Eingang zu einem Wahllokal bei der Wahl zum 3. Deutschen Volkskongreß am 15. /16. Mai 1949. Volkskongreßwahlen 1949: amtliche Wahlfälschungen Nach offiziellen Angaben stimmte bei der Wahl 1949 ein knappes Drittel der Wähler mit „Nein" oder hatte ungültige Stimmzettel abgegeben. Aber auch die 66,1 % „Ja"-Stimmen waren teilweise gefälscht. Als abzusehen war, daß die Ergebnisse nicht den Erwartungen der SED entsprechen würden, griffen in der Nacht vom 15. zum 16. Mai 1949 die Innenminister der Länder der SBZ ein. Bei den nächsten Wahlen im Herbst 1950 gab es die Möglichkeit der „Nein"-Stimme dann nicht mehr. Der Innenminister des Landes Mecklenburg gab wegen „bestehender Unklarheiten" am 16. Mai den Kreisräten und Stadtverwaltungen zur Weitergabe an die Gemeinden und Wahlbezirke die folgende Anweisung: „Blitzfernschreiben - sofort auf den Tisch -! 1. Aus den Stimmzetteln muß der Wille des Wählers erkenntlich sein. 2. Alle weiß abgegebenen Stimmzettel sind gültig und als Ja-Stimmen zu zählen. 3. Stimmzettel, auf denen Kandidaten angestrichen oder Wahlzettel durchgestrichen sind, gelten als JaStimmen, wenn sie im Ja-Feld angekreuzt sind. 4. Stimmzettel, die nicht durchkreuzt sind, sondern lediglich beschrieben sind, gelten nur dann als ungültig, wenn sie eine demokratisch-feindliche Gesinnung erkennen lassen. 5. Alle ungültigen Stimmzettel von gestern und die der heutigen Aufgabe sind nach obigen Richtlinien durch die Wahlkommission nochmals zu überprüfen." Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.), Die Wahlen in der Sowjetzone, Bonn/Berlin, 6. Auflage 1964, zitiert nach: SBZ 1945-1949. Politik und Alltag in der sowjetischen Besatzungszone, Bonn 1987, S. WO f. 1. Für welche Tatsache sind die „bestehenden Unklarheiten" eine Umschreibung? 2. Arbeiten Sie aus dem Grundgesetz (Artikel 38) die Wahlrechtsgrundsätze der Bundesrepublik heraus. Wenn wir eine Regierung gründen, geben wir sie niemals wieder auf ..." Die DDR sollte gemäß der Verfassung von 1949 eine parlamentarische Republik mit Mehrparteiensystem und Verhältniswahlrecht sein. Doch die Führung der SED hatte in Übereinstimmung mit der Sowjetunion beschlossen, ihr Herrschaftsmonopol unangreifbar zu machen. Das folgende Sitzungsprotokoll des Parteivorstandes (später Politbüro) der SED vom 4. Oktober '1949 wurde erst 1989 zugänglich. Gerhart Eisler1) (Berlin): (empfiehlt die Durchführung einer gewaltigen Kundgebung anläßlich der Bildung einer provisorischen Regierung). So wird sich die provisorische Regierung weithin sichtbar in der ganzen Zone von vornherein auf eine ständig anschwellende Bewegung der Massen stützen. Das sollten wir diskutieren und dann durchführen; denn als Marxisten müssen wir wissen: wenn wir eine Regierung gründen, geben wir sie niemals wieder auf, weder durch Wahlen noch andere Methoden. (Walter Ulbricht: Das haben einige noch nicht verstanden!) - Daher müssen wir ihnen zeigen, daß die Massen bei uns sind, wenn wir eine Regierung bilden, jene Massen, die wollen, daß sie an der Regierung sind, und die sehr ungehalten gegen jene Leute sind, die das verhindern wollen. (Beifall) Siegfried Suckut, Die Entscheidung zur Gründung der DDR, in: Vierteliahrshefte für Zeitgeschichte, 39. Jahrgang 1991, Heft l, S. 161 Diskutieren Sie das Demokratieverständnis der SED-Führung. Zwei deutsche Staaten im Schlepptau der Siegermächte Anläßlich der Gründung der DDR erhebt Ministerpräsident Otto Grotewohl (SED) am 12. 10. 1949 den Anspruch, die „erste unabhängige deutsche Regierung" zu repräsentieren. Der westdeutsche Sonderstaat ist nicht in Bonn, sondern in London entstanden. Bonn hat nur die Londoner Empfehlungen, die in Wahrheit Befehle der westlichen Alliierten waren, ausgeführt. Der nunmehr in die Volkskammer umgewandelte frühere Deutsche Volksrat hat wiederholt Vorschläge an die westdeutschen Politiker ergehen lassen, eine gemeinsame politische Plattform für eine demokratische Willensbildung in ganz Deutschland zu schaffen. Sie haben in Westdeutschland diesen demokratischen Weg abgelehnt und glauben, mit den Methoden einer maßlosen Hetze und Verleumdung gegen die Sowjetunion und gegen die sowjetische Besatzungszone weiterzukommen. [...] Statt der im Potsdamer Abkommen vorgesehenen Demokratisierung, Entmilitarisierung und Entnazifizierung Deutschlands sind sie [die Westmächte] bestrebt, die von ihnen besetzten Teile Deutschlands in eine Kolonie zu verwandeln, die mit den traditionellen Methoden imperialistischer Kolonialherrschaft regiert und ausgebeutet wird. Von Demokratisierung, Entmilitarisierung und Entnazifizierung ist keine Rede. Die von Anfang an sorgfältig konservierten Kräfte der deutschen Reaktion, verstärkt durch den in Westdeutschland immer mehr um sich greifenden Neofaschismus, haben mit aktiver Unterstützung der Besatzungsmächte die alten Machtpositionen wieder eingenommen. [...] Wir wissen, daß wir in unserem Kampf um die Einheit Deutschlands, der ein Bestandteil des Kampfes um den Frieden ist, nicht allein stehen. Wir haben das Glück, uns in diesem Kampf auf das große Lager des Friedens in der Welt stützen zu können, dessen ständig zunehmende Stärke die imperialistischen Kriegsinteressen Schritt um Schritt zurückdrängt. Diese Kräfte des Friedens in der ganzen Welt werden geführt von der Sowjetunion, die eine andere Politik als die Politik des Friedens weder kennt noch kennen kann. Otto Grotewohl, Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik. Reden und Aufsätze, Band l, Berlin 1959, S. 489 ff. Der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, Kurt Schumacher (SPD), kommentiert am 15. 10. 1949 die Proklamation der DDR. Man kann erfolgreich bestreiten, daß der neue Oststaat überhaupt ein Staat ist. Dazu fehlt ihm auch der Ansatz zur Bildung einer eigenen Souveränität, er ist eine Äußerungsform der russischen Außenpolitik. [...] Jetzt ist der Oststaat ein Versuch, die magnetischen Kräfte des Westens mit Hilfe staatlicher Machtmittel und eines scheinbaren Willens der deutschen Bevölkerung dieser Zone abzuwehren. Er bedeutet die Anerkennung der Tatsache, daß bis auf weiteres das große russische Unternehmen, ganz Deutschland in die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Formen der Sowjets hineinzuzwingen, gescheitert ist. Die Loslösung der Ostzone durch die Russen, wie sie 1945 radikal und erfolgreich eingeleitet wurde, bedeutet das ; Hinausdrängen der westalliierten Einflüsse und der internationalen Kritik. Es war aber zur gleichen Zeit das Ende jeder demokratischen Freiheit der Deutschen in dieser Zone. Die westlichen Alliierten tragen an dieser Entwicklung viel Schuld. [...] Der Protest der Sowjets gegen die deutsche Bundesrepublik im Westen ist ein selbstverständlich gewordenes Begleitgeräusch. In Deutschland entrüstet sich niemand mehr über die Verdrehung der Tatsachen und die Lügenhaftigkeit dieser Argumentation. Selbst die herzzerreißende Einfältigkeit in Dingen der politischen Psychologie wird kaum noch zur Kenntnis genommen. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Etablierung dieses sogenannten Oststaates eine Erschwerung der deutschen Einheit ist. Die Verhinderung dieser Einheit aber kann dieses Provisorium im Osten nicht bedeuten, weil das deutsche Volk und besonders die Bevölkerung der Ostzone das Gebilde russischer Machtpolitik auf deutschem Boden ablehnt. Wolfgang Benz, Die Gründung der Bundesrepublik von der Bizone bis zum souveränen Staat, München 1984, S. 160 f. 1) Propagandachef der SED-Führung 1. Erläutern Sie die propagandistische Bedeutung der Rede Grotewohls. 2. Weisen Sie nach, wie bestimmte Begriffe unterschiedliche inhaltliche Bedeutung gewinnen, je nachdem, ob sie im Osten oder im Westen verwendet werden. 3. Worauf gründet das Urteil Schumachers über die DDR? 4. Was versteht Schumacher unter den „magnetischen Kräften" des Westens? 5. Diskutieren Sie Schumachers Aussage über die Schuld der Westmächte an der staatlichen Zweiteilung Deutschlands.