Hessischer Rundfunk Hörfunk – Bildungsprogramm Redaktion: Karl-Heinz Wellmann WISSENSWERT Shampoo, Strähnchen, Dauerwelle Chemie beim Friseur Von Frank Eckhardt Sendung: 17.11.2005, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2 05-153 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. 2 Atmo 145 Türklingel O-Ton Kundin/Mindrup Guten Morgen! - Guten Morgen, Frau Reuter, was kann ich für Sie tun? Sprecher Ein heller, freundlicher Friseursalon in der Wiesbadener Innenstadt. Friseurmeister Herrmann Mindrup kennt seine Kundschaft gut. Deshalb weiß er oft auch ohne Frage, was eine Stammkundin wünscht – in diesem Fall zum Beispiel eine Dauerwelle. Doch bevor es damit losgehen kann, müssen die Haare erstmal gründlich mit Shampoo gewaschen werden. Atmo 56 Fließendes Wasser Sprecher Shampoo entfernt bekanntlich den Schmutz aus den Haaren. Aber was genau passiert dabei? Zumal dieser Schmutz sich ja aus ganz unterschiedlichen Substanzen zusammensetzt: als da wären Fett aus den Talgdrüsen der Haut, abgestorbene Hautzellen und natürlich auch Staub. Der Schlüssel zur Sauberkeit sind die Tenside, sie werden auch waschaktive Substanzen genannt. Sie bestehen aus zweiteiligen Molekülen, und ihre beiden Teile haben unterschiedliche Eigenschaften: O-Ton Franzke (14) Der eine Teil ist sehr gut wasserverträglich, und der andere ist sehr gut fettverträglich. Sprecher ... erläutert der Chemiker Dr. Michael Franzke vom Kosmetikhersteller Wella in Darmstadt. Das Haarfett wird von den Tensiden zunächst in winzige Fetttröpfchen zerteilt. Mit ihrem fettverträglichen Ende lagern sich die Tensidmoleküle dann an jedes Fetttröpfchen, ihr wasserverträgliche Ende weist nach außen, und so werden die Fetttröpfchen vollständig umhüllt. O-Ton Franzke (18) Man kann sich das vorstellen, als wenn Sie eine Kugel haben, wo sie viele kleine Löcher reinbohren, und dann Haken draußen dran machen. Die Haken sind dann die wasserverträglichen Teilchen, und das Gewinde, was ich in die Kugel reinschraube, ist praktisch das fettverträgliche. 3 Sprecher Um das Fett herum wird also eine Art Verpackung gebildet, und die hält die Fetttröpfchen im Wasser. Sie können sich nicht wieder auf dem Haar ablagern und werden schließlich aus dem Haar herausgespült. Ähnlich verfahren die Tenside mit festen Schmutzteilchen. Auch sie werden zunächst vom Haar abgelöst und dann umhüllt. Aber Shampoos bestehen nicht nur aus Tensiden. Ein Shampoo enthält zwischen 10 und 30 unterschiedliche Substanzen, darunter Mittel zur Rückfettung, zur Konservierung und zur Verdickung; ferner Wasserenthärter, Schaumstabilisatoren und Duftstoffe. Shampoos, die gegen Schuppen wirken, enthalten darüber hinaus noch spezielle Zusätze. O-Ton Franzke (33) Von der Basis her ist das Anti-Schuppen-Shampoo zunächst mal gleich aufgebaut, enthält aber dann noch spezielle Inhaltsstoffe, die gegen Haarschuppen eben wirken. Da Haarschuppen häufig in Verbindung mit einem Pilz auftreten, sind diese Anti-Schuppen-Mittel eigentlich Wirkstoffe gegen diesen Pilz. Und damit, wenn dieser Pilz nicht auftritt, treten in der Regel auch keine Haarschuppen mehr auf. Sprecher Andere Spezialshampoos gibt es zum Beispiel für Haar, das blondiert, gefärbt oder dauergewellt wurde. Solche Shampoos enthalten oft organische Säuren, Eiweißstoffe oder Kunstharze, die die Oberfläche der Haare glätten. Shampoos gegen fettiges Haar wirken entzündungshemmend und überdies schwach desinfizierend. Atmo (2) Friseursalon Sprecher Inzwischen sind die Haare der Kundin fertig gewaschen und für die Dauerwelle vorbereitet worden. Friseurmeister Herrmann Mindrup erklärt, was jetzt als nächstes geschieht. O-Ton Mindrup 27 Wir wickeln dann die Haare auf und es wird anschließend in sehr vorsichtiger Form auch die Dauerwellflüssigkeit aufgetragen, (29) die hat also eine gewisse Einwirkzeit, die auch eben unterschiedlich ist, je nach Haarstruktur, und wird anschließend gut, lange abgespült und dann fixiert (41) und es kann dann geschnitten werden oder die Frisur gestaltet, sei es geföhnt oder eingelegt, je nach Kundenwunsch. Atmo wird ausgeblendet 4 Sprecher Das Anfertigen einer Dauerwelle setzt sich im Prinzip aus drei auf einander aufbauenden Vorgängen zusammen. Im ersten Schritt werden bestimmte innere Verbindungen in den Haaren aufgelöst – das Haar wird gewissermaßen flexibler als zuvor. Dann wird dem Haar eine bestimmte Form mechanisch aufgezwungen, und im dritten Schritt wird das Haar in seiner neuen Form fixiert. Möglich ist das nur mit Hilfe bestimmter Spezialchemikalien für Dauerwellen, erläutert Dr. Uwe Lenz, er ist ebenfalls Chemiker beim Darmstädter Kosmetikhersteller Wella. O-Ton Lenz 139 Für den ersten Schritt brauche ich eine Dauerwelle. Die funktioniert im Prinzip folgendermaßen. Die Dauerwelle greift konkret Verbindungsstellen im Haar an. Das heißt, das Haar ist ja eine Faser aus Protein, aus Keratin, und dieses Keratin ist miteinander mehr oder minder verknüpft über chemische Verbindungen. Und diese verknüpften Stellen werden durch die Dauerwelle aufgebrochen. Und wenn diese Verknüpfungen aufgebrochen sind, ist das Haar sehr, sehr gut formbar. Dann wird in der Regel das Haar um Wickler gelegt oder durch andere Möglichkeiten in Form gebracht. Und dann, wenn der endgültige Zustand erreicht ist, durch die Applikation einer Fixierung, die im wesentlichen aus Wasserstoffperoxid besteht, werden diese aufgebrochenen Stellen wieder mit einander verknüpft. Und das bringt dem Haar auch wieder seine innere Festigkeit und Steifigkeit wieder. Sprecher Eine solche so genannte “permanente” Dauerwelle hält bis zu drei Monaten, in denen das Haar allerdings circa drei Zentimeter länger wird. Es gibt aber auch schwächere Dauerwell-Produkte, bei denen die Umformung nach zwei bis vier Wochen wieder nachlässt. Eine Wasserwelle dagegen wird ohne chemische Mittel gemacht. O-Ton Lenz (155) Eine Wasserwelle ist im Wesentlichen keine chemische Verformung des Haares, sondern das Haar wird nur durch Wasser aufgeweicht, aufgequollen und ist dadurch eben auch leichter verformbar. Aber lange nicht so leicht wie bei einer klassischen Dauerwelle. Das heißt, ich quelle das Haar mit Wasser, wickle es dann auch um Wickler herum und föhne es dann trocken, und dann habe ich auch eine Verformung des Haares, die aber typischerweise nach ein, zwei Tagen wieder weg ist. Atmo (120/Mindrup-MD) Geräusch eines Zerstäubers 5 Sprecher Damit die Wasserwelle möglichst lange hält, wird die fertige Frisur meistens mit etwas Haarspray besprüht. Michael Franzke. O-Ton Franzke (182) Praktisch alle oder die meisten Stylingprodukte enthalten als einen wichtigen Bestandteil so genannte Polymere. Also chemische Verbindungen, die in sehr, sehr langen Ketten vorliegen. Diese Polymere haben die Eigenschaft, dass sie das Haar fixieren. Beim Haarspray gibt es zwei Arten der Fixierung: einmal wenn man sich zwei Haare parallel vorstellt (187) wie bei einer Leiter. Dort werden die beiden äußeren Stangen durch die Sprossen verbunden und bilden damit eine stabile Einheit. So ähnlich kann man sich das beim Haarspray auch vorstellen. Sprecher Die andere Form der Fixierung ist die, dass an den Kreuzungspunkten zweier Haare ein Polymertropfen sitzt, der die beiden Haare miteinander verbindet. Polymere spielen auch bei den aktuellen Styling-Gelen und Wet-Gelen eine wichtige Rolle, denn die festigenden Bestandteile haben eine ähnliche Grundstruktur wie das Haarspray. O-Ton Franzke (207) In dem Gel habe ich noch einen zweiten Bestandteil drin, das sind so genannte Verdicker oder Gelbildner, die einfach die Konsistenz des Gels erzeugen. Das sind im Prinzip auch wieder Polymere, aber diese lösen sich nicht im Wasser, sondern die quellen nur auf. Wir kennen das beispielsweise von der Gelatine oder von bestimmten, im Lebensmittel auch bekannten Verdickungsmitteln her. Atmo Friseursalon Sprecher Mit Styling-Gelen kann die ältere Dame, die jetzt auf einem der beigen Sessel Platz genommen hat, vermutlich recht wenig anfangen. Sie ist seit vielen Jahren Stammkundin im Wiesbadener Salon Mindrup. O-Ton Mindrup/Kettner (3) Tag, Frau Kettner! – Ich hätte gerne wieder Farbe, wie gehabt, die ist sehr schön, bleiben wir dabei, die habe ich ja schon sehr lange. – Hmm. 6 Sprecher Frisörmeister Mindrup deckt zunächst die Kopfhaut der Kundin mit einer Schutzcreme ab. Dann pinselt er die vorher angerührte Farbe auf die Haaransätze. O-Ton Mindrup (95) Jetzt wird die Farbe aufgetragen, scheitelweise auf die Partien, die also nachgewachsen sind. In diesem Fall sind es so ein, anderthalb Zentimeter. Und das wirkt ungefähr 10 Minuten ein. Und wir werden dann eine Längenbehandlung, einen Längen-Farbausgleich noch mal machen mit einer wesentlich schonenderen Tönung, (98) die aber farbgleich ist mit dem Ansatz. Atmo wird ausgeblendet Sprecher Tönung und Färben – das sind zwei unterschiedliche Reaktionsprinzipien, sagt der Kosmetik-Chemiker Uwe Lenz. O-Ton Lenz (86) Das eine Prinzip ist die Tönung. Das heißt, in dem Produkt, das ich anwende, sind Farbstoffe bereits enthalten. Ich trage also das Produkt auf das Haar auf, lasse das Produkt dort zwischen 10 und 30 Minuten drauf, und während dieser Zeit dringen diese Farbstoffe in das Haar ein. Die Eigenschaft dieser Produktart ist, dass diese Farbstoffe eben nicht sehr tief in das Haar eindringen. Und das hat zur Folge, dass die Farbstoffe sich auch mit der Zeit wieder auswaschen, das heißt nach circa sechs, acht, zehn Haarwäschen ist die Tönung wieder aus dem Haar heraus gewaschen. Sprecher Kunden, die einen längeren Farbeffekt haben wollen, müssen sich das Haar im klassischen Sinn färben. Dieser Färbemechanismus läuft chemisch ganz anders ab als das Tönen. O-Ton Lenz (92) Immer wenn ich die Haare färbe, muss ich vor der Anwendung zwei verschiedene Produkte miteinander mischen. In dem einen Produkt hab ich keine richtigen Farbstoffe drin, sondern wir sagen Farbstoffvorstufen dazu. In dem anderen Produkt habe ich immer ein Oxidationsmittel, meistens Wasserstoffperoxid drin. In dem Moment, wo ich diese beiden Produkte miteinander mische, werden diese Farbstoffvorstufen angeregt, eine chemische Reaktion einzugehen, die dann zu Farbstoffen, gefärbten Molekülen führen. 7 Sprecher Diese Moleküle sind viel kleiner als bei der Tönung und können deshalb tiefer in das Haar eindringen. Das Haar wird durchgefärbt, die Farbmoleküle im Haar eingeschlossen. Dadurch wäscht sich diese Haarfarbe fast nicht mehr aus. O-Ton Lenz (101) Was allerdings passiert ist, dass durch starke Sonnenbestrahlung die Haarfarbe etwas blasser wird. Was zusätzlich noch passiert, dass einfach das Haar in der Zwischenzeit wächst, so dass die Kunden dann eben nach sechs bis acht Wochen diesen Ansatz speziell noch einmal nachfärben müssen. Sprecher Haarfärbung kann das Haar auch schädigen, räumt Uwe Lenz ein – zum Beispiel dann, wenn man die Farbe länger als empfohlen auf das Haar einwirken lässt. O-Ton Lenz (116) Tendenziell ist es auch so, dass, je stärker ich eine Farbveränderung haben möchte, desto mehr Schädigung habe ich auch. Wenn ich ein schwarzes Haar habe und will aber extrem blond werden, dann zieht das auch eine relativ große Haarschädigung nach sich. Sprecher Während man beim Haarefärben Farbstoffe ins Haar hineinbringt, geschieht beim Blondieren genau das Gegenteil: die körpereigenen Farbstoffe, die im Haar vorhanden sind, werden zerstört. Chemisch allerdings, sagt Uwe Lenz, ist das Blondieren dem Färben durchaus verwandt. Auch hierbei werden vor der Anwendung zwei Substanzen gemischt: Peroxid und andere Oxidationsmittel. O-Ton Lenz (123) Und diese Oxidationsmittel zerstören im Prinzip den Haar-eigenen Farbstoff, der Melanin heißt. Dieses Melanin ist also nicht gleichmäßig im Haar verteilt, sondern es tritt sozusagen punktförmig auf als kleine Farbpartikelchen, und je nach Konzentration und Verteilung im Haar erscheint die Haarfarbe eben blond, rot, braun, schwarz. Und je nach Menge an Oxidationsmittel, je nach Länge der Einwirkzeit verändert sich die Haarfarbe auch dementsprechend. Atmo Friseursalon 8 Sprecher Im Friseursalon ist die Kundin mit ihrer aufgefrischten Haarfarbe offenbar zufrieden. O-Ton Mindrup/Kundin 125 Wie gefällt es Ihnen? - Wie immer (lacht) - Ich hoffe dass Sie zufrieden sind, das ist mein größter Wunsch. (Papierumhang raschelt) Atmo wird ausgeblendet Sprecher Jeden Tag mit Hilfe der Chemie andere Menschen zu verschönern, das hat allerdings für die Haarkünstler nicht selten gesundheitliche Konsequenzen. Viele Friseure leiden unter Berufskrankheiten, weiß die Arbeitsmedizinerin Dr. Ute Pohrt. Sie leitet das Berliner Beratungszentrum der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, die für Friseure zuständig ist. O-Ton Pohrt (4) Das ist ein sehr verbreitetes Problem bei den Friseuren. Wir haben in den letzten Jahren etwa so 1700 Meldungen eines Verdachts einer berufsbedingten Hauterkrankungen bei den Frisuren, wobei man sagen muss, dass die Insider unter den Arbeitsmedizinern oder unter den Dermatologen davon ausgehen, dass die so genannte Dunkelziffer deutlich höher ist, dass die eventuell sogar das Zehnfache beträgt. Sprecher Wenn diese Dunkelziffer zutrifft, dann leidet etwa einer von 14 Beschäftigten im Friseurhandwerk unter einer berufsbedingten Hautkrankheit. Vor allem in den ersten Jahren der Ausbildung treten sie verstärkt auf. Fachleute gehen davon aus, dass die Hälfte der Friseure während der Ausbildung mindestens einmal Hautprobleme bekommt, meist in Form von Ekzemen, das sind entzündliche Erkrankungen der Oberhaut. O-Ton Pohrt (26) Und da gibt es zwei ganz große Ursachen, und das eine sind die Allergien, also die Überreaktionen des Immunsystems, und das andere sind so genannte irritative Kontaktekzeme, die einfach darauf beruhen, dass die natürliche Schutzfunktion der Haut überfordert wird und dass dann Schadstoffe verstärkt eindringen können, und dass darauf natürlich unser Immunsystem entsprechend reagiert. 9 Sprecher Dass die Haut ihre natürliche Schutzfunktion verliert, liegt Ute Pohrt zufolge vor allem an dem vielen Wasser, mit dem die Hände des Friseurs Tag für Tag in Berührung kommen. Deshalb, so die Empfehlung, sollten sich Friseure ihre Hände öfters eincremen und bei bestimmten Arbeiten Handschuhe tragen. Eine Gefährdung der Kunden durch die Chemikalien hält sie dagegen für eher gering. - - - - - - - - - - {{ kürzbar - - - - - - - O-Ton Pohrt (73) Was ein entscheidender Faktor ist, ist die Anwendungshäufigkeit. Und das heißt, Sie haben einmal alle sechs Wochen vielleicht Kontakt mit Haarfärbemitteln, etwas häufiger mit einem Haarwaschmittel, vielleicht noch seltener mit Dauerwellenmitteln. (76) Insofern kann man sagen, der Kunde ist sicherlich sehr viel nachrangiger gefährdet als der Friseur, aber nichtsdestotrotz sind natürlich auch bei Kunden gerade Reaktionen auf Haarfärbemittel durchaus bekannt. Sprecher Was natürlich von der Hautfreundlichkeit des jeweiligen Produktes abhängt, sagt Friseur Hermann Mindrup. In seinem Salon jedenfalls gebe es so gut wie nie Probleme mit Allergien oder Ekzemen. }} Das trifft auch für die Stammkundin zu, die sich für heute verabschiedet – bis zum Nachfärben in ein paar Wochen. Atmo und O-Ton Mindrup/Kundin (138) Tschüß, Frau Diegener. – Tschüß. – Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag! – Danke, Ihnen auch. (142) Türklingeln, Tür klappt zu.