Analysis I - Vorlesungs-Script Prof. Dr. Camillo De Lellis Basisjahr 10 Semester II Mitschrift: Simon Hafner Inhaltsverzeichnis 1 Mengen und natürliche Zahlen 1.1 Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 die vollständige Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Binomialkoeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Die 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 reellen Zahlen Körperstrukturen . . . . . . . . . . . . Die Anordnung von R . . . . . . . . . Die Vollständigkeit der reellen Zahlen Supremumseigenschaft, Vollständigkeit Abzählbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 2 4 6 6 7 8 10 11 3 Komplexe Zahlen 11 3.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4 Funktionen 4.1 Definition . . . . . . . . . . 4.2 Algebraische Operationen . 4.3 Zoo . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Exponentialfunktion 4.3.2 Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 14 14 15 15 16 5 Folgen 5.1 Rechenregeln . . . . . . . . . . . . 5.2 Monotone Folgen . . . . . . . . . . 5.3 Der Satz von Bolzano-Weierstrass . 5.4 Konvergenzkriterium von Cauchy . 5.5 Uneigentliche Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 19 21 21 23 23 6 Reihen 6.1 Konvergenz der Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Konvergenzkriterien für reelle Reihen . . . . . . . . . . 6.3 Konvergenzkriterien für allgemeine (komplexe) Reihen 6.4 Wurzel- und Quotientenkriterium . . . . . . . . . . . . 6.5 Das Cauchyprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 24 25 26 26 28 29 7 Stetige Funktionen und Grenzwerte 7.1 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Rechenregeln für stetige Funktionen 7.3 Zwischenwertsatz . . . . . . . . . . . 7.4 Maxima und Minima . . . . . . . . . 7.5 Stetige Fortsetzung, Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 30 31 32 33 34 8 Exponentialfunktion 8.1 Existenz und Eindeutigkeit . . . . . . . . . . . . 8.2 Die Exponentialfunlktion auf der reellen Gerade . 8.3 Natürlicher Logarithmus . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . 8.5 Noch andere spezielle Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 36 40 41 43 44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Differentialrechnung 45 9.1 Die Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 9.2 Rechenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 9.3 Die Sätze von Rolle und Lagrange . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 9.4 Anwendugen des Mittelwertsatzes: Schrankensatz und De L’Hôpitalsche Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 9.5 Differentation einer Potenzreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 9.6 Ableitungen höherer Ordnung und Taylorreihe . . . . . . . . . . 57 i 9.7 9.8 Konvexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Lagrange Fehlerabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Integralrechnung 10.1 Treppenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Regelfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung 10.4 Integrationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6 Integration einer Potenzreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 60 63 63 64 67 69 71 74 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen 76 11.1 Lineare gewöhnliche Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . 77 11.2 Differentialgleichungen mit getrennten Variablen . . . . . . . . . 78 11.3 Lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten . . . 81 ii 1 Mengen und natürliche Zahlen 1 Mengen und natürliche Zahlen : bedeutet so dass ∃ bedeutet es gibt ∀ =⇒ ⇐⇒ 1.1 bedeutet für alle bedeutet impliziert bedeutet genau dann, wenn Mengen Eine Menge ist eine Gesamtheit von Einzeldingen, die als neues Objekt angesehen werden muss. Eine genauige Klärung des Mengenbegriffs bleibt der Logik überlassen. Ist M eine Menge, so führen wir die folgenden Bezeichnungen ein: a∈M a 6∈ M M = {a, b, . . .} d.h. a gehört zu M a ist nicht Element von M . M ist die Menge, die aus den Elementen a, b, . . . besteht. Schliesslich M = {a : a hat die Eigenschaft E} heisst “M ist die Menge aller Objekten a, die die Eingenschaft E haben”. Beispiel 1.1. Die natürliche Zahlen 0, 1, 2, . . . bilden eine Menge N; gehört n zu N, so auch n + 1. Beispiel 1.2. Mit Z wird die Menge Z = {x : x ∈ N oder − x ∈ N} bezeichnet; Z ist die Menge der ganzen Zahlen. Beispiel 1.3. Die Menge der Zahlen, die sich als Quotient ganzer Zahlen a/b mit b 6= 0 darstellen lassen, heisst die Menge der rationalen Zahlen; ihre Standardbezeichnung ist Q. Zwischen Mengen können Bezeichnungen bestehen, und es lassen sich Verknüpfungen zwischen ihnen erklären. (1) Gleichheit. Zwei Mengen A und B sind dann un nur gleich, in Zeichen A = B, wenn sie dieselben Elementen enthalten. (2) Inklusion. A heisst “in B enthalten”, in Zeichen A ⊂ B (oder B ⊃ A), wenn gilt: x ∈ A =⇒ x ∈ B. Falls A ⊂ B wir sagen auch dass “A eine Teilmentge von B ist”. (3) Durchschnitt. Der Durchschnitt zweier Menge A und B ist die Menge A ∩ B := {x : x ∈ A und x ∈ B} . (4) Vereinigung. Die Vereinigung zweier Menge A und B ist die Menge A ∪ B := {x : x ∈ A oder x ∈ B} . (5) Differenz. Die Differenz von A und B ist die Menge A \ B := {x : x ∈ A und x 6∈ B} . Die Differenzmenge wird auch A − B bezeichnet. 1 1 Mengen und natürliche Zahlen (6) Die Lehrmenge Das Symbol ∅ bezeichnet die Menge die aus keinem Element besteht, d.h. die Lehrmenge. Die Lehrmenge ist eine Teilmenge jeder Menge! Oft werden wir die Vereinigung (bzw. der Durschnitt) verschiedener Menge betrachten. Eine Familie von Mengen wird dann als {Ai }i∈I bezeichnet, wobei I eine Indexmenge ist. Oft ist diese einfach eine endliche Familie , in diesem Fall ist I die Menge {1, . . . , n} ⊂ N, wobei n die Anzahl Menge der Familie ist. Die Vereinigung von Ai ist dann [ Ai := {x : ∃i ∈ I mit x ∈ Ai } i∈I (i.e. die Menge der Elementen die mindestens zu einer Ai gehören) und der Durschnitt ist \ Ai := {x : x ∈ Ai ∀i ∈ I} i∈I (i.e. die Menge der Elementen die allen Ai gehören). Wir listen nun die elementaren Eigenschaften der Mengenoperationen auf: • Eigenschaften der Inklusion – ∅∈M – M ⊂ M (i.e. jede Menge ist eine Teilmente von sich selbst) – (A ⊂ B und B ⊂ A) ⇐⇒ A = B; – (A ⊂ B und B ⊂ C) =⇒ A ⊂ C. • Assoziativität – (A ∪ B) ∪ C = A ∪ (B ∪ C). – (A ∩ B) ∩ C • Kommutativität – A ∪ B = B ∪ A; – A ∩ B = B ∩ A. • Distributivgesetze – A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C); – A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C). 1.2 Die vollständige Induktion Zu jeder natürlichen Zahl n sei eine Aussage A(n) gegeben. Eine Strategie zu deren Beweis ist das Prinzip der vollständigen Induktion: Alle Aussagen A(n) sind richtig wenn man (I) und (II) beweisen kann: (I) A(0) ist richtig Induktionsanfang). (II) Für jedes n, für welches A(n) richtig ist, ist auch A(n + 1) richtig (Induktionsschluss). Beispiel 1.4. Wir wollen die Identität A(n) : 0 + 1 + 2 + ... + n = n(n + 1) 2 für jedes n ∈ N zeigen. Das koennten wir aus dem Prinzip der vollständigen Induktion wie folgt schliessen: 2 1 Mengen und natürliche Zahlen • A(0) ist die Aussage 0 = 0. Die gilt und ist der Induktionsanfang. • A(n) ist die Gleichung 0 + 1 + ... + n = n(n + 1) . 2 (1) Nehmen wir an dass A(n) gilt, d.h. dass (1) richtig ist. Dann ist auch (0 + 1 + . . . + n) + n + 1 = n(n + 1) + (n + 1) . 2 (2) Die rechte Seite (2) ist aber n(n + 1) n2 + n + 2n + 2 (n + 1)(n + 2) +n+1= = . 2 2 2 Deswegen (1) impliziert die Identität 0 + 1 + . . . + n + (n + 1) = (n + 1)(n + 2) . 2 Dies ist aber A(n + 1). Deswegen gilt: A(n) =⇒ A(n + 1). Aber das ist genau der Induktionsschluss Oft ist die Aussage A(n) nur für n grosser als eine bestimmte grenze N richtig. In diesem Fall beweisen wir die folgenden Varianten des Induktionsanfangs (I’) A(N ) gilt und des Induktionsschluss (II’) A(n) =⇒ A(n + 1) für n ≥ N . Beispiel 1.5. Wir wollen die Ungleichung 2 n ≥ n2 A(n) : für jedes n ∈ N gross genug zeigen. Es ist leicht zu sehen dass A(4) gilt: A(4) : 24 = 16 = 42 . Nun wollen wir zeigen dass A(n) =⇒ A(n + 1) wenn n ≥ 4. A(n) bedeutet 2n ≥ n2 . Diese Ungleichung impliziert 2n+1 = 2 · 2n ≥ 2n2 . Nun, für n ≥ 1 gilt (n + 1)2 2 1 3 =1+ + 2 ≤1+ 2 n n n n Deswegen, falls n ≥ 4, schliessen wir 3 n+1 2 n2 ≥ (n + 1)2 . 2 ≥ 2n ≥ 1 + n Das heisst: A(n) =⇒ A(n + 1) falls n ≥ 4. Das beweist den Induktionsschluss (II’) mit N = 4. Bemerkung 1.6. Manchmal wird das Prinzip der VI benutzt um bestimmte Objekten zu definieren. Das geht wie folgt. Es soll jeder natürlichen Zahl n ein Element f (n) einer Menge X zugeordnet werden durch (I) die Angabe von f (0) (II) eine Vorschrift, die für jedes n ∈ N das Element f (n+1) aus den Elementen f (0), . . . , f (n) zu berechnen gestattet. 3 1 Mengen und natürliche Zahlen Ein solcher Verfahren heisst Rekursive Definition. Wenn f (n) eine Zahl ist, heisst es auch Rekursionsformel. Wir für die VI, auch eine Rekursive Definition kann mit einer bestimmten natürliche Zahl N 6= 0 anfangen. Beispiel 1.7. Wir können die Potenz einer Zahl x durch die folgende Rekursionsformel definieren: • x1 = x; • xn+1 = x · xn . Bemerkung 1.8. Für x 6= 0 gilt die Konvention x0 = 1. 1.3 Binomialkoeffizienten Für jede positive natürliche Zahl definiert man n!, sprich n-Fakultät, durch n! := 1 · 2 · . . . · n . Für 0 gilt die Konvention 0! = 1. Die Fakultät spielt eine wichtige Rolle in der Kombinatorik. Lemma 1.9. Die Anzahl aller Anordungen n verschiedener Elemente ist n! Beweis. Wir beweisen dieses Lemma mit dem Prinzip der vollständigen Induktion. Für n = 1 ist die Aussage trivial. Wir nehemn nur an dass die Aussage für eine bestimmte natürliche Zahl n ≥ 1 gilt. Wir wollen nun die Anzahl Anordungen einer Menge A mit n + 1 verschiedenen Elementen a1 , . . . an+1 rechnen. Um die Elemente zu ordenen wählen wir zuerst das erste: dann aber wir n + 1 Möglichkeiten. Es bleibt die Anordnung der anderen n Elementen zu entscheiden, aber das gibt uns n! Möglichkeiten. Deswegen es gibt (n+1)·n! Anordungen von A und die sind genau (n + 1)!. Definition 1.10. Sei m1 , . . . , mn die Anordnung einer Menge M . Eine Permutation der Elementen m1 , . . . , mn ist eine neue Anordnung von M . Deswegen das Lemma 1.9 kann auch so formuliert werden: Lemma 1.11. Die Anzahl der Permutationen n verschiedener Elemente ist n!. Wir werden nun den folgenden Satz beweisen. Lemma 1.12. Die Anzahl der k-elementigen Teilmengen einer nicht leeren Menge mit n Elementen ist, im Fall 0 < k ≤ n, n! n(n − 1) · . . . · (n − k + 1) = . k! (n − k)!k! (3) Definition 1.13. Für alle n ≥ k ∈ N definieren wir den Binomialkoeffizient n! n := k (n − k)!k! Beweis vom Lemma 1.12. Sei M eine Menge mit n Elementen und m1 , . . . , mn eine entsprechende Anordnung. Die Wahl von k geordneten Elementen ist dann n(n − 1) · . . . · (n − k + 1) (wir wählen zuerst das erste Element: dafür haben wir n Möglichkeiten; dann wählen wir das zweite Element zwischen den verbleibenden: wir haben n − 1 Möglichkeiten; und so weiter). Für jede Wahl dieser k Elemente gibt es eine Teilmenge A ⊂ M die aus diesen Elementen besteht. Aber jede solche Teilmenge wird dann k! Mal gewählt, d.h. so viel wie die Anzal Permutationen ihrer Elemente. Deswegen, die Anzahl der Teilmengen mit k Elementen ist n(n − 1) · . . . · (n − k + 1) . k! 4 1 Mengen und natürliche Zahlen Eine sehr wichtige Anwendung der Binomialkoeffizienten ist die Binomialentwicklung oder Newtonsche Formel. Satz 1.14. Für jeden Exponenten n ∈ N \ {0} gilt n n n (1 + x) = 1 + x + ... + xn−1 + xn . 1 n−1 (4) Bemerkung 1.15. Die Formel gilt für jede reelle und komplexe Zahl x. Diese werden später eingeführt. Definition 1.16. Wenn k ≤ m zwei natürliche Zahlen sind und ak , ak+1 , . . . , am eine Famile von Zahlen, wir bezeichnen die Summe ak + ak+1 + . . . + am mit m X aj j=k und das Produkt ak · ak+1 · . . . · am mit m Y aj . j=k Mit dieser neuen Notation können wir die Identität (4) wie folgt formulieren: n X n (1 + x) = xj , j n j=0 mit der Konvention dass x0 = 1. Beweis vom Satz 1.14. Es gibt n j Möglichkeiten, j Klammern aus den n Klammern (1 + x) der linken Seite auszuwählen und daraus dann x als Faktor zu nehmen. Beim Ausmultiplizieren des links stehenden Produktes entsteht also n j Mal die Potenz xj . Bemerkung 1.17. Eine sehr wichtige Rekursionsformel für die Binomialkoeffizienten ist die folgende Identität: n+1 n n = + (5) k+1 k k+1 Die Identität ist leicht zu beweisen: n(n − 1) · · · (n − k + 1) n(n − 1) · · · (n − k) n n + + = k k+1 k! k!(k + 1) n(n − 1) · · · (n − k + 1)(k + 1 + n − k) (k + 1)! (n + 1)n · · · (n + 1 − k) n+1 = = . k+1 (k + 1)! = 5 2 Die reellen Zahlen 2 Die reellen Zahlen Q ist nicht genug! Satz 2.1. Es gibt kein q ∈ Q so dass q 2 = 2 Beweis. Falls q 2 = 2, dann (−q)2 = 2 OBdA q ≥ 0 Deswegen q > 0. Sei q > 0 und q ∈ Q so dass q 2 = 2. q = m n mit m, n ∈ N \ {0} und GGT(m, n) = 1 (d.h. falls r ∈ N m und n dividiert, dann r = 1!). m2 = 2n2 =⇒ m ist gerade =⇒ m = 2k für k ∈ N 4k 2 = 2n2 =⇒ n ist gerade =⇒ 2|n(2 dividiert n) =⇒ Widerspruch! Weil 2 dividiert m und n! (d.h. es gibt keine Zahl q ∈ Q mit q 2 = 2). Beispiel 2.2. √ 2 = 1, 414 · · · Intuitiv: 1, 42 < 2< 1, 52 1, 41 < 2< 1, 42 2 1, 4142 < 2< 1, 4152 2 1, 4 < =⇒ 1, 41 < 1, 414 < √ √ √ 2< 1, 5 2< 1, 42 2< 1, 415 Intuitiv • Q hat “Lücke” • R = { die reellen Zahlen } haben “kein Loch”. Konstruktion Die reellen Zahlen kann man “konstruieren”. (Dedekindsche Schnitte, siehe Kapitel I.10 in H. Amann, J. Escher Analysis I, oder Kapitel 1.8 in W. Rudin Principle of Mathematical Analysis; Cantorsche “Vervollständigung”, siehe I. Stewart Introduction to metic and topological spaces). Wir werden “operativ” sein, d.h. wir beschreiben einfach die wichtigsten Eigenschaften von R durch: • die Köperaxiomen (K1) – (K4); • die Anordnugsaxiomen (A1)– (A3); • das Vollständigkeitsaxiom (V). 2.1 Körperstrukturen K1 Kommutativgesetz a+b=b+a a·b=b·a K2 Assoziativgesetz (a + b) + c = a + (b + c) (a · b) · c = a · (b · c) 6 2 Die reellen Zahlen K3 Distributivgesetz (a + b) · c = a · c + b · c K4 Die Lösungen x folgender Gleichungen existieren: a+x=b ∀a, b ∈ R a·x=b ∀a, b ∈ R, a 6= 0. NB: 0 ist das “Annallierungselement”, d.h. das einzige Element 0 so dass a0 = 0 für jede a ∈ R. 2.2 Die Anordnung von R A1 ∀a ∈ R gilt genau eine der drei Relationen: – a<0 – a=0 – a>0 A2 Falls a > 0, b > 0, dann a + b > 0, a · b > 0 A3 Archimedisches Axiom: ∀a ∈ R ∃n ∈ N mit n > a Übung 2.3. Beweisen Sie dass a · b > 0 falls a < 0, b < 0 Satz 2.4 (Bernoullische Ungleichung). ∀x > −1, x 6= 0 und ∀n ∈ N {0, 1} gilt (1 + x)n > (1 + nx) Beweis. Vollständige Induktion. Schritt 1 (1 + x)2 = 1 + 2x + |{z} x2 > 1 + 2x >0 weil x 6= 0. Nehmen wir an dass (1 + x)n > (x > −1, x 6= 0) 1 + nx Dann (1 + x) (1 + x)n > (1 + nx)(1 + x) | {z } | {z } | {z } a c (weil (1 + x) > 0) d (In der Tat, A2 K4 A2 c > d ⇐⇒ c − d > 0 =⇒ a(c − d) > 0 =⇒ ac − ad > 0 =⇒ ac > ad) (1 + x)n+1 > (1 + nx)(1 + x) = 1 + nx + x + nx2 = 1 + (n + 1)x + |{z} nx2 > 1 + (n + 1)x >0 =⇒ (1 + x)n+1 > 1 + (n + 1)x Definition 2.5. Für a ∈ R setzt man ( a |a| = −a falls falls 7 a≥0 a<0 2 Die reellen Zahlen Bemerkung 2.6. |x| = max {−x, x} Satz 2.7. Es gilt : |ab| = |a||b| (6) |a + b| ≤ |a| + |b| ||a| − |b|| ≤ |a − b| (Dreiecksungleichung) (7) (8) • (6) ist trivial. Beweis. • Zu (7): a + b ≤ |a| + |b| (weil x ≤ |x| ∀x ∈ R und die Gleichung gilt genau, dann wenn x ≥ 0). −(a + b) = −a − b ≤ |−a| + |−b| = |a| + |b| Aber |a + b| = max {a + b, −(a + b)} ≤ |a| + |b| • Zu (8). |a| = |(a − b) + b| ≤ |a − b| + |b| |a| − |b| ≤ |a − b| =⇒ (9) |b| = |a + (b − a)| ≤ |a| + |b − a| |b| − |a| ≤ |b − a| = |a − b| =⇒ (10) (9),(10) ||a| − |b|| = max {|a| − |b|, − (|a| − |b|)} 2.3 ≤ |a − b| Die Vollständigkeit der reellen Zahlen Für a < b, a, b ∈ R, heisst: • abgeschlossenes Intervall: [a, b] = {x ∈ R : a ≤ x ≤ b} • offenes Intervall: ]a, b[ = {x ∈ R : a < x < b} • (nach rechts) halboffenes Intervall: [a, b[ = {x ∈ R : a ≤ x < b} • (nach links) halboffenes Intervall: ]a, b] = {x ∈ R : a < x ≤ b} Sei I = [a, b] (bzw. ]a, b[ . . . ). Dann a, b sind die Randpunkte von I. Die Zahl |I| = b − a ist die Länge von I. (b − a > 0) Definition 2.8. Eine Intervallschachtelung ist eine Folge I1 , I2 , · · · geschlossener Intervalle (kurz (In )n∈N oder (In )) mit diesen Eigenschaften: I1 In+1 ⊂ In I2 Zu jedem > 0 gibt es ein Intervall In so dass |In | < √ Beispiel 2.9. 2 1, 42 < 2 1, 41 < 2 1, 414 < 2< 1, 52 2< 1, 42 2 1, 415 2 2< I1 = [1, 4/1, 5] |I1 | = 0.1 =⇒ I2 = [1, 41/1, 42] |I2 | = 0.01 I3 = [1, 414, 1, 415] |I2 | = 0.001 ... ... In = . . . I1 und I2 sind beide erfüllt. 8 2 Die reellen Zahlen Axiom 2.10. Zu jeder Intervallschachtelung ∃x ∈ R die allen ihren Intervallen angehört. Satz 2.11. Die Zahl ist eindeutig. Beweis. Sei (In ) eine Intervallschachtelung. Nehmen wir an dass ∃α < β so dass α, β ∈ In für alle n. Dann |In | ≥ |β − α| > a. Widerspruch! Satz 2.12. ∀a ∈ R mit a ≥ 0 und ∀k ∈ N \ {0}, ∃!x ∈ R mit x ≥ 0 und xk = a √ 1 (∃!x bedeutet “es gibt genau ein x”). Wir nennen x = k a = a k . Sei a > 0 und m, n ∈ N. Dann am+n = am an . Wir definieren a−m := a1m für m ∈ N. (so dass die Gleichung am−m = a0 = 1 stimmt). Wir haben dann die Eigenschaft: aj+k = aj · ak ∀j, k ∈ Z. Wir haben aber auch, für m, n ∈ N, Mal z n}| { m + · · · + m = anm (a ) = a · a · · · a = a | {z } m n m m m n Mal (Und mit a−m = a1m stimmt die Regel (am )n = amn auch ∀m, n ∈ Z!). Diese √ 1 Gleichung motiviert die Notation a k für k a. √ m q n Definition 2.13. ∀q = m n ∈ Q, ∀a > 0, wir setzen a := ( a) Es ist leicht zu sehen dass die Gleichungen aq+r = aq · ar und aqr = (aq )r für alle q, r ∈ Q gelten. Beweis vom Satz 2.12. OBdA x > 1 (sonst würden wir x1 betrachten). wir konstruieren eine Intervallschachtelung (In ), In = [an , bn ] so dass akn ≥ x ≥ bkn ∀n ∈ N Wie setzten I1 := [1, x] ( k n n an , an +b falls x ≤ an +b 2 2 In+1 = an +bn k n , bn falls x > an +b 2 2 1 |In | = 2n−1 |I1 | und In+1 ⊂ In . Intervallschachtelungsprinzip =⇒ ∃y ∈ R s.d. y ∈ In ∀n ∈ N Wir behaupten dass y k = x. Man definiert Jn = [akn , bkn ]. Wir wollen zeigen, dass Jn eine Intervallschachtelung ist. • Jn+1 ⊂ Jn weil In+1 ⊂ In • k−1 |Jn | = bkn − akn = (bn − an ) (bk−1 + bk−2 n an + · · · + an ) | {z } | n {z } |In | ≤kbk−1 1 =⇒ |Jn | ≤ |In |kbk−1 . 1 Sei ε gegeben. Man wähle N gross genug, so dass |In | ≤ ε0 = ε kbk−1 1 =⇒ |Jn | ≤ ε0 kbk−1 =ε 1 Einerseits y ∈ [an , bn ] y k ∈ akn , bkn = Jn =⇒ Andererseits x ∈ Jn ∀n ∈ N Satz 2.11 =⇒ x = y k 9 2 Die reellen Zahlen 2.4 Supremumseigenschaft, Vollständigkeit Definition 2.14. s ∈ R heisst obere (untere) Schranke der Menge M ⊂ R falls s ≥ x (s ≤ x) ∀x ∈ M . Definition 2.15. s ∈ R ist das Supremum der Menge M ⊂ R (s = sup M ) falls es die kleinste obere Schranke ist. D.h. • s ist die obere Schranke • falls s0 < s, dann ist s0 keine obere Schranke. Beispiel 2.16. M =]0, 1[. In diesem Fall sup M = 1 6∈ M Beispiel 2.17. M = [0, 1]. sup M = 1 ∈ M Definition 2.18. s ∈ R heisst Infimum einer Menge M (s = inf M ) falls s die grösste obere Schranke ist. Definition 2.19. Falls s = sup M ∈ M , nennt man s das Maximum von M . Kurz: s = max M . Analog Minimum. Satz 2.20. Falls M ⊂ R nach oben (unten) beschränkt ist, dann existiert sup M (inf M ). Beweis. Wir konstruieren eine Intervallschachtelung In , so dass bn eine obere Schranke ist, und an keine obere Schranke ist. • I1 = [a1 , b1 ], wobei b1 eine obere Schranke • a1 ist keine obere Schranke Sei In gegeben. In+1 = an +bn falls an , 2 an +bn 2 , bn an +bn 2 eine obere Schranke ist; sonst . Also, ∃s s.d. s ∈ In ∀n. Wir behaupten dass s das Supremum von M ist. • Warum ist s eine obere Schranke? Angenommen ∃x ∈ M so dass x > s. Man wähle |In | < x − s. Daraus folgt x − s > bn − an ≥ bn − s =⇒ x > bn Widerspruch. • Warum ist s die kleinste obere Schranke? Angenommen ∃s0 < s. Dann wähle n0 so dass In0 < s − s0 . s − s0 > bn0 − an0 ≥ s − an0 =⇒ an0 > s0 Widerspruch. Lemma 2.21. Jede nach oben (unten) beschränkte Menge M ⊆ Z mit M 6= ∅ besitzt das grösste (kleinste) Element. Beweis. OBdA betrachte nur nach unten beschränkte Mengen M ⊂ N . Angenommen M hat kein kleinstes Element. Mit der Vollständigen Induktion beweisen wir dass M = ∅. • 0 6∈ M , sonst ist 0 das kleinste Element; 10 3 Komplexe Zahlen • Angenommen dass {0, 1, . . . , k} ∩ M = ∅, wir schliessen auch {0, 1, . . . , k + 1} ∩ M = ∅, sonst ist k + 1 das kleinste Element von M . Vollständige Induktion =⇒ {0, . . . , n} ∩ M = ∅ ∀n ∈ N. D.h. M ∩ N = ∅. Satz 2.22. Q ist dich in R, bzw. für beliebige zwei x, y ∈ R, y > x, gibt es eine rationelle Zahl q ∈ Q, so dass x < q < y. Beweis. Man wähle n ∈ N so dass n1 < y − x. Betrachte die Menge A ⊆ Z, so dass M ∈ A =⇒ M > nx. Lemma 2.21 =⇒ ∃m = min A. x< Also setze q = 2.5 m−1 1 m = + <x+y−x=y n n n m n Abzählbarkeit Definition 2.23. Die Mengen A & B sind gleichmächtig, wenn es eine Bijektion f : A → B gibt. D.h. es gibt eine Vorschrift f s.d. • f zuordnet ein Element b ∈ B jedem a ∈ A; dieses Element wird mit f (a) bezichnet; • f (a) 6= f (b) falls a 6= b; • ∀b ∈ B ∃a ∈ A mit b = f (a). (f ist eine bijektive Abbildung; siehe Kapitel 4). A hat grössere Mächtigkeit als B, falls B gleichmächtig wie eine Teilmenge von A ist, aber A zu keiner Teilmenge von B gleichmächtig ist. • {1, 2} & {3, 4} sind gleichmächtig. Beispiel 2.24. • {1, 2, · · · , n} hat kleinere Mächtigkeit als {1, 2, · · · , m}, wenn n < m ist. Definition 2.25. Eine Menge A ist abzählbar, wenn es eine Bijektion zwischen N und A gibt D.h. A = {a1 , a2 , · · · , an , · · · }. Lemma 2.26. Z ist abzählbar Beweis. N Z 1 0 2 1 3 -1 4 2 5 -2 ... ... Formal, definiere f :N→Z ( f (n) := n 2 1−n 2 wenn n gerade wenn n ungerade Satz 2.27. Q ist abzählbar Satz 2.28. R ist nicht abzählbar. (Für die Beweise siehe Kapitel 2.4 von K. Königsberger Analysis I). 3 Komplexe Zahlen Bemerkung 3.1. ∀a ∈ R, a2 > 0. Deswegen ist x2 = −1 unlösbar. Die Erfindung der imaginäre Einheit i (die imaginäre Zahl mit i2 = −1) hat sehr interessante Konsequenzen auch für die üblichen reellen Zahlen. 11 3 Komplexe Zahlen 3.1 Definition [Erste Definition der Komplexen Zahlen] Definition 3.2. Sei a, b ∈ R, dann a + bi ∈ C. Wir definieren die Summe: (a + bi) + (α + βi) = (a + α) + (b + β)i und das Produkt (a + bi)(α + βi) = (aα − bβ) + (aβ + bα) i | {z } A Definition 3.3. Seien A und B zwei Mengen. Dann ist A × B die Menge der Paare (a, b) mit a ∈ A und b ∈ B. Definition 3.4 (Zweite Definition der Komplezen Zahlen). C = R × R mit + und · , die wir so definieren: (a, b) + (α, β) = (a + α, b + β) (a, b)(α, β) = (aα − bβ, aβ + bα) | {z } A Bemerkung 3.5. R ' {(a, 0), a ∈ R} ⊂ C In der Sprache der abstrakte Algebra R ist isomorph zu R0 := {(a, 0) : a ∈ R}: d.h. die Summe und das Produkt in R und R0 sind “gleich”: (a, 0) + (α, 0) = (a + α, 0) (a, 0)(α, 0) = (aα, 0) Deswegen wir schreiben a statt (a, 0). Bemerkung 3.6. (0, a)(0, b) = (−ab, 0) Deswegen: (0, 1) | {z } (0, −1) | {z } (0, 1) = (−1, 0) Wurzel von -1 (0, −1) = (−1, 0) auch eine Wurzel von -1 Bemerkung 3.7. i = (0, 1) und wir schreiben (a, b) für a + bi. D.h. die zwei Definitionen der komplezen Zahlen sind equivalent! Bemerkung 3.8. 0 = (0, 0) = 0 + 0i. ξ ∈ C 0ξ = 0 0+ξ =ξ Satz 3.9. Alle Körperaxiome (K1-K4) gelten. Beweis. K1 Kommultativität: trivial K2 Assoziativität: trivial K3 Distributivität: trivial. K4 Seien ξ, ζ ∈ C. ∃ω ∈ C : ξ 6= 0∃ω : Zu (11). Wir setzen ξ = a + bi ζ = c + di ω = x + yi 12 ξ+ω =ζ (11) ξω = ζ (12) 3 Komplexe Zahlen ξ + ω = (a + x) + (b + y)i = ξ = c + di Sei x := c − a, y := d − b. Dann ξ + ω = ζ. Zu (12) 1 ( = 1 + 0i)) das neutrale Element. (a + bi)(1 + 0i) = (a1 − b0) + (b1 + a0) = (a + bi) | {z } | {z } a b Sei ξ 6= 0 und suchen wir α so dass ξα = 1. Dann ist ω = αζ eine Lösung von (12) (eigentlich DIE Lösung). Falls ξ = a + bi, dann α= a2 b a − 2 . 2 +b a + b2 In der Tat: 0 1 z ξα = }| b(−b) aa − 2 2 2 a +b a + b2 z { + }| ab a(−b) − 2 2 2 a +b a + b2 { i = 1. Definition 3.10. Sei ξ = (x + yi) ∈ C. Dann: • x ist der reelle Teil von ξ (Re ξ = x) • y ist der imaginäre Teil von ξ (Im ξ = y) • x − yi ist die konjugierte Zahl ξ = x − yi Bemerkung 3.11. q q 2 2 ξξ = (Re ξ) + (Im ξ) =: |ξ| Definition 3.12. |ξ| ist der Betrag von ξ. Satz 3.13. Es gilt: (∀a, b ∈ C): • – a+b=a+b – ab = ab • – Re a = a+a 2 – (Im a)i = a−a 2 • a = a genau dann wenn a ∈ R. • aa = |a|2 = q 2 2 (Re a) + (Im a) ≥ 0 (die Gleicheit gilt genau dann wenn a = 0) Bemerkung 3.14. Sei ω so dass ξω = 1 (ξ 6= 0). Man schreibt ω 1ξ . Der Beweis vom Satz 3.9 impliziert ω = ξ |ξ|2 Satz 3.15. ∀a, b ∈ C • |a| > 0 für a 6= 0 (trivial) • |a| = |a| (trivial) • |Re a| ≤ |a|, |Im a| ≤ |a| (trivial) 13 4 Funktionen • |ab| = |a||b| • |a + b| ≤ |a| + |b| Beweis. |ab|2 = (ab)(ab) = abab = aab = |a|2 |b|2 =⇒ |ab| = |a||b| |a + b|2 ∈ R | {z } = (a + b)(a + b) = (a + b)(a + b) = aa + bb + ab + ba (13) |a|2 + |b|2 + ab + ba . | {z } = ∈R Bemerkung: die Identität implizert dass ab + ba. In der Tat ab + ba = ab + ab = 2 Re(a)b. Deswegen |a + b|2 4 = |a|2 + |b|2 + 2 Re(a)b ≤ |a|2 + |b|2 + 2|ab| = |a|2 + |b|2 + 2|a||b| = (|a| + |b|)2 . (14) Funktionen 4.1 Definition Definition 4.1. Seien A und B zwei Mengen. Eine Funktion f : A → B ist eine Vorschrift die jedem Element a ∈ A ein eindeutiges Element f (a) ∈ B zuordnet. Beispiel 4.2. A ⊂ R, B = R (oder C) f (x) = x2 Definition 4.3. A ist der Definitionsbereich. f (A) = {f (x) : x ∈ A} ist der Wertbereich Bemerkung 4.4. Wertbereich von x2 : {y ∈ R : y ≥ 0} Definition 4.5. Der Graph einer Funktion f : A → B ist G(f ) = {(x, f (x)) ∈ A × B : x ∈ A} Beispiel 4.6. Verboten: zwei Werte für die Stelle x. Beispiel 4.7. f : R → R f (x) = |x| 4.2 Algebraische Operationen Wenn B = R oder C. Seien f, g zwei Funktionen mit gleichem Definitionsbereich. • f + g ist die Funktion h so dass h : A → B h(x) = f (x) + g(x) • Die Funktion f g ist k : A → B k(x) = f (x)g(x) 14 4 Funktionen • f g ist wohldefiniert falls der Wertebereich von g in B \ {0} enthalten ist: f (x) f (x) = g g(x) Falls B = C, kann man auch Re f , Im f , f . Definition 4.8. Sei f : A → B, g : B → C. Die Komposition g ◦ f : A → C. g ◦ f (x) = g(f (x)) Bemerkung 4.9. Sei f : A → R, g : A → R. Wir definieren Ξ : A → R × R: Ξ(a) = (f (a), g(a)) und Φ : R × R → R: Φ(x, y) = xy Dann Φ ◦ Ξ(a) = Φ(Ξ(a)) = Φ ((f (a)) , g(a)) = f (a)g(a) Also: die “algebraischen Operationen” sind “Kompositionen”. Definition 4.10. • Wenn f : A → B und f (A) = B dann ist f surjektiv. • Wenn f : A → B und die folgende Eigenschaft hat: f (x) 6= f (y)∀x 6= y ∈ A dann ist f injektiv. • Falls f surjektiv und injektiv ist, dann sagen wir, dass f bijektiv ist. Bemerkung 4.11. Die bijektiven Funktionen sind umkehrbar. Sei f : A → B bijektiv. ∀b ∃a : f (a) = b (surjektiv), a ist eindeutig (injektiv) (die Notation für die Eindeutigkeit ist ∃!a : f (a) = b). Dann g(b) = a ist eine “wohldefinierte Funktion”, g : B → A. Definition 4.12. g wird Umkehrfunktion genannt. f : A → B, g : B → A, f ◦ g : B → B, g ◦ f : A → A und f ◦ g(b) = b ∀b ∈ B g ◦ f (a) = a ∀a ∈ A . (15) Definition 4.13. Die “dumme Funktion” h : A → A mit h(a) = a ∀a ∈ A heisst Identitätsfunktion (Id). Deswegen, (15) ⇐⇒ f ◦ g = Id und g ◦ f = Id. 4.3 4.3.1 Zoo Exponentialfunktion a ∈ R, a > 0. Defintionsbereich Q (momentan!): Expa : Q → R Expa (n) = an (= 1 falls n = 0) 1 Expa (−n) = n a m √ m Expa = na n Expa ist die einzige Funktion Φ : Q → R mit den folgenden Eigenschaften: • Φ(1) = a • Φ(q + r) = Φ(q)Φ(r) ∀q, r ∈ Q Bemerkung 4.14. Später werden wir Expa auf R fortsetzen. 15 5 Folgen 4.3.2 Polynome f (x) = an xn + an−1 xn−1 + · · · + a1 x + a0 f : R(C) 3 x 7→ f (x) ∈ R(C) Produkt von Polynomen x 7→ f (x)g(x): f (x)g(x) = (an xn + · · · + a0 ) (bm xm + · · · + b0 ) = bm an xn+m + bn an−1 xn−1+m + · · · = bm an xn+m + (bm an−1 + bm−1 an ) xn+m−1 + · · · + a0 b0 = cm+n xm+n + · · · + c0 , wobei ck = X ai bj = k X ai bk−i i=0 i+j=k Definition 4.15. Der Grad von an xn + · · · + a0 ist n wenn an 6= 0 Satz 4.16. Sei g 6= 0 ein Polynom. Dann gibt es zu jedem Polynom f zwei Polynome q und r so dass g = qf + r grad r < grad f Beweis. http://de.wikipedia.org/wiki/Polynomdivision Bemerkung 4.17. Sei g = x − x0 . Sei f mit Grad ≥ 1, Satz 4.16 =⇒ f = gq + r = gq + c0 und Grad von r < 1. r ist eine Konstante r = c0 . Deswegen f (x) = q(x)(x − x0 ) + c0 f (x0 ) = q(x0 )0 + c0 = c0 Korollar 4.18. Falls f ein Polynom ist und f (x0 ) = 0, dann ∃q Polynom so dass f = q(x − x0 ) Das Polynom an xn + . . . + a0 mit an = . . . = 0 ist das Trivialpolynom. Korollar 4.19. Ein Polynom P hat höchstens grad f Nullstellen falls P ist nicht das Trivialpolynom. Korollar 4.20. Falls f (x) = 0 ∀x ∈ R, dann ist f das Trivialpolynom. Korollar 4.21. Falls f, g Polynome sind und f (x) = g(x) ∀x ∈ R dann sind die Koeffizienten von f und g gleich. Beweis. f − g ist ein Polynom mit (f − g)(x) = 0 ∀x. Definition 4.22. Seien f, g Polynome. Dann ist 5 f g eine rationale Funktion. Folgen Definition 5.1. Eine Folge komplexer (reeller) Zahlen ist eine Abbildung: f : N → C(bzw. R). Das heisst: ∀n ∈ N f (n) ∈ C (bzw. R) . Wir schreiben an für f (n) N.B.: N ist auch eine Folge: an = f (n) = n. Definition 5.2. Eine Folge (an ) heisst konvergent, falls ∃a ∈ C so dass: ∀ε > 0 ∃N ∈ N : |an − a| < ε ∀n ≥ N . 16 (16) 5 Folgen Beispiel 5.3. an = n1 ist eine konvergente Folge. Sei a = 0. Wählen wir ε > 0. Sei dann N ∈ N mit N > 1ε (diese Zahl existiert wegen des Axioms von Archimedes!). Für n ≥ N : 1 1 1 |an | = −0 = ≤ <ε n n N Bemerkung 5.4. Die Zahl a im Konvergenzkriterium ist eindeutig. Sie heisst der Limes der Folge (an ). Beweis. Seien a 6= a0 zwei relle Zahlen, die das Konvergenzkriterium (16) erfüllen. 0 | Sei ε := |a−a 2 ∃N : |an − a| < ε ∀n ≥ N ∃N 0 : |an − a0 | < ε ∀n ≥ N 0 Für n ≥ max {N, N 0 } |a0 − a| ≤ |a0 − an | + |a − an | < 2ε = |a0 − a| =⇒ |a0 − a| < |a0 − a| Widerspruch! Wenn eine Folge kovergiert und die Zahl a (16) erfüllt, wir schreiben a = lim (an ) n→+∞ oder an → a . Bemerkung 5.5. Sei α = A + 0, b0 b1 b2 . . . eine reelle Zahl, wobei A ∈ N und bi die Ziffern der Dezimaldarstellung von α − A sind. Für jede n ∈ N sei an := A + 0, b0 . . . bn ∈ Q. Die Folge (an ) konvergiert gegen α. In der Tat, sei ε eine beliebige positive reelle Zahl. Sei N s.d. 10N > 1ε . Für n ≥ N gilt |an − α| ≤ 10−N < ε. Definition 5.6. Sei (an ) eine Folge und A(n) eine “Folge von Aussagen über an ”. Wir sagen dass A(n) wahr für “fast alle” an ist, wenn ∃N so dass A(n) stimmt ∀n ≥ N . Eine alternative Formulierung von (16) ist also: |an − a| < ε für fast alle an Beispiel 5.7. Sei s ∈ Q s > 0. Sei an = n1s . Dann 1 =0 lim n→+∞ ns 1 Sei N ∈ N mit N > ε s (Axiom von Archimedes!). Dann |0 − an | = (NB: 1 s 1 <ε ns = falls n ≥ N ist wohldefiniert weil s 6= 0. Ausserdem 1 1 1 < ε ⇐⇒ ns > ⇐⇒ n > 1 s n ε εs Beispiel 5.8. a > 0 lim √ n n→+∞ weil s > 0.) a=1 Fall a > 1. Zu beweisen: ∀ε > 0 ∃N : √ n a − 1 < ε ∀n ≥ N ∈ N 17 5 Folgen Sei xn = √ n a − 1 > 0 und n ≥ 1 a = (1 + xn )n = 1 + nxn + n 2 n 3 xn + x + · · · + xnn . 2 3 n Deswegen a ≥ 1 + nxn xn ≤ Sei ε > 0. Wähle N ≥ √ n =⇒ a−1 für n a−1 ε a − 1 = xn ≤ Fall 0 < a < 1 Wir haben 5.13(iii), unten!): 1 a a−1 a−1 a−1 ≤ < a−1 = ε n N ε > 1 und nuzten die Rechenregeln (siehe Satz √ n a= q n 1 1 a → 1 1 =1 Fall a = 1 Trivial! Die Folge ist “konstant”: an = 1∀n. √ Beispiel 5.9. limn→+∞ n 2 = 1. Wie oben √ xn = n n − 1 n 2 n = (1 + xn )n = 1 + nxn + x + · · · + xnn 2 n Hier wir nuzte die stärkere Ungleichung: (n ≥ 2) n 2 n(n − 1) 2 n≥1+ x =1+ xn 2 n 2 r 2 2 2 2 xn ≤ =⇒ xn ≤ n n Sei ε > 0, wähle N so dass r N > ε−1 ( ⇐⇒ N > 2ε−2 ) 2 Dann, für n ≥ N , 0≥ √ n r n−1< 2 ≤ n r 2 < N s 2 2 ε2 =ε √ =⇒ | n n − 1| < ε √ n Übung 5.10. Sei k ∈ N. Dann limn nk = 1. Beispiel 5.11. Sei q ∈ C mit |q| < 1. Dann, lim q n = 0 n→+∞ In der Tat |q n − 0| = |q n | − |0| ≤ |q|n Sei nun ε > 0. Da √ n ε → 1 und |q| < 1, ∃N s.d. √ | n ε − 1| < 1 − |q| ∀n ≥ N Deswegen, für n ≥ N , √ n ε > 1 − (1 − |q|) = |q| =⇒ ε > |q|n . Übung 5.12. Sei k ∈ N und q ∈ C mit |q| < 1. Dann lim nk q n = 0 . n→∞ 18 5 Folgen 5.1 Rechenregeln Satz 5.13. Seien (an ) und (bn ) zwei konvergente Folgen, mit an → a und bn → b, dann: (ii) an + bn → a + b (i) an bn → ab (iii) an bn → a b falls b 6= 0 Beweis vom Satz 5.13(i). |(an + bn ) − (a − b)| = |(an − a) + (bn − b)| ≤ |an − a| + |bn − b| Sei ε > 0: ∃N : ∃N 0 : ε 2 ε |an − a| < 2 |an − a| < (17) ∀n ≥ N (18) ∀n ≥ N 0 (19) Für n ≥ max{N, N 0 }: |(an + bn ) − (a + b)| (17),(18)&(19) < ε ε + = ε. 2 2 Definition 5.14. Eine Folge heisst beschränkt, falls ∃M > 0 : |an | ≤ M ∀N . (20) Lemma 5.15. Eine konvergente Folge ist immer beschränkt. Beweis. Sei an → a. Dann ∃N s.d. |an −a| < 1 ∀n ≥ N . Deswegen, |an | < |a|+1 ∀n ≥ N . Wählen wir M := max{|a0 |, . . . , |aN −1 |, |a| + 1} . Dann |an | ≤ M ∀n. Beweis vom Satz 5.13(ii)&(iii). (ii) Wegen des Lemmas 5.15 ∃M > 0 die (20) erfüllt |an bn − ab| = |an bn − an b + an b − ab| = |an (bn − b) + b(an − a)| ≤ |an ||bn − b| + |b||an − a| ≤ M |bn − b| + |b||an − a| (21) Wähle N ∈N: N ∈ N0 : ε ∀n ≥ N 2M ε |an − a| ≤ ∀n ≥ N 0 2|b| |bn − b| ≤ Für n ≥ max{N, N 0 } gilt |an bn − ab| (21),(22)&(22) < ε ε + =ε 2 2 (iii) Folgt aus (ii) und 1 1 → bn b falls bn → b 6= 0 (22) Um (22) zu beweisen: 1 − 1 = | b − bn | = 1 |b − bn | bn b bn b |b| |bn | 19 (23) 5 Folgen Da |b| > 0 und bn → b, ∃N : |bn − b| < |b| 2 ∀n ≥ N Deswegen, für n ≥ N , |bn | ≥ |b| − |b − bn | ≥ und |b| >0 2 (24) 1 − 1 ≤ 2 |bn − b| . bn b |b|2 Sei ε > 0 und wähle N 0 s.d. |bn −b| < ε|b|2 /2 forall n ≥ N . Für n ≥ max{N, N 0 } schliessen wir 1 − 1 < ε . bn b Bemerkung 5.16. Falls an → a und λ ∈ C, folgt aus dem Satz 5.13(ii) dass λan → λa: wir setzen eifach bn := λ ∀n! Satz 5.17. Sei an → a (an ∈ C), dann: • |an | → |a| • a¯n → ā • Re an → Re a • Im an → Im a Beweis. Die Behauptungen sind triviale Konsequenzen des Konvergenzkriteriums (16) und der folgenden Ungleichungen: • ||an | − |a|| ≤ |an − a| • |a¯n − ā| = |an − a| • |Im an − Im a| ≤ |an − a| • |Re an − Re a| ≤ |an − a| Satz 5.18. Seien an → a, bn → b mit an ≤ bn . Dann a ≥ b. Beweis. Sei ε > 0. Dann ∃N ∈ N : |an − a| < ε ∀n ≥ N ∃N 0 ∈ N : |an − a| < ε ∀n ≥ N 0 Für n = max{N, N 0 }: b − a ≥ bn − |bn − b| − an − |a − an | ≥ (bn − an ) + 2ε ≥ 2ε . Da ε eine beliebige positive Zahl ist, gilt b − a ≥ 0. Satz 5.19. Seien an → a, bn → a. Sei (cn ) mit an ≥ cn ≥ bn . Dann ist (cn ) eine konvergente Folge mit cn → a Beweis. Sei ε > 0 und wähle N ∈N: 0 N ∈N: |an − a| < ε ∀n ≥ N |an − a| < ε ∀n ≥ N 0 Für n ≥ max{N, N 0 }: a − ε < a − |a − an | ≤ an = an ≤ cn ≤ bn ≤ a + |bn − a| < a + ε . =⇒ |cn − a| < ε . 20 5 Folgen Beispiel 5.20. Sei s ≥ 0 und wähle k ∈ N mit k ≤ s ≤ k + 1. Sei q ∈ C mit |q| < 1. Dann √ √ √ n n nk ≤ n ns ≤ nk+1 0 ≤ ns |q|n ≤ nk |q|n . Deswegen 5.2 √ n ns → 1 und nk q n → 0. Monotone Folgen Definition 5.21. Eine Folge (an ) reeller Zahlen heisst fallend (bzw. wachsend) falls an ≤ an−1 ∀n ∈ N (bzw. an ≥ an−1 ∀n ∈ N). Monoton bedeuted fallend oder wachsend. Satz 5.22. Eine monotone beschränkte Folge konvergiert. Beweis. OBdA können wir (an ) wachsend annehmen. (Sei an fallend, dann −an ist wachsend. Falls −an → L, dann an = (−1)(−an ) → lim(−1) lim(−an ) = −L) . Sei s = sup {an : n ∈ N} {z } | =:M Behauptung: s = lim an n→∞ Da an ≥ a, wir sollen beweisen dass: ∀ε > 0 ∃N : an > s − ε ∀n ≥ N . (25) Sei ε > 0. Dann ∃aj ∈ M : aj > s − ε (sonst wäre s − ε eine obere Schranke kleinere als s). Die Folge wächst =⇒ an ≥ aj > s − ε ∀n ≥ j. Beispiel 5.23. Die Beschräkheit impliziert nicht die Konvergenz: an = (−1)n 5.3 Der Satz von Bolzano-Weierstrass Definition 5.24. Sei (an ) eine Folge. Eine Teilfolge von (an ) ist eine neue Folge bk := ank , wobei nk ∈ N mit nk > nk−1 (zum Beispiel: a0 a1 a2 a3 a4 a5 a6 |{z} |{z} |{z} b0 b1 . . .) . b2 Satz 5.25 (Bolzano-Weierstrass). Jede berschränkte Folge (an ) (⊂ R, C) besitzt eine konvergente Teilfolge. Beweis. Schritt 1: Sei (an ) eine Folge reeller Zahlen. Sei I und M ∈ R so dass I ≤ an ≤ M ∀n ∈ N. OBdA I < M , sonst ist (an ) eine konstante Folge. Wir definieren J0 = [I, M ] und teilen es in zwei Intervallen: J0 = [I, A0 ] ∪ [A0 , M ] A0 = M +I M −I +I = 2 2 mindestens ein Intervall enthält unendlich viele an . Nennen wir dieses Intervall J1 . Rekursiv definieren wir eine Folge von Intervallen Jk s.d. • Jk+1 ⊂ Jk ; 21 5 Folgen • Die Länge `k von Jk ist (M − I)2−k ; • jedes Intervall entält unendlich viele gliedern der Folge (an ). Diese Folge ist eine Intervallschachtelung und deswegen ∃!L mit L ∈ Ji ∀i. Wir wählen n0 ∈ N s.d. an0 ∈ J0 . Da J1 entält unendlich viele an , ∃n1 > n0 mit an1 ∈ J1 . Rekursiv definieren wir eine Folge natürlicher Zahlen (nk ) mit nk+1 > nk und ank ∈ Jk . Die Folge bk := ank ist eine Teilfoge von (an ). Ausserdem |bk − L| ≤ `k = 2−k (M − I) , weil bk , s ∈ Jk . Deswegen bk → L. ∃a ∈ Jk ∀k ∈ N ∃n0 : an0 ∈ J0 J1 enthält unendlich viele an =⇒ ∃n1 > n0 mit an1 ∈ J. Schritt 2. Sei nun ak = ξk + iζk eine beschränkte komplexe Folge. (ξk ) ist eine beschränkte Folge reeller Zahlen. Aus dem Schritt 1 ∃(ξkj ) Teilfolge die konvergiert. (ζkj ) ist auch eine beschränkte Folge reeller Zahlen und deswegen besitzt eine konvergente Teilfolge (ζkjn ). Dann bn := akjn = ξkjn + iζkjn ist eine konvergente Teilfolge! Definition 5.26. Falls (ak ) eine Folge ist und a der Limes einer Teilfolge, dann heisst a Häufungswert. Lemma 5.27. Sei (ak ) eine Folge. a Häufungswert ⇐⇒ ∀ offenes Invervall mit a ∈ I ∃ unendlich viele ak ∈ I. Beweis. Trivial Definition 5.28. Wenn die Menge der Häufungswerte von (an ) (relle Folge) ein Supremum (bzw. ein Infimum) besitzen, heisst dieses Supremum “Limes Superior” (bzw. “Limes Inferior”) und wir nuzten die Notation lim sup an (bzw. lim inf an ). n→∞ n→∞ Wenn die Folge keine obere (bzw. untere) Schranke besitzt, wir schreiben lim sup an = ∞ (bzw. lim inf an = −∞.) n→∞ n→∞ Bemerkung 5.29. Eine konvergente Folge hat genau einen Häufungswert, d.h. der Limes der Folge! Lemma 5.30. Der Limes Superior (bzw. Inferior) ist das Maximum (bzw. Minimum) der Häufungswerte, falls er enldich ist. Ausserdem eine reelle Folge konvergiert genau dann, wenn der Limes superior und der Limes inferior gleich und endlich sind. Beweis. Teil 1 Sei lim supn an = S ∈ R. Zu beweisen ist dass S ein Häufungswert ist. Sei I =]a, b[ ein Intervall mit S ∈ I. Wir behaupten dass I unendlich viele Gliedern von (an ) besitzt: es folgt dann aus Lemma 5.27 dass S ein Häufungswert ist. Da S das Supremum der Häufungswerte ist, ∃ ein Häufungswert h > a. Aber dann h ∈ I, und aus Lemma 5.27 folgt dass I unendlich viele an enthält. Teil 2. Sei (an ) eine Folge mit lim inf an = lim sup an = L ∈ R . n→∞ n→∞ Es folgt dass (an ) eine beschränkte Folge ist. Falls an nicht nach L konvergiert, dann ∃ε > 0 und unendlich viele an mit |an −L| > ε, d.h. eine Teilfolge bk = ank von (an ) mit |bk − L| > ε. Aus dem Satz von Bolzano-Weiestrass schliessen wir die Existenz einer konvergenten Teilfoge von (bn ) mit Limes ` 6= L. ` ist ein Häufungswert von (an ). Das ist ein Widerspruch weil, nach der Definition von Liminf und Limsup, L ≤ ` ≤ L. 22 5 Folgen 5.4 Konvergenzkriterium von Cauchy Satz 5.31. Eine Folge komplexer Zahlen konvergiert genau dann, wenn: ∀ε > 0 ∃N : |an − am | < ε ∀n, m ≥ N . (26) Beweis. Konvergenz =⇒ Cauchy. Sei (an ) s.d. an → a. Sei ε > 0. Dann ∃N : |an − a| < ε ∀n ≥ N 2 Deswegen: |an − am | = |an − a + a − am | ≤ |an − a| + |a − an | < ε ε + ∀n, m ≥ N 2 2 Cauchy =⇒ Konvergenz. Sei (an ) eine “Cauchy-Folge” (d.h. (26) gilt). Bemerkung 5.32. Falls a ein Häufungswert ist, dann konvergiert die Ganze Folge nach a! In der Tat, sei ank eine Teilfoge die nach a konvergiert. ∀ε > 0 ∃K : k>K |ank − a| < =⇒ ε 2 (27) ε ∀m, n > N . 2 Sei nun n ≥ N . Sicher ∃nk > N mit k ≥ K. Deswegen, für n > N , ∃N : |ank − a| < |a − an | = |a − ank + ank − an | ≤ |a − ank | + |ank − an | (27)&(28) < (28) ε. Das beweist die Bemerkung 5.32. Deswegen, um den Satz zu beweisen, es genügt die Existenz eines Häufungspunkts zu zeigen. Nach Bolzano-Weiestrass, die beschränktheit der Folge impliziert die Existenz eines Häufungspunts. Wähle nun ε = 1. ∃N̄ : |an − am | < 1 ∀n, m ≥ N̄ . Deswegen |an | ≤ |an − aN̄ | + |aN̄ | < |aN̄ | + 1 ∀n ≥ N̄ Sei nun M := max |ak | : k < N̄ ∪ {|aN̄ + 1|} Dann |an | ≤ M und die Folge ist beschränkt. 5.5 Uneigentliche Konvergenz Definition 5.33. Sei an eine Folge von reellen Zahlen. Dann sagen wir: • an → +∞ (oder limn→+∞ an = +∞) falls ∀M ∈ R ∃N ∈ R : an ≥ M ∀n ≥ N (d.h. an ≥ M für fast alle n ∈ R) • an → −∞ (limn→−∞ an = −∞) falls ∀M ∈ R, an ≤ M für fast alle n. Übung 5.34. lim supn→+∞ an = +∞ (bzw. lim inf n an = −∞) ⇐⇒ ∃ Teilfolge {ank }k∈N mit ank k→+∞ → +∞ (bzw. ank k→+∞ → −∞). Bemerkung 5.35. Sei an eine wachsende (bzw. fallende) Folge. Dann: • entweder konvergiert an • oder limn→+∞ an = +∞ (bzw. limn→+∞ an = −∞) 23 6 Reihen 6 Reihen 6.1 Konvergenz der Reihen Definition 6.1. Sei (an )n∈N eine Folge komplexer Zahlen. Wir setzen: s0 = a0 s1 = a0 + a1 s2 = a0 + a1 + a2 ··· sk := k X ai i=0 Definition 6.2. Die (sk )k∈N ist die Folge der Partialsummen. Die Reihe ist die Folge (sk )k∈N . Falls der Limes von sk existiert, dann limn→+∞ sn ist der Wert der Reihe. Und wir sagen dass (sk ) eine konvergente Reihe ist. P∞ Notation 6.3. i=0 ai bezeichnet die Reihe und den Wert der Reihe (wenn sie konvergiert). Wenn die Partialsumme P eine Folge reeller Zahlen ist und sn → +∞ (bzw. −∞), dann wir schreiben an = +∞ (bzw. −∞). P∞ Beispiel 6.4. Sei z eine komplexe Zahl. Dann ist die Reihe n=0 z n die geometrische Reihe (für z = 0 gilt die Konvention dass z 0 = 0). Für |z| < 1 die geometrische Reihe konvergiert. In der Tat: (1 − z)(1 + z + · · · z n ) = 1 − z n+1 1 − z n+1 1−z 1 1 − zn 1 1 n = lim lim − lim z = n→+∞ 1 − z n→+∞ 1 − z 1 − z n→+∞ 1−z | {z } sn = =0 weil |z|<1 Für |z| ≥ 1 die geometrische Reihe divergiert. In der Tat: • Falls z = 1, dann sn = 1 + 1 + · · · + 1 = n + 1; • Falls z 6= 1 gilt die Formel (1 − z n+1 ) 1−z und sn konvergier genau dann, wenn z n konvergiert. Aber z n konvergiert nicht, weil: sn = – Für z > 1 wir haben |z|n → ∞; – Für |z| = 1(z 6= 1) wir haben z = cos θ+i sin θ =⇒ z n = cos(nθ)+i sin(nθ) (siehe Übung 4 Blatt 3) mit θ ∈]0, 2π[ und es ist einfach zu sehen dass z n+1 nicht konvergiert. P∞ Beispiel 6.5. Die bekannte armonische Reihe: n=1 n1 . In diesem Fall sn+1 ≥ sn : sn ist eine wachsende Folge So, entweder sn konvergiert nach eine reele Zahl oder limn sn = +∞. Wir betrachten die Teilfoge s2n −1 : s2n −1 = 1+ ≥ 1+ 1 1 + + |2 {z 3} ··· |{z} 2k−1 ≤j≤2k −1 n−1 1 1 + =1+ 2 2 2 24 ··· |{z} 2n−1 ≤j≤2n −1 1 1 1 + ··· + k + ··· + k +··· 4 {z 2 } |2 2k−1 ≥ 1+ +··· + 6 Reihen Deswegen limn s2n −1 = +∞ und die ursprüngliche Folge (sn ) konvergiert nicht! X1 =⇒ lim sn = +∞ d.h. = +∞ n→+∞ n 6.2 Konvergenzkriterien für reelle Reihen Bemerkung 6.6. (gilt auch für komplexe Reihen!) ∞ X an konvergiert =⇒ an → 0 n=0 Beweis. P Da anP= sn+1 − sn und limn sn = limn sn+1 = an → an − an = 0. P an , wir schliessen Übung 6.7. Beweise ganz schnell dass die geometrische Reihe nicht konvergiert wenn |z| ≥ 1. P∞ Bemerkung 6.8. an → 0 impliziert NIHCT dass n=0 an konvergiert! Bsp: an = n1 P Satz 6.9. Sei an eine Reihe mit reellen Zahlen an ≥ 0. Dann: • entweder ist die Folge (sn ) beschränkt und die Reihe konvergiert P∞ • oder n=0 sn = +∞ Beweis. Trivial: (sn ) ist eine wachsende Folge. Satz 6.10 (Konvergenzkriterium von Leibnitz). Sei (an ) eine fallende Nullfolge. P∞ Dann konvergiert n=0 (−1)n an (eine alternierende Reihe). Beweis. Betrachten wir ≤0 sk − sk−2 = (−1) k−1 z }| { ak−1 + (−1) ak = (−1) (ak − ak−1 ) k k • sk − sk−2 ≥ 0 falls k ungerade ist • sk − sk−2 ≤ 0 falls k gerade ist Für k ungerade: s1 ≤ s3 ≤ s5 ≤ · · · sk = sk+1 + (−1)k+1 an+1 ≤ sk+1 |{z} |{z} | {z } | {z } gerade ≥0 ungerade ≥0 Für k gerade: s0 ≥ s2 ≥ s4 ≤ · · · (Beweis gleich wie für ungerade) Deswegen: • (s2k+1 ) ist eine wachsende Folge mit s2k+1 ≤ s0 , =⇒ (s2k+1 ) ist eine beschränkte wachsende Folge. • (s2k ) ist eine fallende Folge mit s2k ≥ s1 , =⇒ (s2k ) ist eine monotone fallende Folge. Deswegen die beid Folgen konvergieren. Seien lim s2k = Sg lim s2k+1 = Su . k→+∞ k→∞ Dann Su − Sg = lim s2n+1 − lim s2n = lim (s2n+1 − s2n ) lim a2n+1 = 0 n→+∞ n→+∞ =⇒ Su = Sg =⇒ Korollar 6.11. 1− n→+∞ lim sn = Su (= Sg ) n→+∞ 1 1 1 + − + ··· 2 3 4 konvergiert 25 n→+∞ 6 Reihen 6.3 Konvergenzkriterien für allgemeine (komplexe) Reihen Bemerkung 6.12 (Cauchyches Kriterium). giert ⇐⇒ (sn ) ist eine Cauchyfolge. ⇐⇒ P an konvergiert ⇐⇒ (sn ) konver- ∀ε > 0 ∃N : |an + an−1 + . . . + am+1 | = |sn − sm | < ε ∀n ≥ m ≥ N . (29) P Korollar 6.13 (Majorantenkriterium). Sei an eine Reihe komplexer Zahlen P und Pbn eine konvergente Reihe nichtnegativer reeller Zahlen. Falls |an | ≤ bn P P (d.h. bn majorisiert an ), dann ist an konvergent. P Beweis.PSeien sn die Partialsummen von an und σn die Partialsummen von bn . Da bn konvergiert, gilt (29): ∀ε > 0 ∃N : bn + . . . + bm+1 = |σn − σm | < ε ∀n ≥ m ≥ N Deswegen, für n ≥ m ≥ N : |sn − sm | ≤ |an | + . . . + |am+1 | ≤ bn + . . . bm+1 ≤ ε. P Aus dem Cauchychen Kriterium folgt dass an konvergiert. 6.4 Wurzel- und Quotientenkriterium Definition 6.14. Eine Reihe eine konvergente Reihe ist. P∞ n=0 an heisst absolut konvergent, falls P∞ a=0 |an | Bemerkung 6.15. Majorantenkriterium ⇐⇒ die absolute Konvergent impliziert die Konvergent. P Satz 6.16. (Quotientenkriterium) Sei an eine Reihe mit an 6= 0 für fast alle | = q existiert. Falls n und s.d. limn→+∞ | aan+1 n • q < 1 konvergiert die Reihe absolut. • q > 1 divergiert die Reihe. • q = 1 unentschieden. Beweis. • q > 1. 1 < q̃ = n ≥ N . Deswegen: 1 2 + q 2 < q.Dann ∃N so dass |an+1 | ≥ q̃|an | falls |an | ≥ q̃|an−1 | ≥ q̃ 2 |an−2 | · · · > q̃ n−N |aN | OBdA |aN | = 6 0 =⇒ lim |an | = +∞ =⇒ n→+∞ X an divergiert • q < 1. 1 < q̃ = 21 + 2q < q. ∃N so dass |an | ≤ q̃ n−N |aN | (das gleiche Argument wie vorher). bn = q̃ n−N |aN | = C q̃ n bn = |an | P bn majorisiert P falls n ≥ N falls n < N an X Maj. bn konv =⇒ X |an | konvergiert p P Satz 6.17. (Wurzelkriterium) Sei an eine Reihe und L := lim supn→+∞ n |an | p (“L = +∞” falls n |an | unbeschränkt ist!) Dann: • L < 1 konvergiert die Reihe absolut 26 6 Reihen • L > 1 divergiert die Reihe • L = 1 unentschieden • L<1 Beweis. L < L̃ = p L 1 + < 1 =⇒ ∃N : n |an | ≤ L̃ ∀n ≥ N . 2 2 Dann ||an || ≤ L̃n für n ≥ N und wir haben (wie oben) die absolute Konvergenz. • L>1 ∃kn : p kn |akn | → L L 1 + <L 2 2 p kn |akn | ≥ L̃ ∃N : kn ≥ N =⇒ 1 < L̃ = =⇒ |akn | ≥ L̃kn → +∞ für n → +∞ X =⇒ an 6→ 0 =⇒ an divergiert Beispiel 6.18. Sei s ≥ 1 P 1 ns • s = 1 harmonische Reihe: divergiert. • s > 1 konvergiert! (eine bekannte Erfolg von Euler ist die Formel π2 6 ). X 1 ∼ ck π 2k |{z} n2k P 1 n2 = ∈Q Bermerken Sie dass (an = 1 ns ): an+1 = 1∀s ≥ 1 an √ lim n an = 1∀s ≥ 1 lim n→+∞ n→+∞ Deswegen sind die Fälle q = 1, bzw. L = 1, für das Quotientekriterium, bzw. Wurzelrkiterum, unentschieden. Wir habe schon gesehen dass die harmonische Reihe divergiert. Wir beweisen P die Konvergenz von an im Fall s > 1. Betrachten wir die Reihe: 1 1 1 1 1 1 1 + s + s + s + · · · + s + · · · + ks + · · · + ks s 1 2 2 4 4 2 2 | {z } | {z } | {z } n 2 mal 4 mal 2k mal. P P und die entsprechenden Partialsummen sn . bn majorisiert an . Da bn ≥ 0, es bleibt die beschränktheit von sn zu zeigen. In der Tat X bn = s2k −1 1 2 2k−1 + s + · · · + (k−1)s s 1 2 2 j ∞ ∞ X X 1 1 1 ≤ = < ∞. = s−1 j(s−1) 2 2 1 − 2−(s−1) j=0 j=0 = Die Konvergenz von P an folgt aus dem Majorantenkriterium. 27 6 Reihen 6.5 Das Cauchyprodukt Definition 6.19. P P an und bn . Das CP ist die Reihe cn = a0 bn + a1 bn−1 + · · · + an b0 = n X P X aj bn−j = j=0 cn aj bk j+k=n P P Satz 6.20. Falls an und bn absolut konvergieren, dann konvergiert das CP absolut. Ausserdem X X X cn = an bn NB: c 0 = a 0 b0 c 1 = a 0 b1 + a 1 b0 c1 = a0 b2 + a1 b1 + a2 b0 ... Beweis. sk = k X aj , σk = j=0 k X bi i=0 sk σk = n n X X bi aj j=0 i=0 X cn = ai bj , βk = k X ck n=0 j+i=n k X X ai bj = n=0 i+j=n X ai bj i+j≤n Unseres Ziel ist die Differenz βk − σk sk abzuschätzen. P P∞Zuerst wir zeigen die Absolte Konvergenz: |ck | < +∞. Wir setzten Bn = k=0 |ck | und zeigen dass (Bn ) eine beschränkte Folge ist. N N X X X X | ai bj | ≤ |ai ||bj | Bn = k=0 i+j≥k = X k=0 i+j=k |ai ||bj | ≤ = i00 |ai ||bj | i=0 j=0 i+j≤N N X N X N X ! N X X X |ai | |bj | ≤ |ai | |bj | = LM j=0 P P P Wobei L = |ai | und M = |bj |. =⇒ (Bn ) konvergiert =⇒ cn konvergiert absolut. Non wir beweisen dass βn − σn sn → 0. X N N X X N ck |βn − σn sn | = ai bj − i=0 j=0 k=0 X X N = ai bj − ai bj i=0,j=0 i+j≤N 28 6 Reihen X X |ai ||bj | ai bj ≤ = i+j>N,i,j≤N i+j>N,i,j≤N X X X |ai ||bj | = |ai ||bj | − |ai ||bj | ≤ i,j≤N N i≤N,j≤N,i≥ N 2 ,j≥ 2 i,j< N 2 N N ! N b2c b2c N X X X X |ai | |bj | − |ai | |bj | = i=0 j=0 i=0 | j=0 {z } ΓN Aber: lim ΓN = N →+∞ ∞ ∞ ∞ ∞ X X X X |ai | |bj | − |ai | |bj | i=0 j=0 i=0 j=0 Deswegen, lim sup |βn − sn σn | ≤ lim Γn = 0 n→∞ n→∞ und X cn = lim βn = lim sn σn = n n 6.6 X n an n X bn . n Potenzreihen Definition 6.21. Die Potenzreihen: P an z n , z ∈ C. Lemma 6.22. an z0n eine konvergente Reihe ist, dann ∀z mit |z| < |z0 | P Falls n konvergiert an z absolut. Beweis. an z0n ist eine Nullfolge. =⇒ ∃C : |an z0n | ≤ C |an z n | ≤ |an z0n | ∀n |z|n ≤ Cαn |z0 |n | {z } α |z| < |z0 | =⇒ α < 1 =⇒ P Cαn eine konvergente Majorante. Sei (an ) eine Folge von Koeffizienten an ∈ C. Sei n o X K := z ∈ C : an z n konvergiert Die Werte der Potenzreihen geben eine wohldefinierte Funktion: K 3 z 7→ f (z) = ∞ X an z n . n=0 Satz 6.23. Seien f (z) = X an z n , g(z) = X bn z n mit Definitionsbreiche K and K 0 . Auf K ∩ K 0 : X f (z) + g(z) = (an + bn )z n X cn z n | {z } f (z)g(z) = falls z absolute Konvergenz garantiert wobei P cn das Cauchy Produkt von P n 29 an und P bn ist. 7 Stetige Funktionen und Grenzwerte Beweis. Sei P P γn das CP von an z n und bn z n . X X an z n bn z n = sumγn = X X ai z i ∞ X X bj z j = ai bj z i+j n=0 i+j=n i+j=n = ∞ X n=0 X zn ai bj i+j=n | {z =cn } Als ein einfaches Korollar des Wurzelkriteriums erhalten wir: p P Satz 6.24 (Cauchy-Hadamard). an z n . Sei L := lim sup n |an |. Dann P • |z| < L1 =⇒ an z n konvergiert absolut P • |z| > L1 =⇒ an z n divergiert • |z| = 1 unentschieden 7 Stetige Funktionen und Grenzwerte 7.1 Stetigkeit In diesem Kapitel D ist immer eine Teilmenge von R oder von C. D ⊂ R. Definition 7.1. Seien f : D 7→ R(C) und x0 ∈ D. f heisst stetig in x0 falls ∀ε > 0, ∃δ > 0 mit |x − x0 | < δ, x ∈ D =⇒ |f (x) − f (x0 )| < ε (30) Deswegen, an einer “Unstetigkeitstelle” x0 von f gibt es einer ε > 0 die die folgende Bedingung erfüllt: ∀δ > 0 ∃x ∈ ]x0 − δ, x0 + δ[ mit |f (x) − f (x0 )| ≥ ε Beispiel 7.2. Die Polynome sind stetige Funktionen, weil Summe und Produkte stetiger Funktionen sind auch stetig (siehe Satz 7.10). • Die Bedingung (30) ist trivial für die Funktion f = const Bemerkung 7.3. • Die Bedingung (30) ist trivial für die Funktion f (x) = x |x − x0 | < δ = ε =⇒ |f (x) − f (x0 )| = |x − x0 | < ε Definition 7.4. Eine Funktion f : D → R(C) heisst Lipschitz(-stetig) falls ∃L ≥ 0 mit |f (x) − f (y)| ≤ L|x − y|, ∀x, y ∈ D (31) (31) =⇒ (30): wähle δ = ε L Korollar 7.5. g(x) := |x| ist stetig. |g(x) − g(y)| = ||x| − |y|| ≤ |x − y| d.h. (31) mit L = 1 Beispiel 7.6. f g ist stetig falls f ,g stetig und g(x) 6= 0 ∀x ∈ D (siehe Satz 7.10). =⇒ Rationale Funktionen P (x) Q(x) sind stetig auf d = C \ {x : Q(x) = 0} 30 7 Stetige Funktionen und Grenzwerte Beispiel 7.7. f (x) = xk , k ∈ N ist ein Polynom =⇒ f ist stetig. Sei g(x) := √ 1 x k = k x, k ∈ N \ {0} ( g(x) ist die einzige relle Zahl y ∈ R mit y ≥ 0 und y k = x ). x0 ∈ R, x0 ≥ 0. Wir behaupten dass f stetig in x0 ist. In der Tat: p √ √ | k x − k x0 | ≤ k |x − x0 | |{z} |{z} y y0 ⇐⇒ |y − y0 |k ≤ |y k − y0k | oBdA y ≥ y0 k (y − y0 ) ≤ y k − y0 k |{z} |{z} | {z } c a k k b k ⇐⇒ a + b ≤ c = (a + b)k ≥0 z }| { k k−1 k k k k a + b ≤ (a + b) = a + a b + · · · +bk 1 Sei nun ε eine gegebene positive Zahl und wähle δ = εk . √ p √ √ k |x − x0 |, x ≥ 0 =⇒ | k x − k x0 | ≤ k |x − x0 | < εk = ε Beispiel 7.8. Sei a > 0 und f (x) = ax ∀x ∈ Q f : Q → R ist stetig! Das wird später bewiesen, wenn wir die Exponentialfunktion auf der ganzen komplexen Ebene definieren. Satz 7.9. Sei f : D → R(C). Sei x0 ∈ D. Diese zwei Aussagen sind equivalent: • f ist stetig an der Stelle x0 . • ∀(xn ) ⊂ D mit xn → x0 haben wir f (xn ) → f (x0 ) Beweis. Sei ε > 0. f stetig in x0 =⇒ ∃δ > 0 mit |f (x) − f (x0 )| < ε falls |x − x0 | < δ. xn → x0 =⇒ ∃N : |xn − x0 | < δ ∀n ≥ N =⇒ |f (xn ) − f (x0 )| < ε Andere Richtung: Nehmen wir an dass f nicht stetig ist. =⇒ ∃ε > 0 : ∀δ > 0 ∃x : |x − x0 | < δ und |f (x) − f (x0 )| ≥ ε Sei n ∈ N \ {0}. Wir setzen δ = n1 und wähle xn mit |xn − x0 | < |f (xn ) − f (x0 )| ≥ ε. Dann xn → x0 und f (xn ) 6→ f (x0 ). 7.2 1 n und Rechenregeln für stetige Funktionen Satz 7.10. Seien f, g : D → R(C) zwei stetige Funktionen in x0 . Dann: • f + g, f g sind stetig in x0 • f g ist stetig in x0 falls f (x0 ) 6= 0. Beweis. Sei x0 ∈ D, (xn ) ⊂ D xn → x0 (für (xn ), x0 ⊂ D \ {x : g(x) = 0}) f g g(xn ) 6= 0, g(x0 ) 6= 0 weil f (xn ) + g(xn ) → f (x0 ) + g(x0 ) f (xn )g(xn ) → f (x0 )g(x0 ) f (xn ) → g(xn ) f (x0 ) g(x0 ) 31 7 Stetige Funktionen und Grenzwerte Satz 7.11. f : D → A, g : A → B. f stetig x0 und g stetig auf f (x0 ) = y0 =⇒ g ◦ f : D → B stetig auf x0 . Beweis. x0 , (xn ) ⊂ D mit xn → x0 =⇒ f (xn ) → f (x0 ) (yn ), y0 ∈ A =⇒ | {z } | {z } yn y0 • g(yn ) → g(y0 ) • g(f (xn )) → g(f (x0 )) =⇒ g ◦ f (xn ) → g ◦ f (x0 ) =⇒ Stetigkeit von g ◦ f Definition 7.12. Eine Funktion f : D → R(C) heisst stetig falls f stetig an jeder Stelle x0 ∈ D ist. Satz 7.13. Sei f : [a, b] → R(C) injektiv. Sei B := f ([a, b]) (= {z : ∃x ∈ [a, b] mit f (x) = z}) Bemerkung 7.14. f : [a, b] → B ist bijektiv und deswegen umkehrbar. Sei f −1 : B → [a, b] die Umkehrfunktion. Dann ist f −1 B → [a, b] stetig, falls f stetig ist. Beweis. Sei x0 ∈ B, (xn ) mit (xn ) ⊂ B und xn → x0 . Die Folge ? f −1 (xn ) → f −1 (x0 ) | {z } | {z } =yn =y0 (yn ) ⊂ [a, b], y0 ∈ [a, b]. Falls yn 6→ y0 , dann: ∃ε > 0 : ∀N ∈ N ∃ |{z} n ≥ |{z} N : |yn − y0 | ≥ ε nk k nk ≥ nk−1 =⇒ Teilfolge (ynk ) : |ynk − y0 | ≥ ε ∀k ∈ N Bolzano-Weiterstrass =⇒ ∃ Teilefolge ynkj → ȳ =⇒ ȳ 6= y0 f (ynkj ) = xnkj Die Stetigkeit von f implies f (ynkj ) → f (ȳ). Und da xnkj → x0 sowie xnkj = f (ynkj , heisst dass das f (ȳ) = x0 . Aber f (y0 ) = x0 und deswegen f (ȳ) = f (y0 ), mit ȳ 6= y0 . Widerspruch mit der Injektivität von f . Deswegen f −1 (xn ) = yn → y0 = f −1 (x0 ) =⇒ f −1 ist stetig. 1 Bemerkung 7.15. Aus diesem Satz schliessen Sie die Stetigkeit von x 7→ x k von der Stetigkeit x 7→ xk . Bemerkung 7.16. Für Satz 1 genügt die Stetigkeit der beiden Funktionen ander der Stelle x0 . Für Satz 2 ähnlich. Für Satz 3 ist die Stetigkeit auf dem ganzen D wichtig. 7.3 Zwischenwertsatz Satz 7.17. Eine stetige Abbildung f : [a, b] → R nimmt jeden Wert γ zwischen f (a) und f (b) an. Beweis. oBdA f (a) ≤ f (b) und f (a) ≤ γ ≤ f (b) I0 = [a, b] = [a0 , b0 ] a+b a+b a, , ,b 2 2 a+b a+b f ≥ γ =⇒ I1 = a, = [a1 , b1 ] 2 2 32 7 Stetige Funktionen und Grenzwerte f a+b 2 a+b < γ =⇒ I1 = , b = [a1 , b1 ] 2 Rekursiv Ik = [ak , bk ] mit f (ak ) ≤ γ ≤ f (bk ), Ik+1 = [ak+1 , bk+1 ] ( k f ak +b ≥γ ak , ak +bk 2 Ik+1 = ak +bk 2 , b sonst k 2 |Ik | = 2−k (b − a) k→+∞ → 0 Intervallschachtelung =⇒ ∃!x0 mit x0 ∈ Ik ∀k. bk ↓ x0 =⇒ f (x0 ) = lim f (bk ) ≥ γ k→+∞ ak ↑ x0 =⇒ f (x0 ) = lim f (ak ) ≤ γ k→+∞ =⇒ f (x0 ) = γ Korollar 7.18. Fixpunktsatz: Sei f : [a, b] → [a, b] eine stetige Abbildung. Dann besitzt f einen Fixpunkt, d.h. ∃x0 ∈ [a, b] : f (x0 ) = x0 Beweis. g(x) := f (x) − x g(a) = f (a) − a ≥ 0 g(b) = f (b) − b ≤ 0 Mithilfe des oberen Satzes =⇒ ∃x0 mit g(x0 ) = 0 ⇐⇒ f (x0 ) − x0 = 0 ⇐⇒ f (x0 ) = x0 7.4 Maxima und Minima Satz 7.19. Sei f : [a, b] → R stetig. Dann ∃xM , xm ∈ [a, b] mit f (xm ) ≥ f (x) ≥ f (xM ) ∀x ∈ [a, b] Beweis. oBdA suche ich die Maximumstelle. Sei S := sup {f (x) : x ∈ [a, b]} (= +∞ falls {f (x) : x ∈ [a, b]} keine obere Schranke besitzt) Falls S ∈ R, sei Sn = S − n1 . Falls S = +∞, sei S = n. In beiden Fälle =⇒ ∃xn mit f (xn ) ≥ Sn (xn ) ⊂ [a, b] =⇒ ∃ (xnk ) mit xnk → x̄ S∈R ! =⇒ f (x̄) = lim f (xnk ) = S = max f (x) = max f k→+∞ x∈[a,b] [a,b] S=+∞ =⇒ f (x̄) = lim f (xnk ) = +∞ =⇒ Widerspruch k→+∞ Bemerkung 7.20. Sei E ⊂ R eine Menge mit der Eigenschaft ∀(xn ) ⊂ E ∃eine Teilfolge (xnk ) x ∈ E mit x nk → x Ist E immer ein abgeschlossenes Intervall? Nein E := [0, 1] ∪ [2, 3] Sei (xn ) ⊂ [0, 1]∪[2, 3]. Dann ∃ (xnk ) die entweder in [0, 1] oder in [2, 3] enthalten ist =⇒ ∃ eine konvergente Teilfolge. 33 7 Stetige Funktionen und Grenzwerte Definition 7.21. Die Mengen E(⊂ R, ⊂ C) mit der Eigenschaft in der Bemerkung oben heissen kompakte Mengen. Satz 7.22. Eine reellwertige stetige Funktion auf einem kompakten Definitionbereich besitzt mindestens eine Maximumstelle (und eine Minimumstelle). Beweis. Gleich wie oben! Definition 7.23. Stetigkeit an einer Stelle x: ∀ε > 0 ∃δ > 0 mit |x − y| < δ und y ∈ D =⇒ |f (x) − f (y)| < ε {z } | Stetigkeit auf D bedeutet Stetigkeit an jeder Stelle x ∈ D. Definition 7.24. Eine Funktion f : D → R(C) heisst gleichmässig stetig falls ∀ε > 0 ∃δ > 0 s.d. |x − y| < δ mit x, y ∈ D =⇒ |f (x) − f (y)| < ε Beispiel 7.25. f Lipschitz |f (x) − f (y)| ≤ L|x − y| ∀x, y ∈ D Dann ist f gleichmässig stetig δ = |x − y| < ε L ε ε =⇒ |f (x) − f (y)| ≤ L|x − y| < Lδ = L = ε L L Satz 7.26. Falls D eine kompakte Menge ist, ist jede stetige Funktion f : D → R(C) gleichmässig stetig! Beweis. (Widerspruchsbeweis) f stetig aber nicht gleichmässig. Dann ∃ε > 0 : ∀δ die ich wählen kann ∃x, y ∈ D mit |x − y| < δ und |f (x) − f (y)| ≥ ε δ= 1 1 > 0 =⇒ ∃xn , yn mit |xn − yn | < und |f (xn ) − f (yn )| ≥ ε n n Kompaktheit =⇒ ∃xnk Teilfolge mit xnk → x ∈ D =⇒ ynk → x ∈ D =⇒ f (xnk ) → f (x) und f (ynk ) → f (x) =⇒ |f (xnk ) − f (ynk )| → 0 7.5 Stetige Fortsetzung, Grenzwerte Definition 7.27. Sei f : D → R(C) stetig. Sei E > D. Eine stetige Fortsetzung von f ist eine f˜ : E → R(C) stetig mit f (x) = f˜(x) ∀x ∈ D Definition 7.28. g : E → A, D ⊂ E, g|D → A bezeichnet die Funktion mit g|D (x) = g(x) ∀x ∈ D , d.h. die Einschränkung von g auf D. Bemerkung 7.29. Sei f : D → R(C) stetig. Sei x0 6∈ D. Die Fragen: (a) gibt es eine stetige Fortsetzung von f auf D ∪ {x0 } (b) ist diese Fortsetzung eindeutig? Definition 7.30. x0 ist ein Häufungspunkt von einer Menge E wenn ∀ε > 0 ∃ unendlich viele Punkte x ∈ E mit |x − x0 | < ε 34 7 Stetige Funktionen und Grenzwerte Bemerkung 7.31. x0 ist ein Häufungspunkt von E ⇐⇒ ∃(xn ) ⊂ \ {x0 } mit xn → x0 Bemerkung 7.32. In Bemerkung 7.29, Frage (a): Falls x0 kein Häufungspunkt von D ist: ∃ stetige Fortsetzungen. Frage (b): ∃ immer unendlich viele! Bemerkung 7.33. Wenn x0 ein Häufungspunkt von D ist, die Antwort zur Frage (b) ist ja. Die Antwort zur 1. ist undefiniert, manchmal ja, manchmal nein. Definition 7.34. Sei f : D → R(C), D ⊂ R(C). Sei x0 ∈ D ein Häufungspunkt. Der Grenzwert von f (falls er existiert) an der Stelle x0 ist die einzige Zahl a ∈ R(C) so dass ( f (x) x ∈ D \ {x0 } F (x) = a x = x0 stetig in x0 ist. Bemerkung 7.35. f (x0 ) = a und x0 ∈ D =⇒ f ist stetig an der Stelle x0 . Aber nicht unbedingt f (x0 ) = a! Satz 7.36. Die folgenden Aussagen sind äquivalent: • limx→x0 f (x) = a • ∀ {xn } ⊂ D \ {x0 } mit xn → x0 gilt limn→+∞ f (xn ) = 0 • ∀ε > 0 ∃δ > 0 so dass |x − x0 | < δ und x ∈ D \ {x0 } =⇒ |f (x) − a| < 0 Beweis. Die sind triviale Folgerungen der Definitionen und des Folgenkriteriums für die Stetigkeit von f . Satz 7.37. (Rechenregeln) f, g : D → R(C), x0 Häufungspunkt von D lim (f + g)(x) = lim f (x) + lim g(x0 ) x→x0 x→x0 x→x0 falls die Grenzwerte existieren! lim (f g)(x) = x→x0 lim f (x) lim g(x0 ) x→x0 x→x0 f limx→x0 f (x) (x) = falls g limx→x0 f (x) lim x→x0 lim g(x) 6= 0 x→x0 Satz 7.38. Seien f : D → E, g : E → R(C) mit • x0 Häufungspunkt von D und y0 = limx→x0 f (x) • y0 ∈ E und g ist stetig and der Stelle y0 Dann: lim g ◦ f (x) = g(y0 ) = g( lim f (x)) x→ x0 x→x0 Beweis. Wenden Sie die entsprechenden Rechenregeln für Folgen. Als Beispiel: Teil 1 von Satz 3.Für f, g wir haben: ∀ {xn } ⊂ D \ {x0 } mit xn → x0 lim f (xn ) = lim f (x0 ) ∧ lim g(xn ) = lim g(x0 ) n→∞ x→x0 n→∞ x→x0 limx→x f (x) limx→x g(x) n→∞ n→∞ z }|0 { z }|0 { =⇒ lim (f + g)(xn ) = lim f (xn ) + lim g(xn ) n→∞ Satz 7.36 =⇒ lim (f + g)(x) = lim f (x) + lim g(x) x→x0 x→x0 x→x0 Definition 7.39. Falls f : D → R und x0 ein Häufungspunkt von D ist, dann: 35 8 Exponentialfunktion • limx→x0 f (x) = +∞(−∞) falls ∀ {xn } ⊂ D \ {x0 } mit xn → x0 gilt limn→+∞ f (xn ) = +∞ (bzw. −∞) Ähnlich f : D → C und: • D ist nicht nach oben beschränkt. Wir schreiben limx→+∞ f (x) = a genau dann, wenn ∀ {xn } ⊂ D mit xn → ∞ gilt limn→+∞ f (xn ) = a gleich wenn D nicht nach unten beschränkt ist. limx→−∞ f (x) = a Ähnlicherweise handelt man die Fälle lim f (x) = ±∞ x→+∞ lim f (x) = ±∞ x→−∞ Definition 7.40. Seien D ⊂ R, f : D → R(C) und x0 ein Häufungspunkt von ]−∞, x0 [ ∩ D. Dann limx↑x0 f (x) = a falls ∀ {xn } ⊂ D ∩ ]−∞, x0 [ mit xn → x gilt lim f (xn ) = a n→+∞ Man schreibt auch lim f (x) = a x→x− 0 Falls x0 ein Häufingspunkt von D ∩ ]x0 + ∞[ ist ! lim f (x) = a lim f (x) x→x+ 0 x↓x0 falls ∀ {xn } ⊂ D ∩ ]x0 , +∞[ mit xn → x0 gilt f (xn ) → a. Ähnlich definiert man limx→x± f (x) = ±∞. 0 Beispiel 7.41. Stetigkeit: lim f (x) = f (x0 ) x→x0 • ∃ limx→x0 f (x) 6= f (x0 ) =⇒ f in x0 nicht stetig ist • limx→x0 f (x) = +∞: die Funktion f in x0 hat eine Asymptote. 8 Exponentialfunktion √ m Sei a ∈ R a > 0. Dann aq = a n = n m, für jede q = m n ∈ Q. Ziel dieses Kapitel ist die Funktion az auf der ganzen komplexen Ebene zu definieren. 8.1 Existenz und Eindeutigkeit Satz 8.1. ∃! Exp : C → C mit folgenden Eigenschaften: (AT) Additionstheorem Exp(z + w) = Exp(z) Exp(w) (WT) Wachstum limz→0 Für Exp wissen wir: P∞ • Exp(z) = n=0 Exp(z)−1 z =1 zn n! ∀z ∈ C n ∀z ∈ C • Exp(z) = limn→+∞ 1 + nz • Exp ist stetig und falls e = Exp(1) dann eq = Exp(1) ∀q ∈ R, wobei n X 1 1 e= = lim 1+ n! n→+∞ n 36 8 Exponentialfunktion Bemerkung 8.2. Kernidee: Wir suchen eine Funktion Exp(z) = f (z) mit den Eigenschaften (AT) und (WT) nz z z z (AT) z n f (z) = f =f = f + + ··· + (32) n n n n n Wir definieren f Für n → +∞ z n z n =1+ zn n z −1 zn = n f n d.h. → 0 und aus (WT) schliessen wir f nz − 1 lim zn = z lim =z z n→+∞ n→+∞ (33) n Aus (32) folgt zn n zn n =⇒ f (z) = lim 1 + f (z) = 1 + n→+∞ n n (34) Dürfen wir, wegen (33), zn durch z in (34) ersetzen? Die Antwort ist im nächsten Lemma enthalten Lemma 8.3. Fundamentallemma: ∀ {zn } ⊂ C mit zn → z gilt: zn n z n X z n lim 1 + = lim 1 + = n→∞ n→∞ n n n! P zn Bemerkung 8.4. n! konvergiert auf C (und konvergiert deswegen absolut) Beweis. Das Kriterium von Hadamand: 1 R := lim supn→+∞ Das bedeutet: q = +∞ 1 n! r n gerade 1 =0 n! n n! ≥ n(n − 1) · · · + 1 n2 · 1 ≥ | {z 2 } n ungerade n! ≥ n(n − 1) · · · | {z n lim n→+∞ n 2 n+1 2 Deswegen √ n n! ≥ n + 1 n−1 ·1≥ 2 } 2 n 2 n2 n+1 2 n+1 2 ≥ n 2 n2 n 1/n √ 2 n 2 n = √ →∞ n 2 2 Beweis des Fundamentallemmas. Es genügt zu beweisen dass ∞ zn n X z k lim sup 1 − − =0 n k! n→+∞ n=0 | {z } An n k ∞ X n zn X z k |An | = − k nk k! k=0 k=0 Sei M ∈ N und M ≤ n. Dann M n ∞ X X X n znk z k n |zn |k |z|k |An | ≤ − + + k k k n k! k n k! k=0 k≥M +1 k=M +1 | {z } | {z } {z } | Bn Cn 37 D 8 Exponentialfunktion n! n(n − 1) · · · (n − k + 1) znk n ak,n znk = = k nk (n − k)!k! nk nn{z ···n | } k! | {z } k mal k zn lim ak,n n→∞ 1 = lim 1 1 − n→+∞ n k−1 ··· 1 − n znk zk = k! k! (35) lim sup |An | ≤ lim sup Bn + lim sup Cn + D n→+∞ n→+∞ n→+∞ | {z } =0,aus(35) Abschätzung für Cn : n X Cn = k=M +1 1 k−1 |zn |k 1 1− ··· 1 − k! n n |zn | konvergiert nach |z| =⇒ ∃R ≥ 0 mit |zn | ≤ R n X Cn ≤ k=M +1 ∞ X lim sup |An | ≤ n→+∞ k=M +1 |zn |k ≤ k! k=M +1 ∞ X n→+∞ n→+∞ = M X Rk k! k=0 lim ∞ X Rk ∞ X Rk M →+∞ k! k=0 k=0 k! − ∞ X |z|k ≤2 k! k=M +1 Rk k! Rk =0 k! k=M +1 = Rk k! k=M +1 ∞ X Rk + k! lim sup weil lim sup ∞ X =⇒ k=0 (37) ∞ X lim M →+∞ M X Rk (36) ! k=M +1 Rk k! ! =0 k! Deswegen, (36)& (37) =⇒ lim supn |An | = 0. Beweis vom Satz 8.1: Teil 1. Das Fundemantallemma und die Bemerkung 8.2 =⇒ Falls eine Funktion mit der Eigenschaft (AT) und (WT) existiert, dann gilt: ∞ z n X z k Exp(z) = lim 1 + = n→+∞ n k! k=0 Die Eindeutigkeit und die zwei bemerkenswerte Darstellungen der Exponentialfunktion sind deswegen schon bewisen. Für die Existenz, wir definieren Exp(z) = ∞ X zk k=0 k! = lim n→+∞ 1+ z n n (AT) gilt: z n w n lim 1 + n→∞ n n→∞ n n n z w z + w zw = lim 1+ 1+ = lim 1 + + 2 n→∞ n→∞ n n n n αn }| { z zw n z+w+ z+w n Fundamentallemma = lim 1 + = lim 1 + n→∞ n→∞ n n Exp(z) Exp(w) = lim = Exp(z + w) 1+ (da 38 αn → (z + w)) 8 Exponentialfunktion Ausserdem, sei e = Exp(1) lim n→∞ 1 1+ n n ∞ X 1 = k! ! k=0 Exp(q + s) = Exp(q) Exp(s) ∀q, s ∈ Q (Zur Erinnerung: Falls f : Q → R erfüllt f (1) = a > 0 und f (q + s) = f (q)(s). Dann f (q) = aq ∀q ∈ Q.) Setze f : Exp =⇒ Exp q = eq ∀q ∈ Q Um den zweiten Teil vom Satz 8.1 zu beweisen brauchen wir noch: P Lemma 8.5. Sei an z n eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > (R = P +∞ falls die Reihe überall konvergiert). Dann ist f (z) = an z n eine stetige Funktion auf {|z| < R} (C falls R = +∞). Beweis vom Satz 8.1 Teil 2. Lemma =⇒ Stetigkeit von Exp. Ausserdem: Exp z − 1 =1 z P∞ k ∞ 1 + k=1 zk! − 1 X z k−1 Exp(z) − 1 = = = G(z) z z k! lim z→0 k=1 Die Reihe, die G definiert hat Konvergenzradius +∞. Deswegen ist G stetig. =⇒ lim z→0 Exp(z) − 1 = lim G(z) − G(0) = 1 z→0 z . Wir schliessen dass (WT) gilt. Beweis vom Lemma 8.5. Zu beweisen: Sei z0 mit |z0 | < R Stetigkeit in z0 ⇐⇒ lim z → z0 f (z) = f (z0 ) ∞ X ⇐⇒ lim z→z0 D.h., wir hätten gern lim und (Übung: Finden sie ak,n ∞ X k=0 an z n = n=0 ∞ X an z0n n=0 P zu vertauschen. Allgein ist das unmöglich ∞ X ∈ R ∀k lim ak,n = an (k, n ∈ N) aber lim ak,n 6= n→∞ n→∞ n=0 ak ). Sei zk → z0 . A z }|k { ∞ ∞ X X lim sup | an zkn − z0n | k→+∞ n=0 n=0 M M ∞ ∞ X X X X n n ≤ lim sup an zk − an z0 + lim sup |an ||zkn | + |an ||z0 |n k→+∞ k→+∞ n=0 n=0 n=M n=M Sei ρ mit |z0 | < ρ < R. Da zk → z0 : |zk | < ρ, falls k gross genug ist. lim sup Ak ≤ 0 + 2 k→+∞ Aber lim sup M →+∞ ∞ X |an |ρn n=M +1 ∞ X |an |ρn = 0 n=M +1 39 8 Exponentialfunktion P weil n |an |ρn eine konvergente Reihe ist (siehe den Beweis vom Fundamentallemma!) ! ! ∞ ∞ X X n n =⇒ lim f (zn ) = zk an = f (z0 ) = z0 an =⇒ lim f (z) = f (z0 ) k→∞ n=0 z→z0 n=0 Bemerkung 8.6. Wir haben die folgenden Abschätzungen benutzt: ∞ ∞ X X ξn − ζn n=0 n=0 ! N X = lim ξn − ζn N →∞ n=0 ) N ( M X X (ξn − ζn ) ≤ lim (ξn − ζn ) + N →∞ n=0 n=M +1 N M X X (ξn − ζn ) = (ξn − ζn ) + lim N →∞ ≤| n=0 n=M +1 M X N X (ξn − ζn )| + lim n=0 =| M X N →∞ 8.2 ∞ X (ξn − ζn )| + n=0 (|ξn | + |ζn |) n=M +1 |ξn | + n=M +1 ∞ X |ζn | n=M +1 Die Exponentialfunlktion auf der reellen Gerade Satz 8.7. Die Funtion R 3 x 7→ ex ∈ R ist 1. positiv 2. monoton steigend 3. bijektiv (falls R durch R+ ersetzt wird). Beweis. 1. x x x ex = e 2 + 2 = (e 2 )2 ≥ 0 ex = 0 ist nicht möglich, sonst wäre exq = 0 für alle q ∈ Q und, wegen der Dichtheit der rationalen Zahlen und der Stetigkeit von f , ex ≡ 0. 2. h ex+h = eh = 1 + + · · · > 1 x e 1! 3. z.z.: ∀y ∈ R+ ∃x : ex = y Falls y ≥ 1 ZWS e0 = 1 ≤ y ≤ ey =⇒ ∃x : ex = y Falls 0 < y < 1, dann betrachte 1 y ∃x : ex = >1 1 =⇒ e−x = y y 40 8 Exponentialfunktion Satz 8.8 (vom Wachstum). ex = +∞ x→∞ xn lim lim xn ex = 0 x→−∞ Beweis. ex > x xn+1 ex x→∞ =⇒ n > → ∞ (n + 1)! x (n + 1)! xn ex = 8.3 n xn n (−x) x→∞ = (−1) → ∞ e−x e−x Natürlicher Logarithmus Definition 8.9. ln : R+ → R ist die Inverse der exponentiellen Funktion. Satz 8.10. ln(xy) = ln x + ln y Beweis. eln(xy) = xy = eln x eln y = eln x+ln y =⇒ ln(xy) = ln x + ln y Satz 8.11 (vom Wachstum 2). ln x lim √ =0 n x x→∞ Beweis. ln x ln eny ny √ √ = = y n ny n e x e ∃y : x = eny ln x →0 y → ∞ =⇒ √ n | {z } x ⇐⇒ x→∞ Satz 8.12. lim x→0 Beweis. ln(1 + x) =1 x ln(1 + x) ln ey y = lim y = lim y =1 x→0 y→0 y→0 x e −1 e −1 lim Bemerkung 8.13. ln : R+ → R ist stetig Bemerkung 8.14. y = m n ∈ Q, n ∈ N, a > 0 √ n an = m = ey ln a n Warum? f (1) = eln a = a f (q + r) = f (q)f (r) f :Q→R =⇒ ay = ey ln a 41 8 Exponentialfunktion Definition 8.15. a > 0, z ∈ C az := ez ln a Satz 8.16. 1. ax+y = ax ay (x, y ∈ C) 2. (ax )y = axy (x, y ∈ R) 3. (ab)x = ax bx Beweis. 1. ax+y = w(x+y) ln a = ex ln a+y ln a = ex ln a ey ln a = ax ay 2. ähnlich 3. ähnlich Satz 8.17. 1. 2. ∞ a lim x = 1 x→∞ 0 a>0 a=0 a<0 0 lim xa = 1 x→0 ∞ a>0 a=0 a<0 3. ( a lim x = x→∞ a≥0 a<0 +∞ 0 4. xa ex = +∞ 5. ax − 1 ln a x→0 x lim Beweis. 1. Bild(x 7→ xa ) = R+ =⇒ lim xa = +∞ x→∞ a = 0 trivial a > 0 xa = 1 →0 x−a (Wegen −a > 0 und x−a → ∞) 2. folgt aus 1 durch die Substitution x 7→ wachsend. 1 x. 1 Falls a > 0, xa monoton 3. a ≥ 0 offensichtlich, a < 0: ∃n ∈ N, a < − n1 , −a > xa ln x = ln x ln x < 1 −a x xn 42 Satz 8.11 → 1 n 0 8 Exponentialfunktion 4. a > 0 trivial, a < 0, ∃n ∈ N so dass a > −n (−a < n) ex ex > n −a a x xa ex = 5. lim x→0 Satz 8.8 → ∞ a−1 = ln a x →1 z }| { ax − 1 ex ln a − 1 ex ln a − 1 = = ln a →x→0 ln a x x x ln a 8.4 Trigonometrische Funktionen Definition 8.18. Falls φ die Grösse eines Winkels (in Radianten) ist, dann cos(φ) und sin(φ) sind die entsprenchenden Werte des Cosinus und Sinus. Wir erweitern diese Funktionen auf der ganzen reellen Gerade: cos(φ) := cos(φ − 2πn) falls 2πn ≤ φ < 2π(n + 1) sin(φ) := sin(φ − 2πn) falls 2πn ≤ φ < 2π(n + 1) Satz 8.19. Für φ klein genug gilt: 1. |sin φ| ≤ |φ| ≤ |sin φ| cos φ 2. 1 − cos φ ≤ φ2 Proof. 1. Die Grösse des Winkelns in Radianten ist die Länge des entsprechenden Kreissektors (auf einem Kreis mit Radius 1): diese ist grösser als die Länge des (kleineren) Katheten. 2. 1 − cos φ = Korollar 8.20. 1 − (cos φ)2 sin2 φ (1 − cos φ)(1 + cos φ) = ≤ ≤ φ2 1 + cos φ 1 + cos φ 1 1. sin φ =1 φ→0 φ lim 2. 1 − cos φ =0 φ→0 φ lim 3. sin und cos sind stetig. Beweis. 1. 1 |sin φ| ≤ ≤1 cos φ φ 2. 0≤ 1 − cos φ ≤ |φ| |φ| 3. Additionsregeln cos(x + y) = cos x cos y − sin x sin y sin(x + y) = sin x cos y + cos x sin y 43 8 Exponentialfunktion Satz 8.21 (von Euler). ex+iy = ex (cos x + sin y) ∀x, y ∈ R Beweis. Definiere f (z) = ex (cos x + sin y). f erfüllt (AT) und (WT) im Satz 8.1 (AT) folgt aus den Additionsregeln (WT) 2 Spezialfälle: – z=x∈R f (z) − 1 ex − 1 = lim =1 z→0 x→0 z x lim – z = iy lim z→0 = f (z) − 1 cos y + i sin y − 1 = lim y→0 z iy 1 cos y − 1 1 i sin y 1 1 lim + lim = 0+ i=q y→0 y→0 i y i y i i Der allgemeine Fall wird im Übungsblatt behandelt. Bemerkung 8.22. (Was hat Euler gemacht?) Wegen der Taylor’schen Reihen: cos y = ∞ X (−1)k k=0 sin y = ∞ X (−1)k k=0 y 2k (2k)! y 2k+1 (2k + 1)! das wussten die Mathematikern schon vor Euler seinen Satz entdeckte: man kann diese Reihen mit der Differentialrechnung bestimmen (und werden wir später lernen). Wenn man die Formel ez := ∞ X zk k=0 k! für z = iy anwendet: eiy = ∞ X (iy)k k=0 k! = ∞ X ∞ X y 2k y 2k+1 +i (−1)k (2k)! (2k + 1)! k=0 {z } | {z } (−1)k k=0 | cos y sin y =⇒ eiy = cos y + i sin y eiπ = −1 → die berühmte Formel von Euler. 8.5 Noch andere spezielle Funktionen Wir definieren zuerst den Tangens: tan = sin cos Der Definitionsbereich dieser Funktion ist die reele Gerade ohne die Nullstellen des Cosinus, o nπ tan : R \ + kπ; k ∈ N → R |2 {z } Die Nullstellen des Cosinus Geometrisch leicht zu sehen: h π πi sin : − , → [1, 1] 2 2 ist injektiv und surjektiv. 44 9 Differentialrechnung Die Umkehrfunktion heisst arcsin: h π πi . arcsin : [−1, 1] → − , 2 2 Analog ist cos : [0, π] → [−1, 1] bijektiv. Die Umkehrfunktion heisst arccos: arccos : [−1, 1] → [0, π] Auch der Tangens eingeschränkt auf dem geeigneten Intervall ist bijektiv: i π πh →R tan : − , 2 2 Die Surjektivität folgt aus der Stetigkeit und lim tan(x) = ±∞ . x→± π 2 Die Injektivität werden wir später sehen (siehe Bemerkung 9.23). i π πh arctan : R → − , 2 2 ist die Umkehrfunktion. Endlich wir definieren die hyperbolischen Funktionen: sinh(t) = et − e−t 2 et + e−t 2 sinh(t) tanh(t) = cosh(t) cosh(t) = (NB: Der Definitionsbereich von tanh ist die ganze reelle Gerade, weil cosh(t) > 0 ∀t ∈ R). Bemerkung 8.23. cosh2 (t) − sinh2 (t) = 1 Nun, ∀t ∈ R, (cos t, sin t) gehört dem Kreis mit Radius 1 und Mittelpunkt 0. Die Punkten (cosh t, sinh t) liegen auf einer Hyperbel. 9 Differentialrechnung Eine affine Funktion f : R → R hat die Gestalt: f (t) = c0 + m0 x . Die Konstante m0 (die Steigung der Gerade) ist leicht zu rechnen: m0 = f (t2 ) − f (t1 ) , t2 − t1 wobei t1 6= t2 sind zwei beliebige reelle Zahlen. f heisst linear wenn c0 = 0. 45 9 Differentialrechnung 9.1 Die Ableitung Wir suchen die beste Approximation von f in der Nähe von einer Stelle x0 mit einer affinen Funktion g, d.h. die Tangente zum Graphen von f im Punkt (x0 , f (x0 )). Manchmal gibt es keine gute Approximation mit einer affinen Funktion (z.B. f (x) = |x| und x0 = 0). Falls ξ eine andere Stelle im Definitionsbereich von f ist, die Gerade g(x) = f (x0 ) + f (ξ) − f (x0 ) (x − x0 ) ξ − x0 enthält die Punkten (x0 , f (x0 )) und (ξ, f (ξ)). Wenn ξ − x sehr klein ist, diese Gerade ist “fast” die Tangente im (x0 , f (x0 )). Definition 9.1. Sei f : [a, b] → R(C). Die Ableitung an der Stelle x0 von f ist f (x0 + h) − f (x0 ) f (x0 + h) − f (x0 ) 0 = , f (x) = lim h↓0 h (x0 + h) − x0 falls der Limes exisitiert. Die Funktion heisst differenzierbar an der Stelle x0 , wenn die Ableitung f 0 (x0 ) existiert. Satz 9.2. f : I → C ist in x0 genau dann differenzierbar, wenn ∃L : R → C linear so dass f (x0 + h) − f (x0 ) − L(h) lim =0 h→0 h Beweis. L linear ⇐⇒ ∃m0 ∈ C : L(h) = m0 h ∀h ∈ R Wir betrachten f (x0 + h) − f (x0 ) − L(h) lim = lim h→0 h→0 h und lim h→0 f (x0 + h) − f (x0 ) − m0 h f (x0 + h) − f (x0 ) h (38) (39) Der Limes in (38) existiert und verschwindet genau dann, wenn der Limes in (39) existitiert (d.h. f differenzierbar im x0 ist) und gleicht m0 (d.h. m0 = f 0 (x0 )). Satz 9.3. f : I → C ist in x0 ∈ I genau dann differenzierbar, wenn es ein φ : I → C gibt so dass • φ ist stetig in x0 • f (x) − f (x0 ) = φ(x)(x − x0 ) Ausserdem, φ(x0 ) = f 0 (x0 ). Beweis. ∃φ =⇒ die Differenzierbarkeit von f . φ(x0 ) (Stetigkeit) f (x) − f (x0 ) = lim φ(x) = lim x→x0 x→x0 x − x0 f (x0 + h) − f (x0 ) = f 0 (x0 ) . h Die Differenziberkaeit =⇒ ∃φ. Wir setzen: ( f 0 (x0 ) falls x = x0 φ(x) = f (x)−f (x0 ) . falls x 6= x0 x−x0 = lim h→0 φ erfüllt die Bedingungen. 46 9 Differentialrechnung Beispiel 9.4. f (x) = xn (x0 + h)n − xn0 h→0 h n x0 + n1 xn−1 + n2 xn−2 h2 + · · · + hn − xn0 0 0 = lim h→0 h n n−2 n−1 lim nxn−1 + x h + · · · + h = nxn−1 0 0 h→0 2 0 f 0 (x0 ) = lim Beispiel 9.5. f (x) = ex ex0 +h − ex0 h→0 h f 0 (x0 ) = lim eh − 1 = ex0 h→0 h = ex0 lim Übung 9.6. f (x) = ax f 0 (x0 ) = ln(a)ax Beispiel 9.7. f (x) = ln x ln(x0 + h) − ln(x0 ) h ln x0x+h 0 = h ln 1 + xh0 1 = 1 = lim h h→0 x0 x0 x f 0 (x0 ) = 0 Bemerkung 9.8. Falls f in x0 differenzierbar ist, dann ist f auch stetig in x0 . f stetig im x0 ⇐⇒ lim f (x) = f (x0 ) ⇐⇒ lim (f (x) − f (x0 )) = 0 x→x0 x→x0 ⇐ lim x→x0 f (x) − f (x0 ) x − x0 (x − x0 ) = f 0 (x0 ) · 0 = 0 Bemerkung 9.9. Umgekehrt falsch. Sei f (x) = p n |x|. Für n ≥ 2: lim f (x) − f (0) = +∞ x−0 lim f (x) − f (0) = ±1 . x−0 x→0 n = 1: x→0 f ist nicht differenzierbar im 0 (aber im x0 6= 0 ist 9.2 p n |x| differenzierbar). Rechenregeln Satz 9.10. Seien f, g : I → C differenzierbar in x0 . • f + g ist auch differenzierbar in x0 : (f + g)0 (x0 ) = f 0 (x0 ) + g 0 (x0 ) • f g ist auch differenzierbar in x0 : (f g)0 (x0 ) = f 0 (x0 )g(x0 ) + f (x)g 0 (x0 ) 47 9 Differentialrechnung • f g ist in der Nähe von x0 wohldefiniert wenn g(x0 ) 6= 0. Ausserdem ist dort differenzierbar. f 0 (x0 )g(x0 ) − f (x0 )g 0 (x0 ) f < (x0 ) = g g(x0 )2 Beweis. f g • g 0 (x0 ) f 0 (x0 ) }| { }| { z z (f + g)(x0 + h) − (f + g)(x0 ) f (x0 + h) − f (x0 ) g(x0 + h) − g(x0 ) lim = lim + h→0 h→0 h h h • (f g)(x0 + h) − (f g)(x0 ) h→0 h f (x0 + h)g(x0 + h) − f (x0 + h)g(x0 ) + f (x0 + h)g(x0 ) − f (x0 )g(x0 ) = lim h→0 h f (x0 + h) − f (x0 ) g(x0 + h) − g(x0 ) + g(x0 ) = lim f (x0 + h) h→0 h h lim = f (x0 )g 0 (x0 ) + g(x0 )f 0 (x0 ) (NB: Wir haben benutzt dass f und g stetig im x0 sind). • lim f (x0 +h) g(x0 +h) − f (x0 ) g(x0 ) h h→0 = lim h→0 f (x0 + h)g(x0 ) − f (x0 )g(x0 + h) [g(x0 )g(x0 + h)] h f (x0 + h)g(x0 ) − f (x0 + h)g(x0 + h) f (x0 + h)g(x0 + h) − f (x0 )g(x0 + h) + h h 1 g(x0 + h) − g(x0 ) f (x0 + h) − f (x0 ) = lim f (x0 + h) − + g(x0 + h) h→0 g(x0 )g(x0 + h) h h 1 = lim h→0 g(x0 )g(x0 + h) = 1 {f (x0 )(−g 0 (x0 )) + g(x0 )f 0 (x0 )} g(x0 )2 f g Satz 9.11 (Kettenregel). Seien I → J → C (mit I, J ⊂ R Intervalle), differenzierbar an der Stelle x0 und f (x0 ). Dann ist g ◦f an der Stelle x0 differenzierbar und (g ◦ f )0 (x0 ) = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ) Beweis. Die Kernidee wäre: g ◦ f (x0 + h) − g ◦ f (x0 ) h→0 x − x0 lim = lim h→0 g(f (x0 + h)) − g(f (x0 )) x − x0 y y z }| { z }|0 { g(f (x0 + h)) − g(f (x0 ))) f (x0 + h) − f (x0 ) = lim h→0 f (x0 + h) − f (x0 ) x − x0 | {z } | {z } y 0 y0 0 = g (y0 )f (x0 ) = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ) Diese Gleichungen sind aber kein Beweis weil y − y0 kann null werden. Lösung: f (x) − f (x0 ) = φ(x)(x − x0 ) g(x) − g(x0 ) = γ(x)(x − x0 ) mit: 48 9 Differentialrechnung • φ stetig in x0 und φ(x0 ) = f 0 (x0 ); • γ stetig in y0 mit γ 0 (y0 ) = g 0 (y0 ). Deswegen: g(f (x)) − g(f (x0 )) = γ(f (x))(f (x) − f (x0 )) = γ(f (x))φ(x)(x − x0 ) | {z } Φ(x) Φ ist stetig an der Stelle x0 . =⇒ g ◦ f ist differenzierbar in x0 . Ausserdem, (g ◦ f )0 (x0 ) = Φ(x0 ) = γ(f (x0 ))φ(x0 ) = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 ) . Beispiel 9.12. (cos x)0 = eit = cos t + i sin t 1 eix + e−ix i i = (eix )0 + (eix )0 = eix + e−ix 2 2 2 2 =− 1 ix (e − e−ix ) = − sin x 2i Analog 0 (sin x) = eix − e−ix 2i 0 = · · · = cos x . NB: Die Identität (eix )0 = ieix ist nicht eine Folgerung des Satzes 9.11 sein, weil die Werte der Funktion f : x 7→ ix sind nicht in R enthalten (und im Satz 9.11 gibt es die Annahme f : I → J ⊂ R). Es gibt tatsächlich eine Erweiterung des Satzes 9.11 die auch den Fall (eix )0 enthält (siehe die Theorie der holomorphen Funktionen). In unserem Fall folgt die Identität (eix )0 = ieix aus der Wachstum Identität der Exponentialabbildung (siehe (WT) im Satz 8.1): ei(x+h) − eix eih − 1 eih − 1 = eix lim = eix i lim = eix . h→0 h→0 h→0 h h ih lim Beispiel 9.13. tan0 = sin cos 0 = sin0 cos − sin cos0 sin2 + cos2 1 = = 2 2 cos cos cos2 Satz 9.14. [Differentiation der Umkehrfunktion] Sei g die Umkehrfunktion einer streng monotonen Funktion f : I → R. Falls f in x0 differenzierbar ist und f 0 (x0 ) 6= 0, dann ist g in y0 = f (x0 ) differenzierbar und 1 1 0 g (y0 ) = = 0 f (x0 ) f (g(y0 )) Beweis. f (x) − f (x0 ) = φ(x)(x − x0 ) wobei • φ ist stetig in x0 • φ(x0 ) = f 0 (x0 ) x = g(y) x0 = g(y0 ) =⇒ y − y0 = φ(g(y))(g(y) − g(y0 )) g(y) − g(y0 ) = 1 (y − y0 ) φ(g(y)) 49 falls φ(g(y)) 6= 0. 9 Differentialrechnung Aber: φ(g(y0 )) = φ(x0 ) = f 0 (x0 ) 6= 0 φ ist stetig in x0 und g ist stetig in y0 =⇒ φ(g) ist stetig in y0 ∃ε > 0 : |y − y0 | < ε =⇒ φ(g(y)) 6= 0 Sei ( ψ= 1 φ(g(y)) g(y)−g(y0 ) y−y0 |y − y0 | < ε |y − y0 | > ε =⇒ g(y) − g(y0 ) = ψ(y)(y − y0 ) und ψ ist stetig an der Stelle y0 . g ist differenzierbar in y0 und deswegen ψ(y0 ) = g 0 (y0 ) = 1 1 1 1 = = 0 = 0 φ(g(y0 )) φ(x0 ) f (x0 ) f (g(y0 )) Bemerkung 9.15. Sei f : I → R streng monoton und stetig. Sei g die Umkehrfunktion von f g : J → I. Angenommen dass beide Funktionen differenzierbar sind, die Kettenregel impliziert (f ◦ g)0 (x0 ) = f 0 (g(x0 ))g 0 (x0 ) = 1 . 1 . Das ist aber kein Beweis Falls f 0 (g(x0 )) 6= 0, wir schliessen g 0 (x0 ) = f 0 (g(x 0 )) vom Satz 9.14, da die Differenzierbarkeit von g angenommen und nicht bewiesen wird. Beispiel 9.16. (Übung: arcsin’, arccos’) 1 6= 0 cos2 (y0 ) tan0 (y0 ) = (arctan)0 (x0 ) = 1 = tan (arctan(x0 )) 0 1 1 cos2 (arctan(x0 )) = cos2 (arctan(x0 )) 1 cos2 = 1 + tan2 cos2 (arctan(x0 )) = = 1 1+ sin2 cos2 = cos2 + sin2 cos2 ! = cos2 1 1 = 2 1 + (tan(arctan(x0 ))) 1 + x20 =⇒ arctan0 (x) = 9.3 1 1 1 + x2 Die Sätze von Rolle und Lagrange Satz 9.17. Sei f : I → R eine überall differenzierbare Funktion. Sei x0 ∈ I ein Maximum (bzw. ein Minium) • x0 im Inneren =⇒ f 0 (x0 ) = 0 • x0 ist das rechte Extremum von I =⇒ f 0 (x0 ) ≥ 0 bzw. bei Minima: f 0 (x0 ) ≤ 0 50 9 Differentialrechnung • x0 ist das linke Extremum von I =⇒ f 0 (x0 ) ≤ 0 bzw. bei Minima: f 0 (x0 ) ≥ 0 Beweis. x0 im Innern. ≤0 }| { z f (x) − f (x ) 0 limx↓x0 ≤0 x − x0 | {z } ≥0 ≤0 }| { z f (x) − f (x ) 0 ≥0 limx↑x0 x − x0 | {z } ≤0 Deswegen f 0 (x0 ) = 0. x0 ist das linke Extremum und eine Maximumstelle: f 0 (x0 ) = lim x↓x0 f (x) − f (x0 ) ≤ 0. x − x0 Die anderen Fälle sind ähnlich. Satz 9.18 (Mittelwertsatz, Lagrange). Sei f [a, b] → R stetig (überall) und differenzierbar in ]a, b[. Dann ∃ξ ∈]a, b[ mit f 0 (ξ) = f (b) − f (a) b−a Satz 9.19 (Rolle). Sei f wie oben mit f (b) = f (a). Dann ∃ ξ : f 0 (ξ) = 0. |{z} ∈]a,b[ Der Satz von Rolle ist ein Fall des Satzes von Lagrange. Aber wir werden zuerst den Satz von Rolle beweisen und dann den von Lagrange daraus schliessen. Beweis vom Satz 9.19. ∃x ∈]a, b[ mit f (x) < f (b) f (b) = f (a) =⇒ ∃x ∈]a, b[ mit f (x) > f (b) f (x) = f (b) ∀x ∈]a, b[ Dritte Möglichkeit =⇒ f ist Konstant! f 0 (ξ) = 0 ∀ξ ∈]a, b[ Erste Möglichkeit =⇒ Sei x0 eine Maximumstelle von f in [a, b] =⇒ x0 ∈]a, b[ (weil f (x0 ) > f (a) = f (b)) =⇒ f 0 (x0 ) = 0 Zweite Möglichkeit: Sei x0 eine Maximumstelle: x0 ∈]a, b[ =⇒ f 0 (x0 ) = 0 Beweis vom Satz 9.18. Sei g(x) = f (a) + x−a (f (b) − f (a)) b−a g(b) = f (b) und g(a) = f (a) =⇒ Sei h := f − g. h(a) = 0, h(b) = 0. Satz von Rolle =⇒ ∃ξ ∈]a, b[ mit h0 (ξ) = 0 =⇒ f 0 (ξ) − g 0 (ξ) = 51 f (b) − f (a) . a−b 9 Differentialrechnung Korollar 9.20. Sei f : [a, b] → R eine differenzierbare Funktion. • f 0 ≥ 0 =⇒ f ist wachsend. • f 0 > 0 =⇒ f ist wachsend, streng monoton. • f 0 ≤ 0 =⇒ f ist fallend. • f 0 < 0 =⇒ f ist fallend, streng monoton. Beweis. Seien c < d ∈ [a, b] Mittelwertsatz =⇒ ∃ξ ∈]c, d[ mit f (d) − f (c) = f 0 (ξ) (d − c) | {z } >0 ≥ 0 im ersten Fall, > 0 im zweiten Fall, usw. Korollar 9.21. Sei f :]a, b[→ R differenzierbar. Falls: • f 0 (x) < 0 ∀x > x0 • f 0 (x) > 0 ∀x < x0 dann ist x0 das Maximum von f auf ]a, b[. Korollar 9.22. Sei f :]a, b[→ R differenzierbar mit f 0 ≡ 0. Dann f = konst. Beispiel 9.23. tan ist streng monoton auf ] − π2 , π2 [: tan0 = 1 >0 cos2 NB: tan ist nicht monoton auf R \ π2 + kπ : k ∈ Z , weil (z.B.) −1 = tan − π4 < 1 = tan π4 > −1 = tan 3π4. In diesem Fall ist Korollar 9.20 nicht anwendbar, weil { π2 + kπ : k ∈ Z} kein Intervall ist. 9.4 Anwendugen des Mittelwertsatzes: Schrankensatz und De L’Hôpitalsche Regel Satz 9.24 (Schrankensatz). Sei f : [a, b] → R stetig (überall) und differenzierbar in ]a, b[ mit |f 0 (ξ)| ≤ M ∀ξ ∈]a, b[ . Dann ist f Lipschitzstetig und |f (y) − f (x)| ≤ M |x − y| ∀x, y ∈ [a, b] . Beweis. ∀y 6= x (OBdA: y > x) ∃ξ ∈]x, y[⊂]a, b[: f (y) − f (x) = f (ξ)(y − x) =⇒ |f (y) − f (x)| = |f 0 (ξ)||y − x| ≤ M |y − x|. Die bekannte Funktionen die wir schon gesehen haben sind alle Differenzierbar mit stetigen Ableitungen. Deswegen, wenn eingeschränkt auf einem geschlossenen Intervall, ist die Ableitung beschränkt. Der Schrankensatz impliziert dann die Lipschitzstetigkeit. Satz 9.25 (Cauchy). Seien f, g : [a, b] → R überall stetig und differenzierbar in ]a, b[. Ausserdem g 0 (x) 6= 0 ∀x ∈]a, b[. Dann f (b) − f (a) f 0 (ξ) ∃ ξ : = 0 . |{z} g(b) − g(a) g (ξ) ∈]a,b[ 52 9 Differentialrechnung Bemerkung 9.26. Der Mittelwertsatz ist ein Fall des Satzes von Cauchy: setzen wir g(x) = x. Dann g 0 (x) = 1 ∀x und deswegen: f (b) − f (a) f (b) − f (a) f 0 (ξ) f 0 (ξ) = = 0 = = f 0 (ξ) . b−a g(b) − g(a) g (ξ) 1 Beweis. Wie der Satz von Lagrange auch der Satz von Cauchy kann man auf dem Satz von Rolle herleiten. Wie setzten: F (x) = f (x) − f (b) − f (a) (g(x) − g(a)) g(b) − g(a) Rolle F (a) = f (a) = F (b) =⇒ ∃ξ : F 0 (ξ) = 0 =⇒ f 0 (ξ) = f (b) − f (a) 0 g (ξ) . g(b) − g(a) Satz 9.27 (De L’Hospitalsche Regel). f, g :]a, b[→ R überall differenzierbar und mit g(x), g 0 (x) 6= 0 ∀x ∈]a, b[. In jeder dieser Situationen: 1. f (x) → 0, g(x) → 0 für x ↓ a 2. f (x), g(x) → +∞ (bzw. −∞) für x ↓ a Falls limx↓a f 0 (x) g 0 (x) existiert (oder ±∞ ist), dann lim x↓a f 0 (x) f (x) = lim 0 x↓a g (x) g(x) Die entsprechenden Aussagen gelten auch für Grenzprozesse mit x ↑ b und x → ±∞. Eine grobe Idee wie so dieser Satz gilt: nehmen wir an dass die Funktionen f und g auch in a definiert und differenzierbar sind, mit f (a) = g(a) = 0; dann, wenn |x − a| klein ist, f (x) = f 0 (a)(x − a) + R g(x) = g 0 (a)(x − a) + R0 wobei R und R0 ziemlich klein im vergleich mit |x − a| sind. Deswegen, f (x) f 0 (a) ∼ 0 . g(x) g (a) Wenn die Ableitungen von f und g stetig wären, dann f (x) f 0 (x) ∼ 0 . g(x) g (x) Beweis. 1. OBdA f (a) = 0, g(a) = 0 =⇒ f und g sind stetig auf [a, b[. Verallgemeinerter Mittelwertsatz: ∀x ∈]a, b[ ∃ξ ∈]a, x[: f (x) f (x) − f (a) f 0 (ξ) = = 0 g(x) g(x) − g(a) g (ξ) x → a =⇒ ξ → a lim x↓a f (x) f 0 (ξ) = lim 0 ξ↓a g (ξ) g(x) 53 9 Differentialrechnung 2. Wir nehmen zusätzlich an dass lim ξ↓0 f 0 (ξ) ∈ R. g 0 (ξ) 0 (x) (ξ) ∈ R. Wir schätzen | fg(x) − A| ab für x in der Nähe von a. Sei A := fg0 (ξ) Für jede y < x mit y ∈]a, b[ schreiben wir f (x) f (x) − f (y) 1 − = g(x) g(x) − g(y) 1 − g(y) g(x) f (y) f (x) (40) Sei ε eine gegebene positive Zahl. Wählen wir ein δ > 0 so dass 0 f (ξ) ∀ξ ∈]a, a + δ[ f 0 (ξ) − A < ε (41) Für jede a < y < x < a + δ, sei ξ die Stelle des Satzes von Cauchy. Dann: f (x) f (x) − f (a + δ) f (x) − f (a + δ) f (x) g(x) − A ≤ g(x) − g(x) − g(a + δ) + g(x) − g(a + δ) | {z } | {z } =B Aus (41) folgt C < ε. Aus (40): f (x) − f (a + δ) 1 − B = 1− g(x) − g(a + δ =C − f (x) − f (a + δ) g(x) − f (a + δ) g(a+δ) f (x) − f (a + δ) 1 − g(x) = − 1 f (a+δ) g(x) − g(a + δ) 1 − f (x) | {z } | {z } ≤|A|+ε g(a+δ) g(x) f (a+δ) f (x) →0 für x↓a =⇒ ∃δ∗ so dass für |x−a| < δ∗, B < ε. Sei nun x s.d. x−a < min {δ, δ∗}. Dann f (x) g(x) − A < 2ε Um den Beweis zu beenden, es bleibt zu tun: • x ↓ a, Situation 2., aber lim x↓a f 0 (x) = +∞(−∞). g 0 (x) Der Beweis ist in diesem Fall ganz ähnlich zum obigen Beweis, aber anstatt f (x) < 2ε f`‘ur x − a klein genug − A g(x) ist das Ziel f (x) >M g(x) f“ur x − a klein genug (wobei M eine beliebige reelle Zahl ist). • x ↑ b. Dieser Fall ist trivial. • x → +∞. In diesem Fall, setzen wir 1 F (y) = f und y Dann G(y) = g 1 . y f (x) F (y) F 0 (y) = lim = lim 0 x→∞ g(x) y↓0 G (y) y↓0(=:a) G(y) f 0 y1 − y12 f 0 y1 f 0 (x) = lim = lim 0 = lim x→∞ g (x) y↓0 0 1 y↓0 0 1 g y − y12 g y lim 54 9 Differentialrechnung Beispiel 9.28. ex ex = lim = +∞ x→∞ x x→∞ 1 lim Beispiel 9.29. ex ex ex ex = lim = lim = · · · = lim = +∞ x→∞ nxn−1 x→∞ n(n − 1)xn−2 x→∞ n! x→∞ xn lim Beispiel 9.30. lim x→0 1 1 − x sin x = lim x→0 sin x − x cos x − 1 = lim x→0 sin x + x cos x x sin x →0 z }| { − sin x − 0 = lim =0 x→0 cos x − x sin x + cos x | {z } →2 9.5 Differentation einer Potenzreihe Aus den Rechenregeln für die Ableitung wissen wir: P (x) = an xn + an−1 xn−1 + · · · + a0 P 0 (x) = nan xn−1 + (n − 1)an−1 xn−2 + · · · + a1 Sei nun f durch eine Potenzreihe definiert, mit einem nichttrivialen Konvergenzradius: ∞ X f (x) = an xn n=0 Könnten wir schliessen dass f auf ihrem Definitionsbereich differenzierbar ist? Ausserdem, gilt die Formel ? f 0 (x) = ∞ X nan xn−1 n=1 P∞ Satz 9.31. Sei n=0 an xn = f (x) eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R (> 0, auch R = +∞ möglich). Falls |x0 | < R, dann ist f in x0 differenzierbar und ∞ X f 0 (x0 ) = nan xn−1 n=1 (falls R = +∞, f ist überall differenzierbar, auf R!) Bemerkung 9.32. Der Satz von Cauchy-Hadamard gibt R= 1 lim supn→∞ √ n an n−1 Nun, ∞n=1 konvergiert für x = 0 und für x 6= 0 konvergiert genau nx Pna ∞ dann, wenn n=0 nan xn konvergiert. Der Konvergenzradius ist deswegen: P R0 = 1 lim supn→∞ √ n nan = 1 lim supn→∞ √ n an = R. Wir wollen nun noch ein Mal das Lemma 6.22 schauen. Dieses Lemma sagt dass, wenn eine Potenzreihe an einer Stelle x0 konvergiert, dann konvergiert sie auch an jeder Stelle x mit |x| < |x0 |. Aber die Kernidee des Beweis dieses Lemma hat auch andere Konsequenzen. 55 9 Differentialrechnung Definition 9.33. Sei I = [a, b] ein abgeschlossenes Intervall und f : I → R eine stetige Funtion. Dann kf kC 0 (I) = max |f (x)| . x∈I Definition 9.34. Sei IPein abgeschlossenese Intervall und fn : I → R eine Folge von Funktionen. Falls n fn (x) an jeder Stelle x ∈ I konvergiert, koennten wir eine neue Funktion definieren: I∈x 7→ f (x) = ∞ X fn (x) ∈ R . n=0 Für diese neue Funktion schreiben wir f = nen. Falls jede fn stetig ist und ∞ X P n fn , d.h. eine Reihe von Funktio- kfn kC 0 (I) < ∞ , n=0 dann sagen wir dass die Reihe P n fn konvergiert normal. Eine Potenzreihe ist ein dann ein Beispiel einer Reihe von Funktionen. Der Beweis vom Lemma 6.22 impliziert dass eine Potenzreihe im Inneren des Konvergenzkreis normal konvergiert. P Lemma 9.35. Sei an xn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R. Sei ρ < R und I = [−ρ, ρ]. Die Potenzreihe konvergiert normal auf I. Beweis. ρ < R Sei x0 mit ρ < |x0 | < R. Dann X |an ||x0 |n konvergiert Deswegen ist |an ||x0 |n eine Nullfolge und ∃M : |an ||x0 |n ≤ M ∀n Sei nun fn (x) := an xn . Dann kfn kC 0 (I) = max |fn (x)| = max |an ||x|n = |an |ρn |x|≤ρ |x|≤ρ ≤ |an ||x0 |n n ρ ≤ M γn . |x0 | | {z } γ Aber γ < 1 und aus dem Majorantenkriterium folgt: ∞ X kfn kC 0 (I) < ∞ . n=0 P P Sein nun n fn = n an xn eine Potenzreihe wie im Satz 9.31. Sei R der entsprechende Konvergenzradius und ρ eine beliebige positive reelle Zahl mit ρ < R. Aus der Bemerkung 9.32 und dem Lemma 9.35 schliessen wir: 1. ∀fn ist differenzierbar P P 0 2. fn und fn sind beide normal konvergent auf I = [ρ, ρ]. Dann Satz 9.31 folgt aus der folgenden allgemeineren Aussage. P Theorem 9.36. Sei fn eine Reihe von Funktionen auf einem abgeschlossenen Intervall I. Falls: P 1. fn (x) ∀x ∈ I konvergiert, 56 9 Differentialrechnung 2. P fn0 normal konvergent ist dann ist f überall differenzierbar mit f 0 = P fn0 . Beweis. Sei x ∈ I. Die Differenzierbarkeit an dieser Stelle bedeutet: f (x + h) − f (x) 0 lim − f (x) = 0 . h→0 h Deswegen müssen wir beweisen dass ∞ X f (x + h) − f (x) n n 0 lim − fn (x) = 0 . h→0 h h=0 | {z } Für jede N ∈ N und jede h mit x + h ∈ I gilt: X N ∞ X fn (x + h) − fn (x) fn (x + h) − fn (x) 0 D≤ − fn (x) + − fn (x) h h n=0 | {z } |n=N +1 {z } A B Sei ε > 0 gegeben. Wir zeigen dass ∃N ∈ N und ∃h̄ > 0 s.d. A< ε 2 und B< ε 2 ∀h mit |h| < h̄. Zuerst wählen wir N . ∞ X fn (x + h) − fn (x) 0 B≤ + |fn (x)| h n=N +1 Schrankensatz ≤ ∞ n o X kfn0 kC 0 (I) + kfn0 kC 0 n=N +1 = ∞ X 2 kfn0 kC ◦ (I) n=N +1 bN →b b z }| { z }| { ∞ N X X 0 0 =2 kfn kC ◦ (I) − kfn kC ◦ (I) n=0 n=0 ε für N gross genug . 2 Eigentlich, diese Wahl von N garantiert dass A < ε/2 für jede h. Nun wählen wir h̄. N X fn (x + h) − fn (x) 0 A= − fn (x) → 0 für h → 0 h n=0 | {z } < →0 Deswegen, ∃h̄ > 0 s.d. A < ε/2 wenn |h| < h̄. 9.6 Ableitungen höherer Ordnung und Taylorreihe Definition 9.37. Eine Funktion f ist 2 mal differenzierbar an einer Stelle x ∈ I wenn: • f 0 existiert ∀y ∈ J, wobei x ∈]a, b[ ↔ x ∈ Innern von J, J = [x, b̃[ falls I = [x, b[ und J =]ã, x] falls I =]a, x]) • f 0 ifferenzierbar in x ist. 57 9 Differentialrechnung (f 0 )0 (x) =: f 00 (x) sist die Ableitung zweiter Ordnung Induktiv: f n-mal differenzierbar in x falls: • f (n−1) (d.h. die Ableitung n − 1-ter Ordnung von f ) in einer Umgebung von x existiert • f (n−1) differenzierbar in x ist. 0 f (n) (x) := f (n−1) (x) ist die Ableitung n-ter Ordnung. Eine Funktion heisst belieb mal differenzierbar auf I falls die Ableitung aller Ordnungen auf jeder Stelle existieren. P∞ Bemerkung 9.38. f (x) = n=0 an xn mit Konvergenzradius R. Dann ist f beliebig mal differezierbar auf ] − R, R[. Ausserdem, könnten wir f (k) (x) wie folgt bestimmen: ∞ X f (k) (x) = n(n − 1)(n − 2) · · · (n − k + 1)an xn−k n=k Es folgt dass f (0) = a0 f 0 (0) = a1 f (k) (0) = k!ak Definition 9.39. Eine Funktion f heisst analytisch an einer Stelle x0 , falls auf einem Intervall ]x0 − ρ, x0 + ρ[ gilt X f (x) = an (x − x0 )n Die Bemerkung 9.38 hat deswegen die folgende Konsequenz: Korollar 9.40. Sei f analytisch in x0 . Dann ∃ρ > 0 s.d.: • f beliebig mal differenzierbar auf I =]x − ρ, x + ρ[ ist • f (x) = P ∞n=0 f (n) (x0 ) (x n! − x0 )n ∀x ∈ I. Aber Vorsicht: Beliebig mal differenzierbar 6 =⇒ analytisch! Beispiel 9.41. x0 = 0 f (x) = e = f (x) = f 00 (x) = · · · =⇒ f (k) (x) = ex x 0 =⇒ f n (0) = 1 =⇒ ex = 9.7 X xk k! Konvexität http://de.wikipedia.org/wiki/Konvexe_und_konkave_Funktionen Definition 9.42. Eine f : I → R heisst konvex, wenn: ∀x1 < x2 ∈ I f (x) ≤ streng konvex konkav streng konkav x − x1 x2 − x f (x2 ) + f (x1 ) = g(x) ∀x ∈]x1 , x2 [ x2 − x1 x2 − x1 < ≥ > (42) in (42) Bemerkung 9.43. Allgemein, die Konvexit—’at impliziert nicht die Differenzierbarkeit. Nehmen Sie z.B. f (x) = |x| auf R. 58 9 Differentialrechnung Satz 9.44. Sei f : I → R stetig und differenzierbar im Inneren f konvex ⇐⇒ f 0 (x1 ) ≤ f 0 (x2 ) ∀x1 < x2 f streng konvex ⇐⇒ f 0 (x1 ) < f 0 (x2 ) ∀x1 < x2 Korollar 9.45. Sei f wie im Satz 9.44 aber 2-mal differenzierbar im Inneren f konvex ⇐⇒ f 00 ≥ 0 f streng konvex ⇐ f 00 > 0 Beispiel 9.46. Sei f (x) = x4 . f ist streng konvex und f 00 (x) = 12x2 . Deswegen f 00 (0) = 0 Bemerkung 9.47. Sei f differenzierbar überall und 2 mal differenzierbar ain einer Stelle x0 mit f 0 (x0 ) = 0. Falls • f 00 (x0 ) > 0 =⇒ x0 ist ein lokales Minimum • f 00 (x0 ) < 0 =⇒ x0 ist ein lokales Maximum Nehmen z.B. dass f 0 (x0 ) = 0, f 00 (x0 ) > 0. Dann ∃ε so dass f 0 (x) > 0 ∀x ∈]x0 − ε, x0 [ und f 0 (x) < 0 ∀x ∈]x0 , x0 + ε[ In der Tat, lim x→x0 f ‘(x) f 0 (x) − f 0 (x0 ) = f 00 (x0 ) =⇒ lim = f 00 (x0 ) > 0 x→x0 x − x0 x − x0 =⇒ ∃ε : f 0 (x) > 0 ∀x ∈]x0 − ε, x0 + ε[\ {x0 } x − x0 =⇒ f 0 (x) > 0 ∀x ∈]x0 , x0 + ε[ =⇒ f 0 (x) < 0 ∀x ∈]x0 − ε, x0 [. Lemma 9.48. (42) ⇐⇒ f (λx1 + (1 − λ)x2 ) ≤ λf (x1 ) + (1 − λ)f (x2 ) ∀x1 < x2 ∀λ ∈]0, 1[ Beweis. x1 < x2 x2 − x x − x1 f (x1 ) + f (x2 ) ∀x ∈]x1 , x2 [ x2 − x1 x2 − x1 f (x) = Wir setzen λ = (43) x2 −x x2 −x1 ∀x ∈]x1 , x2 [ =⇒ λ = x2 − x ∈]0, 1[ x2 − x1 ∀λ ∈]0, 1[ =⇒ x = λx1 + (1 − λ)x2 ∈]x1 , x2 [ x2 − x λ= ⇐⇒ λ(x2 − x1 ) = x2 − x ⇐⇒ x = λx1 + (1 − λ)x2 x2 − x1 Wir schliessen dass die Abbildung ]0, 1[3 λ 7→ λx1 + (1 − λx2 ) ∈]x1 , x2 [ bijektiv ist. Deswegen wir können λ statt x in der Identität (43) nutzen. Aber λ= x2 − x x2 − x 6 x2 − x1 − 6 x2 + x x − x1 ⇐⇒ 1 − λ = 1 − = = x2 − x1 x2 − x1 x2 − x1 x2 − x1 Deswegen ist (43) equivalent zu f (λx1 + (1 − λ)x2 ) ≤ λf (x1 ) + (1 − λ)f (x2 ) 59 9 Differentialrechnung Lemma 9.49. f : I → R ist genau dann konvex wenn für jedes Tripel x1 < x < x2 ∈ I die folgende Ungleichung gilt: f (x2 ) − f (x) f (x) − f (x1 ) ≤ x − x1 x2 − x (44) f ist genau dann streng konvex wenn für jedes Tripel x1 < x < x2 die echte Ungleichung in (44) gilt. Beweis. f (x) − f (x1 ) f (x2 ) − f (x) ≤ x − x1 x2 − x 1 1 f (x1 ) f (x2 ) ⇐⇒ f (x) + ≤ + x − x1 x2 − x x − x1 x2 − x x2 − x + x − x1 (x2 − x)(x − x1 ) ⇐⇒ f (x) (x − x1 )(x2 − x) x2 − x1 x2 − x x − x1 + f (x2 ) x2 − x1 x2 − x1 x2 − x x − x1 ⇐⇒ f (x) ≤ f (x1 ) + f (x2 ) x2 − x1 x2 − x1 ≤ f (x1 ) Beweis vom Satz 9.44. Konvexität =⇒ f 0 ist wachsend. f 0 (x) = lim f (x + h) − f (x) (x + h) − x f 0 (y) = lim f (y + h) − f (y) (y + h) − y h↓0 h↓0 h klein =⇒ x < x + h < y < y + h. In diesem Fall impliziert Lemma 9.49 die Ungleichungen: f (x + h) − f (x) f (y) − f (x + h) f (y + h) − f (y) ≤ ≤ (x + h) − x y − (x + h) (y + h) − y Deswegen f 0 (x) = lim h↓0 f (x + h) − f (x) f (y + h) − f (y) ≤ lim = f 0 (y) h↓0 (x + h) − x (y + h) − y Konvexität ⇐ f 0 wachsend. Sei x1 < x < x2 : Der Satz von Lagrange =⇒ ∃ξ1 ∈]x1 , x[ mit f (x) − f (x1 ) = f 0 (ξ1 ) x − x1 ∃ξ2 ∈]x1 , x[ mit f (x2 ) − f (x) = f 0 (ξ2 ) x2 − x NB: ξ2 > ξ1 . Weil f 0 (ξ2 ) ≥ f 0 (ξ2 ), gilt das Lemma 9.49 und Lemma =⇒ Konvexität. Der Beweis der zweiten Behauptung des Satzes ist analog. 9.8 Die Lagrange Fehlerabschätzung Definition 9.50. Sei f n-mal differenzierbar. Das Taylorpolynom mit Ordnung n an der Stelle x0 ist: Txn0 = n X f (i) (x0 ) (x − x0 )i i! T =0 60 9 Differentialrechnung Satz 9.51 (Lagrange Fehlerabschätzung). Sei f (n + 1)-mal differenzierbar in I und x0 ∈. ∀x ∈ I ∃ξ zwischen x0 und x so dass f (x) − Txn0 (x) = {z } | f (n+1) (ξ) (x − x0 )n+1 n + 1! (45) n (x) Rx 0 Bemerkung 9.52. Für n = 0 (45) ist: f (x) − f (x0 ) = f 0 (ξ)(x − x0 ) | {z } Tx0 (x) 0 f (x) − f (x0 ) = f 0 (ξ) x − x0 ⇐⇒ Deswegen die Lagrange Fehlerabschätzung ist eine Verallgemeinerung des Satzes von Lagrange. Beweis. Seien h(x) = Rxn0 (x) g(x) = (x − x0 )n+1 . und Es ist leicht zu sehen dass g(x0 ) = g 0 (x0 ) = . . . = g (n) (x0 ) = 0 h(x0 ) = h0 (x0 ) = . . . = h(n) (x0 ) = 0 und h(n+1) (x) = f (n+1) (x) ∀x . Deswegen, wir wenden n + 1 Mal den verallgemeinerten Mittelwertsatz (Satz von Cauchy) und schliessen: h(x) − h(x0 ) h(x) = g(x) g(x) − g(x0 ) = ··· Cauchy = Cauchy = h0 (ξ1 ) h0 (ξ1 ) − h0 (x0 ) = g 0 (ξ1 ) g 0 (ξ1 ) − g 0 (x0 ) Cauchy = h00 (ξ2 ) g 00 (ξ2 ) h(n+1) (ξn+1 ) f (n+1) (ξn+1 ) , = (n + 1)! g (n+1) (ξn+1 ) wobei: ξ1 eine Stelle zwischen x und x0 ist; ξ2 eine Stelle zwischen ξ1 und x0 ist; . . . ξn+1 eine Stelle zwischen ξn und x0 ist. Wenn wir ξ := ξn+1 setzen, dann f (x) − Txn0 (x) = Rxn0 (x) = h(x) = f (n+1) (ξ) f (n+1) (ξ) g(x) = (x − x0 )n+1 . (n + 1)! (n + 1)! Beispiel 9.53. Wir wissen schon dass ex = ∞ X xj j=0 ∀x ∈ R . j! Diese Identität kann man auch aus der Lagrange Fehlerabschätzung schliessen. Das Taylor Polynom mit Ordnung n in 0 ist T0n (x) = n X xj j=0 Sei x ∈ R fixiert. Rn+1 (x) j! . 0 }| { z n j X x x eξn xn+1 , e − = j! (n + 1)! j=0 61 9 Differentialrechnung wobei ξn eine Stelle zwischen x und 0 ist. Deswegen, |ξn | ≤ |x| und n n+1 0 x X x ≤ e|x| |x| e − j! (n + 1)! j=0 Wir wissen schon dass |x|n+1 = 0. n→∞ (n + 1)! lim (46) (47) (In der Tat, sei N so dass N ≥ 2|x|. Dann |x|n+1 |x|N |x| |x| |x| |x|N = ··· ≤ (n + 1)! N! N + 1 N + 2 n+1 N! n+1−N ! 1 . 2 (46) und (47) implizieren dass ∞ j X x = f (x) − lim T0n (x) 0 ≤ f (x) − n→∞ j! j=0 |x|n+1 = lim R0n (x) = lim |R0n (x)| ≤ lim e|x| = 0. n→∞ n→∞ n→∞ (n + 1)! Beispiel 9.54. Sei f (x) = ln(x + 1) (Bem: das Taylorpolynom (bzw. die Taylorreihe) in 0 von f ist das Taylorpolynom (bzw. die Taylorreihe) von ln x an der Stelle 1.) Dann T0n (x) = n X f (j) (0) j=0 j! xj = n X (−1)j−1 j=1 j xj = x − x2 x3 x4 xn + − + · · · + (−1)n−1 2 3 4 n Wir wollen zeigen dass ln(x + 1) = n X xj (−1)n−1 j j=1 x3 x4 x2 + − + ··· =x− 2 3 4 (48) in einer Umgebung von 0. Sei x > −1. Die Lagrange Fehlerabschätzung impliziert: Rn (x) 0 n! }| { (n+1) z (ξn )| n+1 (1+ξn )n+1 f (x) − T0n (x) = |f |x| = |x|n+1 (n + 1)! (n + 1)! wobei ξn zwischen 0 und x liegt. Deswegen ξn > −1 und 1+ξn ≥ 1−|ξn | ≥ 1−|ξ|. Wir schliessen 1 |x|n+1 |R0n (x)| ≤ . (n + 1) (1 − |x|)n+1 Aber |x| ≤ 1 2 =⇒ |x| 1−|x| ≤ 1 und lim |R0n (x)| → n→∞ 1 ≤ lim =0 n→∞ n + 1 1 1 ∀x ∈ , 2 2 Falls x ∈]0, 1], dann ξn > 0 und |R0n (x)| ≤ |x|n+1 1 ≤ . n+1 n+1 Deswegen gilt die Gleichung (48) auch für x ∈]1/2, 1]. In der Tat, gilt diese Gleichung auch für x ∈] − 1, −1/2[, aber diesen Fall ist keine einfache Folgerung der Lagrange Fehlerabscätzung. P∞ j Ausserdem, die Reihe j=1 xj (−1)j hat Konvergenzradius R = 1. Deswegen ist die Gleichung (48) falsch wenn x > 1. 62 10 Integralrechnung 10 Integralrechnung Sei f : [x0 , x1 ] = I → R eine stetig nichtnegative Funktion. Das Ziel der Integralrechnung ist den Inhalt der folgenden Fläche zu finden: G = {(x, y) : x ∈ I und 0 ≤ y ≤ f (x)} 10.1 Treppenfunktion Definition 10.1. Eine φ : [a, b] → R heisst Treppenfunktion wenn ∃a = x0 < x1 < · · · < xn = b so dass φ in jedem Intervall ]xk−1 , xk [ konstant ist. Definition 10.2. Sei φ eine Treppenfunktion und x0 < x1 < . . . < xn wie oben. Falls ck der Wert von φ in ]xk−1 , xk [ ist, dann Z b n X f (x) d x := (xk − xk−1 )ck . a k=1 Bemerkung 10.3. Es ist leicht zu sehen dass die Zahl von der Verteilung ist. Rb a f (x) d x unabhängig Lemma 10.4. Für Treppenfunktionen φ, ψ und Zahlen α, β ∈ R gilt: 1. αφ + βψ eine Treppenfunktion ist und Z b Z b Z (αφ + βψ) d x = α ψdx + β a a b ψdx a 2. |ψ| eine Treppenfunktion ist und Z Z b b ψ d x ≤ |ψ| d x ≤ (b − a) max φ(x) a x∈[a,b] a 3. Falls φ ≤ ψ (d.h. φ(x) ≤ ψ(x)∀x ∈ [a, b]), dann Z b Z b φdx ≤ ψdx a a Beweis. 1 ∃a = x0 < x1 < · · · < xn = b so dass φ|]xk ,xk+1 ≡ konst und ∃a = y0 < y1 < · · · < yn = b so dass φ|]yk ,yk+1 ≡ konst Seien a = z0 < z1 < . . . < zN = b so dass {x0 , · · · , xn , y0 , · · · ym } = {z0 < z1 < · · · < zN } Dann: ∀k ∈ {1, . . . , N } φ|]zk−1 ,zk [ ≡ ck ∈ R ψ|]zk−1 ,zk [ ≡ dk ∈ R F := αφ + βψ ist konstant in jedem ]zk−1 , zk [ und das beweist dass F eine Treppenfunktion ist. Ausserdem, F |]zk−1 ,zn [ = αck + βdk , b Z φ= a Z und Z b F = a N X k=1 (zk − zk−1 )ck , k=1 b ψ= a N X N X (zk − zk−1 )dk k=1 (zk − zk−1 )(αck + βdk ) = α N X (zk − zk−1 )ck + β k=1 63 N X k=1 (zk − zk−1 )ck 10 Integralrechnung Z =α b b Z φ+β ψ a a 2 Seien a = x0 < x1 < · · · < xn = b mit φ|]xk−1 ,xk = ck ∈ R Dann |φ||]xk−1 ,xk = |ck | ∈ R . |φ ist eine Treppenfunktion und n Z b Z b n X X |φ| . φ| = (xk − xk−1 )cn ≤ (xk − xk−1 )|ck | = | a a k=1 k=1 3 ist eine einfache Folgerung der gleichen Ideen. 10.2 Regelfunktion Definition 10.5. Eine Abbildung f : [a, b] → R heisst Regelfunktion falls ∃fn : [a, b] → R (Folge von Funktionen), so dass: • Jede fn eine Treppenfunktion ist • ! sup |fk (x) − f (x)| lim k→∞ =0 x∈[a,b] | {z } :=kfk −f k Satz 10.6. Sei f eine Regelfunktion. Seien {fn } und {gn } zwei Folgen von Treppenfunktionen, welche die zwei Bedingungen in efinition 10.5 erfüllen. Dann: Z b Z b lim fk = lim gk (∈ R) k→∞ a k→∞ a Definition 10.7. Sei f eine Regelfunktion und {fk } eine Folge welche die zwei Bedinungen in Definition 10.5 erfüllen. Dann existieren die Grenzwerte Z b Z b f (x) d x und lim fk (x) d x . k→∞ a a existieren. Ausserdem, sie sind gleich und gehören zu R. Rb Der Satz 10.6 garantiert dass a f wohldefiniert ist! Bemerkung 10.8. Es ist leicht zu sehen dass (R b f ≥0 Rab Rb f = − a (−f ) ≤ 0 a falls f ≥ 0 falls f ≤ 0 Deswegen, wenn f ≤ 0, der Inhalt von G := {(x, y) : x ∈∈ I und f (x) ≤ y ≤ 0} Rb ist − a f . Beweis vom Satz 10.6. Zuerst bemerken wir dass, ∀k, i, Z Z b Z b b fi = (fk − fi ) ≤ fk − a a a (b − a) sup |fk − fi |(x) ≤ (b − a) sup {|fk − f |(x) + |f − fi |(x)} x∈[a,b] x∈[a,b] ! ≤ (b − a) sup |fk − f |(x) + sup |f − fi |(x) x∈[a,b] x∈[a,b] 64 10 Integralrechnung = (b − a) (kfk − f k + kf − fi k) Sein nun ε > 0. Dann, ∃N so dass kf − fj k < ε/(2(b − a)) ∀i ≥ N . Dann, wenn k, i ≥ N , Z Z b b fi < ε . f − a k a =⇒ (ak ) = R b a Z b fk ist eine Cauchyfolge =⇒ ∃ lim fk ∈ R k→∞ a (Wir bemerken hier eine wichtige Eigenschaft der Norm k · k: kf + gk ≤ kf k + kgk (49) In der Tat |sup f (x) + g(x)| ≤ sup|f (x)| + |g(x)| ≤ sup|f (x)| + sup|g(x)| . x x x x Die (49) ist ähnlich zur Dreiecksungleichung |a + b| ≤ |a| + |b|.) Ausserdem, Z Z b Z b ! Z b Z b b fk − gk = lim (fk − gk ) fk − lim gk = lim lim k→∞ k→∞ a k→∞ k→∞ a a a a Z b ≤ a |fk −gk | ≤ lim (b−a) kfk − gk k ≤ (b−a) lim kfk − f k + kgk − f k = 0 k→∞ k→∞ | {z } | {z } →0 b Z =⇒ lim k→∞ Z fk = lim k→∞ a →0 b gk . a Satz 10.9. Eine stetige Funktion f : [a, b] → R ist eine Regelfunktion. Beweis. Sei k ∈ N \ {0}, f stetig, [a, b] kompakt. f ist gleichmässig stetig. Wir setzten ε = k1 in der Definition der gleichmässigen Stetigkeit. =⇒ ∃δ > 0 |x − y| < δ =⇒ |f (x) − f (y)| < 1 k Seien x0 := a , x1 := a + δ, ... xN := a + N δ, xN +1 = b wobei N = max {k, a + kδ < b}. x +x Sei yj = j−12 j (der Mittelpunkt von I = [xj−1 , xj ]). Wir definieren ( fk (x) = f (yj ) x ∈ [xj−1 , xj [ fk (x) = fk (x) = f (yN +1 ) x = b Wir bemerken dass kf − fk k = sup|fk (x) − f (x)| < x∈I 1 k In der Tat, falls x ∈ I, dann x ∈ [xj−1 , xj [ oder x ∈ [xN , xN +1 ]. Deswegen, |x − yj | ≤ 2δ oder |x − yN +1 | ≤ 2δ . =⇒ |f (x) − fk (x)| = |f (x) − f (yj )| < 1 k 1 k ∀k ist fk eine Treppenfunktion und kfk − f k → 0 für k → +∞ oder |f (x) − fk (x)| = |f (x) − f (yN +1 )| < 65 10 Integralrechnung Bemerkung 10.10. Da fk eine Treppefunktion ist, N +1 X b Z (xj − xj−1 )f (yj ) . fk = a j=1 Die Summe N +1 X (xj − xj−1 )f (yj ) (50) j=1 Rb konvergiert gegen a f wenn N → ∞. Es ist nicht nötig dass yj der Mittelpunkt des Intervalls [xj−1 , xj ] ist. Die gleiche Konvergenz erreicht man für beliebige Stellen yj ∈ [xj−1 , xj ]. In diesem Fall heisst die Summe in (50) eine Riemannsche Summe. Korollar 10.11. Eine “stückweise stetige” Funktion auf [a, b] ist auch eine Regelfunktion. ( Eine Funktion heisst stückweis Stetig wenn ∃a = x0 < x1 < · · · < xn = b s.d. • f ist stetig überall auf ]xj−1 , xj [ • ∀j ∈ {0, · · · , n} lim f (x) ∈ R lim f (x) ∈ R . und x↓xj x↑xj Theorem 10.12. Seien f, g : [a, b] → R Regelfunktionen und α, β ∈ R • Linearität αf + βg ist auch eine Regelfunktion und Z b Z b Z b (α + βg) = α f +β g a a a • Dreiecksungleichung Z b f ≤ |b − a| kf k a • Monotonie b Z b Z f≤ a g falls f ≤ g a • ∀a < c < b: b Z Z c f= a b Z f+ f a (51) c • Mittelwertsatz Falls f stetig ist, ∃ξ]a, b[ so dass b Z f = f (ξ)(b − a) a Beweis. Linearität. Seien fk , gk Treppenfunktionen mit kfk k → 0, kg − gk k → 0. αfk + βgk ist auch eine Treppenfunktion und k(αf + βg) − (αfk − βgk )k ≤ |α| kf − fk k + |β| kg − gk k → 0 Z b b Z (αf + βg) = lim k→∞ a Z = lim α k→∞ Z (αfk + βgk ) = lim (α k→∞ a b Z b fk + lim β a k→∞ Z gn = α lim k→∞ a Z =α b Z f +β a g b 66 a b gk ) a a b Z fk + β lim a b Z fk + β k→∞ b gk a 10 Integralrechnung Dreiecksungleichung Sei fk wie oben. Dann −kf − fk k ≤ kf k − kfk k ≤ kf − fk k (aus der Dreiecksungleichung für die Norm k · k. Deswegen Z Z b b fk ≤ lim(b − a)kfk k = (b − a)kf k . f = lim a k k a Monotonie Seien fk und gk wie oben. Wir definieren f˜k := fk + kf − fk k (deswegen f˜k ≥ f ) und g˜k := gk + kg − gk k (deswegen g ≥ g˜k ). Dann, f˜k ≥ f ≥ g ≥ g˜k und Z b Z b Z b Z b f = lim f˜k ≥ lim g˜k = g k→∞ a k→∞ a a a (51) Sei fk wie oben. Die Identität folgt aus der entsprechenden Identitäten für die Funktionen fk . Zwischenwertsatz Die Monotonie impliziert: Z b (b − a) min f ≤ f ≤ (b − a) max f a Der Zwischenwertsatz für stetige Funktionen impliziert die Existenz einer Stelle ξ ∈]a, b[ mit Rb f f (ξ) = a . b−a 10.3 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Das Integral ist eine Art “Umkehrung” der Ableitung! Definition 10.13. Wir setzen: Z b Z f := − a a f falls b < a b b Z f := 0 falls a = b a Theorem 10.14 (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung). Sei f : I → R eine R x stetige Funktion und a ∈ I eine beliebige Stelle. Wir definieren F (x) := a f (y) d y. Dann ist F differenzierbar und F 0 (x) = f (x) ∀x ∈ I (d.h. F ist eine Stammfunktion von f ). Bemerkung 10.15. F Stammfunktion von f =⇒ F + c0 ist auch eine Stammfunktion von f : Stammfunktionen sind nicht eindeutig! Beweis. Sei x ∈ I. Wir wollen zeigen dass f (x) = lim h→0 F (x + h) − F (x) . h (52) Falls h > 0, F (x + h) − F (x) 1 = h h Z x+h Z f (y) d y − a ! x f (y) d y a = 1 h Z x+h f (y) d y . x Ausserdem, Z F (x + h) − F (x) 1 x+h 1 − f (x) = f (y) d y − hf (x) h h x h Z Z Z 1 x+h 1 x+h 1 x+h = f (y) d y − f (x) d y = (f (y) − f (x)) d y . h x h x h x 67 10 Integralrechnung Sei ε > 0: ∃δ > 0 so dass |y − x| < δ =⇒ |f (y) − f (x)| < ε. Für h < δ: Z Z 1 Z x+h 1 x+h 1 x+h (f (y) − f (x)) d y ≤ |f (y) − f (x)| d y ≤ εdy = ε h x h x h x =⇒ lim h↓0 1 h Z x+h (f (y) − f (x)) d y = 0 =⇒ (52) x Im Fall h < 0, wir setzen h = −k (k > 0) und schliessen 1 1 F (x) − F (x − k) (F (x + h) − F (x)) = (F (x − k) − F (x)) = h −k k ) (Z Z x−k Z x 1 x 1 f (y) d y − f (y) d y = f (y) d y = k k x−k a a Gleiche Idee wie oben 1 =⇒ lim k↓0 k Z x f (y) d y = f (x) x−k Bemerkung 10.16. Sei f eine Funktion f : [a, b] → R. Seien F, G : [a, b] → R zwei Stammfunktionen von f . (F − G)0 = F 0 − G0 = f − f = 0 =⇒ F − G = konstant Korollar 10.17. Sei f : [a, b] → R eine stetige Funktion. Se G : [a, b] → R eine Stammfunktion. Dann: b Z f (x) d x = G(b) − G(a) =: G|ba a Beweis. F (x) = Rx a f (y) d y, x > a. F 0 (x) = f (x) ∀x > a (NB: Der Beweis oben impliziert die Differenzierbarkeit auch an der Stelle a, wobei (wegen unserer Konvention) F (a) = 0. Ausserdem, die Stetigkeit an dieser Stelle kann man wir folgt sehen Z x Z x | f (y) d y| ≤ |f (y)| d y ≤ M (x − a) a Deswegen F (a) := 0. ( a Ra a f (x) d x := 0 und Rx a f (y) d y = − Ra x f (y) d y ) Zusammenfassung • F − G ist differenzierbar auf [a, b] • (F − G)0 = f − f = 0 =⇒ F (x) = G(x) + c Z b f (y) d y = F (b) − F (a) = (F (b) − c) − (F (a) − c) = G(b) − G(a) =⇒ a 68 10 Integralrechnung Beispiel 10.18. f (x) = x2 . A := {(x, y) : |x|leq1, x2 ≤ y ≤ 1} und B := {(x, y) : |x|leq1, 0 ≤ y ≤ x2 }. Inhalt von A = 2 − Inhalt | {zvon B} |B| f (x) = x2 G(x) = x3 3 G0 (x) = x2 = f (x) 1 Z 1 1 x3 1 2 f (x) d x = |B| = = 3 − −3 = 3 3 −1 −1 Beispiel 10.19. Wir wollen den √ Inhalt des Kreis K mit Mittelpunkt (0, 0) und Radius 1 rechnen. Sei f (x) = 1 − x2 und A := {(x, y) : 0 ≤ x ≤ 1, 0 ≤ y ≤ f (x). Dann Z 1p |K| = 4|A| = 4 1 − x2 d x (53) 0 Das Ingeral in (53) ist nicht so einfach zu bestimmen. Wir bemerken dass die Ableitung des Arcsinus “fast” f ist: arcsin0 (x) = √ 1 . 1 − x2 In der naechsten Kapitel werden wir diese Bemerkung nuzten um das Integral in (53) zu bestimmen. Dafür brauchen wir eine wichtige Methode der Integrationsrechnung. 10.4 Integrationsmethoden • Partielle Integration • Substitutionsregel Satz 10.20. [Partielle Integration] Seien f, g : [a, b] → R stetig und F, G entsprechende Stammfunktionen. b Z Z F G|ba F (x)g(x) d x = b − a f (x)G(x) d x (54) a Beweis. b Z (54) ⇐⇒ a (F (x)g(x) + f (x)G(x)) d x = F G|ba | {z } (55) h(x) 0 0 (F G)(x) = F (x)G (x) + F (x)G(x) = F (x)g(x) + f (x)G(x) F G(x) ist eine Stammfunktion von h. h ist stetig! Hauptsatz der Differentialund Integralrechnung =⇒ (55) Beispiel 10.21. Wir rechnen nun das Integral in (53). Z 1 p 1− x2 Z dx = 0 0 F (x) = f (x) = F 0 (x) = 1 p 1 − x2 g(x) d x | {z } |{z} F (x) 1 p 1 − x2 − 6 2x x √ = −√ 6 2 1 − x2 1 − x2 g(x) = 1 G(x) = x 69 10 Integralrechnung Leider, könnten wir den Satz 10.20 nicht direkt anwenden, weil f (x) nicht definiert in x = 1 ist (in der Tat limx→1 f (x) = −∞ und deswegen besitzt f keine stetige Fortsetzung auf [0, 1]). Aber: Z 1−ε p Z 1p 2 1 − x d x = lim 1 − x2 d x ε↓0 0 Satz10.20 = lim p ε↓0 0 1−ε Z 2 + 1 − x x 0 1−ε 0 x2 √ dx 1 − x2 Z 1−ε 1 x2 2 √ = 1 − x x + lim dx 1 − x2 | {z }0 ε↓0 0 p =0 1−ε x2 − 1 1 √ +√ dx ε↓0 0 x2 − 1 x2 − 1 Z 1−ε Z 1−ε p dx √ = lim − 1 − x2 d x + lim ε↓0 0 ε↓0 0 1 − x2 Z 1p 1−ε =− 1 − x2 + lim arcsin Z = lim ε↓0 0 1 Z =− 0 0 1 Z =− p 1 − x2 + π 2 0 1 Z =− 0 Wir schliessen Z 1 p 0 1 p 1 − x2 + arcsin −0 p π 1 − x2 + 2 1 − x2 d x = − Z 0 1 p 1 − x2 d x + 0 Z 1 =⇒ 2 p 1 − x2 d x = 0 π 2 π 2 Deswegen, der Inhalt des Kreis mit Mittelpunkt (0, 0) und Radius 1 ist π (siehe Beispiel 10.19)! Satz 10.22 (Substitutionsregel). Seien f : [a, b] → R und g : f ([a, b]) → R zwei | {z } [m,M ] stetige Funktionen (m = min[a,b] f , M = max[a,b] f ). Falls f differenzierbar ist mit f 0 stetig, dann b Z Z 0 f (b) g(f (x))f (x) d x = a g(y) d y f (a) Beweis. Sei G eine Stammfunktion von g. (Später: warum gibt es eine solche Stammfunktion?) Z b G0 (f (x)f 0 (x) d x = a Z b a a Z b (G(f (x)))0 d x = G ◦ f b =⇒ g(f (x))f 0 (x) d x = G(f (b)) − G(f (a)) A f (b) Z = G = f (a) f (b) g(y) d y f (a) Zur Existenz der Stammfunktion. Diese wird vom Hauptsatz der DifferentialRx und Integralrechnung garantiert! In der Tat ist G(x) := m g(y)dy eine Stammfunktion von g. 70 10 Integralrechnung Bemerkung 10.23. Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung entählt das erste Beispiel eines Existenzsatzes für Differentialgleichungen, d.h. die Existenz der Lösungen dieser Differentialgleichung: F0 |{z} = f |{z} Die Unbekannte 10.5 bekannt Uneigentliche Integrale Definition 10.24. Sei I =]a, b[ (wobei −∞ ≤ a < b ≤ +∞; z.B. I =]−∞, ∞[= R ist eine Möglichkeit). Sei f : I → R so dass ∀a < α < β < b f |[α,β] eine Regelfunktion ist Falls c ∈ I und β Z ∈R lim β↑b und b Z β↑b Rb a c f + lim β↑b a c Z f := lim Bemerkung 10.25. in I. Dann: Z lim α↓α β Z ∈R lim c dann definieren wir α Z f a↓0 c α f hängt nicht von c ab! In der Tat, sei c̃ eine andere Stelle b β Z f− f = lim β↑b c̃ ! c̃ Z Z f c β c̃ f− = lim β↑b c Z c f c und analog Z c̃ lim Z c Z f = lim α↓a f+ α↓a α c̃ f α c Deswegen Z lim β↑b b Z c̃ f + lim c̃ β Z β↑b α Z = lim β↑b Z f− f = lim α↓a c̃ Z f + lim c α↓a c β Z Z f+ α c̃ f c c f + lim f a↓0 c c α Definition 10.26. (Absolute Integrierbarkeit) Sei I wie oben. Eine Abbildung f : I → R ist absolut integriebar falls • f |[α,β] eine Regelfunktion ist ∀a < α < β < b • Z b Z |f |∞ = a β |f | < ∞ lim α↓a,β↑b α Bemerkung 10.27. f Regelfunktion auf [α, β] =⇒ |f | Regelfunktion auf [α, β]. f Regelfunktion: ∀ε > 0 ∃g Treppenfunktion mit kf − gk < ε. |g| ist eine Treppenfunktion k|f | − |g|k < ε. (||f |(x) − |g|(x)| ≤ |f (x) − g(x)| =⇒ k|f | − |g|k ≤ kf − gk) Rb Satz 10.28. Absolute Integrierbarkeit =⇒ a f existiert. Rb Beweis. a |f | existiert =⇒ ∀x0 ∈ I Z x0 Z x0 lim |f | ∈ R =⇒ lim f existiert α↓a α Z x0 Z β↑b β 71 (56) α x0 |f | ∈ R =⇒ lim lim β↑b α↓a f existiert β (57) 10 Integralrechnung Beweis von (56) Sei F (α) := R a lphax0 |f |. Die Existenz von lim F (α) =⇒ α↓a die Cauchy Eigenschaft: ∀ε > 0 ∃δ so dass, wenn ã, ā ∈]a, a + δ[ dann |F (ã) − F (ā)| < ε Aber Z x0 Z x0 Z ā |f | < ε |f | = |f | − |F (ã) − F (ā)| = ã ā ã Rx Sei nun G(α) := α 0 f . Für a < ã ≤ ā < a + δ: Z |G(ã) − G(ā)| = ā ã ā Z f ≤ |f | < ε . ã =⇒ G erfüllt die Cauchy Bedingung =⇒ lim G(α) ∈ R α↓a (57) folgt aus der gleichen Idee. Rb Beispiel 10.29. Es gibt f mit a f < +∞ die aber nicht absolut integrierbar sind. 1 1 f (x) = (−1)n n für x ∈ , (n ∈ N \ {0}) n+1 n f :]0, 1] → R und ∀α > 0 ist f |[α,1] offenbar (f |[α,1] ist in der i i eine Regelfunktion 1 1 Tat eine Treppenfunktion!). Sei nun α ∈ N +2 , N +1 . Dann gilt: Z N X 1 1 f (x) d x = α 1 − n n+1 n=1 n n(−1) + (N + 1) 1 − α (−1)N +1 N +1 Beachte, dass: • N X 1 n=1 • (−)n n=1 n+1 P∞ n 1 n+1 − n(−1)n = N X 1 (−1)n n + 1 n=1 konvergiert • 0 ≤ (N +1) 1 −α N +1 Z Z 1 1 − N +1 N +2 = 1 N +2 N →∞ → 0 f . ABER: α 1 |f (x)| d x ≥ α ≤ (N +1) 1 Somit existiert lim α↓0 N X 1 n=1 1 − n n+1 n= N X 1 n + 1 n=1 1 und n+1 divergiert! (Harmonische Reihe). Also ist f integrierbar aber nicht absolut integrierbar. P Korollar 10.30. (Majorantenkriterium) Sei f : I → R so dass • f |[α,β] ist eine Regelfunktion ∀α < β ∈ I • |f | ≤ g und g ist integrierbar auf I. Dann ist f auch absolut integrierbar Bemerkung 10.31. 10.30 ist sehr nützlich, um die Integrierbarkeit einer Funktion zu berweisen. 72 10 Integralrechnung Beispiel 10.32. Z ∞ 2 e−x d x ∈ R −∞ 2 2 Tatsächlich ist auf [1, +∞[: e−x ≤ xe−x und −∞ Z 2 xe−x d x 1 R Z 2 xe−x d x = lim R→∞ 1 R 1 −x2 = lim − e R→∞ 2 x=1 = lim R→∞ 1 −1 1 −R e − |{z} e 2 2 ! →0 1 = 2e 2 2 Analog benutzt man nun e−x ≤ −xe−x für x ∈] − ∞, −1]. Bemerkung 10.33. Korollar 10.30 kann auch benutzt werden, um die Konvergenz von Reihen zu beweisen. P∞ Korollar 10.34 (“Integralkriterium” für Reigen). Sei n=0 an eine Reihe. Definiere f : [0, +∞] durch f (x) = an , falls x ∈ [n, n + 1[ (n ∈ N). Dann gilt: +∞ Z f existiert ⇐⇒ 0 ∞ X an konvergiert n=0 und so: ∞ X f ist absolut integrierbar ⇐⇒ an konvergiert absolut n=0 Beweis. “⇐” R Z Z N f= 0 Z 0 und Z N f= 0 R f (N = bRc) f+ N N −1 X an → n=0 ∞ X an < ∞ n=0 P Ausserdem, da an konvergiert, ist an eine Nullfolge. Und so Z R f = |(R − N )aN | ≤ |aN | → 0 für R → +∞ N R N +1 P∞ f = n=0 an , und da Nlim 0 →∞ P Konvergenz von an . “ =⇒ ” Z N +1 f existiert, folgern wir die 0 Beispiel 10.35. X n≥2 1 <∞ n(ln n)2 Wir werden Korollar 10.34 zwischen 3 und ∞ statt 0 und ∞ anwenden. Seien f (x) = n(ln1n)2 falls x[n, n + 1[ (n ≥ 3) und g(x) = x(ln1x)2 . Beachte: ln x > 0 ∀x > 1. Somit, falls x ∈ [n, n + 1[ mit n ≥ 3 gilt n > x − 1, ln n > ln(x − 1) ≥ ln(n − 1) ≥ ln 2 > 0 73 10 Integralrechnung 1 1 < = g(x − 1) n(ln n)2 (x − 1)(ln(x − 1))2 =⇒ f (x) = Aber: +∞ Z +∞ Z g(x − 1) d x = g(x) d x 3 +∞ Z R 1 1 d x = lim dx 2 R→∞ x(ln x) x(ln x)2 2 2 R 1 1 1 = lim − − lim = R→∞ ln x x=2 ln 2 R→∞ ln | {z R} Z = 2 =0 1 = < +∞ ln 2 und so: X n≥2 X 1 1 1 = + n(ln n)2 2(ln 2)2 n(ln n)2 n≥3 1 1 + ≤ < +∞ 2 2(ln 2) ln 2 10.6 Integration einer Potenzreihe Zur Erinnerung: P P Satz 10.36.PIst fn = an xn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R, so konvergiert fn normal auf jedem Intevall [−ρ, ρ] mit 0 < ρ < R Zun`‘achst beweisen wir den folgenden Satz. Als Korollar erhalten wir eine entsprechende Potenzreihedarstellung für das Integral einer Potenzreihe. P Satz 10.37. Ist f = fn eine Reihe von Regelfunktionen auf [a, b], welche auf [a, b] normal konvergiert, so ist f selber eine Regelfunktion auf [a, b] und es gilt: Z b f= XZ a b fn (58) a Beweis. Sei ε > 0. Wähle N so dass +∞ X kfn k < n=N +1 ε 2 sowie Treppenfunktion gn mit kfn − gn k < Dann ist g := ε ∀n ∈ {0, . . . , N } 2n+1 PN n=0 gn eine Treppenfunktion und es gilt: n N X X |f (x) − g(x)| = lim fk (x) − gk (x) n→∞ k=0 ≤ N X n→∞ ≤ N X kfk − gk k + n=0 N X k=0 n X |fk (x) − gk (x)| + lim k=0 < k=0 +∞ X kfk k k=N +1 +∞ ε2−k−1 + |fk (x)| k=N +1 ε ε ε X −k−1 ε < 2 + = + =ε 2 2 2 2 k=0 74 10 Integralrechnung =⇒ f iste eine Regelfunktion. Es gilt damit auch: N Z Z Z N Z b X b b b X ε (fn − gn ) < (b − a)ε + (b − a) f− fn ≤ (f − g) + a 2 a a a n=0 n=0 aber auch: ∞ Z Z b k N Z b X b X X fn | fn − fn = lim | k→∞ a a a n=0 n=0 ≤ k X n=N +1 (b − 1) kfn k < (b − a) n=N +1 ε 2 Folglich: Z ∞ Z b b X f− fn < 2ε(b − a) a a n=0 Da ε beliebig war, folgt (58). P+∞ Korollar 10.38. Sei f (x) = Rn=0 an xn eine analytische Funktion mit Konverx genzradius R. Dann ist F (x) = 0 f (y) d y ebenfalls analytisch. Ihre Potenzreihe ist gegeben durch +∞ X an n+1 x (59) F (x) = n +1 n=0 und der Konvergenzradius ist R. Beweis. Gleichung (59) für |x| < R ist ein Korollar von Satz 10.36 und Satz 10.37. Der Konvergenzradius ist 1 R0 = lim supn→+∞ = 1 lim supn→+∞ Beispiel 10.39. √ n x Z ln(1 + x) = 0 q n an an n+1 =R dy 1+y aber für |x| < 1 +∞ X 1 = (−1)n xn 1 + x n=0 und so: ln(1 + x) = +∞ X (−1)n n+1 x n+1 n=0 Beispiel 10.40. Z x arctan x = 0 1 dy 1 + y2 und für |x| < 1 +∞ X 1 = (−1)n x2n 1 + x2 n=0 und so +∞ X (−1)n 2n+1 arctan x = x 2n + 1 n=0 75 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen Die Unbekannte ist eine Funktion y : I → R (oder C), wobei I eine Teilmenge von R ist (in diesem Kapitel ist D immer ein Intervall, eine Halbgerade oder die ganze reelle Gerade). Die gewöhnliche Differentialgleichung hat die Gestalt hat die Gestalt: F (t, y(t), y 0 (t), · · · , y (h) (t)) = 0 ∀t ∈ I . (60) F ist eine (bekannte!) Abbildung von I × R × R × ... × R {z } | h + 1 Mal bzw. I × C × C × ... × C | {z } h + 1 Mal nach R (bzw. C). Eine Lösung von (60) ist eine Funktion die h Mal differenzierbar auf I ist und so dass die Identität (60) für alle t ∈ I gilt. Manchmal ist die Abbildung F nur auf eine Teilmenge A ⊂ I ×R×R×. . .×R definiert. In diesem Fall ist eine Lösung eine Funktion y so dass • (t, y(t), y 0 (t), . . . , y (h) (t)) ∈ A ∀t ∈ I; • die Identität (60) gilt ∀t ∈ I. Beispiel 11.1. Sei g : [a, b] → R. Wir haben schon die Differentialgleichung y 0 (t) − g(t) = 0 ∀t ∈ [a, b] (61) gesehen (d.h. y ist eine Stammfunktion von g). In diesem Fall ist die Abbildung F : [a, b] × R × R → R durch die Formel F (t, y, z) = z − g(t) gegeben. Falls g eine stetige Funktion ist, dann ist Z t y(t) := g(s) d s a Rt eine Lösung von 60. In der Tat, ∀c0 ∈ R y(t) = c0 + a g(s) d s ist auch eine Lösung. Umgekehrt, jede Lösung von (60) ist durch diese Formel gegeben. EiRt gentlich, sei y eine solche Ls̈oung. Wir defieren ỹ(t) := y(t) − a g(s) d s.ỹ ist differenzierbar auf [a, b] und ỹ 0 = 0 überall auf I. Aus dem Satz von Lagrange folgt Z t =⇒ ỹ = Konstante c0 =⇒ y(t) = c0 + g(s) d s, . a Wir haben deswegen den folgenden Satz bewiesen. Satz 11.2. Sei g eine stetige Funktion: Z t y löst (61) ⇐⇒ ∃ε mit y(t) = c0 + g(s) d s∀t ∈ [a, b] a Beispiel 11.3. Sei p ein Teilchen. y(t) := die Position von p zum Zeitpunkt t y(t) = (y1 (t), y2 (t), y3 (t)), . In unserem Modell nehmen wir an dass die Bewegungen des Teilchens auf einer Gerade eingeschränkt sind, d.h. y(t) ∈ R. Aus der Newtonsche Gesetz folgt ma = F . a ist die Beschleunigung des Teilchens, d.h. a(t) = y 00 (t). F (t) ist die Kraft auf dem Teilchens zum Zeitpunkt t. Oft hängt diese Kraft nur von der Position des Teilchens, d.h. F (t) = g(y(t)), wobei g eine bekannte Funktion ist. Manchmal hängt die Kraft auch von der Geschwindigkeit und die entsprechende Formel hängt auch von der Zeit ab. D.h. F = f (t, y(t), y 0 (t)). m ist das Mass des Teilchens: in der klassischen Mechanik ist es eine positive Konstante. Deswegen ist die Funktion y eine Lösung der Differentialgleichung. my 00 (t) − f (t, y(t), y 0 (t)) 76 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen Beispiel 11.4. A(t) ist die Anzahl Tiere in einem Welt, geteilt durch das Maximum (und es gibt so viele Tiere dass wir A als eine reelwertige Funktion beschreiben können). Die Wachstum von A ist dann A0 (t) = f (A(t)) − g(1 − A(t)) wobei f, g : [0, 1[→ R zwei wachsende Funktionen sind und lims→1 g(s) = +∞. Zum Beispiel K1 , A0 (t) = K0 A(t) − 1 − A(t) wobei K0 und K1 zwei positive Konstante sind. (In der Literatur: “VolterraLotka population models”). 11.1 Lineare gewöhnliche Differentialgleichungen Definition 11.5. Inhomogene LDG: g, h bekannt: I → R, y unbekannt y 0 (t) = g(t)y(t) + h(t), . (62) Für h(t) = 0 ist das eine homogene DGL: y 0 (t) = g(t)y(t) (63) Bemerkung 11.6. Falls y1 , y2 : I → R (63) lösen, dann ist auch jede lineare Kombination von y1 , y2 eine Lösung von (63) (eine lineare Kombination von y1 und y2 ist eine Funktion y der Form y = λy1 + µy2 , wobei λ, µ ∈ R). Falls y und z zwei Lösungen von 62 sind, dann löst w := z − y 63: w0 (t) = (z − y)0 (t) = z 0 (t) − y 0 (t) = g(t)z(t) + h(t) − (g(t)y(t) + h(t)) = g(t) (z(t) − y(t)) | {z } w(t) =⇒ w0 (t) = y(t)w(t), . Die Zusammenfassung dieser Bemerkung ist den folgenden Satz. Satz 11.7. Sei V := {y : I → R die (63) löst}. V ist ein Vektorraum. Falls z eine Lösung von (61) ist, dann gilt: y löst (61) ⇐⇒ ∃v ∈ V : y = z + v . Der Satz 11.7 gilt auch für andere Differentialgleichungen (d.h. für die lineare Differentialgleichungen). Falls wir eine Basis für das Vektorraum V und eine spezielle Lösung von (61) kennen, dann haben wir eine allgemeine Formel fr̈ die ganzen Lösungen. Deswegen, betrachten wir zuerst die homogene Gleichung. y 0 (t) = y(t)g(t) Angenommen dass y > 0: y 0 (t) = g(t) y(t) 0 (ln(y(t))) = g(t) z(t) := ln(y(t)) =⇒ z 0 (t) = g(t) Falls g stetig ist: Z t g(s) d s z(t) = c0 + a y(t) = ez(t) = ec0 e Rt a g(s) d s 77 Rt = Ce a g(s) d s 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen Rt Bemerkung 11.8. ∀C ∈ R, y(t) = Ce ist! In der Tat, Rt 0 a g(s) d s g(s) d s Z löst (63), auch wenn C negativ t 0 g(s) d s y (t) = Ce a o n Rt g(s) d s g(t) = Ce a a Theorem 11.9. Sei g stetig. y löst 63 auf I ⇐⇒ ∃C ∈ R mit y(t) = Rt Ce a g(s) d s . (Zur Erinnerung: I ist entweder ein Intervall, oder eine Halbgerade, oder die ganze reelle Gerade. Ohne diese Annahme gilt die obige Behauptung nicht!) Beweis. Wir haben schon ⇐= bewiesen. Zur =⇒ , sei y(t) eine Lösung von 63. Wir definieren Rt z(t) := e− a y(s) d s y(t) g(t)y(t) 0 z (t) = −g(y)e − Rt a g(s) d s y(t) + e − Rt a ds z}|{ g(t) = 0 Beispiel 11.10. Wir finden nun eine Lösung von y 0 (t) = g(t)y(t) + h(t) Sei ȳ(t) := e− Dann ȳ 0 (t) = −g(t)e− Rt a g(s) d s Rt a g(s) d s y(t) + e− Rt a y(t) . g(s) d s (g(t)y(t)) + h(t) Rt = e− a g(s) d s h(t) Z t R τ ȳ(t) = e− a g(s) d s h(τ ) d τ 0 Rt y(t) = e a (s) d s Z t e− Rτ a g(s) d s h(τ ) d τ . a y ist eine “spezielle” Lösung von (62). Theorem 11.11. Seien g und h stetig. Dann gilt: y ist eine Lösung von (62) auf I ⇐⇒ ∃C ∈ R s.d. Z t Rt Rτ y(t) = e a g(s) d s C + e− a g(s) d s h(τ ) d τ (64) 0 11.2 Differentialgleichungen mit getrennten Variablen Wie wir im letzten Kapitel gesehem haben, die Differentialgleichung y 0 (t) = g(t)y(t) + h(t) hat undendlich viele Lösungen. In der Tat ist die Wahl der Konstante C in der Formel (64) frei. Das ist typisch für gewöhnliche Differentialgleichungen und normalerweise brauchen wir zusätzliche Informationen um die “freie” Konstante zu bestimmen. Definition 11.12. Ein Anfangswertproblem für die GDG g (n) (t) = F (t, y(t), y 0 (t), · · · , y (n−1) (t)) entählt die zusätzlichen Bedingungen y(t0 ) = y0 0 y (t0 ) = y1 ··· (n−1) y (t0 ) = yn−1 wobei t0 ∈ I und y0 , y1 , . . . , yn−1 ∈ R (bzw. C). 78 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen Eine GDG erster Ordnung mit getrennten Variablen ist eine Differentialgleichung der Form y 0 (t) = g(t)F (y(t)). In diesem Kapitel werden wir eine (lokale) Lösung für das folgende Anfangswertproblem finden: ( y 0 (t) = g(t)F (y(t)) (65) y(t0 ) = y0 Wir unterscheiden zwei Fälle: 1. F (y0 ) = 0. y(t) ≡ y0 ist eine Lösung von (65) weil F (y(t))g(t) = F (y0 )g(t) = 0 ∀t y 0 (t)0 ∀t 2. F (y0 ) 6= 0. Falls y :]a, b[→ R eine Lösung von (65) ist und F stetig ist: ∃δ > 0 so dass Dann F (y(t)) 6= 0 wenn t ∈]t0 − δ, t0 + δ[ y 0 (t) = g(t) ∀t ∈]t0 − δ, t0 + δ[ F (y(t)) Falls g stetig ist: Z t y 0 (t) = g(t) d t t0 t0 F (y(t)) Z y(t) Z t dσ =⇒ = g(t) d t y(t0 ) F (σ) t0 Z t Sei H eine Stammfunktion von 1 F : (und G eine Stammfunktion von g) H(y(t)) − H(y(t0 )) = G(t) − G(t0 ) G(t) − G(t0 ) + H(y0 ) {z } | H(y(t)) = (66) G ist stetig, für t ∼ t0 ist G(t) − G(t0 ) + H(y0 ) ∼ H(y0 ) Ist H umkehrbar? H 0 (y0 ) = 1 6= 0 F (y0 ) z.B. > 0 F stetig =⇒ ∃ε > 0 : H 0 > 0 auf ]y0 − ε, y0 + ε[ =⇒ H :]y0 − ε, y0 + ε[→ ]H(y0 − ε), H(y0 + ε)[ | {z } enthält H(y0 ) ist umkehrbar. Für |t − t0 | klein genug: y(t) = H −1 |{z} (G(t) − G(t0 ) + H(y0 )) . (67) Umkehrfunktion von H In der Tat, wenn g und F stetig sind und y0 eine Stelle so dass F (y0 ) 6= 0, ist die Funktion in (67) eine Lösung von (65) in einer Umgebung von t0 : das ist leicht zu kontrollieren. Wir fassen unsere Diskussion zusammen. Satz 11.13. Falls F und g steting sind und F (y0 ) 6= 0, dann gibt es eine einzige Lösung von (65) in einer Umgebung von t0 . Diese ist durch die Formel (67) gegeben, wobei G eine Stammfunktion von g und H −1 die Umkehrfunktion einer Stammfunktion von 1/F ist (N.B.: der Definitionsbereich von H muss eine Umgebung von y0 enthalten). 79 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen Beispiel 11.14. y 0 (t) = g(t)y(t) Wir setzen F (y) = y, g(t) = g(t) und betrachten das Anfangswertproblem n =⇒ y 0 (t) = g(t)F (y(t))y(0) = y0 (68) Die Formel für (68): Rt y(t) = Ce 0 g(t) d t = y0 e Rt y0 = y(0) = Ce 0 Rt 0 g(s) d s g(s) d s =C Nehmen wir F (y0 ) 6= 0 an, d.h. y0 6= 0. Aus (67): y(t) = H −1 (G(t) − G(0) + H(y0 )) Z t g(t) d t + H(y0 ) = H −1 0 1 F (σ) H ist die Stammfunktion von = σ1 auf einem Intervall das y0 enthält. OBdA nehmen wir y0 > 0 an. Als Stammfunktion von 1/F wählen wir H(σ) = ln σ. Der Definitionsbereich von H ist dann die Halbgerade ]0, ∞[, die die positive Zahl y0 entḧalt. (Im Fall y0 < 0 wählen wir H(σ) = − ln(−σ)). Die Umkehrfunktion von H ist H −1 (ξ) = eξ und deswegen y(t) = e( Rt 0 g(s) d s+ln(y0 )) = eln y0 e Rt 0 g(s) d s Rt = y0 e 0 g(s) d s . Beispiel 11.15. Das nächste Beispiel ist ein Fall der Bernoullischen Differentialgleichung: ( z }| { y 0 (t) = α(t)[y(t)]α α > 0, α 6= 1 y(0) = y0 Vorsicht: die GDG macht nur Sinn wenn y(t)geq0! y 0 (t) = a(t)F (y(t)) F (σ) = σ α F (y0 ) = y α > 0 1 F Wir brauchen H, Stammfunktion von 1 = σ −α F (σ) 1 σ 1−α (weil α 6= 1) (1 − α) H(σ) = H :]0, +∞[→ R y(t) = H −1 Z die y0 im Definitionsbereich enthält. t a(s) d s + H(y0 ) 0 H(σ) 1 σ 1−α =: η (1 − α) 1 H −1 (η) = σ = ((1 − α)η) 1−α 1 Z t 1−α 1 1−α y(t) = (1 − α) a(s) d s + y 1−α 0 0 1 1−α Z t 1−α = y0 + (1 − α) a(s) d s 0 NB: Die Funktion ist wohldefiniert wenn y0 + (1 − α) garantiert falls |t| klein genug ist. 80 Rt 0 a(s) d s ≥ 0. Das ist 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen 11.3 Lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten Eine lineare Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten ist eine gewẅohnliche Differentialgleichung der Form g (n) (t) + an−1 y (n−1) (t) + · · · + a1 y 0 (t) + a0 y(t) = q(t) , (69) wobei a0 , . . . , an−1 relle (bzw. komplexe Konstanten) sind . Mit q 6= 0 heisst die Gliechung inhomogen, sonst homogen. Das folgende Lemma ist trivial. Lemma 11.16. Sei I ein Intervall. Dann V := {y : I → R(C), die (69) mit q = 0 löst.} ist ein reller (bzw. komplexer) Vektorraum. Wenn q 6= 0 und u eine spezielle Lösung von (69) auf I ist, dann w löst (69) auf I ⇐⇒ ∃v ∈ V : w = u + v . In diesem Kapitel untersuchen wir die reelle (bzw. komplexe) Lösungen der homegene Differentialgleichung. Das Ziel ist das folgende Haupttheorem zu beweisen. Theorem 11.17. Für jede y0 , y1 , · · · , yn−1 ∈ R (C) ∃ eine eindeutige Lösung des Anfangswertproblems: (n) (n−1) + · · · + a1 y 0 + y = 0 y + an+1 y y(0) = y0 (70) y 0 (0) = y1 ··· y (n−1) (0) = y n−1 . Wir werden nicht nur das Theorem beweisen, aber auch eine explizite Formel für die Lösung finden. Zuerst beweisen wir die Eindeutigkeit der Lösung von (70) Lemma 11.18. Sei I ein beliebiges Intervall mit 0 ∈ I und L : V → Cn (Rn ) die folgende lineare Abbildung y ∈ V : L(y) = y(0), y 0 (0), · · · , y (n−1) . Dann L ist injektiv (und deswegen dim(V ) ≤ n). Das Lemma implizier dass das Anfagswertproblem (70) höchstens eine Lösung besitzt. Beweis. Die Linearität von L ist trivial. Um die Injektivität zu zeigen, brauchen wir nur die Identität ker (L) = {0} (d.h. dass L(v) = 0 =⇒ v = 0). Die Injektivität folgt dann aus elementaren Bemerkungen der Lineare Algebra (in der Tat, sei v, w ∈ V so dass L(v) = L(w); dann, wegen der Linearität von L, L(v − w) = 0). Sei dann y eine Lösung von (70) mit y0 = y1 = . . . = yn−1 = 0. Wir setzen 2 2 2 Y (t) = (y(t)) + (y 0 (t)) + · · · + y (n−1) (t) . Y ist differenzierbar und |Y 0 (t)| = |2y(t)y 0 (t) + 2y 0 (t)y 00 (t) + · · · + 2y (n−2) (t)y (n−1) + 2y (n−1) (t)y n (t)| √ ≤2 Y (t) √ √ ≤2 Y (t) √ Y (t) Y (t) z }| { z }| { ≤ 2|y(t)||y 0 (t)| + · · · + 2|y (n−2) (t)||y (n−1) (t)| 81 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen + 2|y (n−1) (t)| −an−1 y (n−1) (t) − · · · − a0 y(t) | {z } √ √ 2 Y (t)(|an−1 |+···+|a0 |) Y (t) ≤ 2 n − 1 + |a0 | + · · · + |an−1 | Y (t) = CY (t) . Deswegen, Y ist eine nichtnegative differenzierbare Funktion auf einem Intervall I so dass (a) 0 ∈ I und Y (0) = 0 (b) |Y 0 (t)| ≤ CY (t). Aus dem Lemma von Gronwall (siehe Lemma 11.20 unten!) folgt Y ≡ 0. Das bedeutet y ≡ 0. Lemma 11.19 (Gronwall, erste Version). Sei Y : [0, c[→ [0, +∞[ eine differenzierbare Funktion mit: • Y (0) = 0, • Y 0 (t) ≤ CY (t) ∀t ∈ [0, c[, wobei C unabhängig von t ist. Dann Y ≡ 0. Beweis. Wir definieren z(t) = e−Ct Y (t). z ist nichtnegativ und differenzierbar. Ausserdem z 0 (t) = e−Ct Y 0 (t) − Ce−Ct Y (t) = e−Ct (Y 0 (t) − CY (t)) ≤ 0 , und z ist eine fallende Funktion. Das impliziert z(t) ≤ z(0) = 0 ∀t ∈ [0, c[, und, da z nichtnegative ist, z ≡ 0 auf [0, c[. Lemma 11.20 (Gronwall, zweite Version). Sei Y :]a, b[→ R eine differenzierbare Funktion mit: • Y (0) = 0 und a < 0 < b, • |Y 0 (t)| ≤ C|Y (t)| ∀t ∈ [0, c[. Dann Y ≡ 0. Beweis. Sei z(t) := Y (t)2 . Dann z 0 (t) = 2Y (t)Y 0 (t) ≤ 2|Y (t)|C|Y (t)| ≤ 2Cz(t) . Da z(0) = 0, aus dem Lemma 11.19 folgt z(t) = 0 ∀t ∈ [0, b[. Deswegen Y ≡ 0 auf [0, b[. Sei dann w : [0, |a|[→ [0, +∞ so definiert: w(t) = Y (−t)2 . Dann w0 (t) = −2Y (−t)Y 0 (−t) ≤ 2C|Y (−t)|2 = 2Cw(t). Aus dem Lemma 11.19 folgt w(t) = 0 ∀t ∈ [0, |a|[. Aber das beweist dass Y (t) = 0 ∀t ∈]a, 0]. Wir beweisen nun dass dim (V ) = n: wir werden n lineare unabhängige explizite Lösungen der homogene Differentialgleichung y (n) + an−1 y (n−1) + . . . + a1 y 0 + a0 y = 0 (71) zeigen. Definition 11.21. Das Polynom P (x) = xn + an−1 xn−1 + . . . + a1 x + a0 heisst charakeristisches Polynom der Differentialgleichung (71). Wir brauchen zuerst eine wichitge Ergebnisse der Algebra. Theorem 11.22. [Fundamentalsatz der Algebra] Seien a0 , . . . , an−1 ∈ C. Dann es gibt 82 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen • r verschiedene kompleze Zahlen λ1 , . . . , λr , • r positive natürliche Zahlen k1 , . . . , kr so dass P (x) = (x − λ1 )k1 (x − λ2 )k2 · . . . · (x − λr )kr . (72) Die Zahlen λ1 , . . . , λr sind die Nullstellen des Polynoms. Die Zahl kj ist die Vielfachheit der Nullstelle λj . Die rechte Seite von (72) ist die Faktorisierung von P in Primfaktoren. Wenn das Polynom reel ist (d.h. a0 , . . . , an−1 ∈ R) koennen wir einiges mehr dazu sagen. Satz 11.23. [Reelle Faktorisierung] Seien a0 , . . . , an−1 ∈ R. Dann für jede Nullstelle λ ∈ C von P ist auch λ̄ eine Nullestelle und die entsprechenden Vielfachheiten sind gleich. Nehmen wir an dass das Polynom P reell ist. Wir koennten diese zusätzliche Information nutzen um die rechte Seite (72) umzuschreiben. Zuerst wir ordnen die Nullstellen als µ1 , . . . , µ` , z1 , z̄1 , . . . , zs , z̄s wobei µj ∈ R und zj = αj + iβj ∈ C \ R (d.h. βj 6= 0). Wir ordnen die entsprechenden Vielfachheiten k1 , . . . , k` , m1 , m1 , . . . , ms , ms . Dann, aus (72) folgt: m1 ms P (x) = (x − µ1 )k1 · . . . · (x − µ` )k` · (x − z1 )(x − z̄1 ) · . . . (x − zs )(x − z̄s ) m1 ms = (x−µ1 )k1 ·. . .·(x−µ` )k` · x2 + 2α1 x + (α12 + β12 ) ·. . . x2 + 2αs x + (αs2 + βs2 ) . (73) Wir sind nun bereit um die Basis von V zu zeigen Satz 11.24. Seien a0 , . . . , an−1 ∈ C, V der (komplexe) Vektorraum der komplexwertigen Lösungen von (71) auf R, P das charakteristische Polynom von (71), λ1 , . . . , λr seine Nullstellen und k1 , . . . , kr die entsprechenden Vielfachheiten. Dann die folgenden Funktionen sind eine Basis von V : • eλ1 t , teλ1 t , . . . , tk1 −1 eλ1 t ; • ... • eλr t , teλr t , . . . , tkr −1 eλr t . Seien a0 , . . . , an−1 ∈ C, V der (reelle) Vektorraum der reelwertigen Lösungen von (71) auf R und P das charakteristische Polynom von (71). Seien: • µ1 , . . . , µl die reelle Nullstellen von P und k1 , . . . , k` die entsprechenden Vielfachheiten; • z1 , z̄1 , . . . , zs , z̄s die nichtreelle Nullstellen von P und m1 , . . . , ms die entsprechenden Vielfachheiten (wobei zj = αj + iβj ). Dann die folgenden Funktionen sind eine Basis von V : • eµ1 t , teµ1 t , . . . , tk1 −1 eµ1 t ; • ... • eµ` t , teµ` t , . . . , tkr −1 eµ` t ; • eα1 t sin(β1 t), eα1 t cos(β1 t), . . . , tk1 −1 eα1 t sin(β1 t), tm1 −1 eα1 t cos(β1 t); • ... • eαs t sin(βs t), eαs t cos(βs t), . . . , tks −1 eαs t sin(βs t), tms −1 eαs t cos(βs t) 83 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen Beweis. Es ist leicht zu sehen dass die obigen Funktionen linear unabhängig sind. Aus (72) folgt dass k1 + . . . + ks = n (und aus (73) folgt k1 + . . . + k` + 2m1 + . . . + 2ms = n). Aber das Lemma 11.18 zeigt dass die Dimension von V höchstens n ist. Deswegen, es genügt zu zeigen dass jede Funktion in den obigen Listen eine Lösung von (71) ist. In der Tat, da ezj t + ez̄j t = 2eαj t cos(βj t) und ezj t − ez̄j t = 2eαj t sin(βj t), müssen wir nur die folgende Behauptung beweisen: tm eλt löst (71), wenn λ = λj eine Nullstelle von P ist und m ≤ kj − 1. (74) Wir skizzieren den Beweis von (74) mit Hilfe der sogenannten Operatorrechnung. Ein Operator ist eine Funktion von Funktionen. D.h., wenn A ein Operator f eine Funktion sind, dann A(f ) (kurz Af ) auch eine Funktion ist. Um einen wohldefinierten Operator zu haben, sollen wir seinen Definitionsbreich spezifizieren. In unserem Fall, werden wir annehmen dass der Definitionsbereich immer X = C ∞ (R, C) ist, d.h. der Raum der komplexwertigen Funktionen einer reellen Variable die beliebig oft differenzierbar sind. Die Ableitung ist dann ein Operator, den wir alz D bezeichnen: wenn f eine Differenzierbare Funktion ist, Df ihre Ableitung ist. Falls λ ∈ C, der Operator λ bedeutet die “Funktion” X 3 f 7→ λf ∈ X. Falls A und B zwei Operatoren sind, koennen wir noch die folgenden Operatoren definieren: • die Summe A + B: diese ist der Operator f 7→ Af + Bf ; • das Produkt A · B: dieser ist der Operator f 7→ A(B(f )); • die k-Potenz von A: diese ist der Operator f 7→ D(D(. . . (D(f )) . . .)) . {z } | k Mal Deswegen, Dn f ist einfach die Ableitung n-ter Ordnung von f . Die Summe ist kommutativ (A + B = B + A) aber Vorsicht: das Produkt ist, allgemein, nicht kommutativ! Sei nun P (D) der Operator Dn + an−1 Dn−1 + . . . + a1 D + a0 . Dann, f ∈ X ist eine Lösung von (71) genau dann, wenn P (D)f = 0. Ausserdem, die Faktorisierung (72) impliziert dass P (D) = (D − λ1 )k1 · . . . · (D − λr )kr . Ausserdem, es ist leicht zu sehen dass, für jede λ, µ ∈ C, gilt die Vertauschungsregel: (D − µ)(D − λ) = (D − λ)(D − µ) . Sei nun f = tm eλj t wie in (74). Dann P (D)f = Q(D) (D − λj )kj f , (75) wobei Q(D) = (D − λ1 )k1 · . . . · (D − λj−1 )kj−1 · (D − λj+1 )kj+1 · . . . (D − λr )kr . Wir zeigen nun dass (D − µ)k g = 0 falls g(t) = tm eµt und m < k. (76) (75) und (76) implizieren (74), weil Q(D)0 = 0 (diese Identität gilt für jedes Polynom Q!). (76) ist leicht zu sehen wenn wir k Mal die folgende allgemeine Regel anwenden: falls Q ein Polynom mit Grad s ist und h(t) = Q(t)eµt , dann [(D − µ)h] ist eine Funktion der Form R(t)eµt , wobei R ein Polynom mit Grad s − 1 ist. Um diese Regel zu zeigen, rechnen wir einfach (D − µ)(t` eµt ) = `t`−1 eµt + t` µeµt − µt` eµt = `t`−1 eµt . 84