Deutsche und russische Diplomatie auf dem Weg nach Rapallo - eine Annäherung - (Meis/Ruch) Inhaltsverzeichnis 1 DEUTSCHLAND.......................................................................................................... 3 1.1 DIE KABINETTE FEHRENBACH & WIRTH I............................................. 3 1.2 DAS ZWEITE KABINETT WIRTH .................................................................... 5 2 RUSSLAND .................................................................................................................... 7 3 FRANKREICH ............................................................................................................. 10 3.1 FRANZÖSISCH-DEUTSCHES VERHÄLTNIS ............................................. 10 3.2 FRANZÖSISCH-RUSSISCHES VERHÄLTNIS ............................................ 11 4 ENGLAND ...................................................................................................................... 12 5 DEUTSCH-RUSSISCHE BEZIEHUNGEN .................................................. 13 5.1 DIE WENDE IN DER DEUTSCHEN OSTPOLITIK .................................... 13 5.2 RUSSISCHE AUßENPOLITIK .............................................................................. 17 6 DIE WIRTSCHAFTSKONFERENZ VON GENUA.................... 20 6.1 VORÜBERLEGUNGEN ............................................................................................. 20 6.1.1 FRANKREICH .................................................................................................. 20 6.1.2 USA........................................................................................................................ 20 6.2 DER VERLAUF DER KONFERENZ ................................................................22 6.3 DER ABSTECHER NACH RAPALLO ....... ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 6.3.1 DAS FERTIGE PAPIER IN DER TASCHEERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 6.3.2 6.4 DER VERTRAG ............... ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. REAKTIONEN IN GENUA . ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 7 ZUSAMMENFASSUNG............... ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED. 1 Deutschland 1.1 Die Kabinette Fehrenbach & Wirth I Die politische Situation in Deutschland in den 1920er Jahren war durch den Weltkrieg und seine Folgen gekennzeichnet. Sowohl innen- wie außenpolitisch bedingte der „Friede von Versailles“ das tägliche, politische Handeln und stand in der jungen, instabilen Weimarer Demokratie im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Seine Bedingungen hatten den deutschen Bewegungsspielraum stark eingeschränkt. Seine Auflagen waren dauerhafter Gesprächsstoff in der breit gefächerten politischen Landschaft. Die gesamte Politik Deutschlands war vom Reparationsproblem geprägt. Die Akten der Reichskanzlei geben darüber Aufschluss, wie oft das Thema auf der Tagesordnung stand und vom Kabinett behandelt werden durfte oder musste. In kurzen Abschnitten gingen Noten der Reparationskommission im Kanzleramt ein und mussten diskutiert, sowie beantwortet werden. Die Regierung Fehrenbach, und auch die Folgeregierung unter Wirth, zogen die Konsequenzen aus der harten Verhandlungslinie der Alliierten die Reparationen betreffend und gaben resigniert ihre Ämter auf. Im Mai 1921 erreichte die Reichsregierung Fehrenbach ein Ultimatum der Alliierten, dass als Reparationssumme 132 Milliarden Goldmark vorsah und binnen sechs Tagen akzeptiert werden sollte. Die Regierungsmannschaft bestehend aus Zentrum, DDP und DVP unter Kanzler Konstantin Fehrenbach (Zentrum) trat zurück. Die Politik des Widerstandes gegen den Versailler Vertrag war gescheitert. Reichspräsident Ebert überredete Fehrenbachs Parteifreund Wirth zu einer neuen Regierungsbildung mit DDP und SPD. Nun brach die Periode der Erfüllungspolitik an. Man wollte aufzeigen, dass die deutsche Volkswirtschaft unter dem Druck der alliierten Reparationsauflagen zusammenbrechen musste. Dies wollte man durch den Versuch einer bedingungslosen Erfüllung der Repressalien beweisen. Im Gegensatz zum Primat des Revisionismus unter Fehrenbach wurde die „Methode der Politik [wurde] eine andere“. Im Kampf gegen die alliierte Politik wollte man einen Keil in die geschlossene Front der Entente treiben und sich vor allem auf England und die USA stützen und durch wirtschaftliche Kooperationen eine politische Annäherung erzielen. Der deutsche Botschafter in London, Sthamer, berichtete in einem Brief ans Auswärtige Amt im Mai 1921 über die Möglichkeit, dies über den russischen Markt zu realisieren: „Gelänge es aber, im großen Maßstabe englische und deutsche Interessen in Russland zu vereinigen und voneinander abhängig zu gestalten, so wäre ein materieller Zusammenhalt zwischen beiden Ländern begründet, der durch seine Existenz allein, als schützender Damm gegen imperialistische Initiativen Frankreichs wirken würde. Ich bin deshalb der Meinung, dass ohne Zeitverlust versucht werden müsste, durch deutsche Pläne, die der Schaffung weitgehender Interessensgemeinschaften dienen, auf die englische Wirtschaftspolitik Einfluss zu gewinnen und sie an Deutschland zu fesseln.“ Rathenau suchte während seiner Zeit als deutscher Wiederaufbauminister unter Kanzler Wirth immer wieder den Kontakt zu Lloyd George und dem englischen Privatkapital, um die Konzeptionierung eines geplanten Syndikats zur Unterwerfung des russischen Marktes mitzugestalten. Die erfolgreiche Teilnahme an einem solchen Projekt würde unweigerlich die Kontakte zu England verbessern und wäre u. U. die beste „aktive Revisionspolitik“ gewesen, die zu diesem Zeitpunkt denkbar gewesen wäre. Eine direkte Hinwendung und Kontaktaufnahme mit den Sowjets schien den Verantwortlichen offensichtlich nicht tragbar. 1.2 Das zweite Kabinett Wirth Als der „Oberste Rat“ der Alliierten am 20. Oktober die Teilung Oberschlesiens gemäß einer Empfehlung des Völkerbundes bekannt gab, „demissionierte das Kabinett Wirth, dass seine ‚Erfüllungspolitik‘ in der Reparationsfrage ausdrücklich von einer gerechten Entscheidung in der Oberschlesienfrage abhängig gemacht hatte“. Trotz der Plebiszitentscheidung für Deutschland hatte Polen Teile Oberschlesiens militärisch unter seine Kontrolle gebracht und besetzt gehalten. Dieser Gewaltakt wurde nun durch die Entscheidung des „Obersten Rates“ gebilligt und die Teilung rechtskräftig. Die Regierung zog ihre Konsequenzen und trat zurück. Reichskanzler Wirth bildete ein neues Kabinett, indem er selbst - bis er im Januar 1922 Walther Rathenau berief - den Posten des Außenministers bekleidete. Rosen, bis dahin Außenminister, und Behrendt, Leiter der Ostabteilung im Auswärtigen Amt, wurden verabschiedet und Ago von Maltzan vom Russland-Referenten zum Nachfolger Behrendts. Diese personelle Umstrukturierung deutet die Wende in der deutschen Ostpolitik an, mittels dieser nun der Versuch unternommen werden sollte, sich vom alliierten Knebel zu befreien. Maltzan, der schon von Außenminister Rosen auf das politische Abstellgleis als Gesandter nach Athen verschoben werden sollte, trat nun umgehend seinen neuen Posten an alter Wirkungsstätte an. Maltzan scharte im Folgenden „ausgezeichnete Mitarbeiter“ um sich und wurde nun auch offiziell zum ostpolitischen Ideengeber und Drahtzieher des Auswärtigen Amtes. Mittels seiner spitzfindigen Diplomatie suchte das zweite Kabinett Wirth einen Ausweg aus der politischen Bedeutungslosigkeit und zurück an die europäischen Verhandlungstische zu finden. Er dachte ähnlich wie Rathenau über eine deutsche Anlehnung an den Westen und war nicht der Meinung, dass das Heil Deutschlands allein im Osten läge, aber mit ihm begann eine starke Einbeziehung Russlands in die deutschen Überlegungen. Zusammenfassend lässt sich für die deutsche Außenpolitik attestieren, dass an die Stelle der gescheiterten Widerstandspolitik gegen Versailles des Kabinetts Fehrenbach, die Erfüllungspolitik trat. Dieser Versuch, eine Revision der Versailler Bestimmungen herbeizuführen, erfuhr durch die anhaltenden, alliierten Erniedrigungen eine Erweiterung ihres Spektrums: Die neue Ostpolitik. 2 Russland Nachdem Lenin die Macht in Russland übernommen und den Krieg gegen Deutschland eingestellt hatte, landeten alliierte Interventionstruppen an verschiedenen Orten Russlands und unterstützen die verbliebenen zarentreuen russischen Kampfverbände, die so genannten „Weißgardisten“, im Kampf gegen die „Rote Armee der Arbeiter und Bauern“. Trotz der umfangreichen internationalen Hilfestellung und zeitweiliger Erfolge sahen sich die „weißen“ einer übermächtigen Roten Armee gegenüber, die das auf Moskau zentrierte Eisenbahnnetz bestens für ihre Operationen ausnutzte und aufgrund des großen Rückhalts in der Bevölkerung ganze militärische Formationen der „Weißen“ zum Überlaufen bewegte. Als den Alliierten die Ausweglosigkeit ihres Unterfangens klar wurde, räumten sie ihre Stützpunkte und brachen ihren „anti-bolschewistischen Kreuzzug“ ab. Die in den Jahren 1919 und 1920 betriebene alliierte Interventionspolitik muss als Auslöser des über Jahrzehnte währenden Ost-West-Konfliktes gewertet werden. Die russische Außenpolitik der 20er Jahre war von der Person Tschitscherins geprägt. Schon kurz nach dem Frieden von Brest-Litowsk war Trotzki als Volkskommissar des Äußeren zurückgetreten und mit dem Diplomaten Tschitscherin kam „frischer Wind“ ins Ministerium für äußere Angelegenheiten (Narkomindel). Professionell betriebene Außenpolitik des Berufsdiplomaten Tschitscherin trat an die Stelle der „amateurhaften Arbeitsweise“ Trotzkis, der innerhalb eines Jahres die kompetentesten Diplomaten des Ministeriums vergrault oder aus dem Amt gejagt hatte. Obwohl Lenin und Tschitscherin lange Zeit Gegner waren, begrüßte Lenin den Personalwechsel und machte den hochqualifizierten Tschitscherin zu seinem außenpolitischen Sprachrohr. Tschitscherin wurde während seiner Missionen stets als zuverlässiger und achtbarer Gesprächspartner geschätzt. Er selber beschreibt sich in seinen Memoiren als treuen Gesandten, der Lenins Politik ausführte und die außenpolitische Hilfestellung seines Vorsitzenden immer gerne beanspruchte. Die Niederlage im polnisch-russischen Konflikt (Waffenstillstandsabkommen am 12. Oktober 1920 in Riga) machte den Bolschewiki klar, dass die These von der sich ausbreitenden Weltrevolution überholt war. Die Konsequenz aus dieser Einsicht war die Überlegung Lenins und Trotzkis, die üblichen staatlichen Beziehungen zu den kapitalistischen Ländern wiederherzustellen. Die Weltrevolution trat folglich hinter die Bestrebungen des Narkomindel zurück, wo Tschitscherin anregte, die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Sowjetrussland und den kapitalistischen Ländern wiederherzustellen und zu pflegen. Tschitscherin äußerte sich am 17. Juni vor dem allrussischen Exekutivkomitee wie folgt: „Die historische Wirklichkeit zeigte uns, dass die Weltrevolution nicht schnell, einfach und mit einem Schlage vor sich geht. Unsere russische Wirklichkeit brachte Bedingungen hervor, die sich in anderen Ländern nicht wiederholen, in den die Entwicklung komplizierter und auf schwierigerem Wege verläuft.“ Die kritische Wirtschaftslage der RSFSR zwang die Bolschewiki dann auch, Teile des kommunistischen Wirtschaftsprogramms wieder zurückzunehmen und eine neue Wirtschaftspolitik (NEP) zu betreiben. Ein wesentlicher Bestandteil der NEP war die beschränkte Wiederherstellung des freien Handels mit den Bauern, die in den ersten Jahren nach der Revolution und den damit verbundenen Repressalien nur noch für den Eigenbedarf produziert hatten und neben der großen Missernte von 1920 für die großen Hungersnöte verantwortlich waren. Der X. Parteitag der KPR (B) im März 1921 ebnete mit seinen Beschlüssen den Weg für einen Gesetzesentwurf der schon kurze Zeit später die Einführung der NEP juristisch festlegte. In den ersten Tagen der NEP schloss Russland zunächst mit England und drei Monate später mit Deutschland Handelsabkommen, die die Handelsströme und Grundversorgung Russlands mit wichtigen Gütern wieder ankurbelte. Die Pläne der Alliierten, den russischen Markt mittels eines Konsortiums zu kontrollieren, wurde von den Bolschewiki natürlich auf das schärfste bekämpft, indem man mittels bilateraler Abkommen einzelnen Staaten höhere Handelserlöse in Aussicht stellte. Außerdem verfolgte man den Plan, besonders das Investitionskapital der unterdrückten Länder (wie Deutschland) nach Russland zu holen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der notwendige Wiederaufbau, des durch (Bürger-)Krieg und Hungersnöte strapazierten Sowjetrusslands nur durch umfangreiche bilaterale Wirtschaftsbeziehungen realisiert werden konnte. Dies zwang die Bolschewiki dazu, die revolutionäre Propaganda im Ausland in den Hintergrund zu rücken und die „üblichen“ Beziehungen zum kapitalistischen Ausland wiederherzustellen. Mit der geplanten Verschiebung der Weltrevolution und der „neuen Wirtschaftspolitik“ erfährt das sowjetrussische Handeln auf dem internationalen Parkett eine neue Dimension. Der Historiker Wolfgang Eichwede spricht von einer „defensiven Funktion“. 3 Frankreich 3.1 Französisch-deutsches Verhältnis Frankreich war als Siegermacht des Weltkriegs vorrangig an der Wiedergutmachung der Kriegsschäden interessiert. Das französische Verhältnis zu Deutschland zu Beginn der 1920er Jahre orientierte sich am „Programm Versailles“. Frankreich machte es sich zur Hauptaufgabe, die Einhaltung des Versailler Friedens seitens Deutschlands peinlichst genau zu überwachen. Die anti-deutsche Haltung Frankreichs, die in den Wunden und Verwüstungen des Weltkriegs wurzelte, war fester Bestandteil französischer Politik. So reichte es dem französischen Parlament aus, dass Aristide Briand, der spätere Unterzeichner des Abkommens von Locarno, 1921 über eine gemeinsame alliierte Strategie zur Einbindung des russischen Marktes unter deutscher Beteiligung verhandelte, um ihn zu stürzen. Lloyd Georges Initiative hatte zu Treffen und Gesprächen geführt, an denen neben Briand auch Rathenau teilnahm, und die nach britischen Vorstellungen in der Neuordnung internationaler Wirtschaftsbeziehungen gipfeln sollten. Allein die Möglichkeit, dass die Wiedergutmachungs-Frage auf einer zukünftigen Konferenz (Genua) mit einbezogen werden könnte, genügte den innenpolitischen Gegnern Briands, den Ministerpräsidenten zum Rücktritt zu bewegen. Poincaré als sein Nachfolger kehrte unverzüglich zur bisherigen Marschroute zurück. In seiner Person manifestiert sich das deutsch-französische Verhältnis sehr deutlich. Wie Botschafter Mayer am 17. Januar 1922 aus Paris ans Auswärtige Amt telegraphierte, besaß Ministerpräsident Poincaré außerordentlich gute Kenntnis über die deutschen Staatsfinanzen, um von der aktuellen Finanzlage seine Geldforderungen an Deutschland abzuleiten und zu bekräftigen. Allein die Praxis, Deutschland auf seine Zahlungsverpflichtungen hinzuweisen, reichte Poincaré jedoch nicht. Darüber hinaus ermahnte der französische Regierungschef die ehemals zarenrussischen Sukzessionsstaaten, doch vom Artikel 116 des Versailler Friedensvertrages Gebrauch zu machen, in der Absicht, Deutschland noch mehr unter Druck zu setzen. 3.2 Französisch-russisches Verhältnis Das Verhältnis zwischen Frankreich und Russland nach der Oktoberrevolution war, wie bei allen anderen bürgerlichen Staaten, klar von den Systemgegensätzen geprägt. Als Teilnehmer des „anti-bolschewistischen Kreuzzugs“ rückte Frankreich in Odessa mit den Interventionstruppen gegen die Bolschewiki vor und bezog kurze Zeit später im polnischrussischen Krieg klar Position für Polen. Frankreich versagte den Bolschewiki zunächst die politische Anerkennung und beharrte auf der Rückerstattung der zaristischen Vorkriegsschulden und Kriegsanleihen, die Frankreich in besonders hohem Maße berührten. Parallel unternahm Frankreich den Versuch, den Beitritt Russlands zum Versailler Vertrag zu bewirken. Dieses ‚Friedensabkommen‘ wurde jedoch von Lenin schon 1919 deutlich als „ungeheuerlicher Raubfrieden“1 abgelehnt. Zusammenfassend lässt sich sowohl Russland, als auch Deutschland gegenüber, eine ablehnende bis feindselige Haltung Frankreichs erkennen. Zum einen wollte man das Sowjetregime stürzen und zum anderen Deutschland als potenziellen Aggressoren dauerhaft klein halten. 1 Lenin, Werke, Bd. 31, S. 317. 4 England Die weltweite Wirtschaftskrise 1921 und die damit einhergehende äußerst angespannte Lage auf dem britischen Arbeitsmarkt bedeuteten neben der Balance of Power-Politik außenpolitisch einen gesteigerten Handlungsbedarf für Premierminister Lloyd George. Der deutsche Markt war, neben anderen (Russland), seit der Industrialisierung ein wichtiger kontinentaler Absatzmarkt für englische Produkte und fehlte aufgrund der mangelnden Kaufkraft merklich in der Außenhandelsbilanz der Briten. Somit erzwang die wirtschaftliche Situation eine Annäherung an zu integrierende Märkte. Zur Reintegration des russischen Marktes hatte man eine syndikalistische Lösung ins Auge gefasst: Ein internationales Konsortium unter der Beteiligung Deutschlands (s. o.). Bereits im Vorfeld am 16.03.21 war es in London zu einem russisch-englischen Handelsvertrag gekommen. Ein Bestandteil des Vertrages war auch der Austausch von beiderseitigen Vertretungen. „Das Abkommen [...] erfuhr einen internationalen Widerhall“, weil die Russen in ihm eine de facto Anerkennung festmachten. Die Idee, eine große internationale Wirtschaftskonferenz zur Bekämpfung der Europa überziehenden Armut einzuberufen, beruhte auf der Initiative der Engländer. Unter Beteiligung der USA als größter Gläubigernation wollte man in Genua die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen neu strukturieren. Wichtige Tagesordnungspunkte sollten die Festigung der Wechselkurse und die Neuordnung der Zolltarife neben der Abschaffung protektionistischer Handelsbarrieren sein. Alles in allem Maßnahmen, die zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und zur Belebung der Konjunktur führen sollten. Zusammenfassend kann man sagen, dass von britischer Seite die ökonomische Perspektive die Grundlage außenpolitischen Auftretens ausmachte. Demgegenüber herrschte in Frankreich eine politische Sichtweise vor. 5 Deutsch-russische Beziehungen Das Verhältnis zwischen Russland und Deutschland nach dem ersten Weltkrieg war von besonderem Charakter. Deutschland passte nicht in die von den Bolschewiki vorgenommene Zweiteilung der Welt in den imperialistischen Westen und den unterdrückten Osten. Deutschland hatte sich zwar nach dem Krieg eine „kapitalistische Demokratie“ als Staatsform ausgesucht, war aber bedingt durch die Auflagen des Versailler Vertrags eher den unterdrückten Völkern zuzuordnen, wie Lenin auf dem 2. Kongress der Komintern erläuterte. Weil also a) kapitalistisch geprägt, aber b) unterdrückt, musste es sich bei Deutschland um den nächsten Kandidaten für die sich ausbreitende Weltrevolution handeln. Diese in Deutschland investierten warmen Gedanken sollten sich jedoch später als substanzlos herausstellen. 5.1 Die Wende in der deutschen Ostpolitik Zu Beginn der 20er Jahre betrieb man in Deutschland eine relativ undogmatische Außenpolitik. Zwar verurteilte man die Grausamkeiten der bolschewistischen Revolution, doch wusste man aus dem Verlauf der Geschichte, dass Revolutionen oft „durch ein Meer von Tränen und Blut waten“. Darüber hinaus waren sich viele Deutsche darüber im Klaren, warum es überhaupt zur Oktoberrevolution gekommen war und dass das gesamte politische, wirtschaftliche und soziale Gefüge des Westens ein Aufkommen des Bolschewismus sehr begünstigt hatten. Im Hause des Freiherrn von Maltzan trafen sich Politiker unterschiedlichster Parteien von Hoetzsch (DNVP) bis Radek (KPD) - zum allabendlichen ostpolitischen Diskurs und erörterten Fragen der Annäherung und Verständigung. Deutschland lebte in räumlicher Nähe mit dem nun bolschewistischen Russland zusammen und unterstützte das russische Volk in den Zeiten großer Hungersnöte. 1920 begann man dann auch den offiziellen Kontakt zu Russland zu suchen. Am 13. März 1920 votierte der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Reichstages einstimmig für eine alsbaldige Aufnahme russisch-deutscher Wirtschaftsbeziehungen. Nachdem die Engländer am 11.01.1920 ein erstes Abkommen mit Russland zur beiderseitigen Rückführung von Kriegsgefangenen abgeschlossen hatten, zogen die deutschen Diplomaten mit einem vergleichbaren Abkommen am 19.04.1920 nach. Im russisch-polnischen Krieg verhielt sich Deutschland offiziell neutral, doch hoffte man insgeheim auf einen Sieg der roten Armee gegen die „östliche Bastion des Versailler Vertrags“ Die Niederlage Polens hätte eine Revision der deutschen Ostgrenze mit sich bringen können. Die deutsche Sympathie äußerte sich zum Beispiel in den Beitritten Deutscher Soldaten in die Rote Armee. Auch verweigerte die deutsche Regierung einem englischen Transportschiff, das französisches Kriegsmaterial für Polen geladen hatte, die Durchfahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal. In der Reichstagsdebatte vom 26.-28.06.1920 klang viel Verständnis für die russische Seite an. Reichspräsident Ebert und die Funktionäre im Auswärtigen Amt des ersten WirthKabinettes Rosen und Behrendt prägten die relativ zurückhaltende deutsche Ostpolitik der ersten neun Monate des Jahres 1921. Abgesehen vom Abkommen des 6. Mais 1921 zwischen Maltzan und Scheinmann (Russland), das den bereits im April 1920 abgeschlossenen Kriegsgefangenenrückführungsvertrag um wirtschaftliche Bestimmungen ergänzte, brachte man nichts Nennenswertes zu Papier. In diesem erweiterten deutschrussischen Abkommen vom 06. Mai war nun auch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit fixiert, die Spielraum für Gedankenspiele enormen Ausmaßes bot, jedoch die diplomatische Vorreiterrolle, die man England im Umgang Russland stets einräumte, nicht in Frage stellte. Angesichts der bald folgenden Ereignisse um den Vertrag von Rapallo darf man annehmen, dass insbesondere der Freiherr von Maltzan in seinen Bemühungen um den deutschrussischen Dialog von seinem Chef Behrendt zurückgepfiffen wurde. Reichspräsident und Auswärtiges Amt waren sich einig, die Kontakte zu den Westalliierten nicht durch eine abenteuerliche Ostpolitik und Annäherung an das bolschewistische Sowjetrussland überzustrapazieren und möglichen Anträgen auf Zahlungsmoratorien den schalen Beigeschmack einer außenpolitischen Erklärungsnot mitzugeben. Maltzan aber hielt am 04.06.1921 in privaten Aufzeichnungen fest, dass die besten Möglichkeiten für aktives Handeln Deutschlands im Osten liegen. Die mit der Kabinettsumbildung getätigte Umstrukturierung im Auswärtigen Amt bewegte im Ausland die Gemüter. KPD-Funktionär und KPR (B)-VorstandsMitglied Karl Radek schrieb in der russischen Tageszeitung „Izvestija“ vom 9. November in einem Leitartikel „Jetzt weht ein anderer Wind. [...] Das neue Ministerium Wirth scheint die Ostpolitik ändern zu wollen.“ Radek erwähnte des weiteren die Note der Sowjetregierung vom 28.10.21, in welcher die Bolschewiki erläuterten, unter welchen Umständen (Finanzansprüche und Aufrechnungs-Möglichkeiten zur Entlastung Russlands) sie die zaristischen Vorkriegsschulden zu akzeptieren bereit wären und fügte an: „Unter diesen Verpflichtungen existieren auch einige, die Deutschland betreffen.“ Diese offensichtliche Drohung mit den Paragraphen 116 und 117 des Versailler Vertrags wurde von nun an bis zum Vertragsabschluß in Rapallo durchweg als Druckmittel von den Bolschewiki gegen Deutschland aufgeführt. Man verhehlte zwar nicht, dass einem der somit zu vollziehende Beitritt zum Versailler Frieden grundsätzlich widerstrebte und das deutsche Proletariat darunter leiden würde, doch behielt man sich bis zuletzt alle Möglichkeiten offen. Der vorläufige Vertreter in Moskau Wiedenfeld beschwerte sich über diese Veröffentlichungen Radeks bei Tschitscherin, woraufhin dieser erwiderte, dass Radek kein Mitglied der Regierung sei, doch seine Artikel trotz seiner urtypischen „göttlichen Grobheit“ die sachlichen Ziele der Sowjetregierung formuliere. Trotz dieser teilweisen Rückendeckung fand sich Radek am 23.11.21 bei Wiedenfeld ein und entschuldigte sich „zwar nicht in aller Form, aber in der ihm eigenen burschikosen Weise“, wie Wiedenfeld in einem streng geheimen Brief an das Auswärtige Amt berichtet. Diesen Vorfall zusammenfassend betrachtet, bleibt der Eindruck bestehen, dass man in Russland grundsätzlich an die Kompetenzerweiterung Maltzans Hoffnungen auf eine Intensivierung der politischen und vor allem ökonomischen Verhältnisse geknüpft hat. 5.2 Russische Außenpolitik Nach dem wirtschaftspolitischen Kurswechsel (NEP) und der Rückbesinnung auf die traditionellen Formen der Diplomatie (Tschitscherin im Narkomindel) war die RSFSR vor allem geneigt, die ökonomische Gesundung mittels möglichst vieler Handelsverträge auf den Weg zu bringen. Im Zuge der diplomatischen Erneuerung Russlands wurden von Februar bis März 1921 eine große Anzahl von Friedensverträgen und Handelsabkommen geschlossen. „An der Spitze der Partnerländer stand mit weitem Abstand Großbritannien [...], das in den ersten neun Monaten des Jahres über 33% der Einfuhren lieferte und über 44% des sowjetischen Exports aufnahm.“ Das zugehörige Vertragswerk wurde am 16.03.1921 unterzeichnet. Die Bolschewiki waren sich aber auch der Tatsache bewusst, „dass das vom Versailler Vertrag geknebelte deutsche Volk in seiner Gesamtheit Beziehungen zu Russland sucht“ und trugen dieser Tatsache angesichts der eigenen Probleme Rechnung. „Deutschland ist eins der stärksten, fortgeschrittensten kapitalistischen Länder; es kann den Versailler Vertrag nicht ertragen, und Deutschland muss einen Verbündeten gegen den Weltimperialismus suchen, ist es auch selbst imperialistisch, so ist es doch niedergedrückt. Einen Tag nach Ankunft des „Londoner Memorandums“ zum Reparationsproblem in Berlin schloss Russlandreferent Maltzan mit dem russischen Gesandten Scheinmann ein Erweiterungsabkommen zum „Kriegsgefangenenaustauschvertrag“ von 1920. Die Erweiterung des Abkommens bezog sich nicht nur auf verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern beinhaltete ebenso die Wiederaufnahme von gegenseitigen diplomatischen Beziehungen und Vertretungen. Ein entscheidender Passus für die Russen, denn somit waren die Bolschewiki nun auch von Deutschland als offizielle russische Regierung anerkannt und die in Berlin ansässigen Exil-Russen der „weißen Garde“ keine Gesprächspartner mehr für die deutschen Politiker. Im Zuge dieser Annäherung an Deutschland luden die Russen sogar deutsche Kolonisten (nach dem Muster Katharina II.) ein, kaum bewohnte, doch landwirtschaftlich-produktive Landstriche in Russland zu besiedeln. Im weiteren Verlauf des Jahres 1921 besann man sich auf realistischere Formen der Zusammenarbeit und verlieh beiderseits dem Wunsch nach offiziellen Schritten nachhaltig Ausdruck. Dies geschah im völligen Einklang mit der Außenpolitik Lenins. Die sich anbahnende Konferenz von Genua wurde als Chance für Russland angesehen. Man war bestrebt, das beste Ergebnis für Russland herauszuholen, doch wollte man dafür nicht jeden Preis bezahlen. Man könne im Zweifel gelassen auf „eine bessere“ Konferenz warten. Der russischen Genua-Kommission wurde für die Konferenz ein Negativ- und ein Positivplan an die Hand gegeben. (So stellt es sich für den russischen Historiker V. A. Siskin dar.) Der Negativplan sah im Falle einer Forderung der Alliierten nach Begleichung der zaristischen Vorkriegsschulden eine Aufrechnung der durch die alliierten Interventionstruppen verursachten Kriegsschäden vor. Im Positivplan wurden die benötigten Kreditmittel zum wirtschaftlichen Wiederaufbau berechnet und aufgelistet. Lenin wollte sich auf diesem Wege an die kapitalistischen Länder annähern und gab im politischen Bericht des Zentralkomitees der KPR (B) auf dem XI. Parteitag selbiger Partei die Parole aus: „Es ist klar, dass wir nicht als Kommunisten, sondern als Kaufleute nach Genua gehen!“ Ein zweiter Punkt, den Lenin verfolgt wissen wollte, war die Friedenssicherung in Europa. Mittels ihrer strategischen Verwendung sollte man pazifistische Tendenzen in der Bourgeoisie zum eigenen Vorteil ausnutzen. Lenin erteilte Tschitscherin diesbezüglich eindeutige Anweisungen, die sich in seinem Brief vom 16.02.1922 am anschaulichsten offenbaren: „Den Pazifismus haben Sie ebenso wie ich als Programm der revolutionären proletarischen Partei bekämpft. Das ist klar. Aber von wem, wo und wann wurde die Ausnutzung der Pazifisten durch diese Partei abgelehnt, wenn es galt, den Feind, die Bourgeoisie zu zersetzen?“ Derart umfangreich instruiert, verließ die russische Delegation noch vor dem XI. Parteitag der KPR (B) Moskau und traf nach einem Abstecher über Riga am 01.04.22 zu Vorgesprächen in Berlin ein. 6 Die Wirtschaftskonferenz von Genua 6.1 Vorüberlegungen 6.1.1 Frankreich Die Aussichten der Konferenz waren von Anfang an sehr schlecht, da Frankreich nicht bereit war, einen Schritt hinter das Versailler Abkommen zurückzugehen; doch nur unter dieser Prämisse nahm Frankreich überhaupt an der Konferenz teil. Die konstruktive Umsetzung der ursprünglichen Genua-Ideen war aber ohne eine Anpassung der Vertragsbestimmungen an die veränderte wirtschaftliche Ausgangssituation nicht möglich, da sie ähnlich wie der britische Plan eines Beistandspaktes zu einer Aufwertung Deutschlands geführt hätte. Eine Aufwertung des Verhandlungspartners Deutschland war natürlich für Kriegsgewinner Frankreich das letzte, was man erreichen wollte. So spiegelte sich die französische Geringschätzung der Konferenz von Genua auch in der Personalfrage wider. Ministerpräsident Poincaré ließ sich von Justizminister Barthou in Genua vertreten und blieb selber daheim. 6.1.2 USA Für die amerikanische Absage gibt es eine Handvoll Gründe, die in diesem Zusammenhang kurz skizziert werden müssen: Zum einen beurteilte der damalige USHandelsminister Hoover die deutsch-französischen Aussöhnung als entscheidend für das Gelingen der Genua-Konferenz. Zum anderen – was seinerzeit gerne verschwiegen wurde befürchteten die Amerikaner englisch-französischen Bittstellern gegenüberzustehen, die einen Zahlungsaufschub der Weltkriegskredite oder sogar deren Streichung erreichen wollten. Des Weiteren lehnte man entschieden ab, dem bolschewistischen Regime Sowjetrusslands durch die gemeinsame Teilnahme an der Konferenz die internationale Anerkennung zu gewähren. 6.2 Der Verlauf der Konferenz Der italienische Premierminister eröffnete die Konferenz mit den Worten, „dass es in Genua keine Sieger und keine Besiegten gebe, dass in Genua alle völlig gleichberechtigt seien.“ Tschitscherin kam in seiner Eröffnungsrede auf die Leninsche Formel der friedlichen Koexistenz zu sprechen, daraufhin wurde er vom französischen Justizminister und Verhandlungsführer Barthou in schroffer Form darauf hingewiesen, dass „Abrüstungsfragen“ unberührt bleiben sollten. Die deutschen Delegierten kamen ebenso alsbald zu einem Gegensatz mit der Entente, als sie sich am zweiten Tag der Konferenz gegen ein Memorandum der Alliierten stellten, dass deren Verhältnisse zu Russland erörtern sollte und den Artikel 116 als festen Bestandteil beinhaltete. Dies obwohl den Deutschen zur Auflage gemacht wurde, die Regelungen des Friedensvertrags von Versailles nicht zu thematisieren. Genua sei keine Berufungsinstanz, wo die bestehenden Verträge zur Sprache gebracht, beurteilt und revidiert werden könnten. Man erreichte zwar eine Vertagung, doch die deutsche Delegation blieb von da an von weiteren Gesprächen ausgeschlossen und stand vor verschlossenen Türen. In Gremien also, die die Neuordnung der europäischen Finanzmärkte regeln sollten, saßen die Deutschen selber nicht mit am Tisch und bekamen auch nur Informationen, die „durchgesickert“ waren, oder ihnen gelegentlich gezielt mitgeteilt wurden. Die Verhandlungen der Entente mit der russischen Delegation nahmen jedoch aus russischer Sicht auch keinen konstruktiven Verlauf, obwohl die deutsche Delegation zeitweilig mit gegenteiligen Informationen versorgt wurde. Nach einer Woche harter Verhandlungsgespräche war man zu keinem greifbaren Ergebnis gekommen und es kam zur russisch-deutschen Kontaktaufnahme.