Der politische Hindergrund in der Neuen Sachlichkeit

Werbung
Der politische Hintergrund in der Neuen
Sachlichkeit
am Beispiel von George Grosz’ Werk „Die Stützen der
Gesellschaft“
Eine Monatsarbeit von Sven Ulrich
9aG
Aus dem Fachbereich Kunst-Wahlpflicht
Betreuende Lehrkraft Frau Wewetzer
April 2004
Inhaltsverzeichnis:
1. Vorwort
Seite 2
2. Historischer Hintergrund
2.1 Politische Situation in Deutschland (1918-1933)
2.2 Kunst in der Weimarer Republik
Seite 2
Seite 3
3. Die „Neue Sachlichkeit“
3.1 Grundidee der Neuen Sachlichkeit
Seite 3
3.2 Entwicklungen und Richtungen in der Neuen Sachlichkeit Seite 4
4. Kurzbiographie George Grosz
Seite 5
5. Bildanalyse „Die Stützen der Gesellschaft“
Seite 6
6. Schlussbemerkung
Seite 8
7. Quellenverzeichnis
Seite 8
8. Tafelteil
Tafel 1: George Grosz: „Die Stützen der Gesellschaft“
Tafel 2: Otto Dix: „Großstadt“ Triptychon
Tafel 3: Carl Grossberg: „Papiermaschine“
Tafel 4: Alexander Kanoldt: „Olevano II“
Tafel 5: Georg Schrimpf: „Hedwig Schrimpf“
Tafel 6: Franz Wilhelm Seiwert: „Arbeitsmänner“
I
II
III
III
IV
IV
1. Vorwort
Schon seit einiger Zeit interessieren mich Künstler und ihre Werke im Zusammenspiel mit
Politik. Als die Zeit kam, in der wir uns für die Themen unserer halbjährlichen Monatsarbeit
entscheiden mussten, wählte ich entschlossen das Thema „Der politische Hintergrund in der
Neuen Sachlichkeit – am Beispiel von George Grosz’ Werk ’Die Stützen der Gesellschaft’ “.
Dabei ist es sehr aufschlussreich zu sehen, welchen Einfluss die Politik der Weimarer
Republik auf den Stil der Neuen Sachlichkeit hatte. In zahlreichen Bilder spiegelt sich selbst
heute noch, über 70 Jahre danach, die unwahrscheinliche Frustration und Unzufriedenheit
der Künstler sowie die damit verbundene Kritik am Staat wieder.
Einige haben den Begriff „Neue Sachlichkeit“ sicherlich schon einmal gehört und fast jedem,
der sein Geschichtsbuch schon einmal aufmerksam durchblättert hat, wird das zuerst
möglicherweise abschreckende Bild „Die Stützen der Gesellschaft“ aufgefallen sein. Doch
was ist nun die „Neue Sachlichkeit“? Was verbirgt sich hinter dem Bild „Die Stützen der
Gesellschaft“? Wer ist George Grosz und was wollte er mit seinem Gemälde ausdrücken?
Wie war seine Einstellung zum Staat, wie äußerte sich sein Gesellschaftsbild? Diesen Fragen
werde ich in den nachfolgenden Kapiteln nachgehen.
2. Historischer Hintergrund
2.1 Politische Situation in Deutschland – Die Weimarer Republik (1918-1933)
Die Weimarer Republik lässt sich in drei etwa gleich lange Abschnitte gliedern: In der ersten
Phase, den dramatischen Anfangsjahren 1918-1923, gelang es dem demokratischem Staat nur
mit großer Mühe das Vertrauen der Bevölkerung zu erlangen. Die Republik hatte von Anfang
an mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen: Ein verlorener Weltkrieg mit einem
Friedensvertrag (Versailler Vertrag, 1919), der für die Deutschen nicht von Vorteil war, die
Kriegsschuldfrage sowie hohe Reparationskosten machten der „Republik ohne Republikaner“
schwer zu schaffen, denn nur die Minderheit glaubte an die neue Regierungsform und
unterstütze diese. In Deutschland gab es darüber hinaus viele Innovationen, die das Leben
der Menschen von Grund auf veränderten: Demokratie statt Monarchie, neue
Lebensbedingungen, Frauenwahlrecht und pausenloser Kampf um Emanzipation sowie immer
neue Ausdrucksformen in der Kunst. Die ersten kulturellen Importe aus den USA – Filme aus
Hollywood, Jazzmusik sowie amerikanische Tänze stießen bei vielen Deutschen auf radikale
Ablehnung. Das Jahr 1923 brachte mit der Besetzung des Ruhrgebietes durch die Franzosen
und der Inflation den dramatischen Höhepunkt der Anfangsjahre der Weimarer Republik. Im
Spätherbst 1923 gelang es der Regierung jedoch die Inflation zu stoppen. Durch den 1924
verkündeten „Dawes-Plan“ wurde ein Teil der Reparationskosten, die nach der
Kriegsniederlage zu zahlen waren, erlassen. Ferner begannen die Franzosen ihren Rückzug
von der Ruhr.
In dieser zweiten Etappe der Weimarer Republik kam es somit zu einer relativen
Stabilisierung der Wirtschaft. „Infolge der wirtschaftlichen und politischen Erholung nach
dem Krisenjahr 1923 sprach man schon bald von den ‚Goldenen Zwanzigern’“ 1. Unter der
Bevölkerung kehrte fortan allmählich Ruhe ein. Es setzte sich sowohl in der Kunst als auch in
der Politik der Begriff „Neue Sachlichkeit“ durch, um sich vom Expressionismus und den
Inflationsjahren deutlich zu distanzieren. Deutschland wurde zu dieser Zeit durch wechselnde
Mitte-Rechts- Koalitionen mit mehreren Reichskanzlern regiert.
Nachdem Paul von Hindenburg 1925 zum Reichspräsidenten gewählt wurde, kam es durch
amerikanische Kredite zu einem relativen Wirtschaftsboom, der allerdings nur bis zum Winter
1928/29 anhielt. Es begann der dritte und letzte Teil der Geschichte der Weimarer Republik der Beginn der Weltwirtschaftskrise: Die amerikanischen Kredite wurden zurückgerufen,
1
Mayer, Prof. Dr. M.: Die „Goldenen Zwanziger“, In: Geschichte und Geschehen A4, Stuttgart 1997, Seite 61
zahlreiche Firmen brachen zusammen, die Arbeitslosenzahl stieg folglich. Seit 1930 die letzte
Weimarer Koalition zerbrach, gewannen die extremistischen Parteien bei den nachstehenden
Reichstagswahlen an Anerkennung. Somit wurden die NSDAP die zweitstärkste Fraktion im
Reichstag. Das politische Klima war durch die rücksichtslose Gewalt der linken und rechten
Extreme geprägt und brachte dem Land bürgerkriegsähnliche Verhältnisse. Zwei Jahre später
zeigten die zahllosen Wahlen dieses Jahres ein kontinuierliches Wachstum der rechtsradikalen
Parteien. Am 30. Juni 1933 war es soweit, Adolf Hitler wurde zum Reichskanzler berufen, die
Weimarer Republik war am Ende und dem Auftakt der gewalttätigsten Diktatur der deutschen
Geschichte stand nichts mehr im Wege.
2.2 Kunst in der Weimarer Republik
„Manche Zeitgenossen, vor allem viele Künstler, sahen hinter die goldglänzenden Kulissen
ihrer Zeit. In allen Sparten der Kunst setzte man sich intensiv mit dem im Weltkrieg
durchlittenem Schrecken und mit den gesellschaftlichen Veränderungen und politischen
Spannungen der Nachkriegszeit auseinander.“2 Künstler klagten Elend und Trauer in ihrer
Bilder an und übten zum Teil grobe Kritik am Staat. Es entstanden dadurch diverse
sozialkritische Werke, die tiefgründige Inhalte vorweisen konnten, wie z. B. „Die Stützen der
Gesellschaft“ von George Grosz. Diese exakte, objektive und „gefühllose“ Kunstrichtung
nannte man „Neue Sachlichkeit“, die sich nicht nur in der Malerei, sondern z.B. auch in der
Architektur, Literatur und Mode durchsetzte. Es entwickelten sich außerdem einige andere,
teilweise gegensätzliche, Ausdrucksformen der Kunst, z. B. der Expressionismus, Dadaismus
und Surrealismus. Der Einfluss der Politik auf die damalige Kunst war sehr groß, jedoch war
die Kunst schlichtweg machtlos gegenüber der Politik.
3. Die „Neue Sachlichkeit“
3.1 Grundidee der Neuen Sachlichkeit
Oft wird die Neue Sachlichkeit als Antwort oder Gegenbewegung zum Expressionismus
beschrieben. Die Künstler dieser um 1922 aufkommenden Kunstepoche wandten sich stärker
der Realität zu, in unverzierter, kühler, rationaler und präziser Darstellung. Sie setzten sich
mit der Alltagswirklichkeit und den Schwierigkeiten der Weimarer Republik auseinander. Im
Gegensatz zum Expressionismus ist die Neue Sachlichkeit durch Besinnung auf das
Gegebene, Objektivität, Nüchternheit und Detailtreue gekennzeichnet. Gerade bei Bildern, die
gesellschaftliche oder politische Probleme erfassten, war Inhalt meist wichtiger als Form.
Viele Gemälde wirken illusionslos, kalt und erstarrt. Die Grundidee hinter der Neuen
Sachlichkeit war, die Realität so darzustellen wie sie wirklich war, ohne Übertreibungen oder
Beschönigungen. Die Künstler wollten dadurch die schlechten Zustände in der Gesellschaft
anprangern und ändern. Besonders dieser Punkt unterscheidet die Neue Sachlichkeit deutlich
vom Expressionismus, der hauptsächlich die reine Gefühlswelt dieser Zeit reflektierte.
Wirtschaftliche, politische und soziale Situationen wurden in der Neuen Sachlichkeit
aufgedeckt und die Zeitgenossen sollten dazu angeregt werden, gegen Missstände zu handeln
und aktiv an der Kunst teilzunehmen. „Die Künstler dieser Epoche streben danach, die Kunst
wieder mit dem Leben zu verbinden und die Erschütterungen wirtschaftlicher Zerrüttung und
geistiger Zusammenbrüche hatten ihnen aus gesellschaftlicher Verantwortung den Willen
gegeben, das Leben zu verändern und für den unterdrückten Menschen Partei zu ergreifen,
den sie bewusst in den Mittelpunkt ihrer Kunst stellen“3. Viele Künstler, u.a. George Grosz,
verstanden Kunst als regelrechte revolutionäre Propaganda. Kunst geschah aus Widerspruch
und wurde als „Waffe“ gesehen, um den Menschen den Blick für die realen Verhältnisse der
Gegenwart für Hässlichkeit, Krankheit und Verlogenheit zu schärfen.
2
3
Mayer, Prof. Dr. M.: Die „Goldenen Zwanziger“, In: Geschichte und Geschehen A4, Stuttgart 1997, Seite 61
Vierhuff, H. G.: Die Neue Sachlichkeit, Malerei und Fotografie, Köln 1980, Seite 10
3.2 Entwicklungen und Richtungen in der Neuen Sachlichkeit:
„Der erste Weltkrieg hatte politische, soziale und geistige Veränderungen mit sich gebracht,
von denen die Künstler [der Neuen Sachlichkeit] nicht unberührt bleiben konnten.“4 Viele
Zeitgenossen wandten sich konkreten Alltagsfragen zu, besonders gesellschaftlichen
Problemen. Der Realismus zwischen den Weltkriegen hatte stilistisch keinen einheitlichen
Charakter, binnen kürzester Zeit entwickelte sich eine breite Ausdrucksskala innerhalb der
mit dem Begriff „Neue Sachlichkeit“ bezeichneten Kunst. Im Allgemeinen wird die Neue
Sachlichkeit in drei Hauptgruppen gegliedert:
1. Die Veristen vertraten eine Richtung der Neuen Sachlichkeit, die durch nüchterne,
provokante aber vor allem kritische Darstellung mit gesellschaftlichen Tendenzen geprägt
war. In vielen Bildern zeigten sich Abneigungen gegenüber dem Staat und Zusammenhalt mit
dem Leben der unterdrückten Menschen. Dabei verfremden einige Künstler die übergenau
wahrgenommene Realität mit Mitteln der Ironie und Karikatur. Typische Themen sind
Kriegskrüppel, Prostituierte, Bettler, Elend in den Großstädten, soziale Ungerechtigkeit und
sonstige vor hässlich-abstoßender Wirkung nicht Halt machender Motive. Die Vertreter des
Verismus, zu denen unter anderem George Grosz, Rudolf Schlichter, Otto Dix und Christian
Schad gehörten, setzten sich konsequent mit der Zivilisationsumwelt und ihrer Industrie, den
gesellschaftlichen Problemen der Weimarer Republik und den damit verbundenen
Widersprüchen der Gesellschaftsordnung auseinander. Es entstanden viele sozialkritische
Werke, beispielsweise Grosz’ „Die Stützen der Gesellschaft“ (Tafel 1) oder das Triptychon
„Großstadt“ (Tafel 2) von Otto Dix. Letzteres weist gewisse Parallelen zu Grosz’ Bild auf, da
Dix ebenso ein kompromissloser Feind des kapitalistischen Systems war und mit seinem Bild,
das die bürgerliche Gesellschaft mit ihrer heuchlerischen Moral anklagt, nicht nur positive
Resonanz erzielte. Dabei lässt sich - bei Grosz mehr als bei Dix - ein großes politisches
Engagement erkennen.
2. „[Magische Realisten und Romantiker] sind für den gesellschaftskritischen Fortschritt der
deutschen Malerei nur von untergeordneter Bedeutung [...]“5 Vertreter dieser Richtung der
Neuen Sachlichkeit ignorierten die Realität und beschränkten ihr Schaffen auf die Darstellung
von Industrieanlagen (Grossberg), Stilleben (Schrimpf, Kanoldt), gebauten Landschaften
(Kanoldt) und emotionslosen Personen, die sich meist vor einer Landschaftsidylle befinden
(Schrimpf). Carl Grossberg zeigt mit seinem Bild „Papiermaschine“ (Tafel 3) den
Fabrikbetrieb in Deutschland. Es liegen keinerlei Bezüge zu Grosz’ „ Die Stützen der
Gesellschaft“ vor, da keine kritische Tendenzen beinhaltet sind, vielmehr steht die Schönheit
und Ästhetik moderner Industrieanlagen im Mittelpunkt. Bei Alexander Kanoldts Gemälde
„Olevano II“ (Tafel 4) sind ebenso keine Gemeinsamkeiten zu Grosz’ Werk zu erkennen, eher
gibt er sich hier der Darstellung der Ästhetik einer kleinen italienischen Stadt hin. Letztlich
sind auch in Georg Schrimpfs Bilder, wie zum Beispiel im Portrait von Hedwig Schrimpf
(Tafel 5), keine nennenswerten Gemeinsamkeiten mit den „Stützen der Gesellschaft“ von
George Grosz festzustellen. Die Zeitgeschehnisse blieben im Gegensatz zu Grosz’ Bild völlig
ohne Einfluss, zu sehr waren Schrimpfs Bilder, z.B. „Hedwig Schrimpf“, durch romantische
Schwärmereien seiner Italienreise geprägt. In einfachen plastisch-geometrischen Formen ist
hier eine isolierte und verträumte Person vor einer sanften Landschaftsidylle dargestellt.
3. Die Kunst der Konstruktiven, zu denen hauptsächlich Franz Willhelm Seiwert und Heinrich
Hoerle gehören, schlug eine formale, vereinfachte und konstruktive Richtung ein, die einen
nahen Realitätsbezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit hatte. Charakteristisch für den
figurativen Konstruktivismus sind klare, eindeutig bestimmte Formen, die in einem
übersichtlichen konstruktiven Aufbau angeordnet sind. In Seiwerts Bild „Arbeitsmänner“
(Tafel 6) sind keine optischen Ähnlichkeiten mit Grosz’ „Die Stützen der Gesellschaft“ zu
erkennen. Allerdings kommen einige inhaltliche Parallelen zum Vorschein, da Seiwert seine
4
5
Richter, H.: Geschichte der Malerei im 20. Jahrhundert, Köln 1998, Seite 124
Vierhuff, H.G.: Die Neue Sachlichkeit, Malerei und Fotografie, Köln 1980, Seite 32
gesellschaftskritischen Tendenzen ebenfalls, jedoch durch konstruktivistische Mittel, in
seinem Gemälde ausübte.
Die politische und wirtschaftliche Krise der Jahre 1930-1933 hatten einen sehr negativen
Einfluss auf das gesamte Kunstdasein, einschließlich des Kunstmarktes. Immer weniger
Menschen interessierten sich für diese Art von Kunst und die Nationalsozialisten akzeptierten
die künstlerische Haltung der Vertreter der Neuen Sachlichkeit fortan nicht mehr. Mit der
Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland waren fast alle Hauptströmungen der
Neuen Sachlichkeit von der Bildfläche verschwunden. Die klaren, einfachen Bilder der
Romantiker und magischen Realisten stießen bei den Nazis nicht auf so starke Ablehnung,
jedoch wurde ihnen der Name „Neue deutsche Romantik“ gegeben. Einige Künstler, darunter
Albrecht Henrich, Bernard Dörries, Franz Radziwill u.v.a., machten weiterhin Karriere.
Jedoch zeigte die Neue Sachlichkeit keine wirklichen Verbindungen mit der Kunst des 3.
Reiches. Zwar blieb die klare Darstellungsform erhalten, hingegen kehrte sich der politische
Inhalt vollständig zur „Staatspropaganda“. Inhaltlich waren daher keinerlei Bezüge mehr
vorhanden.
4. Kurzbiographie George Grosz
Georg Ehrenfried Grosz (erst seit 1916 George Grosz) wurde am 26. Juli 1893 in Berlin als
Sohn eines Gastwirts geboren. 1909 wurde er an der Kunstakademie Dresden aufgenommen
und begann noch im selben Jahr mit einer Arbeit am „Berliner Tageblatt“ als Zeichner und
Graphiker. Zwischen 1912 und 1917 besucht er mit Unterbrechungen die
Kunstgewerbeschule in Berlin als Schüler von Emil Orlik (1870-1932). Zwar wurde Grosz
zum Militärdienst einberufen, jedoch wegen Krankheit bald wieder entlassen. Wie viele
andere Künstler zu dieser Zeit trat er nach dem ersten Weltkrieg der KPD bei. Grosz eröffnete
1920 seine erste Einzelausstellung in der Münchner Galerie „Neue Kunst Hans Goltz“ und
gründet die kritische Zeitung „Die Pleite“. Er gewann immer mehr Anerkennung in der
Kunst-Szene. Darüber hinaus beteiligte Grosz sich an der legendären „Dada-Bewegung“ in
Berlin. Ebenfalls im Jahr 1920 heiratetet er Eva Peter. Wegen der Veröffentlichung des
Plakates „Gott mit Uns“ wurde Grosz wegen „Beleidigung der Reichswehr“ zu 5000 Mark
Geldstrafe verurteilt. 1923 muss er sich nach der Herausgabe von „Ecce homo“ wegen
„Beleidigung der öffentlichen Moral“ vor Gericht verantworten. Die Erfahrungen seiner
fünfmonatigen Russlandreise besiegelten sein Misstrauen gegen jegliche Form der
diktatorischen Herrschaft und veranlassten ihn 1922 zum Austritt aus der KPD. Aufgrund der
Zeichnung „Maul halten und weiter dienen“ wurde Grosz wegen Gotteslästerung angeklagt
und verurteilt, aber 1931 nach fünf Gerichtsinstanzen freigesprochen. Mit seinen Zeichnungen
begleitete Grosz die Zeit der deutschen Kriegsniederlage, die Novemberrevolution, die
Spartakistenkämpfe wie auch die Inflation. Im Grunde genommen übte er Kritik gegen
politische und militaristische Reaktionen und malte so seine zahlreichen Bilder aus
Widerspruch. Er versuchte durch seine Arbeit die Welt davon zu überzeugen, dass sie
„hässlich, krank und verloren“ sei. Stil und Engagement bilden bei ihm in diesen Jahren eine
bedeutungsvolle Einheit; seine Bilder wirken übertrieben, parteiisch und waren von
gefürchteter Ausdruckskraft. Dafür sprechen nicht zuletzt die Prozesse die man gegen ihn
führte. Am 12. Januar 1933 emigrierte Grosz nach New York, um dort an der „Art Student
League“ zu unterrichten. Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten
wurden seine Wohnung und sein Atelier gestürmt und seine Werke beschlagnahmt und als
„entartete Kunst“ 1937 gezeigt. Trotz der amerikanischen Staatsbürgerschaft, einer
Autobiographie („A little Yes and a big No“) sowie Beteiligungen an populären
Ausstellungen in amerikanischen Museen blieb Grosz die in Deutschland gewonnene
Anerkennung in den Vereinigten Staaten verwehrt. Nach dem 2. Weltkrieg kehrte George
Grosz wieder nach Deutschland zurück und starb am 6. Juli 1959 in Berlin.
5. Bildanalyse „Die Stützen der Gesellschaft“
1926
200 x 108 cm
Öl auf Leinwand
Nationalgalerie Berlin – Preußischer Kulturbesitz
In George Grosz’ Werk „Die Stützen der Gesellschaft“ befinden sich auf verschiedenen
räumlichen Ebenen fünf Personen, die völlig ohne Bezug zueinander stehen. Im Hintergrund
sind andeutungsweise weitere Menschen zu sehen. Unten rechts steht ein Mann mit
aggressiven und kaltherzigem Gesichtsausdruck, verstärkt durch kleine rote Naben
(„Schmiss“) auf der Wange, an einem Tisch mit einem Bierglas in der linken und einem Säbel
in der rechten Hand. An seinem linkem Auge ist ein Monokel zu sehen, außerdem trägt er ein
graues Jackett, darunter ein weißes Hemd mit einer blauen Krawatte, auf dessen Knoten ein
Hakenkreuz zu erkennen ist. Seine Schädeldecke ist abgeschnitten und aus dem geöffneten
Kopf springt ein Soldat auf einem Pferd heraus. Darüber hinaus sind vereinzelt
Gesetzesparagraphen sowie nicht erkennbares Gewirr wahrzunehmen. Vom Betrachter links
gesehen steht schräg hinter ihm eine weitere Person. Diese hat einen braunen Mantel und
ebenfalls ein weißes Hemd mit einer dunklen Krawatte an. Sie hält einen langen mit Blut
verschmierten Palmzweig in der linken Hand sowie einen Bleistift in der rechten Hand.
Außerdem hält der mutmaßliche Journalist mehrere Zeitungen unter dem linken
angewinkelten Arm. Auf seinem Kopf befindet sich ein umgestülpter Nachttopf. Wieder
etwas weiter nach hinten versetzt auf der rechten Seite ist ein korpulenter Mann mit einer
Fahne in den Farben des ehemaligen Kaiserreichs (schwarz, weiß, rot) in der linken Hand zu
sehen. An der dunklen Jacke des vermutlichen Politikers befindet sich ein Schild mit der
Aufschrift „Sozialismus ist Arbeit“. Seinem Kopf fehlt ebenfalls die Schädeldecke, an ihrer
Stelle ist ein dampfender Kothaufen zu sehen. Eine weitere Stufe dahinter steht mittig ein
Geistlicher mit gerötetem Gesicht und schwarzem Gewand. Er beißt sich auf seine Zunge und
schaut mit ausgebreiteten Armen aus einem geöffneten Fenster hinaus, aus dem Flammen
hervorkommen. Rechts oben im Bild marschieren schließlich einige Soldaten, von denen nur
der erste detailliert erkennbar ist. Er hat eine strenge und kämpferische Mimik, die durch den
nach vorne verschobenen Unterkiefer intensiviert wird. Er hat einen langen
blutverschmierten Degen in seiner rechten Hand und einen Stahlhelm auf dem Kopf.
Das gesamte Bild wird von geometrischen Formen beherrscht. Die Figuren wirken
schablonenhaft, weil sich die Konturen und Flächen überschneiden. Linien und Form sind
stark vereinfacht. Es sind darüber hinaus spitze Winkel in Kreisformen zu erkennen. Die
Personen türmen sich im „Zick-Zack“ übereinander auf, was der gesamten Komposition
Instabilität verleiht. Daher löst das Bild beim Betrachter zunächst Hektik und Verwirrung aus.
Die Darstellung wirkt übervoll, die Personen fallen zusammen, es gibt keinen bestimmten
Betrachterstandpunkt und letztlich keinen einheitlichen Handlungsraum, ähnlich einer
Collage. Es ist zweifelsohne ein ironischer Gegensatz zum Titel „Die Stützen der
Gesellschaft“ festzustellen. Meist sind dunkle, erdfarbene, eintönige und emotionslose
Farben, wie schwarz, grau oder braun vom Künstler gewählt worden. Auffallend sind rote
Elemente, wie das Feuer, die Kaiserreich-Fahne, der Uniformkragen des Soldaten, das Blut an
Degen und Palmzweig sowie schließlich die Gesichtsrötungen. Da die Gesichter der Personen
allerdings auffallend hell, gar leichenblass und kalt, sind wird trotz der roten Gesichtspartien
keine Wärme ausgestrahlt, weil das Rot einen zu starken Kontrast zu dem ungewöhnlichem
Leichenblass bildet. Es existieren außerdem noch weitere Kontraste, wie z.B. der dunkle,
kühle Hintergrund mit den einzelnen Personen oder der umgestülpte Nachtopf zur schwarzen
Kleidung des dahinterstehenden Geistlichen. Das Bild wirkt insgesamt eher matt, da die
Farbintensivität etwas zaghaft ist.
Der Künstler hat die Figuren als Verkörperungen sozialer Gruppen und politischen bzw.
gesellschaftlichen Verhaltensweisen durch besondere Attribute und Überzeichnungen
einzelner Merkmale gekennzeichnet. Jede Person gehört somit einer anderen
Gesellschaftsschicht an. Die vorderste Figur repräsentiert vermutlich einen Mann aus der
gehobenen Mittelklasse, der in einer rechtsradikalen Partei integriert ist. Hinweise sind das
Hakenkreuz auf seiner Krawatte, der Säbel in seiner rechten Hand sowie die Narben in seinem
Gesicht. Dieser sogenannte „Schmiss“ ist Zeichen einer schlagenden Studentenbewegung.
Der berittene Soldat, der seinem Kopf entspringt, symbolisiert Macht und Eroberung. Die
Gesetzesparagraphen könnten darauf hinweisen, dass er ein gesetzestreuer und
ordnungsliebender Akademiker ist. Der dahinterstehenden Mann ist höchstwahrscheinlich ein
Mitglied der Presse. Der blutbeschmierten Palmenzweig in seiner linken Hand ist ein
Friedensymbol, das, wenn man die Hetzartikel der Zeitungen unter seinem Arm, die ihn im
Zusammenhang mit dem Bleistift in seiner rechten Hand unmittelbar als Journalist verraten,
betrachtet, reine Heuchlerei ist. Der Palmenzweig und auch der umgedrehte Nachtopf
symbolisieren die Falschheit der Friedensbereitschaft der Presse. Der rechts hinter ihm
stehende Mann ist vermutlich ein Parlamentarier der Weimarer Republik. Ein Zeichen dafür
ist das Schild an seine Jacke mit der Aufschrift „Sozialismus ist Arbeit“. Mit dem Haufen Kot
auf dem Kopf meint der Künstler eindeutig die Intelligenz der Politiker. Diese Person vertritt
vermutlich eine konservative, reaktionäre Partei (Hinweis: Kaiserreichfahne) oder eine
soziale, demokratische Partei (Parole als Aufruf gegen Streik). Die Gestik und Kleidung der
mittig stehenden Person verweist auf die Kirche und deren Tatenlosigkeit. Der Geistliche
beißt sich auf die Zunge, was ein Symbol für das Schweigen bzw. die Lügen der Kirche in
der Weimarer Republik sein könnte. Die Flammen, die im Fenster sichtbar sind, sind
wahrscheinlich von George Grosz als eine Metapher für den Krieg dargestellt worden. Die
uniformierte Gruppe, die aus dem Bild „herausmarschiert“, steht schließlich für die
Reichswehr. Der vorderste Soldat mit dem blutverschmierten Degen in der Hand ist
vermutlich ein Offizier oder zumindest der ranghöchste Soldat dieser Gruppe. Die
Reichswehr hatte sich nie richtig mit der Weimarer Republik identifiziert. Der Künstler drückt
dies aus, indem das Militär dem brennenden Haus, wahrscheinlich einem Verbrechen der
rechtsradikalen Parteimitglieder zu verdanken, dem Rücken zukehrt ohne Gegenmaßnahmen
zu ergreifen.
George Grosz möchte mit seinem Gemälde „Die Stützen der Gesellschaft“ die politischen
Zustände der Weimarer Republik verdeutlichen und zeigt in diesem Bild die gemeinsame
Grundhaltung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, wie auch die Verzweiflung der
damaligen Gesellschaft. Mit seinem übertriebenen, komplexen Stil der Darstellung wird jede
einzelne Figur dieser Gruppen als „Stütze der Gesellschaft“ kritisch in Frage gestellt und
Justiz, Presse, Parlament, Kirche und Militär als brutal, verlogen und konservativ verurteilt.
Grosz sieht Kunst als Waffe und Propaganda, um den Menschen den Blick für die realen
Verhältnisse, das soziale Geschehen, die Gegenwart, die Hässlichkeit, Krankheit und
Verlogenheit der Welt zu schärfen. Auf den Beobachter wirkt dieses Gemälde anfangs etwas
karikaturhaft, starr, kühl und ohne jegliche Emotionen.
Mir persönlich gefällt das Bild sehr gut, weil es trotz seiner übertriebenen, präzisen und
emotionslosen Darstellungsweise für den Betrachter gut zu verstehen ist. Es gewährt einen
sinnbildlichen Blick in die damalige Gemütsverfassung des Künstlers, voller Skepsis und
Pessimismus, und die politische Situation der Weimarer Republik mir ihren Problemen und
Schwierigkeiten. Auf den ersten Blick scheint es, als ob George Grosz den Krieg
verherrlichen würde, bei genauerer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass er genau das
Gegenteil ausdrücken wollte. Sieht man mit dem Hintergrundwissen des 2. Weltkrieges, den
der Künstler zu diesem Zeitpunkt nicht hat erahnen können, wird die Wirkung auf den
Betrachter noch verstärkt. Das Gemälde ist für mich infolgedessen das aussagekräftigste und
bedeutungsvollste Bild der Neuen Sachlichkeit, da es auch die Schattenseiten des
„glänzenden“ Lebens der 20er Jahre wiederspiegelt und durch Grosz’ kritische und
provokante Art der Darstellung politische Probleme und Unzufriedenheiten der Weimarer
Republik auf den Punkt bringt.
6. Schlussbemerkung:
Nachdem ich mich so intensiv mit George Grosz, seiner politischen und gesellschaftlichen
Haltung und seinen eindrucksvollen Bildern auseinandergesetzt habe, bin ich der Meinung,
George Grosz gehört zu den interessantesten und bewundernswertesten deutschen Künstlern
des 20. Jahrhunderts. Er übte oft grobe Kritik am Staat und Gesellschaftswesen der Weimarer
Republik und blieb immer standhaft, obwohl er mit seinen herausfordernden Werken immer
wieder auf herbe Ablehnung stieß. Grosz’ sozialkritisches Bild „Die Stützen der Gesellschaft“
machten ihn zu dem politisch wohl engagiertesten und konsequentesten Zeitkritiker der
Zwanziger Jahre. Grosz ist in meinen Augen ein exzellenter Künstler, der unsere Geschichte
durch seine ausdrucksvollen Bildern beispielhaft dokumentierte.
7. Quellenverzeichnis
Bertonati, E.: Neue Sachlichkeit in Deutschland, Galerie Schuler, München 1974
Geschichte und Geschehen A4, Stuttgart 1997
März, R.: Die Malerei der Neuen Sachlichkeit, Leipzig 1983
Richter, H.: Geschichte der Malerei im 20. Jahrhundert: Stile und Künstler, Köln 1998
Schmied, W.: Neue Sachlichkeit und Magischer Realismus in Deutschland 1918-1933, 2.
Auflage, Hannover 1976
Schneede, U. M.: George Grosz, Der Künstler in seiner Gesellschaft, Köln 1975
Vierhuff, H. G.: Die Neue Sachlichkeit, Malerei und Fotografie, Köln 1980
Artikel: Neue Sachlichkeit. In: Das große Lexikon in Wort und Bild, Band 9, hg. G. Seibert,
Herrsching 1979
Artikel: Neue Sachlichkeit. In: Seemanns kleines Kunst Lexikon, hg. B. Riese, Leipzig 1994
http://infopool.martin-burger.de/schul/kun/bldanalintpr.html
http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/GroszGeorge/
http:/www.dhm.de/lemo/html/weimar/kunst/sachlichkeit/
Tafel 1: George Grosz. „Die Stützen der Gesellschaft“ (1926) Nationalgalerie Berlin
Tafel 2: Otto Dix, „Großstadt“ Triptychon (1927/28)
Tafel 3: Carl Grossberg, „Papiermaschine“ (1934) Privatsammlung, Mailand
Tafel 4: Alexander Kanoldt, „Olevano II“ (1925) Museum Folkwang, Essen
Tafel 5: Georg Schrimpf, „Hedwig Schrimpf“ (1922) Städtische Galerie im Lenbachhaus,
München
Tafel 6: Franz Wilhelm Seiwert, „Arbeitsmänner“ (1925) Kunstmuseum Düsseldorf in
Ehrendorf, Düsseldorf
Herunterladen