitigkeiten des 19ten! In der That, wenn er zwei Geistliche
zusammen das Abendmahl austheilend darstellte, würde man nicht gleich fragen: ist etwa der
Eine ein Lutheraner, der andere ein Reformirter? – Ist hier Union? Gott sei Dank, daß wir das
Abendmahl der Einsetzung gemäß in beiderlei Gestalt haben; aber darin liegt die
weltgeschichtlich erlösende Bedeutung der Reformation nicht; und in der Predigt unserer
gefeierten >Kanzelreden< liegt sie auch nicht! [...]
Die predigenden und das Sacrament spendenden Geistlichen sind, der Idee wie der
Erscheinung nach, ein viel zu schwacher und ungewichtiger Mittelpunkt für die Welt
umfassende Umgebung, die Kaulbach ihnen zudenkt; für das Auge würde Kaulbach’s Kunst
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und Talent wohl diesen Uebelstand beseitigen, für die Idee aber kann das selbst sein Genie
nicht.
Und diese Welt-Umgebung, diesen geistigen neuen Kosmos muß er doch hinzuthun, wenn er
die weltgeschichtliche Bedeutung des Bildes klar machen will. Die Reformation allein kann er
nicht malen, weder in symbolischer, noch in historischer Auffassung. Für diese Stelle, als
Schlußbild, ist sie doch nur im welthistorischen Zusammenhange, dessen Mittelpunkt sie
wohl geistig ist, es aber nicht äußerlich sein kann.
Das Bild dieser neuen Welt, wie es Kaulbach mit wenigen Worten andeutet, ist großartig
genug; aber – aber – [...]
Vielleicht wird zwar das Bild unter der gestaltenden Hand Kaulbach’s etwas ganz anderes
werden, wenn er einmal den Griffel genommen hat, als es sich hier in seinen Worten darstellt.
Etwas Schönes wird es sicherlich werden; davon bin ich so gut überzeugt wie Sie. Aber ich
möchte so gerne, daß es etwas würde, was alle die Vorwürfe, die man Kaulbachs Bildern zu
machen pflegt, todt schlüge; ich möchte, daß er sich einen Gegenstand nähme, der in sich
selbst schon diese Vorwürfe abweiset.
Ich brauche Sie nicht weitläufig daran zu erinnern, daß ein Haupt-Vorwurf gegen Kaulbach
der ist, daß seine Bilder nur eine Gedanken-Einheit, keine lebendige dramatische Einheit
hätten. Ich theile diesen Vorwurf nicht; ich finde in allen seinen Bildern im Neuen Museum,
wenn auch nicht gerade jene concentrirte, ausschließende Einheit wie bei Cornelius, doch eine
volle lebendige dramatische Einheit; in Allen ist wirklich Handlung [...]. Aber das läßt sich
allerdings nicht läugnen, daß das allgemeine Gefühl demjenigen Werke die Palme zuerkannt
hat – und wohl nicht ganz mit Unrecht –, in welchem die Handlung als eine einzige mit
dramatischer Lebendigkeit und sinnlicher Gewalt am meisten ins Auge springt: der
Hunnenschlacht.
Das letzte Gemälde, wie Kaulbach es in seinem Briefe entwirft, würde das gerade Gegentheil
hirvon sein.
Er giebt ihm garkeine Handlung – denn das Predigen und Abendmahl-Austheilen wird er
doch selbst wohl keine Handlung in künstlerischem Sinne nennen? Und wäre dies selbst eine
Handlung, so stände sie ganz vereinzelt und außer aller Beziehung zu den übrigen
Bestandtheilen des Bildes. Denn die Repräsentanten der neuen Wissenschaft, oder Columbus
und sein Amerika zu diesen Pastoren in eine lebendige, sinnlich anschauliche Verbindung zu
bringen, das möchte wohl weder einem Kaulbach noch einem Raphaël gelingen.
Raphaël – wie herrlich ist seine Schule von Athen! Und darin ist weder Eine Handlung, noch
Handlung überhaupt, – noch sinnlich lebendige Verbindung der Gruppen unter einander oder
mit dem Mittelpunkt, sondern eine geistige im Gedanken.
Ein Bild wie die Schule von Athen würde Kaulbach’s Bild werden, und herrlich würde es
auch werden.
Und wenn Kaulbach es an einer ändern Stelle malte, ja, wenn es im Museum das vierte oder
fünfte Bild wäre, so würde ich mich herzlich daran erfreuen. Aber hier, an der sechsten Stelle,
als Schlußbild möchte ich doch etwas Anderes, als ein solches Gedankenbild: ich möchte, um
der Sache und um Kaulbach’s willen, etwas Ergreifendes, Gewaltiges, Fortreißendes; etwas,
in dem Bedeutung und Erscheinung, Factum und Symbol, Idee und Wirklichkeit ganz Eins
wären; ich möchte eine in ihrer Bedeutung eben so mächtige, als in ihrer malerischen
Erscheinung würdige und schöne Handlung! [...] Glauben Sie, daß man zu dem Bilde, wie er
es entwirft, jemals warm werden würde, und wenn er in die Einzelheiten desselben alles Feuer
seines Geistes hineinlegte? Es wird göttlich warm sein im Vergleich mit dem berühmten
französischen Hémicycle; es wird lebendig seyn im Vergleich mit dem schönen
Overbeckschen Bild der Künste in Frankfurt; aber es wird doch kalt sein, wie selbst die
Schule von Athen in gewissem Sinn in aller ihrer Schönheit kalt ist; denn es wird, wie diese,
ein Bild sein, das man studirt. – Der Künstler mag mit aller seiner Kunst und allem seinem
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Schule des Sehens, Deutsche und französische Malerei von 1780 bis 1880 im Vergleich
1848–1860 Deutschland, Gruppe 1, Quellengruppe 1
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Genie daraus machen was er will: über den innersten Mangel im Gegenstande kommt Keiner
hinaus.
Und glauben Sie mir, alle diejenigen, die jetzt so sehr nach der Reformation schreien, werden
ihn am ersten im Stich lassen. Denn diese denken sich unter der Darstellung der
Reformation etwas ganz Anderes – sie erwarten ein historisches Genre-Bild aus der
Reformationszeit, nach der neuen beliebten Manier. Diesen Schreiern nach der
Reformation genug zu thun, darauf mag er nun von vorn herein verzichten, wenn er, wie
es sich gehört, und wie er es nicht anders kann, ein wahrhaft historisches Bild im
künstlerischen Sinn, welches zugleich nicht allegorisch, sondern symbolisch ist, malen
will. Ich begreife, daß ein großer Reiz für einen Geist wie Kaulbach darin liegen mag,
einen in sich so großartigen, bedeutenden, und doch widerstrebenden und spröden Stoff zu
bewältigen, und auch aus diesen auseinandergehenden Elementen ein einheitliches Bild
herzustellen. Aber das Unmögliche darf auch ein solcher Geist nicht versuchen. [...]
werden Sie es mir zum Vorwurf machen, daß ich jeden bisher vorgebrachten Gegenstand
ablehne, und verlangen, ich solle nun selbst einen nennen? Warum nicht? diese Aufgabe
liegt wenigstens eben so sehr auf dem historisch-menschlichen, wie auf dem
künstlerischen Gebiete.
Ich habe Ihnen ja auch wohl früher ausgesprochen, daß ich nur Einen Akt kenne, dessen
welthistorische Bedeutung wirklich in dem Akt selbst, in dem äußerlichen Factum liegt:
die Entdeckung von Amerika.
Wie unendlich wichtig dies Faktum für unsere ganze geistige Entwicklung geworden ist,
das ist noch lange nicht genug anerkannt. In Verbindung mit dem Copernikus’schen
System, das die Erde aus ihren Angeln hob, hat es unser ganzes Denken auf den Kopf,
oder vielmehr vom Kopf wieder auf die Füße gestellt. Die ganze Weltanschauung,
religiöse, philosophische, praktische wird eine andere, sobald die alten historischen Völker
nicht mehr die einzigen, sobald die eine Seite der Erde nicht mehr die ganze Erde ist.
Darum hat man dies Ereigniß mit Recht die Entdeckung der neuen Welt, nicht blos eines
neuen Welttheils genannt. Die neue Welt des Geistes, welche die Reformation und die
Wissenschaft entdeckten, läßt sich nicht malen; die neue Welt, welche Columbus
entdeckte, läßt sich malen. Copernicus, der sein Weltsystem im Geiste ausdenkt, ist kein
Gegenstand für die Kunst; Luther, der die neue göttliche Welt im Gewissen der Menschen
entdeckt oder wieder entdeckt, ist es eben so wenig, wie Copernicus; – Columbus, der
seine neue Welt mit den Augen sieht, mit den Füßen betritt, ist ein Gegenstand für die
Kunst! Denn hier liegt das Ganze in dem Einen, wirklichen, äußeren Akt! [...] In dem
Augenblick wo er die neue Welt betrat, war sie da – für alle Ewigkeit da, wie eine neue
Schöpfung. In dieser sinnlichen Berührung der alten mit der neuen Welt, [...] der
civilisirten, aus Romanen, Germanen und Arabern gewirkten Europäer mit den nackten
Kindern der Natur: in diesem Einen Augenblick liegt die ganze Bedeutung des Ereignisses
zusammengedrängt und sinnlich, physisch, malerisch darstellbar. [...]
Das Bild würde dem ersten, der Zerstreuung der Völker, gegenüberstehen: der
Zerstreuung die Wiederfindung eines Jahrtausende lang verloren gegangenen Theiles der
Menschheit. In ihm würde die Menschheit, die Welt sich gleichsam wieder
zusammenschließen; und der Gedanke würde sich hier wirklich in einem einzelnen,
sinnlichen Akt verkörpern.
Daß ein solches Bild dramatisches Leben haben, daß es eine Handlung, einen Akt
darstellen würde, werden Sie mir hoffentlich zugeben. Auch wohl, daß es sich mit großer
sinnlicher Schönheit darstellen ließe. Und sollte es denn schwerer sein, um die
Entdeckung von Amerika als Mittelpunkt herum die Andeutung anderer geistiger
Potenzen der Neuzeit zu gruppiren als um ein paar Pastoren auf Kanzel und Altar? Ja,
sollte der, welcher Columbus zu diesen Pastoren in die Vorhalle der Kirche bringen
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konnte, nicht auch zu der Entdeckung Amerikas, wenn diese den Mittelpunkt des Bildes
ausmachte, eine Andeutung der Reformation hinzubringen können? Ich bin nicht so
thöricht, aussprechen zu wollen, wie ich mir das denke; ich stelle es mir selbst nicht
einmal vor; das ist des Künstlers Sache. Und daß Kaulbach auch diesen Gegenstand, wenn
er ihn wählte, schön machen und ein herrliches großartiges Werk schaffen würde, das
werden Sie wohl auch nicht bezweifeln [...].
Wenn Ihre Geduld bis hirher gelangt ist, so kann ich Sie nun nochmals um Nachsicht
bitten für diese, currente calama niedergeschriebenen Bemerkungen. Ich weiß wohl, daß
meine Stimme nirgendwo Einfluß haben kann; aber einem gütigen Freunde gegenüber
spricht man sich um sein [!!] selbst willen doch gern einmal aus. Zu meiner Beruhigung
gereicht, daß, was auch entschieden werden möge, unter Kaulbachs Hand etwas UnSchönes, Un-Würdiges nicht entstehen kann.
Mit bekannter Gesinnung der Ihrige
Berlin, den 7 März 1859
den 9. März
Indem ich die anliegenden, höchst unnützen B...[?] die Sie dem Carneval zu Gute halten
mögen, wieder durchsehe, finde ich es am Aschermittwoch höchst nothwendig, noch eine
kurze Nachschrift hinzu zu fügen.
Wenn Sie Kaulbach und seinen Künstler-Ruhm lieb haben, so warnen Sie ihn vor dem
Bilde, wie er es projectirt; er wird ein glänzendes Fiasco damit machen. Das einzige,
wodurch er seinen künstlerischen Ruf sichern kann, ist die Wahl eines Gegenstandes für
das 6te Bild (gleich viel ob mit oder ohne Reformation), welcher ihm eine dramatische
lebendige Entfaltung, die Darstellung einer Handlung, nicht nur möglich macht, sondern
vorschreibt und auferlegt. Das von ihm projectirte Bild wird und muß dagegen alle
Mängel, die man den bisherigen Kaulbachschen Bildern (meiner Meinung nach zum
großen Theil mit Unrecht) vorwirft, wirklich enthalten, und zwar concentrirt und
potenzirt. Es wird seiner – nicht abzuläugnenden – Neigung für vereinzelte, nur durch die
Gedanken zusammengehaltene Gruppen nur allzusehr entgegenkommen; und eben darum
sollten seine Freunde [?] in seinem Interesse ihn von der Wahl eines solchen
Gegenstandes abhalten, oder verhindern, daß ihm ein solcher zur Aufgabe gestellt weide.
Es ist sonderbar, daß er selbst nicht gemerkt hat, wie das, was er gegen die
Undarstellbarkeit der mündlichen Verkündigung des Landfriedens oder der betenden
Einweihung des Kölner Domes sagt, ganz genau und eben so sehr seine Abendmahlfeier
trifft; denn das Wenige, was in letzterer an sichtbarer Handlung liegt: Austheilung und
Essen und Trinken, kommt künstlerisch nicht mehr in Betracht, als die Weihwedel und
Wasserbesprengungen bei einer Kirchweihe, oder das Auftreten eines Herolds bei
Verkündigungen. Bei solchen ist es nicht der Akt der Verkündigung, sondern das >was
verkündigt wird<, worauf es ankommt; und das was läßt sich eben nicht malen. Genau so
ist es bei dem Abendmahl nicht der Akt des Darreichens, sondern die Bedeutung des
Dargereichten; und die läßt sich eben so wenig malen. Künstlerisch steht Kaulbachs Plan
auf gar keinem anderen Standpunkte, als die beiden Vorschläge des H. v. Olfers; es ist
wirklich ganz gleichgültig, ob für die Gruppirungen der Wissenschaft, der Künste, der
Entdeckungen, die innen angebracht werden müßten, der den Bundfrieden verkündigende
Kaiser oder die Abendmahl spendenden Theologen den Mittelpunkt bilden; ja, ich weiß
nicht, ob künstlerisch und malerisch nicht der Kaiser vorzuziehen wäre.
Ich gestehe Ihnen, mich zürnt ein wenig, wenn ich an die Ausführung des Bildes mit
allen seinen Repräsentanten der neuen Lebensstimmungen [?] denke – Columbus mit
Compass und >den Attributen der neuen Welt< etc.
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Glauben Sie mir, das Publikum wird, wenn der erste Triumph, die Reformation
durchgesetzt zu sehen ... [?], sich gründlich vor dem Bilde – langweilen.
Möge Kaulbach irgend eine lebendige, dramatische Handlung als Mittelpunkt nehmen; er
wird sie schon über das Genre zu einer historisch-symbolisch-typischen Höhe erheben! –
Nur nicht diese unglückliche Nachahmung der Schule v. Athen!
... [unleserliche Unterschrift]
E. Schüller an den Freiherrn v. Bergh, 15. März 1859,
mit einer ausführlichen Gegenrede gegen die Abhandlung Abekens in Abschrift
Bayerische Staatsbibliothek München, Kaulbach-Archiv VI,6a
Hochgeehrtester Herr Oberst-Lieutenant!
Ich bin Ihnen für die gütige Mittheilung der interessanten Beilage im hohen Grade
verbunden. So geistreiche Angriffe eines bisher von uns vertheidigten Gegenstandes
regen an. Ich habe es mir demnach auch nicht versagen können, einige
Gegenbemerkungen flüchtig nieder zu schreiben.
Sie werden den beiliegenden Blättern das aphoristische ja die Aufgeregtheit des
Augenblickes ansehen. Ich muß gestehen daß mich die ganze Auffassung dieser
Angelegenheit gerade von der Seite, von welcher sie hier kommt im hohen Grade
frappirt hat.
Hätte H. v. O. sich so ausgesprochen /namentlich im ersten Theil/ so würde ich das,
seinen Standpunkt erwägend, erklärlich gefunden haben und wenn ich diesem auch
entgegentreten müßte, doch in jedem Falle dies schonender gethan haben als es hier
geschah. Wenn aber ein ehemaliger protestantischer Theologe auf so entschiedene
Weise in’s Lager unserer Gegner übergeht, so möge er es mir verzeihen wenn ich ihn,
als sonstigen Mitkämpfer, an den alten Fahneneid erinnere.
Was die in dem P.s. so beängstigend ausgesprochenen Besorgnisse anbelangt, so muß
ich gestehen, daß ich sie eben so wenig theilen kann, als sie mir ansich ganz ernst
gemeint zu sein scheinen. – Ich habe so meine eigenen Gedanken: –
Der Herr Verfasser den ich als einen so geistreichen hochgebildeten Mann verehre,
würde, wenn er meine Bemerkungen läse, zu unterscheiden wissen, was man der Sache
und der Person schuldig ist.. – Einzig und allein war es mir hier um die Sache zu thun.
[...]
Mit der größten Hochachtung
Ihr ganz ergebenster Diener
Schüller
Berlin 15/3 59
Der mir vorliegende Aufsatz über das 6te Bild welches Kaulbach noch im Museum zu
malen hat, giebt mir zu folgenden Bemerkungen Veranlassung:
Ich kann mit wenigen Worten über dasjenige hinweggehen, was zunächst über die von
Kaulbach abgelehnte Idee, den Landfrieden pp. oder die Einweihung des Kölner Domes
zu malen, gesagt wird, da der Verfasser diese beiden Vorwürfe selbst nicht für
empfehlenswert hält, obgleich er ihnen nicht allen Werth abspricht.
Soviel sei hier genügend, daß der von Kaiser Maximilian aufgerichtete Landfriede in
keiner Hinsicht ein so Epoche machendes Ereigniß der Geschichte ist, daß dieses als
Abschluß des Mittelalters und als Beginn der neuen Zeit (der Cultur-Periode) sollte
betrachtet werden können. Am allerwenigsten könnte sich dieser Landfriede ebenbürtig
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den gewaltigen Erscheinungen der Geschichte, welche den Uebergang aus dem 15ten ins
l6te Jahrhundert characterisiren, anreihen. Ihn nun gar in eine Linie mit der Reformation
zu stellen, ist eine historische Anschauung die mir wenigstens nicht einleuchten will.
Aber ein Andres ist es noch, was bei diesem Vorwurfe mein (sage ich es nur auch rund
heraus) preußisches Gefühl verletzt, daß in unserm Museum das Haus Habsburg glorificirt
werden soll, als böte unsre eigne Geschichte nicht Stoff genug dar, um durch sie zum
preußischen Volke, wohlthuend und erhebend zu sprechen.
Die prophetische Bedeutung des Kölner Dom-Baues hält der Verfasser selbst für einen,
wenn auch schönen, – Traum. Am wenigsten dürfte von der Seite, welche diesen
Gedanken verfaßte, ihm die Deutung untergelegt werden, daß dereinst dies herrliche
Gebäude, der Versöhnungstempel aller streitenden Kirchen werden solle, es sei denn daß
sie gläubig sämmtlich in den Schooß der ehrwürdigen Mutter zurückkehrten. – Wäre das
auch unsere Lösung der großen Zukunfts-Frage? –
Der Verfasser betrachtet nun den Gegenstand von zwei Seiten: – von der confessionellpolitischen und von der ästhetischen [...].
>Um der Katholiken willen< soll in einem preußischen Museum die Reformation nicht
der Gegenstand eines Bildes sein dürfen, denn das Museum wird gebaut für >Katholiken
und Protestanten<. – So lese ich, und so steht es geschrieben! –
Also bis da hinein, in das Gebiet der Kunst die für alle Menschen ein neutrales Gebiet sein
soll und kann, wollen wir den Streit der Confessionen tragen? – Verletzend soll da für die
eine Parthei die Darstellung dessen sein, was den anderen angehört? – Nun denn! –
räumen wir unsere Museen aus! Entfernen wir alle heiligen Legenden und WunderDarstellungen, alle Glorificationen der katholischen Kirche, der Päbste [!] und des
römischen Cultus! – Sie verletzen unser protestantisches Gefühl! – Mitten in dem
paritätischen Preußen (so nennt es der Verfasser) werden Marien-Säulen errichtet zur
Verherrlichung der unbefleckten Empfängniß. – Wir müssen diese, uns vom
protestantischen Standpunkte, abergläubig ja abgöttisch erscheinenden Bilder mit unseren
Augen schauen, und dulden dies ruhig, weil unsre katholischen Mitbürger eine Bedeutung
in diesen Dingen finden. Uns aber soll es verwehrt sein, nicht einmal einen Gegenstand
des Cultus, – ein rein historisches Factum, das für uns den höchsten Werth hat,
darzustellen?
>Nein! die Reformation ist ein beständiger Vorwurf für die Katholiken<. – Schlimm
genug! – Ist da nicht die ganze katholische Kirche auch ein solcher für uns? Sind es ihre
Processionen, ihre Heiligenbilder in paritätischen ... [Auslassung in der Abschrift] nicht
auch für die Protestanten? –
Und um was handelt es sich hier denn? – Um eine welthistorische Erscheinung, die nicht
aus der Geschichte und nicht aus dem eignen Bewußtsein der Katholiken zu tilgen ist, sie
mögen sie nun gerne sehen oder nicht. Wird die Reformation etwa als ein Dogma als ein
verletzendes Schisma dargestellt, das die Seelen der gläubigen Katholiken beirren müßte?
– Eben so gut kann die Blüthe Griechenlands solche zarte Empfindungen verletzen. Da ist
ja sogar Heidenthum! – Ein großes, ja das größte Moment jener weltgestaltenden Epoche
wo sich die Axe der Geister-Welt drehte, und der Gedanke, die menschliche Vernunft,
begannen, den ihnen lange vorenthaltenen Besitz wieder anzutreten, war die Reformation.
Wenn die Katholiken dies nicht anerkennen wollen, nicht können, sollen wir darum
verzichten auf unsern wohl erworbenen Besitz? [...] Haben unsere Väter nicht für diese
Güter gekämpft, haben die Fürsten unsres Volkes die Hohenzollern nicht die Reformation
mit siegreich machen helfen? – Ist nicht Alles was wir an geistigem Besitz, mit Stolz unser
nennen, ja die Bildung Deutschlands eine Frucht dieser Reformation? Ich gestehe daß
mich der Gedanke erröthen macht: daß, weil die Katholiken, mit Hochmuth sich für die
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Alleinberechtigten halten, wir feig, in einem öffentlichen Denkmale, diese Reformation
nicht feiern sollten:
Ich bin gewiß tolerant, das aber heißt die Toleranz zu weit treiben. Da laßt uns auch den
Luther in Wittenberg von seinem Piedestale stoßen, die Kirchenthüren mit den Thesen
einschmelzen, den Wormssern verbieten eine Luther-Statue zu errichten! Der
Einwurf daß das Museum aus Staats-Fonds erbaut wurde und daß dazu die
Katholiken eben so gut beisteuerten als die Protestanten scheint im ersten Augenblick
etwas für sich zu haben. Geht man aber der Sache näher auf den Grund, so zerfällt
auch dieser Einwurf in ein Nichts. – Wollte man diesen Grundsatz gelten lassen, so
würde derselbe Einspruch bei jedem Thaler den der Staat für die protestantische
Kirche ausgiebt erhoben werden können denn wohl noch mehr als eine bildliche
Darstellung ist die Realität dieser Kirche, ein Stein des Anstoßes für die Katholiken.
Umgekehrt würden die protestantischen Bürger des Staates, Einspruch gegen die
Dotirung der Erzbischöfe und Bischöfe etc. etc. erheben können. [...]
In den großen Verhältnissen des Staatslebens soll alles unberührt bleiben, nur in einem
Museum scheint es [... dem Verfasser, d.V.] ein fast roher Eingriff in die Rechte unserer
katholischen Mitbrüder zu sein, wenn dort irgend etwas dargestellt wird, das ihr zartes
Gefühl verletzt! – Warum ist es so zart! – Oder mit einfachen Worten gefragt; warum
haben die Katholiken eine so incarnirte Intoleranz gegen jeden anders Glaubenden? – Das
ist ihre Sache und ihre Schuld! Eben vom protestantischen Standpunkt dürfen wir ihnen
hier nicht nachgeben. Protestiren, ja entschieden protestiren müssen wir gegen solche
Anmaßung.
Uns soll es geziemen >hier edel nachzugeben, denn wir können dies, die Katholiken aber
können das nicht!< Allerdings! wie sehr milde christliche Ansicht! – Man täusche sich
aber nicht! – Diese Nachgiebigkeit würde uns aus einer Position nach der ändern
verdrängen, denn unsre Gegner können ja nicht nachgeben und deshalb müssen wir
weichen!
Aber es handelt sich hier noch um ein Höheres. – Ob ein Bild mehr oder weniger in der
Welt ist, selbst von dem größten Künstler, darüber könnte man sich am Ende
hinwegsetzen. Ob aber die Fahnen der Vernunft, der geistigen Freiheit, des Glaubens an
eine Fortentwicklung der Menschheit aufrecht erhalten werden, oder ob sie sich von
dünkelhafter Anmaßung vor einem erstarrenden Principe senken soll, das ist eine
bedeutsame Frage. Hier nachgiebig zu sein, ist mehr als Toleranz, ist Schwäche, ist ein
Aufgeben des eigenen Lebens Principes [...]
Leider ist diese Angelegenheit nun zu einer Parthei-Sache geworden. Wir Protestanten
sind daran nicht schuld. Niemand argwöhnte, daß in einem Bilde, auf welchem auch der
Reformation eine Stelle eingeräumt würde eine Verletzung für unsere katholischen
Mitbürger liegen könne. – Von jenem Lager aus, das seine Parole von >jenseits der
Berge< erhält wurde der erste Angriff gethan. Wir beharren in unserem guten Rechte! –
Und – wenn der katholische Beschauer nicht nach dem sechsten Bild schauen will, so
blicke er auf das fünfte, wo das Misterium der Transsubstantion [!] in der erhoben
getragenen Monstranz, von Priestern und Diaconen getragen, gefeiert wird, und
erkennen, wie paritätisch wir die Kunst auffassen.
Es sei genug des Polemischen auf diesem unerfreulichen Gebiete! –
Ich wende mich jetzt mit größerem Behagen zu dem zweiten Theile der Gründe gegen die
Kaulbachsche Idee, zu den ästetischen [!]. [...]
Zuerst wird in Zweifel gezogen, ob die Reformation überhaupt darstellbar ist, d.h. in
ihrem innersten Wesen als eine freie That des Ich’s, ob die Art wie Kaulbach sie
darstellen will (Geistliche die das Abendmahl in beiderlei Gestalt austheilen und
predigen) den eigentlichen Gehalt der Reformation aussprechen kann, >denn, das Wort
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ist nicht darstellbar.< – Ganz recht! Das ist es aber überhaupt nicht in der bildenden
Kunst. Sie begnügt sich und muß sich begnügen mit der symbolisirenden Handlung. Aber
auch diese ist nur auf einen Moment beschränkt, und würde es nie vermögen eine
geschichtlich bedeutsame Begebenheit, oder eine psychologisch interessante LebensErfahrung verständlich zu machen, wenn nicht der Geist des Beschauers hinzuträte, und
an diesen einen, künstlerisch gegebenen Gedanken eine ganze Reihe anderer Gedanken
und das von ihm über den Gegenstand schon Gewußte, anknüpfte [...].
Der Verfasser verzeihe mir! Was er hier in Beziehung auf die Kaulbachsche
Symbolisirung sagt, ist einer der ästetischen Gemeinplätze die zum Ueberdruß immer und
immer wieder in der Kunst-Critik wiederholt werden und von denen Niemand, auf’s
Gewissen befragt, die Begründung nachweisen kann; indem von der bildenden Kunst
etwas verlangt wird, was sie nun einmal nicht zu leisten vermag. Ihre Wirkungen können
nur in Verbindung mit der geistigen Thätigkeit des Beschauers gedacht werden und sind
auf diese angewiesen.
Der Vorwurf welcher hier der Kaulbachschen Auffassung und Absicht gemacht wird,
trifft somit das ganze Gebiet der Kunst und wenn dieser Vorwurf ausschließlich hier der
Reformation, wie er sie sich symbolisch dachte, gemacht wird, so scheint es mehr eben
dieser Gegenstand, als der allgemein-ästetische Grund zu sein, der zu solchem
Verfahren bestimmte. Warum macht man bei der Blüthe Griechenlands nicht auch den
Einwurf daß die einzelne Gestalt Homers, so schön sie ist, doch unmöglich alle die
Folgen seines göttlichen Gesanges ausdrücken könne? – Der Beschauer kennt diese
Folgen und ihm tönt aus dem Bilde heraus, die Verherrlichung des schönen Hellas! –
Nun frage ich, ob nicht die Austheilung des Abendmahles in beiderlei Gestalt, als ein
characteristisches Zeichen der Reformation denselben Ideengang in der Seele des
Beschauers zu erwecken vermag? Ob nicht bei dem bloßen Gedanken daß dies die
Reformation symbolisire, die ganze Wirksamkeit dieser geistigen Erscheinung vor die
Seele treten kann und wird? –
Daß dies hier durch einige >Pastoren< geschieht, oder dort durch den Homer, ist ganz
gleich. Die minder ästetische Form trage die Zeit in der sich die Begebenheit ereignete.
– Luther vor dem Reichstage, oder die Thesen anschlagend, die Bulle verbrennend etc.
würde die ganze Idee der Reformation nicht besser aussprechen können, als jene
Handlung. Also! – Soll es lieber ganz unterbleiben! – Ist das des Pudels Kern? –
Wenn man gegen die ganze Auffassungsweise Kaulbachs in den Museumsbildern einen
Kriegszug eröffnen will, so ist dies Niemanden zu verwehren. Daß man aber gerade das
sechste Bild anders haben will, ist eine Forderung die der Künstler billig abweisen darf.
[...]
Zum Glück spricht sich der Verfasser hier deutlich darüber aus was er für einen
würdigen Stoff des sechsten Bildes hält. Ich kann ihm hier also auch direct begegnen.
Zu Kaulbachs Besten, um seiner Künstler-Ehre willen wird hier gewünscht:
daß dieses Schlußbild etwas Anderes als ein solches Gedankenbild sein möchte. Etwas
Ergreifendes, Gewaltiges, Fortreißendes, Etwas, in dem Bedeutung und Erscheinung, Factum und
Symbol, Idee und Wirklichkeit ganz Eins wären. – Eine, in ihrer Bedeutung eben so mächtige, als
in ihrer malerischen Erscheinung würdige und schöne Handlung
wird hier als Inhalt des Bildes verlangt. [...]
Ich will versuchen die Idee Kaulbachs diesen Forderungen gegenüber zu rechtfertigen.
Betrachtet man den ganzen Cyclus der Darstellungen im Museum, so geht der eine
Gedanke hindurch die Menschheits-Geschichte in einzelnen großen wichtigen
Momenten zur Anschauung zu bringen. Aus dem unendlichen Meere des Geschehenen
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tauchen aber nur einige Sonnenbeleuchthete Gipfel hervor. Zwischen ihnen liegt ein
weites Land das sich der Beschauer selbst bevölkern möge. Bis zum sechsten Bilde geht
derselbe an der Hand der erklärenden Geschichte.
Hier ist alles klar, faßlich, gegeben. Die Vergangenheit ist unser Besitztum. Die
Weltgeschichte, die Geschichte der Menschheit endet aber nicht mit der Gegenwart.
Die verhüllte, geahndete Zukunft liegt vor uns. Treten wir nun in dieses Schauspiel der
werdenden Menschheit hinein, so schauen wir, wie das Janushaupt rückwärts und
vorwärts. Wir beziehen das Gewordene auf das Werdende. Nirgend schließt sich für uns
die Geschichte ab. – Wo wäre das Ereigniß, die Handlung eines Menschen, zu finden,
welche einen solchen Aufschluß böten. Nur immer ein neues Moment der Anknüpfung für
ein Werdendes ist jede Geschichts-Epoche. – In einem Cyclus von Darstellungen der die
gesammte Menschheits-Geschichte zum Gegenstande hat, scheint mir nun, nur solch ein
Vorwurf der zwingende Schluß zu sein, der eine möglichst weite Perspective in die
Zukunft eröffnet. Gerade hier würde eine, an sich abgeschlossene Handlung, so groß sie
auch wäre, mir nicht genügen. Gerade hier stellt sich die Berechtigung für den Künstler
heraus, seinen symbolischen Schöpfungsgang (räumte man diesen ihm ein, bei den
früheren Bildern) zu gipfeln und zum höchsten Ausdrucke zu bringen. Ja! nach meiner
Ueberzeugung fordert das Ganze einen solchen Abschluß. Wo wäre er nun besser zu
finden als in jenen großartigen Erscheinungen, welche das Mittelalter abschließen und
die neuere Zeit im Keime tragen, die noch immer fortwirkend, in einer noch lange nicht
abzugränzenden Zukunft, ihre belebende Kraft offenbaren werden. Der erste Gedanke
Kaulbachs den er mir vor Jahren schon mittheilte erfüllte mich mit Bewunderung und
Freude. Ich pries ihn glücklich daß er einen solchen Schluß für sein großes Werk
gefunden hatte. Dieses sechste Bild erschien mir gleich als das vorwärts schauende
Janus-Haupt. So sehr ich die Rechte und Forderungen der bildenden Kunst auch zu
erkennen und zu respectiren weiß, schien mir der Gedanke doch von so überwiegender
Mächtigkeit, daß ich gerne alle etwaigen kleinen Bedenken über seine Ausführbarkeit
beschwichtigte. Das >Wie< ist des Künstlers Sache. Er wird dafür einstehen!
Ich kann hiernach dem Verfasser nicht einräumen, daß die Kaulbachsche Idee eine
ungenügende nicht hierher passende sei.
Die Gefahr daß das Bild eine Schule von Athen werden könne, wollen wir ertragen! [...]
Die Furcht theile ich nicht daß eine solche Darstellung die Beschauenden kalt lasse. Der
Sinn des Volkes für die großen Ideen der Zukunft ist nicht erstorben. Das Bedeutsame
welches zum Nachdenken anregt, ist ihm bei gehöriger Verständigung, willkommen,
wenn es überdem in schöner Form erscheint.
Nun noch einige Worte über den Vorschlag des Verfassers, die Entdeckung Amerika’s
zum Vorwurfe des letzten Bildes zu machen. Passen auf diesen Gegenstand alle die eben
bezeichneten Criterien? Zunächst spricht sich die Handlung selbst noch in weit
geringerem Grade aus, als die Reformation. Das Betreten eines tüchtigen würdigen
Mannes im Geleite seiner Spanier, jenes bisher unbekannten Eilandes, gegenüber
staunenden nackten Wilden, in einer schönen tropischen Natur, würde wohl vor Allem
etwas Genreartiges haben. Wie in aller Welt soll diese Handlung alle die ungeheuren
Consequenzen der Entdeckung von Amerika an sich aussprechen! Tritt hier nicht die
oben erörterte Nothwendigkeit ebenfalls ein und fast noch im höheren Grade, daß der
Beschauer das Verständniß mitbringe und die erforderliche Gedankenreihe anknüpfte.
Aber der Verfasser will hier noch gar eine solche Ideen-Verbindung verlangen, auf die
schwerlich Jemand kommen dürfte. >In der Entdeckung der neuen Welt soll die
Berührung der geschichtlichen Gattung mit der geschichtlosen Menschen-Natur liegen.
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Die verlorenen unbekannten Brüder, jene Heiden welche selbst an der Vorbereitung des
Christenthums nicht Theil genommen haben, sollen den Christen nahe treten. An die
Zerstreuung der Völker im ersten Bilde soll die Wiederfindung eines Jahrtausende lang
verloren gegangenen Theiles der Menschheit sich anschließen!< –
Wie ein bitterer Spott klingt das Alles. Diese verloren gewesenen Mitbrüder wurden nur
gefunden, um vertilgt zu werden. Welches National-Element der Urbewohner ist gerettet
oder gefördert und entwickelt worden? Alles hat der europäischen verheerenden
Eroberung weichen und unterliegen müssen. Nur für die alte Welt hat dieses Ereigniß
Bedeutung und die höchste! –
Hier nun wird der Verfasser sich selbst untreu indem er schließlich die Concession
macht, daß wenn nur die Entdeckung Amerikas den Mittelpunkt bilde, die ändern
Erscheinungen, Copernikus etc. etc. ja selbst die Reformation beiläufig wohl auch Platz
auf dem Bilde finden könnten! – Würde es dann nicht wieder das, was vom ästetischen
Standpunkte aus früher als absolut unzulässig bezeichnet ward?
Der Verfasser will auch in dieses Bild eine Prophetie gelegt sehen. Nun wohlan!
Hierüber sind wir einig. So nehme man denn die an, die uns verständlich ist, die auf ein
erhofftes und ersehntes Gebiet hinweist, wo die Menschheit sich ihrer Kräfte bewußt,
sittlich und vernunftsmäßig ihre Zustände zu ordnen und neu zu gestalten wissen wird.
Minister M. A. v. Bethmann Hollweg an Kaulbach, 5. März 1860
Mit einer Anlage aus drei verschiedenen Gutachten zum Reformationsbild, dem »Promemoria«, einem
brieflichen Gutachten L. v. Rankes, Berlin, 22.1. 1860, und einem Gutachten K. Schnaases, Bayerische
Staatsbibliothek München, Kaulbach-Archiv VI,6a
Ew. Hochwohlgeboren haben mittelst geehrten Schreibens vom 15ten Dezember v. Js.
die Skizze zu dem Gemälde des Reformationszeitalters in photographischer Abbildung
mir zu übersenden die Güte gehabt, und dabei die Bereitwilligkeit ausgesprochen,
etwaige Bemerkungen bei der weiteren Ausführung thunlichst zu berücksichtigen. Das
Werk hat in seiner Gesammtheit fast ungetheilten Beifall erlangt, und nur über wenige
Punkte sind abweichende Ansichten hervorgetreten. Seine Königliche Hoheit der PrinzRegent, mein Allergnädigster Herr, haben in Folge des Allerhöchstdenselben darüber
gehaltenen Vortrags die Genehmigung zur Ausführung des Werks zu ertheilen geruht,
wünschen aber, daß einige Bemerkungen Ew. Hochwohlgeboren noch zur gefälligen
Erwägung anheimgegeben werden.
In dem anliegenden Promemoria sind die von Seiten der höchsten Personen und
verschiedener Kunstfreunde geäußerten Urtheile und Wünsche zusammengefaßt. Ew.
Hochwohlgeboren ersuche ich ergebenst, von den darin enthaltenen Bemerkungen
denjenigen Gebrauch machen zu wollen, welchen Sie im Interesse des Kunstwerks für
zweckmäßig erachten. Eine Betrachtung des Gegenstandes vom historischen Standpunkt
aus, zu welcher ich Herrn Professor Ranke veranlaßt habe, und ein an mich gelangtes
Schreiben des Königlichen Ober-Tribunals-Raths Dr. Schnaase sind ebenfalls in
Abschrift beigefügt.
Durch eine gefällige Aeußerung, in wie weit den in dem Promemoria enthaltenen
Vorschlägen entsprochen werden könne, würden Ew. Hochwohlgeboren mich
verpflichten.
Berlin, den 5ten März 1860
Der Königlich Preußische Minister der geistlichen, Unterrichts- und MedizinalAngelegenheiten
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v. Bethmann Hollweg
Promemoria
Der Kaulbach’sche Entwurf zum sechsten großen Wandgemälde im Treppenhause des
Neuen Museums macht in seiner Gesammtheit den Eindruck eines höchst
bedeutungsreichen genialen Kunstwerks und findet fast ungetheilten Beifall. Die Lösung
der schwierigen Aufgabe, den mannigfaltigen Stoff zu künstlerischer Einheit zu
verbinden, die verschiedenen Factoren der neuen Zeitepoche in ein organisches Ganze [!]
vereint dem Blicke darzustellen, ist dem Künstler durch eine großartige Systematik im
Gedanken und in der räumlichen Disposition, durch klare Sonderung und doch genügende
Verbindung der Gruppen, welche sich gegenseitig das Gleichgewicht halten, und
namentlich durch den gemeinsamen Hauch geistiger Erhebung, der sich über das Ganze
verbreitet, vollkommen gelungen. Auch ist eine naheliegende Gefahr glücklich vermieden
worden: das Confessionelle macht sich nicht in einer Weise geltend, welche Anstoß
erregen und verletzen könnte. Der Reichthum des Stoffes hat veranlaßt, daß die Menge der
dargestellten Personen größer ist, als auf den meisten Gemälden von ähnlichen
Dimensionen; die Zahl der Figuren übersteigt 100, während z.B. Rafaels Schule von
Athen nur 58 zeigt. Fast ist die Fülle zu groß, besonders bei der Mannigfaltigkeit der
Trachten aus mehreren Jahrhunderten; und jede Vereinfachung, welche möglich wäre,
würde dem Totaleindruck förderlich sein.
So sehr auch im Lobe der gesammten künstlerischen Conception fast alle unbefangenen
Beschauer einig sind, haben sich doch verschiedene Wünsche hinsichtlich einzelner
vorzuschlagenden Aenderungen kundgegeben. Da jedoch das Ganze die Frucht
reiflicher Ueberlegung ist, so wird man mit positiven Vorschlägen zu Aenderungen
vorsichtig sein müssen. Nur die Thatsache, daß einzelne Theile einen minder günstigen
Eindruck machen oder sich dem leichten Verständniß entziehen, läßt sich feststellen;
die Art der Abhülfe wird dem erfinderischen Geist des Künstlers überlassen bleiben
müssen.
1. In der Reformatorengruppe wird an Luther die zu ekstatische Haltung getadelt,
besonders findet man das Emporhalten der Bibel auffällig. Man hat bemerkt, es erinnere
an die Darstellung des erzürnten Moses mit den Gesetzestafeln, auch an das
Emporheben der Monstranz. Von anderer Seite findet man eben diese unwillkürliche
Vergleichung bedeutsam; nicht das Gesetz des alten Bundes, auch nicht ein mystischer
Gegenstand der Anbetung, sondern das offene Wort Gottes werde hier emporgehoben,
das Wahrzeichen der neuen Zeitepoche. Da nach einer ausdrücklichen Bemerkung des
Künstlers in diesem ersten Entwurf noch keine Portraitähnlichkeit der Köpfe und
Gestalten erstrebt ist, so steht zu erwarten, daß in der Ausführung Luther mehr
gedrungen und fest, als aufgeregt, auch durch die Tracht kenntlicher, erscheinen wird.
Doch das Auffallende seiner Erscheinung ist wohl beabsichtigt; das Bild bedarf in
seiner Mitte, nach einem Ausdruck des Künstlers, eines solchen >Ausrufungszeichens<.
Gewisse für das Gemälde vortheilhafte, rein künstlerische Nebenrücksichten lassen sich
dabei nicht verkennen; es ist günstig, daß die emporgehaltene Bibel den Halbkreis der
Vorläufer im Hintergrund unterbricht; auch der Schatten, den sie auf Luther’s Brust
wirft, ist malerisch wirksam. Der Künstler hatte außer dieser Darstellung Luther’s auch
eine minder auffallende entworfen; daß er sich für die erstere entschieden hat, läßt
wohlerwogene Gründe erwarten und es zweifelhaft erscheinen, ob eine Aenderung
gleiche Vortheile für das Bild gewähren würde.
Immerhin steht die Thatsache fest, daß viele Betrachter beim ersten Anblick einen
Anstoß an der jetzigen Haltung Luther’s nehmen, daher dem Künstler, dessen
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Erfindungsgabe wohl einen Ausweg finden wird, eine Aenderung anheim gegeben
werden könnte. Jedenfalls wird die Bibel eine Hauptstelle einnehmen müssen.
2. Nicht Melanchthon, der nicht ordinirter Geistlicher war, sondern Bugenhagen wird
das Abendmahl den Sächsischen Fürsten zu spenden haben; wogegen Melanchthon so
viel irgend möglich in nächste Beziehung zu Luther zu setzen sein möchte. Wenn
hierdurch die strenge Regelmäßigkeit der Reformatorengruppe etwas gemindert wird, so
dürfte dies kein Nachtheil sein. Die Art und Weise wird auch hier dem Genie des
Künstlers überlassen bleiben müssen. Sollte er auf einen nachher zu berührenden
Vorschlag, Melanchthon in die Mittelgruppe des Bildes aufzunehmen, eingehen, so
würde Justus Jonas oder Spalatin den Platz neben Luther einnehmen können.
Noch ist es wünschenswerth, daß Zwingli etwas mehr von Luther abgewendet nach
Calvin zu stehe.
3. Die eben erwähnte Mittelgruppe unterhalb der Reformatoren, in welcher der Krieger
die Friedensurkunde durchschneidet, hat den meisten Widerspruch gefunden. Man findet
sie allgemein zwar höchst lebendig und charakteristisch, aber für den Beschauer
räthselhaft, nicht durch sich selbst verständlich. Wird sie erklärt, so erscheint Manchen
die Haltung des an der Einigung verzweifelnden Contarini nicht würdig genug, Bucer
besser durch Melanchthon, den Hauptvertreter der irenischen Bestrebungen, insbesondere
in dem Regensburger Religionsgespräch, zu ersetzen, der Krieger, in dem man Tilly zu
erkennen glaubt, in Tracht und Charakteristik zu auffallend. Wohlwollende knüpfen eben
an diese Gestalt die Bemerkung, man habe sich zu hüten, durch die bunte Mannigfaltigkeit
der Costüme an eine Maskerade zu erinnern. Vielen scheint der Mißton kriegerischen
Zwistes überhaupt die Harmonie des Ganzen zu stören. Ebenso bestimmt wollen Andere
dies wesentliche Moment der Zeit nicht missen, und wünschen nur eine maßvollere
Darstellung des drohenden Religionskrieges, etwa durch zwei Gerüstete, von denen der
Eine auf Contarinis Seite die Friedensurkunde zerrisse, der Andere neben Melanchthon
zur Vertheidigung nach dem Schwerte griffe, ein Gedanke, der dem Künstler nur zur
freiesten Beurtheilung hingegeben sein soll, da übrigens die Abhülfe des oben bemerkten
Mangels demselben lediglich anheim gestellt bleiben muß.
4. In der Gruppe der Naturforscher nimmt Lord Baco, welcher auf den Globus blickt, eine
untergeordnetere Stellung ein, als man dem großen Begründer der inductiven Wissenschaften
wünschen möchte. Auch hier läßt sich die Art der Abhülfe dem Künstler nicht vorzeichnen.
Vielleicht könnte Baco mit Sebastian Franck, dem Verfasser des Weltbuchs, die Stelle
tauschen. Zugleich würde hierbei die Figur des Botanikers Leonhard Fuchs in der Zeichnung
verständlicher werden können.
5. Als Personen, welche nicht ganz der Bedeutung des Bildes entsprechen dürften und
deshalb hinwegbleiben könnten, hat Professor Ranke den Cardanus, Molinaeus und
Wullenweber bezeichnet, und dagegen einige andere zur Aufnahme empfohlen, unter
welchen König Eduard VI. von England und der Kurfürst Joachim II. von Brandenburg
besonders zu berücksichtigen wären.
Wenn zu manchen Namen die Persönlichkeiten noch nicht ganz passen, so ist dies durch
die Natur des ersten Entwurfs bedingt, bei dem es nach der Aeußerung des Künstlers
zunächst um den Aufbau und die Gliederung des Ganzen, die Vertheilung der Gruppen
sich handelte; die Portraitähnlichkeit wird sodann diesem Gemälde, im Vergleich zu den
übrigen, einen eigenthümlichen Charakter gewähren, und auf der symbolischen Grundlage
eine besondere Lebenswahrheit darbieten. [...] In der Gruppe der Künstler ist es Manchen
aufgefallen, daß Dürer als Repräsentant der Freskomalerei erscheint, die ihn weniger
auszeichnet, und daß dagegen Michel Angelo gänzlich fehlt.
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Gutachten Rankes1
Ew. Excellenz
danke ich ehrerbietig für die gütige Mittheilung der Skizze Kaulbach’s zu seinem
nächsten historischen Wandgemälde, die mir das größte Vergnügen gemacht hat: es sind
nur wenige Bemerkungen, die ich darüber vorzulegen weiß.
Sie betreffen nicht das Ganze, das eine geniale Conception des Meisters verräth in die
Niemand einzureden das Recht hat. Ich bewundere den Reichthum und die
Mannigfaltigkeit der Gruppirung und besonders einige der großen Gestalten im
Vordergrunde: Reuchlin und Erasmus, Shakspeare und Hans Sachs: den Botaniker und
den Cosmographen, die da erscheinen. Dürfte ich etwas erinnern, so möchte es sein, daß
der große Begründer der inductiven Wissenschaften Lord Bacon, in vollem Licht und
selbständiger hervortreten sollte. In dem Reiche der Geister ist er den meisten ändern,
die hier vorkommen, weit überlegen. Von Desmoulin und Cardan möchte ich dagegen
zweifeln, ob ihnen in diesem Kreise überhaupt ein Platz gebührt.
Die vornehmste Aufmerksamkeit zieht nothwendig die Gruppe der Reformatoren auf
sich. Er scheint mir ein glücklicher Gedanke, die verschiedenen Bekenntnisse, die doch
wieder etwas Gleichartiges haben, auf eine Weise wie es hier geschehen, zu bezeichnen.
Doch wird es der Künstler nicht mißdeuten, wenn der Historiker im Einzelnen noch
einige Abänderungen rathsam findet. Vor allem sollte Melanchthon wohl nicht das
Abendmahl austheilend dargestellt werden: einmal weil er keine kirchliche Funktionen
ausübt, sodann weil dabei auch seinem hohen Verdienst nicht volle Gerechtigkeit
widerfährt. Ihm hauptsächlich ist die Aufstellung eines haltbaren Lehrbegriffs auf dem
Grund der Schrift, der nicht in die Kategorie der Ketzerei geworfen werden konnte, und
eben so das wissenschaftliche Bedürfniß wie das religiöse Gefühl befriedigt
zuzuschreiben. Er müßte unmittelbar in Luther’s Nähe stehen, dessen vornehmster
Gehülfe er ist. Und sollte es nicht eine des Meisters würdige Aufgabe sein, den
Präceptor Germania mit seinem feinen forschenden vielseitigen Geist und sein
wettergetroffenes Angesicht darzustellen?
Die Stelle Melanchthons würde Buggenhagen, ungefähr in der hier angedeuteten
Auffassung sehr würdig einnehmen. Doch vermisse ich unter denen, die das Abendmahl
nach dem neuen Ritus empfangen, den Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg, der
seinen und seines Landes Uebertritt eben durch diese religiöse Handlung bezeichnete.
Und nicht ganz scheint mir das Verdienst der Fürsten des sächsisch-ernestinischen
Hauses durch die bloße Annahme des Kelches ausgedrückt. Ich würde vorschlagen, an
ihrer Stelle einige Bürgermeister deutscher Städte, die sich zuerst erklärten, oder
vielleicht auch geistliche Herren, z.B. den Erzbischof Hermann von Cöln zu setzen und
dagegen aus den Fürsten, die auf Leben und Tod für die Religion kämpften, wie Johann
Constanz, Johann Friedrich, Philipp von Hessen eine eigene Gruppe zu bilden; etwa zur
Seite Gustav Adolph’s, dem sie an Verdienst gleichstehen. Wullenweber kann hier nicht
rangiren: wohl aber Moritz von Sachsen, in seiner doppelseitigen zweifelhaften zuletzt
entscheidenden Haltung.
In der Gruppe zur Rechten Luther’s dürfte, wenn Melanchthon einen bedeutenderen
Platz bekäme, der Historie mehr entsprechen, wenn Zwingli dem erstem entfernter und
näher zu Calvin zu stehen käme. Unter denen, die auf dieser Seite das Abendmahl
empfangen, vermisse ich Eduard VI. von England, der dort alles begründet hat. Ich bilde
mir ein, daß die Erscheinung dieses jugendlichen Fürsten, voll von Geist und früher wie
1
Bereits gedruckt: Ein bisher ungedrucktes Gutachten Leopold von Rankes zu Kaulbachs »Zeitalter der
Reformation«. Mitgeteilt von H.F. Helmholt. In: E. Pfennigsdorf-Dessau (Hrsg.), Beweis des Glaubens im
Geistesleben der Gegenwart 43, 1907, S. 254–257.
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wohl hinfälliger Reife etwa zur Seite des Erzbischofs Cranmer, noch ein brauchbares
malerisches Motiv bilden würde. Cromwell war niemals Erzbischof, sondern weltlicher
Regent der Kirche unter Heirich VIII: Ich weiß nicht, ob ich ihn nicht erkannt habe und
ob er ganz an seiner Stelle ist. Johann Knox, der eine andere Ordnung der Dinge in
Schottland begründete, müßte möglichst eine von den Engländern abgesonderte Stellung
einnehmen. Und ließen sich nicht hinter Elisabeth noch einige andere ihrer Helden, wie
Sidney oder einer ihrer Staatsmänner wie Burleigh, der an der Durchführung der Reform
einen nicht hoch genug anzuschlagenden Antheil nahm, aufführen. Franz Drake und
Raleigh würden zugleich die Theilnahme der Protestanten an der Weltentdeckung
andeuten.
Jedoch genug. Ohne allen Anspruch auf Berücksichtigung meiner Gedanken spreche ich
sie nur aus, wie sie eben in mir entstehen, – und ergreife diese Gelegenheit, die tiefe
Verehrung auszusprechen, mit der ich bin
Ew. Excellenz
gehorsamster
L. Ranke
Berlin, den 22ten Januar 1860
Gutachten Schnaases
Bei aller Anerkennung der großen Schönheiten in Kaulbach’s Entwurf zu dem sechsten
Wandgemälde im Treppenhause des neuen Museums und ohne dem Meister eine
erhebliche Umgestaltung seiner Composition zuzumuthen, dürften doch bei der weiteren
Durcharbeitung des Cartons einige Änderungen wünschenswerth sein.
Als Gegenstand einer solchen Aenderung wird die überwiegende, an Einstimmigkeit
gränzende Mehrheit der Beschauer sogleich den übrigens höchst charakteristisch
gezeichneten, kräftigen Kriegsmann bezeichnen, welcher grade in der Mitte des Bildes
mit seinem Schwerte die ihm hingehaltene Urkunde durchsticht. Wenn auch der
Gedanke, auf dem der Verherrlichung der Reformation gewidmeten Bilde an die
derselben folgenden Religionskriege zu erinnern, eine nicht zu verkennende
Berechtigung hat, so darf doch der Repräsentant des Krieges nicht eine so hervorragende
Stelle erhalten wie hier, wo er den Blick des Beschauers zuerst auf sich zieht, durch seine
charakteristische Verschiedenheit von den übrigen, meist sehr friedlichen Gestalten
beschäftiget, und so eine ganz andre Stimmung erwirkt als das Bild im Ganzen
hervorbringen will. Soll er bleiben, so dürfte ihm eine weniger in’s Auge fallende
Stelle, nicht im Herzen des Bildes, sondern etwa an einer Seite desselben angewiesen
sein, wo er drohend in die jetzt noch geistige und friedliche Bewegung hineinblicken
und dem Blicke Gustav Adolphs, der ihn in der That zu suchen oder zu beobachten
scheint, begegnen könnte.
Ueberhaupt dürfte die ganze mit dem Kriegsmanne verbundene Gruppe noch einer
Prüfung und Änderung zu unterwerfen sein. Zuerst in Beziehung auf den Gedanken.
Während alle ändern Gruppen durch etwas Positives verbunden sind, durch
gemeinsame Arbeit und Wirksamkeit, – während dies namentlich bei der Gruppe der
Reformatoren mit vollem Rechte in so großartiger Weise geschehen ist, daß der
Zwiespalt der Confessionen als völlig gelöst, als eine nothwendige Theilung der Arbeit
behandelt, und in die Mitte zwischen Lutherische und Reformirte nicht etwa der
versöhnliche Melanchthon, sondern (wie gesagt mit vollstem historischen Rechte und
in Uebereinstimmung mit dem dankbaren Gefühle des evangelischen Volkes) Luther
selbst gestellt ist, – fehlt es bei dieser Mittelgruppe an einem solchen verbindenden
Gedanken. Die Männer des Friedens und des Rechts – Bucer, Contarini, Hugo Grotius
repräsentiren darin nicht sich selbst, nicht ihre positiven Tendenzen, sondern nur ihr
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Leiden, die Zerstörung ihrer friedlichen Absichten und die Schmach, welche sie
erduldet haben. Sie sind nur Objecte für die beiden ändern Gestalten, in denen
fanatischer Haß und Kriegswuth repräsentirt sind, eine Stellung für welche sie denn
doch zu bedeutend sein mögten. Diese Gruppe scheint daher den ändern nicht
ebenbürtig und giebt dem Beschauer welcher dem Gedankengange des Künstlers
folgend das Einzelne durchdenkt, keine klare und weiter leitende Folge. Allerdings ist
die Gruppe, so wie sie jetzt im Entwurfe steht, nicht bloß schön, sondern auch
sinnreich gedacht, und es ist gewiß richtig, daß bei der vollständig positiven Haltung
der ändern Gruppen auch das negative Element irgendwo eine Stelle finden muß, wie
der Schatten neben dem Lichte, die Disharmonie in der harmonischen Entwicklung.
Allein das muß denn doch im organischen Wege, nicht bloß durch äußerliches
Nebeneinanderstellen geschehen.
Auch in einer ändern Beziehung dürfte aber eine Änderung und Auflösung dieser
Gruppe der Composition im Ganzen günstig sein. Indem sie nämlich zwischen die
beiden ändern Gruppen des Vorgrundes so gestellt ist, daß sie den Zwischenraum
völlig schließt, bildet sie mit denselben ungeachtet der vortrefflichen Anordnung und
der sorgfältigen Sonderung doch im Gegensatz gegen die Gruppen des Hintergrundes
eine zusammenhängende Masse, welche schwer in’s Gewicht fällt und diese Gruppen
des Hintergrundes, obgleich sie dem Gedanken nach den Hauptgegenstand des Bildes
ausmachen, all zu sehr in die Ferne rückt und ihnen einen Theil der ihnen gebührenden
Bedeutung entzieht. Bei der Ausführung im Großen und in der Farbe werden sich zwar
die drei Vordergruppen in ihrer schönen und ruhigen Anordnung sehr vollständig von
einander lösen, dagegen dürfte aber auch ihre Zusammengehörigkeit vermöge der durch
die geringe Entfernung der Mittelgruppe bestimmten Farbenkraft noch stärker
heraustreten.
Allerdings giebt nun zwar die Composition eine Entgegnung auf diese Bemerkung. Die
dem untern Bildrande parallelen Stufen, welche mit ihren Linien das Ganze in zwei
Hälften theilen, bilden auch eine geistige Scheidung; die obere Hälfte repräsentirt die
höheren, idealen Bestrebungen, die untern die weltliche Sphäre. Sehr augenscheinlich ist
die Absicht auf der Seite der Naturwissenschaften [...]. Ebenso ist in der entsprechenden
Nische der ändern Seite die bildende Kunst mit ihren idealsten Aufgaben beschäftiget,
während die humanistischen Wissenschaften und selbst die humoristische Poesie unten
bleiben, weil sie aus dem Reiche des Schönen tiefer in die dunkeln Regionen des Lebens
hinabsteigen. In diesem Sinne scheint es dann auch gemeint, daß gerade unter der in der
Chornische vor sich gehenden heiligen Handlung die Entweihung und der Mißbrauch des
Religiösen, Krieg und Fanatismus, repräsentirt sind, welche also hier nur den Weltlauf
erklären und nur als zu diesem gehörig neben die Wissenschaften gestellt sind. Auf allen
übrigen Compositionen Kaulbach’s in der Treppenhalle nehmen himmlische oder doch
überirdisch luftige Erscheinungen die oberste Stelle ein; hier bleiben wir durch weg auf
der Erde und unter wirklichen Menschen, aber dafür ist unter ihnen der Gegensatz des
Geistigen oder Höheren gegen das Weltliche in ähnlicher Weise aufgefaßt und durch
räumliche Trennung geschieden. Auf diese Weise könnte man versuchen die Schilderung
jener verneinenden Mächte und ihre Zusammenstellung mit den Wissenschaften zu
rechtfertigen, indem erst dadurch der Gegensatz des Weltlaufs gegen die Reinheit und den
Frieden des religiösen und idealen Lebens hinlänglich betont werde.
Schwerlich möchte indessen der Meister diesen Gedanken gehabt haben. Ein solcher
Dualismus wäre gerade dem Geiste der Reformation zuwider, der weder das Priesterthum
in eine außerweltliche Ferne gerückt, noch die Wissenschaften von dem religiösen Leben
getrennt wissen will. Zwischen ihnen und der Religion besteht vielmehr auf
evangelischem Boden ein beständiger Wechselverkehr, der schon im Zeitalter der
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Reformation so wichtig ist und auch in diesem Bilde eine Andeutung verdiente, die
ihm durch jene Mittelgruppe entzogen wird.
Die Auflösung derselben würde daher den zweifachen Vortheil gewähren, daß sie
erstens den Vordergrund luftiger und den Aufgang zur Chornische freimachte, so daß
das Auge des Beschauers ohne Hinderung sogleich auf die Reformatoren fiele, und
zweitens Raum für einzelne Gestalten gäbe, welche, indem sie die Gruppen der
Wissenschaften und Reformatoren räumlich verbänden, auch zugleich die innere
Beziehung zwischen ihnen andeuteten. [...]
Der wichtigste Vortheil endlich, den die Auflösung der Mittelgruppe gewährte, mögte
der sein, daß sie gestattete, die Entfernung zwischen den beiden Gruppen des
Vorgrundes und den Reformatoren kleiner anzunehmen und diesen daher eine
angemessenere, größere Dimension zu geben. Denn offenbar ist das Verhältniß, in
welchem sie jetzt gehalten sind, ein zu kleines, welches sie unscheinbarer und in
Verbindung mit der schwächeren Farbe gegen die Gestalten des Vorgrundes
untergeordnet erscheinen lassen wird. [...] Schon in der Photographie erkennt man die
nachtheilige Wirkung dieses Verhältnisses und in der Ausführung im Großen würde sie
wahrscheinlich noch stärker werden, während bei Änderung und Lichtung der
Mittelgruppe eine Vergrößerung der Hauptgestalten oberhalb der Stufen wenigstens
auf die Hälfte der vordem Figuren ohne Schwierigkeit und ohne Aenderung der
Composition der oberen Hälfte des Bildes ausführbar sein dürfte. [...]
Schließlich mögte noch die Frage aufzuwerfen sein, ob die Haltung Luthers mit der
durch beide Hände über sein Haupt gehobenen Bibel nicht auch eine Aenderung
wünschenswerth macht. Wenn man auch nicht an den Moses erinnern will, welcher
zuweilen (:z.B. auf einem Bilde des Rembrandt im Berliner Museum:) die
Gesetzestafeln ebenso emporhebt, um sie zu zertrümmern, giebt doch diese Art des
Emporhaltens und Zeigens mehr den Begriff eines Gegenstandes abgöttischer
Verehrung, als jener Glaubensfestigkeit des großen Reformators, der in allen Stücken
auf die Schrift hinwies, aus ihr belehrt, überführt und erbaut sein wollte.
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