Selbstkonzept Wer bin ich und was kann ich? In der Schule bekommt man die Antwort in Form eines Zeugnisses, im Verein etwa gibt es Lob oder Kritik vom Trainer. Die Vorstellung darüber, wie gut etwas gekonnt wird, ist meist beeinflusst vom Feedback der Umgebung. Fragt man nach leistungsbestimmenden Faktoren, so ist dem sogenannten Selbstkonzept eine äußerst wichtige Bedeutung zuzuordnen. Was ist ein Selbstkonzept? Die Auffassungen, die eine Person hinsichtlich ihrer eigenen Fähigkeiten, Kenntnisse, Meinungen und Einstellungen in Bezug auf verschiedene Lebensbereiche hat, werden in der Psychologie als Selbstkonzept bezeichnet. Dieses Selbstkonzept beeinflusst Wahrnehmungen, Erwartungen und Handlungen einer Person. Es gibt ein allgemeines Selbstkonzept, das sich auch im Selbstwertgefühl ausdrückt. Wer von sich sagen kann „Ich bin toll!", hat eine positive Auffassung von sich selbst. Dieses generelle Selbstkonzept und auch allgemeine Selbstwertgefühl setzen sich aber wie ein Puzzle aus Abb. 1: Hierarchischer Aufbau des Allgemeinen Selbstkonzeptes Akademisch Rechnen Englisch Muttersprache Sozial Anpassung Integration Nicht-Akademisch Allgemeines Selbstkonzept Abb. 2: Ein Schema des Selbstkonzeptes in fussball-spezifischer Anpassung Stressbelastbarkeit Emotional Ausgeglichenheit Robustheit Kraft Durchhaltevermögen Physisch/ Sportlich Technik/ Gewandtheit Finten Präzision verschiedenen Einzelteilen zusammen (vgl. Abb. 1). Eine grobe Unterscheidung kann wissenschaftlich zwischen dem akademischen und dem nicht-akademischen Selbstkonzept getroffen werden. Akademische Selbstkonzepte leiten sich von schulischen Leistungen ab, nicht-akademische Selbstkonzepte können sozialer, emotionaler oder physischer/sportlicher Art sein, die sich beispielsweise in bestimmten körperlichen oder sozialen Fähigkeiten ausdrücken können. Eine Übertragung des Selbstkonzept-Schemas auf den Fußball-Bereich enthält zumindest in wichtigen Teilen Abbildung 2. Schon früh beginnen Kinder damit, Reaktionen von außen aufzunehmen und systematisch zu bewerten. Jongliert ein Kind den Ball zunächst aus Lust und Laune, so steht möglicherweise schon bald ein Elternteil daneben und lobt diese besondere Fähigkeit, ebenso entstehen schon in den unteren Jugendmannschaften plötzlich die so benannten Dribbelkünstler, Techniker usw. Der junge Spieler beginnt, die Reaktionen der Eltern, Trainer oder auch Mitspieler auf sein eigenes Spiel als Selbstzuschreibungen wahrzunehmen und nach und nach - insbesondere wenn bestimmte Reaktionen immer und immer wieder auftreten - zu verinnerlichen. Es beginnt das Denken über sich selbst und das Einnehmen von Rollen („Was bin ich für einer?“), natürlich nicht nur im Fußball. Das Prinzip wiederholt sich auch in anderen Bereichen (z.B. in Schule, Familie), die Selbstzuschreibungen werden zu immer festeren Ideen bzw. Konzepten hinsichtlich der eigenen Person, letztlich zu differenzierten Selbstkonzepten eigener Fähigkeiten und Begabungen. Aus einer Entwicklungsperspektive heraus ist festzuhalten, dass frühe Selbstkonzepte eine große Bedeutung für das Ich und die Persönlichkeit haben und damit über einen verhältnismäßig langen Zeitraum hinweg Verhalten anbahnen und ausrichten. Ihre Ausdifferenzierung und Integration ist eine Begebenheit des mittleren bis älteren Jugendalters. Die ersten Zuschreibungen können als grundlegend und relativ stabil angesehen werden, sie speisen das Denken einhergehend mit selbstbezogenen Emotionen wie v.a. das Selbstwertgefühl verhältnismäßig lange. Die Selbsteinschätzung, ein guter Dribbler zu sein, wird also den jungen Spieler eine Weile begleiten und auch seine Entscheidungen auf dem Platz, letztlich sein Wollen, prägen. Erwartungen und emotionale Folgen Für das Leistungsverhalten ergibt sich eine entscheidende Bedeutung dadurch, dass sich aus den entwickelten Konzepten Erwartungen an das persönliche Verhalten ergeben, eigene wie fremde (etwa von Seiten der Trainer oder Mitspieler). Ebenso werden die Selbstkonzepte dazu herhalten, gezeigtes Verhalten zu bewerten. Gewinnt der „frisch gebackene“ kleine „Flügelflitzer“ seine Zweikämpfe und gibt den Ball auch schön herein, bestätigt (und verfestigt) sich sein entsprechendes Selbstkonzept, tut er es nicht, kann es durchaus zu mehr oder weniger deutlichen Diskrepanzen kommen. Was sich hier noch recht nüchtern liest, hat auch seine „heiße“ Seite, nämlich die emotionale Reaktion: Möglich sind sowohl Freude, Stolz und Zuversicht auf der einen Seite als auch Ärger, Scham, ja Verzweiflung auf der anderen Seite. Bei optimaler Passung von Selbstkonzept, (erwarteter) Leistung und (erwarteter) Reaktion gerät ein Spieler schon mal in den Spielrausch (sogenannten Flow-Zustand); erlebt er jedoch Unregelmäßigkeiten in diesem Prozess (z.B. greift das junge Torwart-Talent plötzlich an einer Flanke vorbei und erfährt möglicherweise auch direkt eine negative Reaktion durch Trainerkommentar und/oder Gegentor), so wird das Selbstkonzept plötzlich in Frage gestellt, bzw. es sinkt möglicherweise sogar das Vertrauen in das aufgebaute Selbstkonzept ein Stück weit ab. Die Folgen für weitere Aktionen im Training bzw. auf dem Spielfeld werden klar: Im ersten Falle wird der Spieler mutig weiterspielen und auch ein gewisses Risiko suchen, im zweiten Falle möglicherweise beim nächsten Herauslaufen zögern, vorrangig eine Fehlervermeidung versuchen und so vielleicht weitere Fehler quasi vorbereiten. Ein Stück weit mag es dann auf uns so wirken, als „wisse er nicht, was er wolle“. Übernommene Erwartungen können sich schon früh als „Motivationsblocker“ erweisen, indem die Passung der Erwartungen und Ziele zum aktuellen und „gefühlten“ Zustand des Spielers nicht mehr funktioniert. Der Spieler jagt dann (übernommenen und vorgegebenen) Absichten hinterher (etwa: „Die Trainingseinheit mit Vollgas spielen.“), obwohl möglicherweise der eigene Bauch eine ganz andere Sprache spricht und nach anderen Zielen verlangt (etwa: „Das ist jetzt die vierte Trainingseinheit in dieser Woche. Ich bin unsicher, wie mein Körper das wegsteckt.“). Treten entsprechende Konflikte zwischen den Zielen auf, wird es für manchen Spieler schwer, noch feste Absichten zu bilden. Es reißt der Faden, einige Spieler reagieren mit ausweichendem Verhalten, beginnen etwa plötzlich damit, vorhandene Verletzungen zu betonen. Auf einer hohen, generelleren Ebene entstehen aus den Verhaltensneigungen und erlebten Reaktionen die sogenannten Haltungen, relativ unspezifische Verhaltensmuster, die über verschiedene Situationen und längere Zeiträume hinweg immer wieder das gezeigte Verhalten „tönen“: Es enstehen „positive“ Spielertypen, die auch im Falle von Misserfolgen optimistisch und sachorientiert bleiben, anfeuern und weiter den Erfolg suchen, ebenso wie „negative“ Typen, die das Heft des Handelns im Misserfolgsfalle aus der Hand geben und sich verstärkt mit den Folgen des Misserfolges für die eigene Person beschäftigen. Die Fachsprache unterscheidet zwischen den handlungs- und den lageorientierten Personen. Soziale Vergleichsprozesse In erster Linie entsteht das Selbstkonzept aus der Rückmeldung durch andere. Mannschaftssport genau auch wie schulisches Lernen muss aufgrund der engen Struktur des jeweiligen Verbandes (Trainer, Spieler auf dem Platz; Lehrer, Schüler in der Klasse) als sehr sensibel für Bewertungs- und soziale Vergleichsprozesse angesehen werden. Die neuere psychologische Forschung zeigt dabei, dass entsprechende Vergleichsprozesse je nach Konstellation der Gruppe und vor allem dem pädagogischen Wirken des Leiters/Trainers ganz unterschiedliche Wirkungen auf die einzelnen Gruppenmitglieder/Spieler haben können. Ein geradezu dogmatisches Prinzip im Jugendfußball muss immer noch in der Selektion gesehen werden, wonach – in des Wortes wahrsten Sinne – Auswahlmannschaften oder Talentfördergruppen gebildet werden, letztlich auch die sogenannten „großen Vereine“ sich dem Auswahlprinzip in der Regel voll und ganz verschreiben. Die große, gern übersehene Gefahr besteht dann darin, dass die jungen Talente zwar leistungsmäßig/fußballerisch durchaus vorankommen, aber durch die Wechsel in (selbstverständlich) homogenere Auswahlgruppen andere Bezugsrahmen für soziale Vergleichs- und Bewertungsprozesse ertragen müssen, die nachvollziehbarerweise oft ungünstig für den Einzelnen ausgehen. So nutzt der talentierte Spieler in seiner Vereinsmannschaft oft das relativ große Leistungsgefälle für eine Bewertung der eigenen Fähigkeiten positiv und stärkt sein Selbstkonzept der Begabung, während ihm in der ausgeglicheneren Auswahlmannschaft eine „Abgrenzung nach unten“ in dieser Form nicht mehr möglich ist. Zwar können der Stolz bzw. die Freude, zu einer ausgewählten Mannschaft zu gehören, kurzfristig das Selbstbild stärken, jedoch ist inzwischen weitgehend bekannt, dass die negativen Effekte in der Selbstbewertung beim Wechsel eines Jugendlichen von der heterogenen in die homogene Leistungsgruppe deutlich überwiegen und insofern einen „Nettoverlust“ darstellen. Die Motivationspsychologie spricht von einem sogenannten „Fischteicheffekt“ (Big-fish-little-pond-Effekt oder BFLPE). Pädagogische Konsequenz: Gegensteuern oder das Betonen der Individuellen Bezugsnorm Vergleicht ein Spieler seine aktuelle Leistung mit einer vergangenen Leistung („Ich bin besser als früher“), spricht man von einer individuellen Bezugsnorm. Hierbei liegt der Vergleichsmaßstab in den Ergebnissen, die eine Person bei vergleichbaren Aufgaben zu einem vorigen Zeitpunkt erzielt hat. Durch die Verwendung individueller Bezugsnormen werden eigene Leistungszuwächse oder auch -verschlechterungen schnell und unmittelbar sichtbar. Die Ursachen für Leistungsveränderungen werden dann durch variable, nicht stabile Faktoren wie zum Beispiel durch Anstrengung oder Tagesform erklärt. Aufgrund der variablen Ursachenzuschreibungen hat die Verwendung individueller Bezugsnormen günstigere Auswirkungen auf die Motivation des Lernenden als die soziale Bezugsnorm bzw. eine Betonung sozialer Vergleichsprozesse. Individuelle, wohl überlegte, gleichwohl attraktive wie realistische und reflektierte Ziele als persönliche Maßstäbe für den einzelnen Spieler müssen als wichtigstes, aber auch effektives „Gegenmittel“ gegenüber allen äußeren Einflüssen, Erwartungen und anderen „Motivationsblockern“ gesehen werden. Es geht insbesondere darum, aus relativ lockeren Ideen hinsichtlich eigener Konzepterweiterungen („Ich könnte eigentlich meine Schnelligkeit verbessern“) feste Absichten zu bilden („Ich will meine Grundschnelligkeit verbessern“), diese zu pflegen und schließlich auch in wirkliche Taten umzusetzen („Ich mache im Anschluss an jede Trainingseinheit in den nächsten zwei Monaten einige Steigungsläufe neben dem Trainingsgelände“). Entscheidend ist es, die entstandenen Absichten nach allen Seiten hin zu hinterfragen und abzusichern. Dabei nicht zu vernachlässigen ist schließlich auch die emotionale Verankerung der neu gewollten Handlung. Zunächst muss das in die Absicht gefasste Ziel realistisch, für den Spieler durch ein gewisses Maß an Anstrengung auch erreichbar sein. Ein hohes Maß an Motivation und Willen ist sicher dadurch zu erzielen, dass der Spieler ein Ziel aus dem eigenen Nachdenken heraus formuliert („Ich muss noch an meiner Schnelligkeit arbeiten“) und nicht – möglicherweise vorschnell – ein fremd (etwa durch den Trainer) formuliertes Ziel als sein eigenes übernimmt. Unkritisch übernommene Ziele haben mit den Selbstkonzepten der eigenen Fähigkeiten oft gar nichts zu tun, stellen entsprechend einen Erwartungsdruck her mit ggf. auch (Versagens-) Ängsten („Schnell bin ich doch noch nie gewesen“) oder ungünstigen Vergleichen („Die meisten Spieler meiner Mannschaft sind uneinholbar schnell“). Weiterhin wichtig ist die soziale Verankerung von Zielen, in diesem Fall von Veränderungszielen. Ungemein hilfreich ist die Erarbeitung einer Entwicklungskultur innerhalb des Teams, aus der heraus jeder einzelne Spieler sieht, wie auch die anderen Spieler an (individuellen) Zielen und Absichten festhalten und arbeiten, letztlich zum Wohle des gesamten Teams. So entsteht die Möglichkeit der gegenseitigen Unterstützung beim Umsetzen von Absichten oder Vorsätzen. Oft lassen sich sogenannte Zielpaten finden, die nicht unbedingt nur eine überwachende, sondern vor allem eine (emotional) stützende Funktion haben, also auch einmal das Feuer am Kochen halten können, wenn es zu erlahmen droht. Ziele sollten auch nicht in allzu weite Ferne gestellt werden, mitunter ist eher die Einbindung von Zwischenzielen zu empfehlen, die wiederum für den Spieler in eine konkretere und verbindlichere Position rücken. Eine bemerkenswerte Studie in diesem Zusammenhang weist auf eine Gefahr im Jugendtraining vieler deutscher Lizenzvereine in der 1. und 2. Liga hin, wonach Ziele gerade in diesen Clubs von Seiten der jungen Spieler als zu fern, unspezifisch und letztlich unkontrollierbar benannt werden. „Ich will unbedingt Bundesliga spielen“, heißt es dort in der Mehrzahl. Der Weg freilich, wie dies gelingen soll, bleibt dabei völlig im Dunklen, oftmals sogar gibt er manchen Trainern die empfundene Berechtigung, auf selbst vorgegebene Leistungskriterien zu drücken und diese einzufordern („Du willst doch in die Bundesliga, also läufst Du noch drei Runden extra.“). Aus Angst, beim nächsten Spiel nicht wieder aufgestellt zu werden und vom Zielkurs Bundesliga abzukommen, wird dann den vorgegebenen Maximen alles untergeordnet. Der Spieler gehorcht, doch zu welchem Preis? Viele DFB-Stützpunkte beklagen eine massive Abnahme des Interesses von jungen Spielern am Fördertraining im Bereich oberhalb der U 13. Viele Nachwuchsleistungszentren der Lizenzvereine beklagen die Tatsache, dass nur wenige der lange ausgebildeten Talente im eigenen Verein den Weg in den Bundesligakader finden. Andererseits; konstruktive Ansätze sind in der Trainingspraxis durchaus herauszuhören. Dazu abschließend einige Statements aus der Trainer-Praxis: „Eine wichtige Rolle für die Selbsteinschätzung können die Eltern als Berater und Unterstützer haben, und auch Gespräche mit Freunden können weiterhelfen.“ „Durch Beobachtung und Gespräche versuche ich gemeinsam mit den Spielern herauszufinden, welche Fähigkeiten und Werte sie haben. Die Jugendlichen sind alle auf einem unterschiedlichen Stand, und nicht immer stimmen deren Einschätzungen mit den meinigen überein. Die meisten freilich haben eine realistische Einschätzung hinsichtlich ihrer Fähigkeiten - also ein realistisches Bild oder Konzept von sich selbst.“ „Will man weiterkommen mit einem Spieler, so sollte man ihn dort abholen, wo er gerade steht. In spielerischer, taktischer Hinsicht, aber auch unter motivationalen Gesichtspunkten.“ „Es wird ja heute fast als Selbstverständlichkeit dargestellt, jedoch muss man sich in der Praxis immer wieder darauf besinnen, wie wichtig ein individualisiertes Training ist.“ „Ein positives Selbstkonzept bzw. Selbstwertgefühl stärkt Durchhaltevermögen und Willen. Die Gründe dafür liegen sicherlich auch darin, dass Bereiche, in denen man sich fähig fühlt, häufig auch mehr Spaß machen und das Interesse daran dadurch auch größer ist. Das führt wiederum zu einer größeren Motivation, die zu einer höheren Leistungsfähigkeit führt.“