Univ. Prof. Dr. Fr. Kees Pouderroijen OSB Prof. für Gregorianik an der Musikuniversität Wien FREIHEIT DES GEWISSENS UND OFFENBARUNG IN DER KIRCHE Nach Kardinal John Henry Newman 1801 – 1890 Vorweg möchte ich einleitend sagen: ich bin kein Fachtheologe und ich werde hauptsächlich aus der persönlichen Erfahrung sprechen, weil ich die Schriften von Kardinal Newman besonders liebe . Auch Kardinal Newman sagt von sich: Ich kann nur über mich selbst reden und nur so Theologie betreiben. In dieser Hinsicht war er sehr modern. Kardinal Newman war ein echter „Victorian“, d.h. ein Mann der sehr typisch für das Victorianische Zeitalter Englands ist, er hat ja beinahe das ganze 19. Jhd. durchlebt. Das war die Zeit in der das British Empire auf dem Höhepunkt seiner Macht war und es neben aller Armut der arbeitenden Klasse eine relativ große Schicht der Bevölkerung gab, die so reich war, dass sie niemals arbeiten mussten. Die haben sich dann neben den schönen Künsten , der Musik der Literatur und dem angenehmen Leben in sehr kultivierten Schlössern und Pfarrhäusern auch in caritativen Vereinen damit beschäftigt, die Not der Armen zu lindern. Nun fragen wir uns: welche Rolle hat in diesem Jahrhundert die anglikanische Kirche gespielt? Der Beginn des Jahrhunderts und sein Ende sind da sehr verschieden voneinander. Sie müssen sich nicht vorstellen, dass die anglikanische Kirche am Beginn des 19. Jahrhunderts so aussah, wie wir sie heute kennen, vor allem was die Liturgie betrifft, die in sehr vieler Beziehung unserer katholischen Kirche ähnlich ist. Eigentlich gab es am Beginn des 19. Jhdts nicht in dem Sinn eine High-Church, wie wir sie heute kennen, das existierte einfach nicht. Die Kirche in ihrer Gesamtheit war eigentlich Low-Church geworden. Nun wissen sicherlich viele von Ihnen, dass John Henry Newman in der Erneuerung der anglikanischen Kirche eine sehr große Rolle gespielt hat. Die Oxfordbewegung ist entstanden. Das ist eine Bewegung innerhalb der Kirche von England, die in Oxford ihr Zentrum hatte und die eine tiefgreifende kirchliche Erneuerung durch Rückbesinnung auf das altkirchliche Verständnis von Kirche, Amt, Sakrament und Liturgie anstrebte und sich gegen den zeitgenössischen Liberalismus und den staatlichen Säkularismus wandte. Die neue Kirche sollte auf der „Via media“ zwischen Katholizismus und anglikanischem Protestantismus liegen. Ihre Vorstellungen verbreitete die Oxfordbewegung durch Flugschriften: „Tracts for the times“. Mitbegründer dieser Bewegung sind R.H. Froude, E.Pusey und John Henry Newman. Newman tritt aber 1845 zum Katholizismus über. Die Oxfordbewegung hat das religiöse Leben weiter Kreise in England stark geprägt und lebt heute in der High-Church auch weiter. Die Liturgie der englischen Kirche war am Beginn des 19. Jhdts Low Church, es gab keine eigenen Priester und bischöflichen Gewänder und Zeremonien, wie sie jetzt in den großen Kathedralen erlebbar sind. Auch theologisch war die Kirche eher Low.Church, geteilt in eine Fraktion, die sehr liberal war und in eine andere Fraktion, die sehr stark pietistisch beeinflusst war und zwar durch die Brüder Charles und John Wesley, die eine Erweckungsbewegung gründeten, was dann zur Gründung der Methodistischen Kirche führte. Wo steht nun J.H. Newman in dieser kirchlichen Situation? In seinem ersten Tractat stellt er fest: „Die apostolische Succession ist das Rückgrad der Christenheit.“ Ein Statement das mit den damaligen Auffassungen wohl kaum übereinstimmt! Am Ende seines Lebens, er ist schon in der katholischen Kirche und nimmt Stellung zu der Diskussion über das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes, stellt er fest: „Wenn ich – bei einer Tafel - einen Trinkspruch auf den Papst ausbringen sollte, ich würde, mit Verlaub, zuerst auf das Gewissen trinken!“ Wie kommt ein Mann dazu, solche Feststellungen zu treffen – an beiden Wahrheiten hat er bis zum Ende seines Lebens festgehalten. Beides sagt viel über Newman aus, über seine unglaublich reiche Persönlichkeit Für Mitteleuropäer ist J.H.Newman etwas schwer verständlich, man muss die englische Gesellschaft gut kennen um einen Zugang zu seiner Person zu gewinnen. In seiner Jugend war er calvinistisch, am ende seines Lebens katholisch. Ein weiter Bogen. Er war sehr sprachbegabt. In der englischen Literatur wird er als einer der größten Prosa-Schriftsteller des 19.Jhdts betrachtet. Seine Sprache ist von unglaublicher Subtilität sowohl in der Konstruktion wie in der Klangfarbe. Gleichzeitig war er sehr schweigsam – hat aber ein ungeheures literarische Oeuvre hinterlassen. Er war mathematisch hochbegabt und hat bis zu seinem 50. Lebensjahr alle wissenschaftlichen Arbeiten über Mathematik verfolgt, gleichzeitig war er ungeheuer emotional, künstlerisch begabt und auch sehr musikalisch. Bis ans Ende seines Lebens spielte er die Geige und es wird berichtet, dass er während des Spiels oft in Tränen ausbrach. Theologisch entwickelt er sich von einem Calivinisten zu einem katholisierenden Protestanten und zuletzt zu einem Katholiken. Ich glaube wir sollten auch festhalten, dass er nicht an der Wiege der liturgischen High Churchbewegung stand, dem so genannten Ritualismus. Dieser hatte seinen Sitz in Cambridge. Dort hat man auch die Form der hochkirchlichen Liturgie, wie sie heute in der High-Church praktiziert wird, entwickelt. Parallel dazu, entwickelt sich die hochkirchliche Theologie in Oxford. Man greift zurück auf die mittelalterliche Liturgie, sowohl was die Gewänder als auch die Zeremonien betrifft. Newman selbst hat als anglikanischer Priester nie ein Priestergewand getragen, sondern er predigt im Gewand des protestantischen Pastors, dem langen schwarzem Gewand mit den weißen Bäffchen, auch wenn er das Abendmahl, die Messe feierte. Newman war in Oxford ein allgemein bewunderter Prediger und ein anerkannter Pädagoge. Er war ein glänzender Financier, stammte er doch aus einer Bankiersfamilie. Seine Finanzen waren immer in Ordnung, er hat 3 Kirchen gebaut, die Universitätskirche in Dublin, eine in Birmingham und dann die Kirche des Oratorims des Phillip Neri. Er hatte einen geisteskranken Bruder, Charles, der eigentlich ein Genie war, aber doch sehr oft in eine Nervenheilanstalt musste, dessen Finanzen hat er bis zu seinem Lebensende verwaltet. Am Kontinent stellt man sich Newman als eine sehr ernsthafte, fast melancholische Figur vor. Dieser Aspekt existiert auch in seinem Charakter, aber er konnte gleichzeitig unheimlich witzig sein, von einer großen geistigen Beweglichkeit. Die Konversion zum Katholizismus war für ihn wie ein Gang in die Wüste. Er musste sein ganzes kulturelles und intellektuelles Milieu verlassen, denn es gab zwar in England Katholiken, aber das war eine ganz verschwindend kleine Schicht von hocharistokratischen Familien, die während der Reformation katholisch geblieben und die untereinander verschwägert und verwandt waren auf der einen Seite und die Iren auf der anderen Seite, hauptsächlich Arbeiter in den Industriestädten. Von geistiger Aufgeschlossenheit und Beweglichkeit war da nichts zu merken. In diese Kirche tritt er ein, d.h. er war komplett isoliert! Er ist großen Anfeindungen von Seiten des Klerus und auch von Rom ausgesetzt, es werden ihm keinerlei Aufgaben gestellt, die seinen Fähigkeiten und Begabungen auch nur annähernd entsprochen hätten. Das hat ihn psychisch schwer getroffen, vor allem in den ersten Jahren. Er war einer der fruchtbarsten Dichterseiner Zeit. Er hat eine Unmenge von Briefen geschrieben, die mehrere Bände füllen und es gibt zahlreiche Bände seiner Predigten. Seine Haupttraktate: „The prophetical office of the church“ – daraus wird die Via media innerhalb der anglicanischen Kirche. „ The area of the 4th centurie“, “The letters of justification”. Er zieht sich als Studentenpfarren, als Vicar of St. Mary in Oxford zurück und geht nach Littlemoore, ein ganz kleine Kirche, die zu der Kirche St. Mary dazugehört und dort setzt er diesen erstaunlichen Schritt, nämlich dass er in die katholische Kirche eintritt. ES kommt zu einer Begegnung mit einem Passionistenpater, Domenico Barberi, der schon als kleiner Bub die Vision hatte, er müsse als Missionar nach England gehen, und nur unter den erstaunlichsten Schwierigkeiten und nach Überwindung größter Hindernisse in das Priesteramt und letztlich nach England kommt. Ihn trifft Newman am Tage seiner Konversion und eine gegenseitige Bewunderung ist das Ergebnis ihres Zusammentreffens. „The devellopement of the christian doctrin“ ist die Arbeit dieser Jahre und in ihr entwickelt er 10 Jahre vor Darwin die Lehre von der Evolution. Er schaltet sich in die Diskussion um die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes ein und schreibt einen „Öffentlichen Brief an den Duke of Norfolk“ Dieser stammt aus einer dieser alten katholischen Familien höchsten Ranges. In diesem Brief setzt er sich vor allem mit den Fragen zum Gewissen auseinander. Newman wurde in der katholischen Kirche nicht mit offenen Armen aufgenommen, man misstraute ihm Und als er die katholische Universität in Dublin mitbegründete ist er ziemlich unschön hinausgeekelt worden. Als er als Lügner von einem Pastor der Low Church namens Kingsley bezichtigt wird, er sei ja gar nicht wirklich katholisch sondern eigentlich protestantisch und schon als junger Mensch wäre er ein verkappter Calviner gewesen, und hätte es mit der Wahrheit nie genau genommen, veröffentlicht er eine Darstellung seines Lebens in 8 Teilen: Apologia pro vita sua, das wöchentlich in Zeitungen veröffentlicht wurde, ähnlich wie die Romane von Dickens, und das fand eine ungeheure Verbreitung und erstand rasch wieder im Mittelpunkt allgemeinen Interesses. Diese Schrift hatte einen ungeheuren Widerhall. Sie ist keine Biographie im klassischen Sinn, es geht ihm nur darum, nachzuweisen, was die Konsistenz der Entwicklung seiner Ideen gewesen ist, die zu diesem Schritt des Übertritts in die katholische Kirche geführt hat. Ein Hauptmerkmal der Newman’schen Spiritualität ist das innerliche Leben. Wenn wir über das Gewissen reden, so können wir das nicht, ohne von der Einwohnung Gottes in unserer Seele zu sprechen. Das Gewissen ist nicht ein Stimmlein, das wie ein Radio etwas zu uns sagt, dann wenn wir zuhören möchten, das Gewissen hat zu tun mit dem gesamten innerlichen Zustand unserer Person. Es ist keine isolierte Meldung. In seinen Predigten betrachtet Newman immer wieder den sichtbaren und den unsichtbaren Aspekt des Christentums. Seine Ideen über das Gewissen gehen immer Hand in Hand mit der Betrachtung der Einwohnung Gottes in der Seele. Das eigentliche Ziel christlicher Erkenntnis ist zu erkennen, dass Gott in mir wohnt seit der Taufe, im Tempel meines Leibes. Daraus folgt, wie wir miteinander umgehen – wie ich den Nächsten liebe. Es handelt sich um eine Liebesbeziehung zwischen mir und Gott, darum geht’s. Als der Pfarrer von Ars einst einen Bauern, der in der Kirche saß fragte: Was tust du hier? , bekam er zur Antwort: „Ich schaue zu Gott und Gott schaut mich an!“ Das ist es, worum es geht. Aber genau das ist es, was uns heute im Christentum fehlt. Wir haben dafür keine Zeit und keinen Sinn. Darum wenden sich viele Menschen den asiatischen Methoden und Religionen zuz. Die Überzeugung, dass Gott in der Seele wohnt ist verbunden mit dem Mysterium des Heiligen Geistes. Gerade über den Heiligen Geist hat Newman sehr sehr lesenswerte Predigten geschrieben! Es ist doch merkwürdig, dass Christus zuerst auferstehen und zum Himmel aufsteigen muss und erst dann der Heilige Geist kommen kann. Diese Tatsache ist für Newman das Hauptargument, dass das Christentum innerlich leben muss und nicht nur äußerlich ist, denn all das, was uns durch den Heiligen Geist gegeben ist, ist uns in unserem Inneren geschenkt, und alles, was uns durch die Kirche geschenkt wurde, ist uns gegeben durch den Heiligen Geist. Daraus folgt, dass unsere Rechtfertigung ein innerliches Werk ist, ein Werk des Geistes. „Wie die Gnade der Eucharistie die Gegenwart des gekreuzigten Christus ist, in den Gaben von Brot und Wein, so ist die Rechtfertigung von denen, die diese Eucharistie nehmen und essen, die Einwohnung des auferstandenen Herrn in unseren Herzen.“ Von da aus ist das Gewissen absolut primorial. Wenn ich also in Konflikt gerate ist also die Frage zunächst, wie Tief wird das Gewissen verstanden? Ist es nur die Stimme, die mir sagt: Ja, das gefällt mir eigentlich besser? – oder höre ich wirklich auf Gott? Gewissen ist verbunden mit dem tiefsten Mysterium unseres Glaubens: Mit der Einwohnung Gottes in unserer Seele, durch die Taufe. Christi Werk der Barmherzigkeit ist immer unter 2 Aspekten zu sehen: a) Was hat er getan für alle Menschen? b) Was hat er getan für jeden einzelnen, immer und immer wieder ? Was hat er getan außen um uns herum und was tut er in uns selbst, was bewirkt er auf Erden und was bewirkt er im Himmel. Was hat er getan in seiner eigenen Person und was bewirkt er durch den Heiligen Geist? Ständig ist bei Newman sowohl die Innerlichkeit als auch der äußerliche Aspekt der Kirche präsent. Diese Lehre steht auch im Mittelpunkt seiner „Betrachtungen und Gebete“, die er für sich selbst niedergeschrieben hat. Im Folgenden einige direkte Zitate aus seinen Schriften zum Thema Gewissen: