1 Toleranz und Menschenwürde bei den vortheodosianischen Kirchenvätern Martin Schlag 1. Einführung Das Zweite Vatikanische Konzil hat mit der Erklärung Dignitatis Humanae1 einen Perspektivenwechsel hinsichtlich der Religionsfreiheit vorgenommen2. Vor und nach dem Konzil vertrat und vertritt die Katholische Kirche die Lehrmeinung, dass das Heil nur durch und in der Wahrheit erreicht werden kann, und dass diese Wahrheit in der katholischen Kirche zu finden ist3. In diesem Punkt hat sich im Zweiten Vatikanischen Konzil nichts verändert. Wo es hingegen zu einem Reformschritt und daher zu einer Diskontinuität in Kontinuität gekommen ist, ist das Verhältnis von Staat und Wahrheit. Vor dem Konzil ging man von einem dualen System aus: in den Ländern mit mehrheitlich katholischer Bevölkerung sollte der Staat die wahre Religion beschützen und fördern, möglichst als Staatsreligion4; in jenen Ländern hingegen, in denen die Katholiken als Minderheit lebten, erbat man für sie Religionsfreiheit. Dieses verschiedene Maß wurde damit gerechtfertigt, dass nur die Wahrheit Rechte besitze, der Irrtum hingegen nicht. Während des Konzils setzte sich jedoch die Erkenntnis durch, dass nicht die Wahrheit als solche Rechte haben kann. Nur Personen haben Rechte, in erster Linie das Recht auf Wahrheit5. Wo man von einem umgekehrten Verhältnis ausgeht, also wenn für die Wahrheit Rechte eingefordert werden, dann wird vertuscht, dass es in Wirklichkeit um Herrschaft von Menschen über Menschen geht: Diejenigen, die sich für Träger der Wahrheit halten, beanspruchen im Namen der Wahrheit das Recht, diese Wahrheit jenen, die sie nicht besitzen mit staatlichen Zwangsmitteln zu oktroyieren. Das Zweite Vatikanische Konzil hingegen fordert nunmehr allgemein für alle das liberale bürgerliche Menschenrecht auf Freiheit von staatlichem und 1 Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung vom 7.12.1965 Dignitatis humanae über die Religionsfreiheit. Das Recht der Person und der Gemeinschaft auf gesellschaftliche und bürgerliche Freiheit in religiösen Belangen. 2 (1974). Siehe das aufschlussreiche Buch von Amadeo de Fuenmayor, La libertad religiosa, EUNSA, Pamplona 3 Dignitatis humanae, 1. 4 Siehe etwa Leo XIII., Enz. Immortale Dei, 1. Nov. 1885: ASS 18 (1885) 161. 5 Einen guten Überblick gibt Kenneth D. Whitehead, Affirming Religious Freedom. How Vatican Council II Developed the Church's Teaching to Meet Today's Needs, St. Pauls, New York (2010). 2 gesellschaftlichem Zwang in religiösen Fragen. Jeder Mensch soll - im Rahmen der öffentlichen Ordnung - ungezwungen, seiner Pflicht nachkommen dürfen, den wahren Gott zu suchen und ihn individuell und gemeinschaftlich anzubeten. Dieses Recht bleibt aber auch jenen erhalten, die ihrer Pflicht, nach der Wahrheit zu suchen, nicht nachkommen 6. Damit hat die Kirche das zentrale Element des säkularen Staates akzeptiert: Der säkulare Staat gibt religiöse Überzeugungen frei, dafür leiht er seinen Macht- und Zwangsapparat auch nicht mehr der Kirche. Der „weltliche Arm“ des Staates steht der freien Kirche nicht mehr zur Verfügung7. Ist die Kirche sich selbst treu geblieben oder hat sie mit ihrer eigenen Tradition gebrochen? Papst Benedikt hat diese Frage mit dem Hinweis auf die „Hermeneutik der Reform“ beantwortet: Das Zweite Vatikanische Konzil habe Kontinuität in den Prinzipien bewahrt (etwa der Gewissensfreiheit, der Unzulässigkeit von Zwang in Glaubensfragen, etc.), aber notwendige Korrekturen auf der Ebene der historisch-kontingenten Anwendung dieser Prinzipien vorgenommen. Konkret führt er dazu aus: „Das Zweite Vatikanische Konzil hat mit dem Dekret über die Religionsfreiheit einen wesentlichen Grundsatz des modernen Staates anerkannt und übernommen und gleichzeitig ein tief verankertes Erbe der Kirche wieder aufgegriffen. Diese darf wissen, daß sie sich damit in völligem Einvernehmen mit der Lehre Jesu befindet (vgl. Mt 22,21), ebenso wie mit der Kirche der Märtyrer, mit den Märtyrern aller Zeiten. Die frühe Kirche hat mit größter Selbstverständlichkeit für die Kaiser und die politisch Verantwortlichen gebetet, da sie dies als ihre Pflicht betrachtete (vgl. 1 Tim 2,2); während sie aber für den Kaiser betete, hat sie sich dennoch geweigert, ihn anzubeten und hat damit die Staatsreligion eindeutig abgelehnt. Die Märtyrer der frühen Kirche sind für ihren Glauben an den Gott gestorben, der sich in Jesus Christus offenbart hatte, und damit sind sie auch für die Gewissensfreiheit und für die Freiheit, den eigenen Glauben zu bekennen, gestorben – für ein Bekenntnis, das von keinem Staat aufgezwungen werden kann, sondern das man sich nur durch die Gnade Gottes in der Freiheit des eigenen Gewissens zu eigen machen kann. (…) Das Zweite Vatikanische Konzil hat durch die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen dem Glauben der Kirche und bestimmten Grundelementen des modernen Denkens einige in der Vergangenheit gefällte Entscheidungen 6 Die historische Entwicklung des Verhältnisses von Christentum und säkularem Staat ist vorzüglich dargestellt bei Martin Rhonheimer, Cristianesimo e laicità: storia ed attualità di un rapporto complesso, in: Pierpaolo DONATI (Hrsg), Laicità: la ricerca dell'universale nelle differenze, Il Mulino, Bologna (2008). Auf Spanisch erschienen: Cristianismo y laicidad. Historia y actualidad de una relación compleja.Rialp, Madrid (2009). Die stark erweiterte deutsche Fassung wird bald erscheinen. 7 Ernst-Wolfgang Böckenförde und Josef Isensee haben diese Entwicklung ausführlich beschrieben, vgl. Ernst- Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, Erstveröffentlichung in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Kohlhammer, Stuttgart (1967), 75 ff; wiederabgedruckt in: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit. Erweiterte Ausgabe. Suhrkamp, Frankfurt (2006), 92 ff; Josef Isensee, Die katholische Kritik an den Menschenrechten. Der liberale Freiheitsentwurf in der Sicht der Päpste des 19. Jahrhunderts, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde/Robert Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, Klett-Cotta, Stuttgart (1987), 138 ff. 3 neu überdacht oder auch korrigiert, aber trotz dieser scheinbaren Diskontinuität hat sie ihre wahre Natur und ihre Identität bewahrt und vertieft.“8 In der Folge soll diese Aussage untersucht werden. Inwieweit haben die Kirchenväter die Religionsfreiheit im Sinn von Dignitatis humanae gelehrt? Denn nur in dem Maß, in dem sie es getan haben, kann die Kirche auch ihr eigenes Erbe wieder aufgreifen. In diesem Aufsatz bleibt die Untersuchung auf die Zeit der Christenverfolgung und die ersten Jahrzehnte nach der konstantinischen Wende (313) beschränkt, denn mit Theodosius I. (379-395) wurde ja das Christentum die Staatsreligion des Römischen Reiches9, und damit veränderte sich grundlegend die Ausgangslage. Es wird zuerst kurz die Situation der Christen im Römischen Reich bis gegen Ende des 4. Jahrhunderts dargestellt (2.), danach eine allgemeine Charakterisierung der Lehre der Kirchenväter (3.) versucht. Als besonders wichtig werden die Aussagen von Tertullian, Cyprian und Laktanz zu Toleranz und Religionsfreiheit zusammengefasst (4.-6.). Als These dieser Untersuchung kann vorweggenommen werden, dass die vortheodosianischen Kirchenväter und kirchlichen Schriftsteller Gewalt, besonders staatlichen Zwang in Religionsangelegenheiten ablehnen und diese Religionsfreiheit auf der Wahrheit auf bauen, die nur durch freie Zustimmung angenommen werden kann. Sie entwickeln einen eigenständigen Begriff der Religionsfreiheit, der über den römischrechtlichen Begriff einer uneigentlichen Religionsfreiheit hinausgeht. Die Vermengung von Kirche und Staat ist nicht ursprünglich christlich, sondern entstammt der heidnisch-römischen Tradition. 2. Die Situation der Christen im Römischen Reich in den ersten vier Jahrhunderten. 8 Benedikt XVI., Ansprache am 22.12.2005 anlässlich des Weihnachtsempfangs für die Römische Kurie, zitiert nach www.vatican.va, abgefragt am 5.7.2010. 9 Im Religionsedikt von Thessalonich im Jahre 380 erklärte Theodosius I. das Glaubensbekenntnis von Nicäa für alle Untertanen des Römischen Reiches bei sonstiger Infamie für verpflichtend. Es richtete sich zwar in erster Linie gegen den Arianismus, aber indirekt auch gegen das Heidentum, denn das katholische Christentum war die alleinige Staatsreligion geworden. 392 folgte das Edikt von Konstantinopel, durch das jeder heidnische Kult, auch der private, im ganzen Kaiserreich verboten wurde. Für eine allgemeine Einführung siehe Karl Voigt, Staat und Kirche von Konstantin dem Großen bis zum Ende der Karolingerzeit, Scientia Verlag, Aalen (1965, Neudruck der Ausgabe Stattgart 1936), zum oben Stehenden Seite 36; Joseph Lecler, Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation, 2 Bände, Schwabenverlag, Stuttgart (1965), Band I, 107 (deutsche Übersetzung aus dem französischen Original Histoire de la tolérance au siècle de la réforme, Éditions Montaigne, Paris (1955). Man beachte die zutreffende Entscheidung des Übersetzers, das französische „tolérance“ auf Deutsch mit „Religionsfreiheit“ wiederzugeben.) 4 a) Die Zeit bis zu den Edikten des Decius und Valerius Im Rahmen dieses Aufsatzes geht es nicht darum, die Geschichte des Verhältnisses von Christentum und heidnischem Römischen Reich wiederzugeben10, sondern den Hintergrund zu skizzieren, vor dem das Opfer der Märtyrer und die Äußerungen der christlichen Schriftsteller verständlich werden11. Die Christen genossen zunächst den Schutz und die Privilegien, die das Römische Reich dem Judentum als mit besonderen Privilegien ausgestattete religio licita gewährte. So durften Juden die Sabbatruhe einhalten, sie waren vom Militärdienst befreit und durften ihre Söhne beschneiden12. Es ist eine mehrfach vertretene These, dass die typisch lateinische Bezeichnung „christiani“ wohl zu Beginn der 40er Jahre in Antiochien von der römischen Behörde gebildet wurde, um die Gemeinde als politische Bewegung abzustempeln, die im Gegensatz zum römischen Bundesgenossen Herodes Antipas stand13. „Christiani“ waren also wie die Herodiniani, Pompeiani, Caesariani, Vitelliani, etc. eine politische Partei oder besser eine Art Verschwörung, deren angeblich geheimer Charakter genügte, um die Christen suspekt erscheinen zu lassen. Spätestens nach Catilina hat man solche echten oder vermeintlichen Verschwörungen gerne aller möglicher Verbrechen, besonders Brandstiftung, Inzest, Mord, Menschenopfer, etc. beschuldigt. Plinius entdeckt bei seinen Verhören Anfang des 2. Jahrhunderts zu seiner Überraschung, dass es sich bei den „christiani“ um keine verschworene politische Bande handelte, sondern um eine „superstitio“. Unter diesem Wort „superstitio“ ist im weiteren Sinn „Aberglauben“ gemeint; im engeren juristischen Gebrauch bedeutet es ein „Abweichen vom vaterländischen 10 Hierfür können konsultiert werden: Ernst Dassmann, Kirchengeschichte I, Kohlhammer, Stuttgart Berlin Köln (1991), 71 ff; Karl Suso Frank, Lehrbuch der Geschichte der Alten Kirche, Schöningh, Paderborn (21991) 78 ff; Joseph Vogt, Christenverfolgung I (historisch), in: Reallexikon für Antike und Christentum, Band 2 (RAC 2), 1159 ff; Hugh Last, Christenverfolgung II (juristisch), in: RAC 2, 1207 ff; Joachim Molthagen, Der römische Staat und die Christen im zweiten und dritten Jahrhundert, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen (1970). 11 Damit sollte sich auch die Anklage entkräften, die katholische Kirche sei die Urheberin praktisch aller Intoleranz, die es in Europa während der letzten 2000 Jahre gegeben habe, vgl. die Zusammenstellung von Vorwürfen und deren Entkräftung bei Arnold Angenendt, Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Aschendorff, Münster (52009), bes. 13 ff. 12 Diese Sonderstellung und auch der Verzicht auf Schweinefleisch wurde in der profanen lateinischen Literatur zT spöttisch zur Kenntnis genommen, vgl. die Nachweise bei Günter Stemberger, Juden, in: RAC 19, 160 ff. 13 Heinrich Karpp, Christennamen, in: RAC 2, 1114 ff, 1132; Joseph Vogt, Constantin der Große und sein Jahrhundert, Verlag F. Bruckmann, München (21969), 76; Joachim Molthagen, Der römische Staat, 32. 5 Gottesdienst, zu fremden, vom Staat nicht anerkannten Göttern“14. Ein solches Verhalten wurde vom römischen Staat relativ tolerant gehandhabt, obwohl Cicero bezeugt, dass der öffentliche Kult einer neuen Gottheit vom Senat bewilligt werden musste15. Im späteren Prinzipat, noch nicht aber unter Trajan, wurde die Einführung von neuen und unbekannten Religionen, durch die „animi hominum moveantur“ mit dem Tod bzw. mit Verbannung bedroht16. Plinius konnte sich für seine an den Christen vollstreckten Todesurteile noch nicht auf dieses Gesetz stützen, sondern wahrscheinlich auf ein „Mandat“ des Kaisers Nero, also auf einen internen administrativen Erlass, der den Provinzstatthaltern gemeinsam mit anderen Normensammlungen als Dienstanweisung mitgegeben wurde17. Ohne ein solches Mandat wäre es unerklärlich gewesen, dass Plinius dJ mit großer Selbstverständlichkeit Todesurteile verhängte, noch dazu, da er Trajan erklärt, er habe mit Christenprozessen noch keine Erfahrung gehabt18. Seine grausam durch Folter zweier Diakonissinnen und der Hinrichtung anderer gemachte Entdeckung, dass es sich beim Christentum eben nur um eine „superstitio“ handle, die zwar „prava, immodica“ sei aber bei der keines der Verbrechen festgestellt werden konnte, die ihnen durch die Gerüchte angedichtet worden waren (Kannibalismus, Mord, Diebstahl, Ehebruch, etc.), lässt ihn an der bestehenden Regel zweifeln. Die Tatsache, dass sehr viele Menschen beiderlei Geschlechts und jeden Alters der superstitio anhangen, bewegt Plinius den Fall vorzulegen. Man spürt aus seinem Brief so etwas wie Respekt vor jenen, die er verfolgen muss. Trajan antwortet auf der Linie seiner konservativen Grundhaltung, bestehendes Recht nicht abzuändern, präzisiert aber die Bestimmungen. Kapitalverbrechen bleibt das bloße „nomen christianum“: „christianous me einai“, „non licet esse vos!“19, lautet der Straftatbestand. Bekennt jemand Christ zu sein, werden keine weiteren Untersuchungen oder Nachforschungen nach Verbrechen angestellt. 14 Stichwort „superstitio“, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, J.B.Metzlersche Verlagsbuchhandlung Stuttgart (1931), 937 ff. Im Neuen Pauly fehlt das Stichwort. 15 Cicero, De legibus, 2. Buch, 8. Kapitel. 16 So Adolf Berger, Encyclopedic Dictionary of Roman Law, The American Philosophical Society, Philadelphia (1953), 725. 17 Das ist die These Joachim Molthagens, Der römische Staat, 21 ff; vorsichtig zustimmend Karl Suso Frank, Lehrbuch der Geschichte der Alten Kirche, 80; anderer Auffassung Joseph Vogt, Constantin der Große, 77, der davon ausgeht, dass es 112 n. Chr., als Plinius dJ Statthalter von Pontus und Bithynien war, noch keinerlei gesetzliche Bestimmung gegeben habe. 18 C. Plini Caecili Secundi, Epistolarum libri decem, X., ep. 96, in: Plinius der Jüngere, Briefe, übersetzt von Helmut Kasten, Heimeran Verlag, München (1968), 640 ff. 19 Überliefert bei Tertullian, Apologeticum IV, 4, CCL I, 93, für eine lateinisch – deutsche Ausgabe, Kösel, München (1952). 6 Es darf jedoch nicht von Amts wegen nach Christen geforscht werden; anonyme Anzeigen sind generell (also nicht nur im Fall der Christen) unzulässig. Die von den abtrünnigen Christen geforderten Handlungen (Kult der römischen Götter, Opfer vor dem Kaiserbild und Verfluchung Christi) sind nur Beweismittel dafür, dass der oder die Betroffenen keine Christen sind, denn „quorum nihil cogi posse dicuntur, qui sunt re vera Christiani“. Strafbar war also nicht erst die Unterlassung des Götteropfers, sondern das bloße Christsein. Dieser Briefwechsel zwischen Plinius und Trajan war in der Antike bekannt und es ist anzunehmen, dass die Präzisierungen durch das kaiserliche Reskript in die Mandatensammlung der Gouverneure Aufnahme fand. Jedenfalls bildete er bis Decius (249-251) die Grundlage für die Gleichförmigkeit und auch Sporadizität (weil keine planmäßige Ausforschung erlaubt war) der Christenprozesse im Reich. Tertullian zitiert ihn fast 100 Jahre später präzise in seinem Apologeticum20 und greift die römischen Behörden auch dafür an, dass es ihnen untersagt ist, die Wahrheit über die Christen herauszufinden21. Molthagens These, der hier weitgehend gefolgt wurde, dass das „nomen christianum“ politischer Natur war22, und die römischen Verfolgungen daher auch politischen Charakter als Kampf gegen eine Geheimverschwörung trugen, können mE doch nicht genügend das Phänomen des Christenhasses erklären. Sicherlich spielte, wie Tertullian in seinen berühmten Formulierungen hervorhebt, Unwissenheit eine große Rolle für den Hass23, aber fast drei Jahrhunderte blinden Hasses bedürfen einer tieferen psychologischen Erklärung. Es müssen weitere Elemente ursächlich gewesen sein als bloß politische, deren Unhaltbarkeit ja nach einiger Zeit offenkundig wurde. Auf die heidnischen Römer provozierend muss die Absonderung der Christen vom öffentlichen Leben gewesen sein. Sie nahmen nicht an den Opfern in den Tempeln teil, nicht an den kultischen Darstellungen der Göttertaten, an der sakralen Unzucht, an den Gladiatorenkämpfen, etc. Wenn auch bis Decius und Diokletian der staatliche Götterkult nicht allgemein verpflichtend war, unterließen die Christen die Verehrung der römischen Götter und begingen somit das Vergehen der „negligentia deorum“. Hier kommt ein Grundzug des römischen Religionsverständnisses zum Ausdruck. Einerseits institutionalisierte das Römische Reich eine Art (zumindest privater) Religionsfreiheit, die in synkretistischer Manier Toleranz gegenüber neu hinzukommenden Gottheiten praktizieren ließ. Andererseits aber war es fester Bestandteil des römischen öffentlichen Rechts, dass der Staat für den 20 Tertullian, Apologeticum II, 6, CCL I, 88. 21 Ebenda, I, 1. 22 Joachim Molthagen, Der römische Staat, 30 ff. 23 Tertullian, Apologeticum I, 6, CCL I, 86: „(…) simul desinunt ignorare, cessant et odisse.“ 7 rechten Gotteskult zu sorgen hatte, um die pax deorum zu gewährleisten, von der die salus publica abhing. Durch die Unterlassung jeglichen sichtbaren Götterkultes setzten sich die Christen dem Vorwurf aus, ihr Verhalten schade dem öffentlichem Wohl und sie seien schuld an eingetretenen Naturkatastrophen, die die Götter als Strafe für ihre Geringachtung geschickt hätten24. Die arkanen Kultgebräuche der Christen, ihre völkerverbindende Brüderlichkeit und ihre Relativierung sozialer Unterschiede zwischen Sklaven und Freien waren auch für den römischen Zeitgeist provokant. All das mag das „odium humani generis“ ausmachen, das Tacitus den ersten Christen nachsagt25. b) Die Edikte des Decius, Valerius und Diokletian. Mit Decius und Valerius ändern sich der Inhalt und die Rechtsgrundlage der Verfolgung. Der Inhalt der Edikte dieser Kaiser kann aus den verschiedenen gleich lautenden Opferbescheinigungen rekonstruiert werden, die in der archäologischen Forschung aufgefunden worden sind26. Die Edikte begründeten eine universelle Opferpflicht an die römischen Staatsgötter, um durch diese „supplicatio“ des ganzen Reichs die Gunst der Götter zu sichern. Gleichzeitig konnte so in den Augen der Kaiser die Loyalität der Bevölkerung festgestellt werden. Es wurde nicht gefordert, nicht mehr Christ zu sein (wie das im neronischen Mandat verlangt wurde, das parallel zu den Opferedikten bestehen blieb), sondern zu opfern. Für das römische Religionsverständnis war ein solcher Kompromiss möglich, nicht aber für das jüdische und das christliche Religionsverständnis. Diokletian verschärft die Verfolgung nochmals. Seine große Christenverfolgung, die erst am Ende seiner langen Regierungszeit und eher widerwillig beginnt, zielt auf eine Zerstörung der Kirche und eine Rückkehr zum Götterkult. Er fordert nicht bloß ein Opfern parallel zum ansonsten tolerierten christlichen Glauben, sondern eine Abkehr vom Christentum. Wie Galerius (305-311) in seinem Toleranzedikt von Sardika aus dem Jahr 311 eingesteht, ist diese Politik schließlich gescheitert27. 24 Siehe Karl Suso Frank, Lehrbuch der Geschichte der Alten Kirche, 35 ff; Alberto Barzanò (Hrsg.), Il cristianesimo nelle leggi di Roma imperiale, Paoline, Mailand (1996), 13 ff. 25 P. Cornelius Tacitus, Annalen XV, 44, 4. Sowohl Tacitus als auch Sueton bezeichnen die Christen übrigens als „superstitio“, also als an sich nicht strafbare religiöse Gruppe. Tacitus, Annalen XV, 44, 3: „exitiabilis superstitio“; Sueton, Nero XVI, 2: „superstitio nova et malefica“. Beide gehören zum Freundeskreis Plinius des Jüngeren und könnten von diesem ihre Einschätzung übernommen haben. 26 Siehe Joachim Molthagen, Der römische Staat, 61 f. 27 Vgl. William Seston, „Diocletianus“, in: RAC 3, 1036 ff, bes. 1045 ff; Joseph Vogt, Christenverfolgung I (historisch), in: RAC 2, 1159 ff; 8 c) Die konstantinische Wende Schon Galerius gewährt 311 äußerst widerwillig den Christen Kultfreiheit28. Er tut dies in der altrömischen Grundhaltung, dass die Verehrung der Götter für die „salus publica“, das Wohl des Staates und des Kaisers notwendig ist: Da die Christen eine solche Dummheit ergriffen habe, dass sie die Einrichtungen der Vorväter nicht mehr aufrecht hielten, und mit Zwang nichts zu erreichen gewesen sei, außer dass sie nun weder zu den alten Göttern noch zu Christus beteten, sollen sie ihrer Pflicht nachkommen und wenigsten zum Gott der Christen für den Kaiser beten. Der in der Ostkirche als Heiliger verehrte, „apostelgleiche“ Kaiser Konstantin (313-337) geht ohne Zweifel in seinem Wohlwollen für das Christentum wesentlich weiter29. Konstantin bewahrte aber im Allgemeinen Toleranz und Klugheit auch gegenüber den Heiden. Die Mailänder Vereinbarung zwischen ihm und seinem Mitkaiser Licinius aus dem Jahr 31330 gewährte ausdrücklich sowohl Heiden als auch Christen Religionsfreiheit. Christen und auch alle anderen erhielten vom Staat die Freiheit, „die religiöse Macht zu verehren, die sie wollen“. Keinem wird verboten, „sich der Religion der Christen oder der Religion, die jeder für sich selbst als die angemessenste betrachtet, zuzuwenden.“ Freilich betraf diese Veränderung vor allem die Christen und die Kirche, die voller Freude über das Ende der Verfolgung und die kaiserliche Gunst waren. Kaiser Konstantin hat sich selbst als von Gott Gesandten bezeichnet, der den wahren christlichen Glauben fördern solle, hat sich aber stets der Heidenverfolgung widersetzt. Er blieb den Heiden (nicht aber den christlichen Häretikern) gegenüber tolerant31. Er behielt den Titel „Pontifex maximus“ und beließ den heidnischen Kulten ihre Privilegien, nahm jedoch persönlich nicht an Opfern teil, selbst dann wenn es dadurch zu Spannungen mit dem stadtrömischen Senat kam. Allerdings wurde unter Konstantin die private Opferschau verboten, weil sie als staatsgefährdend galt, und höheren 28 Der Text des Edikts des Galerius, wie ihn Laktanz überliefert, ist wiedergegeben in: Volkmar Keil (Hrsg und Übersetzer), Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins des Großen, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt (1989), 40 ff. Dazu auch Karl Suso Frank, Lehrbuch der Geschichte der Alten Kirche, 93 f. 29 Es kann in diesem Aufsatz keinesfalls weder eine historische Darstellung des Wirkens Konstantins noch eine allgemeine Geschichte der Kirche im 4. Jahrhundert geboten werden, da dies nicht sein direkter Gegenstand ist. Es sei nochmals betont, dass hier lediglich versucht werden soll, einen allgemeinen historischen Hintergrund zu skizzieren, vor dem die Äußerungen der Kirchenväter verständlicher werden. Grundlegend für die persönliche Entwicklung Konstantins ist das Buch von Heinz Kraft, Kaiser Konstantins religiöse Entwicklung, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen (1955). Einen detailreichen und ausgewogenen Überblick gibt Ernst Dassmann, Kirchengeschichte II/1. Konstantinische Wende und spätantike Reichskirche, Kohlhammer, Stattgart Berlin Köln (1996). 30 Der Text dieser Vereinbarung ist in seinen beiden Fassungen, die jeweils von Eusebius und Laktanz überliefert werden, wiedergegeben in: Volkmar Keil (Hrsg und Übersetzer), Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins des Großen, 58 ff; 31 Vgl. Giuseppe Zecchini, Il quadro politico, in: Marta Sordi (Hrsg.), L’Impero Romano-Cristiano, Coletti, Roma (1991) 11 ff. 9 heidnischen Beamten die Teilnahme an heidnischen Opfern untersagt. Es kam auch zu einigen wenigen Tempelzerstörungen, wo das für Kirchenbauten erforderlich war32. Auch in der Gesetzgebung Kaiser Konstantins merkt man christliche Einflüsse. Zum ersten Mal in der Geschichte stellt sich die Frage, was es für einen christlichen Kaiser politisch bedeutet, christlich zu denken (Konstantin wurde bekanntlich erst auf seinem Totenbett getauft, war aber zeitlebens Katechumene und persönlich wohl überzeugter Christ). Für die Bewertung des christlichen Einflusses in der konstantinischen Gesetzgebung dürfte das Urteil Dassmanns zutreffen: „Auch wenn die Erfolge nur gering waren, scheint es berechtigt zu sein, das bewegende Christliche der Epoche nach dem wenigen zu bemessen, das verändert und gebessert werden konnte, nicht nach dem erheblich größeren Rest, der im argen blieb.“33 Zu den humanisierenden Maßnahmen unter christlichem Einfluss zählen das Verbot der Gesichtsschändung Verurteilter, denn „das Gesicht ist nach dem Gleichnis himmlischer Schönheit gebildet worden“34; die Abschaffung der Einreihung unter die Gladiatoren als Strafe35; die Einführung des Sonntags als arbeitsfreien Tag36; die Freilassung von Sklaven als erlaubte Ausnahme von der Arbeitsruhe am Sonntag37; das Verbot des Konkubinats für Ehemänner38; die Begrenzung von Kindesaussetzung und –verkauf39; die Einführung der Todesstrafe für Mann und Frau bei Ehebruch40. 32 Siehe die jeweiligen Dokumente bei Volkmar Keil (Hrsg und Übersetzer), Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins des Großen, 148 ff (Verbot privater Haruspizien), 158 ff (Opferverbot für höhere Beamten), 196 ff (Tempelzerstörung), 216 ff (Tempelübergriff). 33 Ernst Dassmann, Kirchengeschichte II/1, 49. 34 Codex theodosianus 9, 40, 2, zitiert nach Volkmar Keil (Hrsg und Übersetzer), Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins des Großen, 146. 35 Codex theodosianus 15, 12, 1, zitiert nach Volkmar Keil (Hrsg und Übersetzer), Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins des Großen, 152. 36 Codex justinianus 3, 12, 2, zitiert nach Volkmar Keil (Hrsg und Übersetzer), Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins des Großen, 150. 37 Codex theodosianus 2, 8, 1, zitiert nach Volkmar Keil (Hrsg und Übersetzer), Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins des Großen, 150. 38 Codex justinianus 5, 26, 1. 39 Codex theodosianus 11, 27, 1f. 40 Codex justinianus 9, 9, 29, 4. Die drei letztgenannten Quellen zitiert nach Ernst Dassmann, Kirchengeschichte II/1, 43. 10 Konstantin hat das Christentum auch massiv institutionell durch Privilegierungen für Kleriker und Kirche gefördert und durch Eingriffe in seiner Entwicklung beeinflusst. Die christliche Religion betraf durch ihre uneingeschränkte öffentliche Anerkennung und die Gleichstellung mit dem heidnischen Kult nun unmittelbar das Römische Reich und gehörte in den Bereich des ius publicum. Damit fiel es in die Zuständigkeit des Kaisers. Konstantin vollzog die Wende vom heidnischen Kult zur christlichen Religion als antiker homo religiosus, der die Gunst des christlichen Gottes persönlich erfahren hatte und ihm das Geschuldete in kaiserlicher Machtvollkommenheit geben musste41. Die Privilegien der Kleriker bestanden vor allem in der Befreiung von den öffentlichen Dienstleistungen und Abgaben, in großzügigen finanziellen Zuwendungen, in der Verleihung von Insignien und Ehrenzeichen für Bischöfe, der Anerkennung der bischöflichen Gerichtsbarkeit in Zivilsachen, dem Bau und der prunkvollen Ausstattung von Kirchen, damit die Priester das Opfer rite darbringen könnten. Auch der Privilegierung der Kleriker liegt ein Denken in Kategorien altrömischer Religiosität zu Grunde. „Religion ist weniger von der inneren Hingabe her gedacht als vielmehr vom Vollzug des Kultes, der dadurch wirkt, daß er mit ritueller Präzision ausgeführt wird.“42 Als „Bischof der äußeren Angelegenheiten“ griff Konstantin auch in das ein, was heutzutage als „innere Angelegenheit“ der Kirche gelten würde. Er berief Synoden und Konzile ein, nahm an ihnen als Vorsitzender teil und ergriff das Wort. Seine Toleranz für die Heiden fand keine Entsprechung in seiner Toleranz für die Häretiker, die er vielmehr mit staatlichen Zwangsmitteln verfolgte43. Dies ist wohl mit seinem Bestreben nach Einheit der Kirche zu erklären, der er sein ganzes religionspolitisches Handeln widmete. So sind wohl auch die Versuche zu verstehen, diese Einheit – als ultima ratio - durch das Eingreifen des Staates herzustellen. Ein solches Vorgehen war natürlich nicht mit der Religionsfreiheit im heutigen Sinn vereinbar und war auch für die Freiheit der Kirche als Institution gefährlich, wie sich bald herausstellen sollte. Ernst Dassmann fasst die Situation treffend zusammen: Die Gefahr zog herauf, „als in der Kirche, bzw. in einigen ihrer Teile, der Mut zu einer kritischen Prüfung staatlicher Wünsche schwand und nicht die sich weiter wandelnde Situation den Maßstab des Handelns bildete, sondern das Bestreben, einmal errungene Positionen und Vergünstigungen nicht wieder zu verlieren. So gesehen liegt das Problem der „Konstantinischen Wende“ nicht in der Wende an sich, sondern in ihrer Verfestigung in der Folgezeit.“44 41 So Karl Suso Frank, Lehrbuch der Geschichte der Alten Kirche, 207 ff. 42 Ernst Dassmann, Kirchengeschichte II/1, 46. 43 Siehe das sogenannte Häretikeredikt, vermutlich aus dem Jahr 326, abgedruckt bei Volkmar Keil (Hrsg und Übersetzer), Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins des Großen, 152 ff. 44 Ernst Dassmann, Kirchengeschichte II/1, 37. 11 Das Problem wurde bald nach dem Tod Konstantins virulent als die Kaiser im arianischen Streit vehementer als Konstantin Partei ergriffen. Dies war besonders unter dem Arianer Konstantius II. (324-361)45, dem Sohn Konstantins, der Fall. Das ganze 4. Jahrhundert ist durch diesen dogmatischen Streit geprägt. Er ist ein Konflikt zwischen Bischöfen unter einander und zwischen Bischöfen und dem Kaiser46. Die arianische Partei ist ausgesprochen kaiserfreundlich und braucht von ihrem Selbstverständnis her die Unterstützung durch den Kaiser. Das mag auch implizite christologische Gründe haben: Ist Christus nicht Gott, hat auch die Kirche, der Leib Christi, nicht unbedingt Vorrangstellung vor dem Kaiser als Repräsentant Gottes auf Erden. Die Nicänische Gruppe hingegen verlangte tendenziell die Nichteinmischung der staatlichen Macht in religiöse Fragen, beanspruchte aber sehr wohl den Schutz durch die katholischen Kaiser. Ein gutes Beispiel stellt der Brief der rechtgläubigen Konzilsväter von Sardika an Kaiser Konstantius II. dar47: „die Beamten mögen sich jeder Einmischung in religiöse Dinge enthalten.“ Sie fordern dies im Namen der Gewissensfreiheit der Katholiken, sich nicht den arianischen Lehren anschließen zu müssen. Sie fordern nicht die Verfolgung der Arianer, wohl aber die Unterlassung von „Förderung, Gunst und Gewährung guter Stellen“ für Arianer. Für die Katholiken fordern die Bischöfe keine staatliche Begünstigung, wohl aber die Rückkehr der katholischen Bischöfe aus dem Exil48. Ihre Bitte war wirkungslos. Athanasius, Liberius, Hosius, Hilarius und andere katholische Bischöfe bekamen den Zwang des arianischen Kaisers in Glaubensfragen zu spüren. In ihren Verteidigungen betonen sie die innere Gewissensfreiheit in religiösen Fragen: eine Religion zwingt nicht, sondern überzeugt49. Das Mailänder Edikt und seine Religionsfreiheit blieben 45 Stichwort „Constantius“, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, J.B.Metzlersche Verlagsbuchhandlung Stuttgart (1931), 1044 ff. 46 Das Buch von Patricia Just, Imperator et Episcopus. Zum Verhältnis von Staatsgewalt und christlicher Kirche zwischen dem 1. Konzil von Nicäa (325) und dem 1. Konzil von Konstantinopel (381), Franz Steiner Verlag, Wiesbaden (2003), ist für die Frage der Religionsfreiheit nicht direkt ergiebig, dafür aufschluss- und detailreich für das Verhältnis von Bischof und Kaiser als die zentrale Schnittstelle im Verhältnis von christlicher Kirche und römischen Staat im 4. Jahrhundert. 47 Zitiert nach Hugo Rahner, Kirche und Staat im frühen Christentum. Dokumente aus acht Jahrhunderten und ihre Deutung, Kösel, München (1961) 114 ff. Vgl. auch die tapfere Zurückweisung der Drohbriefe des Kaisers Konstantius II., er möge die Verurteilung des Athanasius doch mitunterschreiben, durch Bischof Hosius (auch Ossius, Osius) von Cordoba. Hosius tut dies mit dem Argument, es wäre ein „schweres Verbrechen“, wenn der Kaiser sich in kirchlichen Dingen Rechtsgewalt anmaßen würde. Dieser Brief ist abgedruckt bei Hugo Rahner, ebenda, 118 ff. 48 Paradoxerweise hat diese Bitte erst Kaiser Julian, der Apostat, erfüllt. Möglicherweise aber mit dem Motiv, Zwietracht unter die Christen zu säen. So berichtet es jedenfalls der heidnische Historiker Ammianus Marcellinus, Rerum gestarum, XXII, 5, 2-4: „(Julianus) wusste aus Erfahrung, dass es für die Menschen keine gefährlicheren Raubtiere gibt als die Christen für ihre Glaubensgenossen.“ 49 Siehe die Analyse bei Joseph Lecler, Geschichte der Religionsfreiheit I, 107 ff. 12 also für die christlichen Dissidenten wirkungslos. Sie fielen unter das zivile Strafsystem, das ursprünglich nicht über Gefängnis und Exil hinausging, aber schon ab 407 die Todesstrafe für Häresie als Majestätsbeleidigung vorsah. Die antiken Gesetze, die den Tod für Häresie androhten wurden in der Antike selbst kaum angewandt. Als im Mittelalter aber das römische Recht studiert wurde, übten diese Gesetze auf kirchliche Gerichte großen und verhängnisvollen Einfluss aus. Schon sehr bald nach seinem Inkrafttreten, verlor das Mailänder Edikt seine Schutzwirkung für die Heiden. Konstantius II. und Konstans (337-350)50 waren zwar hinsichtlich Nicäa gespalten, aber einig hinsichtlich der Ablehnung des Heidentums. Es begann die Heidenverfolgung, die ein Opferverbot, die Schließung vieler Tempel und 357 die symbolträchtige Entfernung der Ara victoriae im römischen Senat mit sich brachte. Nach Julian (361-363) begann wieder eine Periode der Toleranz für Christen und Heiden, die mit Gratian (375-383) ein Ende erfuhr. Kaiser Gratian legte erstmals den Titel „Pontifex maximus“ ab – möglicherweise unter dem Einfluss von Ambrosius. An diesem Schritt wird deutlich, dass das Kaiserreich sich einerseits von den alten heidnischen Kulten trennte und andererseits die Kulthoheit der Kirche in Glaubensfragen anerkannte. Kaiser Gratian entzog den heidnischen Priestern, Kulten und Vestalinnen die staatlichen Zuschüsse, er beschlagnahmte den Landbesitz der Tempel und verbot testamentarische Landzuwendungen an Priester und Vestalinnen. Wohl im selben Jahr 382 ließ er die inzwischen im Senat wieder aufgestellte Statue der Victoria neuerlich und endgültig entfernen51. Theodosius I. der Große (379-395) vollendete diese Maßnahmen. 388 ließ er alle Tempel schließen und zum Teil zerstören. Der Besuch der Tempel und die Verehrung der Götterbilder wurde verboten, ebenso der Abfall zum Heidentum. 392 wurde jegliche Form eines heidnischen Kultes untersagt. In diesem Jahr kam es zu einem letzten Aufbäumen der heidnischen Kräfte, die sich unter dem (selbst christlich getauften) Usurpator Eugenius und dem Heerführer Arbogast scharten. Sie unterlagen 394 in der Schlacht am Isonzo gegen das Heer des Theodosius I. Danach war das Heidesein unvereinbar mit dem Römersein. Um diese Tatsache zu verstehen, ist es notwendig sich vor Augen zu halten, dass die Maßnahmen gegen die heidnische Religion nicht eigentlich religiöse, sondern politische Gründe hatten – wenn auch aufgrund missverstandener religiöser Auffassungen. Gemeint ist die Verbindung zwischen Gotteskult und irdischem Glück. Diesem römischen 50 Siehe Jacques Moreau, Stichwort „Constans“, in RAC Supplement-Lieferung 11, 440 ff. 51 Der Kampf der heidnischen Partei unter der Leitung der Senatoren Symmachus, Praetextatus, Flavianus, Gratianus sowie die um diese Zeit einsetzende heidnische lateinische „Renaissance“, die ihrerseits Papst Damasus zu seinen christlichen kulturellen Erneuerungsbemühungen anspornte, ist sehr gut dargestellt und dokumentiert bei Jelle Wytzes, Der letzte Kampf des Heidentums in Rom, Brill, Leiden (1977). Berühmt geworden ist vor allem die von Ambrosius überlieferte Appellation des Symmachus an den Kaiser (Relatio III): siehe Jelle Wytzes, ebenda, 200 ff. 13 Religionsverständnis waren im 4. Jahrhundert das christliche Volk, der Kaiser und die Mehrzahl der Bischöfe nicht entwachsen. Hinzu kam, dass das Heidentum sich auch mit politischen Mitteln wehrte. Setzte die eine Partei auf den christlichen Gott, so die andere auf die heidnische Religion. Das war zwischen Konstantin und Maxentius, dann Licinius so; das war auch der Fall zwischen Theodosius I. und Eugenius mit Arbogast. Kein Wunder, dass die siegreiche Partei dann ihrerseits ihre politische Oberhoheit mit religiösen Inhalten verband. Es ist jedenfalls bezeichnend, dass Ambrosius Gratian und – trotz aller nötiger Auseinandersetzungen – Theodosius I. hochschätzt. 3. Eine allgemeine Charakterisierung der Lehre der Kirchenväter bezüglich Toleranz und Religionsfreiheit „Wie immer eine Geschichte der Toleranz angelegt ist, sie setzt in jedem Fall eines voraus: einen Vor-Begriff dessen, worum es geht.“52 Um den Gedanken der Toleranz, besonders der Religionsfreiheit, und ihrer Begründung durch die Würde des Menschen bei den Kirchenvätern und kirchlichen Schriftstellern der ersten Jahrhunderte des Christentums aufzuspüren, ist es nötig, einen Begriff dessen zu haben, wonach man sucht. Unter Toleranz versteht man die Duldung von Personen, Handlungen oder Meinungen, die aus moralischen oder anderen Gründen abgelehnt werden. Geht es um die Duldung religiöser Minoritäten durch eine andere Religionsgemeinschaft oder durch den Staat, führt Toleranz zur Forderung nach Religionsfreiheit. Darin gibt es eine vertikale Dimension der Toleranz, die die Beziehung der Duldung eines Glaubens durch den Staat betrifft, und eine horizontale Dimension, die sich auf die gegenseitige Duldung der Individuen unter einander bezieht. Hier geht es in erster Linie um die vertikale Dimension, also um die vom Staat garantierte Religionsfreiheit. Toleranz setzt ein ablehnendes moralisches Urteil über ein fremdes Verhalten voraus, ist also unvereinbar mit Indifferenz gegenüber oder mit Gutheißen eines fremden Verhaltens. Toleranz besitzt begriffsnotwendigerweise Grenzen. Toleranz ist eine Leistung der Vernunft, die zur Einsicht gelangt, dass unterschiedliche Meinungen hinsichtlich wichtiger Werte weder die eigene Überzeugung noch die Geltung der Moral als solche noch den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden müssen53. 52 Rainer Forst, Toleranz im Konflikt. Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs, suhrkamp, Frankfurt (2003) 28 unter Verweis auf Hans Georg Gadamer, Gesammelte Werke, Bd. 1, Wahrheit und Methode, Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen ( 61990) 271. 53 Siehe die nützliche Übersicht bei Gisela Schlüter/Ralf Grötker, Stichwort „Toleranz“, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 10, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt (1998), 1251 ff; Eckehart Stöve, Stichwort „Toleranz I“, in: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Gruyter, Berlin New York (2002), Band XXXIII, 646 ff; Rainer Forst, Toleranz im Konflikt, 17. 14 Rainer Forst54 fasst die Beiträge der kirchlichen Schriftsteller und Kirchenväter der Verfolgungszeit zum Toleranzgedanken in drei Punkten zusammen. In seiner ursprünglichen Verwendung in der lateinischen Sprache bedeutet „tolerantia“ erstens das Ertragen von Schmerzen und Widrigkeiten. Diese Tugend bezieht sich zunächst nicht auf andere, sondern auf sich selbst, als ein Teil der Tugend der Stärke. Dieser Aspekt, der über die stoische Philosophie auch die Kirchenväter beeinflusst, begleitet den Toleranzdiskurs durch die Geschichte. Es geht immer auch um eine Ethik der Selbstbeherrschung in sittlicher Vollkommenheit. Von da entwickelte sich der Begriff in den lateinischen Bibelübersetzungen zweitens zur Duldsamkeit auch gegenüber den anderen Menschen. Drittens behandeln die Kirchenväter Toleranz der Sache nach in der Beziehung des christlichen Glaubens zur politischen Autorität. In diesem uns interessierenden Zusammenhang wird nicht das Wort „tolerantia“ verwendet, sondern „libertas religionis“. Darauf wird im Folgenden noch eingegangen werden. Forst55 entnimmt den Aussagen der Kirchenväter zur Toleranz vier wegweisende Argumente: 1. Die weltliche Macht hat keine Autorität in Religionsfragen; 2. In Religionsangelegenheiten ist Zwang illegitim; 3. In Religionsangelegenheiten ist Zwang nutzlos; 4. Allgemeine Toleranz ist möglich. Dennoch gelangt Forst als Fazit zur Aussage, dass „die Toleranzbotschaft des frühen Christentums zweideutig ist: Die Gründe für Toleranz werfen auf diese Toleranz zugleich einen Schatten, der aus dem Anspruch universaler und absoluter Wahrheit und strafender Gerechtigkeit folgt.“56 So sei christliche Toleranz als solche „janusgesichtig“. Forst exemplifiziert seine Kritik vornehmlich mit Augustinus, der am Anfang für Dialog, dann aber – nach Verschärfung des Donatistenstreits – für den Gebrauch von Zwang in Glaubensfragen gewesen sei. Die Meinungen anderer Autoren stehen der eben skizzierten Auffassung entgegen. Die Existenz der Kirche bis zum 4. Jahrhundert sei gleichsam eine ständige Forderung nach Religionsfreiheit, und das Werk der Apologeten habe nur das einzige Ziel, diese Haltung auszudrücken und zu rechtfertigen57. Die Entwicklungen des 4. Jahrhunderts nach der konstantinischen Wende seien hingegen Folge des spätantiken Religionsverständnisses gewesen, dem zufolge Götter- bzw. in christlicher Zeit Gotteskult und Staatswohlfahrt unlösbar miteinander verbunden gewesen seien. Dies machte die Auseinandersetzung mit dem Heidentum und den christlichen Häresien unweigerlich auch zu einer öffentlich- 54 Toleranz im Konflikt, 53 ff. 55 Ebenda, 64. 56 Ebenda, 67. 57 So Joseph Lecler, Geschichte der Religionsfreiheit I, 93. 15 politischen und nicht bloß theologischen. Vor Konstantin hatte dieses altrömische Religionsverständnis zur Christenverfolgung geführt, im 4. Jahrhundert wandelte es sich zur Heidenverfolgung58. Den Kirchenvätern fehlte die Erfahrung eines säkularisierten Staates, in dem Gruppen verschiedener Überzeugung rechtsgleich nebeneinander leben können. Besonders für Ambrosius ist es die Kirche, die durch ihren Kult und ihre Gebete die Wohlfahrt des Imperiums sicherstellt; sie allein hat darum Anspruch auf Schutz und Unterstützung durch den Staat. „Ambrosius vermag den Kaiser nicht als eine überparteiliche Institution zu sehen, die nach politischen Gesetzen handelt, sondern nur als einen Menschen und Christen, der sich wie jeder andere in seinem Tun und Lassen nach den von der Kirche verkündeten Geboten zu richten hat, weil er anders sein ewiges Heil nicht wirken kann.(…) Doch ebensowenig wollte er den Staat der Kirche unterwerfen. Sein Ziel war die Verwirklichung des Gotteswillens, nicht die eigene Macht.“59 Am Ende des 4. Jahrhunderts galten Religionsfreiheit und weltanschauliche Toleranz nicht gegenüber heidnischer Vielgötterei, Juden60 und Häretikern. Aber wie sieht es in den ersten drei Jahrhunderten aus? Ist die Forderung der Apologeten nach Religionsfreiheit vornehmlich damit zu erklären, dass die Christen Opfer von Verfolgung und Unterdrückung waren und sich daher gegen die bestehenden Verhältnisse wandten? Liegt es daran, dass die Kirche zu dieser Zeit noch nicht der Versuchung der Macht ausgesetzt war? Oder sind – bei aller Bejahung der vorangestellten Fragen – auch tiefere, dem christlichen Glauben selbst entspringende Motive auszumachen, die die frühchristlichen Schriftsteller dazu bewogen, vom Staat Freiheit in religiösen Fragen zu fordern? Wie steht es grundsätzlich mit der Beziehung der ersten Christen zu diesem Staat, von dem sie sich Freiheit und Schutz erhoffen? Martin Rhonheimer weist darauf hin, dass die Beziehungen zwischen Kirche und politischer Macht über die Jahrhunderte hinweg von zwei Prinzipien geprägt werden61. Diese Prinzipien sind einerseits der christliche Dualismus, demzufolge dem Kaiser gegeben werden soll, was 58 Ernst Dassmann, Kirchengeschichte II/1, 103. 59 Ernst Dassmann, ebenda, 83 60 Besonders deutlich wird das bei Ambrosius nach der Brandschatzung der jüdischen Synagoge in Kallinikum durch die dort ansässige christliche Gemeinde. Ambrosius verbietet Theodosius I. bei sonstiger Exkommunikation, den Christen den Wiederaufbau der Synagoge aufzuerlegen, wie Theodosius es ursprünglich getan hatte. Das wäre ein Triumph der Juden über die Kirche Gottes. Ambrosius schreibt sogar: „Quid mandas in absentes iudicium? Habes praesentem, habes confitentem reum. Proclamo quod ego synagogam incenderim, certe quod ego illis mandaverim, ne esset locus in quo Christus negaretur.“ Epistularum liber decimus, Ep. LXXIIII, CSEL 82, 3. Noch 1961 hat Hugo Rahner, Kirche und Staat, 110 f nichts an der Reaktion des Ambrosius auszusetzen. 61 Siehe die in Fußnote 6 angegebene Literatur. Ganz ähnlich beschreibt es Hugo Rahner, Kirche und Staat, 14. 16 dem Kaiser, und Gott, was Gott gebührt. Dieser Dualismus bedeutet Unterscheidung von Kirche und Staat und - von Seiten der Kirche – Anerkennung des Staates als gottgewollte Institution. Andererseits aber weiß sich die Kirche als moralische Instanz, die über irdische Wirklichkeiten und daher auch über politisches Handeln urteilen muss. In diesem Sinn ist sie dem Staat als moralische, nicht aber als politische Instanz übergeordnet. Im Lauf der Jahrhunderte sind die Beziehungen zwischen Kirche und politischer Macht wie zwischen zwei Polen hin und her geschwungen – einmal näher dem einen Prinzip, in einem anderen historischen Abschnitt dem anderen. Die frühchristlichen Autoren haben grundsätzlich durchwegs eine positive Einstellung zum römischen Reich und zum Kaiser. Eusebius von Caesaraea62 überliefert einen Abschnitt der Apologie des Meliton von Sardes an Kaiser Antoninus Pius (also vor 161 n. Chr. geschrieben), in dem dieser einen historischen Bezug zwischen dem Beginn des Prinzipats und der Entstehung der christlichen Lehre herstellt. Römische Kaiserreich und christliche „Philosophie“ seien neben einander aufgewachsen, und die kaiserlichen Vorläufer des Antoninus, außer Nero und Domitian, hätten das Christentum neben den anderen Religionen geehrt. Deshalb sei das Reich aufgeblüht und stehe ruhmvoll da, dank der Gebete aller – das sei ein Beweis der Vorzüglichkeit des Christentums. Justin benützt wohl als erster einen Argumentationstopos, der bei den nachfolgenden Apologeten Tertullian, Minucius Felix, Laktanz, etc. durchwegs vorkommt. In seiner ersten Apologie, wahrscheinlich auch an Antoninus Pius adressiert, beruft er sich auf die Religionsfreiheit, die der römische Staat allen Religionen außer der christlichen gewährt: jeder dürfe Bäume, Flüsse, Ratten, Katzen, Krokodile und sonstige vernunftlose Tiere anbeten, und dabei seien sie keineswegs einer Meinung. Was die einen anbeten, das betrachten die anderen als ein Tier. Und trotzdem wird es ihnen nicht zum Vorwurf gemacht. Wieso werden dann die Christen beschuldigt, wenn sie diese Götter nicht verehren? Die Christen sprechen dieselbe griechische Sprache wie alle anderen und werden gehasst um des „Namen Christi“ willen. Obwohl sie unschuldig sind, werden sie hingerichtet wie Verbrecher63. Athenagoras, dessen Wirkungsgeschichte unverdienterweise gering war, stellt in seiner Bittschrift an Mark Aurel und Commodus ebenfalls ab auf die im Römischen Reich allgemein herrschende religiöse Toleranz. Da sie auch den heidnischen Römern sonderbar vorkamen, zählt auch er wie Justin und die anderen Apologeten die ägyptischen Gottheiten auf: Katzen, Krokodile, Schlangen, Hunde, etc. werden von manchen Menschen verehrt. Die Kaiser und das Römische Recht ließen sie gewähren. Sakrileg sei es, überhaupt keinen Gott zu haben, 62 210 f. Historia ecclesiastica, 4. Buch, 26, 7- 11, in: Sources Chrétiennes 31, Les éditions du cerf, Paris (1952), 63 Justin, Erste Apologie, 24; gemäß der von André Wartelle übersetzten und kommentierten Ausgabe, Études Augustiniennes, Paris (1987), 131. 17 aber es sei nötig, dass jeder die Götter seiner Wahl haben könne, damit die Ehrfurcht vor der Gottheit ihn davon abhalte Böses zu tun. Die Christen aber werden nur wegen ihres Namens gehasst – aber der Name verdiene doch keinen Hass, sondern nur das Böse. In allem erwiesen die Christen Frömmigkeit und Gerechtigkeit gegenüber Gott und dem Römischen Imperium. Es folgt eine tiefschürfende philosophische Verteidigung des monotheistischen christlichen Glaubens64. Der ca. um das Jahr 200 in der severischen Verfolgungszeit geschriebene Danielkommentar des Hipployt65 eignet sich besonders gut für Aussagen über die innere Religionsfreiheit und die Standhaftigkeit im Bekenntnis. Treu der paulinischen Lehre in Röm 13, 1-7, schärft Hippolyt Gehorsam gegenüber der staatlichen Autorität ein dort, wo sie Gerechtes befiehlt. Mit Energie betont er hingegen die Pflicht, sich dem Befehl des irdischen Herrschers zu widersetzen, wo er mit dem Glauben unvereinbar ist. Auch Verstellung hinsichtlich des Bekenntnisses wäre mit dem Glauben unvereinbar. Anhand der Erzählung von Daniel in der Löwengrube bestärkt er die Christen, damit sie ihren Glauben offen zur Schau stellen: wie Daniel sollten auch sie nicht heucheln noch sich vor den Gewalten fürchten. Unterlassung des von Gott geforderten Kultes, um der Verfolgung zu entgehen, wäre schon eine „gewisse Lästerung“ des Glaubens66. Origenes wies in seiner spirituellen Auslegung der heiligen Schrift, besonders des Alten Testaments, den Versuch zurück, sich auf die Schrift zu berufen, um Gewalt gegen Sünder zu rechtfertigen. Er bezieht den Befehl der Psalmen, „die Sünder auszurotten“, auf die Laster im eigenen Leben, die es auszumerzen gälte. Der Unterschied zwischen Altem Gesetz und Evangelium bestehe unter anderem darin, dass die Christen ihre Feinde nicht massakrieren und die Gesetzesübertreter nicht steinigen dürfen67. Von diesem Ausgangspunkt aus wäre es konsequent anzunehmen, dass Origenes dies wohl auch für Heiden und Häretiker hätte gelten lassen. In einem Abschnitt des Contra Celsum, der sich unmittelbar mit dem Wesen des Staates befasst, bezeugt Origenes seinen Glauben, dass nicht Zeus den Königen die Macht verleihe, 64 Athenagoras, Supplique au sujet des chrétiens, I, 1-4, übersetzt von Bernard Pouderon, Sources chrétiennes 379, 70 ff. 65 Für Datierung und Echtheit siehe das Stichwort „Hippolyt“ in: Siegmar Döpp/Wilhelm Geerlings (Hrsg.), Lexikon der antiken christlichen Literatur, Herder, Freiburg (2002, 3., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage), 336 ff. 66 Hippolyt, Werke, Erster Band, erster Teil, Kommentar zu Daniel, III. Buch, Kapitel 20-31, herausgegeben von Georg Natanael Bonwetsch, zweite, vollständig veränderte Auflage von Marcel Richard, Akademie Verlag, Berlin (2000), 173 ff. Die wörtlich zitierte Passage entstammt Kapitel 22. 67 Origenes, Contra Celsum, Buch VII, Kapitel 18-26, Sources chrétiennes 150, übersetzt von Marcel Borret, Les éditions du cerf, Paris (1969), 53 ff. 18 sondern der wahre Gott, der die Könige ein- und wieder absetzt, und zur rechten Zeit den passenden Regierenden erweckt. Er betont – gegen Celsus – dass die Christen gemäß der Schrift den Kaiser ehren und sie ihn nicht allein und ungeschützt lassen. Im Gegenteil, die Verbreitung der christlichen Botschaft werde den Kaiser stärken, und die Barbaren werden sich zum Wort Gottes bekehren, den Gesetzen gehorchen und zivilisiert leben. Es komme der Tag, an dem alle Götterkulte aufgegeben werden und nur mehr der christliche Gottesdienst übrig bleibe, denn der Logos erobere unablässig immer mehr Seelen. Was hätte das für Folgen, wenn alle Römer Christen werden?, fragt sich Origenes schon in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. Was geschähe, wenn die Römer ihre Religion verließen, um den Allerhöchsten anzubeten? Das geeinte Gebet der Christen im Römischen Reich, antwortet Origenes, würde bewirken, dass die Römer viel mehr Feinde vernichten könnten als es den Juden durch das Gebet des Moses möglich war. Die Römer würden über alle Feinde triumphieren, ja sie bräuchten gar nicht mehr zu kämpfen, denn sie würden von Gott beschützt, der versprochen hat, fünf Städte zu retten um der 50 Gerechten willen 68. Obwohl es für Heiden gerecht sein kann, Krieg zu führen, tun dies die Christen nicht. Origenes lehnt den Militärdienst der Christen rundweg im Namen eines spirituellen Priestertums ab. So wie selbst die heidnischen Priester verpflichtet seien, ihre rechte Hand von Blut rein zu halten, um den Opferdienst vor falschen Göttern versehen zu können, wie viel mehr dann die Christen, die alle Priester des wahren Gottes seien. Christen dürften nicht töten, auch nicht im Krieg, und dienten daher nicht als Soldaten, aber sie kämpften mit ihren Gebeten an der Seite jener, die auf gerechte Weise zu den Waffen greifen69. Christen dienten auch nicht als Politiker in öffentlichen Ämtern, denn jene, die das Talent für Leitungsaufgaben hätten, widmeten sich einem höheren Amt, nämlich der Leitung der Kirche. Dadurch wirkten sie aber wirksam mit in der Welt. Die Christen seien sogar nützlicher für den Staat als jeder andere Mensch: sie erzögen ihre Mitbürger und brächten ihnen Frömmigkeit Gott gegenüber bei, der der Beschützer jedes Gemeinwesens sei70. Neben einer klaren Haltung der Gewaltlosigkeit, kommt in Origenes also nicht nur eine tiefe Verbundenheit mit dem Staat und dem Kaiser zum Ausdruck, sondern die Vorstellung, dass der christliche Kult für das Heil des Römischen Reichs notwendig ist. Das ist aber „klassisch“ römisch im Sinn der heidnischen Verknüpfung von Gottesverehrung und Wohlergehen des Reiches. 68 Origenes, Contra Celsum, Buch VIII, Kapitel 68-70, Sources chrétiennes 150, übersetzt von Marcel Borret, Les éditions du cerf, Paris (1969), 331 ff. 69 Ebenda, Kapitel 73, Seiten 345 ff. 70 Ebenda, Kapitel 74, Seiten 349 f. 19 4. Tertullian Sein feuriger, zu Vehemenz und Rigorismus neigender Charakter, der auch an seinen Texten zu erkennen ist, führte Quintus Septimius Florens Tertullianus (ca. 160-220)71 gegen Ende seines Lebens dazu, die katholische Kirche zu verlassen und sich der Splittergruppe der Montanisten anzuschließen. Dennoch ist er ein äußerst wichtiger Zeuge des christlichen Glaubens, den Monceaux nicht zögert, „une des gloires de l’Église“72 zu nennen. Sein Stil ist polemisch und juristisch. Sein ganzes literarisches Werk dient der Verteidigung seiner Glaubensüberzeugungen. Er gilt als der erste christliche Schriftsteller der auf Latein schrieb, und er ist ein besonderer Zeuge für die Gewissens- und Religionsfreiheit73. Sein Argument geht zunächst von der positiven Religionsfreiheit aus, die in Rom gewährt war: Jeder konnte die Götter seiner Wahl verehren, aber nur solange - und das ist der springende Punkt - er nicht die römischen Staatsgottheiten ausschloss. Tertullian bringt zunächst ein Argument der Fairness: Alle Völker, sogar Provinzen und Städte dürfen ihre eigenen, zum Teil absurden Gottheiten verehren. Sie hätten also das Recht auf positive Religionsfreiheit, nur den Christen sei das verwehrt und ihnen werde das Römersein abgesprochen74. Von da gelangt Tertullian zur Forderung nach der negativen Freiheit in Religionsangelegenheiten: „Denn bedenkt, ob nicht auch das auf die Liste der Gottesfrevel gehört, einem die Freiheit der Gottesverehrung zu nehmen und die Wahl der Gottheit zu untersagen, so dass ich nicht verehren darf, wen ich will, sondern zu verehren gezwungen werde, wen ich nicht will. Niemand kann von einem Widerstrebenden verehrt werden wollen, nicht einmal ein Mensch.“75 71 Für einen knappen Überblick über Leben und Werk siehe Für Datierung und Echtheit siehe das Stichwort „Tertullian“ in: Siegmar Döpp/Wilhelm Geerlings (Hrsg.), Lexikon der antiken christlichen Literatur, Herder, Freiburg (2002, 3., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage), 668 ff. 72 Paul Monceaux, Histoire littéraire de l’Afrique chrétienne depuis des origines jusqu’à l’invasion arabe, Band 1, Paris (1901), 177. 73 Siehe Joseph Lecler, Geschichte der Religionsfreiheit I, 94 ff; Rainer Forst, Toleranz im Konflikt, 62 f; Lorenzo Dattrino, La liberté religieuse dans l’Ad Scapulam de Tertullien, Lateranum LXXIII (2007), 357 ff; Paul Monceaux, Histoire littéraire de l’Afrique chrétienne depuis des origines jusqu’à l’invasion arabe, Band 1, Paris (1901), 237 ff (speziell zur Religionsfreiheit). 74 Tertullian verweist in seinem vielleicht ersten Werk Ad nationes II, 8, 8, (CCL I, 53) darauf, dass die „libertas adoptandorum deorum“ soweit gehe, dass die Ägypter in ihren superstitiones Tiere verehrten. Tertullian, Apolegeticum, 24, 9, CCL I, 135: „Uns allein wird das Recht auf eine eigene Form der Gottesverehrung verwehrt. Wir verletzen und beleidigen die Römer und werden nicht als Römer angesehen, weil wir einen Nichtrömer-Gott verehren.“ Die deutsche Übersetzung stammt von Carl Becker in der zweisprachigen im Kösel Verlag 1952 erschienenen Ausgabe des Apologeticum. Dort findet sich auch ein textkritischer Anhang. 75 Tertullian, ebenda, 24, 6. 20 Tertullian erkennt, dass der Grund für die Verweigerung der negativen Religionsfreiheit durch das römische Reich die Staatsraison ist. Er appelliert an das Gerechtigkeitsgefühl und unterstreicht dann den Dienst der Christen am Staat: „Da es aber leicht als unbillig erscheinen könnte, freie Menschen gegen ihren Willen zum Opfern zu drängen – auch sonst wird doch für den Vollzug einer Sakralhandlung inneres Bereitsein gefordert -, oder zumindest als widersinnig gelten dürfte, wenn jemand von anderen gezwungen würde, die Götter zu ehren, die er doch von sich aus in seinem Interesse freundlich stimmen müsste (…), seid ihr offenbar von diesen selben Geistern unterwiesen worden, uns zu einem Opfer für das Wohl des Kaisers zu zwingen, so dass euch die Notwendigkeit, dies zu erzwingen, ebenso auferlegt ist wie uns die Verpflichtung, diese Gefahr zu bestehen.“76 Die Unterlassung des Opfers für den Kaiser wäre staatsgefährdend, wäre Majestätsbeleidigung lautet der Vorwurf. Tertullian entkräftet ihn durch den Verweis auf das Gebet der Christen zum wahren Gott, der allein dem Kaiser helfen kann und von dem der Kaiser seine Hoheit erhalten hat. An dieser Stelle wird die Argumentationsweise deutlich, die Tertullian anwendet, um seinen Anspruch auf die typische Form christlicher positiver Religionsfreiheit zu begründen, die wesentlich auch die negative Freiheit einschließt, die Staatsgötter abzulehnen: „Wir nämlich wenden uns für das Wohl der Kaiser an den ewigen Gott, den wahren Gott, den lebendigen Gott, den auch die Kaiser selbst sich vor allen anderen Göttern gnädig wünschen. Sie wissen, wer ihnen ihr Reich gegeben hat, sie wissen – als Menschen -, wer auch ihr Leben; sie spüren, dass der allein Gott ist, in dessen alleiniger Gewalt sie sind, von dem aus sie die zweiten, nach dem sie die ersten sind, vor allen und über allen Göttern. (…) Deshalb ist er (der Kaiser) groß, weil er geringer ist als der Himmel; denn dem gehört auch er, dem der Himmel gehört und jedes Geschöpf.“77 Der Kaiser spürt also den wahren Gott – wo sonst spürt er ihn als in seinem Inneren, in seinem Gewissen? Das ist das Argument, das Tertullian zur Begründung der negativen Freiheit der Christen vorbringt, die falschen Götter nicht verehren zu müssen: „Eure Götter zu verehren unterlassen wir von dem Augenblick an, in dem wir erkennen, dass sie keine Götter sind. Das also müsstet ihr von uns verlangen, euch zu beweisen, dass sie keine Götter sind und deshalb auch nicht verehrt zu werden brauchen; denn nur dann müssten sie verehrt werden, wenn sie Götter wären. Dann erst wären auch die Christen zu bestrafen, wenn feststünde: die sie nicht verehren, weil sie sie nicht für Götter halten, sind wirklich Götter. ‚Aber für uns‘, erklärt ihr, ‚sind es Götter.‘ Wir erheben Einspruch und richten ihn über euch hinweg an euer Gewissen; dieses mag über uns richten, dieses uns verurteilen, falls es leugnen kann, dass alle diese eure Götter einmal Menschen gewesen sind.“78 76 Ebenda, 28, 1-2. 77 Ebenda, 30, 1-3. 78 Ebenda, 10, 2-4. 21 Tertullian stellt also die Wahrheitsfrage und fordert einen Wahrheitsbeweis. Die Christen verehren den wahren Gott, mehr noch sie verehren die Wahrheit: „Was also verehren die, die solche Dinge (Götzen) nicht verehren? Das eine liegt schon klar zu Tage, dass sie Verehrer der Wahrheit sind, wenn sie die Lüge nicht verehren, und dass sie nicht mehr in einem Irrtum leben, den sie, sobald sie ihn als Irrtum erkannten, haben fahren lasse.“79 Tertullian baut seine Apologie nicht wie sonst bei den Apologeten üblich auf den Argumenten der Philosophen auf, sondern auf dem „Zeugnis der Seele“, der Stimme des einzelnen Gewissens. Er hat noch in seiner katholischen Phase einen eigenen Traktat über das „Zeugnis der Seele“80 geschrieben, der die Gedanken seines Apologeticum ausbaut. Die Texte belegen, dass es Tertullian nicht bloß um eine erweiterte Form altrömischer Religionsfreiheit geht, sondern um eine echte innere Freiheit, die sich ausschließlich auf die Wahrheit und die ehrliche Suche nach der Wahrheit stützt81. „Was wir verehren ist der eine Gott, der diesen ganzen Weltenbau samt all seinem Zubehör an Elementen, Körpern und Geistern durch das Wort, mit dem er befahl, durch die Vernunft, mit der er ordnete, durch die Kraft, mit der er wirkte, aus dem Nichts heraus gestaltet hat zum Schmuck seiner Herrlichkeit, (…) Soll ich ihn euch aus seinen eigenen vielen und großen Werken, durch die wir bewahrt, durch die wir erhalten, durch die wir erfreut und durch die wir auch erschreckt werden, soll ich ihn euch aus dem Zeugnis der eigenen Seele beweisen? Diese mag zwar vom Kerker des Leibes eingezwängt, mag von verkehrten Lehren umgaukelt, mag von hemmungslosen Trieben und Begierden ausgezehrt, mag von falschen Göttern versklavt sein; aber wenn sie wieder zu sich kommt – gleichsam wie aus einem Rausch, wie aus einer Ohnmacht, wie aus einer Art Krankheit – und ihren heilen Zustand wiederfindet, nennt sie ihn ‚Gott‘, mit diesem einen Wort, weil dieser allein der eigentlich wahre ist. ‚Gott ist gut und groß‘ und ‚das gebe Gott‘ sind Wendungen, die jeder gebraucht. Auch als Richter bezeugt sie ihn, wenn sie sagt: ‚Gott sieht es‘ und ‚ich überlasse es Gott‘ und ‚Gott wird mir’s vergelten‘. Welch Zeugnis der von Natur aus christlichen Seele! (O testimonium animae naturaliter Christianae!82) 79 Ebenda, 15, 8. 80 Tertullian, De testimonio animae, CCL I, 175 ff. Siehe Tertullian, Über die Seele, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Jan H. Waszink, Artemis, Zürich (1980); ebenso die von Carlo Tibiletti im Verlag G. Giappichelli, Turin (1959) besorgte Ausgabe und Übersetzung mit ausführlichem Kommentar. 81 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Lorenzo Dattrino, La liberté religieuse dans l’Ad scapulam de Tertullien, Lateranum LXXIII (2007), 357 ff, besonders 361 ff. 82 Wie Jan H. Waszink zurecht ausführt, meint Tertullian damit nicht, dass jede menschliche Seele automatisch und von Geburt an christlich wäre. Er schreibt nämlich in Apologeticum 18, 4: „fiunt, non nascuntur Christiani“ und in De testimonio animae I, 7: „Non es, quod sciam, Christiana. Fieri enim, non nasci solet Christiana.“ Gemeint ist, dass die menschliche Seele in ihrer reinen Form die höchste Möglichkeit zum Christ-Werden in sich trägt. Die Verwirklichung kann nur die Taufe geben, siehe: Tertullian, Über die Seele, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Jan H. Waszink, Artemis, Zürich (1980, 196. 22 Und wenn sie dies ausspricht, blickt sie nicht hin zum Kapitol, sondern zum Himmel. Sie kennt ja den Sitz des lebendigen Gottes; von ihm und dorther ist sie herabgestiegen.“83 Es mögen da platonische Vorstellungen von der Präexistenz der Seele mitspielen, aber es wird deutlich, dass es Tertullian um eine Art „psychologischen“ Gottesbeweis geht, der notwendigerweise die Freiheit und das Zusichkommen der Seele voraussetzt. Und die deshalb Rechte hat, weil sie unmittelbar von Gott her kommt und seine Existenz in ihrer eigenen Seinsweise widerspiegelt. In „De testimonio animae“ führt er aus: „Jede Seele verkündet mit gutem Recht (suo iure proclamat) das, was uns (Christen) nicht einmal zu munkeln gestattet ist. Mit gutem Recht ist daher jede Seele sowohl Angeklagte wie Zeugin; sie ist in demselben Grade des Irrtums angeklagt, in welchem sie Zeugin für die Wahrheit ist, und sie wird vor dem Vorhof Gottes stehen am Tage des Gerichts, ohne etwas vorbringen zu können: (Denn) du (Seele) hast Gott verkündet und ihn nicht gesucht; du hast die Dämonen verabscheut und sie trotzdem angebetet; du hast das Gericht Gottes angerufen und doch nicht geglaubt, dass es besteht; du hast die Strafen der Unterwelt geahnt, dich aber nicht davor in acht genommen; du hast das Christentum gekannt und es verfolgt! (Christianum nomen sapiebas et persequebaris)“84 Diese Einsichten kombinierend, verfasst Tertullian vermutlich im Jahr 212 seinen Brief an den Provinzstatthalter Scapula, der eine Verfolgung der Christen begonnen hatte85. In ihm formulierte Tertullian: „Es ist ein Menschenrecht und ein Naturrecht (humani iuris et naturalis potestatis est), dass jeder anbeten kann, was er will; die Religion des einen kann dem anderen weder nützen noch schaden. Es liegt nicht in der Natur der Religion, die Religion zu erzwingen; sie muss freiwillig angenommen werden und nicht durch Gewalt, weil Opfer nur aus freiem Willen verlangt werden. Wenn ihr uns also zum Opfern zwingt, gebt ihr euren Göttern in Wirklichkeit nichts; sie brauchen keine widerwillig dargebrachten Opfer.“86 Auch in Ad scapulam betont Tertullian, dass die Christen den wahren Gott aller anbeten, den auch die Römer in Wirklichkeit von Natur aus kennen87. Er betont die enge Verbundenheit 83 Tertullian, Apologeticum 17, 1. 4-6. 84 Tertullian, De testimonio animae, VI, 5-6, CCL I, 183. Die Übersetzung von Jan H. Waszink, in: Tertullian, Über die Seele, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Jan H. Waszink, Artemis, Zürich (1980) 209 f. 85 Für die Datierung siehe Paul Monceaux, Histoire littéraire de l’Afrique chrétienne, 199; für die nähere Umstände der Abfassung des Briefes Lorenzo Dattrino, Lateranum LXXIII (2007), 357 f. 86 Tertullian, Ad scapulam, II, 2, CCL II, 1127 ff; herausgegeben von C. Moreschini/P. Podolak, Tertulliano, Opere Apologetische, Città Nuova, Roma (2006) 579 ff. Die deutsche Übersetzung ist entnommen Heinrich Schmidinger (Hrsg.), Wege zur Toleranz. Geschichte einer europäischen Idee in Quellen, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt (2002), 30. 87 Tertullian, Ad scapulam, II, 1. 23 der Christen mit dem Kaiser und dem Römischen Reich und dass ein Christ niemandes Feind sei (Christianus nullius est hostis)88. Aus dieser Äußerung ist wohl auch abzuleiten, dass seine scharfe Verurteilung der Idololatrie89 Tertullian nicht zu physischen Verfolgungs- und Zwangsmaßnahmen veranlasst hätte. Zusammenfassend kann man sagen, dass Tertullian90 die innere und äußere Religionsfreiheit in ihrer negativen und positiven Form fordert und vertritt. Er gründet die negative Freiheit, die falschen Götter nicht verehren zu müssen auf die Wahrheitsfrage und fordert einen Wahrheitsbeweis. Tertullian baut seine Apologie auf dem „Zeugnis der Seele“, der Stimme des einzelnen Gewissens auf. Die Texte belegen, dass es Tertullian nicht bloß um eine erweiterte Form altrömischer Religionsfreiheit geht, sondern um eine echte innere Freiheit, die sich ausschließlich auf die Wahrheit und die ehrliche Suche nach der Wahrheit und dem wahren Gott stützt. Es geht Tertullian um eine Art „psychologischen“ Gottesbeweis, der notwendigerweise die Freiheit und das Zusichkommen der Seele voraussetzt. Die Seele hat deshalb das Recht auf Religionsfreiheit, weil sie unmittelbar von Gott her kommt und die Existenz Gottes in ihrer eigenen Seinsweise widerspiegelt. Als Kehrseite hiervon bekämpft Tertullian den Götzendienst als falsch und überzieht ihn mit Spott: Vielgötterei ist kein Ausdruck menschlicher Freiheit und Vernünftigkeit. Dennoch ruft er an keiner Stelle nach staatlichen Verboten oder Zwang. Es ist erstaunlich, dass Tertullian von der Konzilserklärung Dignitatis Humanae nicht zitiert wird. 5. Cyprian Der große nordafrikanische Märtyrerbischof und fruchtbare Schriftsteller Caecilius Cyprianus Thascius91 von Karthago lebte ca. vom Beginn des 3. Jahrhunderts n. Chr. bis 258. Er lebte für die Kirche und widmete sich unermüdlich seinem Hirtenamt. Seine Schriften spiegeln diese Widmung und sind daher meist praktischen Charakters, voll Kraft und rhetorischer Eleganz. Cyprian ist vor allem für das Verständnis des Bischofsamtes und der Hierarchie in der Kirche, 88 Ebenda, II, 6. 89 In seinem Werk De Idololatria, I, 1, CCL II, 1101 schreibt Tertullian: „Principale crimen generis humani, summus saeculi reatus, tota causa iudicii idololatria. (…) Idololatres idem homicida est.“ 90 Minucius Felix, ein weiterer nordafrikanischer Apologet wird hier nicht eigens untersucht, weil sein Werk Octavius wohl nach dem Apologeticum des Tertulian verfasst und von diesem abhängig sein dürfte. Siehe das Stichwort „Minucius Felix“, in: Siegmar Döpp/Wilhelm Geerlings (Hrsg.), Lexikon der antiken christlichen Literatur, Herder, Freiburg (2002, 3., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage), 504 ff. 91 Für Biographie und Werk sowie dessen Wirkungsgeschichte siehe Paul Monceaux, Histoire littéraire de l’Afrique chrétienne depuis des origines jusqu’à l’invasion arabe, Band 2, Paris (1902), 199 ff; sowie das Stichwort „Cyprian“, in: Siegmar Döpp/Wilhelm Geerlings (Hrsg.), Lexikon der antiken christlichen Literatur, Herder, Freiburg (2002, 3., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage), 169 ff. 24 der Entwicklung der Kirchenleitung und allgemein innerkirchliche Fragen von Bedeutung. Seine Schriften machen demgemäß in erster Linie Aussagen über die horizontale Dimension der Toleranz in der Kirche zwischen den Individuen und sind – in dem uns hier interessierenden Zusammenhang - wichtig für das Verhalten gegenüber Andersdenkenden und Dissidenten. Die historischen Umstände der Verfolgung des Decius und des Valerian hatten viele sogenannte Lapsi hervorgebracht, also Christen, die das vorgeschriebene heidnische Opfer dargebracht hatten. Um die Frage nach der richtigen Reaktion der kirchlichen Hierarchie auf diese „Abtrünnigen“ wurden heftige Auseinandersetzungen geführt, die ihrerseits wieder Anlass für Spaltungen in der Gemeinde waren (Novatianer). Cyprian weist einen Mittelweg: weder dürfe das Nachgeben in der Opferfrage bagatellisiert werden (De lapsis) noch sei es richtig die Haltung eines unerbittlichen Rigorismus einzunehmen (De ecclesiae catholicae unitate). Die Bedeutung seiner zu einem Büchlein erweiterten Predigt De lapsis92 für die Religionsfreiheit besteht in der Festigkeit, mit der Cyprian die absolute Unvereinbarkeit von Christentum und Götzendienst, auch wenn er bloß simuliert wurde, festhält. Hier kommt jene negative Religionsfreiheit zur Geltung, die in dem Maß zur Pflicht wird, als die Götzen falsch sind, und der Mensch verpflichtet ist, sich der Wahrheit gemäß zu verhalten. Mit aufrüttelnden Worten und unter Offenlegung seiner eigenen Gefühle, weist Cyprian das Begehren der gefallenen Christen zurück, ohne weiteres wieder in die kirchliche Eucharistiegemeinschaft aufgenommen zu werden und legt ihnen eine längere Zeit echter Buße auf. Sein Buch De ecclesiae catholicae unitate93 ergänzt De lapsis, indem es sich gegen die Rigoristen, besonders die Novatianer richtet. Cyprian betont ausführlich den Schaden, den die Schismatiker und Häretiker anrichten, indem sie die kirchliche Gemeinschaft verlassen. Dieser Schaden sei großer als der von den lapsi verursachte. Trotz seiner deutlichen Verurteilungen ruft Cyprian an keiner Stelle den Staat um Hilfe an94 oder die anderen Christen zu gewaltsamem Vorgehen gegen die Dissidenten auf. Im Gegenteil. Sein Rat besteht darin, dem Beispiel der Tauben und Lämmer zu folgen95 und jeden Umgang mit den Schismatikern zu meiden, um der tödlichen Ansteckung zu entgehen. Man müsse von dem fliehen, der sich von der Kirche getrennt habe: so jemand sei pervers und sündig und habe 92 CCL III, 217 ff. Für eine Zusammenfassung siehe Paul Monceaux, Histoire littéraire de l’Afrique chrétienne, Band 2, 292 ff. 93 CCL III, 243 ff. Auch übersetzt von Michel Poirier in Sources chrétiennes 500, Les éditions du cerf, Paris (2006). Für eine Zusammenfassung siehe Paul Monceaux, Histoire littéraire de l’Afrique chrétienne, Band 2, 298 ff. 94 Dass dies selbst für die Zeit vor der konstantinischen Wende nicht denkunmöglich ist, zeigt der Fall des Paul von Samosata, der von einer Synode von seinem Bischofssitz Antiochien enthoben worden war. Die Bischöfe riefen schließlich Kaiser Aurelian an, der um 272 n. Chr. den unwilligen Bischof mit Amtsgewalt entfernen ließ. 95 Cyprian, De ecclesiae catholicae unitate, 9, CCL III, 255 f. 25 sich selbst verurteilt96. Lecler kann also zugestimmt werden, wenn er schreibt, dass Cyprian zwar zum ersten Mal in der Kirchengeschichte das berühmte Axiom „außerhalb der Kirche kein Heil“ formuliert, dass aber für den hl. Cyprian die dogmatische oder disziplinarische Intoleranz der Kirche mit dem Übel und dem Irrtum jeden Zwang ausschließt und grundsätzlich nur geistliche Strafen zulässt97. Nach dem Zeugnis des Diakon Pontius hat Cyprian während der Pestepidemie im Jahr 252/253 nicht nur die Krankenpflege innerhalb der Christengemeinde organisiert, sondern die Christgläubigen aufgerufen, die Caritas auch den Heiden angedeihen zu lassen98. Durch eine solche Haltung kommt zum Ausdruck, dass Cyprian seine Milde und Barmherzigkeit nicht bloß auf die eigene Gemeinde bezog, sondern – in einer Notsituation des nackten Überlebens - auf alle Menschen unabhängig von ihrem Religionsbekenntnis. Toleranz als Ertragen der Schwierigkeiten des Zusammenlebens, die sich aus den unvermeidlichen Eifersüchteleien hinsichtlich der sozialen Anerkennung und aus den Meinungsverschiedenheiten ergeben, ist das Ergebnis eines mühevollen inneren Ringens und An-Sich-Arbeitens. Cyprian widmet dieser „Askese der horizontalen Toleranz“ zwei opuscula: De zelo et livore99 und De bono patientiae100. De zelo et livore widmet sich in erster Linie dem Neid. Der Neid sei es, der die Häresien und Schismata hervorrufe. Der Neid zerbreche das Band des Herrenfriedens, tue der geschwisterlichen Liebe Gewalt an, verfälsche die Wahrheit, zerreiße die Einheit101. In De bono patientiae betont Cyprian vor allem die Toleranz als notwendiges Element der Liebe: „Die Liebe ist das Band der Brüderlichkeit, das Fundament des Friedens, das Bestehen und die Festigkeit der Einheit. Die Liebe ist größer als die Hoffnung und der Glaube. Die Liebe geht sowohl den Werken als auch dem Martyrium voraus. Die Liebe ist ewig und wird bei uns bleiben im Himmelreich. Nimm der Liebe die Geduld (patientia) und ohne sie wird die Liebe nicht Bestand haben. Nimm der Liebe den Gehalt an Toleranz und Ertragen der anderen, auf dem sie aufruht, und die Liebe wird ohne Wurzeln und ohne Kraft ihr Dasein fristen (tolle 96 Ebenda, 17, CCL III, 262: „vitate, quaeso, vos eiusmodi homines, et a latere atque auribus vestris perniciosa conloquia velut contagium mortis arcete, (…). Aversandus est talis atque fugiendus quisque fuerit ab ecclesia separatus: perversus est huiusmodi et peccat, et est a semetipso damnatus.“ 97 So Joseph Lecler, Geschichte der Religionsfreiheit I, 98. 98 Siehe Paul Monceaux, Histoire littéraire de l’Afrique chrétienne, Band 2, 303 f. 99 CCL III A, 73 ff. 100 CCL III A, 115 ff 101 Cyprian, De zelo et livore, 6, CCL III A, 78. 26 sustinendi tolerandique substantiam, et nullis radicibus ac viribus perserverat). (…) (der hl. Paulus) hat bewiesen, dass die Einheit und der Friede nicht gewahrt werden können, wenn die Brüder einander nicht in gegenseitiger Toleranz günstig gewogen bleiben und das Band der Eintracht durch Geduld bewahren.“102 Wer im Hafen Christi ist, dürfe weder Zorn noch Zwietracht in sein Herz einlassen, er dürfe Böses nicht mit Bösem vergelten noch sei es ihm gestattet zu hassen103. Am Ende der Zeiten aber komme der Richter, der die Sünder bestrafen werde. Cyprian hat ein einziges apologetisches Werk an einen Nichtchristen gerichtet, und zwar an Demetrianus104. Mit Schärfe betont Cyprian die Pflicht, den einzig wahren Gott gemäß der einzig wahren katholischen Religion anzubeten. Die Naturkatastrophen, die die Römer den Christen zuschoben, seien in Wirklichkeit eine Strafe für den Polytheismus105. Cyprian wendet demnach das Argument der Gegner gegen diese selbst, setzt aber das altrömische Religionsverständnis voraus und wendet es auf den wahren Gotteskult an, wie es dann auch im 4. Jahrhundert geschehen wird. Hier ist noch nicht von einer Symbiose von Staat und christlicher Religion die Rede, aber die Keime dafür sind vorhanden. Sie sind wohl Frucht typisch römischer Mentalität. Cyprian weist jedoch ausdrücklich jeden physischen Zwang zurück und fordert Demetrianus auf, mit geistigen Waffen zu kämpfen: „Wenn ich mich inmitten der zahlreichen Menge, die mich auf dem Forum umgibt, als Christ bekenne und ich euch und eure Götter durch meine öffentliche und klare Predigt zunichte mache, wieso wendest du dich gegen meinen schwachen Leib, warum kämpfst du gegen mein schwaches irdisches Fleisch? Kämpfe mit der Kraft meiner Seele, brich die Festigkeit meines Geistes, zerstöre meinen Glauben, mit Argumenten siege, wenn du es kannst, siege mit der Vernunft!“106 Er betont auch in Ad Demetrianum, dass ein Christ nicht hassen dürfe107, sondern die Christen die nichtchristlichen Verfolger ertragen müssen: „Intra unam domum boni et mali interim continemur.“108 Erst der Tod bringe die Scheidung. Cyprian sieht also zwei Arten 102 Cyprian, De bono patientiae, 15, CCL III A 126 f. Die Übersetzung ist von mir. 103 Ebenda, 16, CCL III A, 128. 104 Cyprian, Ad Demetrianum, CCL III A, 33 ff; übersetzt und herausgegeben von A. Cerretini/S. Matteoli u.a. als Band 6/2 der Scrittori cristiani dell’Africa Romana, Città Nuova, Roma (2009), 189 ff. 105 Cyprian, Ad Demetrianum, 5 und 12. 106 Ebenda, 13. 107 Ebenda, 25. 108 Ebenda, 19. 27 intersubjektiver, horizontaler Toleranz: erstens müssen die Guten einander in ihren Schwächen mit Liebe dulden; diese Einheit gibt ihnen die Stärke zum Erdulden der Bösen, die eine Prüfung Gottes seien. 6. Laktanz Weniger als 100 Jahre nach Tertullian setzt der Nordafrikaner Caecilius Firmianus Lactantius (ca. 250 – 325)109 das Werk seiner Landesleute Tertullian, Minucius Felix und Cyprian fort. Die Aussagen des Laktanz über das christliche Dogma sind lückenhaft und zum Teil sehr verzerrt. Es fehlen ihm eine gründliche Bibelkenntnis und das Studium christlicher Theologie. Laktanz beschreibt nicht alle Sakramente, noch die christliche Liturgie; die Kirche kommt bei ihm kaum vor. So ist er kein zuverlässiger Zeuge für den vollen Inhalt des katholischen Glaubens, außer auf dem Gebiet der Moral, wo Laktanz originell ist110. Er ist der erste christliche Schriftsteller, der eine umfassende Moraltheorie entworfen und dabei versucht hat, die richtigen Erkenntnisse der vorchristlichen Moralphilosophie mit den christlichen Geboten zu vereinbaren. Dabei stellt er die christlichen Gebote über die profanen philosophischen Systeme und öffnet so den Weg für Ambrosius und Augustinus. Die letzten drei Bücher seines Werkes Divinae institutiones111 sind der Moral gewidmet. Sie tragen die Titel: de iustitia, de vero cultu, de vita beata. Die Moral nimmt im Denken des Laktanz einen so hohen Stellenwert ein, dass er manchmal die Religion darauf zu reduzieren scheint. Dies entspricht dem altrömischen Religionsverständnis, für das Religion weniger eine Suche nach Wahrheit war, sondern eine zivilisierende und moralisierende Kraft. Es ging mehr um disciplina als um doctrina112. Laktanz wendet sich an die heidnische Bildungselite und möchte sie für den christlichen Glauben gewinnen, indem er das klassische hellenistische Erbe dort bejaht und aufnimmt wo, es Wahres gesagt hat. Gemäß Laktanz widerspricht die christliche Moral den wahren philosophischen Einsichten nicht, sondern ergänzt sie, reinigt sie von Widersprüchen, verleiht ihnen ein Fundament und eine Sanktion im Jenseits. Schon 109 Für Leben und Werk siehe Paul Monceaux, Histoire littéraire de l’Afrique chrétienne depuis des origines jusqu’à l’invasion arabe, Band 3, Paris (1905), 287 ff; sowie das Stichwort „Laktanz“, in: Siegmar Döpp/Wilhelm Geerlings (Hrsg.), Lexikon der antiken christlichen Literatur, Herder, Freiburg (2002, 3., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage), 443 ff. 110 Siehe die Bewertung und Kritik bei Paul Monceaux, Histoire littéraire de l’Afrique chrétienne, Band 3, 324 ff, besonders 337 ff. 111 Vollständig lateinisch editiert von Eberhard Heck und Antonie Wlosok im Verlag De Gruyter, Berlin/New York in drei Bänden (2005, 2007, 2009); in der Reihe Sources chrétiennes sind bisher erschienen das erste, zweite , vierte und fünfte Buch. 112 Siehe die Einführung in das fünfte Buche der Divinae Institutiones durch Pierre Monat, in: Lactance, Insitutions divines, Livre V, tome I, Sources chrétiennes 204, Les éditions du cerf, Paris (1973) 11 f. 28 der Name seines Hauptwerks – Divinae Institutiones – weist auf ihren juristischen Charakter hin. Laktanz war ja Lehrer am Hof Kaiser Konstantins. Konstantins Sohn Crispus war sein Schüler. Schon 314 hatte Konstantin begonnen, die iustitia und aequitas ausdrücklich vor die „stricta iuris ratio“ zu stellen113. Laktanz leistet seinen Beitrag zu dieser Erneuerung, indem er nicht nur zeigt, dass es möglich ist, zugleich ein guter Christ und ein guter Bürger zu sein, sonder dass es nötig ist, Christ zu sein, um ein guter Bürger zu werden, denn nur als Christ kenne man die wahre Gerechtigkeit. Wenn alle den einen wahren Gott verehren würden, käme das goldene Zeitalter wieder und es gäbe keine Kriege114. Gerechtigkeit, dem das fünfte Buch der Divinae institutiones gewidmet ist, bedeutet für Laktanz pietas und aequitas. Sie besteht zunächst darin, vor Gott die richtige Stelle einzunehmen durch Dei notio und cultus. Dann aber auch dadurch, dass der Mensch seinen angemessenen Platz unter den Menschen, zu finden versteht. Alle Menschen sind gleich, weil alle Kinder desselben einzigen Gottes sind115. Zu den Pflichten der Gerechtigkeit, die bereits die heidnischen Denker erkannt hätten, füge das Christentum gemäß Laktanz die Gebote der Frömmigkeit, der Nächstenliebe und der Brüderlichkeit hinzu. Im Rahmen einer Studie über die Religionsfreiheit interessieren hier in erster Linie die Überlegungen, die Laktanz hinsichtlich der Frömmigkeit anstellt, denn gerade in diesem Zusammenhang betont er die Unverzichtbarkeit der Freiheit. Dieser Gedanke durchzieht sein ganzes Werk. In den Divinae Institutiones inszeniert Laktanz eine Art literarischen Wettbewerb zwischen Heidentum und christlichem Glauben und betont, dass dabei nur Argumente, nicht aber Gewalt zulässig seien: „Es bedarf keiner Gewalt und keines Unrechts, denn keine Religion kann erzwungen werden. Es werde nur mit Worten und nicht mit Schlägen argumentiert, damit es Freiwilligkeit gäbe. Mögen sie (die Heiden) die Schärfe ihres Einfallsreichtums erweisen: wenn die Gründe, die sie vorbringen, wahr sind, werden sie Zustimmung finden. Wir sind bereit zu hören, wenn sie lehren. Wenn sie schweigen, werden wir sicherlich nichts glauben, so wie wir auch nicht vor ihrem Wüten weichen.“116 „Man muss die Religion verteidigen, doch nicht tötend, sondern sterbend; nicht durch Grausamkeit, sondern durch Leiden; nicht durch Verbrechen, sondern durch Glauben. Jene erst genannten Haltungen sind böse, diese anderen gut, und in einer Religion muss man das Gute finden können, nicht das Böse. Denn wenn du die Religion durch 113 Siehe für weitere Nachweise die Einführung in das fünfte Buche der Divinae Institutiones durch Pierre Monat, in: Lactance, Insitutions divines, Livre V, tome I, Sources chrétiennes 204, 30. 114 Laktanz, Divinae Insitutiones, V, 8, 3.6. „Estote aequi ac boni, et sequetur vos sua sponte iustitia quam quaeritis. Deponite omnem malam cogitationem de cordinbus vestris, et statim vobis tempus aureum revertetur: quod aliter consequi non potestis, quam si deum verum colere coeperitis.“Es ist bedauerlich, dass ihm die Geschichte nicht recht gegeben hat. 115 Laktanz, Divinae Institutiones V, 14, 16-17; 8, 6; VI, 10, 6. 116 Ebenda, V, 19, 11. Eigene Übersetzung. 29 Blut, durch Folter, durch Böses verteidigen willst, so wird sie nicht verteidigt, sondern befleckt und vergewaltigt. Nichts ist so vom freien Willen abhängig wie die Religion; sie verschwindet, sie wird zunichte gemacht, wenn das Opfer widerwillig dargebracht wird.“117 In seiner Epitome divinarum institutionum, einer Kurzform des langen Hauptwerks, formuliert Laktanz noch prägnanter: „Und doch ist es die Religion allein, in der die Freiheit ihre Wohnstatt errichtet hat. Sie ist nämlich vor allen anderen Dingen etwas Freiwilliges, und niemandem kann die Notwendigkeit auferlegt werden zu verehren, was er nicht will. Vielleicht kann es irgendwer vortäuschen, aber wollen kann er es nicht.“118 Es spiegelt seine Ausführungen in den Divinae Institutiones: „Ein erzwungenes Opfer ist kein echtes Opfer. Wenn es nicht freiwillig und aus vollem Herzen erbracht wird, ist es eine Lästerung wie auch in dem Fall, da es durch Gewalt, durch Gefängnis, durch Folter erzwungen wird. Wenn es Götter gäbe, zu denen man auf diese Weise betete, verdienten sie allein darum, keine Götter zu sein, weil sie so angebetet werden wollen; Götter, denen man mit Tränen und Stöhnen opfert, während das Blut von allen Gliedern rinnt, verdienen die Abscheu der Menschen. Wir dagegen verlangen nicht, dass man widerwillig zu unserem Gott betet, obwohl er der Gott aller Menschen ist, ob sie damit einverstanden sind oder nicht. Wenn man sich weigert, zu ihm zu beten, zürnen wir deshalb nicht. Wir verlassen uns auf seine Majestät, die zu rächen vermag, ob man sie selbst verachtet oder ihre Diener beleidigt. Darum klagen wir nicht einmal, wenn man uns foltert, wir überlassen die Rache Gott. Wir handeln nicht wie jene, die sich zu den Verteidigern ihrer Götter erheben und wild gegen jene anderen wüten, die nicht zu ihnen beten.“119 Laktanz dürfte diese Aussagen aber vor allem im Sinn der negativen Religionsfreiheit der Christen verstanden haben, nicht zu opfern. Er betont nämlich an anderer Stelle, dass die Götzendiener Mörder im doppelten Sinn seien: Mörder ihrer eigenen Seelen und Mörder jener, die sie zum Opfern zwingen – ganz im Sinne Tertullians in De idololatria. Die Götzendiener versuchen nicht mit Worten oder Vernunftargumenten zu überzeugen, sondern mit Zwang und Folter. „O mira et caeca dementia!“120 Deswegen gälten ihrerseits die Christen bei den Törichten als töricht, denn sie sterben lieber als das Weihrauchopfer 117 Ebenda, V, 19, 22-23. Übersetzung verbessert und ergänzt übernommen von Schmidinger, Wege zur Toleranz, 30. 118 Laktanz, Epitome divinarum institutionum, 49, Übersetzung aus Lactantius, Göttliche Unterweisungen in Kurzform, übersetzt von Eberhard Heck und Gudrun Schickler, K.G. Saur Verlag, München Leipzig (2009), 113. 119 Laktanz, Divinae Institutiones V, 20, 7-9. Übersetzung verbessert und ergänzt übernommen von Schmidinger, Wege zur Toleranz, 30 f. 120 Ebenda, V, 19, 6. 30 darzubringen. Das wäre nämlich Abfall vom wahren Gott, der Vater und Herr ist. Wie der pater familias, der über Sklaven und Kinder potestas hat würde Gott Flucht und Treulosigkeit bestrafen121. Laktanz trifft das Richtige, wenn er ausführt: „Sie wüten gegen uns, nicht weil wir die Götter nicht verehren, denn viele andere Menschen verehren sie auch nicht, sondern weil die Wahrheit in uns ist, die, wie richtig gesagt wurde, Hass gebiert.“122 Unser Autor lehrt das Christentum als einzigen Weg der Wahrheit, als Weg des Heils für diesseitiges und jenseitiges Leben123. Die christliche Lehre sei die einzige, die der menschlichen Seele entspräche und sie ganz erfülle124. Auch bei Laktanz ergibt sich die geforderte Religionsfreiheit letztlich aus der Wahrheitsfrage. Weil der Mensch nur freiwillig glauben kann, muss er auch mit freien Vernunftargumenten, nicht unter Zwang, nach dem wahren Gott suchen. Das Licht der Wahrheit ist für die Seele eine glückspendende Nahrung125. Dazu braucht er aber gemäß Laktanz die Erleuchtung der Offenbarung. Laktanz hält seine Gewaltlosigkeit konsequent durch. Er lehnt bekanntlich jegliche Tötung eines Menschen ab, selbst in Krieg und als Todesstrafe126. Seine Ausführungen zur Religionsfreiheit, so deutlich auch der Götzendienst abgelehnt wird, sind zugleich eine Einladung an die Heiden, keine Angst vor einer redlichen und angstfreien Auseinandersetzung zu haben. Laktanz schreibt in einem historischen Augenblick, da die konstantinische Wende schon gerade vollzogen war oder knapp bevorstand, so dass seine Ausführungen eher ein Angebot an die Heiden als eine Bitte für die Christen darstellen. Jedenfalls wird aus den zitierten Stellen deutlich, dass er jeden Zwang in Religionsangelegenheiten ablehnt, egal ob er von Heiden gegen Christen oder von Christen gegen Heiden angewandt wird. 7. Schluss Es sei am Schluss die Bewertung der Toleranzbotschaft des frühen Christentums durch Rainer Forst als Frage formuliert: Ist sie zweideutig? Werfen die Gründe für Toleranz auf diese 121 Ebenda, V, 18, 12-16. 122 Ebenda, V, 21, 1. 123 Vgl. ebenda, IV, 28, 1; 29, 15; 30, 12, etc. 124 Ebenda, V, 19, 30. 125 Ebenda, V, 1, 12. 126 Ebenda, VI, 20, 16-18 31 Toleranz zugleich einen Schatten, der aus dem Anspruch universaler und absoluter Wahrheit und strafender Gerechtigkeit folgt? Ich möchte diese Fragen verneinen. Joseph Ratzinger hat mE überzeugend ausgeführt, das der späte Neoplatonismus sich zum Instrument der Abwehr des christlichen Anspruchs und der Neubegründung des Polytheismus gemacht hat. Ausdruck dieser Haltung ist der berühmte Satz des Symmachus in seiner Petition um Wiederaufstellung der ara victoriae im Senat und der Wiederherstellung der staatlichen Privilegien für die altrömischen heidnischen Kulte127: „Es ist recht und billig, was alle verehren, für Eines zu halten, was immer es sein mag. Wir schauen zu den gleichen Sternen empor, der Himmel ist uns gemeinsam, dasselbe Weltall umhüllt uns. Was liegt daran, nach welcher Weisheitslehre jeder die Wahrheit sucht? Auf einem einzigen Weg kann man nicht zu einem so bedeutenden Geheimnis gelangen. Doch das sind Erörterungen von Leuten, die Zeit und Muße haben. Jetzt unterbreiten wir Euch Bitten, keine Streitfragen.“128 Der Skeptizismus ist herauszuhören, die Wahrheitsfrage wird zwar angesprochen, aber dann wieder ausgeklammert. Worum es Symmachus geht, sind die finanziellen Zuschüsse des Staates und die alten Privilegien der heidnischen Priesterkaste. Auf den modernen Vorwurf, dass der Monotheismus religiöse Intoleranz überhaupt erst möglich gemacht hat, antwortet Joseph Ratzinger mit dem Verweis auf die Unausweichlichkeit der Wahrheitsfrage. Gerade in den polytheistischen Kulturen sei die Kritik der antiken philosophischen Aufklärung am Vielgötterglauben aufgebrochen. Selbst im späten Neoplatonismus sei diese Spaltung zu beobachten: der Polytheismus sei für das Volk, für die Philosophen hingegen sei der Königsweg der Vereinigung mit dem Einen zu beschreiten129. Toleranz braucht unbedingt ein Fundament an Wahrheit: die Wahrheit der unbedingten Würde des anderen als Mensch, die ihm letztlich von Gott her zukommt. Ohne diese transzendente Grundlage ist das Festhalten an Toleranz im Auf und Ab der Geschichte und in den Stürmen der Leidenschaften nicht möglich. „Wahrheit und Liebe sind identisch. Dieser Satz – wenn er in seinem ganzen Anspruch begriffen wird – ist die höchste Garantie der 127 Der Text dieser dritten Relation des Symmachus ist im lateinischen Original und in deutscher Übersetzung zu finden in Prudentius, Contra Symmachum – Gegen Symmachus, übersetzt und eingeleitet von Hermann Tränkle, Fontes Christiani Band 85, Brepols, Turnhout (2008) 80 ff. 128 Symmachus, Relatio III, 10, ebenda, 87. 129 Joseph Kardinal Ratzinger, Glaube, Wahrheit, Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen. Herder, Freiburg Basel Wien (32004), 180 ff. 32 Toleranz; eines Umgangs mit der Wahrheit, deren einzige Waffe sie selbst und damit die Liebe ist.“130 130 Joseph Kardinal Ratzinger, ebenda, 186.