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Dr. Anna Scherbaum, KPZ Nürnberg
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Dürer e l’Italia
Einführender Vortrag für italienische Lehrer gehalten am 22.1. 2007 im Goethe-Institut
Rom anläßlich der Ausstellung „Dürer e l’Italia“ in den Scuderie del Quirinale, Rom
Es gilt das gesprochene Wort.
Der kleine Vortrag soll italienische Lehrer in das Leben und Werk Albrecht Dürers
einführen und zugleich wichtige Werke, die die Ausstellung „Dürer e l’Italia“ in den
Scuderie del Quirinale, Rom zeigt, vorstellen.
Wer sich über die persönliche und künstlerische Entwicklung des berühmtesten
deutschen Künstlers informieren möchte, kann auf reichhaltiges Quellenmaterial
zurückzugreifen. An erster Stelle steht eine große Besonderheit in der älteren
Künstlerbiographik: Albrecht Dürer selbst hat 1524 eine Familienchronik
zusammengestellt. Das dort entworfene Bild ergänzen zahlreiche Briefe,
Tagebucheinträge, Nachrichten von Zeitgenossen und natürlich die Informationen
aus Dürers Kunst und Kunstlehre. Dürers überliefertes Werk umfasst nahezu 100
Gemälde, rund 1000 Zeichnungen und Aquarelle, etwa 100 Kupferstiche, sowie
einige wenige Kaltnadel- und Ätzradierungen, etwa 160 Holzschnitte und zahlreiche
Buchillustrationen.
Den Quellen zufolge war der Vater Dürers, der Goldschmied Albrecht Dürer d. Ä.
1444 von Ungarn nach Nürnberg gezogen, wo er in seinem Metier, also als
Goldschmiedemeister mit Werkstatt, tätig war und das Bürgerrecht erwarb. Die
Reichsstadt Nürnberg war allein dem Kaiser untertan, der den Bürgern zahlreiche
Privilegien verlieh. So konnte sich das verkehrsmäßig günstig gelegene Nürnberg
auch wirtschaftlich besonders entwickeln. Nürnberg liegt inmitten Europas und galt
damals als „quasi centrum europae“: Die Reichskleinodien, höchstes Zeichen
herrscherlicher Repräsentation, wurden hier seit 1424 (und bis 1796) aufbewahrt.
1467 heiratete Dürer d. Ä. Barbara Holper, die ebenfalls aus dem
Goldschmiedemilieu stammte. Albrecht Dürer wurde demnach in ein gehobenes,
künstlerisch anspruchsvolles Milieu geboren. In der Hierarchie der mittelalterlichen
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Ständegesellschaft nahmen Goldschmiede eine geachtete Stellung ein.
Goldschmiede waren zumeist höher geschätzt als Maler und Bildhauer. In vielen
Städten Mitteleuropas führten sie neben den Baumeistern zwischen dem 13. und
dem Ende des 15. Jahrhunderts die Rangfolge der Handwerke an.
Am 21. Mai 1471 kam Albrecht als drittes von insgesamt 18 Kindern zur Welt. 15
Geschwister verstarben. Taufpate Albrechts war der Nachbar Anton Koberger (um
1445 – 1513), ebenfalls ein Goldschmied. Koberger verlegte sich um 1470 auf das
neue Gewerbe des Buchdrucks und wurde als Verleger und Buchdrucker bald über
die Grenzen des Reichs hinaus höchst erfolgreich. Beide, Pate und Patenkind, sollten
später beim Buchholzschnitt geschäftlich und künstlerisch vielfältig
zusammenarbeiten.
1475 erwarb die Familie unterhalb der Nürnberger Kaiserburg ein eigenes Haus.
Albrecht besuchte um 1482 die St. Sebalder Lateinschule und lernte neben
Schreiben, Lesen, Rechnen auch etwas Latein. Danach ging er beim Vater in die
Goldschmiedelehre. Aus dieser Zeit stammt auch die älteste überlieferte künstlerische
Arbeit Albrecht Dürers, eine Zeichnung des Dreizehnjährigen, die heute in der
Albertina in Wien verwahrt wird. Sie zeigt den jungen Knaben Albrecht als Brustbild
mit langem Haar und Mütze im Dreiviertelprofil nach rechts.
Die nachträglich von Dürer selbst vermerkte Erklärung am oberen rechten Rand des
Blattes, bestätigt der Nachwelt Inhalt und Zeitpunkt der Entstehung: „Das hab ich aus
einem Spiegel nach mir selbst konterfeit. Im Jahr 1484, als ich noch ein Kind war.
Albrecht Dürer.“ Dieses frühreife Werk gilt die älteste in Europa erhaltene
Kinderzeichnung und ist die berühmteste Arbeit aus Kinderhand. Sie ist mit dem
Silberstift gezeichnet, einer traditionellen, aber höchst anspruchsvollen Technik, in der
ihn wahrscheinlich sein Vater unterrichtet hatte, der als Goldschmied seine Entwürfe
mit dem Silberstift gezeichnet (visiert) haben wird.
1484 hatte Dürer die Malerlehre bei Michael Wolgemut noch nicht begonnen. Noch
zwei Jahre, bis 1486, war er Lehrling in der Goldschmiedewerkstatt des Vaters. Ob er
zu dieser Zeit bereits den Entschluss gefasst hatte, die Malerlaufbahn einzuschlagen,
ist unbekannt. Wahl und Behandlung des Sujets, der in die Ferne gerichtete Blick und
der vielleicht als wegweisend deutbare Zeigegestus der rechten Hand sprechen
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jedenfalls für sein Talent, ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und ein entsprechendes
Selbstverständnis des jungen Knaben.
Ende 1486 brach der Fünfzehnjährige die Goldschmiedelehre ab, um die Kunst der
Malerei zu erlernen. Der in der Nachbarschaft arbeitende Großunternehmer Michael
Wolgemut (1433/4 – 1519) nahm Albrecht in seine Maler-Werkstatt auf und bildete
ihn in allen damals maßgeblichen Fertigkeiten aus: Anreiben der Farben, Grundieren
von Tafeln, Vergolden. Grundkenntnisse im Kupferstechen (die der
Goldschmiedesohn ohnehin mitgebracht haben dürfte), Kopieren von Vorlagen,
Zeichnen für den Holzschnitt, gehörten damals - wie generell das Beobachten und
Denken mittels Zeichnung - zu den Voraussetzungen einer handwerklichkünstlerischen
Kompetenz. Eines der Hauptwerke, das in der Wolgemut-Werkstatt zur
Lehrzeit Dürers entstand, ist die berühmte Schedelsche Weltchronik, für die der
Lehrbub Dürer auch gezeichnet haben soll.
Ende 1489 schloss der junge Maler seine Lehre ab. Kurz vor seinem neunzehnten
Geburtstag, im Frühjahr 1490 begab er sich auf Wanderschaft. Das Wandern von
Werkstatt zu Werkstatt bot damals die einzige Möglichkeit, die zu Hause erworbenen
Kenntnisse grundsätzlich zu erweitern. Über die Reiseroute Dürers, kann nur spekuliert
werden. Mit Sicherheit angenommen werden darf, dass die Geschäftsbeziehungen
des einflussreichen Paten Anton Kobergers die Unwegbarkeiten einer solchen Reise
ebneten.
Ein Ziel Dürers war es, in Colmar den über die Grenzen des deutschen Reichs hinaus
berühmten Maler und Kupferstecher Martin Schongauer (1445/50 – 1491)
aufzusuchen, um in seiner Werkstatt zu arbeiten. Bekanntlich traf Dürer jedoch zu
spät in Colmar ein. Als er im Frühjahr 1492, vielleicht auch schon im Herbst 1491 nach
Colmar kam, war Martin Schongauer bereits verstorben. Die Brüder Martin
Schongauers nahmen Dürer dennoch bei sich auf, zeigten ihm den künstlerischen
Nachlaß und schenkten ihm daraus einige Blätter, die zeitlebens anregendes
Arbeitsmaterial für Dürer bleiben sollten. Besonders interessierten den jungen Dürer
die Kupferstiche Schongauers.
Hier sah also der junge Dürer das, was er bei Wolgemut gelernt hatte,
gewissermaßen verschmolzen mit dem, was ihm zuvor der Vater als Goldschmied
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beigebracht hatte: Die Eigenschaften des Malens und Zeichnens ließen zusammen
der minutiösen Stichelarbeit eine innere Einheit erkennen. Dieses Zusammenspiel aus
zeichnerisch-plastischem Gefühl und flächig-ornamentaler Ordnung sollte Dürers
künstlerische Zukunft entscheidend prägen.
Von Colmar ging es noch 1492 weiter nach Basel. Die Buchdruckerstadt eröffnete
dem Wanderer andere Fortbildungschancen. Vor allem der Buchholzschnitt forderte
sein illustratives Talent heraus, brachte ihn auch erstmals mit namhaften
humanistischen Gelehrten wie Sebastian Brant (1457 – 1521) zusammen. In Basel und
in der nachfolgenden Station Straßburg (1493) arbeitete Dürer aber auch immer
wieder als Maler.
Am 18.Mai 1494 kehrte Dürer in seine Heimatstadt zurück. Am 7. Juli heiratete er
Agnes Frey (1475-1539), die aus gutem Hause stammte und eine stattliche Mitgift
mitbrachte. Es waren wohl 200 Gulden, damals in etwa der Gegenwert eines
kleineren Hauses. Auch sozial bedeutete die Hochzeit einen Aufstieg für Dürer: Über
die Schwiegermutter Anna Rummel stand die Familie in Verbindung mit den
regimentsfähigen Geschlechtern der Stadt.
1. Italienreise (Dia Italienweg)
Wohl kurz nach der Hochzeit, 1494/95 brach Dürer erneut aus Nürnberg auf, um sich
künstlerisch fortzubilden. Diesmal war Venedig, die große europäisch-exotische
Handelsmetropole des Südens das Ziel. Einzigartige Aquarelle, die Dürer auf dem Hinund
Rückweg über die Alpen angefertigt hat, bezeugen, wie überwältigt er von den
neuen Eindrücken war: In Zeichnungen und Aquarellen dokumentierte er die
Alpenlandschaft, die Mittelmeerfauna, Stadtansichten und Architektur, die
venezianische Mode und antike Überreste. “Wer die Kunst aus der Natur reisst, der
hat sie“, wird Dürer später als eine seiner Maximen festhalten. Natürlich interessiert er
sich auch für moderne italienische Malstile und die neuen mythologischen
Themenkreise.
Die Begegnung mit Mantegnas Kupferstichen etwa eröffnete ihm einen ganz neuen
Blick auf das grafische Liniensystem. Die Konturlinien hat Dürer nahezu identisch
übernommen, wenn auch technische Hinweise auf eine Übertragung mittels
Durchgriffelung oder Pause fehlen. Doch in der Binnenzeichnung ließ Dürer seine
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persönlichen Vorstellungen von Plastizität und Modellierung einfließen. Insgesamt
veränderte er so den reliefhaften Charakter des Vorbildes im Sinne eines räumlichen
Illusionismus.
Besonders verehrte Dürer den Bellini-Kreis. Aus Vorzeichnungen oder auch vom noch
unfertigen Gemälde der „Prozession der Kreuzreliquie“ Gentile Bellinis kopierte er
seine aquarellierten drei Orientalen. Wohl am Ende seines Venedigaufenthalts, im
Frühjahr 1495, entstand in Auseinandersetzung mit dem bellinesken Marientyp und
einem bei Giovanni Bellini beliebten Kompositionsschema die frühe Tafel „Maria mit
Kind vor einer Landschaft“, die heute in Coburg aufbewahrt wird. Die Darstellung
des Christuskindes mit dem leicht geöffneten Mund, der die beiden oberen
Schneidezähnchen sichtbar werden lässt, ist eine für Dürer charakteristische
Besonderheit, die sich auf vielen seiner Marienbilder findet. Doch bewirkten die
Verarbeitung neuer Bildideen und die Anpassung an italienische Bildvorstellungen
eine noch eigenartig spröde Komposition, die zusammen mit dem schlechten
Erhaltungszustand die Einordnung des Werks in Dürers Oeuvre immer schon
erschwerte. Eine gelungenere Synthese zwischen eigenen und italienischen Formen
erreichte Dürer mit der wohl drei Jahre später, um 1498, entstandenen HallerMadonna. Nun wußte Dürer mit dem bellinesken Marientypus ungleich freier
umzugehen.
Als Dürer im Frühjahr 1495 nach Nürnberg zurückkehrte, hatte sich sein Sichtkreis
nachweislich erweitert. Mehr und mehr gelang es ihm, die italienische Formgebung
souverän mit der eigenen in Einklang zu bringen. Dürer eröffnete im Jahr 1495 eine
eigene Werkstatt für Kupferstiche und Holzschnitte in Nürnberg, wenngleich er von
der städtischen Elite und Mäzenen immer wieder auch Gemäldeaufträge erhielt.
Nach dem Tod von Pleydenwurff stellte die Wolgemut-Werkstatt die
Holzschnittproduktion ein, so dass sich Dürer und Agnes in der Druckgraphik eine
Möglichkeit zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes sahen. Nach erster Anlaufzeit, die
das Stechen der Kupferplatten und das Schneiden der Holzstöcke erforderte, bot
sich hier eine ständige Einnahmequelle, da sich von den Platten über Jahre hin
Drucke anfertigen ließen. Kupferstiche mit dem Monogramm AD kamen seit 1495 in
kaum mehr abreißender Folge auf den Markt und verkauften sich gut. Dürer-Drucke
gehören von nun an zum gehobenen Markensortiment der Handelsstadt Nürnberg.
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Seit 1497 übernahm den Vertrieb der Blätter zeitweise ein eigens dafür angestellter
Agent. Ein neues Marktsegment mit „modernen“, mythologischen Motiven erschloß
Dürer den Kreis der humanistisch Gebildeten. (Vgl. den Kupferstich „Vier nackte
Frauen“ oder „Die Hexen“) Die Nürnberger Sebald Schreyer (1446-1520) und
Hartmann Schedel (1440-1514), aber auch der Wanderhumanist Konrad Celtis (14591508) dienten in diesen Jahren vor 1500 als richtungsweisende Autoritäten. Nun
begann auch die Freundschaft mit dem gleichaltrigen Patrizier Willibald Pirckheimer
(1470-1530). Pirckheimer vermittelte Dürer humanistisch geprägte, intellektuelle
Inhalte für seine Bilderfindungen, aber auch weitreichende Kontakte zu
Auftraggebern.
Den Durchbruch zu internationalem Ruhm, quasi über Nacht, beschert Dürer die
Buchausgabe seiner „Apokalypse“ in deutscher und lateinischer Sprache im Jahr
1498. Starthilfe leistete auch hier der Pate Anton Koberger, der das gewagte
Buchprojekt mit den seitengroßen, malerisch beredten Holzschnitten in seinem
Verlag druckte.
In seinem Selbstbildnis von 1498 stellte er dar, wie er sich auf diesem ersten Gipfel des
Ruhmes fühlte: als eleganter Virtuose. Ernst und stolz, mit verschränkten Händen, die
in vornehmen Lederhandschuhen stecken. Er präsentiert sich uns modisch
aufgeputzt, vor einem Fensterausblick in die Welt: durchaus weltoffen-eitel, zugleich
besonnen, nachdenklich.
Im Jahr 1500 entstand das berühmte programmatische Selbstporträt im Pelzrock, das
Dürer mit 28 Jahren, also nach damaliger Vorstellung zu Beginn des Mannesalters, in
Christusgestalt zeigt. Auch wenn es nicht in der römischen Ausstellung zu sehen ist,
soll dieses Schlüsselwerk kurz besprochen werden: Ikonenartig streng und feierlich
blickt der Künstler frontal auf den Betrachter. Seine sensible, fein geäderte
Künstlerhand ist wie segnend vor die Brust gehoben. Estimierend greift sie in den
täuschend echten, prachtvoll gestalteten Pelzkragen. Dieser Gestus manifestiert
nach Ernst Rebel zweierlei:
„1. Malerei ist göttlichen Ursprungs. Wer sie werkgerecht und ideenvoll betreibt,
handelt schöpferisch und fromm im Sinne des göttlichen Willens.
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2. Formen der Natur und Gestalten der Kunst sind beide durch das von Gott
erschaffene „Maß“ geregelt. Ein wahrer Künstler muss nach dem rechten Maß
suchen, nach den Regeln, die dieses Maß („Proportion“) darstellen und begründen
lassen. Er muß beobachten, messen, vergleichen, verallgemeinern; schließlich muß er
seine Befunde auf die verschiedenen Themen der Malerei überzeugend anwenden.
Demütig und zugleich stolz schreibt Dürer sein eigenes Antlitz einem in einem solchen
überlieferten Schema der Messung ein.“
In der Tat vereinen Dürers Bilder in der Zeit nach 1500 wie dieses Selbstbildnis
Gläubigkeit und Neugier, Kunst und Wissenschaft, Maß und Natur. Die Vorstellung
von der Konstruktion des schönen Menschen, beherrscht auch die Komposition
Herkules tötet die stymphalischen Vögel aus demselben Jahr 1500, die sich heute im
Germanischen Nationalmuseum Nürnberg befindet. Die ursprüngliche Wirkung der
sog. Tüchleinmalerei mit vormals ungemein leuchtender Farbigkeit ist kaum mehr zu
erahnen: Ohne Grundierung wurde hier nach modernem italienischen Vorbild mit
magerer Wasserfarbe oder Tempera auf die Leinwand gemalt.
Allerdings erlauben zwei andere Gemälde, die ebenfalls Ausstellung zeigt, die
Vorstellung davon, wie fein Dürers Tüchlein im allgemeinen ausgeführt waren. Es
handelt sich um die Gemälde des Apostels Philippus und des Apostels Jakobus,
beide in tadellosen Erhaltungszustand, heute in den Uffizien. Als Einzelstücke oder als
Paar sind die beiden Apostelköpfe ikonographisch ungewöhnlich. Wahrscheinlich
hatte Dürer eine ganze Reihe von Apostelköpfen geplant. Ursprünglich waren die
beiden Apostelköpfe im Besitz Kaiser Ferdinands III. (römisch-deutscher Kaiser von
1637-1657), der sie anlässlich eines Besuchs des Großherzogs Ferdinand II. von
Toskana (1610 -1670) in Wien diesem schenkte.
Zurück zu dem Gemälde Herkules tötet die stymphalischen Vögel:
Der Protagonist ist nach den von Dürer um 1500 durchgeführten Proportionsstudien
gestaltet: Demnach nimmt der Kopf des Mannes 1/8 der Gesamtgestalt aus. Das Bild
zeigt den antiken Helden Herkules bei der letzten seiner 12 „Arbeiten“, der Tötung
bzw. Vertreibung der stymphalischen Vögel, die die Waldsäume am See Stymphalos
unsicher machen, die Menschen mit ihren eisenbewehrten Federn beschießen und
die Ernte verderben. Herkules scheucht die Vögel mit einer bronzenen Klapper auf
und erlegt sie mit dem Pfeil. Der als Aktfigur dargestellte Herkules ist nicht nur Zeugnis
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der fortschreitenden Naturaneignung Dürers, ihm sind auch die Gesichtszüge des
Künstlers verliehen. Offenbar versuchte Dürer sich mit dem mutigen Heroen, der nach
christlicher Symbolsprache auch als Streiter Christi gesehen wurde gleichzusetzen. So
vortrefflich wie Herkules den Bogen führte, so unvergleichlich ist die Bildkunst Dürers.
Nicht zu verleugnen sind zudem wieder italienische Vorbilder, wie etwa Antonio
Pollaiolo.
Diese Vergleiche gerade mit antiken Gestalten waren in der Zeit um 1500 in Mode:
Celtis propgierte eine Gleichsetzung des Nürnberger Künstler Dürer mit Apelles, dem
besten Künstler der Antike. In lobenden Epigrammen prägte er den lateinischen
Beinamen Dürers - „alter Apelles“, also zweiter oder neuer Apelles. Schnell
betrachteten auch andere Zeitgenossen Dürer als „deutschen Apelles“. Sie sahen
ihn als Neubegründer einer christlichen Malkunst aus dem Geist der Antike an und
begannen, Dürer als malenden Humanisten zu schätzen und zu propagieren: Wie
einst der griechische Maler Apelles zur Zeit Alexanders des Großen die Höhe
menschenmöglicher Malkunst repräsentierte, so leistet nun Dürer ähnliches, hier und
jetzt in Nürnberg, an der Wende zu einem neuen Zeitalter.
Neugier und botanische Empirie, Kunst und Wissenschaft, Naturaneignung und
Konstruktion flossen bis in die Studien nach tierischer und pflanzlicher Natur ein. Der
berühmte Feldhase beispielsweise ist sowohl abbildtreu, stofflich subtil, wie auch
bildmäßig komponiert.
1503 traten die Gesellen Hans Baldung Grien (1484/5 – 1545) und Hans Schäuffelein
(1480/5 – 1538/40) für einige Jahre in die expandierende Werkstatt ein. Zahlreiche
Porträtzeichnungen unterschiedlichster Persönlichkeiten entstanden, daneben
zahlreiche Stiche und Holzschnitte. Verstärktes Interesse galt der messenden
Konstruktion männlicher und weiblicher Figuren - wie im Bildthema Adam und Eva.
Der Zeichner wurde zunehmend zum wissenschaftlichen Gestaltforscher, zum
Empiriker.
Der Kupferstich mit der Darstellung des Sündenfalls entstand 1504, im Jahr vor Dürers
zweiter Italienreise. Vermutlich wurde er bereits in Hinblick auf diese Reise konzipiert,
als künstlerische Visitenkarte, um die stecherische Meisterschaft Dürers und die
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selbstständige Aneignung des klassischen Figurenideals der Renaissance unter
Beweis zu stellen.
Darauf zielt auch die selbstbewusste lateinische Signatur: ALBERTUS DURER NORICUS
FACIEBAT 1504 ab, die Dürer als Noricus, als Nürnberger, ausweist. Sie ist von
italienischen Vorbilder abgeleitet und verleiht dem Blatt eine Sonderstellung im
graphischen Werk Dürers. Wieder gibt sich Dürer als Schöpfer, diesmal als
künstlerischer Schöpfer des Urelternpaars nach seiner Maßvorstellung.
Dürer hatte die Figuren Adam und Eva zunächst einzeln entwickelt. Die Reihe der
erhaltenen männlichen und weiblichen Aktstudien reicht bis ins Jahr 1500 zurück.
(DIA) Dabei lässt sich Adam, der erste Mensch, über die Zeichnungen der sog.
Apollo-Gruppe (W. 262-264,332) bis auf das Vorbild des berühmten „Apoll von
Belvedere“ im Vatikan zurückführen, der seit den 1490er Jahren zugänglich war. Die
Ikonographie des schönsten Gottes Apollo war nach Dürer der Vorstellung vom
Aussehen Christi angemessen; dem sollte auch dessen Präfiguration Adam
entsprechen. Allerdings entfremdete Dürer das Apollo-Muster der antiken Statue
durch verschiedene Naturanleihen. Zu Eva sind keine eindeutigen ikonographischen
Ableitungen erkennbar.
Dürer wurde schnell bekannt für die malerische Tonalität seiner Kupferstiche. Auf
Frühdrucken von Adam und Eva zeigen die Körper der Ureltern beispielsweise eine
zugleich marmorne wie samtene Ausstrahlung, die vor dem dunklen Wald ihre
Leuchtkraft entfaltet. Dabei ist Evas Haut deutlich heller ist als die Adams, - und das in
Übereinstimmung mit gemalten Darstellungen. Frühdrucke des „Eustachius“, haben
einen samtig warmen, manchmal als golden beschriebenen Ton. Herausragend in
der haptischen Qualität ihrer Stofflichkeit und ihrem Reichtum an Tonwerten sind die
drei Meisterstiche. Die Stecherkunst ist hier auf einen unüberbietbaren Gipfel der
Präzision und Psychologisierung gebracht. Bei „Ritter, Tod und Teufel“ kontrastiert die
kalte, stählerne Rüstung des Reiters mit der warmen Erde der Luftwurzeln am Hang.
Das komplizierte Muster der Butzenscheiben zeichnet sich in weichen Schatten an
den Wänden der Studierstube des Hieronymus ab. Das feine Gewebe des Kleides
der Melencolia schimmert in silbernem Glanz, der Faltenwurf erreicht eine
verblüffende Natürlichkeit.
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Im Jahr 1504 entstanden neben dem Adam und Eva-Stich zahlreiche weitere Werke
Dürers, die in der römischen Ausstellung zu sehen sein werden:
Die Florentiner Anbetung der Könige wurde von Dürers Mäzen Friedrich dem Weisen
bestellt und war ursprünglich in der Schlosskirche zu Wittenberg aufgestellt. Die klare
Komposition beschränkt sich auf die Darstellung der sitzenden Maria mit Kind und die
drei Könige. Nebenpersonen wie der Diener mit Tasche sind durch Komposition und
Farbgebung von der Hauptgruppe getrennt. Dürer verwendete sorgsam konstruierte
Bögen zur Steigerung der Figuren. Die in vollem Profil gezeigte, pyramidal
aufgebaute Gruppe von Mutter mit Kind wird gleichsam ausgedehnt durch das
schräge Stalldach und ein großes Stück Mauerwerk. Ein anderes Stück Mauer betont
die leonardeske Figur in der Mitte, während der Mohrenkönig gegen den hellsten Teil
der Landschaft gestellt ist.
Auch die beiden unvollendeten „Bruderbilder“ der beiden Eremiten Onuphrius und
Johannes der Täufer aus Bremen zählen zu den Werken aus dem Jahr 1504. Die
Tafeln sorgten erst im Jahr 2004 für Schlagzeilen: Dabei ging es um eine glücklich
beendete Odyssee des nach dem II. Weltkrieg getrennten Bildpaares: Aufgrund
ihres kleinen Formates von nur 59,2 : 21,7 cm waren die beiden Gemälde aus
Sicherheitsgründen 1943 in das Schloß Karnzow, Mark Brandenburg ausgelagert
worden. Bekanntlich ging 1945 der größte Teil der Sammlung verloren. Während
Onuphrius nach Kriegsende wieder aufgefunden wurde, blieb der heilige Johannes
lange Zeit verschollen. Obwohl das Bild 1991/92 in einem russischen Dokumentarfilm
gesichtet und reklamiert worden war, konnte es erst im Sommer 2003 im Depot des
Kadriorg Kunstmseum in Tallinn, Estland identifiziert werden. Eine prompte
Rückführung des Bildes unter freundlichen Umständen wurde 2004 mit einer
Ausstellung des Bildpaares in Bremen und New York begangen.
Die beiden Tafeln sind wie der New Yorker „Salvator Mundi“ Teile eines unvollendet
gebliebenen Altars. Schon mit bloßen Auge lassen sich unter der dünnen Malschicht
Unterzeichnungen erkennen, die Rückschlüsse auf Zeichenstrich und Malmethoden
Dürers zulassen. Sie gewähren dem Betrachter Einblick in die Bildgenese zwischen
Studie und vollendetem Gemälde. Von daher gelten die Bilder als „missing link“, als
Verbindungsstücke hinsichtlich der kunsttechnischen Behandlung Dürers.
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Von Herbst 1505 bis Frühjahr 1507 besuchte Dürer Venedig ein zweites Mal: Nun war
er, vor allem wegen seiner Grafiken, bereits sehr bekannt.
Der Italiener Marcantonio Raimondi hatte umgehend die feinen Holzschnitte Dürers
zum Marienleben im Kupferstich kopiert und gewinnbringend vertrieben. Weil er nicht
nur die Kompositionen nachstach, sondern seinen Kupferstichen auch das
Monogramm und Markenzeichen AD verlieh, kam es zum wohl ersten Copyright-
Prozeß der Kunstgeschichte. Das Urteil untersagte zwar nicht das Kopieren fremder
Kompositionen, aber doch das Führen fremder Monogramme.
Dürer begegnete hochgestellten Persönlichkeiten und berühmten Künstlerkollegen,
wie Giovanni Bellini (ca.1430-1516). Er malte und zeichnete unermüdlich, einiges im
Auftrag, anderes nach persönlicher freier Wahl.
Das Bildnis einer jungen Venezianerin mit seitlich herab fallenden Locken und am
Hinterkopf aufgesteckten, von einem Netz gehaltenen Haaren gilt allgemein als das
erste Werk Dürers, das nach seiner Ankunft in Venedig entstand. Nicht nur Mode und
Haartracht spiegeln venezianische Konventionen. Auch der Bildtypus in seiner
Anlage geht auf Porträts wie das in der Ausstellung präsentierte Bildnis von Lorenzo di
Credi zurück.
Relativ bald nach Dürers Ankunft in Venedig wurde wohl auch der Auftrag erteilt, für
die deutsche Gemeinde in der Lagunenstadt ein Altarbild für San Bartolomeo zu
malen. Anfang 1506 begann Dürer mit den Vorarbeiten. Von fertigen Bild berichtete
er in einem Brief vom September 1506. Es handelte sich um den wichtigsten Auftrag
Dürers in Venedig, der zugleich das wichtigste Zeugnis seiner malerischen
Meisterschaft repräsentieren sollte: Das Rosenkranzfest, heute in Prag, wird in der
Ausstellung als Kopie zu sehen sein. Dürer legte mit Erfolg allen Ehrgeiz in die
Ausführung, um bei den Venezianern, die ihn hauptsächlich als vortrefflichen
Graphiker, als Meister der Schwarz-Weiß-Kunst und der Linie kannten, Anerkennung
als Maler zu bekommen. Zahlreiche erhaltene Kopf-, Hand-, und Gewandstudien
künden von der Entstehungsgeschichte des Bildes. Das Bild ist farblich von
außerordentlicher Wirkung und Brillanz. Eine in hellem Licht leuchtende
Alpenlandschaft ist der Hintergrund eines Geschehens in gedämpften Rot-BraunGold-Akkord. Das Thema des Bildes war ikonographisch und kompositorisch durch
einen Holzschnitt aus Jakob Sprengers 1475 erschienener Rosenkranzschrift
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vorgegeben: Die Jungfrau thront in der Mitte unter einem Baldachin, umgeben von
geistlichen und weltlichen Würdenträgern. Die Anführer dieser Würdenträger, Papst
und Kaiser werden jeweils von einem Rosenkranz bekrönt. Diese etwas hölzerne
Thematik hat Dürer mit zahlreichen Anspielungen verlebendigt: Es wird vermutet,
dass der Papst die Züge von Julius II. trägt. Unverkennbar sind die Züge von Kaiser
Maximilian I. Im Hintergrund rechts ist Dürers Selbstporträt zu erkennen. Die
Anspielung auf Papst und Kaiser nimmt eine vermutlich geplante, aber nie
stattgefundene Begegnung zwischen Papst und Kaiser vorweg. Im März kursierten in
Venedig Gerüchte um eine bevorstehende Rückeroberung des Kirchenstaates
durch Julius II., sodass die Venezianer zurecht befürchteten, der Papst würde seine
Reise nach Rom nicht antreten.
Wohl gleichzeitig mit dem Rosenkranzfest entstand die Tafel mit Jesus unter den
Schriftgelehrten. Das erstaunliche Gemälde zeigt nicht, wie andere traditionelle
Fassungen des Themas, die besorgten Eltern, die nach langer Suche ihr Kind Jesus vor
Schriftgelehrten im Tempel dozierend wieder finden. Das Bild komprimiert die
weitschweifige Bibelgeschichte. Es präsentiert den Knaben Christus inmitten der
diskutierenden, fragenden, ratlosen Schriftgelehrten. Deren fratzenhafte Hässlichkeit
wurde immer wieder - und so auch in der römischen Ausstellung - mit
Leonardostudien in Verbindung gebracht. Der Raum ist auf einen Restbestand
reduziert. Die Geschichte offenbart sich in Gebärden, Mimik und wenigen Attributen.
Widerspruch, Ablehnung, Ignoranz überwiegen.
Das Bild ist laut Inschrift angeblich in nur 5 Tagen gemalt und präsentiert seinen
Schöpfer als erfindungsreichen Schnellmaler: „Opus quinque dierum“. Handelt es
sich hierbei um Künstlerstolz oder gar um eine Entschuldigung für Nachlässigkeiten?
Vieles an diesem ungewöhnlichen Bild ist bis heute ungeklärt.
Einer heute verschollenen Nachzeichnung zufolge mag die Inschrift des Gemäldes
vormals um 2 Worte erweitert gewesen sein: Opus quinque dierum a Romae, so hieß
es zumindest auf der Nachzeichnung. Also: ein Fünftage-Werk, gemacht in Rom.
Dieser immer wieder diskutierte Romaufenthalt Dürers lässt sich bis heute nicht
nachweisen. Während die Forschung einhellig glaubt, Dürer sei bei seinem zweiten
Aufenthalt in Italien in Venedig gewesen und habe Bologna zur Weiterbildung
besucht, plädieren nur einzelne Forscher für eine Reise Dürers weiter bis nach Rom.
Gegner dieser Theorie halten den Zusatz „a Romae“ auf der Nachzeichnung für eine
spätere, bewusst irreleitende Hinzufügung des Zeichners.
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Zu den Porträts Dürers, die zwischen dem 23. September und dem 23. Oktober 1506
in Venedig gemalt wurden, zählt auch das Porträt des Burkard von Speyer. Es ist fast
ganz in Schwarz und Grautönen angelegt, so dass sich das Gewand nur wenig vom
Hintergrund abhebt. Den einzigen Farbakzent bildet das rote Untergewand. Gesicht,
Haare und Pelz sind in einheitlichem Farbton untermalt. Auch dieses Bildnis zitiert
venezianische Vorstellungen: Es lehnt sich eindeutig an die Bildnisform der
Porträtmalerei Bellinis an.
Dies und mehr berichtete Dürer in zahlreichen Briefen an den Freund Pirckheimer in
Nürnberg. Diese Briefe gehören zu den schönsten Quellen der europäischen
Kunstgeschichte. Man gewinnt über sie tiefe Einblicke in Dürers wechselvolles
Gefühlsleben, seine Akzeptanz in der Lagunenstadt und in dortige Konventionen.
Nach der Rückkehr erfuhr Dürers Karriere keine wesentliche Steigerung mehr, wohl
aber eine soziale und materielle Konsolidierung. 1509 erwarb er ein stattliches Wohnund
Atelierhaus, das heutige “Albrecht-Dürer-Haus“, das in Nürnberg besichtigt
werden kann. Alte Projekte wie die Proportionsforschung und die Grafikeditionen
wurden forciert. Zahlreiche Gemäldeaufträge kamen hinzu. 1509 wurde der
sogenannte „Helleraltar“ fertiggestellt. 1511 fanden die Arbeiten am
„Allerheiligenaltar“ ihren Abschluß. 1511 edierte Dürer auch drei Buchprojekte, die
sog. 3 großen Bücher, im Folioformat. Dabei handelt es einmal um eine Zweitauflage
der bereits 1498 erfolgreich vertriebenen, und inzwischen wohl vergriffenen
lateinischen Apokalypse. Für die Apokalypse wurde der Bibeltext neugesetzt und ein
neues an die beiden anderen Bücher angepasstes Titelblatt geschnitten. Zum
zweiten verlegte er das Marienleben und die Große Passion. Die beiden
erzählerischen Holzschnittfolgen hatte Dürer bis 1510 ergänzt. Nun gab er sie mit
lateinischen Dichtungen des humanistischen Benediktinermönches Chelidonius als
Bücher heraus. Die Intention tritt deutlich zutage: Der Maler und Graphiker Dürer
präsentierte sich nun auch als Humanist: Erfolgreich edierte er drei Bücher im
Selbstverlag und offerierte ganz Europa seine wirkungsvolle Zusammenarbeit mit
einem anspruchsvollen Dichter.
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1512, im Jahr darauf, wurde Dürer durch Vermittlung Pirckheimers, in den Kreis der
kaiserlichen Hofmaler berufen. Kaiser Maximilian I. (1459-1519) erhoffte sich durch
das Engagement des geschätzten Künstlers Dürer einen Zuwachs an Ruhm. Dürer
erkannte in dem honorigen Projekt auch eine Chance auf wirtschaftliche
Absicherung. Für seine Entwürfe für Triumphdarstellungen erhoffte er die Bewilligung
einer lebenslangen Leibrente, die ihm 1515 auch gewährt wurde.
Doch starb Kaiser Maximilian überraschend im Januar 1519. Sein Tod hatte auch für
Dürer spürbare Folgen: Der Nürnberger Rat beschloß, Dürers Leibrente von jährlich
100 Gulden aus städtischen Steuern, so lange auszusetzen, bis sie der Thronfolger Karl
V. dem Maler erneut gewähren würde. Obwohl dieses Vorgehen der Stadt politisch
durchaus korrekt war, war Dürer bitter getroffen. Mit Ehefrau Agnes und Magd
Susanna, bepackt mit dem gesamten druckgrafischen Oeuvre, brach er im Juli 1520
in die Niederlande auf, um dort beim Thronfolger Karl V. persönlich die
Rentenfortzahlung zu erwirken.
Die Reise war nicht nur ein Bittgang, sondern auch ein Triumphzug. Dürer besichtigte
und antichambrierte, malte, zeichnete und schrieb, kaufte und verkaufte, schenkte
und wurde beschenkt; er traf und porträtierte zahlreiche wichtige Persönlichkeiten
(Erasmus von Rotterdam) und wurde selbst als Berühmtheit empfangen. Er
porträtierte aber auch nach eigener Wahl, ohne Auftrag, unabhängig von Rang und
Stand (Mohrin). In Aachen nahm er an der Kaiserkrönung teil und bekam endlich
auch seine Leibrente bestätigt. Im August 1521 kehrte die Reisegruppe wieder nach
Nürnberg zurück. Von der Malaria, mit der sich der Künstler auf dieser Reise infizierte,
sollte er sich nie mehr ganz erholen. Deutliche Impulse der Reise spürt man auch in
der Dekoration des Nürnberger Rathauses, für die Dürer in den anschließenden
Jahren verantwortlich zeichnete.
Als Mensch war Dürer tief betroffen von den sich verstärkenden Reformationswirren
und dem großen Bauernkrieg auf dem Land. Auch wenn die Arbeit an Gemälden
und grafischen Projekten weiter ging, fällt nun eine Veränderung der künstlerischen
Produktivität auf. Dürer beschäftigt sich mehr und mehr mit der Herausgabe seines
theoretischen Werkes: Seine schon um 1500 begonnenen theoretischen Ansätze zu
einem Lehrbuch der Malerei fasste er nun für die Nachwelt zusammen. Die
„Unterweisung der Messung“ erschien 1525, 1527 die „Befestigungslehre“. 1528 –
Dr. Anna Scherbaum, KPZ Nürnberg
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Monate nach Dürers Tod – kamen die „Vier Bücher von menschlicher Proportion“,
das Hauptwerk, auf den Markt.
1526 entstanden auch die monumentalen Tafeln der vier frommen Männer bei der
Bibellektüre, von Dürer ohne Auftrag gemalt und der Stadt Nürnberg geschenkt zu
seinem Gedächtnis. Die Komposition fasst übergreifend beide Tafeln zusammen,
denn die dargestellten verschiedenen Temperamente bilden erst in der Vierzahl den
gesamten Kosmos ab: Sie bedeuten die Lebensalter, Jahreszeiten,
Himmelsrichtungen usw. Deshalb sind die sog. vier Apostel zusammengehörig als
Abbreviatur des Kosmos zu lesen, als ideales Freundschaftsbild grundverschiedener
Typen. Selbstbeherrscht und konfliktfrei stehen sie nebeneinander. Immer wieder
wurden die Tafeln auch als Versöhnungsbild der Religionen gelesen. Mit dem
Geschenk, das Dürer dem Rat der Stadt Nürnberg zu seinem Andenken machte,
setzte sich selbst ein Denkmal. Dieser typisch humanistische Schachzug zeugt vom
Glauben an die gottgegebene Würde des Menschen, die sich nach ihren Werken
beurteilen lässt.
Das ebenfalls 1526 entstandene Portrait des Finanzmagnaten Kleberger nimmt in
mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein: Es ist das letzte Portrait aus Dürers Hand.
Kleberger hatte, aus einfachen Verhältnissen stammend und in Dürers
Nachbarschaft aufgewachsen, sein Glück auswärts, vornehmlich am Finanzmarkt in
Lyon gemacht. Er mag als Prototyp des modernen „self-made-man“ stehen. Nach
seinem großen Erfolg versuchte er, nun nach Nürnberg zurückgekehrt, wieder Fuß in
seiner alten Heimatstadt Nürnberg zu fassen. Dies sollte durch die Heirat mit der
Witwe seines früheren Dienstherren, der ältesten Tochter des Patriziers Willibald
Pirckheimer, gelingen. Die hier gezeigte Auftragsarbeit war wahrscheinlich ein Mittel
der Brautwerbung. Sie sollte allerdings weniger die Braut selbst als vielmehr den
zutiefst ablehnenden Vater der Braut gewinnen. Das Tafelbild zeigt den Brautwerber
im Stil einer römischen Büste. Er wirkt ausgesprochen lebendig, jugendlich vital und
äußerst entschlossen. Wappen und Sternzeichen auf dem Rahmen erhöhen den
Dargestellten, indem sie ihn gleichzeitig in ein nobles Umfeld versetzen und durch
den Bezug zur Astrologie seine humanistische Bildung hervorheben. Der umworbene
Brautvater Pirckheimer war schließlich ein weit über die Grenzen Nürnbergs
bekannter Humanist. Die perspektivische Umsetzung ist gewagt, das Ganze wirkt wie
ein Balanceakt. Die Büste schwebt zwischen Rahmen und Hintergrund, wirkt wie
Dr. Anna Scherbaum, KPZ Nürnberg
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eingeklemmt und scheint fast vornüber zu kippen. Womöglich konnte Dürer es sich
nicht verkneifen, den wagemutigen, man kann sagen waghalsigen Charakter seines
ehemaligen Nachbarn auf unterschwellige Weise in das Gemälde aufzunehmen.
Aber das Ziel wurde erreicht: Die Heirat fand gegen den Willen Willibald Pirckheimers
statt.
Zurück zum Menschen Dürer:
Seit November 1520 war Dürer fast durchgängig krank. Den ständig Fiebernden,
gleichwohl unermüdlich Arbeitenden schirmte Ehefrau Agnes mehr und mehr von
der Öffentlichkeit und den Freunden ab. Am 6. April 1528 starb Albrecht Dürer.
Bestattet wurde er auf dem Nürnberger Johannisfriedhof. Künstlerfreunde sollen Tage
nach der Bestattung die Leiche heimlich exhumiert und Gipsabdrücke von Gesicht
und Hand genommen haben. Überliefert ist davon nichts. Die angebliche Haarlocke
des Künstlers, die dieser an seinen vormaligen Mitarbeiter Baldung schicken ließ, ist
als historische Reliquie in der Wiener Akademie aufbewahrt. Bereits um 1550 gingen
Dürers Gebeine bei Umlagerungen an der Grabstätte verloren. Diese jedoch ist bis
heute in Nürnberg zu besichtigen und genießt Kultstatus.
Und was bietet die kommende Schau in Rom noch?
Schon zu Lebzeiten wurde Dürer kopiert. Seine Druckgraphik war in ganz Europa
Vorbild und bildete den Grundstock vieler Werkstätten, erinnern wir uns nur an
Marcantonio Raimondi und seine Dürerkopien.
Häufig wurde das Dürersche Beispiel auch in geringere Münze umgeprägt. Oft
jedoch bot Dürers Werk auch künstlerische Anregungen, die hervorragende Künstler
zu eigenen Ideen inspirierten und in neue Formensprache umsetzten.
Dürers um 1496 entstandenen büßenden Hieronymus in der kahlen Felswüste setzte
Lorenzo Lotto etwa 10 Jahre später zu einer durchaus eigenen, wenn auch die
Vorlage nicht verleugnende Komposition um.
Etwa 12 Jahre nach Erscheinen der Apokalypse orientierte sich auch Raphael an
Dürer. Er adaptierte den Kunstgriff, das himmlische Geschehen durch ein bauschiges
Wolkenband vom Irdischen zu trennen. Die Erde erscheint in beiden Bilderfindungen
Dr. Anna Scherbaum, KPZ Nürnberg
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aus der Vogelperspektive. Gleichsam auf Augenhöhe des Betrachters und doch
nicht von dieser Welt tritt das Himmlische in den Vordergrund.
Die besondere Befähigung Dürers, nicht Darstellbares sogar in der Schwarzweiß-Kunst
der Linie darzustellen, hatte bereits Erasmus in seinem berühmten Zitat
hervorgehoben: "...Obwohl Dürer auch in anderer Beziehung zu bewundern ist, doch
was drückt er nicht alles in einfarbigen schwarzen Linien aus? Schatten, Licht, Glanz,
Erhabenes und Vertieftes, wobei sich aus der Lage eines Dinges für die Augen der
Betrachter nicht bloß eine Ahnung darbietet. Scharf erfaßt er die richtig
abgewogenen Verhältnisse und ihr Zusammenstimmen. Was malt er nicht alles, auch
was man nicht malen kann, Feuer, Strahlen, Donner, Wetterleuchten, Blitze, oder
Nebelwände, wie man sagt, die Sinneswahrnehmungen, alle Gefühle, endlich die
ganze Seele des Menschen, wie sie sich in der Bildung des Körpers offenbart, fast
sogar die Stimme selbst. Dies stellt er mit den glücklichsten und dazu noch schwarzen
Strichen so vor Augen, daß Du dem Werk Unrecht tun würdest, wenn Du Farbe
auftrügest.“
Auch Jacopo Sansovino kannte Dürers Holzschnittkunst genau. Für eine seiner Tafeln
des Martyriums des hl. Markus für die Sängerkanzeln des Presbyteriums von San
Marco in Venedig San Marco zitierte er trichterförmig den Himmel aufreißenden
Sternenfall aus der Apokalypse Dürers, um das plötzliche Hereinbrechen des
göttlichen Wunders auf die Peiniger darzustellen. Dabei kam ihm die graphische
Vereinfachung Dürers zustatten. Schließlich mußte auch er bei seinem Relief ohne die
Zuhilfenahme von Farbe nur über die Konturierung durch Licht und Schatten
Spannung erzeugen.
Mit dem Selbstporträt als kranker Bacchus wollte der junge Caravaggio seine
künstlerische Virtuosität unter Beweis stellen. Die gekrümmte Haltung des
glaubwürdig Leidenden hat Caravaggio aus dem gepeinigten Schmerzensmann
vom Titelblatt aus Dürers Großer Passion abgeleitet.
Domenico Fetti orientierte sich bei seinem berühmten Gemälde La Malinconia an
Dürers Melancholie-Stich. Er versammelt einige der auch bei Dürer gezeigten
Symbole und erzählt wie Dürer von den geistigen und praktischen Verfassungen,
Fähigkeiten und Versuchungen des melancholischen Temperaments. Wie Dürer
beschwört er ein prägnantes Bild des Melancholischen und Genialen, dessen
Zusammenspiel im Erzählmotiv der Denkerpose der Melencolia gipfelt: das
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angestrengte, fast verbissene Kopfzerbrechen, die nahezu faustische Verzweiflung im
„tiefe[n] Sitzen, verbunden mit dem Stützen des Ellenbogens auf das Knie und des
Kopfes auf die Hand zum Ausdruck der Schwermut.“ (Erika Simon) Die
Melancholiefigur wird so zu einer Charakterstudie: Dürer erzählt von der
Selbstbehauptung und Welterforschung des logisch orientierten Menschen am
Beginn der Neuzeit. Fetti zieht seine Kreise enger und meint wohl eher den Künstler
und seine Versuche der Welt künstlerisch habhaft zu werden.
Lassen Sie mich ein letztes Beispiel der Ausstellung anführen für das Dürers
Formenschatz Pate stand. Der Manierist Jacopo Pontormo hat bekanntlich für seine
visionär-spirituellen Fresken für die Certosa del Galuzzo bei Florenz auf Dürers
Druckgraphik zurückgegriffen. Dabei orientierte sich Pontormo weniger an den
Kompositionen Dürers, als vielmehr am Dürerschen Figurentypus. In der in der
Ausstellung gezeigten Pilatusszene ist besonders die Christusfigur als solche Adaption
zu erkennen, wenn sie auch nach Art der Maniera noch gelängter erscheint als die
Vorbilder. Diesen Bezug zu Dürer tadelte Giorgio Vasari in seiner Pontormo Vita
lauthals. Er skizziert einen Absturz an Qualität im Zuge des Werkes des Künstlers und
formuliert entsetzt die rhetorische Frage: „Oder wusste Pontormo nicht, dass
Deutsche und Flamen in dieses Land [Italien] kommen, um den italienischen Stil zu
erlernen, den dieser mit solcher Mühe aufzugeben suchte?“ Unverkennbar
argumentiert Vasari hier patriotisch. Schließlich ging es ihm in seinen Viten darum, die
Vormachtstellung gerade der italienischen Kunst zu behaupten.
Um die Frage einer Vormachtstellung der italienischen Kunst gegenüber der
deutschen geht es in der kommende Ausstellung nicht. Doch versucht die Kuratorin
Kristina Herrmann-Fiore, den Austausch von künstlerischer Inspiration über die Alpen
hinweg, das Geben und Nehmen, in differenzierterer Weise vorzustellen, als wir es
bisher gezeigt bekamen. Und dies gelingt ihr vorzüglich!
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