Es wiederholt sich Kurt Röttgers »Ich möchte mich nicht wiederholen…« – »Das sagtest du bereits.«1 Nach Ansicht der »Deleuze Studies« gehört der Begriff der Wiederholung bei Deleuze nicht zu seinen »key concepts«.2 Als jedoch Deleuze 1991 anlässlich des Erscheinens von Qu’est-ce que la philosophie, wo die Aufgabe der Philosophie bestimmt wird als das Erschaffen von Begriffen, von Didier Eribon gefragt wurde, welchen Begriff er selbst denn geschaffen habe, da antwortet er mit einem einzigen Begriff: »La ritournelle […] Nous avons formé un concept de ritournelle en philosophie.« (Deleuze 2003: 356) Zusammen mit den anderen Begriffen des Begriffsfelds der Wiederholung (répétition, retour) gehört das Ritornell in der Tat zu den charakteristischen Begriffen der Philosophie und philosophischen Performanz der Texte von Deleuze. Dieses Begriffsfeld ist mit anderen Konzepten auf die vielfältigste Weise verknüpft, z.B. mit seiner Theorie der Zeit oder den ästhetischen Überlegungen. Dass sich etwas wiederholt, kann beruhigend, aber auch verstörend oder beängstigend sein. Schon Nietzsche musste mit seiner These von der Ewigen Wiederkehr des Gleichen gegen die Meinung angehen, dass es furchtbar wäre, wenn sich alles wiederholte. Seine Lehre vom Amor fati bewahrt davor. Hatten doch viele zuvor angenommen, dass das Leben 1 | Im Allgemeinen hat die Wiederholung keinen guten Ruf; vgl.: »Wenn sonst nichts klappt – Wiederholung wiederholen«, Buchmann u.a. 2005. 2 | Siehe dazu www.eri.mmu.ac.uk/deleuze/on-deleuze-key_concepts.php. Vgl. aber dagegen Rölli 2007. 210 Kurt Röttgers ein Horror sei und dass eine Erlösung aus der ewigen Wiederholung des Schreckens in einem Jenseits dieses Jammertals in Aussicht stehe. Noch die Fortschrittsphilosophien des 19. Jahrhunderts haben dieses Jenseits der Gegenwart – dann allerdings säkular in der Zukunft – erwartet. Die Toten aber, die keine Ruhe fanden und als Wiedergänger die Hinterbliebenen beunruhigten, die Doppelgänger, die ein Selbst sich selbst als wiederholende Spiegelung konfrontierten, das Echo, das die Äußerung parodiert,3 all das ist zutiefst verunsichernd, weil es den einfachen Fortgang der Zeit unserer temporalen, sozialen und diskursiven Orientierung fraglich werden lässt. Gibt es etwa, muss man sich angesichts dieser Erscheinungen fragen, mehr als eine Gegenwart, die irreversibel zwischen Vergangenheit und Zukunft eingespannt ist, so dass sich wiederholen kann, was doch sicher als vergangen schien? Gibt es mehr als ein Selbst, so dass sich als eine Wiederkehr des Selbst präsentiert, was doch sicher der Andere zu sein schien? Und schließlich: Gibt es mehr als eine Diskursivität, so dass als Problem auftaucht genau das, was doch epistemisch oder normativ schon bewältigt gewesen zu sein schien? Wenn es Methode gibt, d.h. den eindeutigen und richtigen Weg durch die Wirrsal dieser Welt, dann darf es keine Wiederkehr geben, es sei denn wir hätten etwas falsch gemacht. Denn dann tauchen bekanntlich die unbewältigten Probleme der Vergangenheit in der Gegenwart als Symptome auf, dann begegnet der Feind (der Fremde) uns als »unsere eigene Frage als Gestalt« (Schmitt 1950: 89f.) und das Gewusste als Illusion. Aber die Wiederholung hat auch etwas Beruhigendes, sie verheißt uns die Stabilität der Welt, z.B. dass die Sonne jeden Morgen wieder im Osten aufgeht, dass uns die Anderen bekannt vorkommen und in gleicher Weise, wie sie uns immer begegneten, und unser Wissen von der Welt uns als das erscheint, was es immer schon war: unser Wissen von der Welt. 1968 hat sich Gilles Deleuze mit seiner Schrift Différence et répétition4 (zusammen mit dem ersten Spinoza-Buch) habilitiert. Diese Schrift ist nach einer Reihe von »philosophiehistorischen« Studien zu Hume, Nietzsche, Bergson und Kant, zu denen Foucault zu Recht gesagt hat, dass De3 | Vgl. Röttgers/Schmitz-Emans 2008. 4 | Vgl. Deleuze 1968. Es wird im Folgenden nach der hervorragenden deutschen Übersetzung von Joseph Vogl zitiert. Es wiederholt sich 211 leuze alle Philosophie wiederkehren lasse, aber nicht als dieselbe, 5 der erste große systematische Wurf von Deleuze. Aber die Thematisierung von Wiederholung wiederholt sich vielfach im Werk von Deleuze; performativ wiederholt sich so, was Kierkegaard in seiner Studie über »Wiederholung« vorgezeichnet hatte, die weniger eine Theorie der Wiederholung bietet, als vielmehr eine Inszenierung von Wiederholung entgegen der dort explizit vertretenen Einsicht, dass Wiederholung nicht möglich sei. Bei Deleuze, und das hat genau mit seiner Theorie der Wiederholung zu tun, wiederholt sich die Wiederholung unter variierender Gestalt und Begrifflichkeit, also nicht nur als »répétition«, sondern vor allem auch als »(éternel) retour« oder als Ritornell. So ergibt sich bereits frühzeitig ein textliches Werden, das Deleuze 1964 in seinem Beitrag zu dem von ihm organisierten 6. Kolloquium von Royaumont über Nietzsche als Interpretation der Ewigen Wiederkehr angeboten hatte. Die Ewige Wiederkehr ist keine zyklische Rückkehr des Selben oder des Einen oder auch des Ganzen. Vielmehr ist das Nicht-Gleiche, das Differente der wahre Grund der Ewigen Wiederkehr. Die Welt der Ewigen Wiederkehr ist die Welt der Differenz, die weder das Eine noch das Selbe voraussetzt, weder den Einen Gott noch eine Ich-Identität. In einer solchen Welt ist die Ewige Wiederkehr die einzige Einheit, nur als Wiederkehrendes ergibt sich ein Selbst. »En d’autres termes, l’éternel retour se dit seulement du devenir, du multiple. Il est la loi d’un monde sans être, sans unité, sans identité. Loin de supposer l’Un ou le Même, il constitue la seule unité du multiple en tant que tel, la seule identité de ce qui diffère: revenir est le seul ›être‹ du devenir. Si bien que la fonction de l’éternel retour comme Être n’est jamais d’identifier, mais d’authentifier.« (Deleuze 2002: 173) Weil die Ewige Wiederkehr nicht die Wiederholung des Selben, noch die Rückkehr zum Selben und Einen ist, ist sie im Kern selektiv. Der andere Aspekt ist das, was Nietzsche den Amor fati genannt hatte und was sich 5 | Vgl. Foucault 1969: 976; vgl. dazu auch Deleuze/Guattari 1996. Als Foucault 1970 sagte: »Eines Tages wird das Jahrhundert vielleicht deleuzianisch sein«, da soll das nach Deleuze seitens Foucault ein Scherz gewesen sein, um die Freunde zu amüsieren und die Gegner zu provozieren; Foucault hat sich jedoch m.W. von der Äußerung niemals distanziert. 212 Kurt Röttgers hier wie eine Parodie des kategorischen Imperativs liest, Parodie, weil natürlich der Bezug auf ein »allgemeines Gesetz« hier gerade ausgeschlossen ist: Was immer du willst, wolle es so, dass du zugleich seine Ewige Wiederkehr willst. Als eine solche Maxime verbindet sich der Gedanke der Ewigen Wiederkehr mit dem Gedanken des Willens zur Macht zu dem Konzept einer schöpferischen Selektion des Werdens. In seinem NietzscheBuch sagt Deleuze wenig später: »In der ewigen Wiederkunft kehrt nicht Ein-und-Dasselbe zurück, sondern ist die Wiederkunft selbst das Eine, das allein vom Diversen und von dem sich Unterscheidenden ausgesagt wird.« (Deleuze 1976: 53) So ist für Deleuze, wie er programmatisch formuliert, die Ewige Wiederkehr die Manifestation eines Prinzips, »das den Grund des Verschiedenen und seine Reproduktion, der Differenz und ihrer Wiederholung darstellt.« (Ebd.: 55) An anderer Stelle sagt er auch – etwas gewagt als Interpretation –: »Die ewige Wiederkunft ist das Sein des Werdens.« (Ebd.: 79) Im Begriff des Werdens und den darin eingeschlossenen zeittheoretischen Aspekten der Wiederholung wird die Wiederkehr Bergsons im Werk von Deleuze greifbar. Hier nun also greifen bereits zeittheoretische Überlegungen in den Gedanken der Wiederholung ein. Denn der Interpretation von Deleuze liegt – entgegen manchen missverständlichen Äußerungen Nietzsches – eine radikale Absage an eine zyklische Zeitauffassung zugrunde. Jede moderne Zeitauffassung sieht sich dem Problem des Übergangs konfrontiert, der die Kontinuität und die Diskontinuität synthetisieren muss. 6 Denn das Gegenwärtige differiert von dem Vergangenen und koexistiert doch mit ihm. Die Theorie der Zeit bei Deleuze wäre eigentlich ein ganz eigenes wichtiges Thema, es kann hier nur im hier unverzichtbaren Umfang angesprochen werden. Wie die Phänomenologie geht Deleuzes Theorie der Zeit von der Zeit-Theorie Bergsons aus und kommt doch zu ganz anderen, und in der Philosophie Heideggers sogar entgegengesetzten Konsequenzen. Ist für Husserl die Metapher des Flusses der Zeit zentral, so für Deleuze der noch zu erläuternde Begriff des Zeit-Kristalls. Aber zuvor seien die für unsere Überlegungen grundlegenden zeittheoretischen Vorstellungen aus »Differenz und Wiederholung« angesprochen. In seiner Erwägung des (Kantischen) Gedankens eines Aprioris der Zeit als Form der Anschauung unterscheidet Deleuze zunächst drei temporale Synthesen. Die erste 6 | Vgl. Röttgers 2002, 2007. Es wiederholt sich 213 bezieht sich auf eine gegenwärtige Zeitlichkeit, eine Zeit die »vorübergeht «. Diese Vorstellung ist insofern paradox, als sie eine gegenwärtige Zeitlichkeit konstituiert, die gerade keinen Bestand hat. Die zweite, ebenfalls von Bergson inspirierte Synthese stellt die Erinnerung ins Zentrum und den Nicht-Bestand des Gegenwärtigen. Gerade als vergangene Zeit hat die Zeit Bestand: Die Vergangenheit vergeht nicht. Zwar kann eine Erinnerung (subjektiv) verblassen, aber sie kann aufgefrischt werden, gerade weil das Vergangene (objektiv) ein An-sich-bestehendes ist. Für Deleuze ist Vergangenheit daher keine Dimension der Zeit, sondern sie ist die Synthese der Zeitlichkeit als solcher, wodurch Gegenwart und Zukunft zu Dimensionen der Zeit als Vergangenheit herabgestuft werden. Die Folge der Gegenwartsmomente ist nur in der Erinnerung gegeben, und nur die Erinnerung konstituiert die Folge der Gegenwartsmomente gemäß Prinzipien der Verknüpfbarkeiten und Ähnlichkeiten. Das Kontinuum gegenwärtigen Erlebens (Husserls »Urimpressionen«) ist für Deleuze nur möglich aufgrund von durch die Erinnerung gestifteten Ähnlichkeiten zwischen gegenwärtigem Erlebens-Inhalt und in der kristallinen Form vergangener Zeit bestehenden und erinnerten Sachverhalten. Auf diesem Grund ergibt sich eine dritte Zeit-Synthese, die die Differenz von Vergangenheit und Gegenwart in absoluter Weise festhält. Diese Zeit »durchstreift« das Subjekt und ist gewissermaßen – trotz allem Anti-Hegelianismus von Deleuze7 – eine Synthese der ersten beiden Synthesen zu einem An-und-für-sich der Zeit. In ihr wird die Gegenwart selbst zum Ort der Differenz; darin unterscheidet sie sich sowohl von Husserls einfacher Urimpression und den sich daran anschließenden Abschattungen als Origo aller Zeitlichkeit als auch von Bergsons Gegenwartszentrierung. In seiner Kant-Vorlesung vom 14.3.1978 in Vincennes verwendet Deleuze entsprechend viel Aufmerksamkeit auf die Frage, warum die Zeit (und der Raum) für Kant keine Verstandesbegriffe sind. »La position spatio-temporelle n’est pas une propriété du concept.« (Deleuze 1978a) Die Aufgabe der Begriffe (Kategorien) ist es, Vielheiten in Einheiten zusammenzufassen. Kategorien vermitteln, Anschauungsformen dagegen sind Formen der Unmittelbarkeit. Daher präsentieren Begriffe nicht, sie repräsentieren. Aber Zeit ist, darin würdigt 7 | Das zwiespältige Verhältnis von Deleuze zu Hegel hat in der Literatur vielfach Beachtung gefunden, vgl. vor allem Žižek 2004: 41ff. Im (zweifelhaften) »Antihegelianismus « von Deleuze wiederholt sich auf gewandelte Weise der unzweifelhafte (?) Antihegelianismus Kierkegaards. 214 Kurt Röttgers Deleuze die Kantische Revolution der Denkungsart, auch nicht eine in den Dingen oder an den Dingen vorfindliche Eigenschaft der Sukzession der Dinge untereinander. Wenn es aber eine Spannung zwischen Anschauungsformen und Kategorien gibt, dann ist das nach Deleuze folgenreich. In seiner anschließenden Vorlesung vom 21.3.1978 spricht er daher sogar von einer Spaltung des Subjekts und einer Entfremdung zwischen der Rezeptivität (der Anschauungsformen) und der Spontaneität (der Verstandesbegriffe), die es erlaubt, Rimbauds Formel »Je est un autre« auch auf das Kantische Subjekt anzuwenden (Deleuze 1978b). Um den genauen Zusammenhang von Differenz und Wiederholung zu bestimmen, muss nun allerdings doch kurz auf Bergsons Theorie der Zeit Bezug genommen werden, so wie sie Deleuze in Differenz und Wiederholung heranzieht. Es müssen grundsätzlich zwei Formen der Erinnerung unterschieden werden, die als Habitus und als Mnemosyne markiert werden. Die Gleichzeitigkeit beider führt die Differenz in die Wiederholung ein. Denn auf einer habituellen Ebene ist die Wiederholung oberflächliche, äußerliche Wiederholung von Elementen, auf einer zweiten, jedoch immer gleichzeitigen Ebene ist die Wiederholung eine tiefe, stets variable Reprise und Reproduktion. Die unvermeidliche Gleichzeitigkeit dieser Realität von Zeit als vergangener ist der Ort der Differenz, die also mehr ist als Nichtidentität auf einer der beiden Ebenen. Sie ist die Differenz zweier Ebenen und derselben Wiederholung/zweier Wiederholungen.8 Ich wiederhole: Deleuze war kein Philosophiehistoriker, sondern er wiederholt (in Differenz) andere Philosophie, weil nicht die Geschichte ihn interessiert, sondern das Werden, z.B. einer philosophischen Idee. Wie Deleuze/Guattari in Was ist Philosophie? feststellen, geht es auch heute darum, die Griechen und die griechische Philosophie zu wiederholen, »eine Wiederholung auf einer bis dahin unbekannten Stufe, in einer gewandelten Gestalt und mit anderen Mitteln…« (Deleuze/Guattari 1996: 112) Eines seiner frühen Bücher hat Deleuze Hume gewidmet, an ihm schult Deleuze den Gedanken einer Philosophie der Immanenz.9 Humes radikaler Empirismus, der keine Transzendenz mehr nötig haben möchte, erfordert offensichtlich ein eigenes Kriterium der Kontinuität der Erfahrung, das Philosophien der Transzendenz so leichtfertig im Jenseits der Immanenz 8 | Vgl. Deleuze 1968: 357. 9 | Ihn hat er natürlich von seinem Lehrer Gandillac aufgenommen. Zum Prinzip der Immanenz vgl. auch Langer 2003. Es wiederholt sich 215 versteckt, gesucht und gefunden hatten. Dieses Kriterium, dessen Wichtigkeit Deleuze hervorhebt, ist für Hume die Gewohnheit. Die Gewohnheitsbildung als Fähigkeit des Menschen ermöglicht es, aus der Wiederholung ähnlicher Fälle die Gewohnheit einer Erwartung abzuleiten, bzw. anzuknüpfen. Dann liefert die Erfahrung eine Wiederholung und stiftet damit eine Kontinuität. Diese Wiederholung ist nichts, was sich am Ding als solchem ereignet, es ist vielmehr der Verknüpfungsmodus von Erfahrungsgehalten durch die Fähigkeit der Gewohnheitsbildung. Wer sich wie Deleuze auf das Denken der Wiederholung einlässt, stößt nicht nur auf Nietzsches Wiederkehr des Gleichen, sondern insbesondere auch auf Kierkegaard. (Peguy wäre ein dritter Bezugs-Kandidat in dieser Reihe, auf den aber hier nicht eingegangen zu werden braucht.) Nach Kierkegaard ist es eine Einsicht der neueren Philosophie, dass das ganze Leben eine Wiederholung ist und dass eben darin das Glück bestehe. Nur die Wiederholung verleiht die »selige Gewißheit des Augenblicks«. (Constantius 1976: 330) Während die Hegel’sche, eine deutsche, Philosophie die Negation zum Zentrum der Bewegung des Denkens erwählte, ist es dänische Natur, so Kierkegaard, die unendliche Wiederholung der menschlichen Geschicke ins Zentrum des Philosophierens zu rücken. 10 Die Wiederholung liegt nicht in der Natur der Dinge, und Deleuze verweist auf Gabriel Tarde, der zeigen wollte, dass der Widerspruch nur ein Sonderfall von Wiederholung sei. (Deleuze 1968: 44f.) Auch Freuds Wiederholungszwang bleibt nicht unerwähnt.11 Der eigentliche Bezugspunkt aber bleibt Kierkegaard. Bei ihm aber ist die Wiederholung weder im Physischen noch bloß im Psychischen begründet. Daher opponiert Kierkegaard zutiefst der Platonischen Lehre von der Wiedererinnerung. Die Wiederholung ist der Sinngarant menschlicher Existenz, weil sie, so auch Deleuzes KierkegaardInterpretation analog der Nietzsche-Interpretation, das eigentliche Sein des Werdens ist. 10 | Zu Kierkegaards Konzept der Wiederholung äußert sich Deleuze außer in »Differenz und Wiederholung« insbesondere auch in: Deleuze 1956. 11 | Wieviel Freud Nietzsche schuldete dazu vgl. Dimitrov/Jablenski 1967, die Wiederholung wird dort allerdings nicht als eine Wiederholung Nietzsches durch Freud erwähnt. Die früheste Formulierung des Wiederholungszwangs bei Freud bezeichnet die Wiederholung als eine »Art zu erinnern«, nämlich die des Kranken. Freud 1978: 519. 216 Kurt Röttgers Das Hauptwerk von Deleuze, »Differenz und Wiederholung« zieht aus diesen Anschlüssen an Nietzsche, Kierkegaard (und Peguy) die Konsequenzen. Allen diesen Bezugstheorien sei eines gemeinsam eigen: »Sie stellen die Wiederholung allen Formen der Allgemeinheit gegenüber.« (Deleuze 1968: 20) Wiederholung wird geradezu als Gegenteil der Etablierung oder der Anwendung eines allgemeinen Gesetzes (epistemisch oder als Sittengesetz) herausgestellt, sie erscheint als die Seinsweise der Singularitäten. Ihre Formen sind Spiegelungen und Echos. Jenseits von Spiegelndem und Gespiegeltem gibt es in einer konsequent immanentistischen Philosophie, die das Sagen nicht ins Jenseits des Gesagten stellt, nicht ein Allgemeines, das den Oberbegriff für beide Singularitäten abgäbe. Auch bei Kierkegaard sei das der Grund, die Wiederholung der Allgemeinheit der Naturgesetze entgegenzustellen. Deleuze erwartet von der Form der Wiederholung, dass sie Universales und Singuläres so vermittelt, dass die Allgemeinheit des Gesetzes (des Naturgesetzes ebenso wie des Sittengesetzes) damit unterlaufen wird. Denn die Allgemeinheit im Hinblick auf Einzelnes und den Einzelnen ist die Subsumtion und die Unterwerfung. Die Wiederholung dagegen folgt der Logik des Anschlusses, also der Konjunktion. Dass Universales und Singuläres in der Form einer Konjunktion, und das heißt auch auf einer Immanenzebene, miteinander verbunden zu denken sind, das ist die starke These einer Philosophie der Wiederholung. Der Allgemeinheit entspricht ein Theater der Repräsentation, etwas steht für etwas anderes, und auch: ein Phänomen steht für eine Idee. Der Wiederholung dagegen entspricht ein Theater der Bewegung. In Jacques Rivettes Film-Opus Out 1 sind diese zwei Formen des Theaters in ihrer Performanz konfrontativ vorgeführt. Die Inszenierung einer Repräsentation versucht zunächst, den Sinn zu identifizieren und dann eine Inkarnation dieses Sinns einzustudieren. Am Anfang steht also hier die Diskussion oder die Deklaration der Sinnvorgabe, dann folgt die Umsetzung in ein dramatisches Handeln. Sinn manifestiert sich in Repräsentation. Eine Inszenierung gemäß der Logik der Wiederholung setzt die Bewegung der Körper der Schauspieler an den Anfang, wie es auch die Theater-Theorie von Stanislawskij vorsieht.12 So wird der Bewegungsbegriff von Bedeutung für die Form der Wiederholung. Und Deleuze fragt sich, was es heißt: eine Bewegung machen, »oder was es heißt, zu wiederholen, die Wiederholung 12 | Stanislawskij 1991; sekundieren ließe sich das durch die sportphilosophischen Überlegungen von Volker Schürmann, vgl. Schürmann/Fikus 2004. Es wiederholt sich 217 zu erlangen.« (Deleuze 1968: 27) Die beiden dafür einschlägigen Denker, Nietzsche und Kierkegaard, geben darauf augenscheinlich verschiedene Antworten: den Tanz und den Sprung. Worauf es nach Deleuze (und Guattari) letztlich ankäme, wäre, einen solchen Übergang in der Philosophie zu inszenieren, der die Bewegung nicht nur anders beschreibt, sondern die Bewegung selbst ins Werk setzt, ein Philosophieren, das ohne Vermittlungen sich selbst als Werk will, ein Philosophieren, das als Singularität das differentielle Ereignis Begriff werden lässt. Darin erweist sich Deleuzes Philosophieren als extrem konsequente Immanenzphilosophie. 13 Und für ein solches Philosophieren gibt der schreitende oder tanzende Zarathustra Nietzsches die Figur ab. Für Sprung steht Kierkegaard ein, für Tanz Nietzsche. Eine Auseinandersetzung mit der Wiederholung bei Kierkegaard ist nicht ganz einfach, weil der pseudonyme Verfasser Constantin Constantius, wie sein Name schon verrät, die Veränderung verabscheut und deswegen in die Wiederholung (unglücklich) verliebt ist. Er möchte nicht nur, dass sich die Dinge wiederholen, sondern auch, dass sie dadurch der Veränderung widerstehen. Aber er zweifelt und macht deswegen ein Selbstexperiment. Er fährt nach Berlin, wo er schon einmal war, und versucht dort, dasselbe, z.B. im Theater, noch einmal zu erleben. Der Versuch, wie nicht anders zu erwarten, misslingt. Aber am nächsten Abend geht er wieder ins Theater und wiederholt so den Versuch. »Das einzige, was sich wiederholte, war die Unmöglichkeit einer Wiederholung. […] ich hatte entdeckt, dass es die Wiederholung überhaupt nicht gab, und dessen hatte ich mich vergewissert, indem ich es mir auf alle mögliche Weise wiederholen ließ.« (Constantius 1976: 378f.) Dass diese Aussage paradox ist, macht eine andere Lesart als die einer theoretischen Aussage erforderlich, die letztendlich die Wiederholung als eine Kategorie des Übergangs erscheinen lässt, indem die Performanz des Textes seine Aussage widerruft – der von manchen ängstlichen Philosophen perhorreszierte sogenannte performative Selbstwiderspruch. So ist 13 | Es ist signifikant, dass einige der wichtigsten philosophiehistorischen Studien von Deleuze Philosophen der Immanenz gewidmet sind: Zwei Werke über Spinoza, zwei über Nietzsche, eines über den Empirismus Humes und eines über den Bergsonismus, vgl. Langer 2003. 218 Kurt Röttgers der Text Kierkegaards, alias Constantius, nicht wirklich eine Theorie über die Wiederholung, aber sie enthält gleichwohl zitable theoretische Sätze wie folgende: »Doch muß ich immerzu wiederholen, daß ich dies alles aus Anlaß der Wiederholung sage. Die Wiederholung ist jene neue Kategorie, die es zu entdecken gilt. Wenn man etwas von der neueren Philosophie kennt und mit der griechischen nicht ganz unbekannt ist, dann wird man leicht gewahr, daß diese Kategorie gerade das Verhältnis zwischen Eleaten und Heraklit erklärt und daß die Wiederholung eigentlich das ist, was man irrtümlich als Mediation [d.i. als Vermittlung im Sinne Hegels, K. R.] bezeichnet hat. Es ist unglaublich, wieviel Wesens man in der Hegelschen Philosophie von der Mediation gemacht und wieviel törichtes Geschwätz sich unter dieser Firma des Ruhms und der Ehren erfreut hat. […] Mediation ist ein ausländisches Wort, Wiederholung ist ein gut dänisches Wort, und ich gratuliere der dänischen Sprache zu einem philosophischen Terminus. […] Die Dialektik der Wiederholung ist leicht; denn was wiederholt wird, ist gewesen, sonst könnte es nicht wiederholt werden, aber gerade daß es gewesen ist, macht die Wiederholung zu etwas Neuem.« (Constantius 1976: 351) Die eigentliche Wiederholung aber ereignet sich bei Kierkegaard als Text: Nach etwa 55 Seiten endet der sonst nicht gegliederte Text und beginnt neu mit der »neuen« Überschrift »Die Wiederholung«, in der Performanz des Textes wiederholt sich die Wiederholung.14 Die Reflexion der Wiederholung gehört bei Kierkegaard in den Zusammenhang einer Philosophie des Übergangs, die sich bei ihm insbesondere als Bedenken des Sprungs äußert. Von der Art ist nach Lessing auch der Übergang von »zufälligen Geschichtswahrheiten« zu »notwendigen Vernunftwahrheiten; es ist ein »Sprung« über einen »garstigen breiten Graben«, den er selbst zwar oft versucht habe, der ihm aber nie gelingen wollte. (Lessing 1969: 4, 6) Mit dieser Lessing’schen Metaphorik des Übergangs als eines Sprungs über einen Graben setzt sich Kierkegaard intensiv auseinander und stellt fest, dass es gerade das Zögern vor dem Sprung ist, das den Graben unüberwindlich macht: »Ganz nahe an etwas gewesen zu sein hat schon seine komische Seite, aber ganz nahe daran gewesen zu sein, den Sprung zu machen, ist überhaupt nichts, gera14 | Vgl. Strowick 2004. Es wiederholt sich 219 de weil der Sprung die Kategorie der Entscheidung ist. Und nun gar mit äußerstem Ernst den Sprung haben machen wollen – ja, es ist ein Schelm, dieser Lessing […].« (Kierkegaard 1957: 91) Das von Kierkegaard ironisierte Lessing’sche Zögern vor und die Unfähigkeit zu einem Sprung (nämlich in die Transzendenz eines Glaubens) wird von diesem selbstironisch auf seine »alten Beine und […] schweren Kopf« zurückgeführt. (Jacobi 1980: 74) Für Kierkegaards existentielles Denken ist der Sprung (im Denken des Übergangs) unausweichlich, aber ebenso notwendig ist die Kontinuitätssicherung der Übergänge durch Wiederholung (des Sprungs). Nur da, wo sich Wiederholung und Differenz nicht entsprechen, wo also etwas als Wiederholung einer Ordnung oder in einer Ordnung auftritt, dort wird die Ordnung des Allgemeinen begründet. Allerdings wird es auch notwendig, zwei Formen von Wiederholung zu unterscheiden: eine solche, die eine Identität des Begriffs darstellt und die bei genauerer Betrachtung dann doch keine Wiederholung sein kann, und eine Wiederholung durch Differenz und einen Exzess. Die eine betrifft nur die »abstrakte Gesamtwirkung«, die andere die »Wirkursache«. Die erste ist statisch, die zweite dynamisch. Die erste gestattet eine bloß äußerliche Differenz, die andere dagegen ist »Wiederholung einer inneren Differenz«. (Deleuze 1968: 38) Letztere schließt jede Form von Repräsentation aus. Deleuze veranschaulicht diese Unterscheidung durch den Rhythmus. Die statische Differenz entspricht dem Metrum: »eine regelmäßige Zeiteinteilung, eine isochrone Wiederkehr identischer Elemente.« (Ebd. 39) Aber anders als Deleuze an dieser Stelle von Differenz und Wiederholung würde ich das noch nicht als einen Rhythmus bezeichnen, sondern erst das, was Deleuze dann eine »Polyrhythmie« nennt: die Bewegung zweier Zeiten, durch die Intensitäten, Inkommensurabilitäten im Vergleich zu einem rein metrischen Takt sich erzeugen. »Das Metrum ist nur die Hülle eines Rhythmus und ein Verhältnis von Rhythmen. Die Reprise von Ungleichheitspunkten, Extrempunkten und rhythmischen Ereignissen reicht tiefer als die Reproduktion homogen gewöhnlicher Elemente.« (Ebd.) Insofern ist die vermeintliche identische Wiederholung des Selben nur ein Schein, hinter dem sich die Wiederholung als Differenz verbirgt. Für 220 Kurt Röttgers Deleuze ist durchaus auch der erste Typ von Wiederholung eine Wiederholung, weil auch dieser sich der Repräsentation von Allgemeinheit und Gesetz entzieht; etwas mystifizierend spricht er in dem Zusammenhang noch von einem »geheimen Subjekt«, das sich in den wiederholten Objekten verbirgt: »das sich über sie wiederholt, das wahre Subjekt der Wiederholung. « (Ebd.: 42) In beiden Fällen aber bedeutet Wiederholung Differenz und nicht einfache Identität. Im ersten Fall ist die Differenz äußerliche Beziehung zwischen Objekten, im zweiten Fall ist sie der Idee immanent. Während die erste jedoch auch als Identität des Begriffs ausdrückbar ist, ist das für die zweite, weil sie die Entwicklung der Idee ist, nicht möglich. Befindet sich aber die dynamische Wiederholung im Inneren auch jeder statischen, dann heißt das, dass in beiden Formen von Wiederholung die Differenz des Anderen vom Selben aufzufinden ist. Aber Deleuze ist natürlich kein Hermeneutiker, der etwa den tiefen verborgenen Sinn jenseits des Offenkundigen suchte. Im Gegenteil: Die Verkleidung, die Maske ist die »Wahrheit des Nackten«. (Ebd. 43) Allen eifrigen Demaskierern und Demaskiererinnen wäre entgegenzuhalten, dass die dynamische Wiederholung sich entfaltet, entwickelt, nur indem sie sich einkleidet und damit verkleidet.15 In diesem Sinne können Deleuze/Guattari sogar sagen, dass der (philosophische) Begriff ein Ritornell sei. 16 Er ist deswegen ein solches, weil er eine »Heterogenese« ist, das Werden seiner Komponenten und der Differenzlinien, die ihn durchqueren und ihn mit anderen in Verbindung setzen. Und dieses Durchlaufen wiederholt sich immer wieder von neuem. Worauf Deleuze an dieser Stelle überhaupt nicht eingeht, obwohl er es natürlich bestens kennt, ist Bergsons Unterscheidung zweier Formen von Gedächtnis, eines repräsentierenden und eines wiederholenden. Vermutlich fehlt hier dieser Verweis, weil er für Deleuzes eigene Konzeption extrem irritierend wäre; denn das, was Bergson relativ abwertend das bloß motorisch wiederholende Gedächtnis nennt, ist ja gerade das, worauf Deleuzes Theorie der Wiederholung als Differenz aufbaut, und dasjenige, was Bergson schätzt, ist gerade das, was bei Deleuze als Repräsentation 15 | Zu Demaskierungen vgl. Röttgers 2009a sowie Röttgers 2009b. Den in »Differenz und Wiederholung« entwickelten Zusammenhang von Wiederholung und Maskierung nimmt Foucault zwei Jahre später in » L’ordre du discours », seiner Inauguralvorlesung am Collège de France als Deutung des Kommentars wieder auf: Foucault 1973: 27: »répétition masquée«. 16 | Vgl. Deleuze/Guattari 1996: 27. Es wiederholt sich 221 eines Allgemeinen problematisch wird. Bei Bergson gleicht das bloß wiederholende Gedächtnis einer Gewohnheit oder einer Bewegungs-Routine des Körpers.17 Das repräsentierende Gedächtnis ist für Bergson das eigentliche Gedächtnis. Es ist für Bergson deswegen so wichtig, weil wir nur die Vergangenheit wahrnehmen, d.h. für ihn repräsentieren können: »à vrai dire, toute perception est déjà mémoire. Nous ne percevons, pratiquement, que le passé, le présent pur étant l’insaississable progrès du passé rongeant l’avenir.« (Bergson 1946: 167) Wahrgenommene Gegenwart ist Vergangenheit, ein Inhalt des repräsentierenden Gedächtnisses. So ist die Gegenwart in jedem gegenwärtigen Moment verdoppelt: Gegenwart, die vergeht, und Gegenwart, die schon vergangen ist. Diese Verdoppelung der Gegenwart von ihrem Vergehend- und von ihrem Vergangen-Sein, sobald sie als Gegenwart wahrgenommen wird und bloßer bewusstloser Vollzug des Augenblicks ist, nennt Deleuze Zeit-Kristall. Und wieder18 war es nach Auskunft von Deleuze Félix Guattari, der gesagt habe, »que les cristaux de temps ce sont les ritournelles, c’est ces opérations perpétuelles par lesquelles un présent se dédouble.« (Deleuze 1983) Der Begriff des Ritornells als Gestalt der Wiederholung wird explizit eingeführt in Mille Plateaux. Geht man als erstes von einem Territorium aus, so ist der zweite Aspekt derjenige der Deterritorialisierung, die ein Territorium durchzieht und fügt. Die Deterritorialisierunglinien können ein Territorium zu einem anderen hin öffnen und Übergänge schaffen. So geht etwa die Territorialität eines Tieres zum »Ritornell« des Liebeswerbens über. Oder aber die Territorialität öffnet sich zu einem »Lied der Erde«. Mit dem Bezug der Wiederholung als Ritornell auf die Gefüge von Territorialität, Deterritorialisierung und Reterritorialisierung, also als eine Geo-Philosophie19 gibt die Philosophie als Wiederholung den Cartesianismus der Subjekt/Objekt-Spaltung auf.20 Philosophie ist territorial einge17 | Vgl. Bergson 1946: 83ff. 18 | Wie ja bereits der Begriff »Rhizom« nach Aussage von Deleuze von Guattari stammt. Deleuze 2003: 60. 19 | Vgl. Deleuze/Guattari 1996: 97ff. 20 | Mit der Verabschiedung dieser Spaltung gibt Deleuze allerdings den SubjektBegriff nicht gänzlich auf, was jedoch aufgegeben ist in aller Philosophie, die Nietzsche auch nur zur Kenntnis genommen hat, ist die Vorstellung einer Vorgängigkeit des Subjekts. Daher ist das Subjekt nicht länger Erklärungsgrund, sondern selbst ein zu Erklärendes, so wie bei Nietzsche der »Thäter« nicht vor der 222 Kurt Röttgers bunden und wiederholt sich, aber ohne auf einer bestimmten Ebene zu bleiben, in der Wiederholung wird sie vielmehr: nicht Monotonie des Selben, sondern das Ritornell als Gestalt territorialer Differenz. Die Wiederholung ist der Prozess des Anders-Werdens. Konsolidiert sich in diesen Prozessen etwas, so ist es vom Typ der verbundenen Mannigfaltigkeiten in der Art des Rhizoms. (Deleuze/Guattari 1980: 9-37) Nicht das Subjekt wiederholt sich, sondern was sich wiederholt, bildet ein Zwischen (»commencer par le milieu!«), aus dem der Gedanke eines Ursprungs – ebenso wie der eines Telos – verbannt ist. »Es« wiederholt sich, dazu bedarf es keiner vorgängigen Absichten von Subjekten. Solches lässt den Gedanken der Heimat nicht unberührt; auch sie ist jetzt nicht mehr Ursprung, von dem man herkommt. »Jetzt ist man indes daheim. Aber dieses Zuhause war nicht von vornherein da: erst mußte ein Kreis um das labile und unbestimmte Zentrum gezogen, ein abgegrenzter Bereich geschaffen werden.« (Deleuze/Guattari 1992: 424) Über die immanenten Strukturen eines Territoriums lässt sich solange nichts sagen, solange wir es nicht betreten haben, solange sich also nicht Linien der Deterritorialisierung in es hinein erstrecken, solange wir also nicht unterwegs dorthin oder von dorther uns befinden. »Der Übergang des Ritornells. Das Ritornell bewegt sich auf das territoriale Gefüge zu, läßt sich dort nieder oder verschwindet. Ganz allgemein bezeichnet man als Ritornell jedes Ensemble von Ausdrucksmaterie, das ein Territorium absteckt und das sich in territorialen Motiven und Landschaften [im Original: en paysages territoriaux, K.R.] entwickelt (es gibt motorische, gestische, optische und viele andere Ritornelle). Im engeren Sinne spricht man vom Ritornell, wenn das Gefüge klanglich ist oder vom Klang »beherrscht« wird – aber warum dieses scheinbare Privileg?«21 (Deleuze/Guattari 1992: 440; Deleuze/Guattari 1980: 397) In Was ist Philosophie? sagen Deleuze/Guattari daher, dass die Kunst nicht mit dem Leib beginne, sondern mit dem Haus, Architektur als erste Kunst.22 Erst die Rahmung lässt das Ritornell zu. Aber bereits die Territorien der Tiere sind Blöcke, die ein Milieu (ein Zwischen) bilden, in dem »That« ist und sich zu ihr entschließt, sondern nur in der »That«, d.h. nur insofern sie geschieht. 21 | Die deutsche Übersetzung ist nicht überall zuverlässig. 22 | Vgl. Deleuze/Guattari 1996: 218ff. Es wiederholt sich 223 sich Wiederholungen ereignen. Rahmungen schaffen sowohl Zwischenräume als sie auch die Deterritorialisierungbedingung sind. Der Gesang eines Vogels mag als ein Beispiel dienen: er ist ein homophones Ritornell und markiert zugleich ein Territorium. Ebenso zugleich aber ist es der Raum, das Milieu, die »Antwort« eines anderen. Gäbe es das Milieu nicht, dann gäbe es auch den »ersten« Gesang nicht. In doppelter Abwandlung der phänomenologischen Redeweise vom In-der-Welt-Sein (Heidegger) oder vom »Être-au-monde« (Merleau-Ponty) sprechen Deleuze/Guattari daher vom Mit-der-Welt-Werden. Künstler-Sein ist dementsprechend SehenderSein und Werdender-Sein. Im Künstler-Sein zeigt »es« sich. Es also: Es wiederholt sich – Aber ich möchte mich nicht wiederholen… Literatur Bergson, Henri: Matière et mémoire, Paris 1946. Buchmann, Sabeth u.a. (Hg.): Wenn sonst nichts klappt – Wiederholung wiederholen, Berlin 2005. Constantius, Constantin [d.i. S. Kierkegaard]: »Die Wiederholung«; in: Søren Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode. Furcht und Zittern. Die Wiederholung. Der Begriff der Angst, hg. v. Hermann Diem/Walter Rest. München 1976, S. 327-440. Deleuze, Gilles: Qu’est-ce que fonder? 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