Vorwort-Einleitung-Anthropologische

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Vorwort
Die Suche nach einem Diplomarbeitsthema beschäftigte mich einige Zeit in meinem Studium. Meine
Berufsausbildung als Erzieher und meine berufliche Tätigkeit waren ausnahmslos im Behindertenbereich. Von
diesem Bereich löste ich mich langsam. Ich machte Fortbildungen zum Thema "Sexualität" und "Pornographie".
Ich entdeckte die Zusammenhänge mit meiner eigenen Person und beschäftigte mich weiter mit dem Thema.
Nachdem dieses Interesse geweckt war, begann ich ein studienbegleitendes Praktikum in der Jungenarbeit. Die
Einrichtung heißt "Inobhutnahme" für Jungen zwischen 12 und 18 Jahren, beim Internationalen Bund (IB) für
Sozialarbeit in Osnabrück. Hier lernte ich den Leiter dieser Einrichtung, einen ehemaligen Referenten für die
"antisexistische Jungenarbeit" der HEIMVOLKSHOCHSCHULE ALTE MOLKEREI FRRILLE (im Folgenden
HVHS FRILLE), Michael STROB kennen. Ebenso machte ich ein achtwöchiges Praktikum auf einer
kinderpsychiatrischen Station im Kinderhospital in Osnabrück. In diesem Praktikum lag mein wesentlicher
Aufgabenbereich in der Betreuung der Jungen dieser Station.
Über diesen und andere Kontakte beschäftigte ich mich mehr und mehr mit dem Thema "Jungenarbeit". Ich
besuchte zwei weitere Fortbildungen über "Sexuelle Gewalt gegen Jungen" in der HVHS FRILLE und eine
Veranstaltung der Stadt Osnabrück zum Thema "Jungenarbeit".
Nachdem mein persönliches Interesse geweckt war, entschied ich mich, diese Thematik in meiner Diplomarbeit
zu bearbeiten. Dazu führte ich Interviews mit verschiedenen Personen. Daruter waren Mitarbeiter von
Jungeneinrichtungen, der Leiter eines Jungenwohnheimens, die Psychologin einer kinderpsychiatrischen Station
des Kinderhospitals in Osnabrück, ein Psychotherapeut, der ebenfalls dort gearbeitet hat und nun seit 6 Jahren
eine eigene Praxis führt, sowie viele meiner FreundInnen.
Aus diesen Grundlagen, den Gesprächen und Gedanken entwickelte ich eigene Ideen zur Jungenarbeit, die in
diese Arbeit ebenso eingeflossen sind, wie einige Beispiele aus meiner praktischen Arbeit
1.
Einleitung
Ich will in meiner Arbeit, einen allgemeinen Überblick über viele Teilaspekte des `Mann-Werdens' geben. Dabei
werde ich deutlich machen, wie schwierig dies - insbesondere in der heutigen Gesellschaft - ist. Mit dieser
Darstellung möchte ich eine Grundlage für ein intensives Verständnis und ein Gefühl für die Jungen wecken.
Die LeserInnen sollen sich ein Bild über die vielen Schwierigkeiten machen können, die einen Jungen erwarten,
wenn er sich zum Mann entwickelt.
Ich werde in meiner Arbeit wenig auf Sozialisationsbedingungen von Mädchen und Frauen eingehen. Dies
bedeutet nicht, daß ich es nicht für nötig halte, die weiblichen Entwicklungsbedingungen näher zu untersuchen.
Es würde aber den Rahmen meiner Diplomarbeit übersteigen.
Ich halte es für sehr wichtig, daß Jungenarbeit und Mädchenarbeit immer in Kontakt zueinander bleiben, da sie
sich meiner Meinung nach gegenseitig ergänzen und voneinander abhängig sind. Dies jedenfalls, solange sie sich
wirkliche Auswirkungen und Verbesserungen für das Zusammenleben der Geschlechter in der Gesellschaft
erhoffen.
Auf die Themen männliche Gewalt und Sexualität werde ich an verschiedenen Stellen meiner Arbeit eingehen,
da sie untrennbar mit der männlichen Entwicklung verbunden sind. Diese Themenbereiche ausführlich zu
erarbeiten, würde jeweils eine eigene Diplomarbeit ergeben.
Statt dessen werde ich im zweiten Kapitel auf die zwei unterschiedlichen Teile unserer Gesellschaft eingehen:
der Weiblichkeit und der Männlichkeit. Wir werden zwar als Menschen geboren, jedoch von früher Kindheit an
auf die verschiedenen Lebenswelten vorbereitet und hingeführt. Wir sollten dies nicht verdrängen, sondern als
Grundlage nehmen, um darauf ein gemeinsames Zusammensein zu gründen, ohne unsere Unterschiede zu
leugnen.
Im dritten Kapitel werde ich auf das traditionelle Männerbild eingehen und die Mythen vom Mann-sein
ausführen. Diese Mythen sehen für sich alleine gestellt antiquiert aus. Ihre Aktualität sollte jedoch nicht
unterschätzt werden.
Dies wird im zweiten Teil des dritten Kapitels deutlich. In diesem Teil werde ich die männlichen Prinzipien
darstellen. Diese Prinzipien stellen noch immer die äußere Rollenvorgabe für Jungen dar. Wenn es keine anderen
Vorbilder in ihrem Leben gibt, mit denen sie sich identifizieren können, so müssen sie sich an diesen Vorgaben
orientieren .
Am Ende werde ich die traurige Existenz von HEMAN, dem Helden im Kinderzimmer, vorstellen. An dieser
Spielfigur möchte ich noch einmal die Schwächen des sogenannten `Starken Mannes' deutlich machen.
Im vierten Kapitel beschäftige ich mich mit dem theoretischen Hintergrund der Entwicklung zum `Mann-Sein'.
Hier erläutere ich ein theoretisches und ein praktisches Schema zur männlichen Entwicklung. Im Anschluß daran
stelle ich rollentheoretische, machtorientierte und identitätsorientierte Entwicklungsmodelle vor.
Weiter beschäftige ich mich mit dem Vorurteil, daß Jugendarbeit immer auch Jungenarbeit ist. Danach werde ich
die antisexistische Jungenarbeit der HVHS FRILLE vorstellen. Daneben stelle ich Auszüge aus dem
Modellprojekt zur Förderung der Jungen- und Männerarbeit in der katholischen Jugendverbandsarbeit der KSJGCL dar. Meinen Schwerpunkt lege ich hier auf die Ausführung der Ziele und Ansatzpunkte. Die Arbeitsweisen
der HVHS FRILLE und der Mitarbeiter der KSJ-GCL werde ich jeweils mit einem Praxisbeispiel verdeutlichen.
Im nächsten Kapitel werde ich mich intensiv mit den Jungenarbeitern beschäftigen. Ich habe bewußt die
männliche Form gewählt, da ich denke, daß es gerade für die Jungenarbeit besonders wichtig ist, daß Männer
diese Arbeit machen. Männer, die Jungenarbeit machen, müssen sich intensiv mit ihrer Position, Person und
ihrem eigenen `Mann-Sein' auseinander setzen.
Weiter gehe ich auf die Motivation zur Veränderung der klassischen Rollenbilder für Jungen und Männer ein. Es
wird deutlich werden, wie schwierig es ist, Veränderungen zuzulassen. Jede Veränderung bedeutet erst einmal
Unsicherheit und damit Gefahr. So ist in der Praxis keine Eigenmotivation bei den Jungen zur Veränderung zu
finden. Sie können sich erst durch die Identifikation mit den Jungenarbeitern und dem `Vorleben' erweiterter
Handlungsmöglich-keiten sowie über den Prozeß der Auseinandersetzung in der Jungengruppe motivieren.
Zum Abschluß werde ich auf mögliche Erweiterungsansätze und andere Möglichkeiten zur Veränderung des
`Rollenbildes Mann' eingehen.
Die Intention meiner Arbeit liegt darin, den LeserInnen deutlich zu machen, welche Probleme mit dem `MannSein' und `Mann-Werden' verbunden sind. Jungen und Männer müssen lernen, daß sie Probleme und Fehler
haben. Dies macht sie nicht kleiner und schwächer. Ein Eingehen auf die Schwächen und ein Wissen über diese
kann das Leben und das Zusammenleben leichter machen.
Ich denke, es ist an der Zeit, daß sich die Männer mit sich selbst beschäftigen!
2. Anthropologische Ansätze
2.1.
Der Androgynie-Ansatz
Der Androgynie-Ansatz wird schon mit mythologischem Ursprung bei Platon erwähnt. Das Wort leitet sich aus
dem Griechischen ab und ist zusammengesetzt aus andro = männlich und gyn = weiblich (nicht umsonst in
dieser Reihenfolge).
Der Androgynie-Ansatz beruht auf der Annahme, daß es früher nur Menschen gab, in denen beide Elemente ,
das Männliche und das Weibliche (in einer Kugel) vereint waren (vgl. Yin und Yang). Eines Tages, so schreibt
Platon ( nach Stopczyk 1980), wurden den Göttern die Menschen zu mächtig und Zeus spaltete sie in zwei
Hälften. Seit dieser Zeit leben die Menschen in der Sehnsucht nach dem Ganzen und suchen ihre verlorene
Hälfte.
Heutige Androgyniekonzepte (vor allem Sandra BEM, Jean BLOCK auf der Basis von Kohlberg und Piaget)
bewerten die Rollenfixierung als Einschränkung der Persönlichkeitsentwicklung und als Mangel des
Individuums.
"Mit dem Blick auf Frauen beschreiben die Wissenschaftlerinnen diese Rollenbeschränkungen als
Benachteiligung von Frauen, die es zu verändern gilt. Dabei werden die Benachteiligungen jedoch sämtlich
bezogen auf die Möglichkeiten des Mannes, die es für Frauen zu öffnen gilt, die sie sich aneignen sollten. Der
Blick auf die parallele Aufgabe der Männer fällt weitgehend heraus, statt dessen wird als persönliche wie
gesellschaftliche Perspektive die Entwicklung der androgynen Persönlichkeit gefordert. Diesem Menschen
stehen alle Verhaltensweisen und Eigenschaften offen, und je nach Situationskontext nutzt der Mensch die
bisher als typisch männlich oder weiblich zugeordneten Möglichkeiten. Die Auflösung des Über- und
Unterordnungsprinzips, des Denkens in Gegensätzen wird postuliert, ohne jedoch die Ursachen zu benennen."
(GLÜCKS 1994 S.27).
Ziel heutiger Androgyniekonzepte ist die Entwicklung eines neuen Geschlechts, des androgynen Menschen.
Dabei bleibt jedoch die Geschichte des Geschlechterverhältnisses unberücksichtigt. Das bedeutet z.B. das
Hierarchieverhältnis zwischen Männern und Frauen, also die Unterdrückung der Frauen, wird ignoriert.
2.2.
Der Zwei-Welten-Ansatz
(Die Kultur der Zweigeschlechtigkeit)
Der Zwei-Welten-Ansatz betrachtet das Geschlechterverhältnis in seinem kulturhistorischen Zusammenhang.
Die Geschlechtszugehörigkeit beruht auf biologische Kriterien (= sex), seine Ausformung der sozialen
Geschlechtsrolle (= gender) orientiert sich daran.
"Der Mensch wird nicht nach seinen Eigenschaften und Verhaltensweisen einem Geschlecht zugeordnet,
sondern ihm oder ihr werden aufgrund des biologischen Status Eigenschaften und Verhaltensweisen abverlangt
und entlang dieser Skalen findet seine Bewertung in normal oder von der Norm (typisch männlich, typisch
weiblich) abweichend statt." (GLÜCKS 1991).
Die Geschlechter stehen sich jedoch nicht gleichwertig gegenüber, sondern in einem Hierachieverhältnis. Sie
haben also unterschiedliche Zugangsbedingungen zur Welt:
 auf politischer Ebene: je einflußreicher eine Position in der Politik oder Wirtschaft, desto weniger Frauen
sind dort, bzw. an Entscheidungen beteiligt
 auf ökonomischer Ebene: Frauen verfügen in der Regel über weniger Geld und arbeiten in untergeordneten
Positionen
 bei Interaktionen, bzw. in der psycho-sozialen Entwicklung:
 Verdrängung von öffentlichen Plätzen durch das männliche Geschlecht
 Bewertung des weiblichen Geschlechts als minderwertig.(vgl. 4.
hegemoniale Männlichkeit) (vgl.
GLÜCKS, 1991)(vgl. STROB 1
992, Raumaneignung durch Jungen, S.66ff und 3.2.1.)
Als Zukunftsmodell werden von Annedore PRENGEL (1992) die Begriffe Gleichheit und Differenz geprägt.
Dies bedeutet die Beibehaltung der Unterschiede jeden Geschlechts und die Anerkennung der Gegenpole als
kulturelle Entwicklungsergebnisse, die als gleichrangig, bzw. gleichwertig gesehen werden. Notwendig wird
dadurch der "demokratische Differenzbegriff" (ebd.), der sich gegen Hierarchien richtet.
Es geht nicht darum, die beiden Geschlechter und ihr Verhältnis zueinander aufzuheben, sondern "Jungen haben
genauso wie Mädchen ein Geschlecht und an dieser Geschlechtszugehörigkeit hängen eine Menge spezifischer
Probleme" sagt Uta ENDERS-DRAGÄSSER in einem Vortrag (19.06.91) auf der Fachtagung zum Thema
geschlechtsbezogene Pädagogik in der HVHS FRILLE.
Diese geschlechtspezifischen Probleme gilt es für Jungen und Mädchen in ansprechenden Formen
geschlechtsbezogen zu bearbeiten. Wir sollten im Blick haben, daß wir bestimmte Verhaltensweisen, als auf ein
Geschlecht spezifiziert, reduzieren.
"Frauen tragen z.B. zu einer Verbesserung des Gruppenklimas bei. Diese Verhaltensweise ist nicht weiblich,
sondern menschlich. Sie könnte genauso von den Jungen erworben werden. ... Wir nehmen uns die Möglichkeit
auf solche Interaktionsnormen hinzuarbeiten, wenn wir das als ein weibliches Verhalten definieren und
empfinden, weil wir uns damit nicht mehr vorstellen können, daß diese Verhaltensweisen genausogut männlich
sein können und daß wir sie von Jungen ebensogut abverlangen können." (ebd.)
Beim Androgynieansatz werden die Unterschiede zwischen Männern und Frauen nihiliert. Ein `SichErgänzendes-Gegenüber' kann und darf es in diesem Ansatz nicht geben.
Meine persönliche Auffassung stimmt am ehesten mit dem `Zwei-Welten-Ansatz' überein. Biologische- und
Sozialisatorische Bedingungen werden hier berücksichtigt. Dennoch liegt keine Festlegung der Werte, Normen
und Verhaltensweisen vor. Die beiden Geschlechter können sich nebeneinander entwickeln.
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