Entfremdung

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Stellensammlung zum Begriff Entfremdung
I. Unvollständige Stellensammlung zum Begriff "Entfremdung" bei Marx außerhalb der
"Ökonomisch-philosophischen Manuskripte".
Stellen zur Entfremdung in den "Ökonomisch-philosophischen Manuskripten" haben wir nicht
aufgenommen. Wir haben des Weiteren darauf verzichtet, alle Stellen aufzuführen, an denen Marx
explizit von "Entfremdung", "entfremdet" o.ä. spricht. Zum Teil haben wir auch Stellen in den
Reader aufgenommen, an denen zwar nicht explizit von "Entfremdung" die Rede ist, Marx aber
unserer Meinung nach sich klärend zu Fragen äußert, die mittelbar oder unmittelbar mit
Entfremdung in Zusammenhang stehen.
Leider sind durch das Kopieren der Textstellen oft die kursiv gedruckten Hervorhebungen von
Marx verlorengegangen.
1. Kritik des Hegelschen Staatsrechts
Geschrieben: März - August 1843. Veröffentlicht: Erstmals 1927.
MEW Band 1
S. 233
"Die Abstraktion des Staats als solchen gehört erst der modernen Zeit, weil die Abstraktion
des Privatlebens erst der modernen Zeit gehört. Die Abstraktion des politischen Staats ist ein
modernes Produkt. Im Mittelalter gab es Leibeigene, Feudal gut, Gewerbekorporation,
Gelehrtenkorporation etc., d.h., im Mittelalter ist Eigentum, Handel, Sozietät, Mensch
politisch; der materielle Inhalt des Staates ist durch seine Form gesetzt; jede Privatsphäre hat
einen politischen Charakter oder ist eine politische Sphäre, oder die Politik ist auch der
Charakter der Privatsphären. Im Mittelalter ist die politische Verfassung die Verfassung des
Privateigentums, aber nur, weil die Verfassung des Privateigentums politische Verfassung
ist. Im Mittelalter ist Volksleben und Staatsleben identisch. Der Mensch ist das wirkliche
Prinzip des Staats, aber der unfreie Mensch. Er ist also die Demokratie der Unfreiheit, die
durchgeführte Entfremdung. Der abstrakte reflektierte Gegensatz gehört erst der modernen
Welt. Das Mittelalter ist der wirkliche, die moderne Zeit ist abstrakter Dualismus."
2. „Zur Judenfrage“
Geschrieben: Oktober - Dezember 1843. Veröffentlicht: 1844.
MEW Band 1
S. 354f
"Der vollendete politische Staat ist seinem Wesen nach das Gattungsleben des Menschen im
Gegensatz zu seinem materiellen Leben. Alle Voraussetzungen dieses egoistischen Lebens
bleiben außerhalb der Staatssphäre in der bürgerlichen Gesellschaft bestehen, aber als
Eigenschaften der bürgerlichen Gesellschaft. Wo der politische Staat seine wahre
Ausbildung erreicht hat, führt der Mensch nicht nur im Gedanken, im Bewußtsein, sondern
in der Wirklichkeit, im Leben ein doppeltes, ein himmlisches und ein irdisches Leben, das
Leben im politischen Gemeinwesen, worin er sich als Gemeinwesen gilt, und das Leben in
der bürgerlichen Gesellschaft, worin er als Privatmensch tätig ist, die andern Menschen als
Mittel betrachtet, sich selbst zum Mittel herabwürdigt und zum Spielball fremder Mächte
wird. Der politische Staat verhält sich ebenso spiritualistisch zur bürgerlichen Gesellschaft
wie der Himmel zur Erde. Er steht in demselben Gegensatz zu ihr, er überwindet sie in
derselben Weise wie die Religion die Beschränktheit der profanen Welt, d. h., indem er sie
1
ebenfalls wieder anerkennen, herstellen, sich selbst von ihr beherrschen lassen muß. Der
Mensch in seiner nächsten Wirklichkeit, in der bürgerlichen Gesellschaft, ist ein profanes
Wesen. Hier, wo er als wirkliches Individuum sich selbst und andern gilt, ist er eine
unwahre Erscheinung. In dem Staat dagegen, wo der Mensch als Gattungswesen gilt, ist er
das imaginäre Glied einer eingebildeten Souveränität, ist er seines wirklichen individuellen
Lebens beraubt und mit einer unwirklichen Allgemeinheit erfüllt."
S. 370
„Alle Emanzipation ist Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den
Menschen selbst.
Die politische Emanzipation ist die Reduktion des Menschen, einerseits auf das Mitglied der
bürgerlichen Gesellschaft, auf das egoistische unabhängige Individuum, andrerseits auf den
Staatsbürger, auf die moralische Person.
Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und
als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen
individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist, erst wenn der Mensch seine »forces
propres« als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche
Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche
Emanzipation vollbracht.“
S. 374f
"Das Geld erniedrigt alle Götter des Menschen - und verwandelt sie in eine Ware. Das Geld
ist der allgemeine, für sich selbst konstituierte Wert aller Dinge. Es hat daher die ganze
Welt, die Menschenwelt wie die Natur, ihres eigentümlichen Wertes beraubt. Das Geld ist
das dem Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und seines Daseins, und dies fremde
Wesen beherrscht ihn, und er betet es an."
Weitere Stellen: u.a. S. 372, S. 376f
3. Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung.
Geschrieben: Ende 1843 - Januar 1844. Erschienen: 1844.
In: MEW Band 2
S. 378
„Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch,
das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät. Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die
Religion, ein verkehrtes Weltbewußtsein, weil sie eine verkehrte Welt sind.“
S. 379
"Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden
ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Es ist zunächst die Aufgabe der Philosophie,
die im Dienste der Geschichte steht, nachdem die Heiligengestalt der menschlichen
Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten zu
entlarven. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik
der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik."
S. 384f
2
„War nur in Deutschland die spekulative Rechtsphilosophie möglich, dies abstrakte
überschwengliche Denken des modernen Staats, dessen Wirklichkeit ein Jenseits bleibt, mag
dieses Jenseits auch nur jenseits des Rheins liegen: so war ebensosehr umgekehrt das
deutsche, vom wirklichen Menschen abstrahierte Gedankenbild des modernen Staats nur
möglich, weil und insofern der moderne Staat selbst vom wirklichen Menschen abstrahiert
oder den ganzen Menschen auf eine nur imaginäre Weise befriedigt.“
S. 390
„ Wo also die positive Möglichkeit der Deutschen Emanzipation?
Antwort: In der Bildung einer Klasse mit radikalen Ketten, einer Klasse der bürgerlichen
Gesellschaft, welche keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft ist, eines Standes, welcher die
Auflösung aller Stände ist, einer Sphäre, welche einen universellen Charakter durch ihre
universellen Leiden besitzt und kein besondres Recht in Anspruch nimmt, weil kein besondres
Unrecht, sondern das Unrecht schlechthin an ihr verübt wird, welche nicht mehr auf einen
historischen, sondern nur noch auf den menschlichen Titel provozieren kann, welche in keinem
einseitigen Gegensatz zu den Konsequenzen, sondern in einem allseitigen Gegensatz zu den
Voraussetzungen des deutschen Staatswesens steht, einer Sphäre endlich, welche sich nicht
emanzipieren kann, ohne sich von allen übrigen Sphären der Gesellschaft und damit alle übrigen
Sphären der Gesellschaft zu emanzipieren, welche mit einem Wort der völlige Verlust des
Menschen ist, also nur durch die völlige Wiedergewinnung des Menschen sich selbst gewinnen
kann. Diese Auflösung der Gesellschaft als ein besonderer Stand ist das Proletariat.“
4. Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik. Gegen Bruno Bauer und Konsorten
Geschrieben: September - November 1844. Erstmals veröffentlicht: Februar 1845.
Etliche Passagen der „Manuskripte“ wurden in diese spätere Schrift von Marx übernommen.
MEW Band 2
S. 37f
„Die besitzende Klasse und die Klasse des Proletariats stellen dieselbe menschliche
Selbstentfremdung dar. Aber die erste Klasse fühlt sich in dieser Selbstentfremdung wohl
und bestätigt, weiß die Entfremdung als ihre eigne Macht und besitzt in ihr den Schein einer
menschlichen Existenz; die zweite fühlt sich in der Entfremdung vernichtet, erblickt in ihr
ihre Ohnmacht und die Wirklichkeit einer unmenschlichen Existenz. Sie ist, um einen Ausdruck von Hegel zu gebrauchen, in der Verworfenheit die Empörung über diese Verworfenheit, eine Empörung, zu der sie notwendig durch den Widerspruch ihrer menschlichen Natur
mit ihrer Lebenssituation, welche die offenherzige, entschiedene, umfassende Verneinung
dieser Natur ist, getrieben wird.
Innerhalb des Gegensatzes ist der Privateigentümer also die konservative, der Proletarier die
destruktive Partei. Von jenem geht die Aktion des Erhaltens des Gegensatzes, von diesem die
Aktion seiner Vernichtung aus.
Das Privateigentum treibt allerdings sich selbst in seiner nationalökonomischen Bewegung zu
seiner eignen Auflösung fort, aber nur durch eine von ihm unabhängige, bewußtlose, wider seinen
Willen stattfindende, durch die Natur der Sache bedingte Entwicklung, nur indem es das Proletariat
als Proletariat erzeugt, das seines geistigen und physischen Elends bewußte Elend, die ihrer
Entmenschung bewußte und darum sich selbst aufhebende Ent-menschung. Das Proletariat vollzieht
das Urteil, welches das Privateigentum durch die Erzeugung des Proletariats über sich selbst
verhängt, wie es das Urteil vollzieht, welches die Lohnarbeit über sich selbst verhängt, indem sie
den fremden, Reichtum und das eigne Elend erzeugt. Wenn das Proletariat siegt, so ist es dadurch
3
keineswegs zur absoluten Seite der Gesellschaft geworden, denn es siegt nur, indem es sich selbst
und sein Gegenteil aufhebt. Alsdann ist ebensowohl das Proletariat wie sein bedingender
Gegensatz, das Privateigentum, verschwunden.
Wenn die sozialistischen Schriftsteller dem Proletariat diese weltgeschichtliche Rolle
zuschreiben, so geschieht dies keineswegs, wie die kritische Kritik zu glauben vorgibt, weil
sie die Proletarier für Götter halten. Vielmehr umgekehrt. Weil die Abstraktion von aller
Menschlichkeit, selbst von dem Schein der Menschlichkeit, im ausgebildeten Proletariat
praktisch vollendet ist, weil in den Lebensbedingungen des Proletariats alle
Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft in ihrer unmenschlichsten Spitze
zusammengefaßt sind, weil der Mensch in ihm sich selbst verloren, aber zugleich nicht nur
das theoretische Bewußtsein dieses Verlustes gewonnen hat, sondern auch unmittelbar durch
die nicht mehr abzuweisende, nicht mehr zu beschönigende, absolut gebieterische Not - den
praktischen Ausdruck der Notwendigkeit - zur Empörung gegen diese Unmenschlichkeit
gezwungen ist, darum kann und muß das Proletariat sich selbst befreien. Es kann sich aber
nicht selbst befreien, ohne seine eigenen Lebensbedingungen aufzuheben. Es kann seine
eigenen Lebensbedingungen nicht aufheben, ohne alle unmenschlichen Lebensbedingungen
der heutigen Gesellschaft, die sich in seiner Situation zusammenfassen, aufzuheben. Es
macht nicht vergebens die harte, aber stählende Schule der Arbeit durch. Es handelt sich
nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich
einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß
geschichtlich zu tun gezwungen sein wird. Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist in
seiner eignen Lebenssituation wie in der ganzen Organisation der heutigen bürgerlichen
Gesellschaft sinnfällig, unwiderruflich vorgezeichnet. Es bedarf hier nicht der Ausführung,
daß ein großer Teil des englischen und französischen Proletariats sich seiner geschichtlichen
Aufgabe schon bewußt ist und beständig daran arbeitet, dies Bewußtsein zur vollständigen
Klarheit herauszubilden.“
S. 44
„Daß Proudhon das Nichthaben und die alte Weise des Habens aufheben will, ist ganz
identisch damit, daß er das praktisch entfremdete Verhältnis des Menschen zu seinem
gegenständlichen Wesen, daß er den nationalökonomischen Ausdruck der menschlichen
Selbstentfremdung aufheben will. Weil aber seine Kritik der Nationalökonomie noch in den
Voraussetzungen der Nationalökonomie befangen ist, so wird die Wiederaneignung der
gegenständlichen Welt selbst noch unter der nationalökonomischen Form des Besitzes
gefaßt.
Proudhon stellt nämlich nicht, wie die kritische Kritik ihn tun läßt, dem Nichthaben das Haben,
sondern der alten Weise des Habens, dem Privateigentum, den Besitz gegenüber. Den Besitz erklärt
er für eine "gesellschaftliche Funktion". In einer Funktion aber ist es nicht das "Interessante", den
andern "auszuschließen", sondern meine eignen Wesenskräfte zu betätigen und zu verwirklichen.
Es ist Proudhon nicht gelungen, diesem Gedanken eine entsprechende Ausführung zu geben.
Die Vorstellung des "gleichen Besitzes" ist der nationalökonomische, also selbst noch
entfremdete Ausdruck dafür, daß der Gegenstand als Sein für den Menschen, als
gegenständliches Sein des Menschen, zugleich das Dasein des Menschen für den andern
Menschen, seine menschliche Beziehung zum andern Menschen, das gesellschaftliche
Verhalten des Menschen zum Menschen ist. Proudhon hebt die nationalökonomische
Entfremdung innerhalb der nationalökonomischen Entfremdung auf.“
S. 52
„Die Kritik der Nationalökonomie auf nationalökonomischem Standpunkte erkennt alle
Wesensbestimmungen der menschlichen Tätigkeit an, aber nur in entfremdeter, entäußerter
Form, wie sie hier z.B. die Bedeutung der Zeit für die menschliche Arbeit in ihre Bedeutung
4
für den Arbeitslohn, für die Lohnarbeit verwandelt.“
S. 54
„In der Bestimmung des Kaufens ist es schon enthalten, daß er (Anmerkung: gemeint ist der
Arbeiter) sich zu seinem Produkt als einem ihm abhanden gekommenen, entfremdeten
Gegenstand verhält.“
S. 86f
„Die Feinde des Fortschritts außer der Masse sind eben die verselbständigten, mit eignem
Leben begabten Produkte der Selbsterniedrigung, der Selbstverwerfung, der
Selbstentäußerung der Masse. Die Masse richtet sich daher gegen ihren eignen Mangel,
indem sie sich gegen die selbständig existierenden Produkte ihrer Selbsterniedrigung richtet,
wie der Mensch, indem er sich gegen das Dasein Gottes kehrt, sich gegen seine eigne
Religiosität kehrt. Weil aber jene praktischen Selbstentäußerungen der Masse in der
wirklichen Welt auf eine äußerliche Weise existieren, so muß sie dieselben zugleich auf eine
äußerliche Weise bekämpfen. Sie darf diese Produkte ihrer Selbst- entäußerung keineswegs
für nur ideale Phantasmagorien, für bloße Entäußerungen des Selbstbewußtseins halten und
die materielle Entfremdung durch eine rein innerliche spiritualistische Aktion vernichten
wollen. Schon die Zeitschrift Loustalots vom Jahre 1789 führte das Motto:
les grandes ne nous praissent grands
Que parce que nous sommes à genoux
--- Levons nous! -<Die Großen erscheinen uns nur groß,
weil wir auf den Knien liegen.
Erheben wir uns!>
Aber um sich zu heben, genügt es nicht, sich in Gedanken zu heben und über dem
wirklichen, sinnlichen Kopf das wirkliche, sinnliche Joch, das nicht mit Ideen
wegzuspintisieren ist, schweben zu lassen. Die absolute Kritik jedoch hat von der
Hegelschen Phänomenologie wenigstens die Kunst erlernt, reale, objektive, außer mir
existierende Ketten in bloß ideelle, bloß subjektive, bloß in mir existierende Ketten und
daher alle äußerlichen, sinnlichen Kampfe in reine Gedankenkämpfe zu verwandeln.“
S. 123
„Der moderne "öffentliche Zustand", das ausgebildete moderne Staatswesen, hat nicht, wie
die Kritik meint, die Gesellschaft der Privilegien, sondern die Gesellschaft der aufgehobnen
und aufgelösten Privilegien, die entwickelte bürgerliche Gesellschaft, worin die in den
Privilegien noch politisch gebundenen Lebenselemente freigelassen sind, zugrunde liegen.
Keine "privilegierte Abgeschlossenheit" steht hier weder der andern noch dem öffentlichen
Zustande gegenüber. Wie die freie Industrie und der freie Handel die privilegierte
Abgeschlossenheit und damit den Kampf der privilegierten Abgeschlossenheiten
untereinander aufheben, dagegen an ihre Stelle den vom Privilegium - welches von der
allgemeinen Gesamtheit abschließt, aber zugleich zu einer kleineren exklusiven Gesamtheit
zusammenschließt - losgebundenen, selbst nicht mehr durch den Schein eines allgemeinen
Bandes an den andern Menschen geknüpften Menschen setzen und den allgemeinen Kampf
von Mann wider Mann, Individuum wider Individuum erzeugen, so ist die ganze
bürgerliche Gesellschaft dieser Krieg aller nur mehr durch ihre Individualität voneinander
abgeschlossenen Individuen gegeneinander und die allgemeine zügellose Bewegung der aus
den Fesseln der Privilegien befreiten elementarischen Lebensmächte. Der Gegensatz von
demokratischem Repräsentativstaat und bürgerlicher Gesellschaft ist die Vollendung des
5
klassischen Gegensatzes von öffentlichem Gemeinwesen und Sklaventum. In der modernen
Welt ist jeder zugleich Mitglied des Sklaventums und des Gemeinwesens. Eben das
Sklaventum der bürgerlichen Gesellschaft ist dem Schein nach die größte Freiheit, weil die
scheinbar vollendete Unabhängigkeit des Individuums, welches die zügellose, nicht mehr
von allgemeinen Banden und nicht mehr vom Menschen gebundne Bewegung seiner
entfremdeten Lebenselemente, wie z.B. des Eigentums, der Industrie, der Religion etc., für
seine eigne Freiheit nimmt, während sie vielmehr seine vollendete Knechtschaft und
Unmenschlichkeit ist. An die Stelle des Privilegiums ist hier das Recht getreten.“
S. 127f
„Genau und im prosaischen Sinne zu reden, sind die Mitglieder der bürgerlichen
Gesellschaft keine Atome. Die charakteristische Eigenschaft des Atoms besteht darin, keine
Eigenschaften und darum keine durch seine eigne Naturnotwendigkeit bedingte Beziehung
zu andern Wesen außer ihm zu haben. Das Atom ist bedürfnislos, selbstgenügsam; die Welt
außer ihm ist die absolute Leere, d.h. sie ist inhaltslos, sinnlos, nichtssagend, eben weil es
alle Fülle in sich selbst besitzt. Das egoistische Individuum der bürgerlichen Gesellschaft
mag sich in seiner unsinnlichen Vorstellung und unlebendigen Abstraktion zum Atom
aufblähen, d.h. zu einem beziehungslosen, selbstgenügsamen, bedürfnislosen, absolut
vollen, seligen Wesen. Die unselige sinnliche Wirklichkeit kümmert sich nicht um seine
Einbildung, jeder seiner Sinne zwingt es, an den Sinn <soll wahrscheinlich heißen: an das
Sein> der Welt und der Individuen außer ihm zu glauben, und selbst sein profaner Magen
erinnert es täglich daran, daß die Welt außer ihm nicht leer, sondern das eigentlich
Erfüllende ist. Jede seiner Wesenstätigkeiten und Eigenschaften, jeder seiner Lebenstriebe
wird zum Bedürfnis, zur Not, die seine Selbstsucht zur Sucht nach andern Dingen und
Menschen außer ihm macht. Da aber das Bedürfnis des einen Individuums keinen sich von
selbst verstehenden Sinn für das andere egoistische Individuum, das die Mittel, jenes
Bedürfnis zu befriedigen, besitzt, also keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der
Befriedigung hat, so muß jedes Individuum diesen Zusammenhang schaffen, indem es
gleichfalls zum Kuppler zwischen dem fremden Bedürfnis und den Gegenständen dieses
Bedürfnisses wird. Die Naturnotwendigkeit also, die menschlichen Wesenseigenschaften, so
entfremdet sie auch erscheinen mögen, das Interesse halten die Mitglieder der bürgerlichen
Gesellschaft zusammen, das bürgerliche und nicht das politische Leben ist ihr reales Band.
Nicht also der Staat hält die Atome der bürgerlichen Gesellschaft zusammen, sondern dies,
daß sie Atome nur in der Vorstellung sind, im Himmel ihrer Einbildung - in der Wirklichkeit
aber gewaltig von den Atomen unterschiedene Wesen, nämlich keine göttliche Egoisten,
sondern egoistische Menschen. Nur der politische Aberglaube bildet sich noch heutzutage
ein, daß das bürgerliche Leben vom Staat zusammengehalten werden müsse, während
umgekehrt in der Wirklichkeit der Staat von dem bürgerlichen Leben zusammengehalten
wird.“
S. 203f
"Das Geheimnis dieser Bauerschen Kühnheit ist die Heglische „Phänomenologie". Weil
Hegel hier das Selbstbewußtsein an die Stelle des Menschen setzt, so erscheint die
verschiedenartigste menschliche Wirklichkeit nur als eine bestimmte Form, als eine
Bestimmtheit des Selbstbewußtseins. Eine bloße Bestimmtheit des Selbstbewußtseins ist
aber eine „reine Kategorie", ein bloßer „Gedanke", den ich daher auch im „reinen" Denken
aufheben und durch reines Denken überwinden kann. In Hegels „Phänomenologie" werden
die materiellen, sinnlichen, gegenständlichen Grundlagen der verschiedenen entfremdeten
Gestalten des menschlichen Selbstbewußtseins stehengelassen, und das ganze destruktive
Werk hatte die konservativste Philosophie zum Resultat, weil es die gegenständliche Welt,
die sinnlich wirkliche Welt überwunden zu haben meint, sobald es sie in ein
6
„Gedankending", in eine bloße Bestimmtheit des Selbstbewußtseins verwandelt hat und den
ätherisch gewordenen Gegner nun auch im „Äther des reinen Gedankens" auflösen kann.
Die „Phänomenologie" endet daher konsequent damit, an die Stelle aller menschlichen
Wirklichkeit das „absolute Wissen" zu setzen - Wissen, weil dies die einzige Daseinsweise
des Selbstbewußtseins ist und weil das Selbstbewußtsein für die einzige Daseinsweise des
Menschen gilt - absolutes Wissen, eben weil das Selbstbewußtsein nur sich selbst weiß und
von keiner gegenständlichen Welt mehr geniert wird. Hegel macht den Menschen zum
Menschen des Selbstbewußtseins, statt das Selbstbewußtsein zum Selbstbewußtsein des
Menschen, des wirklichen, daher auch in einer wirklichen, gegenständlichen Welt lebenden
und von ihr bedingten Menschen zu machen. Er stellt die Welt auf den Kopf und kann daher
auch im Kopf alle Schranken auflösen, wodurch sie natürlich für die schlechte Sinnlichkeit,
für den wirklichen Menschen bestehenbleiben. Überdem gilt ihm notwendigerweise alles
das als Schranke, was die Beschränktheit des allgemeinen Selbstbewußtseins verrät, alle
Sinnlichkeit, Wirklichkeit, Individualität der Menschen wie ihrer Welt. Die ganze
„Phänomenologie" will beweisen, daß das Selbstbewußtsein die einzige und alle Realität
ist."
Weitere Stellen: S. 42 (Kritik der (linkshegelianischen) philosophischen Aufhebung von
Entfremdung), S. 42f (Kritik an Produhon und Entfremdung), S. 129 (Historische Täuschung von
Robespierre, Saint-Just und ihrer historischen Partei in Bezug auf die von der Französischen
Revolution herbeigeführten Entfremdungen)
5. Thesen ad Feuerbach
Geschrieben: Frühjahr 1845. Erstmals veröffentlicht nach Marx' Tod von Engels 1888.
MEW Band 3
S. 534
"6
Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche
Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner
Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Feuerbach, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht eingeht, ist daher gezwungen:
1. von dem geschichtlichen Verlauf zu abstrahieren und das religiöse Gemüt für sich zu
fixieren und ein abstrakt - isoliert - menschliches Individuum vorauszusetzen;
2. kann bei ihm daher das menschliche Wesen nur als "Gattung", als innere, stumme, die vielen
Individuen bloß natürlich verbindende Allgemeinheit gefaßt werden.“
6. "Die deutsche Ideologie"
Geschrieben: Zwischen 1845 - 1847. Zu Lebzeiten von Marx und Engels wurde 1847 nur ein
Artikel von Marx über Karl Grün veröffentlicht. Komplizierte Veröffentlichungsgeschichte der
weiteren Teile der "Deutschen Ideologie".
MEW Band 3
7
S. 33f
„Und endlich bietet uns die Teilung der Arbeit gleich das erste Beispiel davon dar, daß,
solange die Menschen sich in der naturwüchsigen Gesellschaft befinden, solange also die
Spaltung zwischen dem besondern und gemeinsamen Interesse existiert, solange die
Tätigkeit also nicht freiwillig, sondern naturwüchsig geteilt ist, die eigne Tat des Menschen
ihm zu einer fremden, gegenüberstehenden Macht wird, die ihn unterjocht, statt daß er sie
beherrscht. Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten
ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus
kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muß es bleiben, wenn er
nicht die Mittel zum Leben verlieren will - während in der kommunistischen Gesellschaft,
wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem
beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und
mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen,
nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich
gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden. Dieses Sichfestsetzen
der sozialen Tätigkeit, diese Konsolidation unsres eignen Produkts zu einer sachlichen
Gewalt über uns, die unsrer Kontrolle entwächst, unsre Erwartungen durchkreuzt, unsre
Berechnungen zunichte macht, ist eines der Hauptmomente in der bisherigen
geschichtlichen Entwicklung, und eben aus diesem Widerspruch des besondern und
gemeinschaftlichen Interesses nimmt das gemeinschaftliche Interesse als Staat eine
selbständige Gestaltung, getrennt von den wirklichen Einzel- und Gesamtinteressen, an, und
zugleich als illusorische Gemeinschaftlichkeit, aber stets auf der realen Basis der in jedem
Familien- und Stamm-Konglomerat vorhandenen Bänder, wie Fleisch und Blut, Sprache,
Teilung der Arbeit im größeren Maßstabe und sonstigen Interessen - und besonders, wie wir
später entwickeln werden, der durch die Teilung der Arbeit bereits bedingten Klassen, die in
jedem derartigen Menschenhaufen sich absondern und von denen eine alle andern
beherrscht. Hieraus folgt, daß alle Kämpfe innerhalb des Staats, der Kampf zwischen
Demokratie, Aristokratie und Monarchie, der Kampf um das Wahlrecht etc. etc., nichts als
die illusorischen Formen sind, in denen die wirklichen Kämpfe der verschiednen Klassen
untereinander geführt werden (wovon die deutschen Theoretiker nicht eine Silbe ahnen,
trotzdem daß man ihnen in den "Deutsch-Französischen Jahrbüchern" und der "Heiligen
Familie" dazu Anleitung genug gegeben hatte), und ferner, daß jede nach der Herrschaft
strebende Klasse, wenn ihre Herrschaft auch, wie dies beim Proletariat der Fall ist, die
Aufhebung der ganzen alten Gesellschaftsform und der Herrschaft überhaupt bedingt, sich
zuerst die politische Macht erobern muß, um ihr Interesse wieder als das Allgemeine, wozu
sie im ersten Augenblick gezwungen ist, darzustellen. Eben weil die Individuen nur ihr
besondres, für sie nicht mit ihrem gemeinschaftlichen Interesse zusammenfallendes suchen,
überhaupt das Allgemeine illusorische Form der Gemeinschaftlichkeit, wird dies als ein
ihnen "fremdes" und von ihnen "unabhängiges", als ein selbst wieder besonderes und
eigentümliches "Allgemein "-Interesse geltend gemacht, oder sie selbst müssen sich in
diesem Zwiespalt bewegen" wie in der Demokratie.“
S. 34
„Die soziale Macht, d.h. die vervielfachte Produktionskraft, die durch das in der Teilung der
Arbeit bedingte Zusammenwirken der verschiedenen Individuen entsteht, erscheint diesen
Individuen, weil das Zusammenwirken selbst nicht freiwillig, sondern naturwüchsig ist,
nicht als ihre eigne, vereinte Macht, sondern als eine fremde, außer ihnen stehende Gewalt,
von der sie nicht wissen woher und wohin, die sie also nicht mehr beherrschen können, die
im Gegenteil nun eine eigentümliche, vom Wollen und Laufen der Menschen unabhängige,
ja dies Wollen und Laufen erst dirigierende Reihenfolge von Phasen und
Entwicklungsstufen durchläuft.“
8
S. 37
„ In der bisherigen Geschichte ist es allerdings ebensosehr eine empirische Tatsache, daß die
einzelnen Individuen mit der Ausdehnung der Tätigkeit zur Weltgeschichtlichen immer
mehr unter einer ihnen fremden Macht geknechtet worden sind (welchen Druck sie sich
denn auch als Schikane des sogenannten Weltgeistes etc. vorstellten), einer Macht, die
immer massenhafter geworden ist und sich in letzter Instanz als Weltmarkt ausweist.“
S. 37
„Die allseitige Abhängigkeit, diese naturwüchsige Form des weltgeschichtlichen
Zusammenwirkens der Individuen, wird durch diese kommunistische Revolution verwandelt
in die Kontrolle und bewußte Beherrschung dieser Mächte, die, aus dem AufeinanderWirken der Menschen erzeugt, ihnen bisher als durchaus fremde Mächte imponiert und sie
beherrscht haben. Diese Anschauung kann nun wieder spekulativ-idealistisch, d.h.
phantastisch als "Selbsterzeugung der Gattung" (die "Gesellschaft als Subjekt") gefaßt und
dadurch die aufeinanderfolgende Reihe von im Zusammenhange stehenden Individuen als
ein einziges Individuum vorgestellt werden, das das Mysterium vollzieht, sich selbst zu
erzeugen.“
S. 212
"Das Privateigentum entfremdet nicht nur die Individualität der Menschen, sondern auch die
der Dinge. Der Grund und Boden hat Nichts mit der Grundrente, die Maschine Nichts mit
dem Profit zu tun. Für den Grundbesitzer hat der Grund und Boden nur die Bedeutung der
Grundrente, er verpachtet seine Grundstücke und zieht die Rente ein; eine Eigenschaft, die
der Boden verlieren kann, ohne irgendeine seiner inhärenten Eigenschaften, ohne z.B. einen
Teil seiner Fruchtbarkeit zu verlieren, eine Eigenschaft, deren Maß, ja deren Existenz; von
gesellschaftlichen Verhältnissen abhängt, die ohne Zutun des einzelnen Grundbesitzers
gemacht und aufgehoben werden. Ebenso mit der Maschine. Wie wenig das Geld, die
allgemeinste Form des Eigentums, mit der persönlichen Eigentümlichkeit zu tun hat, wie
sehr es ihr geradezu entgegengesetzt ist, wußte bereits Shakespeare besser als unser
theoretisierender Kleinbürger (Anmerkung: gemeint ist Max Stirner):
Soviel hievon macht schwarz weiß, häßlich schön,
Schlecht gut, alt jung, feig tapfer, niedrig edel, Ja dieser rote Sklave — Er macht den Aussatz
lieblich —
— dieser führt
Der über jähr'gen Witwe Freier zu;
Die, von Spital und Wunden giftig eiternd,
Mit Ekel fortgeschickt, verjüngt balsamisch
Zu Maienjugend dies —
— sichtbare Gottheit,
Die du Unmöglichkeiten eng verbrüderst,
Zum Kuß sie zwingst!
Mit einem Wort, Grundrente, Profit etc., die wirklichen Daseinsweisen des Privateigentums, sind
gesellschaftliche, einer bestimmten Produktionsstufe entsprechende Verhältnisse und „individuelle"
nur so lange, als sie noch nicht zur Fessel der vorhandenen Produktivkräfte geworden sind. Nach
Destutt de Tracy muß die Majorität der Menschen, die Proletarier, längst alle Individualität verloren
haben, obgleich es heutzutage so aussieht, als entwickle sich unter ihnen noch gerade am meisten
Individualität."
9
Weitere Stelle: S. 75 (Entfremdung und persönliche Freiheit als Recht, sich innerhalb gewisser
Bedingungen ungestört der Zufälligkeit erfreuen zu dürfen).
Zusatz
Die Wiedergabe der Manuskripte der "Deutsche Ideologien", wie sie in der MEW erfolgte, ist,
wegen erheblicher Eingriffe der Herausgeber in den Originaltext, umstritten. Eine neue Fassung
findet sich hier: Karl Marx, Friedrich Engels, Joseph Weydemeyer: Die Deutsche Ideologie.
Artikel, Druckvorlagen, Entwürfe, Reinschriftenfragmente und Notizen zu I. Feuerbach und II.
Sankt Bruno. In: Marx-Engels Jahrbuch 2003. Hrsg: Internationale Marx-Engels-Stiftung
Amsterdam. Berlin 2004.
S. 88-93
"Es zeigen sich hier also zwei Fakta. Erstens erscheinen die Produktivkräfte als ganz
unabhängig & losgerissen von den Individuen, als eine eigne Welt neben den Individuen,
was darin seinen Grund hat, daß die Individuen, deren Kräfte sie sind, zersplittert & im
Gegensatz gegeneinander existiren, während diese Kräfte andererseits nur im Verkehr &
Zusammenhang dieser Individuen wirkliche Kräfte sind. Also auf der einen Seite einen
Totalität von Produktivkräften, die gleichsam eine sachliche Gestalt angenommen haben &
für die Individuen selbst nicht mehr die Kräfte der Individuen, sondern des
Privateigenthums, & daher der Individuen nur insofern sie Privateigenthümer sind. In keiner
früheren Periode hatten die Produktivkräfte diese gleichgülthige Gestalt für den Verkehr der
Individuen als Individuen angenommen, weil ihr Verkehr selbst nich ein bornirter war. Auf
der andern Seite steht diesen Produktivkräften die Majorität der Individuen gegenüber, von
denen diese Kräfte losgerissen sind & die daher alles wirklichen Lebensinhalts beraubt,
abstrakte Individuen geworden sind, die aber dadurch erst in den Stand gesetzt werden, als
Individuen mit einander in Verbindung zu treten. Der einzige Zusammenhang, in dem sie
noch mit den Produktivkräften & mit ihrer eignen Existenz stehen, die Arbeit, hat bei ihnen
allen Schein der Selbstbethätigung verloren & erhält ihr Leben nur, indem es sie
verkümmert. Während in den früheren Perioden Selbstbethätigung & Erzeugung des
materiellen Lebens dadurch getrennt waren, daß sie an verschiedene Personen fielen & die
Erzeugung des materiellen Lebens wegen der Bornirtheit der Individuen selbst noch als eine
untergeordnete Art der Selbstbethätigung galt, fallen sie jetzt so aus einander, daß überhaupt
das materielle Leben als Zweck, die Erzeugung dieses materiellen Lebens, die Arbeit
(welche die jetzt einzig mögliche aber wie wir sahen, negative Form der Selbstbethätigung
ist), als Mittel erscheint.
Es ist also jetzt soweit gekommen, daß die Individuen sich die vorhandene Totalität von
Produktivkräften aneignen müssen, nicht nur um zu ihrer Selbstbethätigung zu kommen,
sondern schon überhaupt, um ihre Existenz sicher zu stellen. Diese Aneignung ist zuerst
bedingt durch den anzueignenden Gegenstand - die zu einer Totalität entwickelten & nur
innerhalb eines universellen Verkehrs existirenden Produktivkräfte. Diese Aneignung muß
also schon von dieser Seite her einen den Produktivkräften & dem Verkehr entsprechenden
universellen Charakter haben. Die Aneignung dieser Kräfte ist selbst weiter nichts als die
Entwicklung der den materiellen Produktionsinstrumenten entsprechenden individuellen
Fähigkeiten. Die Aneignung einer Totalität von Produktionsinstrumenten ist schon deshalb
die Entwicklung einer Totalität von Fähigkeiten in den Individuen selbst. Diese Aneignung
ist ferner bedingt durch die aneignenden Individuen. Nur die von aller Selbstbethätigung
vollständig ausgeschlossenen Proletarier der Gegenwart sind im Stande, ihre vollständige,
nicht mehr bornirte Selbstbethätigung, die in der Aneignung einer Totalität von
Produktivkräften & der damit gesetzten Entwicklung einer Totalität von Fähigkeiten besteht,
durchzusetzen. Alle früheren revolutionären Aneignungen waren bornirt, Individuen, deren
Selbstbethätigung durch ein beschränktes Produktionsinstrument & einen beschränkten
Verkehr bornirt war, eigneten sich dies beschränkte Produktionsinstrument an, & brachten
10
es daher nur zu einer neuen Beschränktheit. Ihr Produktionsinstrument wurde ihr
Eigenthum, aber sie selbst blieben unter die Theilung der Arbeit & unter ihr eignes
Produktionsinstrument subsumirt. Bei allen bisherigen Aneignungen blieben eine Masse von
Individuen unter ein einziges Produktionsinstrument subsumirt; bei der Aneignung der
Proletarier müssen eine Masse von Produktionsinstrumenten unter jedes Individuum & das
Eigenthum unter Alle subsumirt werden. Der moderne universelle Verkehr kann nicht
anders unter die Individuen subsumirt werden, als dadurch, daß er unter alle subsumirt wird.
- Die Aneignung ist ferner bedingt durch die Art & Weise wie sie vollzogen werden muß.
Sie kann nur vollzogen werden durch eine Vereinigung, die durch den Charakter des
Proletariats selbst wieder nur eine universelle sein kann, & durch eine Revolution, in der
einerseits die Macht der bisherigen Produktions & Verkehrsweise & gesellschaftlichen
Gliederung gestürzt wird & andererseits der universelle Charakter & die zur Durchführung
der Aneignung nöthige Energie des Proletariats sich entwickelt, ferner das Proletariat alles
abstreift was ihm noch aus seiner bisherigen Gesellschaftsstellung geblieben ist.
Erst auf dieser Stufe fällt die Selbstbethätigung mit dem materiellen Leben zusammen, was der
Entwicklung zu totalen Individuen & der Abstreifung aller Naturwüchsigkeit entspricht; & dann
entspricht sich die Verwandlung der Arbeit in Selbstbethätigung & die Verwandlung des bisherigen
bedingten Verkehrs in den Verkehr der Individuen als solcher."
Vgl. MEW 3, S. 67-68
S. 93
"Die Individuen, die nicht mehr unter die Theilung der Arbeit subsumirt werden, haben die
Philosophen sich als Ideal unter dem Namen: "der Mensch" vorgestellt, & den ganzen, von
uns entwickelten Prozeß, als den Entwicklungsprozeß "des Menschen" gefaßt, sodaß den
bisherigen Individuen auf jeder geschichtlichen Stufe "der Mensch" untergeschoben & als
die treibende Kraft der Geschichte dargestellt wurde. Der ganze Prozeß wurde so als
Selbstentfremdungsprozeß "des Menschen" gefaßt & dies kommt wessentlich daher, daß das
Durchschnittsindividuum der späteren Stufe immer der früheren & das spätere Bewußtsein
den früheren Individuen untergeschoben. Durch diese Umkehrung, die von vorn herein von
den wirklichen Bedingungen abstrahirt, war es möglich die ganze Geschichte in einen
Entwicklungsprozeß des Bewußtseins zu verwandeln. - -"
(Randbemerkung:
Selbstentfremdung)
7. Manifest der Kommunistischen Partei
Geschrieben: Jahreswende 1847/1848. Erstmals erschienen: Februar 1848 in London.
MEW Band 4
S. 482
"Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle
Produktion in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die
öffentliche Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt im eigentlichen Sinne
ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer andern. Wenn das
Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine
Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die
alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die
Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt, und damit seine
eigene Herrschaft als Klasse auf. An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren
Klassen und. Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines
11
jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist."
8. Lohnarbeit und Kapital
Geschrieben: unklar. Engels spricht davon, dass dem Text Vorträge von Marx im Deutschen
Arbeiterverein in Brüssel im Jahr 1847 zugrunde lagen. Der Text wurde im April 1849 erstmals als
Leitartikelserie in der Neuen Rheinischen Zeitung veröffentlicht.
MEW Band 6
S. 400f
„Die Arbeitskraft ist also eine Ware, die ihr Besitzer, der Lohnarbeiter, an das Kapital
verkauft. Warum verkauft er sie? Um zu leben.
Die Betätigung der Arbeitskraft, die Arbeit, ist aber die eigne Lebenstätigkeit des Arbeiters, seine
eigne Lebensäußerung. Und diese Lebenstätigkeit verkauft er an einen Dritten, um sich die nötigen
Lebensmittel zu sichern. Seine Lebenstätigkeit ist für ihn also nur ein Mittel, um existieren zu
können. Er arbeitet, um zu leben. Er rechnet die Arbeit nicht selbst in sein Leben ein, sie ist
vielmehr ein Opfer seines Lebens. Sie ist eine Ware, die er an einen Dritten zugeschlagen hat. Das
Produkt seiner Tätigkeit ist daher auch nicht der Zweck seiner Tätigkeit. Was er für sich selbst
produziert, ist nicht die Seide, die er webt, nicht das Gold, das er aus dem Bergschacht zieht, nicht
der Palast, den er baut. Was er für sich selbst produziert, ist der Arbeitslohn, und Seide, Gold, Palast
lösen sich für ihn auf in ein bestimmtes Quantum von Lebensmitteln, vielleicht in eine
Baumwollenjacke, in Kupfermünze und in eine Kellerwohnung. Und der Arbeiter, der zwölf
Stunden webt, spinnt, bohrt, dreht, baut, schaufelt, Steine klopft, trägt usw. - gilt ihm dies
zwölfstündige Weben, Spinnen, Bohren, Drehen, Bauen, Schaufeln, Steinklopfen als Äußerung
seines Lebens, als Leben? Umgekehrt. Das Leben fängt da für ihn an, wo diese Tätigkeit aufhört,
am Tisch, auf der Wirtshausbank, im Bett. Die zwölfstündige Arbeit dagegen hat ihm keinen Sinn
als Weben, Spinnen, Bohren usw., sondern als Verdienen, das ihn an den Tisch, auf die
Wirtshausbank, ins Bett bringt. Wenn der Seidenwurm spänne, um seine Existenz als Raupe zu
fristen, so wäre er ein vollständiger Lohnarbeiter.“
S. 411
„Wenn die Lohnarbeit den sie beherrschenden fremden Reichtum, die ihr feindselige Macht,
das Kapital, produziert, strömen ihr Beschäftigungs-, d.h. Lebensmittel von derselben
zurück, unter der Bedingung, daß sie sich von neuem zu einem Teil des Kapitals macht, zum
Hebel, der von neuem dasselbe in eine beschleunigte Bewegung des Anwachsens
schleudert.“
S. 416
„Günstigste Bedingung für die Lohnarbeit ist möglichst rasches Wachstum des produktiven
Kapitals, heißt nur: Je rascher die Arbeiterklasse die ihr feindliche Macht, den fremden, über
sie gebietenden Reichtum vermehrt und vergrößert, unter desto günstigern Bedingungen
wird ihr erlaubt, von neuem an der Vermehrung des bürgerlichen Reichtums, an der
Vergrößerung der Macht des Kapitals zu arbeiten, zufrieden, sich selbst die goldnen Ketten
zu schmieden, woran die Bourgeoisie sie hinter sich herschleift.“
12
9. Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie
Geschrieben: August 1857 - November 1858. Veröffentlicht: Die "Einleitung" wurde 1903
erstmals in "Die Neue Zeit" veröffentlicht. Der Rohentwurf des Manuskripts, eine korrigierte
Einleitung und weitere im Zusammenhang stehende Schriften wurden 1939-1941 vom Institut für
Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU in Moskau veröffentlicht.
MEW Band 42
S. 74 Gegen Proudhons Stundenzettel als Bekämpfung der Entfremdung mit entfremdeten Mitteln
"Die beständige Depreziation der Waren — in längren Perioden — gegen die Stundenzettel,
von der wir früher sprachen, ging aus dem Gesetz der steigenden Produktivität der
Arbeitszeit, aus den Störungen im relativen Wert selbst hervor, die durch sein eignes
inhärentes Prinzip, die Arbeitszeit, geschaffen werden. Die Inkonvertibilität der
Stundenzettel, von der wir jetzt sprechen, ist nichts als ein andrer Ausdruck für die
Inkonvertibilität zwischen Realwert und Marktwert, Tauschwert und Preis. Der
Stundenzettel repräsentierte im Gegensatz zu allen Waren eine ideale Arbeitszeit, die sich
bald gegen mehr, bald gegen weniger der wirklichen austauschte und in dem Zettel eine
abgesonderte, eigne Existenz erhielte, die dieser wirklichen Ungleichheit entspräche. Das
allgemeine Äquivalent, Zirkulationsmittel und Maß der Waren träte ihnen wieder gegenüber
individualisiert, eignen Gesetzen folgend, entfremdet, d. h. mit allen Eigenschaften des
jetzigen Geldes, ohne seine Dienste zu leisten. Aber die Konfusion würde dadurch eine ganz
andre Höhe erhalten, daß das Medium, worin die Waren, diese vergegenständlichten Quanta
von Arbeitszeit, verglichen werden, nicht eine dritte Ware, sondern ihr eignes Wertmaß, die
Arbeitszeit, selbst wäre."
S. 84
"Das Geld ist ursprünglich der Repräsentant aller Werte; in der Praxis dreht sich die Sache
um, und alle realen Produkte und Arbeiten werden die Repräsentanten des Geldes. Im
unmittelbaren Tauschhandel kann nicht jeder Artikel gegen jeden Artikel und eine
bestimmte Tätigkeit kann nur gegen bestimmte Produkte ausgetauscht werden. Die
Schwierigkeiten, die im Tauschhandel liegen, kann das Geld nur aufheben, indem es sie
verallgemeinert, universell macht. Es ist absolut nötig, daß die gewaltsam getrennten
Elemente, die wesentlich zusammengehören, durch gewaltsame Eruption sich als Trennung
eines wesentlich Zusammengehörigen ausweisen. Die Einheit stellt sich gewaltsam her.
Sobald die feindliche Spaltung zu Eruptionen führt, weisen die Ökonomen auf die
wesentliche Einheit hin und abstrahieren von der Entfremdung. Ihre apologetische Weisheit
besteht darin, in allen entscheidenden Momenten ihre eignen Bestimmungen zu vergessen."
S. 93f
"(In einer Form des Geldes — soweit es Tauschmittel (nicht Maß des Tauschwerts) — ist
den Ökonomen klar, daß die Existenz des Geldes die Versachlichung des gesellschaftlichen
Zusammenhangs voraussetzt; soweit nämlich das Geld als Pfand erscheint, was der eine in
der Hand des andren zurücklassen muß, um eine Ware von ihm zu erhalten. Hier sagen die
Ökonomen selbst, daß die Menschen der Sache (dem Geld) das Vertrauen schenken, was sie
sich nicht als Personen schenken. Aber warum schenken sie der Sache das Vertrauen? Doch
offenbar nur als versachlichtem Verhältnis der Personen untereinander; als versachlichtem
Tauschwert, und Tauschwert ist nichts als eine Beziehung der produktiven Tätigkeit der
Personen untereinander. Jedes andre Pfand mag direkt dem Pfandinhaber als solches nützen;
Geld nützt ihm nur als „Faustpfand der Gesellschaft", aber solches Faustpfand ist es nur
wegen seiner gesellschaftlichen (symbolischen) Eigenschaft; und gesellschaftliche
13
Eigenschaft kann es nur besitzen, weil die Individuen ihre eigne gesellschaftliche Beziehung
als Gegenstand sich entfremdet haben.)"
S. 94
"In den Preiscourantlisten, worin alle Werte gemessen sind im Geld, scheint zugleich die
Unabhängigkeit des gesellschaftlichen Charakters der Sachen von den Personen, wie
zugleich die Tätigkeit des Handels auf dieser Basis der Fremdartigkeit, worin die
Gesamtproduktions- und -verkehrsverhältnisse dem einzelnen, allen einzelnen gegenüber,
erscheinen, sie wieder den einzelnen zu unterwerfen. Da die Verselbständigung des
Weltmarkts, if you please, (worin die Tätigkeit jedes einzelnen eingeschlossen) wächst mit
der Entwicklung der Geldverhältnisse (Tauschwerts) und vice versa, der allgemeine
Zusammenhang und die allseitige Abhängigkeit in Produktion und Konsumtion zugleich mit
der Unabhängigkeit und Gleichgültigkeit der Konsumierenden und Produzierenden
zueinander; da dieser Widerspruch zu Krisen führt etc., so wird gleichzeitig mit der
Entwicklung dieser Entfremdung, auf ihrem eignen Boden, versucht, sie aufzuheben;
Preiscourantlisten, Wechselkurse, Verbindungen der Handelstreibenden untereinander durch
Briefe, Telegraphen etc. (die Kommunikationsmittel wachsen natürlich gleichzeitig), worin
jeder einzelne sich Auskunft über die Tätigkeit aller andren verschafft und seine eigne
danach auszugleichen sucht. (D. h., obgleich die Nachfrage und Zufuhr aller von allen
unabhängig vor sich geht, so sucht sich jeder über den Stand der allgemeinen Nachfrage und
Zufuhr zu unterrichten; und dies Wissen wirkt dann wieder praktisch auf sie ein. Obgleich
alles dies auf dem gegebnen Standpunkt die Fremdartigkeit nicht aufhebt, so führt es
Verhältnisse und Verbindungen herbei, die die Möglichkeit, den alten Standpunkt
aufzuheben, in sich einschließen.) (Die Möglichkeit allgemeiner Statistik etc.)"
S. 95f
"(Es ist gesagt worden und mag gesagt werden, daß das Schöne und Große eben in diesem
naturwüchsigen, vom Wissen und Wollen der Individuen unabhängigen, und grade ihre
wechselseitige Unabhängigkeit und Gleichgültigkeit gegeneinander voraussetzenden
Zusammenhang, materiellen und geistigen Stoffwechsel, beruht. Und sicher ist dieser
sachliche Zusammenhang ihrer Zusammenhangslosigkeit vorzuziehn oder einem auf
Bluturenge Natur und Herrschafts- und Knechtschafts[verhältnisse] gegründet[en] nur
lokalen Zusammenhang. Es ist ebenso sicher, daß die Individuen sich ihre eignen
gesellschaftlichen Zusammenhänge nicht unterordnen können, bevor sie dieselben
geschaffen haben. Aber es ist abgeschmackt, jenen nur sachlichen Zusammenhang als den
naturwüchsigen, von der Natur der Individualität (im Gegensatz zum reflektierten Wissen
und Wollen) unzertrennlichen und ihr immanenten, aufzufassen. Er ist ihr Produkt. Er ist ein
historisches Produkt. Er gehört einer bestimmten Phase ihrer Entwicklung an. Die
Fremdartigkeit und Selbständigkeit, worin er noch gegen sie existiert, beweist nur, daß sie
noch in der Schöpfung der Bedingungen ihres sozialen Lebens begriffen sind, statt von
diesen Bedingungen aus es begonnen zu haben. Es ist der Zusammenhang, der
naturwüchsige, von Individuen innerhalb bestimmter, bornierter Produktionsverhältnisse.
Die universal entwickelten Individuen, deren gesellschaftliche Verhältnisse als ihre eignen,
gemeinschaftlichen Beziehungen auch ihrer eignen gemeinschaftlichen Kontrolle
unterworfen sind, sind kein Produkt der Natur, sondern der Geschichte. Der Grad und die
Universalität der Entwicklung der Vermögen, worin diese Individualität möglich wird, setzt
eben die Produktion auf der Basis der Tauschwerte voraus, die mit der Allgemeinheit der
Entfremdung des Individuums von sich und von andren, aber auch die Allgemeinheit und
Allseitigkeit seiner Beziehungen und Fähigkeiten erst produziert. Auf frühren Stufen der
Entwicklung erscheint das einzelne Individuum voller, weil es eben die Fülle seiner
Beziehungen noch nicht herausgearbeitet und als von ihm unabhängige gesellschaftliche
14
Mächte und Verhältnisse sich gegenübergestellt hat. So lächerlich es ist, sich nach jener
ursprünglichen Fülle zurückzusehnen, so lächerlich ist der Glaube, bei jener vollen
Entleerung stehnbleiben zu müssen. Über den Gegensatz gegen jene romantische Ansicht ist
die bürgerliche nie herausgekommen, und darum wird jene als berechtigter Gegensatz sie bis
an ihr seliges Ende begleiten.)"
S. 103ff
"Um unmittelbar das allgemeine Geld zu sein, müßte sie von vornherein nicht besondre
Arbeit, sondern allgemeine sein, d. h. von vornherein als Glied der allgemeinen Produktion
gesetzt sein. In dieser Voraussetzung aber würde nicht erst der Austausch ihr den
allgemeinen Charakter geben, sondern Produkten bestimmen. Der gemeinschaftliche
Charakter der Produktion würde von vornherein das Produkt zu einem gemeinschaftlichen,
allgemeinen machen. Der ursprünglich in der Produktion stattfindende Austausch — der
kein Austausch von Tauschwerten wäre, sondern von Tätigkeiten, die durch
gemeinschaftliche Bedürfnisse bestimmt wären, durch gemeinschaftliche Zwecke — würde
von vornherein die Teilnahme des einzelnen an der gemeinschaftlichen Produktenwelt
einschließen. Auf der Grundlage der Tauschwerte wird die Arbeit erst durch den Austausch
als allgemein gesetzt. Auf dieser Grundlage wäre sie als solche gesetzt vor dem Austausch;
d. h., der Austausch der Produkte wäre überhaupt nicht das Medium, wodurch die
Teilnahme des einzelnen an der allgemeinen Produktion vermittelt würde. Vermittlung muß
natürlich stattfinden. ausgeht — sosehr diese selbständigen Produktionen durch ihre
Beziehungen zueinander sich post festum bestimmen, modifizieren —, findet die
Vermittlung statt durch den Austausch der Waren, den Tauschwert, das Geld, die alle
Ausdrücke eines und desselben Verhältnisses sind. Im zweiten Fall ist die Voraussetzung
selbst vermittelt; d.h., eine gemeinschaftliche Produktion, die Gemeinschaftlichkeit als
Grundlage der Produktion, ist vorausgesetzt. Die Arbeit des einzelnen ist von vornherein als
gesellschaftliche Arbeit gesetzt. Welches daher auch immer die besondre materielle Gestalt
des Produkts sei, das er schafft oder schaffen hilft, was er mit seiner Arbeit gekauft hat, ist
nicht ein bestimmtes besondres Produkt, sondern ein bestimmter Anteil an der
gemeinschaftlichen Produktion. Er hat darum auch kein besondres Produkt auszutauschen.
Sein Produkt ist kein Tauschwert. Das Produkt hat nicht erst in eine besondre Form
umgesetzt zu werden, um einen allgemeinen Charakter für den einzelnen zu erhalten. Statt
einer Teilung der Arbeit, die in dem Austausch von Tauschwerten sich notwendig erzeugt,
fände eine Organisation der Arbeit statt, die den Anteil des einzelnen an der
gemeinschaftlichen Konsumtion zur Folge hat. durch die Erhebung der Produkte zu
Tauschwerten und den Tausch dieser Tauschwerte post festum gesetzt. Im zweiten Fall ist
der gesellschaftliche Charakter der Produktion vorausgesetzt, und die Teilnahme an der
Produktenwelt, an der Konsumtion, ist nicht durch den Austausch voneinander
unabhängiger Arbeiten oder Arbeitsprodukte vermittelt. Er ist vermittelt durch die
gesellschaftlichen Produktionsbedingungen, innerhalb deren das Individuum tätig ist. Die
Arbeit des einzelnen also unmittelbar zum Geld machen wollen (d. h. auch sein Produkt),
zum realisierten Tauschwert, heißt, sie unmittelbar als allgemeine Arbeit bestimmen, d.h.
eben die Bedingungen negieren, unter denen sie zu Geld und Tauschwerten gemacht werden
muß und vom Privataustausch abhängt. Die Forderung kann bloß befriedigt werden unter
Bedingungen, worin sie nicht mehr gestellt werden kann. Die Arbeit auf Grundlage der
Tauschwerte setzt eben voraus, daß weder die Arbeit des einzelnen noch sein Produkt
unmittelbar allgemein ist; daß es diese Form erst durch eine gegenständliche Vermittlung
erlangt, durch ein von ihm verschiedenes Geld.
Gemeinschaftliche Produktion vorausgesetzt, bleibt die Zeitbestimmung natürlich wesentlich. Je
weniger Zeit die Gesellschaft bedarf, um Weizen, Vieh etc. zu produzieren, desto mehr Zeit
gewinnt sie zu andrer Produktion, materieller oder geistiger. Wie bei einem einzelnen Individuum
hängt die Allseitigkeit ihrer Entwicklung, ihres Genusses und ihrer Tätigkeit von Zeitersparung ab.
15
Ökonomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf. Ebenso muß die Gesellschaft ihre
Zeit zweckmäßig einteilen, um eine ihren Gesamtbedürfnissen gemäße Produktion zu erzielen; wie
der einzelne seine Zeit richtig einteilen muß, um sich Kenntnisse in angemeßnen Proportionen zu
erwerben oder um den verschiednen Anforderungen an seine Tätigkeit Genüge zu leisten.
Ökonomie der Zeit sowohl wie planmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf die verschiednen Zweige
der Produktion bleibt also erstes ökonomisches Gesetz auf Grundlage der gemeinschaftlichen
Produktion. Es wird sogar in viel höherem Grade Gesetz. Dies ist jedoch wesentlich verschieden
vom Messen der Tauschwerte (Arbeiten oder Arbeitsprodukte) durch die Arbeitszeit."
S. 126f
"Zur Zirkulation gehört wesentlich, daß der Austausch als ein Prozeß, ein flüssiges Ganze
von Käufen und Verläufen erscheint. Ihre erste Voraussetzung ist die Zirkulation der Waren
selbst, die beständig von vielen Seiten ausgehnde Zirkulation derselben. Die Bedingung der
Warenzirkulation ist, daß sie als Tauschwerte produziert werden, nicht als unmittelbare
Gebrauchswerte, sondern als durch den Tauschwert vermittelte. Die Aneignung durch und
vermittelst der Ent- und Veräußerung ist Grundvoraussetzung. In der Zirkulation als der
Realisierung der Tauschwerte ist enthalten: 1. daß mein Produkt nur Produkt ist, sofern es
für andre ist; also aufgehobnes Einzelnes, Allgemeines; 2. daß es nur für mich Produkt ist,
soweit es entäußert worden, für andre geworden ist; 3. daß es nur für den andren ist, soweit
er selbst sein Produkt entäußert; worin schon 4. liegt, daß die Produktion nicht als
Selbstzweck für mich erscheint, sondern als Mittel. Die Zirkulation ist die Bewegung, worin
die allgemeine Entäußrung als allgemeine Aneignung und die allgemeine Aneignung als
allgemeine Entäußrung erscheint. Sosehr nun das Ganze dieser Bewegung als
gesellschaftlicher Prozeß erscheint und sosehr die einzelnen Momente dieser Bewegung
vom bewußten Willen und besondern Zwecken der Individuen ausgehn, sosehr erscheint die
Totalität des Prozesses als ein objektiver Zusammenhang, der naturwüchsig entsteht; zwar
aus dem Aufeinanderwirken der bewußten Individuen hervorgeht, aber weder in ihrem
Bewußtsein liegt noch als Ganzes unter sie subsumiert wird. Ihr eignes Aufeinanderstoßen
produziert ihnen eine über ihnen stehende, fremde gesellschaftliche Macht; ihre
Wechselwirkung als von ihnen unabhängigen Prozeß und Gewalt. Die Zirkulation, weil eine
Totalität des gesellschaftlichen Prozesses, ist auch die erste Form, worin nicht nur wie etwa
in einem Geldstück oder im Tauschwert das gesellschaftliche Verhältnis als etwas von den
Individuen Unabhängiges erscheint, sondern das Ganze der gesellschaftlichen Bewegung
selbst. Die gesellschaftliche Beziehung der Individuen aufeinander als verselbständigte
Macht über den Individuen, werde sie nun vorgestellt als Naturmacht, Zufall oder in sonst
beliebiger Form, ist notwendiges Resultat dessen, daß der Ausgangspunkt nicht das freie
gesellschaftliche Individuum ist. Die Zirkulation als erste Totalität unter den ökonomischen
Kategorien gut, um dies zur Anschauung zu bringen."
S. 168f
"Daß das Bedürfnis des einen durch das Produkt des andren und vice versa befriedigt
werden kann und der eine fähig ist, den Gegenstand dem Bedürfnis des andren zu
produzieren und jeder dem andren als Eigentümer des Objekts des Bedürfnisses des andren
gegenübersteht, zeigt, daß jeder als Mensch über sein eignes besondres Bedürfnis etc.
übergreift und daß sie sich als Menschen zueinander verhalten; daß ihr gemeinschaftliches
Gattungswesen von allen gewußt ist. Es kömmt sonst nicht vor, daß Elefanten für Tiger oder
Tiere für andre Tiere produzieren. Z. B.: Ein Bienenschwarm bildet au fond nur eine Biene,
und sie produzieren alle dasselbe."
S. 366f
16
"Es ist hier der Schein fortgefallen, der noch bei der ersten Betrachtung des
Produktionsprozesses existierte, als ob das Kapital irgendeinen Wert von seiner Seite, aus
der Zirkulation, her beibrächte. Die objektiven Bedingungen der Arbeit erscheinen jetzt
vielmehr als ihr Produkt — sowohl soweit sie Wert überhaupt als Gebrauchswerte für die
Produktion sind. Wenn aber so das Kapital als Produkt der Arbeit erscheint, so erscheint
ebenso das Produkt der Arbeit als Kapital — nicht mehr als einfaches Produkt noch als
austauschbare Ware, sondern als Kapital; vergegenständlichte Arbeit als Herrschaft,
Kommando über lebendige. Es erscheint ebenso als Produkt der Arbeit, daß ihr Produkt als
fremdes Eigentum, selbständig der lebendigen Arbeit gegenübertretende Existenzweise,
ebenso als für sich seiender Wert erscheint; daß das Produkt der Arbeit, die
vergegenständlichte Arbeit mit einer eignen Seele von der lebendigen Arbeit selbst begabt
ist und sich ihr gegenüber als fremde Macht festsetzt. Vom Standpunkt der Arbeit aus
betrachtet, erscheint sie also so in dem Produktionsprozeß tätig, daß sie ihre Verwirklichung
in objektiven Bedingungen zugleich als fremde Realität von sich abstößt und daher sich
selbst als substanzloses, bloß bedürftiges Arbeitsvermögen gegenüber dieser ihr
entfremdeten, nicht ihr, sondern andern gehörigen Realität setzt; daß sie ihre eigne
Wirklichkeit nicht als Sein für sich, sondern als bloßes Sein für andres und daher auch als
bloßes Anderssein oder Sein des andren gegen sie selbst setzt. Dieser
Verwirklichungsprozeß ist ebenso der Entwirklichungsprozeß der Arbeit. Sie setzt sich
objektiv, aber sie setzt diese ihre Objektivität als ihr eignes Nichtsein oder als das Sein ihres
Nichtseins — des Kapitals. Sie kehrt in sich zurück als bloße Möglichkeit der Wertsetzung
oder Verwertung; weil der ganze wirkliche Reichtum, die Welt des wirklichen Werts und
ebenso die realen Bedingungen ihrer eignen Verwirklichung als selbständige Existenzen ihr
gegenüber gesetzt sind. Es sind die in dem eignen Schoß der lebendigen Arbeit ruhenden
Möglichkeiten, die infolge des Produktionsprozesses als Wirklichkeiten außer ihr existieren
— aber als ihr fremde Wirklichkeiten, die den Reichtum im Gegensatz zu ihr bilden."
S. 395f
"In allen diesen Formen ist die Reproduktion vorausgesetzter — mehr oder minder
naturwüchsiger oder auch historisch gewordner, aber traditionell gewordner — Verhältnisse
des einzelnen zu seiner Gemeinde und ein bestimmtes, ihm vorherbestimmtes objektives
Dasein, sowohl im Verhalten zu den Bedingungen der Arbeit wie zu seinen Mitarbeitern,
Stammesgenossen etc. — Grundlage der Entwicklung, die von vornherein daher eine
beschränkte ist, aber mit Aufhebung der Schranke Verfall und Untergang darstellt. Die
Entwicklung der Sklaverei, die Konzentration des Grundbesitzes, Austausch, Geldwesen,
Eroberung etc. so bei den Römern, obgleich alle diese Elemente bis zu einem gewissen
Punkt verträglich scheinen mit der Grundlage und sie teils nur unschuldig zu erweitern
scheinen, teils als bloße Mißbräuche aus ihr hervorzuwachsen. Es können hier große
Entwicklungen stattfinden innerhalb eines bestimmten Kreises. Die Individuen können groß
erscheinen. Aber an freie und volle Entwicklung, weder des Individuums, noch der
Gesellschaft nicht hier zu denken, da solche Entwicklung mit dem ursprünglichen Verhältnis
im Widerspruch steht.
Wir finden bei den Alten nie eine Untersuchung, welche Form des Grundeigentums etc. die
produktivste, den größten Reichtum schafft? Der Reichtum erscheint nicht als Zweck der
Produktion, obgleich sehr wohl Cato untersuchen kann, welche Bestellung des Feldes die
einträglichste, oder gar Brutus sein Geld zu den besten Zinsen ausborgen kann. Die Untersuchung
ist immer, welche Weise des Eigentums die besten Staatsbürger schafft. Als Selbstzweck erscheint
der Reichtum nur bei den wenigen Handelsvölkern — Monopolisten des carrying trade —, die in
den Poren der alten Welt leben, wie die Juden in der mittelaltrigen Gesellschaft. Nun ist der
Reichtum einerseits Sache, verwirklicht in Sachen, materiellen Produkten, denen der Mensch als
Subjekt gegenübersteht; andrerseits als Wert ist er bloßes Kommando über fremde Arbeit nicht zum
Zweck der Herrschaft, sondern des Privatgenusses etc. In allen Formen erscheint er in dinglicher
17
Gestalt, sei es Sache, sei es Verhältnis vermittelst der Sache, die außer und zufällig neben dem
Individuum liegt. So erscheint die alte Anschauung, wo der Mensch, in welcher bornierten
nationalen, religiösen, politischen Bestimmung auch immer als Zweck der Produktion erscheint,
sehr erhaben zu sein gegen die moderne Welt, wo die Produktion als Zweck des Menschen und der
Reichtum als Zweck der Produktion erscheint. In fact aber, wenn die bornierte bürgerliche Form
abgestreift wird, was ist der Reichtum anders, als die im universellen Austausch erzeugte
Universalität der Bedürfnisse, Fähigkeiten, Genüsse, Produktivkräfte etc. der Individuen? Die volle
Entwicklung der menschlichen Herrschaft über die Naturkräfte, die der sog. Natur sowohl wie
seiner eignen Natur? Das absolute Herausarbeiten seiner schöpferischen Anlagen, ohne andre
Voraussetzung als die vorhergegangne historische Entwicklung, die diese Totalität der
Entwicklung, d. h. der Entwicklung aller menschlichen Kräfte als solcher, nicht gemessen an einem
vorhergegebnen Maßstab, zum Selbstzweck macht? Wo er sich nicht reproduziert in einer
Bestimmtheit, sondern seine Totalität produziert? Nicht irgend etwas Gewordnes zu bleiben sucht,
sondern in der absoluten Bewegung des Werdens ist? In der bürgerlichen Ökonomie — und der
Produktionsepoche, der sie entspricht — erscheint diese völlige Herausarbeitung des menschlichen
Innern als völlige Entleerung; diese universelle Vergegenständlichung als totale Entfremdung und
die Niederreißung aller bestimmten einseitigen Zwecke als Aufopferung des Selbstzwecks unter
einen ganz äußeren Zweck. Daher erscheint einerseits die kindische alte Welt als das Höhere.
Andrerseits ist sie es in alledem, wo geschloßne Gestalt, Form und gegebne Begrenzung gesucht
wird. Sie ist Befriedigung auf einem bornierten Standpunkt; während das Moderne unbefriedigt läßt
oder, wo es in sich befriedigt erscheint, gemein ist."
S. 422
"Der Austausch von Arbeit gegen Arbeit — scheinbar die Bedingung des Eigentums des
Arbeiters — beruht auf der Eigentumslosigkeit des Arbeiters als ihrer Basis.} (Daß die
äußerste Form der Entfremdung, worin im Verhältnis des Kapitals zur Lohnarbeit die
Arbeit, die produktive Tätigkeit zu ihren eignen Bedingungen und ihrem eignen Produkt
erscheint, ein notwendiger Durchgangspunkt ist — und daher an sich, nur noch in
verkehrter, auf den Kopf gestellter Form schon enthält die Auflösung aller bornierten
Voraussetzungen der Produktion und vielmehr die unbedingten Voraussetzungen der
Produktion schafft und herstellt, daher die vollen materiellen Bedingungen für die totale,
universelle Entwicklung der Produktivkräfte des Individuums, wird später betrachtet
werden.)"
S. 403f
"Eigentum meint also ursprünglich — und so in seiner asiatischen, slawischen, antiken,
germanischen Form — Verhalten des arbeitenden (produzierenden) Subjekts (oder sich
reproduzierenden) zu den Bedingungen seiner Produktion oder Reproduktion als den seinen.
Es wird daher auch verschiedne Formen haben nach den Bedingungen dieser Produktion.
Die Produktion selbst bezweckt die Reproduktion des Produzenten in und mit diesen seinen
objektiven Daseinsbedingungen. Dieses Verhalten als Eigentümer — nicht als Resultat,
sondern Voraussetzung der Arbeit, i. e. der Produktion — setzt voraus ein bestimmtes
Dasein des Individuums als Glied eines Stamm- oder Gemeinwesens (dessen Eigentum es
selbst ist bis zu einem gewissen Punkt). Sklaverei, Leibeigenschaft etc., wo der Arbeiter
selbst unter den Naturbedingungen der Produktion für ein drittes Individuum oder
Gemeinwesen erscheint (dies ist z.B. bei der allgemeinen Sklaverei des Orients nicht der
Fall, nur vom europäischen point of view aus) — also Eigentum nicht mehr das Verhalten
des selbstarbeitenden Individuums zu den objektiven Bedingungen der Arbeit —, ist immer
sekundär, nie ursprüngüch, obgleich notwendiges und konsequentes Resultat des auf dem
Gemeinwesen und Arbeit im Gemeinwesen gegründeten Eigentums. Es ist zwar sehr
einfach, sich vorzustellen, daß ein Gewaltiger, physisch Überlegner, nachdem er erst das
Tier gefangen, dann Menschen fängt, um durch ihn Tiere fangen zu lassen; mit einem Worte
18
sich ebenso des Menschen als einer natürlich vorgefundnen Bedingung für seine
Reproduktion bedient (wobei seine eigne Arbeit in Herrschen sich auflöst etc.) wie
irgendeines andren Naturwesens. Aber solche Ansicht ist abgeschmackt — sosehr richtig
vom Standpunkt gegebner Stammoder Gemeinwesen —, da sie von der Entwicklung
vereinzelter Menschen ausgeht. Der Mensch vereinzelt sich erst durch den historischen
Prozeß. Er erscheint ursprünglich als ein Gattungswesen, Stammwesen, Herdentier— wenn
auch keineswegs als ein zoon politikon im politischen Sinn. Der Austausch selbst ist ein
Hauptmittel dieser Vereinzelung. Er macht das Herdenwesen überflüssig und löst es auf.
Sobald die Sache sich so gedreht, daß er als Vereinzelter nur mehr sich auf sich bezieht, die
Mittel aber, um sich als Vereinzelter zu setzen, sein sich Allgemein- und Gemeinmachen
geworden sind. In diesem Gemeinwesen ist das objektive Dasein des einzelnen als
Eigentümer, sage z.B. Grundeigentümer, vorausgesetzt, und zwar unter gewissen
Bedingungen, die ihn an das Gemeinwesen ketten oder vielmehr einen Ring in seiner Kette
machen. In der bürgerlichen Gesellschaft steht der Arbeiter z. B. rein objektivlos, subjektiv
da; aber die Sache, die ihm gegenübersteht, ist das wahre Gemeinwesen nun geworden, das
er zu verspeisen sucht und von dem er verspeist wird. Alle Formen (mehr oder minder
naturwüchsig, alle zugleich aber auch Resultate historischen Prozesses), worin das
Gemeinwesen die Subjekte in bestimmter objektiver Einheit mit ihren
Produktionsbedingungen oder ein bestimmtes subjektives Dasein die Gemeinwesen selbst
als Produktionsbedingungen unterstellt, entsprechen notwendig nur limitierter und
prinzipiell limitierter Entwicklung der Produktivkräfte. Die Entwicklung der Produktivkräfte
löst sie auf, und ihre Auflösung selbst ist eine Entwicklung der menschlichen
Produktivkräfte. Es wird erst gearbeitet von gewisser Grundlage aus — erst naturwüchsig —
dann historische Voraussetzung. Dann aber wird diese Grundlage oder Voraussetzung selbst
aufgehoben oder gesetzt als eine verschwindende Voraussetzung, die zu eng geworden für
die Entfaltung des progressiven Menschenpacks."
S. 512f
"Du sollst arbeiten im Schweiß deines Angesichts! war Jehovas Fluch, den er Adam mitgab.
Und so als Fluch nimmt A. Smith die Arbeit. Die „Ruhe" erscheint als der adäquate Zustand,
als identisch mit „Freiheit" und „Glück". Daß das Individuum „in seinem normalen Zustand
von Gesundheit, Kraft, Tätigkeit, Geschicklichkeit, Gewandtheit" auch das Bedürfnis einer
normalen Portion von Arbeit hat und von Aufhebung der Ruhe, scheint A. Smith ganz
fernzuliegen. Allerdings erscheint das Maß der Arbeit selbst äußerlich gegeben, durch den
zu erreichenden Zweck und die Hindernisse, die zu seiner Erreichung durch die Arbeit zu
überwinden. Daß aber diese Überwindung von Hindernissen an sich Betätigung der Freiheit
— und daß ferner die äußren Zwecke den Schein bloß äußrer Naturnotwendigkeit abgestreift
erhalten und als Zwecke, die das Individuum selbst erst setzt, gesetzt werden — also als
Selbstverwirklichung, Vergegenständlichung des Subjekts, daher reale Freiheit, deren
Aktion eben die Arbeit, ahnt A. Smith ebensowenig. Allerdings hat er recht, daß in den
historischen Formen der Arbeit als Sklaven-, Fronde-, Lohnarbeit die Arbeit stets repulsiv,
stets als äußre Zwangsarbeit erscheint und ihr gegenüber die Nichtarbeit als „Freiheit und
Glück". Es gilt doppelt: von dieser gegensätzlichen Arbeit und, was damit zusammenhängt,
der Arbeit, die sich noch nicht die Bedingungen, subjektive und objektive, geschaffen hat
(oder auch gegen den Hirten- etc. Zustand, der sie verloren hat), damit die Arbeit travail
attractif, Selbstverwirklichung des Individuums sei, was keineswegs meint, daß sie bloßer
Spaß sei, bloßes amusement, wie Fourier [, p. 245—252] es sehr grisettenmäßig naiv
auffaßt. Wirklich freie Arbeiten, z. B. Komponieren, ist grade zugleich verdammtester Ernst,
intensivste Anstrengung. Die Arbeit der materiellen Produktion kann diesen Charakter nur
erhalten, dadurch, daß 1. ihr gesellschaftlicher Charakter gesetzt ist, 2. daß sie
wissenschaftlichen Charakters, zugleich allgemeine Arbeit ist, nicht Anstrengung des
Menschen als bestimmt dressierter Naturkraft, sondern als Subjekt, das in dem
19
Produktionsprozeß nicht in bloß natürlicher, naturwüchsiger Form, sondern als alle
Naturkräfte regelnde Tätigkeit erscheint. Übrigens denkt A.Smith nur an die Sklaven des
Kapitals. Z.B. selbst der halbkünstlerische Arbeiter des Mittelalters ist nicht zu rangieren
unter seine Definition. Was wir aber hier zunächst wollen, ist nicht auf seine Ansicht von
der Arbeit eingehn, seine philosophische, sondern das ökonomische Moment. Die Arbeit,
bloß als Opfer betrachtet und darum wertsetzend, als Preis, der für die Dinge bezahlt wird
und ihnen daher Preis gibt, je nachdem sie mehr oder weniger Arbeit kosten, ist rein
negative Bestimmung. Daher konnte denn Herr Senior z.B. das Kapital zu einer
Produktionsquelle im selben Sinn wie die Arbeit, sui generis machen, eine
Produktionsquelle von Wert, weil auch der Kapitalist ein Opfer bringe, das Opfer der
abstinence, indem er sich bereichert, statt sein Produkt direkt aufzuessen. Ein bloß Negatives
schafft nichts. Wenn die Arbeit dem Arbeiter z.B. Vergnügen macht — wie sicher dem
geizigen Seniors abstinence —, so verliert das Produkt nichts an seinem Wert. Die Arbeit
allein produziert; sie ist die einzige Substanz der Produkte als Werte. {Wie wenig Proudhon
die Sache verstanden hat, geht aus seinem Axiom hervor, daß jede Arbeit ein Surpilus läßt.
Was er bei dem Kapital verneint, verwandelt er in natürliche Eigenschaft der Arbeit. Der
Witz ist vielmehr, daß die zur Fristung der absoluten Bedürfnisse notwendige Arbeitszeit
freie Zeit läßt (verschieden auf den verschiednen Stufen der Entwicklung der
Produktivkräfte) und daher Surplusproduce geschaffen werden kann, wenn Surplusarbeit
gearbeitet wird. Das Verhältnis selbst aufzuheben ist der Zweck; so daß das Surplusproduce
selbst als notwendiges erscheint. Schließlich die materielle Produktion jedem Menschen
Surpluszeit zu andrer Tätigkeit läßt. Darin nun nichts Mystisches mehr. Ursprünglich die
freiwilligen Gaben der Natur reich, oder wenigstens nur anzueignen. Von vornherein
naturwüchsig Assoziation (Familie) und ihr entsprechende Teilung der Arbeit und
Kooperation. Denn ebenso ursprünglich die Bedürfnisse arm. Sie entwickeln sich selbst erst
mit den Produktivkräften.}"
S. 601f
"Der wirkliche Reichtum manifestiert sich vielmehr — und dies enthüllt die große Industrie
— im ungeheuren Mißverhältnis zwischen der angewandten Arbeitszeit und ihrem Produkt
wie ebenso im qualitativen Mißverhältnis zwischen der auf eine reine Abstraktion
reduzierten Arbeit und der Gewalt des Produktionsprozesses, den sie bewacht. Die Arbeit
erscheint nicht mehr so sehr als in den Produktionsprozeß eingeschlossen, als sich der
Mensch vielmehr als Wächter und Regulator zum Produktionsprozeß selbst verhält. (Was
von der Maschinerie gilt ebenso von der Kombination der menschlichen Tätigkeit und der
Entwicklung des menschlichen Verkehrs.) Es ist nicht mehr der Arbeiter, der modifizierten
Naturgegenstand als Mittelglied zwischen das Objekt und sich einschiebt; sondern den
Naturprozeß, den er in einen industriellen umwandelt, schiebt er als Mittel zwischen sich
und die unorganische Natur, deren er sich bemeistert. Er tritt neben den Produktionsprozeß,
statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit,
die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner
eignen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung
derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper — in einem Wort die Entwicklung des
gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des
Reichtums erscheint. Der Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum
beruht, erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die große Industrie
selbst geschaffne. Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle
des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören, die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher
der Tauschwert [das Maß] des Gebrauchswerts. Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört,
Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso wie die
Nichtarbeit der wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen
Kopfes. Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhnde Produktion zusammen, und der
unmittelbare materielle Produktionsprozeß erhält selbst die Form der Notdürftigkeit und
Gegensätzlichkeit abgestreift. Die freie Entwicklung der Individualitäten und daher nicht das
20
Reduzieren der notwendigen Arbeitszeit, um Surplusarbeit zu setzen, sondern überhaupt die
Reduktion der notwendigen Arbeit der Gesellschaft zu einem Minimum, der dann die
künstlerische, wissenschaftliche etc. Ausbildung der Individuen durch die für sie alle
freigewordne Zeit und geschaffnen Mittel entspricht. Das Kapital ist selbst der
prozessierende Widerspruch [dadurch], daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu
reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des
Reichtums setzt. Es vermindert die Arbeitszeit daher in der Form der notwendigen, um sie
zu vermehren in der Form der überflüssigen; setzt daher die überflüssige in wachsendem
Maß als Bedingung — question de vie et de mort — für die notwendige. Nach der einen
Seite hin ruft es also alle Mächte der Wissenschaft und der Natur wie der gesellschaftlichen
Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs ins Leben, um die Schöpfung des
Reichtums unabhängig (relativ) zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach
der andren Seite wie es diese so geschaffnen riesigen Gesellschaftskräfte messen an der
Arbeitszeit und sie einbannen in die Grenzen, die erheischt sind, um den schon geschaffnen
Wert als Wert zu erhalten. Die Produktivkräfte und gesellschaftlichen Beziehungen —
beides verschiedne Seiten der Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums —
erscheinen dem Kapital nur als Mittel und sind für es nur Mittel, um von seiner bornierten
Grundlage aus zu produzieren. In fact aber sind sie die materiellen Bedingungen, um sie in
die Luft zu sprengen."
S. 603f
{Die Schöpfung von viel disposable time außer der notwendigen Arbeitszeit für die
Gesellschaft überhaupt und jedes Glied derselben (d. h. Raum für die Entwicklung der
vollen Produktivkräfte der einzelnen, daher auch der Gesellschaft), diese Schöpfung von
Nicht-Arbeitszeit erscheint auf dem Standpunkt des Kapitals, wie aller frühren Stufen, als
Nicht-Arbeitszeit, freie Zeit für einige. Das Kapital fügt hinzu, daß es die Surplusarbeitszeit
der Masse durch alle Mittel der Kunst und Wissenschaft vermehrt, weil sein Reichtum direkt
in der Aneignung von Surplusarbeitszeit besteht; da sein Zweck direkt der Wert, nicht der
Gebrauchswert. Es ist so, malgre lui, instrumental in creating the means of social disposable
time, um die Arbeitszeit für die ganze Gesellschaft auf ein fallendes Minimum zu reduzieren
und so die Zeit aller frei für ihre eigne Entwicklung zu machen. Seine Tendenz aber immer,
einerseits disposable time zu schaffen, andrerseits to convert it into surplus labour. Gelingt
ihm das erstre zu gut, so leidet es an Surplusproduktion, und dann wird die notwendige
Arbeit unterbrochen, weil keine surplus labour vom Kapital verwertet werden kann. Je mehr
dieser Widerspruch sich entwickelt, um so mehr stellt sich heraus, daß das Wachstum der
Produktivkräfte nicht mehr gebannt sein kann an die Aneignung fremder surplus labour,
sondern die Arbeitermasse selbst ihre Surplusarbeit sich aneignen muß. Hat sie das getan —
und hört damit die disposable time auf, gegensätzliche Existenz zu haben—, so wird
einerseits die notwendige Arbeitszeit ihr Maß an den Bedürfnissen des gesellschaftlichen
Individuums haben, andrerseits die Entwicklung der gesellschaftichen Produktivkraft so
rasch wachsen, daß, obgleich nun auf den Reichtum aller die Produktion berechnet ist, die
disposable time aller wächst. Denn der wirkliche Reichtum ist die entwickelte
Produktivkraft aller Individuen. Es ist dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die
disposable time das Maß des Reichtums. Die Arbeitszeit als Maß des Reichtums setzt den
Reichtum selbst als auf der Armut begründet und die disposable time nur existierend im und
durch den Gegensatz zur Surplusarbeitszeit oder Setzen der ganzen Zeit des Individuums als
Arbeitszeit und Degradation desselben daher zum bloßen Arbeiter, Subsumtion unter die
Arbeit. Die entwickeltste Maschinerie zwingt den Arbeiter daher, jetzt länger zu arbeiten, als
der Wilde tut oder als er selbst mit den einfachsten, rohsten Werkzeugen tat.}"
S. 604f
21
{Wie mit der Entwicklung der großen Industrie die Basis, auf der sie ruht, Aneignung
fremder Arbeitszeit, aufhört, den Reichtum auszumachen oder zu schaffen, so hört mit ihr
die unmittelbare Arbeit auf, als solche Basis der Produktion zu sein, indem sie nach der
einen Seite hin in mehr überwachende und regulierende Tätigkeit verwandelt wird; dann
aber auch, weil das Produkt aufhört, Produkt der vereinzelten unmittelbaren Arbeit zu sein,
und vielmehr die Kombination der gesellschaftlichen Tätigkeit als der Produzent erscheint."
S. 607
"{Die wirkliche Ökonomie — Ersparung — besteht in Ersparung von Arbeitszeit;
(Minimum (und Reduktion zum Minimum) der Produktionskosten); diese Ersparung aber
identisch mit Entwicklung der Produktivkraft. Also keineswegs Entsagen vom Genuß,
sondern Entwickeln von power, von Fähigkeiten zur Produktion und daher sowohl der
Fähigkeiten wie der Mittel des Genusses. Die Fähigkeit des Genusses ist Bedingung für
denselben, also erstes Mittel desselben, und diese Fähigkeit ist Entwicklung einer
individuellen Anlage, Produktivkraft. Die Ersparung von Arbeitszeit gleich Vermehren der
freien Zeit, d. h. Zeit für die volle Entwicklung des Individuums, die selbst wieder als die
größte Produktivkraft zurückwirkt auf die Produktivkraft der Arbeit. Sie kann vom
Standpunkt des unmittelbaren Produktionsprozesses aus betrachtet werden als Produktion
von capital fixe; dies capital fixe being man himself. Daß übrigens die unmittelbare
Arbeitszeit selbst nicht in dem abstrakten Gegensatz zu der freien Zeit bleiben kann — wie
sie vom Standpunkt der bürgerlichen Ökonomie aus erscheint —, versteht sich von selbst.
Die Arbeit kann nicht Spiel werden, wie Fourier [, p. 245-252] will, dem das große
Verdienst bleibt, die Aufhebung nicht der Distribution, sondern der Produktionsweise selbst
in höhre Form als ultimate object ausgesprochen zu haben. Die freie Zeit, die sowohl
Mußezeit als Zeit für höhre Tätigkeit ist — hat ihren Besitzer natürlich in ein andres Subjekt
verwandelt, und als dies andre Subjekt tritt er dann auch in den unmittelbaren
Produktionsprozeß. Es ist dieser zugleich Disziplin, mit Bezug auf den werdenden
Menschen betrachtet, wie Ausübung, Experimentalwissenschaft, materiell schöpferische und
sich vergegenständlichende Wissenschaft mit Bezug auf den gewordnen Menschen, in
dessen Kopf das akkumulierte Wissen der Gesellschaft existiert. Für beide, soweit die Arbeit
praktisches Handanlegen erfordert und freie Bewegung, wie in der Agrikultur, zugleich
exercise."
S. 721-723
"Der fact, daß mit der Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit die gegenständlichen
Bedingungen der Arbeit, die vergegenständlichte Arbeit wachsen muß im Verhältnis zur
lebendigen Arbeit — es ist dies eigentlich ein selbstverständlich tautologischer Satz, denn
was heißt wachsende Produktivkraft der Arbeit anders, als daß weniger unmittelbare Arbeit
erheischt ist, um ein größres Produkt zu schaffen, und daß also der gesellschaftliche
Reichtum sich mehr und mehr ausdrückt in den von der Arbeit selbst geschaffnen
Bedingungen der Arbeit — erscheint vom Standpunkt des Kapitals so, nicht daß das eine
Moment der gesellschaftlichen Tätigkeit — die gegenständliche Arbeit — zum immer
gewaltigem Leib des andren Moments, der subjektiven, lebendigen Arbeit wird, sondern daß
— und dies ist wichtig für die Lohnarbeit — die objektiven Bedingungen der Arbeit eine
immer kolossalere Selbständigkeit, die sich durch ihren very extent darstellt, gegen die
lebendige Arbeit annehmen und der gesellschaftliche Reichtum in gewaltigem Portionen als
fremde und beherrschende Macht der Arbeit gegenübertritt. Der Ton wird gelegt nicht auf
das Vergegenständlichtsein, sondern das Entfremdet-, Entäußert-, Veräußertsein — das
Nicht-dem-Arbeiter-, sondern den personifizierten Produktionsbedingungen-, i. e. demKapital-Zugehören, der ungeheuren [ver]gegenständlichten Macht, die die gesellschaftliche
Arbeit selbst sich als eins ihrer Momente gegenübergestellt hat. Soweit auf dem Standpunkt
22
des Kapitals und der Lohnarbeit die Erzeugung dieses gegenständlichen Leibes der Tätigkeit
im Gegensatz zum unmittelbaren Arbeitsvermögen geschieht — dieser Prozeß der
Vergegenständlichung in fact als Prozeß der Entäußerung vom Standpunkt der Arbeit aus
oder der Aneignung fremder Arbeit vom Standpunkt des Kapitals aus erscheint —, ist diese
Verdrehung und Verkehrung eine wirkliche, keine bloß gemeinte, bloß in der Vorstellung
der Arbeiter und Kapitalisten existierende. Aber offenbar ist dieser Verkehrungsprozeß bloß
historische Notwendigkeit, bloß Notwendigkeit für die Entwicklung der Produktivkräfte von
einem bestimmten historischen Ausgangspunkt aus, oder Basis aus, aber keineswegs eine
absolute Notwendigkeit der Produktion; vielmehr eine verschwindende, und das Resultat
und der Zweck (immanente) dieses Prozesses ist, diese Basis selbst aufzuheben, wie diese
Form des Prozesses. Die bürgerlichen Ökonomen sind so eingepfercht in den Vorstellungen
einer bestimmten historischen Entwicklungsstufe der Gesellschaft, daß die Notwendigkeit
der Vergegenständlichung der gesellschaftlichen Mächte der Arbeit ihnen unzertrennbar
erscheint von der Notwendigkeit der Entfremdung derselben gegenüber der lebendigen
Arbeit. Mit der Aufhebung aber des unmittelbaren Charakters der lebendigen Arbeit als bloß
einzelner oder als bloß innerlich oder bloß äußerlich allgemeiner, mit dem Setzen der
Tätigkeit der Individuen als unmittelbar allgemeiner oder gesellschaftlicher, wird den
gegenständlichen Momenten der Produktion diese Form der Entfremdung abgestreift; sie
werden damit gesetzt als Eigentum, als der organische gesellschaftliche Leib, worin die
Individuen sich reproduzieren als Einzelne, aber als gesellschaftliche Einzelne. Die
Bedingungen, so zu sein in der Reproduktion ihres Lebens, in ihrem produktiven
Lebensprozeß, sind erst gesetzt worden durch den historischen ökonomischen Prozeß selbst;
sowohl die objektiven wie die subjektiven Bedingungen, die nur die zwei unterschiednen
Formen derselben Bedingungen sind.
Die Eigentumslosigkeit des Arbeiters und das Eigentum der vergegenständlichten Arbeit an der
lebendigen oder die Aneignung fremder Arbeit durch das Kapital — beides nur auf zwei
entgegengesetzten Polen dasselbe Verhältnis ausdrückend — sind Grundbedingungen der
bürgerlichen Produktionsweise, keineswegs ihr gleichgültige Zufälle. Diese Distributionsweisen
sind die Produktionsverhältnisse selbst, nur sub specie distributionis."
Weitere Stelle: S. 538 (objektivierte Arbeit, die sich im Wert verselbständigt, erscheint als
entfremdetes Produkt der Arbeit)
10. "Lohn, Preis, Profit"
Geschrieben: 1865. Veröffentlicht: Erstmals 1898 von Eleanor Marx.
MEW Band 16
S. 144f
"Zeit ist der Raum zu menschlicher Entwicklung. Ein Mensch, der nicht über freie Zeit
verfügt, dessen ganze Lebenszeit - abgesehn von rein physischen Unterbrechungen durch
Schlaf, Mahlzeiten usw. — von seiner Arbeit für den Kapitalisten verschlungen wird, ist
weniger als ein Lasttier. Er ist eine bloße Maschine zur Produktion von fremdem Reichtum,
körperlich gebrochen und geistig verroht. Dennoch zeigt die ganze Geschichte der modernen
Industrie, daß das Kapital, wenn ihm nicht Einhalt geboten wird, ohne Gnade und
Barmherzigkeit darauf aus ist, die ganze Arbeiterklasse in diesen Zustand äußerster
Degradation zu stürzen."
23
11. "Das Kapital", Erster Band
Geschrieben: 1863-1865. Veröffentlicht: 1867 (Erste Auflage). Zweite, inhaltlich veränderte
Auflage: 1872/1873. Dritte, wieder inhaltlich veränderte Auflage nach Marx' Tod durch Engels
1883. Erneute Veränderungen (Einarbeitung der von Marx autorisierten französischen Ausgabe) in
der vierten Auflage von 1890. Die vierte Auflage wird in MEW Band 23 wiedergegeben.
MEW Band 23
S. 93
"Verwandlung des Produkts in Ware, und daher das Dasein der Menschen als
Warenproduzenten, eine untergeordnete Rolle, die jedoch um so bedeutender wird, je mehr
die Gemeinwesen in das Stadium ihres Untergangs treten. Eigentliche Handelsvölker
existieren nur in den Intermundien der alten Welt, wie Epikurs Götter oder wie Juden in den
Poren der polnischen Gesellschaft. Jene alten gesellschaftlichen Produktionsorganismen sind
außerordentlich viel einfacher und durchsichtiger als der bürgerliche, aber sie beruhen
entweder auf der Unreife des individuellen Menschen, der sich von der Nabelschnur des
natürlichen Gattungszusammenhangs mit andren noch nicht losgerissen hat, oder auf
unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen. Sie sind bedingt durch eine
niedrige Entwicklungsstufe der Produktivkräfte der Arbeit und entsprechend befangene
Verhältnisse der Menschen innerhalb ihres materiellen Lebenserzeugungsprozesses, daher
zueinander und zur Natur. Diese wirkliche Befangenheit spiegelt sich ideell wider in den
alten Natur- und Volksreligionen. Der religiöse Widerschein der wirklichen Welt kann
überhaupt nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des praktischen Werkeltagslebens den
Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur
darstellen. Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d.h. des materiellen
Produktionsprozesses, streift nur ihren mystischen Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt
frei vergesellschafteter Menschen unter deren bewußter planmäßiger Kontrolle steht. Dazu
ist jedoch eine materielle Grundlage der Gesellschaft erheischt oder eine Reihe materieller
Existenzbedingungen, welche selbst wieder das naturwüchsige Produkt einer langen und
qualvollen Entwicklungsgeschichte sind."
S. 123
"Wir kennen bisher kein ökonomisches Verhältnis der Menschen außer dem von
Warenbesitzern, ein Verhältnis, worin sie fremdes Arbeitsprodukt nur aneignen, indem sie
eignes entfremden."
S. 192f
"Der Arbeitsprozeß ist daher zunächst unabhängig von jeder bestimmten gesellschaftlichen
Form zu betrachten. Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein
Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat
vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht
gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und
Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben
brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm
wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr
schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit.
Wir haben es hier nicht mit den ersten tierartig instinktmäßigen Formen der Arbeit zu tun.
Dem Zustand, worin der Arbeiter als Verkäufer seiner eignen Arbeitskraft auf dem
Warenmarkt auftritt, ist in urzeitlichen Hintergrund der Zustand entrückt, worin die
menschliche Arbeit ihre erste instinktartige Form noch nicht abgestreift hatte. Wir
24
unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine
Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt
durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von
vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die
Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses
kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des
Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des
Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der
die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen
muß. Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt. Außer der Anstrengung der Organe,
die arbeiten, ist der zweckmäßige Wille, der sich als Aufmerksamkeit äußert, für die ganze
Dauer der Arbeit erheischt, und um so mehr, je weniger sie durch den eignen Inhalt und die
Art und Weise ihrer Ausführung den Arbeiter mit sich fortreißt, je weniger er sie daher als
Spiel seiner eignen körperlichen und geistigen Kräfte genießt. Die einfachen Momente des
Arbeitsprozesses sind die zweckmäßige Tätigkeit oder die Arbeit selbst, ihr Gegenstand und
ihr Mittel."
S. 329
"Die Produktionsmittel verwandelten sich sofort in Mittel Zur Einsaugung fremder Arbeit.
Es ist nicht mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, sondern es sind die
Produktionsmittel, die den Arbeiter anwenden. Statt von ihm als stoffliche Elemente seiner
produktiven Tätigkeit verzehrt zu werden, verzehren sie ihn als Ferment ihres eignen
Lebensprozesses, und der Lebensprozeß des Kapitals besteht nur in seiner Bewegung als
sich selbst verwertender Wert. Schmelzöfen und Arbeitsgebäude, die des Nachts ruhn und
keine lebendige Arbeit einsaugen, sind „reiner Verlust" („mere loss") für den Kapitalisten.
Darum konstituieren Schmelzöfen und Arbeitsgebäude einen „Anspruch auf die
Nachtarbeit" der Arbeitskräfte. Die bloße Verwandlung des Geldes in gegenständliche
Faktoren des Produktionsprozesses, in Produktionsmittel, verwandelt letztre in Rechtstitel
und Zwangstitel auf fremde Arbeit und Mehrarbeit. Wie diese der kapitalistischen
Produktion eigentümliche und sie charakterisierende Verkehrung, ja Verrückung des
Verhältnisses von toter und lebendiger Arbeit, von Wert und wertschöpferischer Kraft, sich
im Bewußtsein der Kapitalistenköpfe abspiegelt, zeige schließlich noch ein Beispiel."
S. 345f
"Abgesehn von der neuen Kraftpotenz, die aus der Verschmelzung vieler Kräfte in eine
Gesamtkraft entspringt, erzeugt bei den meisten produktiven Arbeiten der bloße
gesellschaftliche Kontakt einen Wetteifer und eine eigne Erregung der Lebensgeister
(animal spirits), welche die individuelle Leistungsfähigkeit der einzelnen erhöhen, so daß
ein Dutzend Personen zusammen in einem gleichzeitigen Arbeitstag von 144 Stunden ein
viel größres Gesamtprodukt liefern als zwölf vereinzelte Arbeiter, von denen jeder 12
Stunden, oder als ein Arbeiter, der 12 Tage nacheinander arbeitet. Dies rührt daher, daß der
Mensch von Natur, wenn nicht, wie Aristoteles meint, ein politisches, jedenfalls ein
gesellschaftliches Tier ist."
S. 348f
"Verglichen mit einer gleich großen Summe vereinzelter individueller Arbeitstage,
produziert der kombinierte Arbeitstag größre Massen von Gebrauchswert und vermindert
daher die zur Produktion eines bestimmten Nutzeffekts nötige Arbeitszeit. Ob er im
gegebnen Fall diese gesteigerte Produktivkraft erhält, weil er die mechanische Kraftpotenz
der Arbeit erhöht oder ihre räumliche Wirkungssphäre ausdehnt oder das räumliche
25
Produktionsfeld im Verhältnis zur Stufenleiter der Produktion verengt oder im kritischen
Moment viel Arbeit in wenig Zeit flüssig macht oder den Wetteifer der einzelnen erregt und
ihre Lebensgeister spannt oder den gleichartigen Verrichtungen vieler den Stempel der
Kontinuität und Vielseitigkeit aufdrückt, oder verschiedne Operationen gleichzeitig
verrichtet oder die Produktionsmittel durch ihren gemeinschaftlichen Gebrauch ökonomisiert oder der individuellen Arbeit den Charakter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit
verleiht, unter allen Umständen ist die spezifische Produktivkraft des kombinierten
Arbeitstags gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit oder Produktivkraft
gesellschaftlicher Arbeit. Sie entspringt aus der Kooperation selbst. Im planmäßigen
Zusammenwirken mit andern streift der Arbeiter seine individuellen Schranken ab und
entwickelt sein Gattungsvermögen."
S. 350f
"Zunächst ist das treibende Motiv und der bestimmende Zweck des kapitalistischen
Produktionsprozesses möglichst große Selbstverwertung des Kapitals, d.h. möglichst große
Produktion von Mehrwert, also möglichst große Ausbeutung der Arbeitskraft durch den
Kapitalisten. Mit der Masse der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter wächst ihr Widerstand
und damit notwendig der Druck des Kapitals zur Bewältigung dieses Widerstands. Die
Leitung des Kapitalisten ist nicht nur eine aus der Natur des gesellschaftlichen
Arbeitsprozesses entspringende und ihm angehörige besondre Funktion, sie ist zugleich
Funktion der Ausbeutung eines gesellschaftlichen Arbeitsprozesses und daher bedingt durch
den unvermeidlichen Antagonismus zwischen dem Ausbeuter und dem Rohmaterial seiner
Ausbeutung. Ebenso wächst mit dem Umfang der Produktionsmittel, die dem Lohnarbeiter
als fremdes Eigentum gegenüberstehn, die Notwendigkeit der Kontrolle über deren
sachgemäße Verwendung. Die Kooperation der Lohnarbeiter ist ferner bloße Wirkung des
Kapitals, das sie gleichzeitig anwendet. Der Zusammenhang ihrer Funktionen und ihre
Einheit als produktiver Gesamtkörper liegen außer ihnen, im Kapital, das sie
zusammenbringt und zusammenhält. Der Zusammenhang ihrer Arbeiten tritt ihnen daher
ideell als Plan, praktisch als Autorität des Kapitalisten gegenüber, als Macht eines fremden
Willens, der ihr Tun seinem Zweck unterwirft."
S. 455
"Die verselbständigte und entfremdete Gestalt, welche die kapitalistische Produktionsweise
überhaupt den Arbeitsbedingungen und dem Arbeitsprodukt gegenüber dem Arbeiter gibt,
entwickelt sich also mit der Maschinerie zum vollständigen Gegensatz. Daher mit ihr zum
erstenmal die brutale Revolte des Arbeiters gegen das Arbeitsmittel. Das Arbeitsmittel
erschlägt den Arbeiter. Dieser direkte Gegensatz erscheint allerdings am handgreiflichsten,
sooft neu eingeführte Maschinerie konkurriert mit überliefertem Handwerks- oder
Manufakturbetrieb. Aber innerhalb der großen Industrie selbst wirkt fortwährende
Verbeßrung der Maschinerie und Entwicklung des automatischen Systems analog."
S. 595f
"Was aber anfangs nur Ausgangspunkt war, wird vermittelst der bloßen Kontinuität des
Prozesses, der einfachen Reproduktion, stets aufs neue produziert und verewigt als eignes
Resultat der kapitalistischen Produktion. Einerseits verwandelt der Produktionsprozeß
fortwährend den stofflichen Reichtum in Kapital, in Verwertungs- und Genußmittel für den
Kapitalisten. Andrerseits kommt der Arbeiter beständig aus dem Prozeß heraus, wie er in ihn
eintrat - persönliche Quelle des Reichtums, aber entblößt von allen Mitteln, diesen Reichtum
für sich zu verwirklichen. Da vor seinem Eintritt in den Prozeß seine eigne Arbeit ihm selbst
entfremdet, dem Kapitalisten angeeignet und dem Kapital einverleibt ist, vergegenständlicht
26
sie sich während des Prozesses beständig in fremdem Produkt. Da der Produktionsprozeß
zugleich der Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft durch den Kapitalisten, verwandelt sich
das Produkt des Arbeiters nicht nur fortwährend in Ware, sondern in Kapital, Wert, der die
wertschöpfende Kraft aussaugt, Lebensmittel, die Personen kaufen, Produktionsmittel, die
den Produzenten anwenden. Der Arbeiter selbst produziert daher beständig den objektiven
Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der
Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eignen
Vergegenständlichungs- und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen
Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter.
Diese beständige Reproduktion oder Verewigung des Arbeiters ist das sine qua non der
kapitalistischen Produktion."
S. 635
"Da die vergangne Arbeit sich stets in Kapital verkleidet, d.h. das Passivum der Arbeit von
A, B, C usw. in das Aktivum des Nichtarbeiters X, sind Bürger und politische Ökonomen
voll des Lobes für die Verdienste der vergangnen Arbeit, welche nach dem schottischen
Genie MacCulloch sogar einen eignen Sold (Zins, Profit usw.) beziehn muß. Das stets
wachsende Gewicht der im lebendigen Arbeitsprozeß unter der Form von
Produktionsmitteln mitwirkenden vergangnen Arbeit wird also ihrer dem Arbeiter selbst,
dessen vergangne und unbezahlte Arbeit sie ist, entfremdeten Gestalt zugeschrieben, ihrer
Kapitalgestalt. Die praktischen Agenten der kapitalistischen Produktion und ihre
ideologischen Zungendrescher sind ebenso unfähig, das Produktionsmittel von der
antagonistischen gesellschaftlichen Charaktermaske, die ihm heutzutag anklebt, getrennt zu
denken, als ein Sklavenhalter den Arbeiter selbst von seinem Charakter als Sklave."
S. 645f
"Unter den bisher unterstellten, den Arbeitern günstigsten Akkumulationsbedingungen
kleidet sich ihr Abhängigkeitsverhältnis vom Kapital in erträgliche oder, wie Eden sagt,
„bequeme und liberale" Formen. Statt intensiver zu werden mit dem Wachstum des
Kapitals, wird es nur extensiver, d.h. die Exploitations- und Herrschaftssphäre des Kapitals
dehnt sich nur aus mit seiner eigenen Dimension und der Anzahl seiner Untertanen. Von
ihrem eignen anschwellenden und schwellend in Zusatzkapital verwandelten Mehrprodukt
strömt ihnen ein größerer Teil in der Form von Zahlungsmitteln zurück, so daß sie den Kreis
ihrer Genüsse erweitern, ihren Konsumtionsfonds von Kleidern, Möbeln usw. besser
ausstatten und kleine Reservefonds von Geld bilden können. So wenig aber bessere
Kleidung, Nahrung, Behandlung und ein größeres Peculium das Abhängigkeitsverhältnis
und die Exploitation des Sklaven aufheben, so wenig die des Lohnarbeiters. Steigender Preis
der Arbeit infolge der Akkumulation des Kapitals besagt in der Tat nur, daß der Umfang und
die Wucht der goldnen Kette, die der Lohnarbeiter sich selbst bereits geschmiedet hat, ihre
losere Spannung erlauben."
S. 674f
"Wir sahen im vierten Abschnitt bei Analyse der Produktion des relativen Mehrwerts:
innerhalb des kapitalistischen Systems vollziehn sich alle Methoden zur Steigerung der
gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit auf Kosten des individuellen Arbeiters; alle
Mittel zur Entwicklung der Produktion schlagen um in Beherrschungs- und
Exploitationsmittel des Produzenten, verstümmeln den Arbeiter in einen Teilmenschen,
entwürdigen ihn zum Anhängsel der Maschine, vernichten mit der Qual seiner Arbeit ihren
Inhalt, entfremden ihm die geistigen Potenzen des Arbeitsprozesses im selben Maße, worin
letzterem die Wissenschaft als selbständige Potenz einverleibt wird; sie verunstalten die
27
Bedingungen, innerhalb deren er arbeitet, unterwerfen ihn während des Arbeitsprozesses der
kleinlichst gehässigen Despotie, verwandeln seine Lebenszeit in Arbeitszeit, schleudern sein
Weib und Kind unter das Juggernaut-Rad des Kapitals. Aber alle Methoden zur Produktion
des Mehrwerts sind zugleich Methoden der Akkumulation, und jede Ausdehnung der
Akkumulation wird umgekehrt Mittel zur Entwicklung jener Methoden. Es folgt daher, daß
im Maße wie Kapital akkumuliert, die Lage des Arbeiters, welches immer seine Zahlung,
hoch oder niedrig, sich verschlechtern muß. Das Gesetz endlich, welches die relative
Übervölkerung oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und Energie der
Akkumulation in Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter fester an das Kapital als den
Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen. Es bedingt eine der Akkumulation von
Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem
einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit,
Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse,
die ihr eignes Produkt als Kapital produziert."
Weitere Stelle: S. 598.
12. "Resultate des unmittelbaren Productionsprocesses" (ursprünglich als 6. Kapitel des
ersten Bandes des "Kapital" gedacht
Geschrieben: 1863-1865. Veröffentlicht: Erstmals 1933 im Marx-Engels-Archiv Moskau.
Ausgabe: Verlag Neue Kritik, 1969.
S. 20f
"Die Funktionen, die der Kapitalist ausübt, sind nur die mit Bewusstsein und Willen
ausgeübten Funktionen des Kapitals - des sich verwertenden Werts durch Einsaugung der
lebendigen Arbeit - selbst. Der Kapitalist funktioniert nur als personifiziertes Kapital, das
Kapital als Person, wie der Arbeiter nur als die personifizierte Arbeit, die ihm als Qual, als
Anstrengung, die aber dem Kapitalisten als Reichtum schaffende und vermehrende Substanz
gehört, wie sie als solche in der Tat als dem Kapital im Produktionsprozess einverleibtes
Element, sein lebendiger, variabler Faktor erscheint. Die Herrschaft des Kapitalisten über
den Arbeiter ist daher die Herrschaft der Sache über den Menschen, der toten Arbeit über
die lebendige, des Produkts über den Produzenten, da ja in der Tat die Waren, die zu
Herrschaftsmitteln (aber bloss als Mittel der Herrschaft des Kapitals selbst) über die
Arbeiter werden, blosse Resultate des Produktionsprozesses, die Produkte desselben sind. Es
ist dies ganz dasselbe Verhältnis in der materiellen Produktion, im wirklichen
Gesellschaftlichen Lebensprozess - denn dies ist der Produktionsprozess - welches sich auf
dem ideologischen Gebiet in der Religion darstellt, die Verkehrung des Subjekts in das
Objekt und umgekehrt. Historisch betrachtet erscheint diese Verkehrung als der notwendige
Durchgangspunkt, um die Schöpfung des Reichtums als solchen, d.h. der rücksichtslosen
Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit, welche allein die materielle Basis einer freien
menschlichen Gesellschaft bilden können, auf Kosten der Mehrzahl zu erzwingen. Es muss
durch diese gegensätzliche Form durchgangen werden, ganz wie der Mensch seine
Geisteskräfte zunächst sich als unabhängige Mächte gegenüber religiös gestalten muss. Es
ist der Entfremdungsprozess seiner eigenen Arbeit. Insofern steht hier der Arbeiter von
vornherein höher als der Kapitalist, als der letztere in jenem Entfremdungsprozess wurzelt
und in ihm seine absolute Befriedigung findet, während der Arbeiter als sein Opfer von vorn
herein dagegen in einem rebellischen Verhältnis steht und ihn als Knechtungsprozess
empfindet. Soweit der Produktionsprozess zugleich wirklicher Arbeitsprozess ist und der
28
Kapitalist als Aufseher und Leiter desselben eine Funktion in der wirklichen Produktion zu
verrichten hat, bekömmt seine Tätigkeit in der Tat einen spezifischen, mannigfaltigen Inhalt.
Aber der Arbeitsprozess selbst erscheint nur als Mittel des Verwertungsprozesses, ganz wie
der Gebrauchswert des Produkts nur als Träger seines Tauschwerts. Die Selbstverwertung
des Kapitals - die Schöpfung von Mehrwert - ist also der bestimmende, beherrschende und
übergreifende Zweck des Kapitalisten, der absolute Trieb und Inhalt seines Tuns, in der Tat
nur der rationalisierte Trieb und Zweck des Schatzbildners, - ein durchaus armseliger und
abstrakter Inhalt, der den Kapitalisten von einer andern Seite ganz ebenso sehr unter der
Knechtschaft des Kapitalverhältnisses erscheinen lässt, wenn auch von anderer Seite her, auf
dem entgegengesetzten Pol, als den Arbeiter."
S. 31
"Der Mensch kann nur leben, soweit er seine Lebensmittel produziert und er kann nur
Lebensmittel produzieren, sofern er sich im Besitz von Produktionsmitteln, im Besitz der
gegenständlichen Bedingungen der Arbeit befindet. Es versteht sieh also von vorn herein,
dass der Arbeiter, der von Produktionsmitteln. entblösst ist, von Lebensmitteln entblösst ist,
wie umgekehrt ein Mensch, der von Lebensmitteln entblösst ist, kein Produktionsmittel
schaffen kann. Was also selbst im ersten Prozess, bevor sich Geld oder Ware wirklich in
Kapital verwandelt haben, ihnen von vorn herein den Charakter von Kapital aufdrückt, ist
weder ihre Natur als Geld, noch ihre Natur als Ware noch der stoffliche Gebrauchswert
dieser Waren als Lebensmittel und Produktionsmittel zu dienen, sondern der Umstand, dass
dies Geld und diese Ware, diese Produktionsmittel und Lebensmittel als selbständige
Mächte, personifiziert in ihren Besitzern, dem von allem gegenständlichen Reichtum
entblössten Arbeitsvermögen gegenübertreten, dass also die zur Verwirklichung der Arbeit
notwendigen sachlichen Bedingungen dem Arbeiter selbst entfremdet sind, vielmehr als mit
eigenem Willen und eigener Seele begabte Fetische erscheinen, dass Waren als Käufer von
Personen figurieren. Der Käufer des Arbeitsvermögens ist nur die Personifikation von
vergegenständlichter Arbeit, die einen Teil ihrer selbst in der Form von Lebensmitteln an
den Arbeiter abgibt, um das lebendige Arbeitsvermögen ihrem andern Teil einzuverleiben
und durch diese Einverleibung sich ganz zu erhalten und über ihr ursprüngliches Mass
hinaus zu wachsen. Es ist nicht der Arbeiter, der Lebensmittel und Produktionsmittel kauft,
sondern die Lebensmittel kaufen den Arbeiter, um ihn den Produktionsmitteln
einzuverleiben."
S. 79
"So sehr ist in der Vorstellung die Transposition der gesellschaftlichen Produktivkräfte der
Arbeit in dingliche Eigenschaften des Kapitals eingebürgert, dass die Vorteile der
Maschinerie, Anwendung der Wissenschaft, Erfindung usw. in dieser ihrer entfremdeten
Form als die notwendige Form, und daher dies alles als Eigenschaften des Kapitals
vorgestellt wird. Was hier als Basis dient, ist 1) die Form, worin sich auf Basis der
kapitalistischen Produktion, also auch im Bewusstsein der in dieser Produktionsweise
Befangenen, die Sache darstellt; 2) das historische Faktum, dass zuerst und im Unterschied
zu frühern Produktionsweisen in der kapitalistischen Produktionsweise diese Entwicklung
stattfindet, der gegensätzliche Charakter dieser Entwicklung also ihr immanent scheint."
13. "Das Kapital", Zweiter Band.
Geschrieben: Diverse nachgelassene Manuskripte von 1863-65, 1865-67, 1868-70, 1877-80.
Erstmals veröffentlicht: 1885. Herausgeber: Engels.
29
MEW 24
S. 37
"Mit andern Worten: diese Produktionsmittel treten dem Besitzer der Arbeitskraft gegenüber
als fremdes Eigentum. Andrerseits steht der Verkäufer der Arbeit ihrem Käufer gegenüber
als fremde Arbeitskraft, die in seine Botmäßigkeit übergehn, seinem Kapital einverleibt
werden muß, damit dies wirklich als produktives Kapital sich betätige. Das
Klassenverhältnis zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter ist also schon vorhanden, schon
vorausgesetzt, in dem Augenblick, wo beide in dem Akt G - A (A - G von Seiten des
Arbeiters) sich gegenübertreten. Es ist Kauf und Verkauf, Geldverhältnis, aber ein Kauf und
Verkauf, wo der Käufer als Kapitalist und der Verkäufer als Lohnarbeiter vorausgesetzt
wird, und dies Verhältnis ist damit gegeben, daß die Bedingungen zur Verwirklichung der
Arbeitskraft - Lebensmittel und Produktionsmittel - getrennt sind als fremdes Eigentum von
dem Besitzer der Arbeitskraft. Wie diese Trennung entsteht, beschäftigt uns hier nicht. Sie
existiert, sobald G - A vollzogen wird."
Weitere Stellen: S. 64, S. 228.
14. Kritik des Gothaer Programms
Geschrieben: 1875. Veröffentlicht: Erstmals 1891.
MEW Band 19
S. 21
"In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende
Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz
geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel
zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen
Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen
des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen - erst dann kann der enge bürgerliche
Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben:
Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!"
15. "Das Kapital", dritter Band
Geschrieben: Diverse hinterlassene Manuskripte von 1863-65 und 1871-79. Veröffentlicht:
Erstmals durch Engels 1894.
MEW Band 25
S. 95
"Dennoch aber erscheint die Ökonomie des konstanten Kapitals dem Kapitalisten als eine
dem Arbeiter gänzlich fremde und ihn absolut nichts angehende Bedingung, mit der der
Arbeiter gar nichts zu tun hat; während es dem Kapitalisten immer sehr klar bleibt, daß der
30
Arbeiter wohl etwas damit zu tun hat, ob der Kapitalist viel oder wenig Arbeit für dasselbe
Geld kauft (denn so erscheint in seinem Bewußtsein die Transaktion zwischen Kapitalist
und Arbeiter). In einem noch viel höhern Grad als bei den andern der Arbeit innewohnenden
Kräften erscheint diese Ökonomie in Anwendung der Produktionsmittel, diese Methode, ein
bestimmtes Resultat mit den geringsten Ausgaben zu erreichen, als eine dem Kapital
inhärente Kraft und als eine der kapitalistischen Produktionsweise eigentümliche und sie
charakterisierende Methode. Diese Vorstellungsweise ist um so weniger befremdlich, als ihr
der Schein der Tatsachen entspricht, und als das Kapitalverhältnis in der Tat den innern
Zusammenhang verbirgt in der vollständigen Gleichgültigkeit, Äußerlichkeit und
Entfremdung, worin es den Arbeiter versetzt gegenüber den Bedingungen der
Verwirklichung seiner eignen Arbeit."
S. 96f
"Wie die kapitalistische Produktionsweise auf der einen Seite zur Entwicklung der
Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit, treibt sie auf der andern zur Ökonomie in der
Anwendung des konstanten Kapitals. Es bleibt jedoch nicht bei der Entfremdung und
Gleichgültigkeit zwischen dem Arbeiter, dem Träger der lebendigen Arbeit hier, und der
ökonomischen, d. h. rationellen und sparsamen Anwendung seiner Arbeitsbedingungen dort.
Ihrer widersprechenden, gegensätzlichen Natur nach geht die kapitalistische
Produktionsweise dazu fort, die Verschwendung am Leben und der Gesundheit des
Arbeiters, die Herabdrückung seiner Existenzbedingungen selbst zur Ökonomie in der
Anwendung des konstanten Kapitals zu zählen, und damit zu Mitteln zur Erhöhung der
Profitrate. Da der Arbeiter den größten Teil seines Lebens im Produktionsprozeß zubringt,
so sind die Bedingungen des Produktionsprozesses zum großen Teil Bedingungen seines
aktiven Lebensprozesses, seine Lebensbedingungen, und die Ökonomie in diesen
Lebensbedingungen ist eine Methode, die Profitrate zu erhöhen; ganz wie wir früher schon
sahen, daß die Überarbeitung, die Verwandlung des Arbeiters in ein Arbeitsvieh, eine
Methode ist, die Selbstverwertung des Kapitals, die Produktion des Mehrwerts zu
beschleunigen. Diese Ökonomie erstreckt sich auf Überfüllung enger, ungesunder Räume
mit Arbeitern, was auf kapitalistisch Ersparung an Baulichkeiten heißt; Zusammendrängung
gefährlicher Maschinerie in denselben Räumen und Versäumnis von Schutzmitteln gegen
die Gefahr; Unterlassung von Vorsichtsmaßregeln in Produktionsprozessen, die ihrer Natur
nach gesundheitswidrig oder wie in Bergwerken mit Gefahr verbunden sind usw. Gar nicht
zu sprechen von der Abwesenheit aller Anstalten, um dem Arbeiter den Produktionsprozeß
zu vermenschlichen, angenehm oder nur erträglich zu machen. Es würde dies vom
kapitalistischen Standpunkt eine ganz zweck- und sinnlose Verschwendung sein. Die
kapitalistische Produktion ist überhaupt, bei aller Knauserei, durchaus verschwenderisch mit
dem Menschenmaterial, ganz wie sie andrerseits, dank der Methode der Verteilung ihrer
Produkte durch den Handel und ihrer Manier der Konkurrenz, sehr verschwenderisch mit
den materiellen Mitteln umgeht und auf der einen Seite für die Gesellschaft verliert, was sie
auf der andern für den einzelnen Kapitalisten gewinnt."
S. 274f
"Man hat gesehn, daß die wachsende Akkumulation des Kapitals eine wachsende
Konzentration desselben einschließt. So wächst die Macht des Kapitals, die im Kapitalisten
personifizierte Verselbständigung der gesellschaftlichen Produktionsbedingungen gegenüber
den wirklichen Produzenten. Das Kapital zeigt sich immer mehr als gesellschaftliche Macht,
deren Funktionär der Kapitalist ist, und die in gar keinem möglichen Verhältnisse mehr zu
dem steht, was die Arbeit eines einzelnen Individuums schaffen kann - aber als entfremdete,
verselbständigte gesellschaftliche Macht, die als Sache, und als Macht des Kapitalisten
durch diese Sache, der Gesellschaft gegenübertritt. Der Widerspruch zwischen der
31
allgemeinen gesellschaftlichen Macht, zu der sich das Kapital gestaltet, und der Privatmacht
der einzelnen Kapitalisten über diese gesellschaftlichen Produktionsbedingungen entwickelt
sich immer schreiender und schließt die Auflösung dieses Verhältnisses ein, indem sie
zugleich die Herausarbeitung der Produktionsbedingungen zu allgemeinen,
gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktionsbedingungen einschließt. Diese
Herausarbeitung ist gegeben durch die Entwicklung der Produktivkräfte unter der
kapitalistischen Produktion und durch die Art und Weise, worin sich diese Entwicklung
vollzieht."
S. 392
"Der Zins ist also nur der Ausdruck davon, daß Wert überhaupt - die vergegenständlichte
Arbeit in ihrer allgemein gesellschaftlichen Form - Wert, der im wirklichen
Produktionsprozeß die Gestalt der Produktionsmittel annimmt, als selbständige Macht der
lebendigen Arbeitskraft gegenübersteht, und das Mittel ist, sich unbezahlte Arbeit
anzueignen; und daß er diese Macht ist, indem er als fremdes Eigentum dem Arbeiter
gegenübersteht. Andrerseits jedoch ist in der Form des Zinses dieser Gegensatz gegen die
Lohnarbeit ausgelöscht; denn das zinstragende Kapital hat als solches nicht die Lohnarbeit,
sondern das fungierende Kapital zu seinem Gegensatz; der verleihende Kapitalist steht als
solcher direkt dem im Reproduktionsprozeß wirklich fungierenden Kapitalisten gegenüber,
nicht aber dem Lohnarbeiter, der gerade auf Grundlage der kapitalistischen Produktion von
den Produktionsmitteln expropriiert ist, Das zinstragende Kapital ist das Kapital als
Eigentum gegenüber dem Kapital als Funktion. Aber soweit das Kapital nicht fungiert,
exploitiert es nicht die Arbeiter und tritt in keinen Gegensatz zur Arbeit."
S. 396
"Die besondren Funktionen, die der Kapitalist als solcher zu verrichten hat, und die ihm
gerade im Unterschied von, und Gegensatz zu den Arbeitern zukommen, werden als bloße
Arbeitsfunktionen dargestellt. Er schafft Mehrwert, nicht weil er als Kapitalist arbeitet,
sondern weil er, abgesehn von seiner Eigenschaft als Kapitalist, auch arbeitet. Dieser Teil
des Mehrwerts ist also gar nicht mehr Mehrwert, sondern sein Gegenteil, Äquivalent für
vollbrachte Arbeit. Da der entfremdete Charakter des Kapitals, sein Gegensatz zur Arbeit,
jenseits des wirklichen Exploitationsprozesses verlegt wird, nämlich ins zinstragende
Kapital, so erscheint dieser Exploitationsprozeß selbst als ein bloßer Arbeitsprozeß, wo der
fungierende Kapitalist nur andre Arbeit verrichtet als der Arbeiter. So daß die Arbeit des
Exploitierens und die exploitierte Arbeit, beide als Arbeit, identisch sind. Die Arbeit des
Exploitierens ist ebensogut Arbeit, wie die Arbeit, die exploitiert wird. Auf den Zins fällt die
gesellschaftliche Form des Kapitals, aber in einer neutralen und indifferenten Form
ausgedrückt; auf den Unternehmergewinn fällt die ökonomische Funktion des Kapitals, aber
von dem bestimmten, kapitalistischen Charakter dieser Funktion abstrahiert."
S. 453
"Der Profit stellt sich so dar (nicht mehr nur der eine Teil desselben, der Zins, der seine
Rechtfertigung aus dem Profit des Borgers zieht) als bloße Aneignung fremder Mehrarbeit,
entspringend aus der Verwandlung der Produktionsmittel in Kapital, d.h. aus ihrer
Entfremdung gegenüber den wirklichen Produzenten, aus ihrem Gegensatz als fremdes
Eigentum gegenüber allen wirklich in der Produktion tätigen Individuen, vom Dirigenten bis
herab zum letzten Taglöhner. In den Aktiengesellschaften ist die Funktion getrennt vom
Kapitaleigentum, also auch die Arbeit gänzlich getrennt vom Eigentum an den
Produktionsmitteln und an der Mehrarbeit. Es ist dies Resultat der höchsten Entwicklung der
kapitalistischen Produktion ein notwendiger Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des
32
Kapitals in Eigentum der Produzenten, aber nicht mehr als das Privateigentum vereinzelter
Produzenten, sondern als das Eigentum ihrer als assoziierter, als unmittelbares
Gesellschaftseigentum. Es ist andrerseits Durchgangspunkt zur Verwandlung aller mit dem
Kapitaleigentum bisher noch verknüpften Funktionen im Reproduktionsprozeß in bloße
Funktionen der assoziierten Produzenten, in gesellschaftliche Funktionen."
S. 787
"Die Vermittlungen der irrationellen Formen, worin bestimmte ökonomische Verhältnisse
erscheinen und sich praktisch zusammenfassen, gehn die praktischen Träger dieser
Verhältnisse in ihrem Handel und Wandel jedoch nichts an; und da sie gewohnt sind, sich
darin zu bewegen, findet ihr Verstand nicht im geringsten Anstoß daran. Ein vollkommner
Widerspruch hat durchaus nichts Geheimnisvolles für sie. In den dem innern
Zusammenhang entfremdeten und, für sich isoliert genommen, abgeschmackten
Erscheinungsformen fühlen sie sich ebenfalls so zu Haus wie ein Fisch im Wasser. Es gilt
hier, was Hegel mit Bezug auf gewisse mathematische Formeln sagt, daß, was der gemeine
Menschenverstand irrationell findet, das Rationelle, und sein Rationelles die Irrationalität
selbst ist."
S. 825
"Die Vulgärökonomie tut in der Tat nichts, als die Vorstellungen der in den bürgerlichen
Produktionsverhältnissen befangenen Agenten dieser Produktion doktrinär zu
verdolmetschen, zu systematisieren und zu apologetisieren. Es darf uns also nicht
wundernehmen, daß sie gerade in der entfremdeten Erscheinungsform der ökonomischen
Verhältnisse, worin diese prima facie abgeschmackt und vollkommene Widersprüche sind und alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der
Dinge unmittelbar zusammenfielen - , wenn gerade hier die Vulgärökonomie sich
vollkommen bei sich selbst fühlt, und ihr diese Verhältnisse um so selbstverständlicher
erscheinen, je mehr der innere Zusammenhang an ihnen verborgen ist, sie aber der ordinären
Vorstellung geläufig sind. Daher hat sie nicht die geringste Ahnung darüber, daß die
Trinität, von der sie ausgeht: Grund und Boden - Rente, Kapital - Zins, Arbeit - Arbeitslohn
oder Preis der Arbeit drei prima facie unmögliche Kompositionen sind."
S. 828
"Der wirkliche Reichtum der Gesellschaft und die Möglichkeit beständiger Erweiterung
ihres Reproduktionsprozesses hängt also nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern
von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen
Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht. Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat
erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört;
es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen
Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen,
um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muß es der Zivilisierte, und er muß es in
allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner
Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse; aber
zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem
Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten
Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre
gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht
zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den, ihrer menschlichen Natur
würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt dies immer ein Reich
der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich
33
als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der
Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die
Grundbedingung."
S. 832f
"Die der Arbeit entfremdete, ihr gegenüber verselbständigte, und somit verwandelte Gestalt
der Arbeitsbedingungen, worin also die produzierten Produktionsmittel sich in Kapital
verwandeln, und die Erde in monopolisierte Erde, in Grundeigentum, diese einer
bestimmten Geschichtsperiode angehörige Gestalt fällt daher zusammen mit dem Dasein
und der Funktion der produzierten Produktionsmittel und der Erde im Produktionsprozeß
überhaupt. Jene Produktionsmittel sind an und für sich, von Natur, Kapital; Kapital ist nichts
als ein bloßer „ökonomischer Name" für jene Produktionsmittel; und so ist die Erde an und
für sich, von Natur, die von einer gewissen Zahl Grundeigentümer monopolisierte Erde. Wie
im Kapital und Kapitalisten - der in der Tat nichts ist als das personifizierte Kapital - die
Produkte eine selbständige Macht werden gegenüber den Produzenten, so wird im
Grundeigentümer der Grund und Boden personifiziert, der sich ebenfalls auf die Hinterfüße
stellt, und als selbständige Macht seinen Anteil fordert von dem mit seiner Hilfe erzeugten
Produkt; so daß nicht der Boden den ihm gehörigen Teil des Produkts zu Ersatz und
Steigerung seiner Produktivität erhält, sondern statt seiner der Grundeigentümer einen Anteil
dieses Produkts zur Verschacherung und Verschwendung. Es ist klar, daß das Kapital die
Arbeit als Lohnarbeit voraussetzt. Es ist aber ebenso klar, daß, wenn von der Arbeit als
Lohnarbeit ausgegangen wird, so daß das Zusammenfallen der Arbeit überhaupt mit der
Lohnarbeit selbstverständlich scheint, dann auch als natürliche Form der
Arbeitsbedingungen, gegenüber der Arbeit überhaupt, das Kapital und die monopolisierte
Erde erscheinen müssen. Kapital zu sein, erscheint nun als natürliche Form der
Arbeitsmittel, und daher als rein dinglicher und aus ihrer Funktion im Arbeitsprozeß
überhaupt entspringender Charakter. Kapital und produziertes Produktionsmittel werden so
identische Ausdrücke. Ebenso werden Erdboden und durch Privateigentum monopolisierter
Erdboden identische Ausdrücke. Die Arbeitsmittel als solche, die von Natur Kapital sind,
werden daher zur Quelle des Profits, wie die Erde als solche zur Quelle der Rente."
S. 837
"Die Spaltung des Profits in Unternehmergewinn und Zins (gar nicht zu sprechen von der
Dazwischenkunft des kommerziellen Profits und des Geldhandlungsprofits, die auf der
Zirkulation gegründet sind und ganz und gar aus ihr, und nicht aus dem Produktionsprozeß
selbst zu entspringen scheinen) vollendet die Verselbständigung der Form des Mehrwerts,
die Verknöcherung seiner Form gegen seine Substanz, sein Wesen. Ein Teil des Profits, im
Gegensatz zu dem andren, löst sich ganz von dem Kapitalverhältnis als solchem los, und
stellt sich dar als entspringend, nicht aus der Funktion der Ausbeutung der Lohnarbeit,
sondern aus der Lohnarbeit des Kapitalisten selbst. Im Gegensatz dazu scheint dann der Zins
als unabhängig, sei es von der Lohnarbeit des Arbeiters, sei es von der eignen Arbeit des
Kapitalisten, aus dem Kapital als seiner eignen unabhängigen Quelle zu entspringen. Wenn
das Kapital ursprünglich, auf der Oberfläche der Zirkulation, erschien als Kapitalfetisch,
werterzeugender Wert, so stellt es sich jetzt wieder in der Gestalt des zinstragenden Kapitals
als in seiner entfremdetsten und eigentümlichsten Form dar. Weshalb auch die Form:
„Kapital — Zins" als drittes zu „Erde - Rente" und „Arbeit - Arbeitslohn" viel konsequenter
ist als „Kapital - Profit", indem im Profit immer noch eine Erinnerung an seinen Ursprung
bleibt, die im Zins nicht nur ausgelöscht, sondern in feste gegensätzliche Form zu diesem
Ursprung gestellt ist."
34
S. 837f
"Endlich tritt neben das Kapital als selbständige Quelle von Mehrwert das Grundeigentum,
als Schranke des Durchschnittsprofits und als einen Teil des Mehrwerts an eine Klasse
übertragend, die weder selbst arbeitet, noch Arbeiter direkt exploitiert, noch sich wie das
zinstragende Kapital in moralisch erbaulichen Trostgründen, z.B. dem Risiko und dem
Opfer im Wegleihen des Kapitals, ergehn kann. Indem hier ein Teil des Mehrwerts direkt
nicht an Gesellschaftsverhältnisse, sondern an ein Naturelement, die Erde, gebunden scheint,
ist die Form der Entfremdung und Verknöcherung der verschiednen Teile des Mehrwerts
gegeneinander vollendet, der innere Zusammenhang endgültig zerrissen und seine Quelle
vollständig verschüttet, eben durch die Verselbständigung der, an die verschiednen
stofflichen Elemente des Produktionsprozesses gebundnen, Produktionsverhältnisse
gegeneinander."
S. 838f
"Im Kapital - Profit, oder noch besser Kapital - Zins, Boden - Grundrente, Arbeit Arbeitslohn, in dieser ökonomischen Trinität als dem Zusammenhang der Bestandteile des
Werts und des Reichtums überhaupt mit seinen Quellen ist die Mystifikation der
kapitalistischen Produktionsweise, die Verdinglichung der gesellschaftlichen Verhältnisse,
das unmittelbare Zusammenwachsen der stofflichen Produktionsverhältnisse mit ihrer
geschichtlich- sozialen Bestimmtheit vollendet: die verzauberte, verkehrte und auf den Kopf
gestellte Welt, wo Monsieur le Capital und Madame Ia Terre als soziale Charaktere, und
zugleich unmittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben. Es ist das große Verdienst der
klassischen Ökonomie, diesen falschen Schein und Trug, diese Verselbständigung und
Verknöcherung der verschiednen gesellschaftlichen Elemente des Reichtums gegeneinander,
diese Personifizierung der Sachen und Versachlichung der Produktionsverhältnisse, diese
Religion des Alltagslebens aufgelöst zu haben, indem sie den Zins auf einen Teil des Profits
und die Rente auf den Überschuß über den Durchschnittsprofit reduziert, so daß beide im
Mehrwert zusammenfallen; indem sie den Zirkulationsprozeß als bloße Metamorphose der
Formen darstellt, und endlich im unmittelbaren Produktionsprozeß Wert und Mehrwert der
Waren auf die Arbeit reduziert. Dennoch bleiben selbst die besten ihrer Wortführer, wie es
vom bürgerlichen Standpunkt nicht anders möglich ist, mehr oder weniger in der von ihnen
kritisch aufgelösten Welt des Scheins befangen, und fallen daher alle mehr oder weniger in
Inkonsequenzen, Halbheiten und ungelöste Widersprüche. Es ist dagegen andrerseits ebenso
natürlich, daß die wirklichen Produktionsagenten in diesen entfremdeten und irrationellen
Formen von Kapital - Zins, Boden - Rente, Arbeit - Arbeitslohn, sich völlig zu Hause
fühlen, denn es sind eben die Gestaltungen des Scheins, in welchem sie sich bewegen und
womit sie täglich zu tun haben. Es ist daher ebenso natürlich, daß die Vulgärökonomie, die
nichts als eine didaktische, mehr oder minder doktrinäre Übersetzung der
Alltagsvorstellungen der wirklichen Produktionsagenten ist, und eine gewisse verständige
Ordnung unter sie bringt, grade in dieser Trinität, worin der ganze innere Zusammenhang
ausgelöscht ist, die naturgemäße und über allen Zweifel erhabene Basis ihrer seichten
Wichtigtuerei findet. Diese Formel entspricht zugleich dem Interesse der herrschenden
Klassen, indem sie die Naturnotwendigkeit und ewige Berechtigung ihrer Einnahmequellen
proklamiert und zu einem Dogma erhebt. In der Darstellung der Versachlichung der
Produktionsverhältnisse und ihrer Verselbständigung gegenüber den Produktionsagenten
gehn wir nicht ein auf die Art und Weise, wie die Zusammenhänge durch den Weltmarkt,
seine Konjunkturen, die Bewegung der Marktpreise, die Perioden des Kredits, die Zyklen
der Industrie und des Handels, die Abwechslung der Prosperität und Krise, ihnen als
übermächtige, sie willenlos beherrschende Naturgesetze erscheinen und sich ihnen
gegenüber als blinde Notwendigkeit geltend machen. Deswegen nicht, weil die wirkliche
Bewegung der Konkurrenz außerhalb unsers Plans liegt, und wir nur die innere Organisation
der kapitalistischen Produktionsweise, sozusagen in ihrem idealen Durchschnitt,
35
darzustellen haben."
Weitere Stellen: S. 95f, S. 368, S. 610.
16. "Theorien über den Mehrwert" (auch als 4. Band des "Kapital" bezeichnet)
Geschrieben: 1861-63. Veröffentlicht: Erstmals 1905-1910 durch Karl Kautsky.
1. Band: MEW Band 26.1
S. 21f
"Andrerseits ist es als selbstverständlich vorausgesetzt, daß der Grundeigentümer als
Kapitalist dem Arbeiter gegenübertritt. Er zahlt ihm sein Arbeitsvermögen, das der Arbeiter
ihm als Ware anbietet, und im Ersatz dafür erhält er nicht nur ein Äquivalent, sondern eignet
sich die Verwertung dieses Arbeitsvermögens an. Die Entfremdung der gegenständlichen
Bedingung der Arbeit und des Arbeitsvermögens selbst sind bei diesem Austausch
vorausgesetzt. Vom feudalen Grundeigentümer wird ausgegangen, aber er tritt als Kapitalist
auf, als bloßer Warenbesitzer, der die von ihm gegen Arbeit ausgetauschten Waren
verwertet, nicht nur ihr Äquivalent, sondern ein Surplus über dieses Äquivalent
zurückerhält, weil er das Arbeitsvermögen nur als Ware zahlt. Als Warenbesitzer tritt er dem
freien Arbeiter gegenüber. Oder dieser Grundeigentümer ist wesentlich Kapitalist. Auch in
dieser Hinsicht die Wahrheit des physiokratischen Systems, als die Loslösung des Arbeiters
von der Erde und vom Grundeigentum Grundbedingung für die kapitalistische Produktion
und die Produktion des Kapitals ist."
S. 64
"Insofern der Wert des Kapitals im Produkt wiedererscheint, kann man es nicht „source de
richesse" nennen. Es ist hier nur als accumulated labour, als bestimmtes Quantum
materialisierter Arbeit, daß es dem Produkt seinen eignen Wert hinzusetzt. Produktiv von
Wert ist das Kapital nur als Verhältnis, sofern es als Zwang über die Lohnarbeit sie zwingt,
Surplusarbeit zu arbeiten, oder die Produktivkraft der Arbeit anstachelt, um relativen
Mehrwert zu schaffen. In beiden Fällen produziert es nur Wert als die der Arbeit
entfremdete Macht ihrer eignen gegenständlichen Bedingungen über sie, überhaupt nur als
eine der Formen der Lohnarbeit selbst, als Bedingung der Lohnarbeit."
Weitere Stelle: S. 53.
Band 2, MEW 26.2
S. 110-112
"Ricardo betrachtet mit Recht, für seine Zeit, die kapitalistische Produktionsweise als die
vorteilhafteste für die Produktion überhaupt, als die vorteilhafteste zur Erzeugung des
Reichtums. Er will die Produktion der Produktion halber, und dies ist recht. Wollte man
behaupten, wie es sentimentale Gegner Ricardos getan haben, daß die Produktion nicht als
solche der Zweck sei, so vergißt man, daß Produktion um der Produktion halber nichts heißt,
als Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte, also Entwicklung des Reichtums der
menschlichen Natur als Selbstzweck. Stellt man, wie Sismondi, das Wohl der einzelnen
diesem Zweck gegenüber, so behauptet man, daß die Entwicklung der Gattung aufgehalten
36
werden muß, um das Wohl der einzelnen zu sichern, daß also z.B. kein Krieg geführt
werden dürfe, worin einzelne jedenfalls kaputtgehn. (Sismondi hat nur recht gegen die
Ökonomen, die diesen Gegensatz vertuschen, leugnen.) Daß diese Entwicklung der
Fähigkeiten der Gattung Mensch, obgleich sie sich zunächst auf Kosten der Mehrzahl der
Menschenindividuen und ganzer Menschenklassen macht, schließlich diesen Antagonismus
durchbricht und zusammenfällt mit der Entwicklung des einzelnen Individuums, daß also
die höhere Entwicklung der Individualität nur durch einen historischen Prozeß erkauft wird,
worin die Individuen geopfert werden, wird nicht verstanden, abgesehn von der
Unfruchtbarkeit solcher erbaulichen Betrachtungen, da die Vorteile der Gattung im
Menschenreich wie im Tier- und Pflanzenreich sich stets durchsetzen auf Kosten der
Vorteile von Individuen, weil diese Gattungsvorteile zusammenfallen mit den Vorteilen
besondrer Individuen, die zugleich die Kraft dieser Bevorzugten bilden. Die
Rücksichtslosigkeit Ricardos war also nicht nur wissenschaftlich ehrlich, sondern
wissenschaftlich geboten für seinen Standpunkt. Es ist ihm aber deshalb auch ganz
gleichgültig, ob die Fortentwicklung der Produktivkräfte Grundeigentum totschlägt oder
Arbeiter. Wenn dieser Fortschritt das Kapital der industriellen Bourgeoisie entwertet, so ist
es ihm ebenso willkommen. Wenn die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit das
vorhandne capital fixe um die Hälfte entwertet, was liegt dran, sagt Ricardo. Die
Produktivität der menschlichen Arbeit hat sich verdoppelt. Hier ist also wissenschaftliche
Ehrlichkeit. Wenn die Auffassung Ric[ardos] im ganzen im Interesse der industriellen
Bourgeoisie ist, so nur, weil und soweit deren Interesse koinzidiert mit dem der Produktion
oder der produktiven Entwicklung der menschlichen Arbeit. Wo sie in Gegensatz dazu tritt,
ist er ebenso rücksichtslos gegen die Bourgeoisie, als er es sonst gegen das Proletariat und
die Aristokratie ist."
S.417f
"Mit dem Fortschritt in der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, begleitet, wie er ist,
vom Anwachsen des konstanten Kapitals, wird daher auch ein relativ stets größrer Teil des
jährlichen Produkts der Arbeit dem Kapital als solchem zufallen und somit das
Kapitaleigentum (abgesehn von der Revenue) sich beständig vergrößern und die Proportion
des Wertteils, den der einzelne Arbeiter und selbst die Arbeiterklasse schafft, immer mehr
sinken gegen das ihnen als Kapital gegenübertretende Produkt ihrer vergangnen Arbeit. Die
Entfremdung und der Gegensatz zwischen dem Arbeitsvermögen und den objektiven, im
Kapital verselbständigten Bedingungen der Arbeit wachsen damit beständig. (Abgesehn
vom variablen Kapital, dem Teil des Produkts der jährlichen Arbeit, der zur Reproduktion
der Arbeiterklasse erforderlich; diese ihre Subsistenzmittel selbst aber ihr als Kapital
gegenübertreten.)"
3. Band, MEW 26.3
S. 254f
"Bei dem Gegensatz, den die Ric[ardo]sche Theorie hervorrief - auf [Basis] ihrer eignen
Voraussetzungen - , dies das Charakteristische: Im selben Maß, wie sich die politische
Ökonomie entwickelte - und diese Entwicklung, soweit es die Grundprinzipien betrifft,
erhielt den Besitzer des Mehrprodukts schärfsten Ausdruck in Ricardo - , stellte sie Arbeit
dar als das einzige Element des Werts und den einzigen Schöpfer des Gebrauchswerts, und
Entwicklung der Produktivkräfte als das einzige Mittel zur wirklichen Vermehrung des
Reichtums; möglichste Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit als die ökonomische
Basis der Gesellschaft. Dies in der Tat die Basis der kapitalistischen Produktion. Ric[ardo]s
Schrift namentlich, indem sie das Gesetz des Werts als weder durch Grundeigentum,
kapitalistische Akkumulation etc. gebrochen darstellt, ist eigentlich nur damit beschäftigt,
alle Widersprüche oder Phänomene, die dieser Auffassung zu widersprechen scheinen, zu
37
beseitigen. Aber in demselben Maß, wie Arbeit als einzige Quelle des Tauschwerts begriffen
und als die aktive Quelle des Gebrauchswerts, in demselben Maß wird „Kapital" von
denselben Ökonomen, und namentlich auch von Ricardo (noch mehr von Torrens, Malthus,
Bailey etc. nach ihm) als der Regulator der Produktion, Quelle des Reichtums und Zweck
der Produktion aufgefaßt, Arbeit dagegen als Lohnarbeit, deren Träger [und] wirkliches
Instrument notwendiger Pauper (wozu außerdem noch Malthus' Populationstheorie
hinzukam) - bloße Produktionskost und Produktionsinstrument - auf das Minimum des
Salairs eingewiesen, unter das er fallen muß, sobald er in einer für das Kapital
„überflüssigen" Masse existiert. In diesem Widerspruch sprach die politische Ökonomie
bloß das Wesen der kapitalistischen Produktion aus oder, wenn man will, der Lohnarbeit
aus; der sich selbst entfremdeten Arbeit, der der von ihr geschaffne Reichtum als fremder
Reichtum, ihre eigne Produktivkraft als Produktivkraft ihres Produkts, ihre Bereicherung als
Selbstverarmung, ihre gesellschaftliche Macht als Macht der Gesellschaft über sie
gegenübertritt. Aber diese bestimmte spezifische, historische Form der gesellschaftlichen
Arbeit, wie sie in der kapitalistischen Produktion erscheint, sprechen diese Ökonomen als
allgemeine, ewige Form, Naturwahrheiten aus, und diese Produktionsverhältnisse als die
absolut (nicht historisch) notwendigen, naturgemäßen und vernünftigen Verhältnisse der
gesellschaftlichen Arbeit. Durchaus befangen in dem Horizont der kapitalistischen
Produktion, erklären sie die gegensätzliche Form, worin die gesellschaftliche Arbeit hier
erscheint, für ebenso notwendig als diese Form selbst, befreit von diesem Gegensatz. Indem
sie so auf der einen Seite die Arbeit absolut (weil ihnen Lohnarbeit mit Arbeit identisch) und
auf der andren Seite ebenso absolut das Kapital, die Armut des Arbeiters und den Reichtum
des Nichtarbeiters in demselben Atem als einzige Quelle des Reichtums aussprechen,
bewegen sie sich beständig in absoluten Widersprüchen, ohne die geringste Ahnung
darüber."
S. 260f
"Was nun die Produktivität des Kapitals mit Bezug auf den Gebrauchswert betrifft, so heißt
sie bei Smith, Ricardo etc. nichts, überhaupt bei den Ökonomen nichts, als daß Produkte
frührer nützlicher Arbeiten von neuem als Produktionsmittel dienen; als Arbeitsgegenstand,
Arbeitsinstrument und Lebensmittel des Arbeiters. Die objektiven Bedingungen der Arbeit
treten nicht wie im rohen Zustand als bloße Naturdinge entgegen (als solche sind sie nie
Kapital), sondern als durch die menschliche Tätigkeit schon umgemodelte Naturdinge. Aber
in diesem Sinn das Wort Kapital ganz überflüssig und nichtssagend. Der Weizen nährt nicht,
weil er Kapital, sondern Weizen ist. Der Gebrauchswert der Wolle kommt ihr als Wolle und
nicht als Kapital zu. Ditto hat die Operation der Dampfmaschine mit ihrem Dasein als
Kapital nichts gemein. Sie würde ganz denselben Dienst leisten, wenn sie nicht „Kapital"
wäre und statt dem Fabrikmaster den Fabrikmen gehörte. In dem wirklichen Arbeitsprozeß
dienen alle diese Dinge durch das Verhältnis, das sie als Gebrauchswerte zu der sich in
ihnen betätigenden Arbeit haben, nicht als Tauschwerte und noch weniger als Kapital. Es ist
ihre Eigenschaft als objektive Bedingungen der wirklichen Arbeit, nicht ihr
gesellschaftliches Dasein als dem Arbeiter selbständig gegenübertretende, entfremdete
Bedingungen, als im Kapitalisten verkörperter master über die lebendige Arbeit, daß sie hier
produktiv sind oder vielmehr die Produktivität der Arbeit in ihnen als ihrem Stoff sich
verwirklicht. Es ist als wealth, wie Hopkins (nicht unser Hodgskin) richtig sagt, und nicht
als „net" wealth, als produce und nicht als „net" produce, daß sie hier verbraucht und
gebraucht werden. Allerdings geht im Kopf des Ökonomen die bestimmte gesellschaftliche
Form dieser Dinge gegenüber der Arbeit und ihre reale Bestimmtheit als Momente des
Arbeitsprozesses so durcheinander und ist so unlöslich ineinander verwachsen, wie im Kopf
des Kapitalisten. Nichtsdestoweniger, sobald sie den Arbeitsprozeß analysieren, sind sie
gezwungen, die Phrase Kapital ganz fahrenzulassen und von Arbeitsmaterial, Arbeitsmitteln
und Lebensmitteln zu sprechen. In dieser Bestimmtheit des Produkts als Material,
38
Instrument und Lebensmittel des Arbeiters ist aber nichts ausgesprochen als ihr Verhältnis
als gegenständliche Bedingungen zur Arbeit; die Arbeit selbst erscheint als die sie
beherrschende Tätigkeit. Es liegt darin absolut nichts von Arbeit und Kapital; sondern von
dem Verhältnis der menschlichen zweckmäßigen Tätigkeit zu ihren eignen Produkten im
Reproduktionsprozeß. Weder hören sie auf, Produkte der Arbeit zu sein, noch bloße
Gegenstände, über [die] und mit denen sie schaltet. Sie sprechen nur das Verhältnis aus,
worin die Arbeit sich die gegenständliche und von ihr selbst geschaffne, in dieser Form
wenigstens geschaffne, gegenständliche Welt eineignet; keineswegs aber von einer andren
Herrschaft dieser Dinge über die Arbeit, außer insofern die Tätigkeit ihrem Stoff
angemessen sein muß, otherwise, it would not be zweckmäßige Tätigkeit, Arbeit."
S. 290f
"H[odgskin] sagt also mit andren Worten: Die Wirkungen einer bestimmten
gesellschaftlichen Form der Arbeit werden der Sache, den Produkten dieser Arbeit
zugeschrieben; das Verhältnis selbst wird in dinglicher Gestalt vorphantasiert. Wir haben
gesehn, daß dies ein spezifisches Charakteristikum der auf Warenproduktion, auf
Tauschwert beruhenden Arbeit, und daß dies Quidproquo in der Ware, dem Geld (was
H[odgskin] nicht sieht), noch potenzierter im Kapital sich zeigt. Die Wirkungen, die die
Dinge haben als gegenständliche Momente des Arbeitsprozesses, werden ihnen im Kapital
zugeschrieben, als von ihnen besessen in ihrer Personifizierung, Selbständigkeit gegen die
Arbeit. Sie würden aufhören, diese Wirkungen zu haben, wenn sie aufhörten, in dieser
entfremdeten Form sich der Arbeit gegenüber zu verhalten. Der Kapitalist als Kapitalist ist
bloß die Personifikation des Kapitals, die mit eignem Willen, Persönlichkeit begabte
Schöpfung der Arbeit im Gegensatz zur Arbeit. H[odgskin] faßt dies als rein subjektive
Täuschung auf, hinter der sich der Betrug und das Interesse der ausbeutenden Klassen
versteckt. Er sieht nicht, wie die Vorstellungsweise entspringt aus dem realen Verhältnis
selbst, das letztre nicht Ausdruck der erstren, sondern umgekehrt. In demselben Sinn sagen
englische Sozialisten: „Wir brauchen das Kapital, nicht den Kapitalisten." Aber wenn sie
den Kapitalisten fortnehmen, nehmen sie den Arbeitsbedingungen den Charakter, Kapital zu
sein."
S. 309
"Konzentration des Kapitals. Akkumulation der großen Kapitalien durch Vernichtung der
kleinen. Attraktion. Entkapitalisierung der Mittelverbindungen von Kapital und Arbeit. Es
ist dies nur die letzte Potenz und Form des Prozesses, der die Arbeitsbedingungen in Kapital
verwandelt, dann das Kapital und die Kapitalien reproduziert auf weitrer Stufenleiter,
endlich die auf den vielen Punkten der Gesellschaft gebildeten Kapitalien von ihren
Besitzern trennt und in den Händen großer Kapitalisten zentralisiert. Mit dieser äußersten
Form des Gegensatzes und Widerspruchs, die Produktion, wenn auch in entfremdeter Form,
in gesellschaftliche verwandelt. Gesellschaftliche Arbeit und im wirklichen Arbeitsprozeß
Gemeinsamkeit der Produktionsinstrumente. Die Kapitalisten werden als Funktionäre des
Prozesses, der zugleich diese gesellschaftliche Produktion und damit die Entwicklung der
Produktivkräfte beschleunigt, in demselben Maß überflüssig, als sie [per] procura der
Gesellschaft die Nutznießung eingehn und als Eigentümer dieses gesellschaftlichen
Reichtums und Kommandeure der gesellschaftlichen Arbeit aufgebläht werden. Es geht
ihnen wie den Feudalen, deren Ansprüche in demselben Maß als ihre Dienste überflüssig
wurden mit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft, sich in bloße zeitwidrige und
zweckwidrige Privilegien verwandelten und damit ihrem Untergang entgegeneilten."
S. 458f
39
"Wir finden jetzt G - G' als Subjekt. Wie das Wachsen dem Baum, so das Geldzeugen dem
Kapital in dieser seiner reinen Form als Geld eigen. Die unbegreifliche Form, die wir an der
Oberfläche vorfinden und von der wir in der Analyse daher ausgingen, finden wir wieder als
das Resultat des Prozesses, worin nach und nach die Gestalt des Kapitals immer
entfremdeter und beziehungsloser auf sein innres Wesen wird. Geld als die verwandelte
Form der Ware war das, wovon wir ausgingen. Geld als die verwandelte Form des Kapitals
ist das, wozu wir kommen, ganz wie wir die Ware als Voraussetzung und Resultat des
Produktionsprozesses des Kapitals erkannt haben. In dieser seiner wunderlichsten und
zugleich der populärsten Vorstellung nächsten Gestalt ist das Kapital sowohl die
„Grundform" der Vulgärökonomen als der nächste Angriffspunkt einer oberflächlichen
Kritik; das erstere, teils weil der innre Zusammenhang hier am wenigsten erscheint und das
Kapital in einer Form auftritt, worin es als selbständige Quelle von Wert scheint; teils weil
in dieser Form sein gegensätzlicher Charakter total vertuscht und ausgelöscht ist, kein
Gegensatz zur Arbeit. Anderseits Angriff, weil es die Form ist, worin es am irrationellsten
auftritt, den leichtesten Angriffspunkt für die Vulgärsozialisten bietet."
S. 474
"Und in dieser ganz entfremdeten Form des Profits, und in demselben Grade, wie die Gestalt
des Profits seinen innren Kern versteckt, erhält das Kapital mehr und mehr eine sachliche
Gestalt, wird aus Verhältnis immer mehr Ding, aber Ding, das das gesellschaftliche
Verhältnis im Leib hat, in sich verschluckt hat, mit fiktivem Leben und Selbständigkeit sich
zu sich selbst verhaltendes Ding, sinnlich-übersinnliches Wesen; und in dieser Form von
Kapital und Profit erscheint es als fertige Voraussetzung auf der Oberfläche. Es ist die Form
seiner Wirklichkeit oder vielmehr seine wirkliche Existenzform. Und es ist die Form, worin
es im Bewußtsein seiner Träger, der Kapitalisten, lebt, sich in ihren Vorstellungen
abspiegelt."
S. 480f
"Im zinstragenden Kapital ist nicht, wie im Profit, die Gestalt des Mehrwerts entfremdet,
fremdartig geworden, ohne unmittelbar seine einfache Gestalt und damit seine Substanz und
seinen Entstehungsgrund erkennen zu lassen; im Zins ist vielmehr ausdrücklich diese
entfremdete Form als das Wesentliche gesetzt, vorhanden, ausgesprochen. Sie ist als
gegensätzlich gegen die wirkliche Natur des Mehrwerts verselbständigt, fixiert. Im
zinstragenden Kapital ist das Verhältnis des Kapitells zur Arbeit ausgelöscht. In der Tat
unterstellt der Zins den Profit, von dem er nur ein Teil ist und wie der Mehrwert sich teilt
zwischen Zins und Profit, zwischen verschiednen Sorten Kapitalisten, ist in der Tat für den
Lohnarbeiter ganz gleichgültig.
Der Zins ist ausdrücklich gesetzt als offspring of capital, getrennt, unabhängig, und außerhalb des
kapitalistischen Prozesses selbst. Er kommt dem Kapital als Kapital zu. Er geht ein in den
Produktionsprozeß und kommt daher aus ihm heraus. Das Kapital ist mit ihm geschwängert. Es
bringt den Zins nicht aus dem Produktionsprozeß heraus, sondern bringt ihn in denselben hinein.
Der Überschuß des Profits über den Zins, das Quantum Mehrwert, das das Kapital erst dem
Produktionsprozeß verdankt, erst als funktionierendes Kapital erzeugt, erhält daher, gegenüber dem
Zins, als der dem Kapital an sich, dem Kapital für sich, dem Kapital als Kapital zukommenden
Wertschöpfung, eine besondre Gestalt als industrieller Profit (Unternehmungsprofit, industriell oder
kommerziell, je nachdem der Produktionsprozeß oder der Zirkulationsprozeß betont wird). Damit
wird auch noch die letzte Form des Mehrwerts, die einigermaßen an seinen Ursprung erinnert, nicht
nur in einer entfremdeten, sondern in direktem Gegensatz dazu gefaßten Form gesondert und
aufgefaßt, und damit schließlich die Natur des Kapitals und des Mehrwerts, wie der kapitalistischen
Produktion überhaupt, gänzlich mystifiziert."
40
S. 482f
"Die kapitalistische Produktion arbeitet auf der Lohnarbeit als ihrer vorhandnen, aber
zugleich beständig von ihr reproduzierten Basis. Sie arbeitet daher auch auf dem Kapital, als
der Gestalt der Arbeitsbedingungen, als ihrer gegebnen Voraussetzung, eine Voraussetzung,
die aber ebenso wie die Lohnarbeit ihr beständiges Setzen, ihr beständiges Produkt ist.
Auf dieser Basis ist das Geld z.B. an sich Kapital, weil an sich die Produktionsbedingungen die
entfremdete Form der Arbeit gegenüber haben, als fremdes Eigentum ihr gegenüber erscheinen und
sie als solches beherrschen. Das Kapital kann dann auch als Ware, die diese Eigenschaft hat,
verkauft, d. h. Kapital kann als Kapital verkauft werden, wie es im Ausleihn des Kapitals auf Zinsen
geschieht."
S. 484
"Aus der bloß quantitativen Teilung wird daher eine qualitative Spaltung. Das Kapital selbst
wird gespalten. Soweit es Voraussetzung der kapitalistischen Produktion ist, soweit es also
die entfremdete Form der Arbeitsbedingungen, ein spezifisch gesellschaftliches Verhältnis
ausdrückt, realisiert es sich im Zins. Seinen Charakter als Kapital realisiert es im Zins.
Anderseits, soweit es funktioniert im Prozeß, erscheint dieser Prozeß als getrennt von
seinem spezifisch kapitalistischen Charakter, von seiner spezifisch gesellschaftlichen
Bestimmtheit - als bloßer Arbeitsprozeß überhaupt."
S. 484f
"In diesen zwei Formen des Mehrwerts ist also die Natur desselben, das Wesen des Kapitals
und der Charakter der kapitalistischen Produktion vollständig nicht nur ausgelöscht, sondern
ins Gegenteil verkehrt. Aber, insofern auch der Charakter und die Gestalt des Kapitals
vollendet, als die Versubjektivierung der Sachen, die Versachlichung der Subjekte, die
Verkehrung von Ursache und Wirkung, das religiöse Quidproquo, die reine Form des
Kapitals G - G', sinnlos, ohne alle Vermittlung dargestellt und ausgedrückt wird. Ebenso die
Verknöcherung der Verhältnisse, ihre Darstellung als Verhältnis der Menschen zu Sachen
von bestimmtem sozialen Charakter, ganz anders herausgearbeitet als in der einfachen
Mystifikation der Ware und der schon komplizierteren des Geldes. Die Transsubstantiation,
der Fetischismus ist vollendet. Der Zins an sich drückt also grade dies Dasein der
Arbeitsbedingungen als Kapital in ihrem gesellschaftlichen Gegensatz und ihrer
Metamorphose als persönliche Mächte gegenüber der Arbeit und über die Arbeit aus. Er
resümiert den entfremdeten Charakter der Arbeitsbedingungen im Verhältnis zur Tätigkeit
des Subjekts. Er stellt das Eigentum des Kapitals oder das bloße Kapitaleigentum als Mittel
dar, die Produkte fremder Arbeit sich anzueignen als Herrschaft über fremde Arbeit. Aber er
stellt diesen Charakter des Kapitals dar als etwas, was ihm außer dem Produktionsprozeß
selbst zukommt und keineswegs das Resultat der spezifischen Bestimmtheit dieses
Produktionsprozesses selbst ist. Er stellt es dar nicht im Gegensatz zur Arbeit, sondern
umgekehrt, ohne Verhältnis zur Arbeit und als bloßes Verhältnis eines Kapitalisten zum
andren. Also als eine dem Verhältnis des Kapitals zur Arbeit selbst äußerliche und
gleichgültige Bestimmung. Die Verteilung des Profits unter den Kapitalisten ist dem
Arbeiter als solchem gleichgültig."
S. 488
"Es ist durchaus nutzlos geworden, daß diese labour of direction von Kapitalisten ausgeübt
werde. Sie ist realiter vorhanden, getrennt vom Kapital, nicht in der sham Separation von
industrial capitalist und moneyed capitalist, sondern von industrial managers etc., von jeder
Sorte Kapitalist. Bester Beweis: Die von den Arbeitern selbst errichteten
41
Kooperativfabriken. Sie liefern den Beweis, daß der Kapitalist als Funktionär der Produktion
ebenso überflüssig für die Arbeiter geworden, als ihm selbst die Funktion des landlords als
der bürgerlichen Produktion überflüssig erscheint. Zweitens: Soweit die Arbeit des
Kapitalisten nicht aus dem Prozeß als kapitalistischem hervorgeht, also mit dem Kapital von
selbst aufhört, soweit sie nicht Name für die Funktion, fremde Arbeit zu exploitieren; soweit
sie aus der gesellschaftlichen Form der Arbeit hervorgeht, der Kooperation, Teilung der
Arbeit etc., ist sie ganz ebenso vom Kapital unabhängig, wie diese Form selbst, sobald sie
die kapitalistische Hülle abgestreift. Zu sagen, daß diese Arbeit als kapitalistische Arbeit, als
Funktion des Kapitalisten notwendig sei, heißt weiter nichts, als daß der vulgarian sich die
im Schoße des Kapitals entwickelte gesellschaftliche Produktivkraft und gesellschaftlichen
Charakter der Arbeit sich nicht losgetrennt von dieser kapitalistischen Form, von der Form
der Entfremdung, des Gegensatzes und des Widerspruchs ihrer Momente, nicht getrennt von
ihrer Verkehrung und ihrem Quidproquo vorstellen kann. Et c'est justement ce que nous
affirmons."
S. 493f
"Während den klassischen und daher kritischen Ökonomen die Form der Entfremdung
Arbeit macht und sie dieselbe durch Analyse abzustreifen versuchen, fühlt sich dagegen die
Vulgärökonomie grade in der Fremdheit, worin sich die verschiednen Anteile am Wert
gegenübertreten, erst vollständig zu Hause, ganz so wie ein Scholastiker in Gott-Vater, GottSohn und Gott-Heiligen Geist, so der Vulgärökonom in der Erde-Rente, dem Kapital-Zins,
der Arbeit-Arbeitslohn. Es ist dies ja die Form, worin diese Verhältnisse in der Erscheinung
unmittelbar zusammenzuhängen scheinen, also auch in den Vorstellungen und dem
Bewußtsein der in der kapitalistischen Produktion befangnen Agenten derselben leben. Die
Vulgärökonomie kömmt sich um so einfacher, naturgemäßer und gemeinnützlicher, um so
entfernter von aller theoretischen Spitzfindigkeit vor, je mehr sie in der Tat nichts tut, als die
ordinären Vorstellungen in eine doktrinäre Sprache übersetzen. In je mehr entfremdeter
Form sie daher die Formationen der kapitalistischen Produktion auffaßt, um so näher ist sie
dem Element der gewöhnlichen Vorstellung, also um so mehr schwimmt sie in ihrem
Naturelement. Außerdem tut das sehr gute Dienste für die Apologetik. Denn z.B. [in] ErdeRente, Kapital-Zins, Arbeit-Arbeitslohn stehn sich die verschiednen Formen des Mehrwerts
und Gestalten der kapitalistischen Produktion nicht entfremdet, sondern fremd und
gleichgültig, als bloß verschieden, ohne Gegensatz gegenüber. Die verschiednen Revenues
fließen aus ganz verschiednen Quellen, die eine aus der Erde, die andre aus dem Kapited,
die andre aus der Arbeit. Sie stehn also in keinem feindlichen, weil überhaupt in keinem
innren Zuseimmenhang. Wirken sie nun doch in der Produktion zusammen, so ist das ein
harmonisches Wirken, der Ausdruck von Harmonie, wie ja z. B. der Bauer, der Ochse, der
Pflug und die Erde in der Agrikultur, dem wirklichen Arbeitsprozesse, trotz ihrer
Verschiedenheit, harmonisch zusammenarbeiten. Soweit ein Gegensatz zwischen ihnen
stattfindet, entspringt er bloß aus der Konkurrenz, welcher der Agenten mehr vom Produkt
sich aneignen soll, vom Wert, den sie zusammen schufen, und kommt es dabei gelegentlich
zur Keilerei, so zeigt sich dann doch schließlich als Endresultat dieser Konkurrenz zwischen
Erde, Kapital und Arbeit, daß, indem sie sich untereinander stritten über die Teilung, sie
durch ihren Wetteifer den Wert des Produkts so vermehrt haben, daß jeder einen größren
Fetzen bekommt, so daß ihre Konkurrenz selbst nur als der stachelnde Ausdruck ihrer
Harmonie erscheint."
Weitere Stellen: S. 267f, S. 288, S. 486 und S. 519.
II. Auswahl von Autoren, die behaupten, dass Marx den Entfremdungsbegriff aufgegeben
habe, sowie Autoren, die den Begriff "Entfremdung" bei Marx grundsätzlich kritisieren.
42
1. Louis Althusser
a) "Marxismus und Humanismus"(1964)
Zitiert nach: http://www.marxists.org/reference/archive/althusser/1964/marxism-humanism.htm
„We would not observe the temptation of this ideological recourse if it were not in its own
way the index of a necessity which cannot nevertheless take shelter in the protection of
other, better established, forms of necessity. There can be no doubt that Communists are
correct in opposing the economic, social, political and cultural reality of socialism to the
‘inhumanity’ of Imperialism in general; that this contrast is a part of the confrontation and
struggle between socialism and imperialism. But it might be equally dangerous to use an
ideological concept like humanism, with neither discrimination nor reserve, as if it were a
theoretical concept, when it is inevitably charged with associations from the ideological
unconsciousness and only too easily blends into themes of petty-bourgeois inspiration (we
know that the petty bourgeoisie and its ideology, for which Lenin predicted a fine future,
have not yet been buried by History).“
b) „Für Marx“ (1965). Einleitung.
Zitiert nach: http://www.marxists.org/reference/archive/althusser/1965/introduction.htm
„The German Ideology presents the spectacle of a re-enlisted conceptual reserve standing in
for new concepts still in training ... and as we usually judge these old concepts by their
bearing, taking them at their word, it is easy to stray into a positivist conception (the end of
all philosophy) or an individualist-humanist conception (the subjects of history are ‘real,
concrete men’). Or again, it is possible to be taken in by the ambiguous role of the division
of labour, which, in this book, plays the principal part taken by alienation in the writings of
his youth, and commands the whole theory of ideology and the whole theory of science. This
all arises from its proximity to the break, and that is why The German Ideology alone
demands a major critical effort to distinguish the suppletory theoretical function of particular
concepts from the concepts themselves. I shall return to this."
"(6) Locating the break in 1845 is not without important theoretical consequences as regards
not only the relation between Marx and Feuerbach, but also the relation between Marx and
Hegel. Indeed, Marx did not first develop a systematic critique of Hegel after 1845; he had
been doing so since the beginning of the second moment of his Youthful period, in the
Critique of Hegel’s Philosophy of Right (1843 Manuscript), the Introduction to a Critique of
Hegel’s Philosophy of Right (1843), the 1844 Manuscripts and The Holy Family. But the
theoretical principles on which this critique of Hegel was based are merely a reprise, a
commentary or a development and extension of the admirable critique of Hegel repeatedly
formulated by Feuerbach. It is a critique of Hegelian philosophy as speculative and abstract,
a critique appealing to the concrete-materialist against the abstract-speculative, i.e. a critique
which remains a prisoner of the idealist problematic it hoped to free itself from, and
therefore a critique which belongs by right to the theoretical problematic with which Marx
broke in 1845.“
2. Michael Heinrich
a) Michael Heinrich: Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung. 2. Auflage, Stuttgart, 2004.
S. 19f
43
"Unter dem Einfluß der radikalen Hegel-Kritik Ludwig Feuerbachs (1804-1872) versuchte
Marx nun statt von den Hegelschen Abstraktionen vom "wirklichen Menschen" auszugehen. Dabei entstanden 1844 die zu seinen Lebzeiten nie veröffentlichten "Ökonomischphilosophischen Manuskripte". Hier entwickelt er seine im 20. Jahrhundert außerordentlich
bekannt gewordene "Entfremdungstheorie". Marx versuchte aufzuzeigen, dass die wirklichen Menschen unter kapitalistischen Verhältnissen von ihrem "Gattungswesen" - also von
dem, was sie vom Tier unterscheidet, dass sie nämlich in ihrer Arbeit ihre Fähigkeiten und
Kräfte entwickeln - "entfremdet" seien: Als Lohnarbeiter verfügen sie weder über die
Produkte ihrer Arbeit, noch kontrollieren sie ihren Arbeitsprozess, beides unterliegt vielmehr der Herrschaft der Kapitalisten. Kommunismus, die Beseitigung des Kapitalismus,
wird von Marx daher als Aufhebung der Entfremdung, als Wiederaneignung des menschlichen Gattungswesens durch die wirklichen Menschen aufgefasst."
S. 20
"Kritisiert wurde hier (Anmerkung: gemeint ist die "Deutsche Ideologie"), ebenso in den
kurz zuvor von Marx niedergeschriebenen "Thesen über Feuerbach", insbesondere die
philosophische Auffassung eines "menschlichen Wesens" und der "Entfremdung".
Stattdessen sollen die wirklichen gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen die Menschen
leben und arbeiten, untersucht werden. In der Folge taucht der Begriff eines menschlichen
(Gattungs-)Wesens bei Marx überhaupt nicht mehr auf, und von Entfremdung ist nur noch
ganz selten und unbestimmt die Rede. In der Diskussion über Marx ist allerdings heftig
umstritten, ob er die Entfremdungstheorie tatsächlich aufgegeben hat oder bloß nicht mehr
in den Vordergrund stellte. Beim Streit, ob es einen konzeptionellen Bruch zwischen den
Schriften des "jungen" und denen des "alten" Marx gibt, geht es vor allem um diese Frage."
S. 70, Fußnote 19
"In Kapitel 1.3 wurde erwähnt, dass der junge Marx den Kapitalismus als "Entfremdung"
vom "menschlichen Wesen" auffasste. Die Analyse des Warenfetischs wurde von manchen
Autoren als Fortsetzung der Entfremdungstheorie verstanden. Allerdings wird man bei einer
genauen Lektüre feststellen, dass sich Marx beim Warenfetisch an keiner Stelle auf
irgendein "menschliches Wesen" bezieht."
b) Michael Heinrich: Weltanschauungsmarxismus oder Kritik der politischen Ökonomie?
http://www.grundrisse.net/grundrisse03/3heinrich.htm
In diesem Text bezieht sich Heinrich auf eine Kritik an ihm durch Werner Birker.
„In den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844 operiert Marx extensiv mit
der Vorstellung eines „menschlichen Gattungswesens“ und der „Entfremdung“ von diesem
Gattungswesen im Laufe der Geschichte, eine Entfremdung, die ihren Höhepunkt im
Kapitalismus erreicht; Kommunismus ist dann die Aufhebung dieser Entfremdung. In der
Debatte um Marx ist nun einerseits umstritten, ob dies eine philosophisch-spekulative
Konstruktion ist, die er später aufgegeben hat, oder ob es sich bereits um ein erstes Ergebnis
wissenschaftlicher Kapitalismuskritik handelt, das auch noch für die späteren Schriften zur
Kritik der politischen Ökonomie (den Grundrissen von 1857/58, den ab 1863/64
entstandenen Manuskripten zum Kapital etc.) Gültigkeit besitzt.
Die Frage, ob die Entfremdungskonzeption auch noch im Kapital eine Rolle spielt, konnte
allerdings nur deshalb aufgeworfen werden, weil sie dort explizit nicht mehr auftaucht:
Hätte Marx den Entfremdungsbegriff im Kapital ähnlich emphatisch benutzt wie in den
Frühschriften, wäre die Antwort klar. Doch ist im Kapital von einer Entfremdung des
Menschen von seinem Gattungswesen an keiner einzigen Stelle die Rede. Beiläufig
verwendet Marx an wenigen Stellen den Ausdruck „entfremdet“, aber nur in einem ganz
44
allgemeinen Sinn und ohne jeden Bezug auf ein „menschliches Gattungswesen“. Bevor die
Ökonomisch-philosophischen Manuskripte zu Beginn der 30er Jahre veröffentlicht wurden
(also fast 70 Jahre nach dem ersten Band des Kapital) kam niemand auf die Idee im Kapital
nach einer Theorie des menschlichen Wesens und der Entfremdung zu suchen. Dies geschah
erst nach dieser Veröffentlichung - und zwar in einem ganz bestimmten Kontext: durch die
Bezugnahme auf die Entfremdungskonzeption wurde versucht, die vorherrschende
ökonomistische Interpretation des Kapital zu kritisieren. So ehrenwert dieses Ziel auch war
(und ist), so fragwürdig war auf der anderen Seite das Mittel.
In meinem Buch versuchte ich deutlich zu machen, dass die Vorstellungen vom „Wesen des
Menschen“ und der Entfremdung, wie sie von Marx 1844 formuliert werden, genau dem
theoretischen Feld verhaftet bleiben, dessen Kritik konstitutiv für sein späteres Unternehmen
einer „Kritik der Politischen Ökonomie“ ist. Birkner will diese Wesensphilosophie retten,
indem er einerseits betont, Marx habe das menschliche Wesen sowohl als gesellschaftliches
als auch als historisch gewordenes und veränderbares verstanden, und andererseits das
Fortleben der Entfremdungskonzeption in der Analyse des Warenfetischismus behauptet.
Dass Marx das menschliche Wesen als historisch veränderbares aufgefasst habe, wird zwar
immer mal wieder behauptet, doch ist dies anhand von Marxschen Äußerungen nur schwer
plausibel zu machen. Auch Birkner verzichtet auf die Angabe solcher Äußerungen. Aber
unabhängig davon, ob man eine Marxsche Aussage in diesem Sinne interpretieren kann oder
nicht, wäre es interessant zu erfahren, worin das menschliche Wesen früher bestanden hat
und worin es heute besteht - spätestens beim Versuch diese Frage zu beantworten, wird sich
wohl die Unhaltbarkeit dieser Vorstellung zeigen.
Dass Marx das menschliche Wesen als gesellschaftliches bestimmt, ist zwar richtig, aber weder
überraschend noch besonders originell. Auch Adam Smith hatte, indem er den „Hang zum Tausch“
als die entscheidende Eigenschaft des Menschen auffasste, das menschliche Wesen bereits als ein
gesellschaftliches bestimmt. Was ich als „Individualismus“ des theoretischen Feldes, auf dem die
Wesensphilosophie steht, bezeichnet habe (und was Birkner kritisiert), bezieht sich nicht darauf,
dass die Wesensvorstellung ungesellschaftlich sei, sondern darauf, dass die reale
Gesellschaftlichkeit als Ausfluss dieses Wesens, bzw. der Entfremdung davon aufgefasst wird. D.h.
es geht bei der Kritik nicht um den jeweiligen Inhalt des menschlichen Wesens, sondern um die
Struktur der auf ihr fußenden Gesellschaftstheorie: aus einem dem Menschen eigenen, inneren
Wesen soll Gesellschaft erklärt werden.
In der Deutschen Ideologie (1845) kritisiert Marx die Vorstellung eines „menschlichen Wesens“ in
diesem Sinne ganz grundsätzlich: „Diese Summe von Produktionskräften, Kapitalien und sozialen
Verkehrsformen, die jedes Individuum und jede Generation als etwas Gegebenes vorfindet, ist der
reale Grund dessen, was sich die Philosophen als ‚Substanz’ und ‚Wesen des Menschen’
vorgestellt, was sie apotheosiert und bekämpft haben“ (MEW 3, S.38, vgl. auch S.69, 75, 167).
Marx kritisiert hier nicht eine bestimmte Konzeption vom menschlichen Wesen, sondern diese
Konzeption selbst, unabhängig von ihrem konkreten Inhalt: Was die Philosophen als „Wesens des
Menschen“ auffassen, ist nur die (unbegriffene) Verallgemeinerung und Überhöhung von
Vorstellungen, die auf einer bestimmten gesellschaftlichen Grundlage erzeugt werden und die auf
dieser Grundlage auch ganz plausibel erscheinen: historisch spezifische gesellschaftliche
Beziehungen werden zu „Wesenseigenschaften“ des Menschen hypostasiert, um anschließend aus
diesem Wesen Gesellschaft zu erklären. Dass mit den kritisierten Vorstellungen der „Philosophen“
auch die eigenen früheren Ansichten gemeint sein dürften, geht aus dem Vorwort von Zur Kritik der
politischen Ökonomie (1859) hervor, wo Marx über die (gemeinsam mit Engels verfasste) Deutsche
Ideologie schreibt, es sei darum gegangen „mit unserm ehemaligen philosophischen Gewissen
abzurechnen“ (MEW 13, S.10).
Die explizite Kritik an der Wesensphilosophie wie auch der Verzicht auf Aussagen über
„menschliches Gattungswesen“ und „Entfremdung“ im Kapital ist kaum zu bestreiten. Wer
trotzdem der Meinung ist, dass solche Vorstellungen auch noch im Kapital von Bedeutung sind,
lädt sich daher eine erhebliche Beweislast auf. Birkner deutet an, dass er eine solche Bedeutung bei
45
Marx’ Analyse des Warenfetischs sieht (32), ohne dies allerdings weiter auszuführen. Beim
Warenfetisch geht es aber kurz gesagt darum, dass (bestimmte) gesellschaftliche Beziehungen der
Menschen in einer Waren produzierenden Gesellschaft als sachliche Eigenschaften der Waren
erscheinen und dass dies ein von der Art und Weise des gesellschaftlichen Zusammenhangs
notwendig hervorgebrachter Schein ist (also weder subjektiver Irrtum noch gewollte Manipulation).
Diese ganze Analyse des Fetischismus kommt jedoch ohne irgendeinen Bezug auf ein menschliches
Wesen oder die Entfremdung davon aus.
Warum wird aber so vehement (nicht nur von Birkner) für die Wesensphilosophie
gestritten? Anscheinend weil angenommen wird, nur so könne die Marxsche Theorie vor
Objektivismus und Positivismus bewahrt und „den Menschen“ oder „der Subjektivität“ ein
Platz in der Theorie gesichert werden. Dementsprechend harsch fällt dann auch Birkners
Reaktion auf den bekannten (und von mir zustimmend zitierten) Satz Althussers aus,
Geschichte sei ein „Prozess ohne Subjekt“. Für Birkner sind damit die „wirklichen
Menschen aus dem geschichtlichen Prozess“ (36) ausgeschlossen.
Was das Verhältnis von Menschen und Geschichte angeht, konstatiert Birkner bei mir zunächst nur
eine „ambivalente Herangehensweise“, um nach der Zusammenstellung von vier kurzen Zitaten, in
denen u. a. davon die Rede ist, dass Menschen die wirkliche Geschichte machen, dass aber die
Geschichte kein Subjekt hat, zum Ergebnis zu kommen: „Mensch, Subjekt, Individuum“ ein
einziges „Durcheinander“ (33). Dass mit „Mensch“ und „Subjekt“ verschiedenes gemeint sein
könnte, über das dann auch unterschiedliche Aussagen gemacht werden müssen, kommt Birkner
anscheinend nicht in den Sinn. Genauso wenig wird, wenn die strukturalistische Verabschiedung
des „Subjekts“ kritisiert wird, die Frage gestellt, um welches „Subjekt“ es sich dabei eigentlich
handelt.
Kritisiert wird (von Althusser, aber auch von Foucault - und nicht zuletzt auch von Marx)
die philosophische Apotheose des freien Warenbesitzers: der selbstbestimmte, freie Mensch,
der die Welt aus sich heraus erschafft - dies alles ist im Begriff des „Subjekts“
eingeschlossen. Diese überhöhte Vorstellung eines autonomen, nur in sich selbst
gründenden Subjektes, findet sich seit dem 17. und 18. Jahrhundert in unterschiedlichen
Ausprägungen in philosophischen, politischen und ökonomischen Diskursen. Von dieser
Vorstellung war auch die von Marx 1844 vertretene Konzeption des „Wesens des
Menschen“ nicht frei, in gewisser Weise könnte man sie sogar als Höhepunkt der
Vergötterung des „Subjekts“ auffassen. Marx löst sich von dieser Subjektvorstellung nur
schrittweise. Das berühmte Zitat aus dem 18. Brumaire, auf das auch Birkner in seinem
Artikel abhebt, stellt dabei nur den ersten Schritt dar: „Die Menschen machen ihre eigene
Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten,
sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“ (MEW
8, S.115). Demnach könnte man sich immer noch vorstellen, die Menschen seien in ihrem
Innern (in ihrem „Wesen“) voll von Freiheit und Autonomie, nur außen gibt es leider ein
paar Hindernisse. Der Witz ist aber, dass eine solche Trennung von „innen“ und „außen“ gar
nicht zu machen ist. Dies wird deutlicher in den Grundrissen, wo die historische
Herausbildung von Individualität (die gerade nichts unmittelbar Gegebenes, den Menschen
inne wohnendes ist) ein immer wieder auftauchendes Thema ist und wo Marx in einer
Auseinandersetzung mit Proudhon erklärt: „Die Gesellschaft besteht nicht aus Individuen,
sondern drückt die Summe der Beziehungen, Verhältnisse aus, worin diese Individuen
zueinander stehn“ (MEW 42, S.189). Im Kapital hält Marx bereits im Vorwort fest, dass
ihm bei der Analyse der kapitalistischen Produktionsverhältnisse die Personen nur als
„Personifikation ökonomischer Kategorien“ gelten, später benutzt er dann den berühmt
gewordenen Ausdruck von der „Charaktermaske“ - implizit enthalten diese (und eine ganze
Reihe weiterer) Äußerungen eine fundamentale Kritik des „Subjekts“, ohne dass sie von
Marx unter einen solchen plakativen Titel gestellt worden sind. Dieser Kritik des Subjekts
folgt auch der Aufbau der Darstellung im Kapital: stets werden zunächst
Formbestimmungen ökonomischer Kategorien analysiert und erst danach, auf dieser
46
Grundlage das Handeln und zum Teil auch die Bewusstseinsformen der Personen.
Besonders deutlich wird dies in der Abfolge von Kapitel eins und zwei des ersten Bandes:
zunächst geht es um die Formbestimmungen der Ware und erst im zweiten Kapitel um das
„freie“ Handeln der Warenbesitzer, das genau diesen Formbestimmungen folgt.
Es geht also keineswegs darum, dass „die Menschen“ aus der Marxschen Theorie eliminiert
werden, sondern darum, in welcher Weise sie darin enthalten sind: als innerlich freies,
autonomes Subjekt, das von den Umständen gefesselt wird oder auch als von seinen
Gattungswesen entfremdetes Subjekt, oder aber als Menschen, bei denen eine solche
Trennung zwischen einem inneren Wesen und der äußeren einschränkenden Bestimmung
gar nicht zu machen ist, also um Menschen, die nicht nur in ihrer „Unfreiheit“, sondern
gerade auch in ihrer „Freiheit“ von den gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgebracht
werden, so dass sich die Frage, ob die Menschen denn (innerlich) frei seien, oder ob sie
gänzlich von den äußeren Verhältnissen bestimmt werden, als Scheinfrage entlarvt, da sie
auf einer falschen Voraussetzung beruht. Wie nun die bei Marx angelegte Kritik des
Subjekts weiter zu entwickeln ist, ist eine ganz andere Frage. Jedenfalls ist die von Birkner
angeführte und kritisierte Althussersche Ideologietheorie (auf die ich mich in meinem Buch
an keiner einzigen Stelle beziehe) bestimmt nicht die einzige Möglichkeit dazu.
Mit dem Satz von der Geschichte als „Prozess ohne Subjekt“ wird aber noch ein anderer
Subjektbegriff kritisiert: die Übertragung des Subjektbegriffs auf ein Kollektiv wie etwa eine
Klasse, so dass, wenn schon nicht der einzelne Proletarier, dann wenigstens „das Proletariat“
Subjekt sein soll. Wie der zustimmende Verweis auf Georg Lukács (das klassenbewusste Proletariat
als ein zur Wahrheit fähiges Erkenntnissubjekt, 36) andeutet, scheint Birkner mit dieser
Konstruktion keine Probleme zu haben. Lukács selbst war sich über die Probleme dieser
Konstruktion schon eher klar, er wusste immerhin, dass sich das Proletariat als Subjekt vom
empirischen Proletariat erheblich unterschied, die reale Existenz von dessen Subjekthaftigkeit sah er
deshalb in der Partei des Proletariats verkörpert - eine „Subjektivität“, die historisch noch
erhebliche Probleme mit sich brachte.“
3. Theodor W. Adorno
a) Negative Dialektik
Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Frankfurt am Main 2003.
S. 61
"Ideologisch ist die heute bis in den Marxismus Lukács'scher Provenienz hinein populäre Frage
nach dem Menschen darum, weil sie der puren Form nach das Invariante der möglichen Antwort,
und wäre es Geschichtlichkeit selber, diktiert. Was der Mensch an sich sein soll, ist immer nur, was
er war: er wird an den Felsen seiner Vergangenheit festgeschmiedet. Er ist aber nicht nur, was er
war und ist, sondern ebenso, was er werden kann; keine Bestimmung reicht hin, das zu
antezipieren."
S. 274
"Das Subjekt ist die Lüge, weil es um der Unbedingtheit der eigenen Herrschaft willen die
objektiven Bestimmungen seiner selbst verleugnet; Subjekt wäre erst, was solcher Lüge sich
entschlagen, was aus der eigenen Kraft, die der Identität sich verdankt, deren Verschalung
von sich abgeworfen hätte. Das ideologische Unwesen der Person ist im-manent kritisierbar.
Das Substantielle, das nach jener Ideologie der Person ihre Würde verleiht, existiert nicht.
Die Menschen, keiner ausgenommen, sind überhaupt noch nicht sie selbst. Mit Fug dürfte
47
unter dem Begriff des Selbst ihre Möglichkeit gedacht werden, und sie steht polemisch
gegen die Wirklichkeit des Selbst. Nicht zuletzt darum ist die Rede von der
Selbstentfremdung unhaltbar. Sie ist, trotz ihrer besseren Hegelschen und Marxischen *
Tage, oder um ihretwillen, der Apologetik anheimgefallen, weil sie mit Vatermiene zu
verstehen gibt, der Mensch wäre von einem Ansichseienden, das er immer schon war,
abgefallen, während er es nie gewesen ist und darum von Rückgriffen auf seine nichts zu
hoffen hat als Unterwerfung unter Autorität, gerade das ihm Fremde. Daß jener Begriff im
Marxischen Kapital nicht mehr figuriert, ist nicht nur von der ökonomischen Thematik des
Werkes bedingt sondern philosophischen Sinnes. — Negative Dia-lektik hält ebensowenig
inne vor der Geschlossenheit der Exi-stenz, der festen Selbstheit des Ichs, wie vor ihrer nicht
minder verhärteten Antithesis, der Rolle, die von der zeitgenössischen sub-jektiven
Soziologie als universales Heilmittel benützt wird, als letzte Bestimmung der
Vergesellschaftung, analog zur Existenz der Selbstheit bei manchen Ontologen."
Die mit * markierte Fußnote: "* "Diese >Entfremdung<, um den Philosophen verständlich
zu bleiben, kann natürlich nur unter zwei praktischen Voraussetzungen aufgehoben
werden."(Karl Marx / Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, Berlin 1960, S. 31.)"
b) Adorno / Horkheimer: Dialektik der Aufklärung
Der Begriff Entfremdung taucht an etlichen Stellen auf. In der Regel als Entfremdung von der
Natur, diese dann aber auch gefasst als Entfremdung des Menschen vom Menschen und
Selbstentfremdung.
S. 15
"Der Mythos geht in die Aufklärung über und die Natur in bloße Objektivität. Die Menschen
bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie die Macht
ausüben. Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen. Er
kennt sie, insofern er sie manipulieren kann. Der Mann der Wissenschaft kennt die Dinge,
insofern er sie machen kann. Dadurch wird ihr An sich Für ihn."
S. 69
"Radikale Vergesellschaftung heißt radikale Entfremdung. Odysseus und Robinson haben es
beide mit der Totalität zu tun: jener durchmißt, dieser erschafft sie. Beide vollbringen es nur
vollkommen abgetrennt von allen anderen Menschen. Diese begegnen beiden bloß in
entfremdeter Gestalt, als Feinde oder als Stützpunkte, stets als Instrumente, Dinge."
S. 81
"Dirne und Ehefrau sind die Komplemente der weiblichen Selbstentfremdung in der
patriarchalen Welt: die Ehefrau verrät Lust an die feste Ordnung von Leben und Besitz,
während die Dirne, was die Besitzrechte der Gattin unbesetzt lassen, als deren geheime
Bundesgenossin nochmals dem Besitzverhältnis unterstellt und Lust verkauft."
S. 85
"Wenn die feste Ordnung des Eigentums, die mit der Seßhaftigkeit gegeben ist, die
Entfremdung der Menschen begründet, in der alles Heimweh und alle Sehnsucht nach dem
verlorenen Urzustand entspringt, dann ist es doch zugleich Seßhaftigkeit und festes
Eigentum, an dem allein der Begriff von Heimat sich bildet, auf den alle Sehnsucht und alles
Heimweh sich richtet."
48
Wolfgang Fritz Haug, Frigga Haug, Peter Jehle (Hg.)
Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus 3, 1997, Spalten 460-469
„ Der Begriff lässt sich bis auf Aristoteles (ἀλλαγή Tausch), Seneca, Cicero und Augustinus
(alienatio) zurückverfolgen, bei denen mit E entweder ökonomisch-juristische Vorgänge der
Übertragung bzw. Veräußerung von Eigentum oder Zustände geistiger Entrückung und
Verwirrung sowie Geisteskrankheit bezeichnet werden. Seit der Aufklärung (Rousseau: E als
Veräußerung von Rechten an die Gemeinschaft im Gesellschaftsvertrag) spielt der Begriff der
E nicht nur in der Philosophie (Hegel: E als notwendige Selbstentäußerung des Geistes)
sondern auch in der Ökonomie (Smith: E als Ergebnis des Tausches von Gütern) eine
wichtige Rolle. Marx entwickelt seine E-Konzeption vor allem in Auseinandersetzung mit der
deutschen klassischen Philosophie (Hegel, Feuerbach, Hess), in der Kritik der englischen
bürgerlichen Nationalökonomie (James Mill) und in der Analyse des französischen
utopischen Sozialismus (Proudhon), wobei »drei Quellen und drei Bestandteile des
Marxismus« (Lenin) deutlich werden.
Die Entwicklung der marxschen E-Konzeption korrespondiert mit der Ausarbeitung des
historischen Materialismushistorischen Materialismushistorischen Materialismushistorischen
Materialismus und der Entfaltung der KrpÖ; der E-Begriff wird im Laufe der Zeit differenziert
und vor allem sozioökonomisch konkretisiert. Auch wenn anstelle des Begriffs E im Spätwerk
vielfach andere Begriffe wie Verdinglichung, Vergegenständlichung oder Verselbständigung o.ä.
gebraucht werden und auch wenn Marx und Engels verschiedentlich gegen idealistisch vorgeprägte
Begriffe polemisieren (»›E‹, um den Philosophen verständlich zu bleiben«; DI), kann keineswegs
gefolgert werden, dass die E-Konzeption in der Entwicklung vom ›jungen‹ zum ›alten‹ bzw.
›reifen‹ Marx einen Bruch aufweist oder etwa an Bedeutung verliert (vgl. dagegen Althusser, FM).
Mit der Entfaltung der historisch-materialistischen Theorie wird auch die E-Konzeption
weiterentwickelt. […] »E« ist wie kaum ein anderer Begriff über den Marxismus hinaus von den
unterschiedlichsten Positionen in Philosophie, Anthropologie, Soziologie und Psychologie rezipiert
und adaptiert worden, wobei sich um diese KategorieKategorieKategorieKategorie viele nicht nur
wissenschaftliche, sondern auch politische Kontroversen entwickelten.”
4. Aus dem Vorwort des Instituts für Marxismus-Leninismus am ZK der SED zur Ausgabe
der Ökonomisch-philosophischen Manuskripte in den Marx-Engels-Werken (MEW 40 bzw.
Ergänzungsband 1), 1973
(Es ging selbigem Institut u.a. darum, „den Weg, den diese beiden großen Deutschen in ihren
jungen Jahren gegangen sind“ zu veranschaulichen.)
S.VI:
„Das Studium ihrer frühen Arbeiten erleichtert das Verständnis für die politischen und
theoretischen Probleme jener Zeit sowie für die objektiven Bedingungen, die gesetzmäßig
zur Entstehung des wissenschaftlichen Kommunismus geführt haben. Dieser
Entstehungsprozeß, der sich als eine konkret historische Erscheinung offenbart, führte zur
organischen Verbindung des Marxismus mit der Arbeiterbewegung.“
S. XVIII-XXI:
„Eine weitere Etappe bei der Herausbildung von Marx‘ neuer Weltanschauung sind die in
der Zeit von April bis August 1844 entstandenen Manuskripte zu ökonomischphilosophischen Fragen. […] Die Manuskripte von 1844, in denen Marx‘ ökonomische
Studien ihren ersten Niederschlag fanden, sind nur unvollständig erhalten geblieben und in
ihrem Charakter sehr unterschiedlich. Dennoch lassen sie seine damalige aus der Kritik der
bürgerlichen politischen Ökonomie und der bürgerlichen Gesellschaftsordnung gewonnenen
49
neuen Erkenntnisse deutlich werden. In diesen Manuskripten hebt Marx im Gegensatz zu
Hegel wie zu Feuerbach die aktive Rolle des Menschen in der Natur und in der Gesellschaft
hervor. Er gibt eine umfassende Kritik der bürgerlichen Nationalökonomie und enthüllt im
Zusammenhang damit das antihumanistische Wesen, die entmenschlichenden Wirkungen
der kapitalistischen Ordnung. Er betont hierbei, daß Hegel die Arbeit als das Wesen des
Menschen anerkennt, setzt aber an die Stelle der abstrakt geistigen Arbeit, die dieser allein
kennt, die materielle, gegenständliche Tätigkeit des Menschen. Von diesem Gesichtspunkt
aus untersucht Marx die Arbeit im kapitalistischen Industriebetrieb und das Wesen der
kapitalistischen Ausbeutung, indem er das wahre Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit,
d.h. zwischen den Privateigentümern der Produktionsmittel und den Lohnarbeitern,
aufdeckt. Analoge Gedanken entwickelte Marx auch in zwei längeren Darlegungen zu den
wahrscheinlich kurz vorher angefertigten Auszügen aus James Mills Schrift „Éléments
d’économie politique“ (1823).
Sowohl in diesen Ausführungen wie auch in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten, in
denen es Marx um das Problem der Aufhebung des kapitalistischen Privateigentums geht, benutzte
er die Kategorie Entfremdung.
Der Ursprung dieser Kategorie geht auf die bürgerliche Aufklärung des 18.Jahrhunderts zurück und
spielte in der Philosophie Hegels und Feuerbachs eine wesentliche Rolle. Hegel entwickelte diese
Kategorie vor allem bei seinem Versuch, eine idealistisch-dialektische Gesamtdarstellung des
Geschichtsprozesses zu geben; bei Feuerbach steht die Kategorie der Entfremdung im
Zusammenhang mit der Kritik der Religion.
Auch Marx hatte in seinen vorhergehenden Arbeiten gelegentlich diesen Begriff benutzt. In der
Dissertation wandte er ihn noch im Sinne Hegels an. In dem Manuskript „Aus der Kritik der
Hegelschen Rechtsphilosophie“ erklärte er unter anderem damit die durch das kapitalistische
Privateigentum bedingten Erscheinungen des Gegensatzes zwischen dem Staat und der bürgerlichen
Gesellschaft.
Jetzt [in den Ö.-ph.-M.] analysiert er mit Hilfe dieses Begriffes von der Position des Kommunismus
aus vor allem die kapitalistischen Verhältnisse und die Lage der Arbeiter unter den Bedingungen
des kapitalistischen Privateigentums. Dies führt ihn zur Erkenntnis der Entfremdung der Arbeit
(entfremdete, entäußerte Arbeit), die die Selbstentfremdung des Arbeiters sowie die Entfremdung
des Menschen vom Menschen zur Folge hat. Mit der Kategorie der Entfremdung der Arbeit, die
sich weder bei Hegel noch bei Feuerbach findet und nichts gemein hat mit dem abstrakten
allgemeinen Entfremdungsbegriff der bürgerlichen Philosophie, untersucht Marx den
ökonomischen Inhalt und weist den historischen Charakter dieser Entfremdung nach. Die
Entfremdung der Arbeit widerspiegelt in der Auffassung von Marx ein materielles
gesellschaftliches Verhältnis sowie die Tatsache, daß in der bürgerlichen Welt die
Produktionsmittel und die vom Arbeiter geschaffenen Produkte ihm als fremde und feindliche
Mächte gegenüberstehen.
Marx sieht in der Aufhebung des kapitalistischen Privateigentums und damit der aus der
kapitalistischen Gesellschaftsordnung erwachsenden Entfremdung der Arbeit und aller damit
verbundenen Erscheinungen den Ausgangspunkt und die Grundbedingung der menschlichen
Emanzipation.
[…]
Diese Manuskripte lassen ein Fortschreiten Marx‘ auf dem Wege zum dialektischen und
historischen Materialismus sowie die nunmehr begonnene Ausarbeitung des
wissenschaftlichen Kommunismus klar erkennen. Viele der hier dargelegten Gedanken
finden sich in späteren Arbeiten – weiterentwickelt und präzisiert – wieder. Dennoch
offenbaren sowohl ihr Inhalt als auch ihr Charakter, daß Marx mit der Untersuchung und
dem Durchdenken mancher darin aufgeworfenen Frage noch nicht zu Ende gekommen war.
Die Arbeit zeigt, daß Marx, trotz aller Vorbehalte, die er dem anthropologischen
Materialismus Feuerbachs entgegengebrachte, diesen noch nicht völlig überwunden hatte.
Diese Manuskripte tragen einen Übergangscharakter.
[…]
Dieser Charakter der Manuskripte erklärt auch, warum seit ihrer Erstveröffentlichung im
50
Jahre 1932 die bürgerlichen Ideologen eben diesen Texten ihre besondere Aufmerksamkeit
schenken, ohne sich die Mühe zu geben, den ganzen Marxismus kennenzulernen und zu
verstehen. Gerade das hier noch Unvollkommene, noch Unfertige, das noch von alten
Ansichten Geprägte und insbesondere der noch vorhandene Widerspruch zwischen den vom
philosophischen Idealismus und Anthropologismus übernommenen Begriffen oder
Ausdrucksformen und dem ihnen von Marx gegebenen prinzipiell neuen Inhalt benutzen die
„Marx-Kritiker“ der verschiedenen Richtungen, um Marx‘ Lehre zu verfälschen.
[…]
Von dieser Basis aus bemühen sie sich, Marx‘ spätere Schriften zu manipulieren, sie
abzuwerten, indem sie deren qualitativen Unterschied und somit den Prozeß der
Herausbildung und Weiterentwicklung der Lehre von Marx negieren oder zwischen den
Manuskripten und den späteren Arbeiten eine unüberbrückbare Grenze ziehen. Dabei
klammern sich die bürgerlichen „Marx-Kritiker“ vor allem an den Begriff Entfremdung. Sie
unterschlagen, daß die Entfremdung in erster Linie ein materielles, durch das kapitalistische
Privateigentum bedingtes Verhältnis ist und dieser Begriff in diesem Sinne von Marx auch
in seinen späteren Arbeiten, z.B. in seinem Hauptwerk „Das Kapital“ benutzt wurde. Sie
reduzieren die von Marx entwickelten Gedanken auf die Hegelsche und Feuerbachsche
Auffassung von der Entfremdung und machen diesen Begriff zu einer unhistorischen,
ewigen Kategorie. Durch eine den wirklichen Inhalt der Ökonomisch-philosophischen
Manuskripte verfälschende Interpretation sollen die politische Zielstellung und der
Klassencharakter der Marxschen Lehre verneint oder ausgeklammert und die Theorie von
Marx in den Gegensatz zur revolutionären Arbeiterklasse und zum Sozialismus gebracht
werden. Mit Marx sollen der Marxismus-Leninismus und die sozialistische
Gesellschaftsordnung bekämpft werden.“
S. XXII:
“[…] gemeinsam mit Engels die in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten
enthaltene Elemente der revolutionären materialistischen Weltanschauung zu einer
geschlossenen Lehre auszuarbeiten und diese Lehre wissenschaftlich zu begründen.“
5. Aus dem Vorwort zur 2. Marx-Engels-Gesamtausgabe (DDR-MEGA)
fehlt
III. Autoren, die an der Kritik der Entfremdungen durch Marx festgehalten haben
1. Georg Lukács
a) Das abschließende Kapitel "Entfremdung" aus Band II von "Zur Ontologie des gesellschaftlichen
Seins". Sowie zahlreiche Stellen im III. Teil der Prolegomena (I. Halbband).
S. 505
„Dementsprechend können auch die Entfremdungen auf verschiedenen Stufen höchst
verschiedene Formen wie Inhalte erhalten. Es kommt nur darauf an, daß der fundamentale
Gegensatz von Fähigkeitsentwicklung und Persönlichkeitsentfaltung ihren unterschiedlichen
Erscheinungsweisen
zugrunde liegt. Das ist nun bei allen Entfremdungserscheinungen, besonders bei entwickelterer
Produktion der Fall.“
b) Auszug aus den Interviews mit Holz, Kofler und Abendroth von 1967
51
Georg Lukács: Autobiographische Texte und Gespräche. Werke Band 18. Bielefeld 2009.
S. 267f
"Das hat aber eine andere und weitere Konsequenz, daß nämlich die Ausbeutung der
Arbeiterklasse sich immer stärker von der Ausbeutung durch den absoluten Mehrwert in
Richtung auf die Ausbeutung durch den relativen Mehrwert verschiebt, was soviel bedeutet,
daß eine Steigerung der Ausbeutung bei einer Erhöhung des Lebensniveaus der Arbeiter
möglich ist. Zur Zeit von Marx hat so etwas nur in seinen Anfängen existiert, ich sage nicht,
daß es nicht vorhanden war. Marx hat den relativen Mehrwert, ich glaube als erster,
ökonomisch erkannt, aber Marx sagt einmal in einem nicht veröffentlichten Teil des
'Kapital' sehr interessanterweise, daß beim absoluten Mehrwert die Produktion dem Kapital
nur formal subsumiert ist und erst beim relativen Mehrwert die Subsumtion der Produktion
unter die Kategorien des Kapitalismus entsteht, was eigentlich die Signatur der heutigen Zeit
ist. Alle Probleme, von denen Sie jetzt sprechen, tauchen im Zusammenhang damit auf. Das
ganze Problem der Entfremdung bekommt eine vollkommen neue Physiognomie. Zur Zeit
als Marx die ökonomisch-philosophischen Manuskripte schrieb, bedeutete die Entfremdung
der Arbeiterklasse unmittelbar eine herabdrückende Arbeit auf ein fast tierisches Niveau,
und die Entfremdung ist in bestimmten Sinn mit Entmenschung identisch gewesen, weshalb
dann die Richtung des Klassenkampfes jahrzehntelang darauf eingestellt war, durch
entsprechende Forderungen in bezug auf Lohn und Arbeitszeit das Minimum eines
menschlichen Lebens für den Arbeiter zu garantieren. Die berühmten drei Achter der
zweiten Internationale sind ein Symptom des Klassenkampfes. Jetzt hat sich die Frage in
einem bestimmten Sinn verschoben, ich würde allerdings sagen, nur in einem bestimmten
Sinn.
Erinnern Sie sich nur, als Herr Erhard die ersten Versuche einer Reform gemacht hat, war der erste
Schritt dazu, die Erhöhung der Arbeitszeit wöchentlich um eine Stunde zu fordern, was doch eine
klare Maßnahme auf Grundlage des absoluten Mehrwerts ist. Wenn Sie übrigens die Wilsonsche
Politik in England nehmen, haben Sie dieselbe Geschichte, der absolute Mehrwert ist nicht tot, er
nimmt nur nicht mehr die dominierende Rolle ein, die er eingenommen hat, als Marx die
ökonomisch-philosophischen Manuskripte schrieb. Was folgt nun daraus? Daß ein neues Problem
sich am Horizont der Werktätigen zeigt, nämlich das Problem eines sinnvollen Lebens. Der
Klassenkampf zur Zeit des absoluten Mehrwerts richtete sich darauf, die objektiven Bedingungen
eines sinnvollen Lebens zu schaffen. Heute, bei einer Fünf-Tage-Woche und einem entsprechenden
Lohn können bereits die Bedingungen eines sinnvollen Lebens auftauchen, wobei jetzt das Problem
entsteht, daß jene Manipulation, die vom Zigarettenverkauf bis zur Präsidentenwahl geht, eine
innere Trennungsmauer zwischen den existierenden Menschen und einem sinnvollen Leben
errichtet."
S. 270f
"Dazu ist eine große prinzipielle Darstellung der Entfremdung auf dem heutigen Niveau
notwendig. Ich begrüße es sehr, daß die Menschen heute anfangen, den jungen Marx in
dieser Beziehung zu studieren. Freilich, wenn damit der junge Marx gegen den reifen Marx
ausgespielt wird, so ist das eine historische Dummheit. Die 'ökonomisch-philosophischen
Manuskripte' können uns das Phänomen der Entfremdung in einer sehr plastischen und
philosophischen Weise zeigen. Aber das aktuelle Problem der Entfremdung hat heute eine
andere Physiognomie als zu Marx' Zeiten vor 120 Jahren, und die Aufgabe besteht darin,
diese neue Form der Entfremdung herauszuarbeiten, wozu die ganze historische Dialektik
dieses Problemkomplexes notwendig ist, denn es gibt heute außerordentlich kluge, tapfere,
gute Leute, für die ich die größte menschliche und intellektuelle Wertschätzung habe, die in
den Fetischismus verfallen, als ob die technische Entwicklung ein Moloch wäre, der in einer
unwiderstehlichen Weise alles verschlingt. Das ist wiederum falsch, was auf der Grundlage
des Marxismus nachgewiesen werden kann. Ich habe vor 40 Jahren gegen die Bucharinsche
Auffassung von der Technik als entscheidender Produktivkraft polemisiert; heute ist dieser
52
Irrtum noch stärker ausgebildet, jetzt im Zusammenhang mit solchen großen neuen
Erfindungen wie der Nutzung der Atomenergie. Unsere, also die marxistische Aufgabe wäre
hier, den fetischisierten Fatalismus aus dem Kopf der Menschen zu bringen und zu zeigen,
daß Technik immer nur ein Mittel in der Entwicklung der Produktivkräfte war und daß die
Produktivkräfte letzten Endes immer die Menschen und ihre Fähigkeiten sind, und daß es
eine neue Phase des Marxismus bedeuten würde, wenn man eine Reform des Menschen zur
zentralen Aufgabe setzt. Ich meine, daß ist gar nicht antimarxistisch gesagt, denn vergessen
Sie nicht, in der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie sagt noch der junge Marx, daß die
Wurzel für den Menschen der Mensch selber ist. Diese Seite des Marxismus muß jetzt nicht
in einer leer propagandistischen Weise, sondern auf der Grundlage der Analyse des heutigen
Kapitalismus in den Vordergrund gestellt werden, und damit kann dann eine Basis für einen
Kampf gegen die heutige Entfremdung gefunden werden."
2. István Mészáros
István Mészáros: Der Entfremdungsbegriff bei Marx. München 1973.
S. 275
„ Seit der Veröffentlichung der Ökonomisch-philosophischen Manuskripte von 1844
behaupten viele Philosophen, der junge Marx sei gesondert zu behandeln, da ein Bruch
zwischen dem Denker, der sich mit dem Entfremdungsproblemen beschäftigt, und dem
„reifen Marx“ vorliege, der einen wissenschaftlichen Sozialismus anstrebe.“ Und
seltsamerweise gehören die Vertreter dieser Auffassung politisch entgegengesetzten Lagern
an. Ihre Differenzen laufen darauf hinaus, daß das eine Lager den jungen Marx idealisiert
und seine Frühschriften den späteren Werken entgegenhält, während das andere nur diese
gelten läßt und jene als idealistisch abtut.“
S. 277ff
„Doch die einfache, undramatische Wahrheit ist, daß es weder eine „Schlußabrechnung“ in
der Deutschen Ideologie noch irgendein „Abmühen“ in den Manuskripten gibt, das sich als
hinter der angeblich reifen Abrechnung herhinkend interpretieren ließe. Ja, die kritische
Position gegenüber den idealistischen Philosophen – unser erstes Zitat – und den Bezug der
Entfremdungsfrage zur Praxis hatte Marx längst vor den Manuskripten von 1844 erreicht
(man vergleiche zumal seine Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie). In
den Manuskripten von 1844 legte Marx mehr als einmal dar, daß er von der Sprache der
Nationalökonomie ausgehe, um ihre Errungenschaften zu bergen, die den
Nationalökonomen selber verborgen geblieben waren, und um sie außerdem unter ihren
eigenen Bedingungen zu kritisieren. Genau die gleiche Haltung nahm er gegenüber der
idealistischen Philosophie ein.
Deshalb konnte er den Begriff der Entfremdung nie „fallenlassen“: er hätte sich um eine wirkliche
Errungenschaft (nämlich den „rationalen Kern“ der Hegelschen Philosophie) gebracht, unerachtet
ihrer mystifizierenden Einkleidung. In der besprochenen Passage will Marx einfach herausstellen –
wie er es überhaupt bei zahlreichen Gelegenheiten in den Manuskripten tut -, daß die Sprache der
„Entfremdung“ ohne den notwendigen Bezug zur gesellschaftlichen Praxis mystifizierend ist.
Was das zweite Zitat betrifft, so wird eine sorgfältigere Lektüre deutlich machen, daß es
nichts mit der Ablehnung des Ausdrucks „Selbstentfremdung“ zu tun hat. Die betreffende
Stelle lautet so: „Die Individuen, die nicht mehr unter die Teilung der Arbeit subsumiert
werden, haben die Philosophen sich als das Ideal unter dem Namen: „der Mensch“
vorgestellt und den ganzen, von uns entwickelten Prozeß als den Entwicklungsprozeß „des
Menschen“ gefaßt, so daß den bisherigen Individuen auf jeder geschichtlichen Stufe „der
Mensch“ untergeschoben und als treibende Kraft der Geschichte dargestellt wurde. Der
ganze Prozeß wurde so als Selbstentfremdungsprozeß „des Menschen“ gefaßt, und dies
53
kommt wesentlich daher, daß das Durchschnittsindividuum der späteren Stufe immer der
früheren, und das spätere Bewußtsein den früheren Individuen untergeschoben wurde.
Durch diese Umkehrung, die von vornherein von den wirklichen Bedingungen abstrahiert,
war es möglich, die ganze Geschichte in einen Entwicklungsprozeß des Bewußtseins zu
verwandeln.“ Man sieht, es gibt hier nichts, das auch nur von fern an eine Schlußabrechnung
erinnerte, sondern nur einen aus den Manuskripten ganz vertrauten Gedankengang. Ironisch
behandelt Marx nicht den Begriff der Selbstentfremdung, sondern den philosophischen
Abstraktionismus, der für das wirkliche (geschichtlich und gesellschaftlich konkrete)
Individuum das idealistische Bild des abstrakten Menschen setzt und damit die tatsächliche
Entfremdung des wirklichen Menschen (des gesellschaftlichen Individuums) dadurch
mystifiziert, daß er sie als Entfremdung des Bewußtseins darstellt. Anders gesagt: er wendet
sich dagegen, den Begriff des Menschen mit abstraktem, allgemeinem Bewußtsein zu
identifizieren. Dieser Einwand, der uns aus seinen früheren Schriften gut bekannt ist, macht
den Begriff der „Selbstentfremdung des wirklichen Menschen“ keineswegs ungültig.
Der Hinweis auf das Kommunistische Manifest ist nicht überzeugender. Dies ist die fragliche Stelle:
„Es ist bekannt, wie die Mönche Manuskripte, worauf die klassischen Werke der alten Heidenzeit
verzeichnet waren, mit abgeschmackten katholischen Heiligengeschichten überschrieben. Die
deutschen Literaten gingen umgekehrt mit der profanen französischen Literatur um. Sie schrieben
ihren philosophischen Unsinn hinter das französische Original. Z.B. hinter die französische Kritik
der Geldverhältnisse schrieben sie "Entäußerung des menschlichen Wesens", hinter die französische
Kritik des Bourgeoisstaates schrieben sie "Aufhebung der Herrschaft des abstrakten Allgemeinen"
usw.
Die Unterschiebung dieser philosophischen Redensarten unter die französischen
Entwicklungen tauften sie "Philosophie der Tat", "wahrer Sozialismus", "deutsche
Wissenschaft des Sozialismus", usw.
Die französische sozialistisch-kommunistische Literatur wurde so förmlich entmannt. Und
da sie in der Hand des Deutschen aufhörte, den Kampf einer Klasse gegen die andre
auszudrücken, so war der Deutsche sich bewußt, die "französische Einseitigkeit"
überwunden, statt wahrer Bedürfnisse das Bedürfnis der Wahrheit und statt der Interessen
des Proletariers die Interessen des menschlichen Wesens, des Menschen überhaupt vertreten
zu haben, des Menschen, der keiner Klasse, der überhaupt nicht der Wirklichkeit, der nur
dem Dunsthimmel der philosophischen Phantasie angehört.“(Anmerkung: Marx / Engels:
Manifest der Kommunistischen Partei. MEW 4, S. 486)
Wir sehen abermals, daß sich die Kritik nicht gegen den Begriff der Entfremdung richtet, sondern
gegen seine idealistische Verwendung, da sie ihn „förmlich entmannt“, ihn seines konkreten
gesellschaftlichen Gehalts und seiner praktisch kritischen Kraft beraubt. Gleicherweise wird hier
nicht der Begriff des Menschen angegriffen, wie ihn Marx 1844 als gesellschaftliches Individuum
definiert hatte, sondern die Abstraktion des „menschlichen Wesens“, des „Menschen überhaupt“,
wie sie seine Gegner verwenden, weil sie nur „im Dunsthimmel der philosophischen Phantasie“
existiert. Das ist alles andere als ein Bruch: die bemerkenswerteste Kontinuität.“
Anmerkung: Mit dem ersten Zitat meint Mészáros folgende Stelle, die als Beweis für die
Aufgabe des Entfremdungsbegriffs durch Marx herangezogen wird: „Diese „Entfremdung“,
um den Philosophen verständlich zu bleiben, kann natürlich nur unter zwei praktischen
Voraussetzungen aufgehoben werden.“(Marx / Engels: Die deutsche Ideologie, MEW 3, S.
34) Das zweite Zitat findet sich ebd., auf S. 69.
3. Herbert Marcuse
„ Die kapitalistische Einrichtung der Arbeit wird in den frühen Aufsätzen von Marx
als 'Entfremdung', das heißt, als eine 'unnatürliche', entartete Form von Arbeit
bezeichnet. Es erhebt sich die Frage: wie ist eine solche Entartung möglich geworden?
Hier liegt mehr als eine quaestio facti vor, da die entfremdete Arbeit nur im Licht
54
ihrer Abschaffung als Tatsache erscheint. Die Analyse der herrschenden Form von
Arbeit ist gleichzeitig eine Analyse der Voraussetzungen ihrer Abschaffung. Mit
anderen Worten, Marx untersucht die bestehenden Arbeitsbedingungen im Hinblick
auf ihre Negation in einer wirklich freien Gesellschaft. Seine Kategorien sind negativ
und zur gleichen Zeit positiv: sie schildern einen negativen Zustand im Licht seiner
positiven Aufhebung, wobei sie die wahre Situation der gegenwärtigen Gesellschaft als
ein Vorspiel ihres Übergangs in eine neue Form enthüllen. Alle Marxschen Begriffe
spannen sich sozusagen in diese beiden Dimensionen aus, von denen die erste in dem
Komplex der gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse besteht und die zweite in dem
Komplex der Elemente, die der gesellschaftlichen Wirklichkeit innewohnen und deren
Transformation in eine freie Gesellschaftsordnung den Weg bereiten. Dieser
doppelschlächtige Inhalt bestimmt die gesamte Marxsche Analyse des
Arbeitsprozesses.“ (Marcuse: Vernunft und Revolution. S. 260f.)
4. Raya Dunayewskaya
5. S.I.
Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels. Hamburg 1978
S. 7
„In seiner Totalität begriffen, ist das Spektakel zugleich das Ergebnis und die Zielsetzung der
bestehenden Produktionsweise. Es ist kein Zusatz zur wirklichen Welt, kein aufgesetzter
Zierat. Es ist das Herz des Irrealismus der realen Gesellschaft. In allen seinen besonderen
Formen: Information oder Propaganda, Werbung oder unmittelbarer Konsum von
Zerstreuungen ist das Spektakel das gegenwärtige Modell des gesellschaftlich herrschenden
Lebens. Es ist die allgegenwärtige Behauptung der in der Produktion und ihrem korollären
Konsum bereits getroffenen Wahl. Form und Inhalt des Spektakels sind identisch die
vollständige Rechtfertigung der Bedingungen und der Ziele des bestehenden Systems. Das
Spektakel ist auch die ständige Gegenwart dieser Rechtfertigung, als Beschlagnahme des
hauptsächlichen Teils der außerhalb der modernen Produktion erlebten Zeit.“
S. 7f.
„Das Spektakel und die wirkliche gesellschaftliche Tätigkeit lassen sich nicht abstrakt
einander entgegensetzen; diese Verdoppelung ist selbst doppelt. Das Spektakel, das das
Wirkliche verkehrt, wird wirklich erzeugt. Zugleich wird die erlebte Wirklichkeit durch die
Kontemplation des Spektakels materiell überschwemmt und nimmt in sich selbst die
spektakuläre Ordnung wieder auf, indem sie ihr eine positive Zustimmung gibt. Die
objektive Realität ist auf beiden Seiten vorhanden. Jeder so festgesetzte Begriff gründet sich
nur auf seinen Übergang in die Gegenseite. Ins Spektakel tritt die Wirklichkeit ein, und das
Spektakel ist wirklich. Diese gegenseitige Entfremdung ist das Wesen und die Stütze der
bestehenden Gesellschaft.“
S. 9f.
„Die erste Phase der Herrschaft der Wirtschaft über das gesellschaftliche Leben hatte in der
Definition jeder menschlichen Realisierung eine offensichtliche Degradierung des Seins zum
Haben mit sich gebracht. Die gegenwärtige Phase der völligen Beschlagnahme des
gesellschaftlichen Lebens durch die akkumulierten Ergebnisse der Wirtschaft führt zu einer
verallgemeinerten Verschiebung vom Haben zum Scheinen, aus welchem jedes tatsächliche
»Haben« sein unmittelbares Prestige und seinen letzten Zweck beziehen muß. Zugleich ist
jede individuelle Wirklichkeit gesellschaftlich geworden, direkt von der gesellschaftlichen
Macht abhängig und von ihr geformt. Nur sofern sie nicht ist, darf sie erscheinen.„
S. 10
„Da, wo sich die wirkliche Welt in bloße Bilder verwandelt, werden die bloßen Bilder zu
55
wirklichen Wesen und zu den wirkenden Motivierungen eines hypnotischen Verhaltens. Das
Spektakel als Tendenz, durch verschiedene spezialisierte Vermittlungen die nicht mehr
unmittelbar greifbare Welt zur Schau zu stellen, findet normalerweise im Sehen den
bevorzugten menschlichen Sinn, der zu anderen Zeiten der Tastsinn war; der abstrakteste und
mystifizierbarste Sinn entspricht der verallgemeinerten Abstraktion der heutigen Gesellschaft.
Das Spektakel läßt sich jedoch nicht mit dem bloßen Zusehen identifizieren, wenn dieses auch
mit dem Zuhören kombiniert wäre. Das Spektakel ist das, was der Tätigkeit der Menschen,
der Wiedererwägung und der Berichtigung ihres Werkes entgeht. Es ist das Gegenteil des
Dialogs. Überall, wo es unabhängige Vorstellung gibt, baut sich das Spektakel wieder auf.“
S. 11
„Als Gewalt des getrennten Gedankens und als Gedanke der getrennten Gewalt, ist es der
Philosophie nie durch eigene Kraft gelungen, die Theologie aufzuheben. Das Spektakel ist der
materielle Wiederaufbau der religiösen Illusion. Die spektakuläre Technik hat die religiösen
Wolken nicht aufgelöst, in die die Menschen ihre von ihnen losgerissenen, eigenen Kräfte
gesetzt hatten: sie hat sie nur mit einer weltlichen Grundlage verbunden. So ist es das
irdischste Leben, welches undurchsichtig und erstickend wird. Es verweist nicht mehr auf den
Himmel, sondern beherbergt bei sich seine absolute Verwerfung, sein trügerisches Paradies.
Das Spektakel ist die technische Verwirklichung der Verbannung der menschlichen Kräfte in
ein Jenseits; die vollendete Entzweiung im Innern des Menschen.“
S. 11
„Die Tatsache, daß die praktische Macht der modernen Gesellschaft sich von selbst
abgehoben und sich ein selbständiges Reich im Spektakel fixiert hat, ist nur aus dieser
anderen Tatsache, daß diese mächtige Praxis immer noch selbstzerrissen und
sichselbstwidersprechend geblieben war, zu erklären.“
S. 12f
„Die Trennung ist das Alpha und Omega des Spektakels. Die Institutionalisierung der
gesellschaftlichen Teilung der Arbeit und die Herausbildung der Klassen hatten eine erste
heilige Kontemplation gebaut, die mythische Ordnung, mit der sich jede Macht schon von
Urbeginn an umhüllt. Das Heilige hat die kosmische und ontologische Anordnung
gerechtfertigt, die den Interessen der Herren entsprach und es hat das erklärt und beschönigt,
was die Gesellschaft nicht tun konnte. Also war jede getrennte Macht spektakulär, aber die
Zustimmung aller zu einem solchen feststehenden Bild bedeutete nur die gemeinsame
Anerkennung einer imaginären Verlängerung für die Armut der wirklichen gesellschaftlichen
Tätigkeit, die noch sehr viel als einheitliche Bedingung empfunden wurde. Im Gegenteil
drückt das moderne Spektakel das aus, was die Gesellschaft tun kann, aber in dieser Äußerung
stellt sich das Erlaubte absolut dem Möglichen entgegen. Das Spektakel ist die Erhaltung der
Bewußtlosigkeit in der praktischen Veränderung der Existenzbedingungen. Das Spektakel ist
sein eigenes Produkt, es selbst ist es, das seine Regeln aufgestellt hat: es ist ein PseudoHeiliges. Es zeigt was es ist: die getrennte Macht, welche – bei dem Produktivitätswachstum
durch die unaufhörliche Verfeinerung der Teilung der Arbeit zur Zerstückelung der zugleich
von der unabhängigen Maschinenbewegung beherrschten Gesten – sich in sich selbst
entwickelt und für einen stets weiteren Markt arbeitet. Jedes Gemeinwesen und jeder kritische
Sinn haben sich während dieser ganzen Bewegung aufgelöst, in der sich die Kräfte, die bei
ihrer Trennung wachsen konnten, noch nicht wiedergefunden haben.“
S. 13
„Bei der verallgemeinerten Trennung des Arbeiters von seinem Produkt geht jeder
einheitliche Überblick über die ausgeführte Tätigkeit, jede persönliche, direkte Mitteilung
zwischen den Produzenten verloren. Im Laufe des Fortschritts der Akkumulation der
getrennten Produkte und der Konzentration des Produktionsprozesses werden die Einheit und
die Mitteilung zum ausschließenden Attribut der Systemleitung. Das Gelingen des
56
wirtschaftlichen Systems der Trennung ist die Proletarisierung der Welt.“
S. 14
„Der Ursprung des Spektakels ist der Verlust der Einheit der Welt, und die riesengroße
Ausbreitung des modernen Spektakels drückt die Vollständigkeit dieses Verlustes aus: die
Abstraktion jeder besonderen Arbeit und die allgemeine Abstraktion der Gesamtproduktion
äußern sich vollkommen im Spektakel, dessen konkrete Seinsweise gerade die Abstraktion ist.
Im Spektakel stellt sich ein Teil der Welt vor der Welt dar, und ist über sie erhaben. Das
Spektakel ist nur die gemeinschaftliche Sprache dieser Trennung. Was die Zuschauer
miteinander verbindet, ist nur ein irreversibles Verhältnis zum Zentrum selbst, das ihre
Vereinzelung aufrechterhält. Das Spektakel vereinigt das Getrennte, aber nur als Getrenntes.“
S. 15
„Die Entfremdung des Zuschauers zugunsten des angeschauten Objekts (das das Ergebnis
seiner eigenen bewußtlosen Tätigkeit ist) drückt sich so aus: je mehr er zuschaut, um so
weniger lebt er; je mehr er sich in den herrschenden Bildern des Bedürfnisses
wiederzuerkennen akzeptiert, um so weniger versteht er seine eigene Existenz und seine
eigene Begierde. Die Äußerlichkeit des Spektakels im Verhältnis zum tätigen Menschen
erscheint darin, daß seine eigenen Gesten nicht mehr ihm gehören, sondern einem anderen,
der sie ihm vorführt. Der Zuschauer fühlt sich daher nirgends zu Hause, denn das Spektakel
ist überall.“
S. 15
„Der Arbeiter produziert nicht sich selbst, sondern eine unabhängige Macht. Der Erfolg dieser
Produktion, ihr Überfluß, kehrt zum Produzenten als Überfluß der Enteignung zurück. Die
ganze Zeit und der ganze Raum seiner Welt werden ihm bei der Akkumulation seiner
entfremdeten Produkte fremd. Das Spektakel ist die Landkarte dieser neuen Welt, eine
Landkarte, die genau ihr Territorium deckt. Eben die Kräfte, die uns entgangen sind, zeigen
sich uns in ihrer ganzen Macht.“
S. 15
„Das Spektakel in der Gesellschaft entspricht einer konkreten Herstellung der Entfremdung.
Die wirtschaftliche Expansion ist hauptsächlich die Expansion dieser bestimmten
industriellen Produktion. Was mit der sich für sich selbst bewegenden Wirtschaft anwächst,
kann nur die Entfremdung sein, die gerade in ihrem ursprünglichen Kern enthalten war.“
S. 15
„Der von seinem Produkt getrennte Mensch produziert immer machtvoller alle Einzelheiten
seiner Welt und findet dadurch immer mehr von seiner Welt getrennt. Je mehr sein Leben
jetzt sein Produkt ist, um so mehr ist er von seinem Leben getrennt.“
S. 19f.
„Die Entwicklung der Produktivkräfte war die bewußtlose wirkliche Geschichte, die die
Existenzbedingungen der Menschengruppen als Überlebensbedingungen und als deren
Erweiterung aufgebaut und verändert hat; die ökonomische Basis all ihrer Unternehmungen.
Innerhalb einer Naturalwirtschaft bestand der Bereich der Ware in der Schaffung eines
Überschusses an Überleben. Die Warenproduktion, die den Austausch verschiedenartiger
Produkte zwischen unabhängigen Produzenten voraussetzt, konnte lange handwerkmäßig, in
einer wirtschaftlichen Randfunktion beschränkt bleiben, worin ihre quantitative Wahrheit
noch verdeckt ist. Da jedoch, wo sie die gesellschaftlichen Bedingungen des Großhandels und
der Kapitalakkumulation antraf, bemächtigte sie sich der gesamten Wirtschaft. Die ganze
Wirtschaft ist also zu dem geworden, als was sich die Ware bei dieser Eroberung erwiesen
hatte: zu einem Prozeß quantitativer Entwicklung. Diese unaufhörliche Entfaltung der
wirtschaftlichen Macht in der Form der Ware, die die menschliche Arbeit zur Ware Arbeit,
57
zur Lohnarbeit, umgebildet hat, führte kumulativ zu einem Überfluß, in dem die Grundfrage
des Überlebens zweifelsohne gelöst wird, aber so daß sie immer wiederkehren muß; sie wird
jedesmal wieder auf einer höheren Stufe gestellt. Das Wirtschaftswachstum befreit die
Gesellschaften vom natürlichen Druck, der ihren unmittelbaren Überlebenskampf erforderte,
nun aber sind sie von ihrem Befreier nicht befreit. Die Unabhängigkeit der Ware hat sich auf
das Ganze der von ihr beherrschten Wirtschaft ausgedehnt. Die Wirtschaft verwandelt die
Welt, aber nur in eine Welt der Wirtschaft. Die Pseudonatur, in der sich die menschliche
Arbeit entfremdet hat, erfordert, daß ihr Dienst endlos fortgesetzt wird, und da dieser Dienst
nur von sich selbst beurteilt und freigesprochen wird, erlangt er in der Tat die Gesamtheit der
gesellschaftlich zulässigen Bemühungen und Vorhaben als seine Diener. Der Überfluß der
Waren, d.h. des Warenverhältnisses, kann nicht mehr als das vermehrte Überleben sein.“
S. 20f
„Das Spektakel ist der Moment, in welchem die Ware zur völligen Beschlagnahme des
gesellschaftlichen Lebens gelangt ist. Das Verhältnis zur Ware ist nicht nur sichtbar; sondern
man sieht nichts anderes mehr: die Welt, die man sieht, ist seine Welt. Die moderne
Wirtschaftsproduktion dehnt ihre Diktatur extensiv aus. An den am wenigsten
industrialisierten Orten ist ihr Reich schon durch einige Star-Waren und als imperialistische
Herrschaft der an der Spitze der Produktivitätsentwicklung stehenden Zonen vorhanden. In
diesen fortgeschrittenen Zonen wird der gesellschaftliche Raum durch eine ununterbrochene
Übereinanderlagerung geologischer Warenschichten überschwemmt. An diesem Punkt der
»zweiten industriellen Revolution« wird neben der entfremdeten Produktion der entfremdete
Konsum zu einer zusätzlichen Pflicht für die Massen. Die ganze verkaufte Arbeit einer
Gesellschaft wird völlig zur Gesamtware, deren Kreislauf sich fortsetzen muß. Dazu muß
diese Gesamtware dem fragmentarischen Individuum, das von den als ein Ganzes wirkenden
Produktivkräften absolut getrennt ist, fragmentarisch zurückkehren. Hier muß sich gerade die
spezialisierte Wissenschaft der Herrschaft ihrerseits spezialisieren: sie zerbröckelt in
Soziologie Psychotechnik, Kybernetik, Semiologie usw., und wacht über die
Selbstregulierung aller Stufen des Prozesses.“
S. 21
„Während in der ursprünglichen Phase der kapitalistischen Akkumulation »die
Nationalökonomie den Proletarier nur als Arbeiter betrachtet«, der das zur Erhaltung seiner
Arbeitskraft unentbehrliche Minimum bekommen muß, ohne ihn jemals »in seiner
arbeitslosen Zeit, als Mensch« zu betrachten, kehrt sich diese Denkweise der herrschenden
Klasse um, sobald der in der Warenproduktion erreichte Überflußgrad vom Arbeiter einen
Überschuß von Kollaboration erfordert. Dieser Arbeiter, von der vollständigen Verachtung
plötzlich reingewaschen, die ihm durch alle Organisations- und Überwachungsbedingungen
der Produktion deutlich gezeigt wird, findet sich jeden Tag außerhalb dieser Produktion, in
der Verkleidung des Konsumenten, mit überaus zuvorkommender Höflichkeit scheinbar wie
ein Erwachsener behandelt. Da nimmt der Humanismus der Ware den Arbeiter »in seiner
arbeitslosen Zeit und als Mensch« in die Hand ganz einfach deswegen, weil die politische
Ökonomie diese Sphären beherrschen kann und muß. So hat »die konsequente Durchführung
der Verleugnung des Menschen« die Ganzheit der menschlichen Existenz in die Hand
genommen.“
S. 21
„Das Spektakel ist ein ständiger Opiumkrieg, um die Identifizierung der Güter mit den Waren
und auch die der Zufriedenheit mit dem sich nach seinen eigenen Gesetzen vermehrenden
Überleben aufzuzwingen. Wenn aber das konsumierbare Überleben etwas ist, das sich ständig
vermehren muß, so deshalb, weil es die Entbehrung immer noch enthält. Wenn es kein
Jenseits des vermehrten Überlebens gibt, keinen Punkt, an dem dieses Überleben sein
Wachstum beenden könnte, so deshalb, weil es selbst nicht jenseits der Entbehrung liegt,
sondern die reicher gewordene Entbehrung ist.“
58
S. 22f
„Jene Konstante der kapitalistischen Wirtschaft, die in dem tendenziellen Fall des
Gebrauchswerts besteht, entwickelt eine neue Form der Entbehrung innerhalb des vermehrten
Überlebens; dieses ist ebensowenig von der alten Not befreit, da es die Mitwirkung der
großen Mehrheit der Menschen als Lohnarbeiter zur endlosen Fortsetzung seines Strebens
fordert und da jeder weiß, daß er sich entweder unterwerfen oder sterben muß. Die
Wirklichkeit dieser Erpressung, d.h. die Tatsache, daß der Gebrauch in seiner ärmsten Form
(Essen, Wohnen) nur noch besteht, soweit er im Scheinreichtum des vermehrten Überlebens
eingeschlossen bleibt, ist die wirkliche Grundlage dafür, daß die Täuschung überhaupt beim
Konsum der modernen Waren hingenommen wird. Der wirkliche Konsument wird zu einem
Konsumenten von Illusionen; Die Ware ist diese wirkliche Illusion und das Spektakel ihre
allgemeine Äußerung.“
6. Erich Fromm
Erich Fromm: „Marx‘s concept of man“ - With a translation from Marx ECONOMIC AND
PHILOSOPHICAL MANUSCRIPTS by T. B. Bottomore, London School of Economics and
Political Science, 1961; 1963 auch auf Deutsch erschienen; die nachfolgenden Zitate sind aus der
Einleitung Fromms entnommen (http://seatonsnet.com/documents/fromm-erich-marxs-concept-ofman-090626163548-phpapp01.pdf).
S. V:
“Marx's philosophy is one of protest; it is a protest imbued (erfüllt) with faith in man, in his
capacity to liberate himself, and to realize his potentialities. This faith is a trait of Marx's
thinking that was characteristic of the Western mood from the late Middle Ages to the
nineteenth century, and which is so rare today.
For this very reason, to many readers who are infected with the contemporary spirit of
resignation and the revival of the concept of original sin (in Niebuhrian1 or Freudian terms),
Marx's philosophy will sound dated, old-fashioned, utopian -and for this reason, if not for
others, they will reject the voice of faith in man's possibilities, and of hope in his capacity to
become what he potentially is. To others, however, Marx's philosophy will be a source of
new insight and hope.”
S.VI:
“The West has much to offer as a leader of such a development for the former colonial
nations; not only capital and technical advice, but also the Western humanist tradition of
which Marxist socialism is the upshot (Fazit, Ergebnis); the tradition of man's freedom, not
only from, but his freedom to -- to develop his own human potentialities, the tradition of
human dignity and brotherhood.”; “[…] the spiritual elements of justice, equality and
universality which are inherent in Marxist socialism (rooted in the Western spiritual
tradition).”
Tomonaga Tairako:
Versachlichung und Verdinglichung in der Phänomenologie des Geistes Hegels
(http://eprints.lib.hokudai.ac.jp/dspace/bitstream/2115/30716/1/14_P93-110.pdf)
“Man legt in der Theorie der Versachlichung einen Schwerpunkt auf die Entstehung und
Formung des sachlichen gesellschaftlichen Systems selbst, wahrend in der Theorie der
Entfremdung das subjektive Verhalten innerhalb dieser versachlichten Welt untersucht wird.
Die Theorie der Verdinglichung verfolgt den Prozess, wie die Sache selbst, deren Entstehung
Voraussetzung zur Verdinglichung ist, als eine den Subjekten fremde Macht diese überwältigt
1
59
und niederschlagt. 1m Hinblick auf das Subjekt heisst Entfremdung, dass sich Subjekte
innerhalb der Sache selbst verlieren; im Hinblick auf das Objekt heisst Verdinglichung, dass
diese Subjekte die sachlichen Verhältnisse zur Dingheit stempeln.“
Materialismus und Dialektik bei Marx
(http://de.scribd.com/doc/44817090/Tomonaga-Tairako-Materialismus-und-Dialektik-Bei-Marx)
“Die Hauptaufgabe der Entfremdungslehre von Marx besteht nicht bloß darin, zu erklären,
wie die menschlichen Subjekte sich selbst in den versachlichten Verhältnissen verlieren,
sondern die Prozesse aufzufassen, wie sich die zunächst und zumeist unter die Herrschaft des
Kapitals als versachlichten Subjekts subsumierten arbeitenden Individuen innerhalb der
entfremdeten Verhältnisse zu den aktiv-kritischen Subjekten ausbilden, die in der Lage sind,
die kapitalistische Produktionsweise praktisch zu überwinden. Das Hauptthema der
Entfremdungslehre besteht nämlich, kurz gesagt, nicht in der Analyse des Selbstverlusts des
Subjekts, sondern in der einer spezifischen Form der Bildung des Subjekts. Man erinnere sich
an das sechste Kapitel in Hegels Phänomenologie des Geistes: “Der Geist---B. Der
sichentfremdete Geist. Die Bildung”, wo es sich bei Entfremdung um eine durch die ihm
selbst fremde Macht erzwungene Bildung des Subjekts handelt. Obwohl Feuerbach diesen
Begriff von Hegel übernimmt, läßt er die für Hegel entscheidende geschichtsphilosophische
Implikation weg und entwickelt die Entfremdungstheorie in einer ahistorischen Dimension
des menschlichen Wesens, in der es sich um denVerlust des Menschen als Gattungswesens
durch die Religion handelt. Es ist zwar eine Tatsache, daß Marx unter dem Einfluß von
Feuerbach zum Materialismus gelangt. Daraus entstand eine immer noch verbreitete
Interpretation des Marxschen Entfremdungsbegriffs, daß Marx die Feuerbachsche Auffassung
der Entfremdung, d.h. deren Vereinseitigung zum bloßen Verlust des menschlichen Wesens,
übernommen und sie einfach auf die gesellschaftlich-geschichtlichen Phänomene angewandt
hätte, sogar nachdem er die Feuerbachsche Entfremdung in ihrer Abstraktheit kritisiert hatte.
Aber, wie schon gezeigt, wächst Marx’ Wiederannäherung an Hegel im gleichen Schritt mit
der Kritik an Feuerbach. Die Wende von Feuerbach zu Hegel fand bei der Niederschrift der
>>Ökonomisch-philosophischenManuskripte<< im Jahre 1844 statt. Wir finden die bewußte
Aufnahme der Hegelschen Entfremdungslehre bei Marx im dritten Heft, wo er sich die
Aufgabe stellt, "das positive Wesen des Privateigentums zu erfassen"(Marx, 1844-a, S.263),
oder "die Notwendigkeit davon, daß in der Bewegung des Privateigentums, eben der
Ökonomie, die ganze revolutionäre Bewegung sowohl ihre empirische, als theoretische Basis
findet, einzusehen” (ebenda). Aufgrund dieser Erkenntnis stellt er eine sowohl für seine
weiteren Gedankenentwicklungen als für die ganze Geschichte des Marxismus entscheidende
These auf: "Die Aufhebung der Selbstentfremdung macht denselben Weg, wie die
Selbstentfremdung"(ibid., S.261). Alle sozialistischen Bewegungen setzen irgendeine
kritische Auffassung vom kapitalistischen Wirtschaftssystem voraus. Die sozialistischen
Theorien haben sich darauf konzentriert, die diesem System immanenten Widersprüche oder
seine inhumanen Aspekte ans Licht zu bringen, um die Arbeiter zum Sozialismus zu
motivieren. Aber Marx kommt es bei Entfremdung zuerst darauf an, nach der Qualität und
dem Niveau der subjektiven Fähigkeit der Menschen zu fragen, die mit dem Kapitalismus
praktisch konfrontiert sind: mit welcher politischen, kulturellen oder sozialen Bildung sind sie
ausgerüstet? Die Hauptidee in den >>Thesen über Feuerbach<<, den Gegenstand als die
praktische Tätigkeit subjektiv aufzufassen, findet hier ihre weitere Konkretisierung in der
Methode, die Subjekte der politischen Veränderung in den zu verändernden Gegenstand
zurückzuschicken und nach der Art und Weise der Bildung der politischen aktiven Subjekte
innerhalb der praktisch zu überwindenden Verhältnisse zu fragen. Wir als diejenigen, die das
Scheitern aller marxistischen Bewegungen und Experimente im zwanzigsten Jahrhundert als
Zeitgenossen erlebt haben, müssen jetzt die Marxsche Kritik am "rohen Kommunismus" für
richtig halten, und zwar in dem Sinn, daß seine Kritik ebenfalls für die bisherigen Theorien
und Bewegungen des Marxismus nach Marx gilt."Wie wenig diese Aufhebung des
Privateigentums [durch den rohen Kommunismus] eine wirkliche Aneignung ist, beweist eben
die abstrakte Negation der ganzen Welt der Bildung und der Zivilisation; die Rückkehr zur
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unnatürlichen Einfachheit des armen und bedürfnislosen Menschen, der nicht über das
Privateigentum hinaus, sondern noch nicht einmal bei demselben angelangt ist"(ibid.,
S.262).Die Interessen und die Energie, die sich gegen den Kapitalismus richten, sind
allgemein in den relativ von der zivilisierenden Wirkung des Kapitals ausgeschlossenen
sozialen Gruppen zu finden. Ihr Sichtfeld ist zumeist viel mehr von dem bestimmt, was ihnen
der Kapitalismus weggenommen hat, als von dem, was er ihnen geschaffen hat. Sie sind im
Gegensatz zu ihm auf das, was er mit Ausrottung bedroht, angewiesen. Die sozialistischen
Bewegungen, soweit sie naturwüchsig waren, mußten von den Menschen, die noch nicht auf
einer von der bestimmten Entwicklung des zeitgenössischen Kapitalismus ermöglichten Höhe
"der Bildung und der Zivilisation" "angelangt" waren, getragen werden. Dies ist der Grund,
(1) warum die bisherigen sozialistischen Bewegungen scheitern mußten, oder, (2) warum sie
eine von der Masse gesonderte, die Bildung und die Zivilisation repräsentierende Elite
hervorbringen und damit die Herrschaft dieser Elite über die Masse herstellen mußten, um
sich selbst zu erhalten, oder endlich, (3) warum sie nach ihrer Machtergreifung ihre
Herrschaft mit repressiven Mitteln erhalten mußten, weil sie nicht in der Lage waren,
verschiedenartige vom Kapitalismus entwickelte politische und kulturelle Bedürfnisse
pluralistisch in ein von ihnen selbst eingesetztes politisches System zu integrieren. In diesem
Sinn ist es wichtig zu bemerken, daß Marx den sozialistischen Bewegungen zum erstenmal
dieFrage nach der kulturellen Deprivation der Arbeiterklasse und deren Überwindung vor der
Machtergreifung dieser Klasse gestellt hat. In Bezug auf die Entfremdung geht es daher um
die Methode, die Entwicklung der versachlichten Ordnung der modernen bürgerlichen
Gesellschaft, wo das Kapital als Subjekt erscheint, alsBildungsprozesse der Arbeiter, die in
der kapitalistischen Produktionsweise zunächst nur als bloßePersonifikation der
ökonomischen Kategorien fungieren, zu selbständigen kulturellen und politischen Subjekten
zu rekonstruieren. So entspricht die Analyse der Entwicklung der Versachlichung
phasenweise der der Entwicklung der Entfremdung (2).Man sollte sich hier daran erinnern,
daß das >>Kapital<< ein unvollendetes Werk ist. Dieser unvollendete Charakter fällt bei den
Problemen der Praxis der im Alltag lebenden Individuen auf. Marx kann die Logik der
Versachlichung im >>Kapital<< nicht ausführlich zur Logik der Entfremdung entwickeln, um
diese Logik der sich innerhalb der Entfremdung zu Subjekten bildenden Individuen mit der
Logik der Ausbildung derselben zu den politischen revolutionären Subjekten weiter zu
vermitteln.”
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