Dr. Reimund Emde SS 20002 Didaktik der politischen Bildung – Grundstudium 1 Was ist Politik? 1. Sitzung: Was ist das „Politische“ am Politikunterricht? Fachwissenschaftliche Fundierungen Gliederung 1. Politikunterricht ohne Politik? 2. Aspekte des Politikbegriffs 3. Enger oder weiter Politikbegriff? 4. Dimensionen des Politikbegriffs 5. Unterrichtsthema: "Was ist Politik?" 5.1. Didaktische Reflexion (1) Text Maier (2) Schülermaterial (3) „Abbilddidaktik“, Die problematische Übernahme wissenschaftlicher Erkenntnisse und Verfahren in den Schulunterricht (4) Prinzip der „Leitwissenschaften“ Literatur: Ackermann, Paul u.a. (Bundeszentrale für politische Bildung), Politikdidaktik kurzgefasst, Bonn 1994 (auch im Wochenschauverlag, Schwalbach 1994) Ahrendt, Hanna, Was ist Politik? – Fragmente aus dem Nachla?, München 1993 Alemann v., Ulrich; Forndran Erhard, Methodik der Politikwissenschaft, Stuttgart 1979 Brunkhorst, Hauke, Demokratie und Differenz. Vom klassischen zum modernen Begriff des Politischen, Frankfurt, 1994 Görg, Andreas; Matjan, Gregor, Politische Bildung und politische Theorie – ein Nichtverhältnis?, in: ÖZP 1/1996, S. 45-59 Massing, Peter; Weißeno Georg (Hrsg.) Politik als Kern der politischen Bildung. Wege zur Überwindung des unpolitischen Politikunterrichts, Opladen 1995 Maier, Gerhart Was ist Politik?, Thema im Unterricht Heft 13 hrsg. d. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999 Reinhardt, Sybille, Didaktik der Sozialwissenschaften, Opladen 1997 Textauszüge, Folien Zu 1.Politikunterricht ohne Politik? „Politische Bildung muss die Frage nach den Zielen und Inhalten – ‚Was ist Wichtig?’ neu stellen. Dazu benötigt sie einen Begriff davon, was überhaupt als Wissen der Industriegesellschaft gelten kann und soll.“( Tilmann Grammes: Ankündigung „Kommunikative Fachdidaktik“) „Der Politikunterricht als eigenständiges Fach lässt sich nur rechtfertigen [..], wenn darin Politik in wissenschaftlich fundierter und fachdidaktisch systematischer Weise repräsentiert ist und wenn der Unterricht politische Bildung zum Ziel hat. Nur wenn das ‚Proprium’ des Faches die Politik ist, leistet es einen spezifischen Beitrag zur Allgemeinbildung [..]. Betrachtet man die Wirklichkeit des Politikunterrichts..., lässt sich [..] das allmähliche Verschwinden der Politik aus dem dafür vorgesehenen Unterricht [feststellen]“. (Peter Massing, Georg Weißeno: Politik als Kern der politischen Bildung. Wege zur Überwindung unpolitischen Politikunterrichts (Opladen 1995) 2. Aspekte des Politikbegriffs Aspekte des Politikbegriffes (Systematik) Zentrales Konzept / Zitat/ Quelle 1. Staat „Politik ist die Lehre von den Staatszwecken und den besten Mitteln (Einrichtungen, Formen, Tätigkeiten) zu ihrer Verwirklichung“ Brockhaus 1903 Bd. 13, S.236 2. Führung „Unter Politik verstehen wir den Begriff der Kunst, die Führung menschlicher Gruppen zu ordnen und zu vollziehen." A. Bergsträsser (1961) 3. Macht „Die politische Wissenschaft ... läßt sich als derjenige Spezialzweig der Sozialwissenschaften definieren, der sachlich-kritisch den Staat unter seinem Machtaspekt sowie alle sonstigen Machtphänomene unter Einbeziehung sonstiger Zielsetzungen insoweit untersucht, wie diese Machtphänomene mehr oder weniger unmittelbar mit dem Staat zusammenhängen." O.K. Flechtheim (1958) 4. Hierarchie / Herrschaft „Beziehungen der Überordnung und Unterordnung und ihre Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen zu untersuchen (ist das Ziel der Politikwissenschaft". G. Burdecke (1964) 5. Ordnung "Politik ist Kampf um die rechte Ordnung." 0. Suhr (1950) 6. Frieden „Der Gegenstand und das Ziel der Politik ist der Friede ... Der Friede ist die politische Kategorie schlechthin." D. Stemberger (1961) 7. Freiheit „Politische Wissenschaft ist die Wissenschaft von der Freiheit." Franz L. Neumann (1950) 8. Demokratie „Praktisch-politische Wissenschaft zielt auf eine politische Theorie, die die Befunde der Gesellschaftskritik integriert. Im Begriff der Demokratie gewinnt sie einen Leitbegriff für die Analyse der politisch relevanten Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft." J. Kammler (1968) 9. Konflikt „Politik (ist) gesellschaftliches Handeln ..., welches darauf gerichtet ist, gesellschaftliche Konflikte über Werte verbindlich zu regeln." G. Lehmbruch (1968) 10. Klassenkampf „Politik (ist) der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringende Kampf der Klassen und ihrer Parteien, der Staaten und der Weltsysteme um die Verwirklichung ihrer sozialökonomisch bedingten Interessen und Ziele." Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie (1969) (Aus: Alemann, Ulrich v./Forndran Erhard: Methodik der Politikwissenschaft, Stuttgart 1979. S. 31f 11. Effizienz Politik als Prozess der Problemlösung (Ackermann/BpB u.a., Politikdidaktik kurzgefasst, Bonn 1994) 3. Enger oder weiter Politikbegriff? „Politik im engeren Sinn heißt alles Handeln, das auf die verbindliche Ordnung des Zusammenlebens einer ganzen Gesellschaft direkt oder indirekt gerichtet ist. Auch hier ist die Unterscheidung von „direkt“ und „indirekt“ wichtig, weil wiederum das Handeln zum Zweck der Wahrnehmung partieller Interessen durchaus die gesamtgesellschaftliche Ordnung beeinflusst und in Anspruch nimmt. Es ist aus der täglichen Anschauung geläufig, dass Politik im engeren Sinn nicht nur von Verfassungsorganen gemacht wird, sondern auch von den verschiedenen Kräften und Gruppen.“ (Böhret, Carl, Innenpolitik und politische Theorie, Leverkusen 1988) Weiter Politikbegriff Ganz anders liegt der Fall, wenn wir von einem ausgeweiteten Politikverständnis – Politik als eine grundsätzlich überall auffindbare Verhaltensweise oder als öffentlicher Aspekt unserer gesellschaftlichen Beziehungen – unsere Gegenstände aussuchen. Politisch sind dann auch rein auf die Familie, Kirchen Hochschulen, Wirtschaftsunternehmen bezogenen und ihren Rahmen nicht überschreitende Handlungen und Entscheidungen. Politische Beziehungen können dann zwischen Eltern und Kindern, zwischen Hochschullehrern und Assistenten, zwischen Unternehmensangehörigen und Unternehmensleitung, zwischen Kirchenleitung und Kirchenvolk bestehen.“ (Sutor, Bernhard, Politik. Ein Studienbuch zur politischen Bildung S. 45, Paderborn 1994) 4. Dimensionen des Politikbegriffs Dimensionen des Politikbegriffs Dimension Form Inhalt Prozess Erscheinungsform Verfassung Normen/Gesetze Institutionen Aufgaben u. Ziele Probleme Werte Interessen Konflikte Kampf Merkmale Bezeichnung Verfahrensregelung polity Ordnung Problemlösung Aufgabenerfüllung policy Wert- und Zielorientierung Gestaltung Macht politics Konsens Durchsetzung 5. Unterrichtsthema: "Was ist Politik?" 1. Folie aus 5.1. Didaktische Reflexion 5.1.1. Überlegungen zum Politikbegriff der Schüler 5.1.2. Schülermaterial 5.2. „Abbilddidaktik“, Die problematische Übernahme wissenschaftlicher Erkenntnisse und Verfahren in den Schulunterricht 5.3. Prinzip der „Leitwissenschaften“ Hierzu: a) Folie aus Meier, G, „Was ist Politik?“ Bitte auf „Seitenansicht“ schalten! b) Materialien aus „Meier“ Planungsunterlagen zur Stunde „Was ist Politik?“ Überlegungen zum Politikbegriff von Schülerinnen und Schülern Der Unterricht sollte zunächst von einem Politikbegriff ohne eine ausgeprägte moralische Komponente ausgehen. Auch politisches Handeln, das auf Legitimationen, Einstellungen und Normensystemen beruht, die ethisch verwerflich sind, ist deshalb nicht weniger politisches Handeln und möglicherweise von großer Relevanz. Auch reine Interessen-, Macht- oder Hegemonialpolitik ist Politik. Freilich kann dies nicht bedeuten, daß solche Politik, ihre Voraussetzungen und ihre Ergebnisse -in pädagogischer Absicht - im Unterricht nicht nachdrücklich kritisiert werden sollten, solange man dabei streng den Unterschied zwischen Wert- und Tatsachenurteilen im Blick behält. Da fachwissenschaftliche Politikdefinitionen die Kompetenz unserer Schülerinnen und Schüler in vielen Fällen übersteigen, wird für die Einleitungsphase eine eher additive Darstellung des Politischen vorgezogen. wie sie beispielsweise Carl Böhret vorgeschlagen hat. Eine ähnliche Zusammenstellung findet man bei Hermann Giesecke: „1 Politik läßt sich verstehen als ein Funktionszusammenhang von Institutionen und deren Regeln. 2. Politik läßt sich verstehen als ein System von aufeinander bezogenen Handlungen mit dem Ziel, auf Grundlage der regelnden Institutionen Probleme von allgemein anerkannter Bedeutung im Idealfalle zu lösen, im Normalfalle im Sinne einer höchst möglichen Akzeptanz zu minimieren. 3. Politik läßt sich verstehen als ein interessenbedingtes Miteinander und Gegeneinander von Gruppen, deren Widersprüche sich in manifesten Konflikten äußern. 4. Politik läßt sich verstehen als jeweils aktuelles soziales Handeln. das von bestimmten staatlichen und verbandlichen Mandatsträgern oder Repräsentanten staatlicher oder verbandlicher Institutionen ausgeht und vom Souverän - den jeweils Wahlberechtigten beurteilt und kontrolliert wird"7. (Gieseke, H, Einführung in die Pädagogik, Weinheim 1997) Was ist Politik? – Schülermaterial In unserer Übersicht (B1) trennt ein dicker Strich zwei Bereiche voneinander: Links findet man die Politikebenen, deren Handeln auf die verbindliche Ordnung des Zusammenlebens einer ganzen Gesellschaft gerichtet ist. Hier gibt es eindeutig definierte Institutionen, die Entscheidungen von großer Verbindlichkeit für uns alle treffen. Freilich können aber politische Beziehungen auch zwischen Eltern und Kindern, Schülerinnen/Schülern und ihren Lehrern in einer Schulklasse, in einer Kirchengemeinde oder in einem Sportverein bestehen. Auch hier treffen bisweilen gegensätzliche Interessen aufeinander, auch hier müssen ständig Entscheidungen getroffen werden, und es wird Herrschaft ausgeübt. Dennoch ist es etwas anderes, ob das Zusammenleben in einer Schulklasse geregelt oder familienintern entschieden wird über die Frage: ,,Machen wir in diesem Jahr auf Sylt oder in Südtirol Urlaub?" oder ob Parteien, Parlament und Regierung Regelungen für die Gesamtheit einer Gesellschaft erstreben und durchsetzen. Es besteht eben doch ein großer Unterschied zwischen einem Fußballspiel und einer Bundestagswahl. Wenn das allgemeine Miteinanderauskommen von Menschen und gesellschaftlichen Gruppen durch staatliche Institutionen verbindlich organisiert wird, sprechen wir von ,,Politik im engen oder eigentlichen Sinne" (,,enger Politikbegriff"); dort, wo in einer eher lockeren Form - einzelne ihr Zusammenleben in der Familie oder Gruppe regeln und wo diese Entscheidungen nicht über die Schulklasse, die Clique, den Verein oder die Familie hinausreichen, sprechen wir von ,,Politik im weiteren Sinne" (,,erweiterter Politikbegriff"). (Quelle wie vor)