i geist und körper in der ersten philosophie descartes

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GEIST UND KÖRPER IN DER
ERSTEN PHILOSOPHIE DESCARTES’
1. Der methodische Zweifel
1641 erschienen Descartes’ Meditationes de prima philosophia in quibus Dei existentia et animae humanae a corpore distinctio demonstrantur: »Meditationen über
die Erste Philosophie, in denen die Existenz Gottes und die Verschiedenheit der
menschlichen Seele vom Körper bewiesen werden«. 1 Es handelt sich um eine
Abfolge von sechs kurzen Textstücken, die ungeachtet ihrer Bezeichnung als
Meditationen in dichter und subtiler Argumentation eine metaphysische Theorie begründen. Beigefügt – und sehr viel umfangreicher als die Meditationen
selber – sind sechs (ab der zweiten Auflage von 1642 sieben) Texte mit Einwänden
verschiedener Philosophen, denen Descartes seine Schrift vor dem Erscheinen
zugesandt hatte, nebst Descartes’ Erwiderungen. In dem Widmungsschreiben an
die theologische Fakultät der Sorbonne, das er seiner Schrift voranstellt, nennt
Descartes diese einen Traktat, eine Abhandlung. Aus diesen Gründen werde ich
mir erlauben, das – in der ersten Person Singular – meditierende Subjekt nicht
als eine fiktive Gestalt anzusehen, sondern im allgemeinen mit dem Autor zu
identifizieren (oder es wenigstens als eine Art Alter ego des Autors gelten zu
lassen).
Dennoch ist es angezeigt, die Differenz zwischen philosophischen Meditationen, also Überlegungen, Erwägungen, und einer philosophischen Abhandlung
nicht zu unterschlagen. Von einer Abhandlung erwarten wir, daß umstandslos
Lehrsätze vorgetragen und begründet werden. Eine Meditation dagegen kann
explorativ und tentativ sein; in ihr können Positionen ausprobiert und vorübergehend bezogen werden, die sich in der Folge dann als nicht haltbar erweisen
und wieder aufgegeben werden. Am Ende freilich legt sich Descartes in seinen
Meditationen jeweils auch auf philosophische Lehrsätze fest. Wichtig ist indessen,
daß wir ihn nicht zu früh und nicht voreilig festlegen. 2
1 Tatsächlich lautet der Titel der ersten Auflage, Paris 1641: »Meditationes de prima philosophia, in
qua Dei existentia et animae immortalitas demonstratur«. Die zweite Auflage, Amsterdam 1642,
trägt dann den oben zitierten korrigierten Titel.
2 Zu Descartes’ »Etikettierung seiner einschlägigen Beiträge zur Metaphysik als Meditationen« vgl.
Hans-Peter Schütt, Substanzen, Subjekte und Personen, S. 140f. Schütt rät zu Recht davon ab, »die
mit dem Wort ›Meditation‹ gegebenen Anklänge an solipsistisch veranstaltete geistige Übungen mit
jenem ›Prinzip der Innerlichkeit‹ in eine Verbindung zu bringen, das Descartes mit diesem Werk
der neuzeitlichen Philosophie beschert haben soll«. Selbst wenn das wohl keine »unstatthafte Asso-
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I. Geist und Körper in der Ersten Philosophie Descartes’
Die erste Meditation trägt den Titel: »De iis quae in dubium revocari possunt«,
zu deutsch: »Woran man zweifeln kann«. Der Zweifel gehört zu den propositionalen Einstellungen (»x zweifelt, ob p« bzw. »x bezweifelt, daß p«) und näher
zu den kognitiven (nicht voluntativen) propositionalen Einstellungen. Dem ersten
Blick zeigt er sich als ein Verwandter der Urteilsenthaltung, die bis zur durchgängigen Epoché gesteigert werden kann, aber die Verwandtschaft ist denn doch eher
weitläufig; denn in einer Urteilsenthaltung entschließen wir uns, einen bestimmten
Anspruch auf objektive Wahrheit einmal brachliegen zu lassen im diskursiven Spiel
des Forderns und Gebens von Begründungen, und die durchgängige Epoché ist
eine Haltung, um nicht zu sagen Pose, die wir willkürlich einnehmen können,
indem wir beschließen, Objektivitätsansprüche als solche einzuklammern und
das, was uns objektiv der Fall zu sein scheint, nur als subjektiven Anschein gelten zu lassen. Einstellungen hingegen stellen sich ein, ob wir wollen oder nicht.
So kann etwa ein Mengentheoretiker beschließen, einmal vom Auswahlaxiom zu
abstrahieren und zu untersuchen, welche Sätze sich dann noch beweisen lassen.
Aber niemand kann beschließen, einen Satz, von dessen Richtigkeit er bisher
überzeugt war, nunmehr zu bezweifeln oder umgekehrt einen Satz, den er bisher
bezweifelte, nunmehr fest zu glauben. Allenfalls kann man sich vorstellen, daß
jemand, im Grenzfall man selber, etwas bezweifelt, wovon man fest überzeugt ist.
Beispielsweise kann man versuchen, sich in die Lage des Ödipus zu versetzen, dem
plötzlich Zweifel kommen, ob die Personen, die er Vater und Mutter nennt, seine
leiblichen Eltern sind: »Wie wäre es wohl, wenn mir Zweifel bezüglich meiner biologischen Abkunft kämen? Was müßte etwa geschehen, bevor mir derlei Zweifel
kommen könnten?« Usf. (Dennoch redet Descartes mitunter so, als könne man
nach Belieben zweifeln, was ich als Zeichen dafür deute, daß ihn die Differenz zwischen Zweifel und Epoché nicht im allgemeinen und nicht durchgängig, sondern
nur in bestimmten Beweislagen interessierte.)
Ein gewisser Abstand zwischen dem Autor und seiner ersten Person, zwischen
Descartes und seinem Ich-Erzähler oder vielmehr Ich-Meditator, herrscht in der
ersten Meditation deshalb, weil das meditierende Subjekt dort an Sachverhalten
zweifelt, die Descartes selber längst für ausgemacht hält. Allerdings wird der
Abstand auch wieder dadurch verringert, daß Descartes seinem Alter ego Zweiziation« sei, dürfe »darüber nicht in Vergessenheit geraten, daß mit der Innerlichkeit meditativer
Praktiken für Descartes auch, wenn nicht sogar in erster Linie, ein Anspruch verknüpft war, der die
bei diesem Geschäft beobachtete Art der Beweisführung berührt« (ebd. S. 140). – Bernard Williams,
Descartes, S. 20, weist darauf hin, daß die Meditationen philosophische Lehren in der »Ordnung der
Entdeckung« präsentieren, die Descartes für die einzig aufschlußreiche in der Philosophie gehalten habe. Über das meditierende Subjekt sagt er in diesem Zusammenhang, es sei »weniger der
historische Descartes als jede reflektierende Person, die sich durch diese Reihe von Argumenten
hindurcharbeitet« (S. 19f., meine Übersetzung). Es ist dann jedenfalls auch eine Idealisierung des
historischen Descartes und sein Meditieren eine Idealisierung des Weges, auf dem Descartes seine
philosophischen Entdeckungen machte.
1. Der methodische Zweifel
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felsgründe an die Hand zu geben versucht, die sein Zweifeln rationalisieren sollen,
und zwar nicht mögliche oder kontrafaktische, sondern wirkliche Zweifelsgründe,
also nicht Gründe der Art: »Wenn mir ein Freund meiner Eltern ernsthaft erklärte,
ich sei ein Findelkind …« (es tut aber keiner), sondern Gründe wie: »Da ich mich
an mein erstes Lebensjahr nicht erinnern kann …« (was ich wirklich nicht kann).
Auf diese Weise soll das Zweifeln des Alter ego als eine Option dargestellt werden,
die Descartes und uns allen im Modus einer rationalen Durchgangsstation immer
offensteht, auch dann noch, wenn wir längst an unserem epistemischen Ziel,
bei festen Überzeugungen, angekommen sind. 3 Wir werden also in der ersten
Meditation nicht eingeladen, uns in Gedanken in eine kontrafaktische Lage zu
versetzen, in der wir Gründe hätten, an dem oder jenem zu zweifeln (»Stell dir
vor, ein Freund deiner Eltern erzählte dir, du seist ein Findelkind …«), sondern in
unserer faktischen Lage Zweifelsgründe zu entdecken (»Du kannst dich doch an
Dein erstes Lebensjahr nicht erinnern …«), auch wenn sich die Gründe dann bei
näherem Zusehen, über alle sechs Meditationen hinweg, als nicht stichhaltig erweisen. So gibt der Zweifel seines Alter ego Descartes die willkommene Gelegenheit,
ihn systematisch auszuräumen und dabei die Spreu überlieferter Meinungen vom
Weizen wissenschaftlicher Einsicht säuberlich zu trennen. Der Zweifel hat also
eine methodische Funktion, wie auch die Epoché in der Husserlschen Phänomenologie eine methodische Funktion hat. Aber Descartes wählt im Unterschied zu
Husserl mit dem Zweifel eine lebensechte epistemische Einstellung als Dreh- und
Angelpunkt seiner Methode und stellt sich damit unter erhöhte Anforderungen,
wenn es gilt, diese methodische Skepsis zu motivieren. 4 Von Peirce stammt die
Warnung, nicht so zu tun, als bezweifelten wir in der Philosophie, was wir in unseren Herzen nicht bezweifeln. 5 Dieser Warnung muß Descartes der Sache nach
Rechnung tragen. Er muß die methodische Skepsis zunächst mit wirklichen, nicht
vorgegebenen oder kontrafaktischen Gründen stark machen. Die Überschrift:
»Woran man zweifeln kann«, ist also zu lesen im Sinne von: »Woran man mit
Gründen, und zwar tatsächlichen Gründen, zweifeln kann«. Aber die herbeizitierten Gründe dürfen andererseits nicht so stark sein, daß Descartes sie nicht auch
wieder los würde zugunsten derjenigen Lehren, auf die es ihm letztlich ankommt.
3 Die Peircesche These, daß feste, nicht wahre, Überzeugungen das Ziel unserer kognitiven Praktiken
sind, wird von Jay Rosenberg verteidigt in Thinking About Knowing, Kapitel 6 (»Peircean Inquiry:
Knowledge without Truth«). Meine eigene Überzeugung in der Sache läßt sich mit einem Aristotelischen »t‰ m‡n … t‰ d‡ …« ausdrücken: In einem Sinn sind feste, in einem anderen Sinn wahre
Überzeugungen unser epistemisches Ziel. Die relevanten Sinne zu bestimmen, ist hier nicht der Ort.
4 Husserl konzipiert die Epoché als eine willkürliche, methodische Operation so, daß sie keinen
Zweifel einzuschließen braucht, sondern sich im Gegenteil sogar mit »der unerschütterten und ev.
unerschütterlichen, weil evidenten Überzeugung von der Wahrheit verträgt«, Ideen zu einer reinen
Phänomenologie, § 31, S. 64.
5 »Let us not pretend to doubt in philosophy what we do not doubt in our hearts.« (»Some Consequences of Four Incapacities«, S. 229)
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