3. Möglichkeiten der Erziehung Das Anlage-Umwelt-Problem „Anlage“ und „Umwelt“ Anlage ist die genetische Ausstattung eines Lebewesens (Vererbung) Mit Anlagen bezeichnen wir die genetische Ausstattung eines Lebewesens, die bei der Befruchtung festgelegt wird. Gesamtheit der Erbinformation = Genotyp Vererbt = von seinen Eltern bestimmte Erbanlagen Angeboren = bei der Geburt vorhanden Erworben = durch Umwelteinflüsse zustande gekommen Umwelt meint alle direkten und indirekten Einflüsse, denen ein Lebewesen von der Befruchtung der Eizelle (= Empfängnis) bis zu seinem Tode von außen her ausgesetzt ist. Umwelteinflüsse lassen sich in vier erzieherisch bedeutsame Bereiche unterteilen: natürliche Umwelt kulturelle Umwelt ökonomische Umwelt soziale Umwelt Diese Umweltbereiche überschneiden sich zum Teil. Die kulturellen und sozialen Faktoren werden also soziokulturelle Faktoren bezeichnet. Erziehbarkeit des Menschen Für Erbtheoretiker ist die Entwicklung genetisch vorprogrammiert. (pädagogischer Pessimismus) Für Milieutheoretiker ist der neugeborene Mensch ein unbeschriebenes Blatt. Erziehung vermag alles (pädagogischer Optimismus) Aus wissenschaftlicher Sicht ist keine dieser Auffassungen bewiesen; Ergebnisse der Zwillings- und Adoptionsforschung lassen nur den Schluss zu, dass Persönlichkeit sowohl von Anlagenfaktoren als auch Umwelteinfluss abhängt. Zusammenspiel von Anlage und Umwelt: EW VL 3 Mag. Karl Sagmeister 1 Wechselbeziehung zwischen Umwelteinflüssen und genetischer Ausstattung Die Erbanlagen stellen also Möglichkeiten zur Verwirklichung von Fähigkeiten dar, die durch Umwelteinflüsse angeregt, aktiviert werden müssen. Erbanlagen = Werdemöglichkeiten finden durch Umweltseinflüsse Entfaltung. Die Verhaltensbiologie geht davon aus, dass die Bereitschaft und die Lust zum Entdecken und zum Lernen wie zum Beispiel Erkunden, Neugierde, Spielen, Nachahmen vererbt sind, aber vom Erzieher auch beachtet und gefördert werden müssen, um entfaltet werden zu können und erhalten zu bleiben. So zum Beispiel ist es allein aufgrund der individuellen Begrenztheit der Anlagen nicht möglich, aus jedem Menschen selbst bei optimalen Umweltgegebenheiten ein Genie zu machen = „Pädagogischer Realismus“ Selbststeuerung des Individuums Der Mensch ist ein aktives Wesen, welches „von sich aus“ die Umwelt erforscht. Die aktive Selbststeuerung kann die Ausbildung der Persönlichkeit fördern oder auch hemmen. Mit Selbststeuerung werden alle Kräfte bezeichnet, mit denen das Individuum als aktives Wesen „von sich aus“ seine Entwicklung beeinflusst. Wechselwirkung von Anlage, Umwelt und Selbststeuerung Erbanlagen, Umwelt und aktive Selbststeuerung des Individuums bedingen und beeinflussen sich wechselseitig. „Was du bist, hängt von drei Faktoren ab: Was du geerbt hast, was deine Umgebung aus dir machte, und was du in freier Wahl aus deiner Umgebung und deinem Erbe gemacht hast.“ (Aldous Huxley, 1931) Bedingungen der Erziehung Folgende Faktoren beeinflussen den Prozess der Erziehung: Der Erzieher (Persönlichkeitseigenschaften des Erziehers) Fertigkeiten, Begabungen, Interessen, Erfahrungen, Überzeugungen, Einstellungen, Weltanschauungen Der zu Erziehende (Einflüsse: beispielweise Freundeskreis, Medien, Werbung) persönliche Lerngeschichte durch seine Fähigkeiten, Begabungen, Interessen, Erfahrungen, Weltanschauungen EW VL 3 Mag. Karl Sagmeister 2 Lernsituation Umwelt Gesellschaftliche Ansprüche Die Begrenztheit der Erziehung Es steht nicht das Individuum losgelöst von seiner Umwelt im Mittelpunkt, sondern der Mensch in seiner Umwelt und in seinen sozialen Beziehungen. Erziehung kann demnach immer nur aus der Verflochtenheit der an der Erziehung beteiligten Personen mit der sie umgebenden Umwelt verstanden werden. Erziehung ist nur begrenzt plan- und steuerbar Der Erzieher muss die Grenzen der Erziehung sehen Zusammenfassung: Die Frage nach dem Ausmaß der Lernfähigkeit und Erziehbarkeit des Menschen lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern betrifft das AnlageUmwelt-Problem. Die Anlage bezeichnet die genetische Ausstattung eines Lebewesens, die bei der Befruchtung festgelegt wird. Umwelt meint alle direkten und indirekten Einflüsse, denen ein Lebewesen von der Befruchtung der Eizelle (Empfängnis) bis zu seinem Tode von außen her ausgesetzt ist. Vier Bereiche werden unterschieden: die natürliche, die kulturelle, die ökonomische und die soziale Umwelt. Die Frage, inwieweit der Mensch lernfähig und erziehbar ist, wird je nach weltanschaulicher - politischer Ansicht unterschiedlich beantwortet: Während die Erbtheoretiker, nach denen die Entwicklung der Persönlichkeit genetisch vorherbestimmt ist, von der Ohnmacht der Erziehung (= pädagogischer Pessimismus) überzeugt sind, glauben die Milieutheoretiker, die allein Umweltfaktoren als bedeutsam für die Ausbildung der Persönlichkeit ansehen, an die Allmacht der Erziehung (= pädagogischer Optimismus). Beide Auffassungen sind aus wissenschaftlicher Sicht nicht bewiesen. Die meisten Wissenschaftler gehen heute nicht mehr von dem Verhältnis, sondern von der Wechselwirkung von Anlagen und Umwelt aus, was für einen Pädagogen bedeutet, dass einerseits alles irgendwie Mögliche zu einer optimalen Förderung des Kindes getan werden muss, andererseits aber die Grenzen der Erziehbarkeit berücksichtigt werden müssen (= pädagogischer Realismus). Anlage und Umwelt legen den Menschen nicht fest, es kommt darauf an, was der Einzelne aus seinen Anlagen, den vergangenen Erfahrungen und Erlebnissen macht. Selbststeuerung meint alle Kräfte, mit denen das EW VL 3 Mag. Karl Sagmeister 3 Individuum als aktives Wesen „von sich aus“ seine Entwicklung beeinflusst. Die Ausbildung der Persönlichkeit geschieht demnach im Zusammenspiel von Anlagen, Umwelt und aktiver Selbststeuerung. Erziehung geschieht nicht in einem isolierten Freiraum, sondern ist vielen bedeutsamen Einflussfaktoren, die den Erziehungsprozess in einem nicht unerheblichen Maße (mit)bestimmen und den gesamten Komplex der Erziehung oft unüberschaubar machen. Der Erzieher und der zu Erziehende, die Lernsituation und die Umwelt sowie gesellschaftliche Ansprüche ergeben das Bedingungsfeld, in welchem sich Erziehung abspielt. Erziehung kann immer nur aus der Verflochtenheit der an der Erziehung beteiligten Personen mit der sich umgebenden Umwelt verstanden werden. Erziehung ist daher immer nur begrenzt plan- und steuerbar, was aber nicht „Auflösung von Erziehung“ oder Resignation in der Erziehung bedeutet. Einerseits ist es dem Erzieher möglich, bestimmte Umwelteinflüsse zu ändern bzw. so zu gestalten, dass sie seinen Absichten entsprechen, andererseits muss der Erzieher aber die Grenzen der Erziehung sehen und erkennen, dass durch Erziehung nicht alles machbar ist. Literatur: EW VL 3 LASSAHN Rudolf: Einführung in die Pädagogik; UTB Verlag 2002. GUDJONS Herbert: Pädagogisches Grundwissen; Klinkhardt Verlag 1999. HOBMAIR H. (HG): Pädagogik; Bildungsverlag EINS 2002. Mag. Karl Sagmeister 4