Paul Weß November 2012 Das gehemmte Konzil Ein kritischer Rückblick nach 50 Jahren mit Perspektiven für die Zukunft der Kirche 1. Das Konzil wollte an der Unveränderlichkeit der kirchlichen Lehre festhalten: Papst Johannes XXIII., Eröffnungsansprache am 11.10.1962 (zitiert von Papst Benedikt XVI. am 22.12.2005 in einer Rückschau auf das Ende des Konzils 40 Jahre davor): „Es ist notwendig, die unumstößliche und unveränderliche Lehre, die treu geachtet werden muss, zu vertiefen und sie so zu formulieren, dass sie den Erfordernissen unserer Zeit entspricht. Eine Sache sind nämlich die Glaubensinhalte [lat. depositum fidei], also die in unserer ehrwürdigen Lehre enthaltenen Wahrheiten, eine andere Sache ist die Art, wie sie formuliert werden, wobei ihr Sinn und ihre Tragweite [lat. sententia] erhalten bleiben müssen.“ 1967 schrieb Joseph Ratzinger als Konzilstheologe in einem Kommentar zur Konstitution Dei Verbum des Zweiten Vatikanums (Lexikon für Theologie und Kirche², Ergänzungsband 2, 515– 528; hier 520 und 524f): „Schon Trient hatte sich nicht dazu durchringen können, die Traditionskritik ... positiv auszusagen. ... Das Vaticanum II hat in diesem Punkt bedauerlicherweise keinen Fortschritt gebracht, sondern das traditionskritische Moment so gut wie völlig übergangen. … Gerade ein Konzil, das sich bewusst als Reformkonzil verstand und damit implizit Möglichkeit und Wirklichkeit entstellender Tradition einräumte, hätte hier ein wesentliches Stück theologischer Grundlegung seiner selbst und seines eigenen Wollens reflex vollziehen können. Dass das versäumt worden ist, wird man nur als eine bedauerliche Lücke bezeichnen können.“ 2. Dennoch korrigierte das Konzil in einigen Punkten die geltende amtliche Lehre: a) Bis zum Zweiten Vatikanum wurde das Priestertum im eigentlichen Sinn nur den ordinierten Amtsträgern zuerkannt, die als Stellvertreter Christi als Mittler zwischen Gott und den Menschen fungieren; im Widerspruch zum Neuen Testament, das das Priestertum in diesem Sinn nur von Jesus Christus und vom ganzen Volk Gottes aussagt (1 Petr 2,9; Offb 1,6; 5,10). Vgl. Papst Pius XII. in der Enzyklika „Mediator Dei“ (1947): „Es ist der gleiche Priester, Christus Jesus, dessen heilige Person sein berufener Diener vertritt. Durch die Priesterweihe dem Hohenpriester angeglichen, besitzt er die Vollmacht, in der Kraft und an Stelle der Person Christi selbst zu handeln“ (im Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1548, als Argument für diese Sicht). Hingegen wurde in der Konzilskonstitution Sacrosanctum Concilium als Anliegen der Kirche erklärt, „dass alle Gläubigen zu jener vollen, bewussten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern geführt werden, die vom Wesen der Liturgie selbst erfordert wird und zu der das christliche Volk, ‚das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, der heilige Stamm, das Eigentumsvolk’ [1 Petr 2,9; vgl. 2,4f], kraft der Taufe das Recht und die Pflicht hat“ (Art. 14, DH 4014; vgl. auch Art. 26, DH 4026: „Die liturgischen Handlungen … sind Feiern der Kirche“). Allerdings hielt das Konzil an anderer Stelle fest: „Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen und das amtliche bzw. hierarchische Priestertum unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. … Der Amtspriester nämlich bildet kraft der heiligen Vollmacht, derer er sich erfreut, das priesterliche Volk Gottes heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar“ (Lumen gentium 10). Im Römischen Messkanon [= Erstes Hochgebet] müsste es nach dem Einsetzungsbericht laut dem lateinischen Text auf Deutsch heißen: „feiern wir, deine Diener [= Amtspriester], aber auch dein heiliges Volk [= ‚plebs’]“, übersetzt wird aber „feiern wir, deine Diener und dein heiliges Volk“. b) In einer 1442 erlassenen Bulle des Konzils von Florenz hatte die Kirche definiert: „Sie [die Kirche] glaubt fest, bekennt und verkündet, dass ‚niemand, der sich außerhalb der katholischen Kirche befindet, nicht nur [keine] Heiden’, sondern auch keine Juden oder Häretiker und Schismatiker, des ewigen Lebens teilhaftig werden können, sondern dass sie in das ewige Feuer wandern werden, ,das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist’ [Mt 25,41], wenn sie sich nicht vor dem Lebensende ihr angeschlossen haben ...“ (DH 1351; an der zitierten Stelle Mt 25,41 geht es nicht um eine Strafe für die Ungläubigen, sondern für die Unbarmherzigen!). Im Zweiten Vatikanum heißt es dagegen, dass „nicht nur die Christgläubigen, sondern auch ... alle Menschen guten Willens“, darunter Atheisten und Angehörige anderer Religionen, „der Auferstehung entgegengehen“ (Gaudium et spes 22; DH 4322); mit Verweis auf Lumen gentium 16 (DH 4140), wo gesagt wird, dass Gott „als Erlöser will, dass alle Menschen gerettet werden [vgl. 1 Tim 2,4]“. Allerdings steht davor als Lehre des Konzils unter Berufung auf Mk 16,16 und Joh 3,5, „dass diese pilgernde Kirche zum Heile notwendig sei“ (ebd., Art. 14; DH 4136). c) Im 19. Jh. wurde Religionsfreiheit in vier Enzykliken (1832 von Gregor XVI., 1864 von Pius IX., 1885 und 1888 von Leo XIII.) und im „Syllabus“ (1864) als Irrtum abgelehnt. So Gregor XVI., Enzyklika „Mirari vos“ (1832): „Aus dieser schlammigen Quelle der Gleichgültigkeit entspringt jener ungereimte, irrige Satz, oder vielmehr jener Unsinn, dass man die Freiheit des Gewissens behaupten und verteidigen müsse. Den Weg zu jenem pestartigen Irrtum bahnt jene unmäßige Freiheit der Meinungen, welche zum Schaden der Religion und des Staates sich weit ausbreitet; ... Die Religion und die Fürsten dürfen ebenfalls nichts Besseres erwarten von den Absichten derjenigen, welche die Kirche vom Staat zu trennen und ihre gegenseitige Übereinstimmung aufzuheben trachten. Es ist offenbar, dass die unverschämten Freiheitsmänner eben diese Übereinstimmung fürchten, die jederzeit für die Religion sowohl als für den Staat so vorteilhaft und heilbringend war.“ Im Gegensatz dazu hat „das Vatikanische Konzil erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat“ (Dekret über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae, Art. 2). Mit der Anerkennung der Heilsmöglichkeit für alle Menschen guten Willens und mit der Anerkennung des persönlichen Gewissens (Religionsfreiheit) verbunden sind die Aussagen des Konzils zur Ökumene (Unitatis redintegratio) und über die positive Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (Nostra aetate). Das Konzil vertritt mit dieser Lehre von der Gewissensfreiheit aber keinen relativistischen Pluralismus, wonach es gleichgültig wäre, welcher Religion oder Glaubensgemeinschaft man angehört. Auch bei gutem Willen ihrer Gläubigen kommen die verschiedenen Religionen oder Konfessionen der angestrebten Wahrheit objektiv unterschiedlich nahe.1 d) Im Zusammenhang mit dieser Öffnung nach außen stehen auch eine neue Sicht der Welt, der angestrebte Dialog mit der säkularen Gesellschaft bis hin zu dem Anliegen, auf die Herausforderung des Atheismus eine adäquate Antwort zu geben. Das blieb allerdings nur eine Absicht, die angesichts der beibehaltenen fundamentalistischen Begründung des Glaubens durch eine in der Bibel als Wort Gottes enthaltene und von der Kirche unfehlbar überlieferte Offenbarung Gottes nicht erfüllt werden konnte (vgl. Lumen gentium 1: „Da Christus das Licht der Völker ist …“). Die Kirche wollte sich für die Welt öffnen, war aber den Herausforderungen nicht gewachsen (im bisherigen geschlossenen System war alles klar). Die aufgestauten Sachfragen brachen wie eine Sturzflut über die Kirche herein, rissen vieles mit, was zu Unrecht dem Konzil angelastet wird. Fehler des Konzils, dass es die Tragweite der Probleme nicht erkannte. Es blieb eine ungelöste Frage, wie Antworten zu finden wären und in welcher Struktur die Entscheidungen fallen sollten. PS. Der Einleitungssatz der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute geht über die nötige Öffnung der Kirche für die Welt und den Dialog hinaus, indem er dem Wortlauf nach eine Identifikation der Gläubigen und damit der Kirche mit allen Menschen vertritt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“ (Gaudium et spes 1). Demnach gäbe es keinen Unterschied in moralischen Gesinnungen zwischen Christen und Mafia u. ä. e) Andere inhaltliche Neuerungen betrafen die kirchliche Lehre über die Ehe als Liebesbund, über die „Ehezwecke“ und den Eigenwert der ehelichen Akte sowie über die verantwortete Elternschaft. Sie fielen nicht so sehr als Änderungen auf, weil man sie auch als „erweiterte“ Sichtweise auslegen konnte. Doch gab es heftigen Widerstand mit dem Argument, dass sie der bisherigen Lehre widersprachen.2 Die Frage der künstlichen Empfängnisregelung behielt sich Papst Paul VI. vor und lehnte sie in der Enzyklika „Humanae vitae" (1968) nach dem Votum einer kleinen Minderheit ab: „In Übereinstimmung mit ihrer Sendung hat sich die Kirche zu aller Zeit ... durch eine sich 1 Dabei könnten die Religionen voneinander lernen. Vgl. Paul Weß, Glaube zwischen Relativismus und Absolutheitsanspruch. Beiträge zur Traditionskritik im Christentum. Berlin – Wien ²2008, 21–37. 2 Vgl. Helmut Krätzl, Im Sprung gehemmt. Was mir nach dem Konzil noch alles fehlt. Mödling ²1998, 79–91. immer gleich bleibende Lehre [Hervorhebung P.W.] über das Wesen der Ehe ... geäußert." 3. Die Änderungen und somit die Möglichkeit von Korrekturen wurden nicht eingestanden: Aus der Erklärung über die Religionsfreiheit: „Das Vatikanische Konzil … befragt … die heilige Tradition und die Lehre der Kirche, aus denen es immer Neues hervorholt, das mit dem Alten in Einklang steht. … Da nun die religiöse Freiheit … sich auf die Freiheit von Zwang in der staatlichen Gesellschaft bezieht, lässt sie die überlieferte katholische Lehre von der moralischen Pflicht der Menschen und der Gesellschaften gegenüber der wahren Religion und der einzigen Kirche Christi unangetastet“ (Dignitatis humanae 1). Die vom Erzbischof Lefebvre gegründete PiusPriesterbruderschaft sagt also mit Recht, dass das 2. Vatikanum an der kirchlichen Lehre etwas geändert hat, und bringt die Kirche und damit den Papst in ein „Dilemma“ (vgl. Paul Weß, Papst im Dilemma. Kirchenreform ohne Korrekturen des Dogmas? In: ders., Glaube aus Erfahrung und Deutung. Christliche Praxis statt Fundamentalismus. Salzburg 2010, 167–183). Papst Benedikt XVI. in einer Ansprache am 22.12.2005 (40 Jahre nach Konzilsende) zu diesen Korrekturen der kirchlichen Lehre: „Es ist klar, dass in all diesen Bereichen ... eine Art Diskontinuität entstehen konnte und dass in gewissem Sinne tatsächlich eine Diskontinuität aufgetreten war. ... Das Zweite Vatikanische Konzil hat durch die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen dem Glauben der Kirche und bestimmten Grundelementen des modernen Denkens einige in der Vergangenheit gefällte Entscheidungen neu überdacht oder auch korrigiert, aber trotz dieser scheinbaren Diskontinuität hat sie [die Kirche] ihre wahre Natur und ihre Identität bewahrt und vertieft.“ 4. In manchen Fragen wurden widersprüchliche (Schein-)Kompromisse formuliert: Kardinal König nannte drei Beispiele von Irrtümern in der Bibel und stellte damit die Lehre von deren Irrtumslosigkeit in Frage. Als Reaktion darauf erklärte das Konzil unter Berufung auf die Enzyklika „Providentissimus Deus“ von Leo XIII. (1893): „Da also all das, was die inspirierten Verfasser bzw. Hagiographen aussagen, als vom Heiligen Geist ausgesagt gelten muss, ist von den Büchern der Schrift zu bekennen, dass sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in den heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte“ (Dei Verbum 11). Zum Glaubenssinn des Gottesvolkes: „Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben [vgl. 1 Joh 2,20.27], kann im Glauben nicht fehlgehen … Durch jenen Glaubenssinn nämlich, der vom Geist der Wahrheit geweckt und erhalten wird, hängt das Volk Gottes unter der Leitung des heiligen Lehramtes, in dessen treuer Gefolgschaft [Hervorhebung von mir. P.W.] es nicht mehr das Wort von Menschen, sondern wahrhaft das Wort Gottes empfängt [vgl. 1 Thess 2,13], dem einmal den Heiligen übergebenen Glauben [vgl. Jud 3] unwiderruflich an …“ (Lumen gentium 12). 5. Trotz ansatzweiser Vision von Kirche als geschwisterlicher Gemeinschaft … Lumen gentium 1: „Da aber die Kirche in Christus gleichsam das Sakrament bzw. Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzen Menschengeschlechtes ist …“ Lumen gentium 32: „Wenn auch einige nach dem Willen Christi als Lehrer, Spender der Geheimnisse und Hirten für andere eingesetzt werden, waltet dennoch unter allen wahre Gleichheit hinsichtlich der Würde und dem Tun, das allen Gläubigen in Bezug auf den Aufbau des Leibes Christi gemeinsam ist.“ Gaudium et spes 21; „Dazu, dass Gottes Gegenwart offenbar werde, trägt schließlich besonders die brüderliche Liebe der Gläubigen bei, die im Geist einmütig zusammenarbeiten …“ … wurde an der hierarchischen Struktur der Kirche festgehalten: Lumen gentium 22: „Das Kollegium oder die Körperschaft der Bischöfe hat aber nur Autorität, wenn das Kollegium verstanden wird in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom, dem Nachfolger Petri, als seinem Haupt, und unbeschadet dessen primatialer Gewalt über alle Hirten und Gläubigen." [Dazu: Die Kirche wird nicht auf jedem Papst neu errichtet. Die Fundament-Funktion Petri ist nicht übertragbar. Vgl. auch die Überordnung des Konzils über den Papst in Konstanz 1415. P.W.] Auf Anweisung des Papstes wurde dem Konzilstext eine "Erläuternde Vorbemerkung" hinzugefügt, in der es heißt (Nr. 3): „Der Bischof von Rom geht bei der Leitung, Förderung und Billigung der kollegialen Betätigung in Ausrichtung auf das Wohl der Kirche nach eigenem Urteil vor." Lumen gentium 23: „Der Römische Bischof ist als Nachfolger des Petrus das immerwährende und sichtbare Prinzip und Fundament [also nicht nur Zeichen und Werkzeug. P.W.] für die Einheit der Vielheit sowohl von Bischöfen als auch von Gläubigen.“ Lumen gentium 25: „Die Bischöfe, die in Gemeinschaft mit dem römischen Bischof lehren, sind von allen als Zeugen der göttlichen und katholischen Wahrheit zu verehren. Die Gläubigen aber müssen mit einem im Namen Christi vorgetragenen Spruch ihres Bischofs in Glaubens- und Sittensachen übereinkommen und ihm mit religiös gegründetem Gehorsam anhangen. Dieser religiöse Gehorsam des Willens und Verstandes ist in besonderer Weise dem authentischen Lehramt des Bischofs von Rom, auch wenn er nicht kraft höchster Lehrautorität spricht, zu leisten." Der im 2. Vatikanum an sechs Stellen (Lumen gentium 21f; Nota praevia 2; Christus Dominus 5; Presbyterorum ordinis 7 u. 15) für die Kirche verwendete Begriff „Communio hierarchica“ ist keine Versöhnung von Communio und Hierarchie, hält an Letzterer fest. Vgl. Bernd J. Hilberath, Communio hierarchica. Historischer Kompromiss oder hölzernes Eisen? In: Theologische Quartalschrift 177 (1997) 202–219. Die für eine kirchliche Verfassung im Sinn des Neuen Testaments maßgebenden Verse Mt 23,8–10 („… nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder [und Schwestern] … nur einer ist euer Vater, der im Himmel … nur einer ist euer Lehrer, Christus“) werden in den Konzilstexten nicht erwähnt. Die Konzilsväter sahen keine Notwendigkeit oder keinen Weg, Strukturen einer geschwisterlichen Communio-Kirche zu realisieren. Kirchenstruktur nach dem Zweiten Vatikanum 6. Die geschichtlichen Gründe für den Verlust der Geschwisterlichkeit nach Mt 23,8f: „Vermassung“ und Anonymisierung der Ortsgemeinden Ende des Erwachsenenkatechumenats, Säuglingstaufe Angleichung der „Staatskirche“ an staatliche Strukturen Amtsträger als Stellvertreter Christi mit göttlicher Autorität … und die Voraussetzungen für deren Rückgewinnung: Überschaubare Basis-/Stammgemeinden als Grundeinheit von Kirche (Joh 13,34f; Selbstwert!) Erwachsenentaufe bzw. -tauferneuerung der als Kinder Getauften nach einem Katechumenat Entwicklung eigener Leitungsstrukturen jenseits von Hierarchie und Mehrheitsdemokratie Priesteramtsverständnis bei einem Vorrang des gemeinsamen Priestertums (alle sind HirtInnen) 7. Bibelgemäße Alternativen zum hierarchischen Leitungs- und Priesteramtsverständnis: Ein alternatives Verständnis des Leitungsamtes, welches sowohl die Gewissensfreiheit gemäß der Erklärung über die Religionsfreiheit – vgl. Art. 1: „,,, und anders erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt“ – als auch die Einheit der Kirche als Glaubens- und Gesinnungsgemeinschaft bewahrt, könnte wohl nur darin liegen, dass auch der Papst als „Zeichen und Werkzeug“ der Einheit und das übrige Bischofskollegium als Repräsentant aller anderen Ortskirchen auf derselben Ebene stehen, ebenso die LeiterInnen und das übrige Kollegium in allen Gemeinden und Gremien, und sich in einer „operationalen (verfahrensbedingten) Gleichrangigkeit“ unter den Anspruch allein der „heiligen Herrschaft (Hierarchie)“ Gottes stellen, einmütig zu werden. Mehrheitsbeschlüsse genügen nicht. Das wäre die Synthese des personalen und des kollegialen Prinzips. Es würde allen Angehörigen der Gemeinden und Gremien abverlangen, sich auch untereinander zu einigen (vgl. Paul Weß, Einmütig. Gemeinsam entscheiden in Gemeinde und Kirche. Thaur 1998; und ders., Papstamt jenseits von Hierarchie und Demokratie. Ökumenische Suche nach einem bibelgemäßen Petrusdienst. Münster ²2009). Eine solche Korrektur der Struktur wäre eine derzeit unvorstellbare Zumutung an ein künftiges Konzil. Sie wäre Voraussetzung für andere Korrekturen. Von der Hierarchie zur Leitung unter der Herrschaft Gottes als einzigen Vaters (Mt 23,8f) Hierarchie Einmütigkeit Leiter(in) GOTT an Stelle Gottes einziger Vater Kollegium Leiter(in) – übriges Kollegium Von der Leitung zu unterscheiden ist das Amtspriestertum im Sinn des Neuen Testaments: Einbindung der Gemeinden in die Ortskirchen und dieser in die Gesamtkirche durch dazu bevollmächtigte Amtspriester bzw. Bischöfe (von oben gesehen, alle auf derselben Ebene) 8. Auch in der Kirche können inhaltliche Korrekturen ihrer Lehre notwendig sein … Thomas von Aquin: „Was empfangen wird, wird auf die Weise des Empfangenden empfangen, nicht auf die Weise dessen, was empfangen wird“ (Sentenzenkommentar, 4, 48, 1, 3, 4). Das heißt: Auch göttliche Botschaften werden vom Menschen auf menschliche, also begrenzte und irrtumsanfällige Weise empfangen, nicht auf göttliche, unfehlbare Weise. Karl Rahner: „Auch dogmatisch schlechthin verbindliche Wahrheiten“ können „amalgamiert“, also legiert sein mit geschichtlich bedingten Elementen und Vorstellungen, die „sich später dann durchaus als nichtverbindlich oder sogar als falsch herausstellen“. Daher „wird man nicht daran zweifeln können, dass auch die Glaubens- und Dogmengeschichte der Kirche Veränderungen mit sich bringen wird, die wir uns heute noch kaum vorstellen können“ (Schriften zur Theologie 13, 19f.43). Eine Umstellung von hierarchischer Kirche auf Communio-Kirche war für das Konzil undenkbar, weil sie eine Korrektur dogmatischer Lehren (speziell der Papstdogmen des 1. Vatikanums) erfordert. Darüber könnte nicht mehrheitlich, sondern müsste einmütig entschieden werden. … wie sie auf dem Apostelkonzil erfolgten: Aber es gibt ein Beispiel für eine grundlegende Korrektur geltender Lehren und Gesetze in der Kirchengeschichte: Im Apostelkonzil wurde nach „großer Aufregung und heftigen Auseinandersetzungen“ (Apg 15,2) entschieden, dass die jüdischen Gesetze wie Beschneidung u. a. den Heidenchristen nicht auferlegt werden müssen. Es entstanden zwei Kirchen in „versöhnter Verschiedenheit“. Diese Entscheidung wurde einmütig getroffen und auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückgeführt: „Der Heilige Geist und wir haben es für gut befunden …“ (Apg. 15,28). Wie beim Apostelkonzil wären Gemeinden als gelingende Modelle einer erneuerten Praxis und Theorie des Leitungsamtes und des gemeinsamen Priestertums wichtig, um die Kirche zu über- zeugen. Nur so gibt es die Chance, dass ein neues Konzil sowohl die Unveränderlichkeit der kirchlichen Lehre aufgibt als auch, als erste Korrektur, die geltenden Entscheidungsstrukturen ändert. (Nachtrag zu Punkt 4): Kritische Überlegungen zur Frage der Irrtumslosigkeit der Bibel nach „Dei Verbum“, Art. 11 In einer Rede in der Konzilsaula am 2.10.1964 nannte Kardinal König drei Beispiele von Irrtümern bezüglich der „veritates profanae“ in den Heiligen Schriften; zitiert nach Aloys Grillmeier SJ, Kommentar zum dritten Kapitel von „Dei Verbum“ in LThK², Ergänzungsband 2, 528–557; hier 532: „Nach Mk 2,26 habe David unter dem Hohenpriester Abiathar das Haus Gottes betreten und die Schaubrote gegessen. In Wirklichkeit aber handelt es sich nach 1 Sam 21,1ff nicht um Abiathar, sondern um dessen Vater Abimelech. – In Mt 27,9 lesen wir, dass sich im Schicksal des Judas eine Prophetie des ‚Jeremias’ erfüllt habe. In Wirklichkeit wird Zach 11,12f zitiert. – Dn 1,1 liest man, dass der König Nabuchodonosor Jerusalem im dritten Jahr des Königs Jojaquim (Frühling 606 bis Frühling 605) belagert habe. Aus der aufgefundenen authentischen Chronik des Königs Nabuchodonosor steht aber fest, dass die Belagerung erst drei Jahre später stattgefunden haben kann. Andere geographische und chronologische Angaben könnten im selben Zusammenhang zitiert werden.“ Damit war die bisherige kirchenamtliche Lehre von der Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift (vgl. die Zitate unten) in Frage gestellt. Als Antwort darauf erklärte das Konzil nach langen Diskussionen: „Da also all das, was die inspirierten Verfasser bzw. Hagiographen aussagen, als vom Heiligen Geist ausgesagt gelten muss, ist von den Büchern der Schrift zu bekennen, dass sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in den heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte“ (Dei Verbum 11). Im Satz davor heißt es unter Verweis auf die Enzyklika „Providentissimus Deus“ von Leo XIII. (1893): „Zur Abfassung der Heiligen Bücher aber hat Gott Menschen erwählt, die ihn durch den Gebrauch ihrer eigenen Fähigkeiten und Kräfte dazu dienen sollten, all das und nur das, was er – in ihnen und durch sie wirksam – selbst wollte, als wahre Verfasser schriftlich zu überliefern.“ In der zum Konzilstext gehörenden Anmerkung wird in der Enzyklika „Providentissimus Deus“ jener Teil als Begründung angegeben, die in DH 3293 zu finden ist. Dort heißt es : „Dies ist der alte und beständige Glaube der Kirche, wie er auch in feierlicher Erklärung auf den Konzilien von Florenz und Trient definiert und schließlich auf dem Vatikanischen Konzil bestätigt und deutlicher erklärt worden ist, von dem ohne Einschränkung verkündet wurde: ‚Die Bücher des Alten und Neuen Testamentes … haben Gott zum Urheber.’ Daher hat es überhaupt keine Bedeutung, dass der Heilige Geist als Werkzeuge zum Schreiben Menschen herangezogen hat, so als ob zwar nicht dem ursprünglichen Verfasser, wohl aber den inspirierten Schreibern etwas Falsches habe entschlüpfen können. Denn er selbst hat sie mit übernatürlicher Kraft so zum Schreiben angeregt und bewegt, ist ihnen so beim Schreiben beigestanden, dass sie all das, und zwar nur das, was er selbst gebot, sowohl im Geiste recht erfassten als auch gläubig niederschreiben wollten und mit unfehlbarer Wahrheit angemessen ausdrückten: andernfalls wäre er nicht selbst der Urheber der gesamten heiligen Schrift.“ Auf diesem Hintergrund ergeben sich zwei Konsequenzen für die Auslegung des entscheidenden Satzes „Da also all das, was die inspirierten Verfasser …“: 1. Schon allein aus dem begründenden Nebensatz „Da also … gelten muss“ am Beginn dieses Satzes, der alles, was in den Büchern der Schrift steht, auf Gott zurückführt und sich dabei noch auf die eindeutigen Aussagen im Satz davor inklusive der Enzyklika beruft (nur das von Gott Gewollte steht in der Schrift), ergibt sich klar, dass im folgenden Hauptsatz nicht gemeint sein kann, dass in der Schrift nur die für das Heil wichtigen Wahrheiten wahr sein müssen, die rein „irdischen“ Angaben wie in den vom Kardinal genannten Beispielen (Orte, Personen, Zitate) jedoch nicht. 2. Aber auch der Hauptsatz wurde bewusst so formuliert, dass keinesfalls nur die in der Schrift enthaltene „veritas salutaris“, also die für das Heil wichtigen Aussagen über Glaube und Sitten, als irrtumslos gelten soll (das war ein Vorschlag gewesen, um das Problem zu lösen), sondern die Schrift zur Gänze die Wahrheit lehrt, die für unser Heil wichtig ist (dass also nicht alles, was außerhalb der heilswichtigen Wahrheiten auch noch wahr ist, in der Schrift steht; dass aber alles, was – und zwar um unseres Heiles willen – in der Schrift steht, wahr ist). Dazu schreibt Aloys Grillmeier ebd. 537: „Die Theologische Kommission … war eindeutig der Meinung, dass veritas salutaris stehenbleiben könne. Nur um einen Missbrauch dieses Ausdrucks – gemeint ist zugunsten einer Limitierung der Inspiration zu verhüten – wird eine neue Formel gewählt. Aus ,veritas salutaris’ wurde also ‚veritas, quam Deus salutis nostrae causa litteris sacris consignari voluit’.” Auch unabhängig von dieser Textgeschichte ergibt sich aus dem Hauptsatz selbst, dass eben der ganze Inhalt der Schrift von Gott mittels der menschlichen Autoren gelehrte Wahrheit ist, die für unser Heil wichtig ist (also keinen Irrtum enthält, auch nicht in „profanen Dingen“). Andernfalls müsste es nämlich heißen: „… und ohne Irrtum das als Wahrheit [oder: die Wahrheiten] lehren, was [die] Gott um unseres Heiles willen in den heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte.“ Eine solche Formulierung würde zumindest die Möglichkeit offenhalten, dass es in der Schrift neben dem Heilsnotwendigen noch andere Inhalte gibt oder eben geben kann, die nicht wahr sind. Vielleicht verstanden etliche der kritisch denkenden Konzilsväter, die die uneingeschränkte Inerranz der Bibel aufgeben wollten, diesen entscheidenden Satz in dem Sinn, wie er soeben von mir umformuliert wurde, und stimmten deshalb zu. Jedenfalls handelt es sich um ein Beispiel eines „Kompromisses“ im Konzil, mit dem die eigentlichen Fragen – hier jene nach der Inerranz der Schrift – nicht gelöst, sondern im Endeffekt die geltende Lehre nochmals festgeschrieben wurde. Das ergibt sich auch aus dem „Exkurs zu Artikel 11“ von Aloys Grillmeier (ebd. 548 – 551): „Das Konzil weist eindeutig jede Beschränkung der Inspiration auf bestimmte Wahrheiten oder einzelne Teile der Schrift zurück. … Zum Vorwurf der Beschränkung der Inerranz wird also nicht Stellung genommen. … Die Theologische Kommission wollte hier nichts festlegen – dies auch im Sinn der Intervention Pauls VI., wenigstens insofern er einer neuen Untersuchung nichts in den Weg legen wollte“ (ebd. 548f). Damit bestätigt Grillmeier, dass auf die von Kardinal König aufgeworfene Frage der Inerranz der Schrift keine Antwort gegeben werden sollte (also die bisherige Lehre beibehalten wurde). „Im Lichte des salutis causa [um des Heiles willen] erkennen wir die Heilige Schrift als eine geschichtete, komplexe Wirklichkeit – analog zu der Weise, wie die Kirche auf dem Konzil selber als ganze sich verstanden hat. Es gibt unmittelbare Heilsaussagen und -berichte, in denen sich dieser Formalbezug salutis causa in voller Eindeutigkeit verifiziert. Es gibt aber Teile der Schrift, die gegenüber diesen unmittelbaren Heilswahrheiten nur Hilfsfunktion ausüben. Hier kann es – unter der Sicht der profanen Wissenschaften – ein Zurückbleiben hinter der Wahrheit geben. … Im gebrechlichen Gefäß der menschlichen Sprache und menschlicher Schriften teilt sich uns Gottes Wort unverfälscht mit. … Somit kann man in einem wahren Sinn von der ganzen Schrift die Irrtumslosigkeit annehmen, wie auch die Inspiration alle Bücher und deren Teile erfasst. Alles in der Schrift hat somit Anteil an der ‚Wahrheit, die Gott um unseres Heils willen aufgezeichnet haben wollte’, entweder unmittelbar und inhaltlich oder mittelbar und kraft seines Dienstes an der Heilsaussage. … Was unter der Sicht der profanen Wissenschaft an materiellen Unrichtigkeiten und Ungenauigkeiten in der Schrift enthalten ist, darf nicht isoliert für sich betrachtet und einfachhin als ‚Irrtum’ bezeichnet werden. Dies alles ist im Ganzen der Bibel zu belassen und von seinem Dienst am Heilswort her zu beurteilen“ (ebd., 550). Grillmeier beschönigt hier die offensichtlich in der Bibel enthaltenen Irrtümer (es geht nicht nur um jene in der Sicht der profanen Wissenschaften: so kann etwa im Widerspruch zwischen den Synoptikern und dem Johannesevangelium in der Frage, ob Jesus am Pessachfest oder am Rüsttag gestorben ist, nur eine Antwort wahr sein) und bagatellisiert sie als „Zurückbleiben hinter der Wahrheit“ (so, als ob eben nicht alles gesagt worden wäre). Doch direkte Irrtümer wie die von Kardinal König genannten haben in keiner Weise „Anteil an der ‚Wahrheit’“, stehen nicht „im Dienst am Heilswort“, sondern sie heben die Irrtumslosigkeit auf und können als Argument gegen die Wahrheit anderer Aussagen und damit gegen die Lehre von der Inspiration herangezogen werden.