Henstedt-Ulzburg, 12.09.2008 Einheitskonzeption GK PL 12.1 Thema: Einführung in die Erkenntnistheorie Hauptintention: Die S sollen erkennen, dass erkenntnistheoretische Fragestellungen unseren Alltag durchziehen und die diesbezüglichen philosophischen Ansätze zu einer kritisch-reflektierten Haltung gegenüber der Realität verhelfen. Hauptkompetenz: Fähigkeit zur Distanznahme und der kritischen Reflexion bezüglich bestimmter Einflüsse von außen (Selbstkompetenz). Ziele der einzelnen Unterrichtsphasen: Die SchülerInnen sollen - sich detailliert mit verschiedenen Positionen der Philosophiegeschichte auseinandersetzen und dabei erkennen, dass die jeweiligen Gedanken im Laufe der Zeit aufeinander aufbauen (Diskursivität der Philosophie) - Einsicht erhalten in die Inkonsistenzen alltäglicher Weltbilder und die Bezweifelbarkeit bestimmter Erkenntnisse - verstehen, auf welche Weise mit der Fallibilität der Sinne umzugehen ist - sich in unterschiedliche Texte versetzen, deren Inhalt nachvollziehen und in der Folge zu einer reflektierten Stellungnahme in der Lage sein - mit elementaren Begrifflichkeiten der philosophischen Epistemologie in Berührung kommen. Stundenentwurf im Fach Philosophie Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium Quickborn Sebastian Bernhardt, SoSe 2008 1 Die Unterrichtseinheit im Rahmen der Lerngruppe Die Struktur der zu unterrichtenden Lerngruppe setzt sich zusammen aus einigen Lernenden, die Abitur nach dem alten Modell, sowie einigen, die bereits nach 8 Jahren ihre Hochschulreife anstreben. Es handelt sich um eine im Bezug auf das Unterrichtsgeschehen sehr lebhafte Lerngruppe mit einigen SchülerInnen, die sehr gute Beiträge bringen. Insofern kann die geplante Einheit ruhigen Gewissens auf einem hohen Abstraktionsniveau gehalten und zudem ein hohes Maß an eigenständiger Arbeit vorausgesetzt werden. Die Schülerinnen und Schüler werden allerdings erst seit einem Jahr in Philosophie unterrichtet und einige Beteiligte sind nicht aus rein fachlichem Interesse in diesen Kurs gelangt, weshalb eine Fokussierung auf kreativere Formen der Vermittlung des Stoffes gewählt wurde. 2 Unterrichtsgegenstand: Sachanalyse Das Semesterthema in 12.1 ist philosophische Erkenntnistheorie, ein Gebiet, welches sich mit der Untersuchung von Grenzen und Möglichkeiten menschlicher Erkenntnis auseinandersetzt. Wenngleich eine dezidierte Herausbildung dieses Gegenstandsbereichs erst im 19. Jahrhundert erfolgte, so lassen sich spätestens seit Platon immer wieder Abhandlungen oder Betrachtungen zu diesem Thema finden. Platons Taxonomie der epistemologischen Qualitäten in der Politeia mit der Unterscheidung von Wissen und Meinen, seine Betrachtungen über die Erkenntnis aufgrund der Ideenschau und seine Verbildlichungen der Grenzen menschlichen Erkennens sind bis heute paradigmatisch für erkenntnistheoretische Texte. Bereits vor Platon gab es erste Anzweifelungen des menschlichen Wissens in Form des radikalen Skeptizismus nach Sextus Empiricus, die jedoch lediglich zu einer in épochê (Urteilsverweigerung) mündenden Ataraxie (Unerschütterlichkeit im Zuge der Annahme, alles Wissen sei potenziell falsch), nicht jedoch in einer positiven Auseinandersetzung mit dem Gegenstandsbereich bestanden. Diese beiden Grundlegungen aufgreifend stellte René Descartes in seinen 1642 veröffentlichten „Meditationes de prima philosophia“, jedoch auch in seinem bereits 5 Jahre zuvor erschienenen „Discours de la méthode“ sein System des methodisches Zweifels auf, welches durch eine konsequente Negation alles Bezweifelbaren zu einem Urgrund der Erkenntnis führen sollte, von dem aus das gesamte Wissen auf sicherem Fundament neu 1 aufgebaut werden sollte. Die einzige Unbezweifelbarkeit besteht im „cogito“-Argument, in der Feststellung, dass das denkende Ich existiert und von ihm aus alles neu aufgebaut werden kann. Anhand dieser Betrachtungen lassen sich die drei Grundmotive der Erkenntnistheorie ableiten: - Die Frage nach dem Ursprung der Erkenntnis - Die Frage nach der Realität der Außenwelt - Die Frage nach der Beschaffenheit von Subjekt und Objekt. Der Umgang mit diesen Fragen ist sehr unterschiedlich. Descartes geht rationalistisch vor, er geht davon aus, anhand seines Verstandes eine die Wahrnehmung überprüfende Möglichkeit zur Sicherung des Wissens gefunden zu haben, während andere Philosophen, wie etwa David Hume, alle Erkenntnis durch sinnliche Erfahrung konstituiert sehen. Die letztgenannte Position weckte Kant aus seinem dogmatischen Schlummer und führte zu einer Synthese der beiden Positionen, die zugleich die Triebfeder zur Entwicklung des Höhepunkts der abendländischen Philosophie mit den Werken Kants, Fichtes und Hegels darstellt. 3 Didaktische Überlegungen Da es sich um ein ausgesprochen weitläufiges Feld handelt, wird die Unterrichtseinheit nur ein sehr begrenztes Abbild dieser Fülle geben können. Es wird folglich einen „Gipfelmarsch“ durch einige der wichtigsten, zumindest für ihre jeweilige Position elementare Höhepunkte der Entwicklung gehen. Daher erfolgt der Einstieg in die Einheit mit einer Behandlung von Platons Höhlengleichnis, welches auch von Platon als ein konstruiertes Exempel zur Sensibilisierung für die Problematik des alltäglichen Wahrnehmens und Urteilens (naiver Realismus) angesehen wurde. Die Lernenden werden hierüber auf die Grundfragen aufmerksam gemacht, indem alle drei Grundfragen bereits angesprochen werden. Es geht hier also darum, die alltägliche Selbstverständlichkeit zu durchbrechen und zu einer kritischen Hinterfragung der bisher für wahr genommenen Sachverhalte zumindest in Form eines Gedankenexeperiments anzuregen. Im Anschluss daran soll die Bezweiflung des Descartes kurz angerissen, bald aber übergeleitet werden auf den Ausweg aus dieser Situation. Descartes führt sein berühmtes Diktum („Ich denke, also bin ich“ – „Je pense, donc je suis“) ein und zeigt damit die rationalistische Überwindung des Skeptizismus auf. Eine direkt widersprechende Position wird durch David Hume geboten, der die reine Verstandestätigkeit als Quelle der Erkenntnis negiert und stattdessen zu einer Beobachtung 2 der Natur aufruft, aus der sich freilich Regelmäßigkeiten ableiten ließen, niemals aber rein durch die Ratio ersonnene Naturgesetze aufstellen lassen. Eine Versöhnung von Rationalismus und Empirismus bietet der logische Positivismus, wie er durch Carnap exemplarisch angerissen wird. Im Zuge der begrenzten Zeit wird es nicht möglich sein, noch einen Ausblick auf Kant vorzunehmen, doch ist die Grundlage im Zuge der konzentrierten Beschäftigung mit den gewählten Texten gelegt. 4 Methodische Bemerkungen und Überlegungen Das Thema entbehrt nicht eine großen Komplexität und Abstraktheit, doch durchziehen die Fragen in der Tat den menschlichen Alltag. Um diese starke Präsenz erkenntnistheoretischer Hinterfragungen hervorzuheben und zugleich ein lebensweltliches Exempel zwecks Motivation zu präsentieren, erfolgt der Einstieg über einige kurze Ausschnitte aus dem Film „Matrix“, in denen die Existenz der Außenwelt in der von uns wahrgenommenen Form angesprochen wird. Da sich in der Symbolik des Films zentrale Motive aus dem Höhlengleichnis finden lassen, ist eine gute Überleitung zu diesem Thema möglich. Es wird ein Auszug aus Platons Politeia mit seiner Schilderung des Höhlengleichnisses eingegeben, der in Kleingruppenarbeit durchzuarbeiten ist. Hierfür werden drei Aufgaben gereicht, die durch den Text leiten. Durch den Austausch in der Gruppe kommt es zu einer argumentativen Auseinandersetzung mit dem Gedankengut und zu einer genaueren Durchdringung der Textstelle, da sich unterschiedliche Auffassungen des Textes ergeben und im Zuge der gemeinsamen Erarbeitung ergänzen. Um dabei einen Bezug auf die Lebenswelt der Lernenden zu gewährleisten, ist die erste Aufgabe zugleich auch auf den Film „Matrix“ bezogen. Als Hausaufgabe wird Descartes „Erste Meditation“ eingegeben, die den naiven Realismus weiter problematisiert und im Zuge des methodischen Zweifels weiterführt. Um nicht in eine bloße Hausaufgabenabfrage zu gelangen, beginnt die nächste Sitzung mit einem stummen Impuls und der Projektion einer Lithographie Maurits Eschers, die eine Sinnestäuschung darstellt. Somit werden die Lernenden zum ersten Teil ihrer Hausaufgabe geführt. Der zweite Teil wird anhand des ebenfalls projizierten Comics vorgetragen, um in der Folge zu einer kurzen Diskussion der Plausibilität des Arguments überzuleiten. Nachdem diese Stufen des Zweifels dargelegt sind, wird die zweite Meditation in Kleingruppen erarbeitet, die einerseits Descartes Trennung in „res cogitans“ und „res 3 extensa“, vor allem aber seinen Grundgedanken des „Ich denke, also bin ich“ herausarbeiten werden. Um für eine präzise Antwort zu sorgen, wird den Lernenden der Inhalt einer SMS als Grenzbereich zur Zusammenfassung vorgegeben. Zwecks Sicherung dieser Erkenntnisse wird die Hausaufgabe erteilt, zu dem von Rorty geäußerten Zitat („Wenn ich behauptete, die Welt sei erst vor 5 Minuten entstanden, könnte mir niemand das Gegenteil beweisen.“) Stellung zu beziehen, was sich angesichts der bisherigen Thematik einer Bezweiflung der Außenwelt und der einzigen Sicherheit des jetzt denkenden Ich anbietet. Um auf die Ideen des Empirismus einzustimmen, wird seitens der Lehrkraft ein physikalisches Experiment vorgeführt, wobei gewisse aus der Erfahrung stammende Erwartungen deutlich werden. Nach diesem Einstieg wird der Hume-Text ausgeteilt, der relativ einfach zu verstehen ist. Die leitende Aufgabenstellung ist es, sich entweder anhand eines Verrisses oder anhand einer Zustimmung mit den Gedanken auseinanderzusetzen. Gern darf es zu Partnerarbeit kommen. Um eine möglichst große Würdigung der jeweiligen Arbeiten zu erhalten, kommt es vor der Auswertung im Plenum zu einer Diskussion zwischen einem Team, das zustimmte, und einem Verriss-Team. Als Hausaufgabe wird ein Carnap-Text eingegeben, die die beiden extremen Positionen des Rationalismus und Empirismus partiell miteinander versöhnt. Der Arbeitsauftrag lautet, sich auf eine Erklärung dieses Textes vorzubereiten, da als Einstieg der folgenden Sitzung der Wettbewerb „Deutschland sucht den Super-Erklärer“ angesetzt wird. Es wird 5 Kandidaten und eine Jury geben, wobei am Ende auch das Publikum ein Stimmrecht hat, den „besten Erklärer“ zu küren. Da bisher sehr viele neue Begriffe eingeführt wurden, erscheint es an dieser Stelle sinnvoll, inne zu halten und diese Termini zu wiederholen. Damit es nicht zu trocken wird, erfolgt diese Phase der Anwendung im Rahmen er Tabu-Spielrunde, bei der die jeweiligen Begriffe erklärt werden müssen. Als Abschluss der Arbeit wird ein Überblick über die verschiedenen Positionen gegeben, der anhand eines Unterrichtsgesprächs erfolgen wird und die zentralen Gedanken in eine genaue Ordnung bringt. Wie sich zeigt, fußt diese Arbeit stark auf elementaren philosophischen Texten. Damit die Lernenden sich davon nicht erschlagen fühlen, werden viele Methoden zur kreativen Textarbeit angewendet, um eine möglichst große Motivation ebenso wie einen starken Lebensweltbezug herstellen zu können. 4 5 Der Unterrichtsverlauf im Überblick Der folgende Überblick gibt einen ersten Eindruck der geplanten Einheit wieder, ohne dabei den Anspruch auf direkte Anwendbarkeit zu haben. In der Tat sind Abweichungen zu erwarten, weshalb sich am Ende der Einheit eine Pufferzeit finden lässt, die im Zweifelsfalle zugunsten der genauen Erarbeitung des anliegenden Stoffes geopfert werden müsste. 5 Einstieg Problematisierung Begründung Motivation Medien Fernseher Sensibilisierung Unterrichtsgespräch über den so eben gezeigten Film. Es ist zu erwarten, dass in der Diskussion ein Verweis auf die zu Hause nachgeschlagene Definition des „naiven Realismus“ erfolgt. Sollte das nicht der Fall sein, wird erst in einem späteren Schritt darauf eingegangen. Überleitung zu Platons Höhlengleichnis, Einteilen des Kurses in 4 Gruppen, die sich mit den gestellten Arbeitsaufträgen beschäftigen. Erarbeitung Präsentation Geplantes Lehrerverhalten, erwartetes Schülerverhalten Zeigen zweier Filmausschnitte aus Matrix Auswertung Sammlung der jeweils erarbeiteten Resultate, darauf folgende Klärung möglicher Unklarheiten Anwendung Kurzer Aufgriff des „naiven Realismus“ Hausaufgabe Begriffe: naiver Realismus Lektüre der ersten Meditation des Descartes Unterrichtsschritt Begründung Einstieg Motivation, Anwendung Geplantes Lehrerverhalten, erwartetes Schülerverhalten Medien STUMMER IMPULS: Maurits Eschers Sinnestäuschungen OHP Es ist zu erwarten, dass die Lernenden einen Bezug zu der ersten Frage ihrer Hausaufgabe herstellen werden. Anderenfalls ist das Gespräch dahingehend zu lenken. Überprüfung Comic „Descartes Meditationen“, Aufforderung an die OHP Lernenden, ihre zweite Frage unter Bezugnahme auf den Comic vorzutragen. Sicherung 6 Bewertung Anwendung UG zur Diskussion über die Plausibilität des Textes. Es ist zu ABB erwarten, dass den Lernenden vor allem das Traum-Argument sehr interessant erscheint, und auch die These vom mangelnden Vertrauen in die Sinne wird größtenteils Zustimmung finden und anhand verschiedener Beispiele erläutert werden. Das Argument des Genius Malignus wird vermutlich mit größerer Irritation aufgenommen. Erarbeitung Erarbeitung Eingeben der zweiten Meditation und Auftrag zur Lektüre, ABB Arbeitsauftrag, in Gruppenarbeit das Menschenbild des Descartes in einem Schema darzustellen und in der Folge das Tafel Hauptargument zur Überwindung des Zweifels in einer SMS zusammenzufassen.. Auswertung Präsentation zweier Schemata und SMS, Möglichkeit zu ABB Rückmeldungen, Widersprüchen, Klärungen etc. Nehmen Sie Stellung zu folgendem Zitat: „Wenn ich behauptete, die Welt sei erst vor 5 Minuten entstanden, könnte mir niemand das Gegenteil beweisen.“ Begriffe: Skeptizismus, a priori, Rationalismus Hausaufgabe Sicherung Unterrichtsschritt Begründung Einstieg Sicherung Geplantes Lehrerverhalten, erwartetes Schülerverhalten Medien Vortragen der Ideen aus der Hausaufgabe. Dabei ist zu erwarten, dass Bezug genommen wird auf die Feststellung, dass alles außer dem eigenen Denken anzuzweifeln sei. Einstieg II Experiment mit den beiden Bällen: Was wird passieren? Woher wissen wir, was passiert? Erarbeitung Überleitung Eingeben des Hume-Textes und Arbeitsauftrag an die Gruppe. ABB Im Anschluss soll es jeweils zu einer Diskussion zwischen 7 Kontrahenten (bezüglich der gewählten Aufgaben) kommen, bevor es zu einem kurzen resümierenden Austausch im Plenum übergeleitet wird. Vortragen der Aufgaben und anschließende Diskussion, in der einerseits der Text rekonstruiert, andererseits Qualitäten und Grenzen des Empirismus aufgezeigt werden. Auswertung Problematisierung Hausaufgabe Carnap-Text Begriffe: Kausalität, a posteriori, Empirismus Unterrichtsschritt Begründung Geplantes Lehrerverhalten, erwartetes Schülerverhalten Einstieg Motivation „Deutschland sucht den Super-Erklärer“ und Überprüfung Erarbeitung Wiederholung Medien Klärung der neuen Begriffe Sicherung Tabu-Spielen in der Gruppe Tabu-Spiel Abschluss Zusammenfassung des Unterrichtsverlaufs Begriffe: Induktion, Deduktion, Verifizieren, Falsifizieren, logischer Positivismus 8 Anlagen: Arbeitsbögen GK Pl 12.1 Br, „Erkenntnistheorie“ Bh 18.09.2008 Platon: Das Höhlengleichnis Nächstdem, sprach ich, vergleiche dir unsere Natur in Bezug auf Bildung und Unbildung folgendem Zustande. Sieh nämlich Menschen wie in einer unterirdischen höhlenartigen Wohnung, die einen gegen das Licht geöffneten Zugang längs der ganzen Höhle hat. In dieser seien sie von Kindheit an gefesselt an Hals und Schenkeln, so daß sie auf demselben Fleck bleiben und auch nur nach vorne hin sehen, den Kopf aber herumzudrehen der Fesseln wegen nicht vermögend sind. Licht aber haben sie von einem Feuer, welches von oben und von ferne her hinter ihnen brennt. Zwischen dem Feuer und den Gefangenen geht oben her ein Weg, längs diesem sieh eine Mauer aufgeführt, wie die Schranken welche die Gaukler vor den Zuschauern sich erbauen, über welche herüber sie ihre Kunst-Mücke zeigen. — Ich sehe, sagte er. — Sieh nun längs dieser Mauer Menschen allerlei Gefäße tragen, die über die Mauer herüber ragen, und Bildsäulen und andere steinerne und hölzerne Bilder und von allerlei Arbeit; Einige, wie natürlich, reden dabei, andere schweigen. — Ein gar wunderliches Bild, sprach er, stellst du dar und wunderliche Gefangene. – Uns ganz ähnliche, entgegnete ich. Denn zuerst, meinest du wohl, daß dergleichen Menschen von sich selbst und von einander etwas anderes zu sehen bekommen als die Schatten, welche das Feuer auf die ihnen gegenüberstehende Wand der Höhle wirft? Wie sollten sie, sprach er, wenn sie gezwungen sind, zeitlebens den Kopf unbeweglich zu halten! — Und von dem vorübergetragenen nicht eben dieses? — Was sonst? — Wenn sie nun mit einander reden könnten, glaubst du nicht, daß sie auch pflegen würden dieses vorhandene zu benennen was sie sähen? Notwendig. — Und wie, wenn ihr Kerker auch einen Widerhall hätte von drüben her, meinst du, wenn einer von den Vorübergehenden spräche, sie würden denken etwas anderes rede als der eben vorübergehende Schatten? — Nein beim Zeus, sagte er. — Auf keine Weise also können diese irgend etwas anderes für das wahre halten als die Schatten jener Kunstwerke? — Ganz unmöglich. — Nun betrachte auch, sprach ich, die Lösung und Heilung von ihren Banden und ihrem Unverstande, wie es damit natürlich stehn würde, wenn ihnen folgendes begegnete. Wenn einer entfesselt wäre, und gezwungen würde sogleich aufzustehn, den Hals herumzudrehn, zu gehn und gegen das Licht zu sehn, und indem er das täte immer Schmerzen hätte, und wegen des flimmernden Glanzes nicht recht vermöchte jene Dinge zu erkennen, wovon er vorher die Schatten sah: was meinst du wohl, würde er sagen, wenn ihn einer versicherte, damals habe er lauter nichtiges gesehen, jetzt aber dem seienden näher und zu dem mehr seienden gewendet sähe er richtiger, und ihm jedes vorübergehende zeigend ihn fragte und zu antworten zwänge was es sei? meinst du nicht er werde ganz verwirrt sein und glauben, was er damals gesehn sei doch wirklicher als was ihm jetzt gezeigt werde? - Bei weitem, antwortete er. - Und wenn man ihn gar in das Licht selbst zu sehen nötigte, würden ihm wohl die Augen schmerzen und er würde fliehen und zu jenem zurückkehren was er anzusehen im Stande ist, fest überzeugt, dies sei weit gewisser als das letzt gezeigte? — Allerdings. — Und, sprach ich, wenn ihn einer mit Gewalt von dort durch den unwegsamen und steilen Aufgang schleppte, und nicht losließe bis er ihn an das Licht der Sonne gebracht hätte, wird er nicht viel Schmerzen haben und sich gar ungern schleppen lassen? 1. Vergleichen Sie die hier geschilderte Vorstellung unseres Verhältnisses zur Realität mit den Filmausschnitten! 2. Skizzieren Sie den Aufbau der Höhle! 3. Diskutieren Sie die von Platon sowie von Morpheus vertretene These im Gegensatz zum naiven Realismus! 9 GK Pl 12.1 Br „Erkenntnistheorie“ Bh 25.09.2008 Die Meditationen des Descartes und der methodische Zweifel: Erste Meditation – Woran man zweifeln kann (1642) So will ich denn endlich ernsten und freien Sinnes zu diesem allgemeinen Umsturz meiner bisherigen Meinungen schreiten. […] Dazu wird es indessen nicht nötig sein, sie alle als falsch aufzuzeigen […]; sondern da schon die gemeine Vernunft rät, in ebenso vorsichtiger Weise bei dem nicht ganz Gewissen und Unzweifelhaften wie bei dem offenbar Falschen die Zustimmung zurückzuhalten, so wird es hinreichen, sie alle zurückzuweisen, wenn ich in einer jeden irgendeinen Grund zum Zweifel antreffe. Auch wird es dazu nicht unumgänglich notwendig sein, sie alle einzeln durchzugehen, was eine endlose Arbeit wäre, sondern, da nach der Untergrabung der Grundlagen alles darauf Gebaute von selbst zusammenstürzt, so werde ich den Angriff sogleich auf eben die Prinzipien richten, auf die sich alle meine sonstigen Meinungen stützen. Alles nämlich, was ich bisher am ehesten für wahr angenommen, haben ich von den Sinnen oder durch Vermittelung der Sinne empfangen. Nun aber bin ich dahinter gekommen, dass unsere Sinne uns bisweilen täuschen, und es ist ein Gebot der Klugheit, niemals denen ganz zu trauen, die auch nur einmal uns getäuscht haben. […] Vortrefflich! […] wie oft doch kommt es vor, dass ich alle jenen gewöhnlichen Begegnisse, wie dass ich hier bin, mit meinem Rocke bekleidet, am Kamin sitze, mir während der Nachtruhe einbilde, während ich doch entkleidet im Bett liege. […] Denke ich einmal aufmerksamer hierüber nach, so sehe ich ganz klar, dass niemals Wachen und Traum nach sicheren Kennzeichen unterschieden werden können, - so dass ich ganz betroffen bin, und diese Betroffenheit selbst mich beinahe darin bestärkt, dass ich träume. Sei es denn: wir träumen! […] Es ist indessen meinem Geiste eine alte Meinung eingeprägt, dass ein Gott sei, der alles vermag, und von dem ich so, wie ich bin, geschaffen sei. Woher weiß ich aber, dass er nicht bewirkt hat, […] dass, so wie ich urteile, daß bisweilen auch andere sich in dem irren, was sie aufs vollkommenste zu wissen meinen – so auch ich mich täusche, so oft ich 2 und 3 addiere oder die Seiten des Quadrats zähle, oder was man sich noch leichteres Denken kann.[…] Und so sehe ich mich endlich gezwungen, zuzugestehen, dass an allem, was ich früher für wahr hielt, zu zweifeln möglich ist […]; dass ich folglich auch diesem allem, nicht minder als dem offenbar Falschen, fortan meine Zustimmung aufs vorsichtigste versagen muss, wenn ich zu etwas Gewissem gelangen will. Aufgabenstellung: - Erklären Sie den ersten Absatz (bis Zeile 20) in maximal zwei Sätzen! - Markieren Sie im Text die wesentlichen Quellen des Irrtums! - Überlegen Sie, ob Ihnen die Argumentation schlüssig erscheint. In der nächsten Stunde sollten Sie bereit sein, Ihre diesbezügliche Ansicht vorzustellen und anhand von Beispielen darzulegen! 10 GK Pl 12.1 Br „Erkenntnistheorie“ Bh 25.09.2008 Die Meditationen des Descartes und der methodische Zweifel: Zweite Meditation Die gestrige Betrachtung hat mich in so gewaltige Zweifel gestürzt, dass ich sie nicht mehr vergessen kann, und doch sehe ich nicht, wie sie zu lösen sind; sondern ich bin wie bei einem unvorhergesehenen Sturz in einen tiefen Strudel so verwirrt, dass ich weder auf dem Grunde festen Fuß fassen, noch zur Oberfläche emporschwimmen kann. Dennoch will ich mich herausarbeiten und von neuem eben den Weg versuchen, den ich gestern eingeschlagen hatte: nämlich alles von mir fernhalten, was auch nur den geringsten Zweifel zulässt, genau so, als hätte ich sicher in Erfahrung gebracht, dass es durchaus falsch sei. Und ich will so lange weiter vordringen, bis ich irgendetwas Gewisses, oder, wenn nichts anderes, so doch wenigstens das für gewiss erkenne, dass es nichts Gewisses gibt. Nichts als einen festen und unbeweglichen Punkt verlangte Archimedes, um die ganze Erde von ihrer Stelle zu bewegen, und so darf auch ich Großes hoffen, wenn ich nur das Geringste finde, das sicher und unerschütterlich ist. Ich setze also voraus, dass alles was ich sehe, falsch ist, ich glaube, dass nichts jemals existiert hat, was das trügerische Gedächtnis mir darstellt: Ich habe überhaupt keine Sinne; Körper, Gestalt, Ausdehnung, Bewegung und Ort sind nichts als Chimären. Was also bleibt Wahres übrig? Vielleicht nur dies eine, dass nichts gewiss ist. Aber woher weiß ich denn, dass es nichts anderes als alles bereits Aufgezählte gibt, an dem zu zweifeln auch nicht der geringste Anlass vorliegt? Gibt es etwa einen Gott, oder wie ich den sonst nennen mag, der mir diese Vorstellungen einflößt? Weshalb aber sollte ich das annehmen, da ich doch am Ende selbst ihr Urheber sein könnte? Also wäre doch wenigstens ich irgendetwas? Aber ich habe bereits geleugnet, dass ich irgendeinen Sinn, irgendeinen Körper habe. Doch hier stutze ich: Was soll daraus folgen? Bin ich etwa so an den Körper und die Sinne gefesselt, dass ich ohne sie nicht sein kann? Indessen, ich habe mir eingeredet, dass es schlechterdings nichts in der Welt gibt: keinen Himmel, keine Erde, keine denkenden Wesen, keine Körper, also doch auch wohl mich selbst nicht? Keineswegs; sicherlich war ich, wenn ich mir etwas eingeredet habe. - Aber es gibt einen, ich weiß nicht welchen, allmächtigen und höchst verschlagenen Betrüger, der mich geflissentlich stets täuscht. - Nun, wenn er mich täuscht, so ist es also unzweifelhaft, dass ich bin. Er täusche mich, soviel er kann, niemals wird er doch fertig bringen, dass ich nichts bin, solange ich denke, dass ich etwas sei. Und so komme ich, nachdem ich nun alles mehr als genug bin und her erwogen habe, schließlich zu der Feststellung, dass dieser Satz: ,,Ich bin, ich existiere", sooft ich ihn ausspreche oder in Gedanken fasse, notwendig wahr ist. Noch verstehe ich aber nicht zur Genüge, wer ich denn bin, der ich jetzt notwendig bin, und ich muss mich fernerhin hüten, dass ich nicht etwa unvorsichtigerweise etwas anderes für mich selbst ansehe und auf diese Weise sogar in der Erkenntnis abirre, von der ich behaupte, sie sei die gewisseste und einleuchtendste von allen. (...) Kann ich noch behaupten, auch nur das Geringste von alledem zu besitzen, wovon ich oben gesagt habe, es gehöre zur Natur des Körpers? Mit gespannter Aufmerksamkeit denke ich immer wieder darüber nach, nichts fällt mir ein, und ich werde es müde, fruchtlos immer dasselbe zu wiederholen. Wie verhält es sich aber mit dem, was ich der Seele zuschrieb, mit dem Sich-Ernähren und dem Gehen? Nun, da ich jetzt überhaupt keinen Körper habe, so sind auch das nichts als Erfindungen. Empfinden? Aber auch das kommt ohne Körper nicht zustande, auch glaubte ich sehr vieles während des Traumes zu empfinden, von dem ich hernach bemerkte, dass ich es nicht empfunden hatte. Denken? Hier liegt es: Das Denken ist's, es allein kann von mir nicht getrennt werden. Ich bin, ich existiere, das ist gewiss. Wie lange aber? Nun, solange ich denke. Denn vielleicht konnte es sogar geschehen, dass ich, wenn ich ganz aufhörte zu denken, alsbald auch aufhörte zu sein. Für jetzt lasse ich aber nichts zu, als was notwendig wahr ist! Ich bin also genau nur ein denkendes Wesen, d. h. Geist, Seele, Verstand, Vernunft - lauter Ausdrücke, deren Bedeutung mir früher unbekannt war. Ich bin aber ein wahres und wahrhaft existierendes Ding, doch was für ein Ding? Nun, ich sagte es bereits - ein denkendes. Aufgabe: - Fassen Sie den Inhalt dieses Textes so zusammen, dass er maximal eine SMS füllt! Skizzieren Sie das Menschenbild des Descartes (Seine „Zwei-Welten-Lehre“) 11 GK Pl 12.1 Br „Erkenntnistheorie“ Bh 02.10.2008 David Hume: „Über den Begriff der notwendigen Verknüpfung“ Einführung: Selbst wenn die Wissenschaftstheorie ein erst im 20. Jahrhundert entwickeltes Gebiet der Philosophie ist, hat sie doch wichtige Vorläufer. So stellte schon David Hume im 18. Jahrhundert die herausfordernde Frage, was uns eigentlich berechtigt, von einem Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung zu reden. Irgendwo steht ein Fenster offen; ein Luftzug kommt, das Fenster schlägt zu: Wie können wir den Luftzug als Ursache für das Zuschlagen des Fensters ansehen? Die Frage Humes ist in der heutigen Wissenschaftstheorie wieder aktuell geworden und gehört zu deren wichtigsten Problemen. Wenn jemand sagt, Ursachen seien Kräfte, die etwas bewirken, so behauptet er vielleicht etwas Unhaltbares. Um mit dem Begriff der Kraft oder des notwendigen Zusammenhanges gänzlich vertraut zu werden, wollen wir den ihm zugehörigen Eindruck untersuchen; um diesen mit größerer Sicherheit zu finden, wollen wir alle Quellen untersuchen, denen er möglicherweise entspringen kann. Blicken wir auf die uns umgebenden Außendinge und betrachten wir die Wirksamkeit der Ursachen, so sind wir in keinem einzigen Falle in der Lage, irgendeine Kraft oder einen notwendigen Zusammenhang zu entdecken, irgendeine Eigenschaft, welche die Wirkung an die Ursache bindet und die eine zur unausbleiblichen Konsequenz der anderen macht. Wir finden nur, daß die eine in Wirklichkeit tatsächlich auf die andere folgt. Den Stoß einer Billardkugel begleitet eine Bewegung der zweiten. Das ist alles, was den äußeren Sinnen erscheint. Der Geist erlebt keine Empfindung, keinen inneren Eindruck von dieser Folge der Gegenstände: Demzufolge gibt es in keinem einzelnen, bestimmten Falle von Ursache und Wirkung etwas, das auf die Vorstellung der Kraft oder des notwendigen Zusammenhanges hinwiese. Beim ersten Anblick eines Gegenstandes läßt sich niemals vermuten, welche Wirkung er haben wird. Wäre hingegen der Geist imstande, die Kraft oder Energie einer Ursache zu entdecken, könnten wir die Wirkung sogar ohne Erfahrung voraussehen und sofort, mittels bloßen Denkens und Schließens, mit Sicherheit sagen. In Wirklichkeit gibt es nichts Materielles, das jemals durch seine Sinnesqualitäten1 eine Kraft oder Energie enthüllt oder uns Grund zu der Annahme gibt, daß es einen anderen Gegenstand, den wir seine Wirkung nennen könnten, hervorbringen oder zur Folge haben könnte. (...) Bietet sich uns ein Naturgegenstand oder ein Naturereignis dar, dann ist es uns - bei aller scharfsinnigen Durchdringung - ohne Erfahrung unmöglich, zu entdecken oder auch nur zu vermuten, welches Ereignis daraus folgen wird, oder mit unserer Voraussicht über den Gegenstand hinaus zu gelangen, der Gedächtnis und Sinnen unmittelbar vorliegt. Selbst wenn uns ein Beispiel oder Experiment beobachten ließ, daß ein bestimmtes Ereignis einem anderen folgte, sind wir nicht berechtigt, eine allgemeine Regel aufzustellen oder vorauszusagen, was sich in ähnlichen Fällen ereignen wird; denn es gilt mit Recht als unverzeihliche Unbesonnenheit, den gesamten Naturprozeß aus einer einzelnen Erfahrungstatsache, wie genau und gewiß sie auch sein mag, zu beurteilen. Aber wenn eine bestimmte Art von Ereignissen stets in allen Fällen mit einer anderen verbunden war, so haben wir keine längeren Bedenken, das eine beim Auftreten des anderen vorauszusagen und jenes Schlußverfahren anzuwenden, das uns allein einer Tatsache oder Existenz versichern kann. Wir nennen dann den einen Gegenstand Ursache, den anderen Wirkung. Wir nehmen an, daß ein Zusammenhang zwischen beiden besteht, irgendeine Kraft in dem einen, die unfehlbar den anderen hervorbringt und mit der größten Sicherheit und strengsten Notwendigkeit verfährt. Es scheint somit die Vorstellung eines notwendigen Zusammenhanges von Ereignissen ihren Ursprung in einer Anzahl ähnlicher Fälle der konstanten Verbindung dieser Ereignisse zu ha12 ben; ein einzelner dieser Fälle kann nie diese Vorstellung eingeben, mag man ihn auch in jedem Lichte und von allen Seiten prüfen. Es gibt aber in einer Anzahl von Fällen nichts von jedem einzelnen Fall Verschiedenes, der als völlig gleichartig mit ihnen angenommen wird2, außer, daß nach einer Wiederholung ähnlicher Fälle der Geist aus Gewohnheit dazu geführt wird, beim Auftreten des einen Ereignisses dessen übliche Begleiterscheinungen zu erwarten und an deren Vorhandensein zu glauben. Diese Verknüpfung also, die wir im Geist erfahren (feel), dieser gewohnheitsmäßige Übergang der Einbildungskraft von einem Gegenstand zu seiner üblichen Begleiterscheinung, ist die Empfindung oder der Eindruck, woraus wir die Vorstellung der Kraft oder des notwendigen Zusammenhanges bilden. Das ist alles. Erläuterungen: 1 Sinnesqualitäten: sinnlich wahrnehmbare Eigenschaften (z.B. Farbe, Geruch, Körperlichkeit usw.) 2 Es gibt aber...: Der Relativsatz bezieht sich auf „Fall“. Es gibt bei lauter gleichartigen Fällen nicht neben diesen Fällen noch eine besondere Kraft, die sie miteinander verbindet, sondern nur die gewohnheitsmäßige Verknüpfung durch den Betrachter. Wenn das Hinzudenken der Verbindung von Ursache und Wirkung aus bloßer Gewohnheit erfolgt, ist es eine recht unzuverlässige Basis für die Kausalvorstellung der Naturwissenschaften. Gewohnheiten können irreführen/ Wie also können wir „echte Naturgesetzlichkeit" (Kausalgesetze) in der Natur erwarten? Aus: David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Übers, v. H. Herring. Reclam, Stuttgart 1967, S. 85-86, 99-100. Aufgabenstellung: Wählen Sie eine der beiden Aufgaben aus: 1. Nach der Lektüre dieses Textes sind Sie geradezu erschüttert von dem, was Hume behauptet. Sie entschließen sich, einen Leserbrief an die „Deutsche Zeitschrift für Philosophie“ zu schreiben, in dem Sie diesen Text verreißen. Sie schreiben, aus welchen Gründen die Argumente aus Ihrer Sicht nicht haltbar sind, bleiben dabei aber sachlich und höflich! 2. Nachdem Sie diesen Text gelesen haben, sind Sie von den dargelegten Argumenten überzeugt und entschließen sich, Ihre Begeisterung anhand eines Leserbriefes an die Deutsche Physikalische Gesellschaft auszudrücken, in dem Sie auf David Hume Bezug nehmen und seine Thesen darlegen. Bleiben Sie dabei sachlich und begründen Sie Ihre Position! 13 GK Pl 12.1 Br „Erkenntnistheorie“ Bh 02.10.2008 Rudolf Carnap: Das Problem der Induktion Wir wissen, daß singuläre Aussagen über Tatsachen, die durch Beobachtung gewonnen wurden, niemals absolut sicher sind, da wir bei unseren Beobachtungen Fehler machen; aber bei den Gesetzen ist die Unsicherheit noch größer. Ein Naturgesetz sagt aus, daß in jedem Einzelfall, an jedem Ort und zu jeder Zeit gilt: Wenn Eines wahr ist, dann ist auch ein Zweites wahr. Natürlich wird hier über eine unendliche Anzahl möglicher Fälle gesprochen. Die wirklichen Anwendungsfälle sind vielleicht nicht unendlich viele, aber es gibt eine Unendlichkeit von möglichen Fällen. Ein physiologisches Gesetz sagt uns: Wenn man einen Dolch in das Herz eines Menschen stößt, wird dieser Mensch sterben. Da man niemals eine Ausnahme zu diesem Gesetz beobachtet hat, wird es als allgemein gültig angenommen. Es ist natürlich wahr, daß die Anzahl der Fälle, in denen man beobachtet hat, daß Dolche in Menschenherzen gestoßen wurden, endlich ist. Und es ist möglich, daß eines Tages die Menschheit aufhören wird zu existieren. In diesem Falle ist die Zahl der menschlichen Wesen, der vergangenen und der zukünftigen, endlich. Aber wir wissen ja nicht, ob die Menschheit ausgelöscht werden wird. Deshalb müssen wir sagen, daß es unendlich viele mögliche Anwendungsfälle des Gesetzes gibt. Und wenn es unendlich viele Fälle gibt, dann kann keine endliche Zahl von Beobachtungen, auch wenn sie sehr groß ist, das universelle Gesetz vollständig sichern. Natürlich können wir fortfahren und immer mehr Beobachtungen anstellen, so sorgfältig und wissenschaftlich wir nur können, bis wir vielleicht schließlich sagen: „Dieses Gesetz ist so oft geprüft worden, daß wir zu seiner Wahrheit vollständiges Vertrauen haben können. Es ist ein gut begründetes Gesetz.“ Wenn wir darüber nachdenken, wird uns aber klar, daß auch die bestbegründeten Gesetze der Physik höchstens auf einer endlichen Zahl von Beobachtungen beruhen können. Es ist stets möglich, daß morgen schon ein Gegenbeispiel gefunden wird. Niemals ist es möglich, zu einer vollständigen Verifikation1 eines Naturgesetzes zu gelangen. Man sollte eigentlich gar nicht von „Verifikation“ sprechen - wenn man damit eine endgültige Feststellung der Wahrheit meint -, sondern nur von Bestätigung. Obwohl man ein Naturgesetz auf keine Weise (im strengen Sinne) verifizieren kann, ist es interessanterweise ganz einfach, es zu falsifizieren2. Man braucht ja nur ein einziges Gegenbeispiel zu finden. Das Wissen von einem Gegenbeispiel kann unsicher sein. Man kann einen Beobachtungsfehler gemacht oder irgendwie getäuscht worden sein. Aber wenn man annimmt, daß das Gegenbeispiel eine Tatsache ist, dann folgt die Negation des Gesetzes sofort. Wenn ein Gesetz sagt, daß jedes Ding mit der Eigenschaft P auch die Eigenschaft Q hat, und wir finden ein Ding, das zwar P ist, aber nicht Q, dann ist das Gesetz widerlegt. Millionen positiver Fälle genügen nicht, das Gesetz zu verifizieren; ein Gegenbeispiel genügt, um es zu falsifizieren. Die Situation ist stark asymmetrisch. Es ist leicht, ein Gesetz zu widerlegen; es ist sehr schwer, ein Gesetz wirklich gut zu bestätigen. Begriffserläuterungen 1. Verifikation, verifizieren: wahrmachen, bestätigen (von lat. verus = wahr) 2. Falsifikation, falsifizieren: Das Gegenteil von Verifikation, wörtl. Falschmachen. Gemeint ist die Widerlegung einer Aussage durch ihr widersprechende empirische Sachverhalte (von lat. falsus = falsch). Aufgabenstellung: Bereiten Sie sich darauf vor, den Text so kurz und präzise wie möglich erklären zu können. 14 Anlagen: Materialien Ausschnitte aus: Matrix Maurtis Escher: Belvedere 15 Anlage: Deutschland sucht den Super-Erklärer Erklärer Anlage: Tabu 16 Gk Pl 12.1 „Erkenntnistheorie“ Bernhardt 09.10.2008 Tabu A priori Descartes Meditation A posteriori A posteriori a priori Rationalismus David Hume Empirismus Induktion Deduktion Deduktion Induktion Logischer Positivismus Empirismus Rationalismus Carnap Rationalismus Verstand A posteriori Empirismus A priori Empirismus A posteriori A priori David Hume Rationalismus Naiver Realismus Skeptizismus Skeptizismus Naiver Rationalismus Descartes Meditation Sinnestäuschungen Kausalität Empirismus Rationalismus David Hume Verifizieren Falsifizieren Beweisen Nachweisen Falsifizieren Verifizieren Beweisen Nachweisen 17 Gk Pl 12.1 „Erkenntnistheorie“ Bernhardt 09.10.2008 Thomas Nagel: Überblick über die Thematik und Problematik 2. Platon: kritischer Realismus Die Menschen leben in einer Höhle (=Scheinw elt), aus der nur wenige zur Wahrheit aufsteigen! 1. Naiver Realismus Zusammenfassung 3. René Descartes: Erste Meditation. Methodischer Skeptizismus Bezweiflung der Außenwelt und alles dessen, was gemeinhin für wahr genommen wird 4. René Descartes: Zweite Meditation. „Ich denke, also bin ich“ (Grundlegung des Rationalismus) Es ist unbezweifelbar, dass ich existiere, wenn ich denke. Von dieser Tatsache aus kommt es zu einer kritischen verstandesmäßigen Rekonstruktion der Welt Man muss nicht mehr alles bezweifeln, sondern kann durch die rationalistische Methode den Zweifel überwinden. Verstand: „Reditus in se ipse“ 5. David Hume: Empirismus Nicht die Wahrnehmung ist die Quelle des Irrtums, sondern der menschliche Verstand 6. Rudolf Carnap: Logischer Positivismus Weiterentwicklung Humes, nicht mehr so radikale Ablehnung des Verstandes Wahrnehmung, Impulse von außen 18