Es gilt das gesprochene Wort! Statement des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber bei der Pressekonferenz am Montag, den 28. Februar 2005 Es ist mir eine große Freude, auch in diesem Jahr zusammen mit Kardinal Lehmann die Woche für das Leben als gemeinsame Initiative der katholischen und der evangelischen Kirche anzukündigen. Seit 1994 veranstalten wir die Woche für das Leben in ökumenischer Zusammenarbeit, um uns so gemeinsam für eine lebensbejahende, menschenfreundliche Gesellschaft einzusetzen. Unser Leitbild, an dem wir uns dabei orientieren, ist das christliche Menschenbild. Von diesem Standpunkt aus muss immer wieder neu gefragt werden, welche Aspekte besonderer Beachtung bedürfen, worauf der jeweilige Akzent zu legen ist, damit die menschen- und lebens-feindlichen Tendenzen, die es in jeder menschlichen Gemeinschaft und in jeder Epoche gibt, nicht Raum gewinnen können. In der Vorbereitung des nun beginnenden Dreijahreszyklus der Woche für das Leben haben wir, wie Kardinal Lehmann soeben bereits erläutert hat, den Vorsatz gefasst, ein deutliches Votum für eine kinderfreundliche Gesellschaft auszusprechen. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass jede menschliche Gemeinschaft nur dann menschenfreundlich sein und bleiben kann, wenn die Würde von Kindern, das Beschützen der Kinder und die Zuneigung zu den Kindern einen hohen Stellenwert im gemeinsam gelebten Ethos einnehmen. Wir sehen in der Gegenwart unserer bundesdeutschen Gesellschaft die Gefahr eines sich mit sinkender Kinderzahl verbreitenden Unverständnisses gegenüber Kindern. Wenn Kinder in immer mehr Lebensbereichen nicht mehr selbstverständlich vorkommen, geht auch der allgemeine Sensus für die Kinder, für ihre Bedürfnisse, ihre Sichtweise und ihren eigenen und besonderen Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft mehr und mehr verloren. Die Kinderentwöhnung gerät zur Abschwungspirale: In Deutschland haben gegenwärtig hundert Deutsche zusammen nur 63 Kinder und lediglich 39 Enkelkinder. In Bezug auf die Geburtenrate ist Deutschland auf den Platz 182 von 190 Ländern herabgesunken. Man kann angesichts dieser Zahlen in vielerlei Hinsicht nachdenklich werden. Da ist das Rentenversicherungssystem, das nun einmal nicht funktioniert, wenn es kaum noch jemanden gibt, der die erforderlichen Leistungen auf der Beitragsseite erbringt. Da ist aber auch ein Arbeitsmarkt, der gegen den ersten Anschein eben nicht allen Platz bietet, wenn die Gesellschaft schrumpft. Er ist ja mit einem ökonomischen System verbunden, das bei der stetig rückläufigen Nachfrage einer schrumpfenden Gesellschaft nicht leistungsfähiger werden kann. Diese Reihe von Problemanzeigen könnte man noch lange fortsetzen. Im Jahr 2005 wollen wir in der Woche für das Leben anders an das Thema herangehen: Wir wollen insbesondere danach fragen, was Kinder für das Leben von uns Erwachsenen bedeuten. Wir haben dabei den Aspekt des Aufbruchs ins Zentrum unserer Überlegungen gestellt. Mit Kindern gemeinsam brechen wir auf: im persönlichen Leben und in den Familien, in der Nachbarschaft, in der Gemeinde, im Beruf. Wir erleben Neues mit den eigenen Kindern, mit Enkeln, Patenkindern, Nachbarsenkeln, als Nenntanten oder Vizegroßeltern. Wir sehen mit den Kindern die Welt aus einer anderen Perspektive. Eingefahrene und verkrustete Gewohnheiten brechen im Umgang mit Kindern auf und es wird uns möglich, das Kind in uns selbst neu zu entdecken: Die Unbefangenheit und das rückhaltlose Vertrauen, das wir für uns selbst brauchen, um uns als Kinder Gottes verstehen zu können. Mit Kindern aufzubrechen, beinhaltet aber ganz deutlich auch die Anstrengung und Mühe, die jeder neue Aufbruch unweigerlich bedeutet. Wie schon in den Tagen des Abraham ist ein neuer Aufbruch ohne Abschied vom Altgewohnten, vom Liebgewordenen und Bequemen nicht zu haben. Aufbruch ist immer auch Aufbruch ins Ungewisse, nie völlig vorausplanbar. Aufbruch erfordert daher Mut und Zuversicht. Gerade daran aber scheint es, wenn man den soziologischen Untersuchungen glauben darf, vielen jungen Erwachsenen zu mangeln. Sie haben eine positive Vorstellung von einem Leben in verlässlicher Partnerschaft und mit Kindern. Aber sie trauen sich die Umsetzung einer solchen Vorstellung in der Wirklichkeit ihres eigenen Lebens nicht zu. Nicht selten fehlt der Mut, etwas vom mühsam erarbeiteten Status in Beruf und Privatleben sehenden Auges wieder aufzugeben, um eines neuen Zieles Willen, zu dem kaum jemand glaubhaft und tatkräftig ermuntert. Angesichts dieser verbreiteten Mutlosigkeit brauchen wir Signale der Zuversicht. Wir brauchen eine Familienpolitik, die das Risiko des Aufbruchs mit Kindern berechenbarer und tragbarer erscheinen lässt. Wir brauchen Menschen, die Mut machen zum Aufbruch, indem sie von ihrem eigenen Aufbruch, von ihren Mühen, aber auch von ihrem Gelingen und ihrer Freude mit Kindern berichten. Nicht zuletzt brauchen wir aber auch ein gesellschaftliches Klima, das dem Wagnis des Aufbruchs mit Kindern alle Sympathie und alle Solidarität entgegenbringt, die dieser mutige und in sich selbst so viel Hoffnung stiftende Lebensweg verdient. An diesen Fragestellungen müssen wir arbeiten, hier müssen wir neue Ansätze und Möglichkeiten finden, wenn wir Zukunft haben wollen. Die Woche für das Leben 2005 verstehen wir als Beitrag zu dieser notwendigen Anstrengung. In vielen Diözesen, Landeskirchen, Gemeinden, Institutionen und Zusammenschlüssen wird es im Rahmen dieser Woche für das Leben Veranstaltungen zur Information, zum Meinungsaustausch, zur Diskussion und zur Anregung für konkretes Handeln geben, damit der Aufbruch mit Kindern wieder neu in seiner ganzen Bedeutung gesehen wird. Auf Bundesebene steht hierfür besonders die bundesweite Eröffnung der Woche für das Leben am Samstag, den 9. April in Kassel. Zum ökumenischen Gottesdienst um 11.00 Uhr in der Martinskirche, zum nachfolgenden Kinderfest und zum Gesprächsforum am Nachmittag im Kasseler Rathaus laden wir sehr herzlich ein.