Das dynamische Selbstkonzept

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Das dynamische Selbstkonzept
Jeder verfügt über ein Selbstkonzept. Diesen Begriff hat D. Super 1970 als „umfassende
Persönlichkeitsbeschreibung, die explizit auf das Bild, das eine Person von sich selbst hat
zurückgreift“ beschrieben. Da wir „selbst“ unser stetiger Begleiter sind, erscheint es logisch,
Fragebögen als das hauptsächlich eingesetzte wissenschaftliche Messinstrument zu
betrachten.
Jeder einzelne ist die einzige Person, die auf die größte Wissenssammlung, die es über eine
Person geben kann, sowohl auf der Biografischen Ebene als auch die inneren Prozesse,
zugreifen kann. Da diese Wissenssammlung ungemein umfassend ist, sollte das Resümee
dessen treffender als jede äußere Bewertung sein und sich vor allem durch Konsistenz und
Stabilität auszeichnen.
Wie lässt sich dann erklären, dass wir uns oft dabei ertappen, so unterschiedlich über uns
selbst zu denken, uns je nach Laune und Situation selbst unterschiedlich bewerten?
Bezugsnormen nach Heckhausen
Um die Diskrepanzen zwischen abgelegten Selbsteinschätzungen erklären zu können,
formulierte Heckhausen 1974 vier Bezugsnormen, welche uns bei der Wahrnehmung und
Bewertung unserer eigenen Leistung beeinflussen. Sie werden ebenfalls teilweise automatisch
von uns selbst für die Betrachtung unserer Eigenschaften, Verhaltensweisen und persönlich
zugeschriebenen Merkmale herangezogen.
 Soziale Vergleiche: Die Leistungs/-Ergebnis einer Person wird mit dem von anderen
Personen verglichen
 Individuelle Bezugsnorm: Das vorliegende Ergebnis-/Leistung wird mit dem
verglichen was die Person bisher zu Stande gebracht hat.
 Sachliche Bezugsnorm: Eine Leistung/Ergebnis wird mit den Anforderungen
verglichen, die „in der Natur der Sache liegen“ – Bsp: Therapeuten erwarten von sich
selbst im Umgang mit ihrer Arbeit eine gewisse Robustheit gegenüber den
Leidensberichten ihrer Klienten, da es in der Natur ihres Berufs liegt mit Leid und
Ungerechtigkeit konfrontiert zu werden.
 Fremdgesetzte Bezugsnorm: Das Ergebnis wird mit einem Kriterium verglichen was
mehr oder weniger willkürlich von einer verbindlichen Instanz festgelegt wurde –
Bsp: Abiturienten mit dergleichen Abiturnote werden beeinflusst von dem externalen
Kriterium, ob die erreichte Punktzahl ausreicht um ihr Studium in ihrem gewünschten
Studienfach beginnen zu dürfen
Die Wahrnehmung unter individueller Bezugsnorm wirkt sich meist günstiger für das
Selbstwertgefühl aus als der soziale Vergleich.
Situative Einflüsse
Die Anforderung der Situation nimmt ebenfalls Einfluss. So verspürt eine Person zu Recht
den Eindruck vor einem wichtigen Jobinterview, vor allem an ihre positiven Eigenschaften,
besondere Fertigkeiten sowie Erfolgserlebnisse abzurufen und somit positive Assoziationen
über sich selbst zu aktivieren. Man könnte auch sagen, eine Person ist unter bestimmten
gegeben Umständen dazu motiviert ihr eigenes Selbstkonzept einseitig zu manipulieren. Mit
diesen „Dreh“ weniger nervös in ein solches Bewerbungsgespräch zu gehen, ist vielen
Menschen bewusst. Neben leichteren Abruf von positiven Information über sich selbst kommt
es gelegen, dass diese von positiven Emotionen sowie stärkere Selbstsicherheit begleitet
werden.
Ebenso scheinen sich Stimmungsschwankungen auf die Selektion der präsenten persönlichen
Assoziationen auszuwirken. Diese Assoziationen sind nicht erst situativ entstanden, sondern
beruhen auf tatsächlichen Ereignissen, längerer Zeit vorhandenen Gedankenballungen, und
eigenen Verhaltensbeurteilungen. Sie sind im Wissensspeicher unserer Person über uns selbst,
selbst dann wenn sie gerade nicht aktiviert sind.
Die Selbste
Nach gründlicher Betrachtung der oberen Wissenskonstrukte, können wir begreifen was
James (1890) dazu bewogen hat von „vielen sozialen Selbsten“ zu sprechen. Goffman (1959)
bezeichnet den Menschen als Individuum, welches sein Verhalten wechselt, während es von
einer „Bühne zur anderen wechselt“, gegenüber einem bestimmten „Publikum“ zeigt es ein
konstantes Verhalten in der dazugehörigen eingenommenen Rolle. Jede Rolle kann z.B. für
die Person selbst ein unterschiedlich großer Ausmaß an Selbstsicherheit mit sich bringen und
erlebbar machen. Würde diese Person befragt werden, wie selbstsicher sie sich sähe – könnte
ihre Antwort allein durch die Assoziation einer bestimmten sozialen Bühne stark vagieren.
Ebenso können Interessen, eigene Ziele und der damit verbundene Fleiß oder die Motivation,
Frustrationstoleranz etc. sich in spezifische Bereiche stark differenzieren.
Stimulation von verschiedenen Selbstkonzepten
Die Forscher interessierte nun die aktivierten Assoziationen und daraus resultierende
Selbstkonzepte experimentell zu modulieren.
Sie ließen Versuchspersonen im Warteraum auf eine sehr positive Person – die sich
selbstsicher und eingebildet darstellte – oder eine sehr negative Person – die selbstkritisch
und pessimistisch wirkte – treffen. Daraufhin entwickelte sich das Verhalten der „echten“
Versuchsperson im Gespräch sehr unterschiedlich, die Selbstdarstellung der Versuchsperson,
die auf die positive Person getroffen war, zeigt sich optimistisch, stellt ihre Stärken heraus.
Versuchspersonen, die jedoch auf die eher negative Person trafen – zeigen sich sehr
selbstkritisch, geben Versagen und Fehler zu. Die Forscher erwarteten ursprünglich, dass die
Versuchsperson sich nach dem Gespräch zumindest selbstentfremdet fühlen würde, dies
würde für eine rein äußerliche Anpassung an die soziale Situation sprechen. Der Effekt der
erwarteten Selbstentfremdung war jedoch nicht nachzuweisen, an Stelle dessen waren die
Teilnehmer der Meinung durchweg „authentisch“ und offen gewesen zu sein. Dies wäre
dadurch zu erklären, dass sie in beiden Situationen aus ihren jeweiligen tatsächlich vorhanden
Wissenpool bzw. in ihrem bereits konstruierten Selbstkonzept genau die Informationen und
Überzeugungen aktivierten, welche sich durch die Stimmigkeit mit der sozialen Situation
auszeichneten.
Stabil vs. Instabil
Die Frage, ob man das Selbstkonzept als zu instabil oder eher als zu flexibel oder als stabil
mit großer Komplexität bezeichnet, ist von Forschern sehr unterschiedlich beantwortet
worden. Die Sensibilität gegenüber Hinweisreizen sowie situativen Einflüssen, kann als
Argument für Instabilität verwendet werden. Jedoch muss berücksichtigt werden, dass
Personen sich konsistent in den einzelnen sozialen Selbsten/ Rollen /
Interessenbereichen/usw. verhalten. Die Äußerungen auf tatsächlichen Ereignisse sowie
bereits gedachten Gedankenketten beruhen. Gleichzeitig kann man den Personen hier jedoch
in den einzelnen Situationen eine unsaubere Überspitzung ihrer eigenen Bewertung /
Einstellung vorwerfen.
Basis des Selbstkonzepts
Das Selbstkonzept fertigt sich aus dem Wissen bzw. einer Informationssammlung an, welches
sich aus drei Zeitdimensionen schöpft - Vergangenheit, Gegenwart oder Vorstellungen über
sich selbst in der Zukunft. Information aus der Vergangenheit und der Zukunft können genau
so einflussstark sein wie die aus dem hier und jetzt, fanden erstaunlicherweise Markus &
Lunus, Luttin & Lens heraus. Auf eben diese geschaffene Realität des Selbstkonzepts wirken
das Strebens nach Aktualisierung und das Streben nach Selbstkonzeptbestätigung.
Implizites vs. Explizites Selbstkonzept
Als Implizites Selbstkonzept werden Assoziationen zwischen dem Selbst und anderen
Konzepten, die ein Resultat von automatischen Aktivierungsprozessen sind, angesehen. Diese
Assoziativen Prozesse operieren schnell und automatisch. Die Assoziationen bestehen aus
Konzepten, welche assoziativ verbunden sind.
Im Zentrum des Expliziten Selbstkonzept stehen propositionale Repräsentation, welche das
Selbst beschreiben, als Resultat von Argumentationsprozessen. Da die Propositionale
Prozesse bewusst stattfinden und nach großem kognitivem Aufwand verlangen, operieren sie
langsam. Der Argumentationsprozess ruft Informationen vom assoziativen Speicher ab und
transformiert es vom assoziativen ins propositionale Format, anders als Assoziationen
bestehen Propositionen aus Konzepten, die durch Relationen miteinander verbunden sind.
Resultierenden Propositionen können als wahr akzeptiert oder als falsch abgelehnt werden
und aktualisiert werden.
Literatur
Filipp, S.-H. (Hrsg.). (1979). Selbstkonzept-Forschung: Probleme, Befunde, Perspektiven.
Stuttgart: Klett-Cotta.
Peters, K. R., & Gawronski, B. (2011). Mutual influences between the implicit and explicit
selfconcepts: The role of memory activation and motivated reasoning. Journal of
Experimental Social Psychology, 47(2), 436-442.
Markus, H. & Wurf, E. (1987). The Dynamical Selfconcept- A Social Psychological
Perspective, Annual Review Psychology. 38, 299-337.
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