Jungenarbeiter

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6. Die Jungenarbeiter
Wie in kaum einem anderen pädagogischen Bereich ist in der Jungenarbeit die Persönlichkeit der Mitarbeiter
gefragt.
In der Erziehung der Kinder sind kaum Männer gegenwärtig (sowohl Väter als auch Erzieher, Lehrer...). So
werden die Jungenarbeiter stark als Modellperson eines `Mannes' oder `Ersatzvaters' gebraucht. Dies bringt ihre
Persönlichkeit und nicht ihre pädagogischen Fähigkeiten in den Blickpunkt der Jungen (sofern sich dies trennen
läßt).
Die zweite Seite ist das Thema selbst. Die Männer die Jungenarbeit machen, müssen sich intensiv mit ihrem
eigen `Selbstbild' beschäftigen. Jungenarbeit ist - die eigene Geschichte lebendig machen - eigene Schwächen
und Ängste durchsichtig machen, ein alternatives Bild eines Mannes nicht nur theoretisch vertreten, sondern es
wird am praktischen `Sein' gemessen.
Jungenarbeiter werden häufig von den Jungen getestet, um die Realität ihrer Theorien in der Praxis zu
überprüfen. Es wird überprüft, wie sie mit Aggressionen umgehen, wie sie auf sexistische Sprüche gegen Frauen
reagieren, wie sie eigene Probleme offen angehen ... Eine Erfahrung, die ich selbst, wie alle von mir befragten
Jungenarbeiter gemacht haben.
6.1.
Männer in der Jungenarbeit
Wie oben erwähnt müssen sich Jungenarbeiter stark mit ihrer eigenen Person beschäftigen. Wichtig ist vor allem,
sich das eigene `Männerbild' bewußt zu machen:
Welche im ersten Teil genannten Mythen prägen das eigene Männerideal? Welche Bilder herrschen in meiner
Herkunftsfamilie? Welche Bilder haben mein Jugendalter geprägt?
"Die Bedeutung des männlichen Pädagogen für die Jungen ergibt sich daraus, daß er als Mann prinzipiell eher in
der Lage sein müßte, Erfahrungen, Probleme, Denk- und Verhaltensmuster, Phantasien und Bedürfnisse der
Jungen nachzuempfinden." (BRUNKE, 1981 In: HVHS ALTE MOLKEREI FRILLE; 1988, S.80)
Dies ist die Basis der Jungenarbeit. Der Pädagoge muß auf die Probleme der Jungen eingehen, muß sie ernst
nehmen und mögen, "parteilich für Jungen sein" (HVHS ALTE MOLKEREI FRILLE, 1988, S.81).
Für die Jungenarbeit ist ein Austausch mit Arbeitskollegen, Supervision oder übergreifende Arbeitsgruppen von
besonderer Bedeutung. Hier besteht für den Pädagogen die Möglichkeit sich und seine Probleme aufzugreifen,
erfahrbar zu machen und einen Raum zu finden, in dem er darüber, mit anderen Männern, reden kann.
6.2.
Notwendige Veränderungen
Der Anspruch die eigene Person zu reflektieren, ist Voraussetzung für Jungenarbeiter. Dies bedeutet nicht, daß
man erst ein perfekter Mann sein muß, um zur pädagogischen Arbeit zugelassen zu werden.
"Eingestandene Ahnungslosigkeit und das eigene Durcheinander der Gefühle (können) hilfreich für
gemeinsames Suchen nach einer lebbaren Vorstellung von Junge- oder `Mann-Sein' werden. Die Ehrlichkeit und
Nachsichtigkeit mit sich selbst schafft auch die Kraft zur Veränderung und den Mut zur Auseinandersetzung mit
dem Verhalten anderer. Insofern kann mit reflektierter Jungenarbeit sofort begonnen werden und nicht erst nach
der Absolvierung mehrerer Männergruppen - so nützlich diese auch werden können." (SIELERT, 1989, S.69f)
Trotzdem gibt es eine Menge Fragen, die wichtig sind und Möglichkeiten für das "zentrale Entwicklungsfeld für
uns Männer" (HVHS FRILLE, 1988, S.81)
 "Wie gehen wir Männer mit uns als Männer um?
 Wie gehen wir mit unserer Homophobie um?
 Wie offen benennen wir unsere Sympathien und Antipathien in der Männergruppe?
 Erkennen wir offene und verdeckte geschlechtsspezifische Diskriminierungen?




thematisieren wir geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in allen Bereichen ... ?
Unterstützen wir Verhaltensweisen, die die Gleichheit der Geschlechter fördern?
Wo hebt unser alltägliches Verhalten unsere antisexistischen Ansprüche auf?
Wo halten wir Männer aus Statusgründen an unseren männlichen Privilegien fest?" (ebd., S.81f)
Oder Fragen, die Uwe SIELERT (s.o. S.72) stellt:
"Wie verstehe ich mich heute als Mann? Wie hat meine männliche Sozialisation ausgesehen? Ist in meiner
Kindheit und Jugend mein Vater deutlich in Erscheinung getreten? Woher stammen meine männlichen
Rollenbilder? Wie wirke ich auf andere Männer und andere Frauen und was lösen die direkten und indirekten
Rückmeldungen bei mir aus? Welche leidvollen Erfahrungen habe ich gemacht und welche Konsequenzen habe
ich daraus gezogen?"
Es gibt haufenweise Fragen, auf die wir Antworten suchen müssen. Ein Prozeß, der sicher nie abgeschlossen
wird, also lebenslang bleibt. Eine Erfahrung die wir bei den Zielen der Jungenarbeit nicht vergessen dürfen.
6.3.
Persönliche Betroffenheit
Aus meinen Gesprächen mit Personen, die mit Jungen arbeiten und meinen eigenen Erfahrungen weiß ich, daß
diese Arbeit verändert. Ich werde in verschiedenen Bereichen sehr stark gefordert und komme an meine Grenzen
und darüber hinaus.
In meiner Arbeit mit Jungen bin ich häufig auf meine eigenen Probleme gestoßen. Auf persönliche Erfahrungen
von Hilflosigkeit und Angst. Angst vor anderen, Angst als Mann nicht akzeptiert zu werden. Wie handele ich in
der Praxis? Setze ich mich mit `Gewalt' durch (Kraft oder amtliche Autorität) unter dem Motto ich darf in keiner
Situation die `Herrschaft' und `Führung' verlieren (was dem Männerbild entspricht)? Kann ich Niederlagen
einstecken, auf die Gefahr hin, daß dies dann häufiger passiert und meine Autorität (Ansehen als Mitarbeiter und
Aufsichtspflichtiger) verloren geht? Wie gehe ich mit massiver Gewaltandrohung um?
In meiner praktischen Arbeit habe ich häufiger Drohgebärden und Rempeleien erlebt, auf die manchmal ein
Spruch wie der hier benannte folgte: "Wenn ich dich auf der Straße sehe, dann trete ich dir die Rübe weg!" Ich
bin mir unsicher, wie ich auf diese Sprüche und Verhaltensweisen reagieren soll.
Anstrengend ist die Häufigkeit solcher Situationen. Es gibt nur wenig wirklich positiver Rückmeldungen. Oft
kann nach einem `guten, ruhigen und entspannten' Tag, die Stimmung wieder eine ganz andere Richtung
einnehmen.
"Die Jungen können sich die schönen Seiten nicht zugestehen und müssen den `alten Status quo' wieder
herstellen (indem sie z.B. jemanden Schlagen). Zu hart sind die `Rollenanforderungen', als daß sie Nähe und
Weichheit zulassen können, ohne gleich wieder völlig `cool' zu sein." (Heimleiter einer Jungeneinrichtung)
Durch die täglichen Auseinandersetzungen hat sich meine Wahrnehmung verändert. Ich habe angefangen, nach
Vorbildern für dieses Verhalten zu suchen, nach Hintergründen und nach anderen Verhaltensmustern. Negative
Beispiel gibt es genug. Die tägliche Werbung im Fernsehen arbeitet sehr stark mit `alten Rollenmustern'.
Leinwandhelden sind selten realistische Vorbilder. Entweder sind sie `vom alten Schlag', oder sie sind dermaßen
herzzerreißend oder werden als typische `Verlierer'dargestellt, daß es peinlich ist, mit ihnen verglichen zu
werden. Realistische Vorbilder sind Mangelware. Positive Vorbilder sind ebenso sehr selten.
6.4.
Motivation zur Veränderung
Dies wurde für mich im Laufe der Arbeit ein immer spannenderer und wichtigerer Punkt. Warum sollen sich
Jungen verändern? Warum sollen sie ihre bekannten Verhaltensweisen aufgeben und wofür? Warum sollen sich
Männer verändern, sind sie nicht seit Jahrhunderten `erfolgreich' mit ihrem Verhalten? Warum beschäftige ich
mich mit Jungen?
Aus meiner Erfahrung und den geführten Gesprächen weiß ich, daß die Jungen selbst keine Motivation zur
Veränderung mit sich bringen, sondern dies erst mit zunehmenden Alter eine Rolle spielt.
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