Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie Weiterentwicklungen – Anwendungen – Bewertung – Bedeutung für KlinSA Vorlesung „Klinische Sozialarbeit“ Prof. Dr. Ralph Viehhauser Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie Synonyme Bezeichnungen: Nondirektive (Psycho)therapie/Beratung Klientenzentrierte (Psycho)therapie/Beratung Gesprächs(psycho)therapie Personenzentrierte (Psycho)therapie/Beratung Begründer: Carl R. Rogers (1902-1987) Carl Rogers (19051987) Rogers Hauptfragestellung Welche Bedingung sind es, die dazu führen, dass eine Person von sich aus über ihr Erleben spricht, sich dabei besser verstehen lernt und schließlich zu Einstellungs- und Verhaltensänderung gelangt? Entwicklungsphasen der Klientenzentrierten Therapie Erste Anfänge in den 40er Jahren. Rogers „Non-direktive Beratung“ Rogers Erweiterung zur „Klientenzentrierten Psychotherapie“. Etablierung der „Gesprächs(psycho)therapie“ in Deutschland. E.T. Gendlin integriert erlebnisfördernde Interventionsformen. Erweiterung um störungsspezifische Aspekte und bearbeitungsorientierte Interventionen. Zusammenfassung zentraler Begriffe Was versteht man unter einer „non-direktiven“ Vorgehensweise? Der Therapeut versteht den Klienten als Experten für sein Problem und sich selbst als Begleiter, auf dem gemeinsamen Weg, für den Klienten passende individuelle Lösungen zu finden. Was ist unter dem Begriff „klientenzentriert“ zu verstehen? Der Therapeut nimmt sich zurück und lässt den Klienten den Therapieverlauf, d.h. Richtung, Thema, Tempo, usw. bestimmen. Was steht im Zentrum der klientenzentrierten Methode? Zum einen die Beziehung zwischen Therapeut und Klient (samt der klientenzentrierten Grundhaltungen) und zum anderen das Gespräch. Definition „Gesprächspsychotherapie“ „Gesprächspsychotherapie ist: eine systematische, selektive und qualifizierte Form verbaler und nonverbaler Kommunikation und sozialer Interaktion zwischen zwei und mehreren Personen – Psychotherapeut(en) und Klient(en) – mit dem Ziel einer Verminderung der vom Klienten erlebten psychischen Beeinträchtigungen durch eine als Form differenzierter Selbst- und Umweltwahrnehmungen eintretende Neuorientierung des (der) Klienten im Erleben und Verhalten…“ (Bommert, 1982, S. 10-11). Rogers Theorie zur Entwicklung der Persönlichkeit bzw. psych. Störungen Rogers Persönlichkeitstheorie Subjektive Realität Aktualisierungstendenz Selbstkonzept Subjektive Realität Jede Person hat eine nur für sie gültige, subjektive Realität. D.h. jede Person nimmt Personen, Ereignisse und Dinge auf dem Hintergrund ihrer ganz persönlichen Erfahrungen und mit ihrem jeweiligen persönlichen Bewertungsmaßstab (inneren Bezugsrahmen) wahr. Schlussfolgerungen für die Therapie: Der Therapeut kann den Klienten nur aus der Perspektive seiner eigenen Wahrnehmungen und Gefühle verstehen (= phänomenologisch-subjektivistischer Zugang). Aktualisierungstendenz Rogers bezeichnet die Aktualisierungstendenz als „die dem Organismus innewohnende Tendenz zur Entwicklung all seiner Möglichkeiten; und zwar so dass sie der Erhaltung und der Förderung des Organismus dienen“ (Rogers, 1991, S. 21). Jeder Mensch (bzw. jeder Organismus) habe ein elementares Bedürfnis, sich zu erhalten (sein Überleben zu sichern) und ein grundlegendes Bedürfnis nach Wachstum, Reifung, sich selbst zu verwirklichen (=Selbstaktualisierungstendenz). Schlussfolgerungen für die Therapie: Therapeuten sollten nicht versuchen, Ereignisse für ihre Klienten zu verändern, sie sollten vielmehr versuchen, Bedingungen zu schaffen, die es den Klienten ermöglichen, in den gemeinsamen Stunden zu seiner eigentlichen Natur zurückzufinden („das ‚Selbst‘ zu werden, das man in Wahrheit ist“). Selbstkonzept Durch Interaktionen mit seiner Umwelt entwickelt jedes Individuum (von Geburt an) ein Selbstkonzept, d.h. ein Bild von sich selbst „So bin ich!“ Es speist sich aus allen gesammelten Erfahrungen, die einen Bezug zur eigenen Person haben. Das Selbstkonzept bildet den inneren Bezugsrahmen für neue Erfahrungen, es organisiert und strukturiert die Erfahrungen. Entwicklung des Selbstkonzepts Selbstbezogene Wahrnehmungen und Selbstbewertungen sind zunächst wesentlich abhängig von den bewertenden Reaktionen bedeutsamer Bezugspersonen. Das Kind bekommt eine Vorstellungen von sich selbst, indem es die Reaktionen der Bezugspersonen für sich als „Spiegel“ nutzen lernt (=sozialer Bewertungsmaßstab). Die soziale und die (aus der Aktualisierungstendenz stammende) organismische Bewertung können sich widersprechen. Das heranwachsende Kind muss versuchen, die beiden Bewertungsmaßstäbe irgendwie zu integrieren. Langzeitfolge „Entfremdung“ Wenn der Widerspruch zwischen beiden Wertesystemen zu gravierend ist kann dies zu mehr oder weniger starken inneren Konflikten führen. Z.B. könnte es sein, dass sich das heranwachsende Kind sehr viel mehr nach dem richtet, was seine Bezugspersonen als „richtig“ und „gut“ bewerten, als nach seinem organismischen Bewertungsprozess. Die eigenen Bedürfnisse werden so mit der Zeit immer weniger wahrgenommen, stattdessen identifiziert sich das Kind mehr und mehr mit den Wünschen und Bedürfnissen der Bezugspersonen. Langfristig kann es auf diese Weise zu einer zunehmenden Entfremdung kommen. Rogers-Zitat zur Entstehung von Entfremdung „Dies ist aus unserer Sicht die grundlegende Entfremdung im Menschen. Er ist nicht er selbst; er ist seinen natürlichen organismischen Bewertungen der Erfahrungen untreu. Nur um sich die positive Beachtung der anderen zu erhalten, verfälscht er einige wertvolle Erfahrungen und nimmt sie lediglich auf der Ebene der Bewertungen anderer wahr. Jedoch ist dies keine bewusste Entscheidung, sondern eine natürliche, ja tragische Entwicklung während der Kindheit. Der Weg der Entwicklung Richtung psychischer Reife, der Weg der Therapie, besteht in der Aufhebung dieser Entfremdung…“ (Rogers, 1991, S. 52) Drei unterschiedliche Möglichkeiten, Erfahrungen in das Selbstkonzept einzuordnen: Erfahrungen sind unwichtig – sie werden ignoriert. Erfahrungen passen in das Selbstkonzept – sie werden integriert. Erfahrungen stehen im Widerspruch zum Selbstkonzept – sie werden geleugnet oder verzerrt wahrgenommen (bzw. erinnert). Klientenzentrietes Störungskonzept Gestört ist jemand, der sein Selbstkonzept durch Auswahl bestimmter Erfahrungen und durch Verleugnung anderer erhalten hat. Konsequenzen einer solchen Entwicklung sind Spannung, Angst und das die Person lernt, sich selbst und den eigenen Erfahrungen als Maßstab für Handlungen zu misstrauen (=Zustand der Inkongruenz) Die Eigendynamik von Wahrnehmungsverzerrungen kann zu immer mehr Einengungen des Erlebens führen und letztendlich zur Erstarrung der Selbstaktualisierungstendenz. Störungen werden demnach weniger als Krankheiten verstanden, sondern eher als Defizit an Bewusstheit und Wachstum. Kongruenz und Fully Functioning Person Im Zustand der Kongruenz lassen sich alle Wahrnehmungseindrücke in das Selbstkonzept integrieren und stehen dazu nicht im Widerspruch. Dem Bewusstsein sind alle Erfahrungen zugänglich; es kann alles so wahrgenommen werden, wie es ist, ohne Verzerrungen. Diesen angestrebten Idealzustand bezeichnet Rogers als „fully functioning person” (voll erlebnis- und handlungsfähige Person). Auch wenn dieser Idealzustand nie ganz erreicht werden kann, so sei es nach Rogers doch wichtig, dass sich das reale und das ideale Selbstkonzept einander annähern können. Klientenzentriete Behandlungsziele Ziel der Therapie ist es, dem Klienten dabei zu helfen, vom Zustand der Inkongruenz mehr und mehr zum Zustand der Kongruenz zu gelangen. Der Klient soll sich zunehmend entdecken können und lernen, sich anzunehmen, wie er ist. Er soll v.a. seine geleugneten Gefühle, die vorher zu schmerzhaft für das Selbstkonzept waren, wieder sehen und als zu sich gehörend wahrnehmen können. Diesen Prozess könnte man dann als „Erfahren des Selbst“ („Selbsterfahrung“) oder als Selbstexploration bezeichnen. Rahmenbedingungen der Gesprächspsychotherapie Therapie-Setting: gleichberechtigte Sitzposition, face-to-face Die Einzel-Sitzung dauert i.d.R. 45 bis 50 min Frequenz: i.d.R. einmal pro Woche. Therapiedauer kann sehr variable sein (in einer Untersuchung von Eckert und Wuchner (1994) betrugt diese im Durchschnitt 69 Sitzungen.)