Predigt in Filderstadt am 3

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Predigt in Filderstadt am 3.11.2002
Thema: Krisenzeiten als Chance, Text: Apg. 6, 1 –7.
1 Einleitung
Krisenzeiten im persönlichen Bereich, wie etwa Ehe und Beruf oder in der Gemeinde sind uns
selten willkommen. Sie sind oft mit Spannungen und Streit verbunden. Sie stören oder zerstören harmonische Beziehungen. Und doch haben Krisen auch ihre positive Seite. Sie bringen
Probleme, die bislang verdeckt waren, ans Tageslicht und fordern uns heraus, diese anzupacken. Wenn wir diese Herausforderung annehmen und nicht vor den Problemen weglaufen,
dann können aus Krisen Chancen werden. Wir können daran reifen und wichtige Erfahrungen
gewinnen.
Ein gutes Beispiel dafür finden wir in einem Bericht aus der Apostelgeschichte, der von einer
Krisensituation im Leben der ersten christlichen Gemeinde handelt. Auch wenn dieser Text
eine Gemeindeproblematik anspricht, so können wir daraus einiges für unser persönliches
Leben lernen. Wir finden ihn in der Apostelgeschichte 6, Verse 1 – 7.
Dass dieser Bericht überhaupt in der Bibel steht, ist schon eine Überlegung Wert. Wir können
daraus zwei wichtige Einsichten gewinnen:
1.1 Die Bibel betreibt keine Schönfärberei
Ich staune immer wieder, wie offen die Bibel über Probleme und Versagen berichtet. Sei es
hier bei der Urgemeinde in Jerusalem oder bei Glaubensvorbildern. Abraham z.B. hat es billigend in Kauf genommen, dass seine Frau Sarah im Harem des Pharao landete, so lange er
dafür verschont blieb. Davids ungezügelte Phantasie machte ihn zum Ehebrecher und Mörder.
Die Angst um das eigene Leben trieb Petrus dazu, seinen Freund und Meister, Jesus, zu verleugnen. Es ist traurig und ernüchternd, wenn Vorbilder sich so verhalten.
Und trotzdem ist das ein Trost für uns. Es zeigt, dass Gott keine perfekten oder fehlerlosen
Menschen sucht, um seinen Plan mit unserer Welt zu verwirklichen. Das macht uns Mut, dass
er auch mit uns etwas anfangen kann. Es zeigt auch, dass Offenheit und Ehrlichkeit wichtige
Werte im Leben der Gläubigen sind.
1.2 Auch die beste Gemeinde kennt Krisenzeiten
Der Bericht erzählt von Spannungen zwischen zwei Gruppen in der Gemeinde.
Krisen als Chance
Apostelgeschichte 6, 1-7
Seite 1
Es ist kaum zu fassen, wie schnell sich die Stimmung in einer Gemeinde ändern kann. Es war
gerade ein paar Monate her, da beschrieb Lukas die Gemeinde in Jerusalem so: "Die Menge
der Gläubigen war ein Herz und eine Seele." Das ist das Bild, das wir ja auch von der Urgemeinde im Kopf haben. Und hier lesen wir von verschiedenen Gruppen, die sich streiten und
einander Vorwürfe machen.
Auch das gehört zum realistischen Bild einer Gemeinde. So sehr wir uns eine beständige
Harmonie wünschen. Es wird diese hier auf Erden nicht geben. Dann müsste die Gemeinde
aus lauter Engeln bestehen. Dieses realistische Bild der Bibel hilft uns, mit Problemen und
Enttäuschungen in der eigenen Gemeinde zurecht zu kommen.
2 Ein verborgener Konflikt tritt ans Licht
2.1 Hintergrund der Krise
Was war geschehen? Was ist die Ursache dieser ersten Verstimmung unter den Christen in
Jerusalem?
Die Zahl der Gläubigen war stark angewachsen. Und wir hören zum erstenmal, dass es unterschiedliche Gruppen in der Gemeinde gab: Die Hebräische und die Griechische. Zwischen
diesen beiden Gruppen gab es auch Interessenkonflikte.
Das gibt es in jeder Gemeinde: Unterschiedliche Gruppen mit sich widerstreitenden Interessen, die zu Krisen führen können: Jung und Alt, Verheiratete und Singles, Anhänger von
neuen Liedern und andere, die lieber schöne alte Choräle singen, politisch Engagierte und solche die meinen, Christen haben in der Politik nichts verloren.
Schauen wir uns die beiden Gruppen in der Gemeinde in Jerusalem einmal an: Die hebräischen Juden waren in Israel geboren und aufgewachsen, sie sprachen Hebräisch oder Aramäisch, die Umgangssprache z. Zt. Jesu.
Die Angehörige der griechischen Gruppe waren auch Juden, jedoch im Ausland geboren und
aufgewachsen. Sie sprachen Griechisch (Kultursprache der alten Welt), trugen häufig
griechische Namen und waren von der griechischen Kultur stark beeinflusst. Deshalb
begegneten ihnen die hebräischen Juden mit Skepsis und Misstrauen. Die griechisch
sprechenden Juden waren ihrerseits stolz auf ihre bessere Bildung und schauten herab auf ihre
einfachen Volksgenossen. Es gab also kulturelle und soziale Unterschiede und sicherlich auch
Unterschiede im Frömmigkeitsstil - Grund genug für Spannungen unter den Christen aus
diesen beiden Gruppen. Außerdem hatten Mitglieder der griechischen Gruppe als
Rückwanderer meist keinen Erbbesitz in Israel. Sie hatten kaum Verwandte und waren im
Krisen als Chance
Apostelgeschichte 6, 1-7
Seite 2
Falle einer sozialen Not schlecht dran – die soziale Sicherung war nämlich Aufgabe der
Großfamilie.
2.2 Auslöser für den Streit
Die Witwen der griechischen Gruppe wurden bei der täglichen Versorgung übersehen. Hier
haben wir übrigens einen interessanten Einblick in das Leben der Gemeinde: Sie versorgte die
Armen mit dem Lebensnotwendigen. Es gab so etwas wie einen Mittagstisch für die Armen
und sozial Schwachen. Warum wurden ausgerechnet die Witwen der griechischen Gruppe
übersehen bei diesem Dienst? Das war sicher keine Absicht, sondern ein Versehen; vielleicht
das Ergebnis einer fehlenden Organisation. (Auch ein Dienst der Nächstenliebe muss geplant
und durchdacht werden).
Kann es so etwas auch bei uns geben: Menschen, die übersehen werden? Die materielle Not
spielt im Sozialstaat keine so große Rolle, aber suchen vielleicht manche unter uns vergeblich
nach einer Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und werden dabei enttäuscht?
Leider werden oft die übersehen, die Zuspruch und Hilfe am nötigsten brauchen, weil sie sich
nicht so lautstark zu Wort melden. Auch in einer christlichen Gemeinde wird es oft still um
notleidende Glieder.
Solche benachteiligten Menschen halten sich meistens an das Sprichwort: Reden ist Silber,
Schweigen ist Gold. Sie schlucken ihren Ärger herunter und gehen auf Tauchstation. Doch im
einem Konfliktfall sollte es eher umgekehrt heißen: Reden ist Gold, Schweigen ist Silber.
Es ist wichtig, dass man in der Gemeinde seinen Ärger nicht herunterschluckt, sondern ausspricht. Selbst ein Klagen und Murren ist immer noch besser als wenn man sich gekränkt zurückzieht. Die benachteiligten Witwen haben über die ungerechte Behandlung laut geklagt.
Nur dadurch kam die Sache vor die Apostel und konnte auch gelöst werden.
3 Schritte auf dem Weg zu einer Lösung
Die Apostel erkennen, dass dieser Konflikt die Einheit der Gemeinde gefährdet und handeln
schnell. Wir können drei Schritte auf dem Weg zu einer Lösung erkennen.
3.1 Die Erkenntnis: Es kann nicht so weiter gehen wie bisher
Zunächst kommt die heilsame Erkenntnis: So wie wir bisher in diesem Bereich improvisiert
haben, kann es nicht weiter gehen. Wir überfordern uns, wenn wir alle Aufgaben an uns reißen und können trotzdem die Probleme nicht lösen. Der Dienst an den Witwen muss klar
strukturiert werden, um die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden.
Krisen als Chance
Apostelgeschichte 6, 1-7
Seite 3
3.2 Die Mitarbeit vieler wird benötigt
Der zweite Schritt ist die Überlegung der Apostel: Wo liegen unsere Prioritäten? Wo liegen
unsere Gaben und Grenzen? Aus dieser Überlegung erwächst die Erkenntnis: Unsere erste
Aufgabe ist das Gebet und die Wortverkündigung. Jesus hat uns dazu berufen, seine Zeugen
zu sein. Die andere Aufgabe der sozialen Dienste ist aber genau so wichtig. Also müssen fähige Leute aus der Gemeinde berufen werden, um diesen Dienst zu übernehmen und die
Apostel zu entlasten.
Diese Überlegung hat eine wegweisende Bedeutung für alle Gemeinden: Die wichtigste Aufgabe der geistlichen Leitung einer Gemeinde – Pastoren und Älteste – ist das Gebet und die
Wortverkündigung. Die vielen anderen Aufgaben, die ebenfalls wichtig sind, müssen auf andere Schultern verteilt werden. Wir nennen das heute gabenorientierte Mitarbeit aller in der
Gemeinde: Jeder in der Gemeinde ist von Gott begabt und zu einem Dienst berufen.
3.3 Die Apostel nehmen die Gemeinde ernst
Die Gemeinde wird bei der Erarbeitung einer Lösung in die Verantwortung genommen. Die
erste Gemeindeversammlung, von der die Bibel berichtet, wird einberufen. Wenn wir das
heute hin und wieder tun, um gemeinsam mit der Gemeinde wichtige Entscheidungen zu beraten, dann stehen wir in einer guten biblischen Tradition. Dafür gibt es einige Beispiele in
der Apostelgeschichte.
Die ganze Gemeinde entscheidet über die Berufung der sieben Diakone und setzt sie in ihren
Dienst ein. Es fällt auf, dass die Berufenen alle griechische Namen tragen. Sie gehören also zu
der Gruppe, die sich benachteiligt fühlte. Ich sehe hierin eine weise Entscheidung und einen
Schritt zur Versöhnung der beiden Gruppen durch den Vertrauensbeweis, den man der griechischen Gruppe entgegenbringt.
4 Was können wir daraus über Konfliktlösung lernen?
Diese Geschichte hilft uns im Umgang mit eigenen Konflikten in der Gemeinde und im persönlichen Umfeld. Was lehrt sie uns?
4.1 Meinung offen äußern
Wir können in Konfliktsituationen schweigen, um den Schein einer Harmonie zu bewahren.
Besser ist es aber unsere Meinung offen zu äußern. Das ist zwar unbequem, führt aber meistens zu positiven Veränderungen.
Krisen als Chance
Apostelgeschichte 6, 1-7
Seite 4
Ich erinnere mich an eine Gemeindestunde vor einigen Monaten. Wir sprachen zum ersten
Mal über die Berufung eines Pastors und über die Schwerpunkte seiner Tätigkeit. Die Gemeindeleitung sah diese Schwerpunkte in Mitarbeiterschulung und Evangelisation. Das
brachte die Eltern in der Gemeinde auf die Barrikaden, weil sie die Sorge hatten, wir würden
die Kinder- und Jugendarbeit dadurch vernachlässigen. Ihr Protest führte dazu, dass wir uns
ernsthaft Gedanken machen mussten über die Situation der Teenies in der Gemeinde. Wir
haben zu einem Gespräch über dieses Thema eingeladen und daraus ist dann die Teeniearbeit
entstanden.
Hätten die Eltern damals ihren Ärger für sich behalten, dann wäre nichts passiert. So aber
konnte eine positive Entwicklung eingeleitet werden. Davon haben die Teenies und wir als
Gemeinde profitiert.
4.2 Eigene Interessen aussprechen
Es ist wichtig, in einem Streitfall die eigenen Interessen deutlich auszusprechen. Man muss
sich selber Fragen: Wo liegen meine Prioritäten im Leben und welche Ziele habe ich? Das
klingt vielleicht egoistisch. Aber für Menschen, die mit Jesus Leben, werden Prioritäten und
Lebensziele vom Glauben beeinflusst. Diese Ziele müssen wir kennen und klar vertreten. Das
ist kein einfacher Schritt für Menschen, die gewohnt sind, sich immer anzupassen, für die
Harmonie etwas Heiliges ist.
4.3 Bereitschaft, die Interessen der anderen zu berücksichtigen
Und schließlich muss vor allem auf der Seite der Starken in einem Konflikt die Bereitschaft
da sein, die Interessen der anderen Seite zu berücksichtigen. Diese Rücksichtnahme ist keine
angeborene Fähigkeit. Aber Jesus hat es und vorgelebt und gelehrt: Wer groß unter euch sein
will, der sei ein Diener für alle. Die Starken sollen den Schwachen dienen und das fängt damit
an, dass die ihre Anliegen sehen und ernst nehmen.
5 Die Krise als Chance
Die Gemeinde hat sich damals dem Konflikt gestellt und eine gute Lösung gefunden. Die
Krise hat ihr nicht geschadet. Im Gegenteil, der innere Friede wurde wieder hergestellt und
die Gemeinde konnte sich ihrer eigentlichen Aufgabe widmen: Menschen zu Jesus Christus
zu rufen. Sie erlebte danach einen neuen Wachstumsschub.
Krisen als Chance
Apostelgeschichte 6, 1-7
Seite 5
Dieser Text aus der Apostelgeschichte macht uns Mut, wenn Konflikte auftauchen, diese offen anzugehen und an einer Lösung zu arbeiten. Das möchte ich uns als Hausaufgabe mit auf
den Weg geben.
Krisen als Chance
Apostelgeschichte 6, 1-7
Seite 6
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