Jungenarbeit 1/61 1. 2. Eine jungenbezogene Situationsanalyse ............................................................................................... 2 Verschiedene Bausteine (kurze Beschreibungen) ................................................................................. 4 2.1. 17 kurze Vorschläge (Titel, Themen und Inhalte, mögliche Methoden) ...................................... 4 2.2. 10 Themen (Thema, Methode, Ziel, Zeit) ..................................................................................... 7 3. Übungen und Spiele ............................................................................................................................ 10 3.1. VÄTERPARTY .......................................................................................................................... 10 3.2. WERBUNG/STEREOTYPIEN .................................................................................................. 12 3.3. MANN-SEIN UND MANN-WERDEN ..................................................................................... 14 3.4. GEFÜHLSACTIVITY ................................................................................................................ 15 3.5. TAUSCHMARKT DER TALENTE .......................................................................................... 16 3.6. JUNGEN-REDAKTION RAT AUF DRAHT ............................................................................ 17 3.7. WO BEKOMME ICH HILFE .................................................................................................... 18 3.8. EINE NEUE STÄRKE FINDEN ................................................................................................ 19 3.9. IMMER, MANCHMAL, NIE ..................................................................................................... 20 3.10. GESCHICHTEN FORTSETZEN ........................................................................................... 23 3.11. TOLERANZGRENZE ............................................................................................................ 25 3.12. SEXUALITÄT, GRENZEN UND GEWALT........................................................................ 27 3.13. DOMINANTES BEZIEHUNGSVERHALTEN .................................................................... 29 3.14. Talkshow für Buben ................................................................................................................ 30 3.15. Handydrehen ........................................................................................................................... 31 3.16. Jungenkochgruppe .................................................................................................................. 33 3.17. Bauanleitung „Rough-Sticks“ ................................................................................................. 34 4. Filme und Internet Seiten .................................................................................................................... 36 4.1. Filme ........................................................................................................................................... 36 4.1.1. "Play Life" Ein Film übers Computerspielen...................................................................... 36 4.1.2. "Gewalt No.3" ..................................................................................................................... 37 4.2. Internet Seiten (Material, Projekte Texte, Literatur)................................................................... 39 4.2.1. www.initiative-jungenarbeit.nrw.de ................................................................................... 39 4.2.2. www.jungenarbeit.info........................................................................................................ 39 4.2.3. www.lagjungenarbeit.de/ .................................................................................................... 39 4.2.4. www.socialnet.de/branchenbuch/2433.html ....................................................................... 39 4.2.5. www.mannigfaltig.de/ ......................................................................................................... 40 4.2.6. www.neue-wege-fuer-jungs.de ........................................................................................... 40 4.2.7. www.switchboard-online.de Zeitschrift für Männer und Jungenarbeit .............................. 40 4.2.8. www.jungenwege.de/downloads/schmidt_sb162.pdf ......................................................... 40 4.2.9. www.risflecting.at/pages/praxisprojekte/index_praxisprojekte.htm Entwicklungspool für Rausch- und Risikokompetenz ...................................................................................... 40 4.3. Wissenschaftliche Grundlagen und Texte................................................................................... 42 4.3.1. „Wissenschaftliche Grundlagen der Buben- und Burschenarbeit“ ..................................... 42 4.3.2. Arme Jungs oder kleine Machos? Die Lebenswelten von Jungen als religionspädagogische Herausforderung, Dr. Annebelle Pithan, Comenius-Institut Münster .......... 43 5. Warum Jungen nicht mehr lesen ......................................................................................................... 60 Jungenarbeit 2/61 1. Eine jungenbezogene Situationsanalyse 1. Element: Ein Junge, der mich beschäftigt (Austausch zu zweit/zu dritt) Aufgabe ist es, sich gegenseitig möglichst detailliert einen Jungen aus der eigenen Gruppe vorzustellen. Das kann ein Junge sein, der mir auffällt, der mich »stört« oder nervt, der in der Gruppe der Jungen etwas untergeht, oder ein Junge, den ich einfach mag (vgl. Rohrmann/Thoma 1998, S. 50). Das Ziel ist dabei, den einzelnen Jungen in den Blick zu nehmen – und damit letztlich die ganze Bandbreite der (ganz unterschiedlichen) Jungen. Die Austauschpartnerin kann eine Rückmeldung geben, was ihr bei der Vorstellung auffällt. 2. Element: Reflexionsfragen (Einzelarbeit) • Wo halten sich »die« Jungen überwiegend auf? (Und wo nicht?) • Welche Spiele, Spielsachen, Materialien usw. bevorzugen sie? • Wann bzw. in welchen Situationen suchen sie Kontakt zu mir? • Was beschäftigt »die« Jungen? • Womit fallen »die« Jungen auf? • Was mag ich an »den« Jungen? • Welche Fähigkeiten und Kompetenzen bringen sie zum Ausdruck? 3. Element: Jungenräume, Jungenzeiten (auch als Teamaufgabe möglich) • Jungenräume: Skizze der Gruppenräume bzw. der ganzen Einrichtung anfertigen - Was sind die Räume von Jungen, welche Orte meiden sie? - Markieren: Wo kommt es zu Konflikten, wo läuft es gut? ggf. In die verschiedenen Räume und Funktionsbereiche gehen und sie aus der Perspektive von Jungen beschreiben und bewerten. • Jungenzeiten: Wochenübersicht anfertigen (jeder Tag eine Spalte) - Was machen »die« Jungen zu den verschiedenen Zeiten? - Markieren: Was sind kritische, was sind entspannte Zeiten? 4. Element: Austausch, Bewertung der Ergebnisse, Veränderungswünsche und -perspektiven (gemeinsam oder zunächst in Kleingruppen) • Welche Themen stehen an? • In welchen Bereichen brauchen Jungen gezielte Förderung? • Wo fordern Jungen Begleitung und Unterstützung ein? Zugangsfragen für eine auf Sexualität bezogene Situations- und Institutionsanalyse Jungen: • Wie präsentieren die Jungen männliche Sexualität? (Gibt es dabei Unterschiede – unter den Jungen und situativ?) • Wie gehen sie mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen um? • Wo liegen ihre Bewältigungsstärken, wo ihre Entwicklungspotentiale? Jungenarbeit 3/61 Einrichtung: • Welches Material- und Medienangebot, welche gezielten Angebote bietet die Einrichtung an? • Welches erotische Klima herrscht in der Einrichtung? Ist die Einrichtung sexualfreundlich? • Was ermöglicht, was verhindert das Setting der Einrichtung? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: • Wird (in) der Kindheit bzw. (in) der Jugendphase eine »eigene« Sexualität zugestanden? • Wird Sexualität auch als Thema der Generationenauseinandersetzung gesehen? • Wird Sexualität vor allem in Verbindung mit Fortpflanzung/Verhütung, Gefährdung/Aids oder Übergriffen/Gewalt thematisiert, oder spielt auch Sinnlichkeit, Erotik, spielen Lustaspekte eine Rolle? Jungenarbeit 4/61 2. Verschiedene Bausteine (kurze Beschreibungen) 2.1. 17 kurze Vorschläge (Titel, Themen und Inhalte, mögliche Methoden) Titel (Vorschlag) Themen und Inhalte (Mögliche) Methoden Ich bin’s! Selbstreflexion, -bezüge, Identität, Selbstvergewisserung und -darstellung; Eigen- und Fremdwahrnehmung Übungen, Soziometrie (SelbstbildFremdbild), Arbeit mit Bildkarteien, Foto- oder Videoaktionen, Gespräche Fit, fun & action Erleben, Erfahren, Reflektieren Jungenbezogene Erlebnispädagogik, z. B.: Klettern, Kajak, Rafting, Segeln, Geländespiel, Survival, Cart-Fahren, Inlinern ... Noch ganz dicht? Dichtung und Texte Selbstvergewisserung und -darstellung in Texten Gedichte, Textcollagen, Haikus, kreatives Schreiben, Setzen und Drucken Mit mir nicht?! Hausarbeiten: Kochen, Spülen, Putzen - Hausarbeit als männliche Fürsorglichkeit Hausarbeit mit Spaß; Kochkurs (incl. Spülen), Stil und Atmosphäre schaffen, Grundkurs »Putzen« Wie helfe ich mir selbst? Reparieren, Reparaturkurs z. B.: Fahrradreparatur, Autopannenkurs, Umgang mit Maschinen, Bohren, Nageln, Schweißen Die Liebesschule Alles rund um Liebe, Sex, Beziehung, Anmache und was noch so dazu gehört Sexualpädagogische Methoden, Bennis Beziehungskiste, Gespräche mit Fachfrauen und -männern jeder Art Platz da!? Räume und Träume. Träume Räume! Raumerleben, Raumerfahrungen, Räume erweitern, eigene Räume (mein Zimmer, unserer Jungenraum) Raumbezogene Erlebnisse in Innenund Außenräumen, virtuelle Räume (Internet), Phantasie; sich einrichten, sich’s schön machen, Atmosphäre schaffen Radiodayz: Boyz on air! Selbstreflexion, -thematisierung, -darstellung, Jugendkultur und Cliquenbezüge Produktion einer Radiosendung und Live-Ausstrahlung Jungenarbeit 5/61 Transzendenzen der liebe Gott ist auch nicht mehr das ... Transzendenz, Glauben, Religionen, übersinnliche Erfahrungen Meditation, Gespräche, Sammeln persönlicher »Heiligtümer«, lebende Heilige (be-) suchen Big Brothers: Video, Computer & Co. Beschäftigung mit reziptiven Medien (Thema Größe, Dabeisein; aber auch Angst, Scham, Ekel) Computerspiele ausprobieren, testen und kritisieren; Indizierung/Altersfreigaben bei Spielen und Filmen/Videos; Videonacht; Internet-Surfen und bewerten Waschbrett, Wampe, Wackelpudding ... Körpererfahrungen, Körperbezüge, Wohlfühlen (Sauna, Massage, Fitness, Fitsein, Gesundheit Yoga), Ernährung (Kochen, Essen und Abwaschen); Besuch im Fitness-Studio und im Sportverein; Körperbemalung; Tanz Beruf und Berufung Arbeitsfelder in Mythos und Realität, eigene Berufs- und Lebensperspektive Testen und Kennenlernen von typischen »Männerberufen« (Fußballer, Polizist, Lokführer, Feuerwehr, Pilot ...) Ausprobieren verschiedener Tätigkeiten (Malern, Renovieren; mit nützlichem Zweck verbinden; Neue Arbeit, Bürgerbüro, Forstamt) Risiko und Schattenseiten Risikoverhalten, Fehler gemacht haben, Gewalt, Übergriffe, Kriminalität, Absturzgefahren, Angst Rollenspiele, Übungen, Gespräche mit Opfern und Ex-Usern; Besuch bei der Polizei, im Gefängnis, im Gericht ... Lebens-Bilder Bilder machen, Abbilden, Selbstthematisierung Fotos machen und entwickeln; Videos produzieren; kulturelle Produktionen (Musik, bildende Kunst, Texte, Schweißen) Männerwelten Erwachsenes Mannsein in Freizeitwelten Fußball, Stammtisch, Vereine, Männerbünde Held-Sein für einen Tag Held-Sein-Dürfen, Beschäftigung mit Großenphantasien Arbeit mit Spielfiguren (Jungenpuppen), Theaterinszenierungen, Rollenspiele, Psychodrama Heavy metal Metall bearbeiten, Schweißen, Schmieden, Handwerkern, Anpacken, Arbeit mit Glut und Herstellen von Objekten (Skulpturen) oder Gebrauchsgegenständen (Stuhl, Kerzen- Jungenarbeit 6/61 Feuer, Konzentration, künstlerische Produktion ständer, Bücherständer, Aschenbecher, Türschild) aus Metallschrott Jungenarbeit 7/61 2.2. Thema 10 Themen (Thema, Methode, Ziel, Zeit) Methode Fragen zum Vater Fragebogeninterview: Die Teilnehmer bilden einen Doppelkreis, d. h. Innen- und Außenkreis. Jede Person sitzt einer anderen gegenüber, fragt oder antwortet nur. Sie folgen nach und nach vorgegebenen Fragebereichen und stellen die entsprechenden Fragen. „Wie fühlen sich Jungen in ihrem Körper?“ Die Teilnehmer werden aufgefordert, sich einen Jungen vorzustellen und zu versuchen zu spüren, wie dieser sich in seinem Körper fühlen könnte. Dazu werden zuerst Zuschreibungen wie z. B. Macho, Looser, Winner, Beschützer usw. gesammelt. Die Gruppe wird dann in zwei Kleingruppen unterteilt. Eine Kleingruppe spielt einzelne Zuschreibungen (ein bis zwei Minuten); danach berichten die Spieler, wie sie sich gefühlt haben, wie es ihnen erging. Die beobachtende Gruppe berichtet, was ihnen aufgefallen ist („Sharing“). Danach Tausch der Gruppen. Am Ende: Auswertung in der Großgruppe. Übung mit den vier „Urtypen“ König, Liebhaber, Krieger, Narr/Magier Zuerst werden die vier männlichen „Urtypen“ vorgestellt. Ein Bild jedes „Urtyps“ kommt auf einen Stuhl im Raum. Dort wird dann erklärt, wofür er steht, welche Eigenschaften er besitzt, was er symbolisiert, welche Assoziationen mit ihm verbunden sind. Frage: „Wer steht heute für die Figuren?“ Jeder Teilnehmer versetzt sich einmal in jeden der vier „Urtypen“. Nach dem Austausch über die „Urtypen“ malt jeder Teilnehmer ein Symbol auf der Rückseite des kopierten „Urtypen“. Austausch in Kleingruppen. Danach soll jeder Teilnehmer überprüfen, inwieweit in seiner Arbeit mit den Jungen die „Urtypen“ wichtig sind: 1. Schritt: Die Teilnehmer malen anhand einer Präsenztorte, wie groß die jeweiligen Anteile der „Urtypen“ in der Arbeit mit Jungen sind. Austausch in Kleingruppen. 2. Schritt: Die Teilnehmer malen anhand einer Präsenztorte , wie groß die (vermuteten) Wünsche der Jungen an die „Urtypen“ sind. Austausch in Kleingruppen. 3. Schritt: Gesamtauswertung: Wie gehe ich als Jungenarbeiter mit den verschiedenen Ziel „Welche Aufgabe haben wir als Jungenarbeiter gegenüber den Vätern?“ Es gilt zu erkennen, dass „man“ den Vater nicht ersetzen, jedoch dazu beitragen kann, ihn ins rechte Licht zu rücken. Dabei kann für einen Jungen das „bevatern“ eine Hilfe sein, um den eigenen Vater so anzunehmen, wie er ist. Reflexion über die Fragen: „Wie nehme ich Jungen wahr? Was fällt mir auf? Welche Verhaltensweisen neige ich zu übersehen?“ Die Jungenarbeiter sollen ein Gespür dafür bekommen können, wie Jungen sich „in ihrer Haut“ erleben und fühlen. Oft konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Jungenarbeiter auf die verbal starken Jungen in einer Gruppe. Reagiert wird zudem sehr oft nur auf der verbalen Ebene. Der so angesprochene Zugang zu den nonverbalen Signalen, zur Körpersprache eröffnet neue Perspektiven im Verstehen der Jungen. Vorstellen, einfühlen und vertraut machen mit den verschiedenen „Urtypen“. Mögliche Rollen von Männlichkeit erleben und die Koordination der Kräfte und Begabungen verbessern. Klärungsprozesse zu den Fragen: 1. „Mit welchen Anteilen bin ich im Kontakt mit den Jungen präsent?“ 2. „Wie komme ich mit den Erwartungen und Wünschen der Jungen an den Jungenarbeiter zurecht?“ 3. „Wie kann ich meine eigenen Anteile besser mit den Erwartungen und Wünschen der Jungen vereinbaren?“ Zeit (ca.) 2 Std. 5 Min. 4 Std. Jungenarbeit 8/61 Vater-BossKumpel-Mann Präsenztorte Thema Das magische Dreieck Raumerkundun g aus Jungensicht Geschlechtsbez ogene Pädagogik Fangen mit Rettungsinsel Entwicklung der eigenen männlichen Sozialisation (vermuteten) Erwartungen und Wünschen um? Zunächst werden in der Gesamtgruppe unterschiedliche Rollen von Jungenarbeitern im Umgang mit Jungen rekonstruiert und reflektiert. Den Erwartungen der Jungen an die Jungenarbeiter stehen deren Erwartungen an Jungen gegenüber, die sich im Zusammenhang mit der eigenen Lebensgeschichte gebildet haben. Jeder Teilnehmer soll einschätzen, wie groß die Anteile der jeweiligen Rollen in seiner Arbeit mit Jungen sind. Dazu malt jeder Teilnehmer eine „Torte“, in die er die Größe der vier „Tortenstücke“ Vater-Boss-Kumpel-Mann einträgt. Austausch in Kleingruppen. Methode Anhand eines Dreiecks (Folie) wird über den Kontext von Jungenarbeit gesprochen. Die Teilnehmer aus gleichen Arbeitsfeldern gehen in Kleingruppen zusammen und bekommen Fragen zum „magischen Dreieck“. Danach Vorstellung der Ergebnisse in der Großgruppe. Ausgangspunkt ist sich vorzustellen, wie sich Jungen fühlen. Danach laufen die Teilnehmer „in ihrer Phantasie“ durch ihre Einrichtung und bekommen die Fragen: „Wo fühlst du dich als Junge besonders wohl? Was würdest du als Junge verändern? Was fehlt dir?“ Auswertung in Kleingruppen mit Mitarbeitern aus gleichen Arbeitsfeldern. Die Teilnehmer vervollständigen die Aussage: „Für mich bedeutet geschlechtsbezogene Pädagogik ...“ Nachdem die Aussagen vervollständigt sind, werden sie umgedreht und in die Mitte auf den Boden gelegt. Die Teilnehmer ziehen Zettel, lesen die Thesen laut vor und hängen sie an die Wand. Einige Spieler einer Gruppe werden als Fänger auserkoren, alle anderen sind Läufer. Gerät ein Läufer durch einen Fänger in Bedrängnis, so kann er sich retten, indem er sich mit einem weiteren Läufer zusammentut, d. h. körperlich Kontakt hält. Ist dies der Fall, so muss der Fänger abdrehen und sich ein neues „Opfer“ suchen. Wird ein Läufer von einem Fänger erwischt, so tauschen beide Spieler ihre Rolle. Entspannung mit gelenkter Phantasiereise An Beispielen Übertragung und Gegenübertragung deutlich machen 2 Std. Erkenntnisse zu den Fragen: „Welchen Anteil haben die jeweiligen Aspekte meiner Person im Alltag mit den Jungen?“ „Wo passen Erwartungen von Jungen und eigenen Bedürfnisse zusammen, wo gibt es Konflikte?“ 2 Std. Ziel Zeit (ca.) Reflexion: „Wie passen die Wünsche und Vorstellungen der Jungen mit dem Leitbild der Institutionen zusammen?“ „Was ist für den Jungenarbeiter wichtig, wenn er mit der Arbeit anfängt?“ - Überprüfung des Leitbildes der Einrichtung und des Jungenarbeiters. 1,5 Std. Reflexion und Perspektivenwechsel: „Was könnten Jungen gebrauchen?“ Erkenntnis: Was könnten die Teilnehmer mit vertretbarem Aufwand konkret verändern? Was würde ihnen selbst im Umgang mit Jungen Spaß machen? 1 Std. Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen von geschlechtsbezogener Arbeit 30 Min. Freundschaften, sich gegenseitig helfen 20 Min. Das Bewusstmachen der eigenen männlichen Sozialstation soll den Blick schärfen auf die Jungen heute; Zugang über die eigene Biografie zu Problemen, Wünschen und Hoffnungen von Jungen: „Welche männlichen Vorbilder hatte ich, wie haben sie mich geprägt?“ 4 Std. Jungenarbeit 9/61 Jungenarbeit 10/61 3. Übungen und Spiele 3.1. VÄTERPARTY ZIEL: Humorvolle und spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema „Wie ich meinen Vater sehe“; Reflexion der Bilder und Entwürfe von Mann-Sein, die Väter an Jugendliche vermitteln bzw. die Jugendliche wahrnehmen, aufnehmen oder auch ablehnen; weiters geht es um das Üben von Empathiefähigkeit (Einfühlen in den anderen und – mit Hilfe des Rollentausches – in dessen Rolle schlüpfen) und Distanzierungsmöglichkeiten von vorgegebenen Rollenmustern; Themen: Männerbilder, „Vorbilder“, „Väterbilder“ DAUER: 3 bis 5 Stunden MATERIAL: Voraussetzung für dieses szenische Rollenspiel mit Rollentausch ist ein genügend großer Raum (z.B. Klassenzimmer), in dem die Stühle an den Rand gestellt werden können. Weiteres Material wird nicht gebraucht. DURCHFÜHRUNG Wichtig ist es bei dieser Übung, dass die Jungen bereits „aufgewärmt“ sind (z. B. Körperübungen, verschiedenste Bewegungsspiele oder Rollenspiele in der Gruppe) bzw. bereits mit dem Thema gearbeitet haben. Die Gruppengröße sollte bei maximal 12 Teilnehmern liegen. (Bei größeren Gruppen sollten zwei Leiter gemeinsam arbeiten – was freilich auch bei „kleineren“ Gruppen zu empfehlen ist.) Vorerst wird – am besten im Sitzkreis – das Thema vorgestellt (z. B. mit Erläuterungen darüber, dass das Thema „Männlichkeit und Männerbilder“ auch unsere Väter betrifft und wir uns in dieser Übung mit ihnen beschäftigen möchten, sie quasi in den Raum einladen). Technisch funktioniert die Übung so, dass jeder hinter seinen Sessel tritt und seinen Vater vorstellt, der nun (imaginär) im Sessel sitzt. Am besten Sie zeigen die Übung selbst vor (überlegen Sie vorher, wie Sie Ihren Vater vorstellen möchten, was Sie von ihm einbringen möchten und wie Sie vielleicht auch Kritik in positiver Art und Weise formulieren möchten). Beginnen Sie am besten mit den Sätzen: „Darf ich euch meinen Vater vorstellen. Er heißt Herbert, ist 72 Jahre alt usw.“ (Möglichkeiten: Was gefällt mir an ihm, was weniger, was kann er gut, wie kann er mich nerven, wo war/ist er mir Vorbild usw.) Gehen Sie davon aus, dass sich die Jugendlichen im Folgenden an Ihren Aussagen orientieren werden, d. h. Sie können die Richtung und „Tiefe“ der Übung mehr oder weniger selbst mitbestimmen. Es ist wichtig, neben der I d e n t i fizierung mit dem Vater (die durch den Rollentausch in dieser Übung verstärkt wird) den flexiblen Umgang mit dessen Rolle zu üben (was durch das Rollenspiel ermöglicht wird). Im Weiteren stellt jeder in der Runde seinen Vater vor und bleibt danach hinter seinem Sessel stehen. Wenn alle Väter eingeladen wurden, bitten Sie die Jungen, sich wieder in den Sessel zu setzen – mit dem Hinweis, dass sie jetzt selbst ihre Väter sind, in deren Rolle sie schlüpfen können. Es folgt eine Vorstellrunde, in der sich jeder nun in der Rolle des Vaters vorstellt. Laden Sie nun alle Väter zu einer Party ein (z. B. Cocktailparty, Firmenfeier, After-Work-Clubbing, Heuriger, Polterabend usw.). Bedenken Sie, dass der Ort des Geschehens die Inhalte mitbestimmen wird. Wenn Sie merken, dass die Jugendlichen noch zu wenig „aufgewärmt“ sind, können Sie noch eine kurze Abholrunde initiieren, in der die Jugendlichen (jetzt die „Väter“) erörtern, was sie zu dieser Party bringt oder auch mit welcher Stimmung sie hier sind usw. Das ermöglicht den Jugendlichen sich in die Rolle einzuspielen. Es geht nun darum, dass die Väter bei dieser Party in Kontakt mit anderen kommen (oder auch nicht). Erfahrungsgemäß dauert es nicht lange, bis die Jungenarbeit 11/61 ersten Gespräche in Szene gesetzt werden. Eröffnen Sie die Übung z. B. mit den Worten „Bühne frei!“ Die Dauer des Rollenspiels ist unbegrenzt. Wenn Sie als Leiter und Beobachter der Szene das Gefühl haben, dass die Jungen bereits aus ihren Rollen aussteigen, bzw. die Gespräche und Kontakte unter den „Vätern“ sich erschöpft haben, beenden Sie die Szene. In der Na c h b e s p r e c h u n g im Sesselkreis haben die Jugendlichen die Möglichkeit sich darüber auszutauschen, was sie in der Szene als Mitspieler wahrgenommen haben, wie es ihnen in der Rolle des Vaters ergangen ist, mit wem sie in Kontakt gekommen sind, über welche Themen oder Gesten usw. Wichtig ist, dass jeder zu Wort kommt und seine Erlebnisse in der Rolle einbringen kann. Nach diesem Rollenfeedback werden die Mitspieler quasi aus ihrer Rolle entlassen, dürfen wieder „sie selbst sein“. Bewährt hat sich dazu, dass alle aufstehen, Beine und Arme fest ausschütteln, dabei am Stand springen und jeder laut seinen Namen sagt. Die Richtung der weiteren Themen und Aktivitäten in der Gruppe ist nun meist sehr offen. Wichtig ist sich zu bemühen, alle eingebrachten Themen und Feedbacks wahrzunehmen (Mitschreiben am Flipchart ist dabei sehr hilfreich). Falls in der Gruppe Jugendliche mit verstorbenen oder abwesenden Vätern sind, können auch diese Rollen auf die Bühne gebracht werden. Die Entscheidung zum Mitspielen sollte jedoch jeder in der Gruppe für sich treffen. Eine zwangs- und druckfreie Atmosphäre ist Voraussetzung für die Übung. Wichtig ist, dass der Gruppenleiter „sich seiner Sache sicher ist“, d. h., genügend Vertrauen in sich selbst und die Jungengruppe hat. Gerade diese Übung erfordert ein „Gespür“ für ihre Anwendbarkeit, eine Einschätzung der Situation sowie der aktuellen Gruppenatmosphäre. Jungenarbeit 12/61 3.2. WERBUNG/STEREOTYPIEN ZIEL: Erkennen von Zusammenhängen zwischen Werbung und Produkt; Erkennen von Vorurteilen und Mythen, die in der Werbung verwendet werden; Erkennen von sexistischer Werbung DAUER: 3 Stunden MATERIAL: Werbung aus Zeitschriften, (schwarzes) Naturpapier, Schere, Klebstoff, A4-Klarsichthüllen VORBEREITUNG DURCH DEN ÜBUNGSLEITER: Anzeigen – in denen Frauen oder Männer bzw. Frauen- oder Männerprodukte vorkommen – aus Zeitschriften herausschneiden. Die Werbung wird mit einem Rahmen aus Naturpapier so abgedeckt, dass nichterkennbar ist, wofür geworben wird, vom Bild aber möglichst viel zu sehen ist. Da nachdem „Raten“ die gesamte Anzeige verfügbar sein muss, darf der Rahmen nicht aufgeklebt werden. EMPFEHLUNG: Es hat sich bewährt, aus Naturpapier eine Mappe zu machen. Das Werbebild klebt im Inneren der Mappe und der Mappendeckel bildet den Abdeckrahmen. Aus dem Naturpapier Blätter in A3-Format (große Zeichenblätter) zuschneiden. Aus diesen Bögen durch Zusammenfalten Mappen herstellen. (Diese Mappe besteht jetzt aus vier A4Seiten.). Die Werbung außen auf den Mappendeckel (Seite 1) auflegen. Mit einem stumpfen Gravierstift den Teil des Bildes umfahren, der sichtbar bleiben soll – es drücken sich die Konturen auf dem Naturpapier ab. Nun den Teil innerhalb der Konturen herausschneiden – der Mappendeckel wird zum Abdeckrahmen. Die Werbung jetzt im Mappen-inneren auf der rechten Seite (Seite 3) so aufkleben, dass bei geschlossener Mappe durch den Rahmen jener Teil abgedeckt wird, der das Produkt verrät. Die geschlossene Mappe in eine Klarsichthülle stecken. DURCHFÜHRUNG Die Plastikhüllen mit den Werbungen liegen auf dem Boden. Jeder Bursche nimmt eine Plastikhülle. Paarweise sollen sich die Jungen über die Bilder zu folgenden Fragen austauschen: Warum habe ich zu diesem Bild gegriffen? Was verbinde ich mit diesem Bild? Welche Träume, Sehnsüchte, Gefühle werden bei mir angesprochen? Wofür wird mit diesem Bild geworben? Danach können die Annahmen überprüft werden. Im Plenum wird die verdeckte Werbung hergezeigt, werden die Vermutungen der anderen gesammelt und dann die Bilder enthüllt. Danach berichten die Arbeitsgruppen. Dabei entscheidet jeder für sich, wie viel er von sich „zeigen“ will. Als Nächstes wird im Plenum die Werbung nach Produktgruppen geordnet. Dann werden Kleingruppen gebildet, indem sich jeder Bursche einer Produktgruppe seines Interesses zuordnet. Jede Kleingruppe beschäftigt sich mit folgenden Fragen: Welche Sehnsüchte werden in der Werbung angesprochen? Wie werden durch die Werbung Träume und Hoffnungen geformt? Wie werden durch die Werbung Bedürfnisse geschaffen? In einem nächsten Schritt werden Vorurteile, Mythen, Männer- und Frauenbilder gesammelt, die dem bearbeiteten Werbematerial zugrunde liegen. Dies erfolgt (je nach Gruppengröße) gemeinsam im Plenum oder aber in Kleingruppen. Jungenarbeit 13/61 Mögliche Fragen: Ist es möglich Parallelen zu anderen Lebenssituationen ausfindig zu machen, wo wir auf diese Vorurteile, Mythen und Männerbilder/Frauenbilder treffen? Wo begegnen wir diesen Vorurteilen, Mythen und Männerbildern/Frauenbildern noch außer in der Werbung? Wer hat am Weiterbestand dieser Vorurteile, Mythen und Männerbilder/Frauenbilder Interesse? Was sind die Vor- und Nachteile, die sich daraus für Männer bzw. Frauen ergeben? Jungenarbeit 14/61 3.3. MANN-SEIN UND MANN-WERDEN Interviewfragen Mögliche Fragen könnten etwa lauten: Von wem hast du am meisten darüber gelernt ein Mann zu sein? Was bedeutet es für dich ein Mann zu sein? Was wird deiner Meinung nach von Männern erwartet? Welcher Mann hat dich in deinem Leben am meisten beeinflusst und auf welche We i s e ? Welche Frau hat dich in deinem Leben am meisten beeinflusst und auf welche Weise? Was hat sich in all den Jahren alles für die Männer geändert? Was hat in all den Jahren alles für die Frauen geändert? Was würdest du in der Beziehung zwischen Frauen und Männern ändern, wenn du das könntest? Was würdest du in der Beziehung von Männern untereinander ändern, wenn du das könntest? Was hättest du dir gewünscht, dass man dir gesagt hätte, als du in meinem Alter warst? Was magst du am meisten daran, ein Mann zu sein, und was nicht? Anschließend sollen die Jungen ihren eigenen Interview-Fragebogen zusammenstellen. Jungenarbeit 15/61 3.4. GEFÜHLSACTIVITY ZIEL: Wahrnehmung und Ausdruck von Gefühlsqualitäten stärken. DAUER: etwa 20 Minuten MATERIAL: in Streifen geschnittene „Gefühlszettel“ (s. u.) DURCHFÜHRUNG Bereiten Sie die „Gefühlszettel“ in einem Kuvert vor. Erklären Sie den Jungen, dass es in der folgenden Übung darum geht, Gefühle pantomimisch (d. h. ohne Worte) darzustellen und diese zu erraten. Dazu zieht ein Junge einen Zettel mit einem Gefühl und soll dieses dann vor der Gruppe darstellen. Die Gruppe versucht das dann zu erraten. Je nachdem, ob alle Jungen etwas vorstellen wollen oder nur einige, wird der nächste Darsteller bestimmt, z. B. wer es errät, der kann es mit dem nächsten Begriff versuchen, oder jemanden auswählen, der noch nicht gespielt hat; es ist auch eine alphabetische Abfolge möglich usw. Den konkreten Ablauf sollte sich der Gruppenleiter je nach angestrebtem Ziel im Vorfeld überlegen. Sie können im Anschluss an die Übung eine kurze Reflexion dazu machen, welche Darstellungen den Jungen leicht gefallen sind, welche sie gut kennen und erkennen können, aber auch wo es schwieriger war. Auf Grund der meist sehr lebendigen und witzigen Dynamik empfiehlt es sich, die Übung nicht allzusehr zu „zerreden“. Der Effekt liegt hier mehr im Schauspiel und dem szenischen Ausprobieren an sich bzw. in der Herausforderung der Fremdwahrnehmung. VARIATIONEN: Statt der vorbereiteten Gefühlszetteln können Sie die Jungen auch bitten, selbst solche Zettel zu verfassen (hier kann es allerdings viele Wiederholungen geben). Es ist auch gut möglich, die Gefühle einmal in einer „männlichen“ und einmal in einer „w e i blichen“ Version zu spielen (Gibt es hier Unterschiede, wie sehen diese aus, was ist bei wem leichter zu erkennen, usw.). Bei älteren Jungen kann die Übung auch in einer r e d u z i e r t e n pantomimischen Form durchgeführt werden: z. B. ein Gefühl in einer einzigen typischen Handbewegung ausdrücken; es kann auch ein „Fernsehrahmen“ herangezogen werden, den die Darsteller vor sich halten; das Gefühl muss dann nur mit dem Gesichtsausdruck dargestellt werden. Drei Jungen wählen Gefühlsbefindlichkeiten, die recht ähnlich sind (z. B. Freude, Stolz, Zufriedenheit), die der Gruppe mitgeteilt werden und von denen jeder Junge eine darstellt. Die Gruppe versucht herauszufinden, wer welches Gefühl darstellt (Darstellung parallel) bzw. dargestellt hat (Darstellung hintereinander). VORSCHLAG GEFÜHLSZETTEL LIEBE WUT TRAURIGKEIT HASS ANGST AUFREGUNG EINSAMKEIT VERZWEIFLUNG FREUDE EIFERSUCHT LANGEWEILE HILFLOSIGKEIT VERWUNDERUNG NEUGIER NACHDENKLICHKEIT ERREGUNG SCHOCK ÜBERRASCHUNG SCHAM STOLZ Jungenarbeit 16/61 3.5. TAUSCHMARKT DER TALENTE ZIEL: Eigene Stärken und die der anderen erkennen; Üben von Feedback-geben; Spielerische Auseinandersetzung mit Gemeinsamkeiten und Differenzen in der Gruppe sowie Konkurrenz, Hierarchie und Gruppendruck. DAUER: 30 bis 60 Minuten MATERIAL: Ausgangspunkt der Übung ist ein genügend großer Sesselkreis. Die Übung eignet sich auch gut als Warming-up für weitere Gruppenaktivitäten. Weiteres Material wird nicht benötigt. DURCHFÜHRUNG Für Jugendliche ist die eigene Klasse oder die Peer-Gruppe ein wichtiges soziales Bezugssystem in ihrem Leben. Sie verbringen oft Jahre in meist von ihnen nicht freiwillig gewählten Gruppen, in denen sie sich in ihren Rollen oft als starr und festgelegt erleben. Die Übung kann dazu beitragen, dass Jugendliche aus eigener Kraft und mit Hilfe der Gruppe ihre Rollen selbst gestalten, erweitern oder verändern. Im ersten Schritt überlegt sich jeder Gruppenteilnehmer für sich, welche Fähigkeiten und Stärken er zu haben glaubt oder einfach, was er besonders gut kann. Der Gruppenleiter sollte erwähnen, dass es dabei vielleicht auch um Qualitäten wie „zuhören können“, „über sich selbst lachen können“, „ Hi l f s b e r e i t s c h a ft“ etc. geht. In der Mitte des Sesselkreises wird nun ein ganz spezieller Markt (Basar) eröffnet: Da gibt es nichts zu kaufen, nur zu tauschen. Diese Tauschgüter sind allerdings nicht materieller Na t u r, sondern eben Eigenschaften, Stärken, Fä h i g k e i t e n , Qualitäten. Der Gruppenleiter selbst eröffnet das Spiel, indem er den Ma r k t p l a t z betritt und seine „Ware“ anbietet. Das könnte z. B. so aussehen: Ich habe 100 Gramm „Ordnungssinn“ anzubieten. Davon habe ich genug. Wer tauscht mit mir? Ich könnte ein paar Gramm „Schlampigkeit“ brauchen. Wer hat da vielleicht genug oder gar zuviel davon? Falls sich niemand findet, der zum Tauschen bereit ist, besteht die Möglichkeit, direkt auf jemanden zuzugehen, von dem man annimmt, dass er die gewünschte Qualität besitzt. VA R I AT I O N : mit jemand „sofort ins Ge s c h ä ft zu kommen“, indem man ihm seine „Wa r e “ zeigt und fragt, ob er was davon gebrauchen könnte und was er so dafür anzubieten habe. Dabei wird Empathiefähigkeit geübt, geht es doch darum, den anderen und seine Stärken zu (er)kennen. Erfahrungsgemäß kommt das Spiel „schnell in Fahrt“. Wichtig ist, dass nur Ressourcen und Stärken und nicht „Defizite“ gehandelt werden, und – wenn möglich – alle Te i l n e h m e r ins Spiel integriert werden, denn: Stärken zum Anbieten hat jeder (der Gruppenleiter sollte auf die „Vergessenen“ achten und sie ins Spiel bringen). Zu beachten ist jedoch, dass niemand gegen seinen Willen mitspielen soll. Nach dem ersten Tauschhandel geht es staffettenmäßig weiter: Nun ist der zum Tauschen eingeladene Junge dran, selbst seine „Ware“ anzubieten, um mit jemand „ins Ge s c h ä ft zu kommen“. Jungenarbeit 17/61 3.6. JUNGEN-REDAKTION RAT AUF DRAHT ZIEL: Bei dieser Übung geht es darum, dass sich die Jungen als Berater in persönlichen Angelegenheiten erleben können. Das Wahrnehmen und Erkennen eigener sozialer Kompetenz und dessen Stärkung sind Ziel dieser Übung. DAUER: je nach Gruppengröße und Anzahl der Briefe (etwa 30 Minuten Besprechung der Briefe; etwa 30 Minuten Präsentation/Diskussion pro Brief) MATERIAL: gesammelte Leserbriefe in Briefkuverts, Papier, Stifte DURCHFÜHRUNG Sammeln Sie als Vorarbeit über einen längeren Zeitraum hinweg LeserInnen-Anfragen zu persönlichen Problemen, wie dies in vielen Zeitschriften und Zeitungen üblich ist. Sie können dazu auch diverse Problemgeschichten heranziehen, und daraus eine Anfrage formulieren. Wählen Sie die Fragen und Inhalte so, wie Sie Ihnen für die Arbeit mit den Jungen passend erscheinen. Achten Sie dabei sowohl auf die Palette der Inhalte als auch auf eine Fächerung der Brisanz. Mögliche Themen könnten etwa sein: wenig Selbstvertrauen, Alltagsprobleme, Beziehungsprobleme, Identität, Sexualität/sexuelle Orientierung, Gr u p p e ndruck, Gewalt in der Familie oder unter Jugendlichen usw. Geben Sie diese gesammelten LeserInnenbriefe anschließend in Kuverts, die sie zukleben und evt. auch mit einer Redaktionsadresse versehen (an die „Rat aufdraht“-Redaktion u. Ä.). Losen Sie zu Beginn die Jungen zu Gruppen von drei bis fünf Personen (wie im „richtigen Leben“, so können sich auch diese Redaktionsteams ihre Kollegen nicht aussuchen). Erklären Sie anschließend, dass jede Kleingruppe ein Teil der „Rat aufdraht“-Zeitungsredaktion ist, die die Aufgabe hat, Briefe von LeserInnen zu beantworten, die um Hilfe und Rat bitten. Teilen Sie nun die vorbereiteten Briefe an die Kleingruppen aus, diese bekommen die Aufgabe, eine Antwort zu schreiben. Erklären Sie den Jungen, dass diese Antworten für die anfragenden Personen wichtig sind. Es bleibt dem Gruppenleiter überlassen, ob er den Gruppen jeweils einen oder auch mehrere Briefe zur Beantwortung gibt. Wenn die Jungen fertig sind, finden sie sich wieder in der Großgruppe zusammen und stellen die Anfrage und ihre Antwort vor. Bei der Besprechung der Antworten und Meinungen dazu können Sie nun die unterschiedlichen Ebenen eines Problems diskutieren: Welcher Aspekt erschien für die Jungen am dringlichsten, was haben sie zur „Lösung“ vorgeschlagen usw. Es ist weiters spannend zu besprechen, wie sich die Geschichte weiterentwickeln könnte, und was einzelne Jungen wohl an der Stelle des/der Hilfesuchenden tun würden. Jungenarbeit 18/61 3.7. WO BEKOMME ICH HILFE ZIEL: Erkennen von alltäglichen Hilfesituationen; Differenzierung von Hilfsangeboten und Unterstützungsbedarf; Informationen über Institutionen, die Unterstützung anbieten. DAUER: etwa 45 Minuten MATERIAL: Flipchart, Stifte, Moderationskarten DURCHFÜHRUNG Sie schreiben das Wort Hilfe auf einen Papierbogen, legen den Bogen und Stifte in die Mitte des Sesselkreises und laden die Jungen zu einem schriftlichen Brainstorming ein. Geben Sie genügend Zeit, damit die Jungen sich mit der Thematik vertraut machen können. Im Sesselkreis sitzend leiten Sie mit den Fragen ein: In welchen Situationen holt ihr euch Hilfe? In welchen Situationen holen sich Erwachsene, die ihr kennt, Hilfe? Sollten in den Antworten alltägliche Probleme fehlen, dann können Sie darauf hinweisen, dass man sich z. B. bei Problemen mit dem Durchlauferhitzer an einen Installateur/eine Installateurin wendet. Durch diese Übung soll deutlich werden, dass es eine breite Palette von Situationen gibt, in denen es absolut üblich ist jemanden um Unterstützung zu ersuchen. In einem weiteren Durchgang können Sie mit den Jungen erarbeiten, was die unterschiedlichen Kriterien sind, die helfende Personen zu erfüllen haben. Dabei können folgende Fragen hilfreich sein: Welche Fähigkeiten erwarte ich mir von einem Handwerker/einer Handwerkerin, von einem Arzt/einer Ärztin oder von einem Drogenberater/einer Drogenberaterin? Wenn ich eine Person nach dem Weg frage oder mit einer Person über meinen Liebeskummer reden möchte – was unterscheidet meine Beziehungen zu diesen Personen? Halten Sie jedes Kriterium auf einer Moderationskarte fest und legen Sie diese in den Sesselkreis auf den Boden. Wenn das Sammeln beendet ist, lassen Sie die Jungen die einander entsprechenden Kriterien zu Kategorien zusammenfassen. Durch diese Übung soll deutlich werden, dass wir an helfende Personen je nach Art der Unterstützung unterschiedliche Erwartungen haben. Als mögliche „Hausübung“ können die Jungen den Au ftrag bekommen, sich über Institutionen kundig zu machen, die Unterstützungsangebote für Jugendliche anbieten. Jungenarbeit 19/61 3.8. EINE NEUE STÄRKE FINDEN ZIEL: Die Jungen können im Rollenspiel verschiedene Strategien der Selbstbehauptung ausprobieren und so auch die verschiedenen Konsequenzen „erleben“. DAUER: 60–90 Minuten MATERIAL: „Was nun?“-Szenen oder eigene vorbereitete Szenen DURCHFÜHRUNG Teilen Sie die Jungengruppe in Kleingruppen. Jede Gruppe bekommt nun eine der unten stehenden Situationen, in denen ein Problem zu lösen ist. Als Übungsleiter empfiehlt es sich, selbst im Vorfeld Szenen zu aktuellen Themen oder Konflikten zu entwickeln. Jede Gruppe bekommt die Aufgabe, sich für die Szene (mindestens) zwei verschiedene Möglichkeiten zu überlegen, wie sich die Situation weiterentwickeln könnte. Anschließend spielen die Gruppen diese beiden Szenen vor. Diskutieren Sie danach den Verlauf der Szenen, was die einzelnen Personen in ihren Rollen zur weiteren Entwicklung beigetragen haben usw. Wichtige Fragen können hier sein: Was sind die Vorteile der ersten und zweiten Lösung? Was haben die Personen erreicht und auf welche Weise? War Gewalt im Spiel? Wenn ja, wo und von wem? Von welcher Figur in welcher Szene könnte man sich was „abschauen“? WAS NUN? Dein Bruder telefoniert gerade und du musst einen wichtigen und dringenden Anruf machen. Du hast dich schon seit Stunden für Konzerttickets angestellt, als sich jemand vor dir in die Reihe drängeln will. Ein Lehrer beschuldigt dich ungerechterweise, dass du bei einem Test geschummelt hast – und nimmt ihn dir weg. Deine Freunde drängen dich eine Party bei dir zu Hause zu feiern, weil deine Eltern gerade auf Urlaub sind. Du hast den Eltern aber versprochen, das nicht zu tun. Du freust dich schon seit Tagen auf einen Film im Fernsehen. Am Abend kommt deine Schwester mit Freunden/Freundinnen nach Hause, die sich auf eurem Fernseher ein Video ansehen wollen. Jungenarbeit 20/61 3.9. IMMER, MANCHMAL, NIE ZIEL: Mit den Jungen über sexuelle Belästigung und andere Formen von übergriffigem Verhalten reden, um darzustellen, dass Belästigungen oft vom Kontext abhängen, in dem sie geschehen; thematisieren, dass ungleiche Machtverhältnisse eine Schlüsselbedingung für Belästigungen sind. DAUER: etwa 60 Minuten MATERIAL: Arbeitsblätter zum Thema sexuelle Belästigung; Manchmal-Immer-NieZettel im Raum; Flipchart DURCHFÜHRUNG Erklären Sie den Jugendlichen, dass es um das Thema (sexuelle) Belästigung und Übergriffe gehen wird. Die Menschen haben oft unterschiedliche Ansichten davon, welches Benehmen und Verhalten eine Form der (sexuellen) Belästigung darstellt. Geben Sie das erste Arbeitsblatt aus, das die Jugendlichen in Zweiergruppen bearbeiten sollen. Darin finden die Jungen eine Liste von Situationen, die eine solche Belästigung / einen solchen Übergriff darstellen können. In den Zweierteams sollen sie diskutieren und einschätzen, ob das Verhalten ihrer Meinung nach „Immer“, „Manchmal“ oder „Nie“ eine Belästigung darstellt. Geben Sie den Jungen zehn Minuten Zeit, das Arbeitsblatt auszufüllen. WeisenSie auch darauf hin, dass es hier nicht um richtige oder falsche Antworten geht. Falls sich die Jungen beim Beantworten uneinig sind, sollen sie versuchen zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Während die Jungen das Blatt beantworten, markieren Sie im Raum eine „Manchmal“-, eine „Immer“- und eine „Nie“-Ecke. Gehen Sie nun mit der Gr o ß g r u p p e die Liste durch und fragen Sie bei jedem Verhalten, welche Meinungen vertreten werden. Je nach Meinung sollen sich die Jungen in die entsprechende Ecke im Raum stellen. Anschließend sollen sie ihre Position argumentieren. Die Dreiteilung bietet hier den Vorteil, dass bei hitzigen Diskussionen zwischen zwei Parteien, eine Ecke eine Beobachterrolle einnehmen kann (als Variation können Sie vor dem Diskutieren eine Rotation der Gr u p p e n im Uhrzeigersinn machen, die Jungen sollen dann unabhängig von ihrer Meinung Argumente für den Platz sammeln, auf dem sie stehen). Schreiben Sie während der Diskussion die Schlagwörter oder Phrasen auf, mit denen die Jungen die genaueren Umstände ihrer Antwort beschreiben (etwa: „Kommt darauf an, wer es sagt?“; „Der Tonfall ist wichtig“; „Wo es passiert, ist wichtig“; „Ist eine Anspielung enthalten?“; „Wer hat die Macht in der Situation?“). Sie können die Antworten kurz kommentieren oder bestimmte Inputs liefern, versuchen Sie aber nicht zu jedem Punkt ein langes Statement abzugeben. Die Dinge sollen von selbst sichtbar werden, wenn der Fragebogen durchgegangen wird. Es empfiehlt sich bei dieser Übung, als Gruppenleiter die Ergebnisse abschließend auf dem Flipchart noch einmal zusammenzufassen. Sie werden vermutlich sehr viele Ergebnisse in der „Ma n c h m a l “ Kategorie haben. Es geht insgesamt darum festzustellen, dass es nicht immer eine genau abgegrenzte Sachlage gibt. Sie sollten dabei besonders betonen, dass es der entscheidende Punkt bei der Frage der Belästigung ist (unabhängig ob diese in einer sexuellen und/oder gewalttätigen Form auftritt), ob das Verhalten von der betroffenen Person erwünscht ist oder nicht. Die Si t u a t i o n s d e fi n i t i o n der handelnden Person spielt dabei keine bzw. eine untergeordnete Rolle. Machen Sie bei der Besprechung und Rückmeldung klar, dass Jungenarbeit 21/61 (sexuelle) Belästigung Aussprüche und Taten inkludiert, die von der angesprochenen Person unerwünscht sind; die Arbeits- und Lernmöglichkeiten einer Person einschränken (etwa in Form eines vergifteten Arbeitsklimas); eine Form der sexuellen Diskriminierung darstellen, etwa als Sexismus oder als Abwertung bestimmter sexueller Orientierungen; einen Ausdruck von geschlechtsrollenbezogener Macht, Kontrolle und Autorität darstellen; Menschen und insbesondere Frauen auf ihren Körper reduzieren. Achten Sie darauf, dass es für einige Jugendliche in der Gruppe überraschend und neu sein kann, dass bestimmte Verhaltensweisen eine Belästigung darstellen können (etwa Aktbilder an der Wand). WAS IST BELÄSTIGEND? Arbeitsblatt zu Übung Bitte beurteilt auf dem folgenden Arbeitsblatt ( ), ob ihr das Verhalten „Immer“, „Manchmal“ oder „Nie“ als belästigend bezeichnen würdet. Bitte überlegt euch auch die Gründe für eure Antwort. Immer | Manchmal | Nie 1. Kommentare über das Aussehen, den Körper oder die Kleidung 2. Gelegentlicher Körperkontakt, z. B. Umarmen, Tätscheln 3. Abfällige Kommentare über Schwule und Lesben 4. Witze mit sexuellem Inhalt 5. Jemandem nachpfeifen 6. Anstarren des Körpers einer anderen Person 7. Einladungen miteinander auszugehen 8. Obszöne Telefonanrufe 9. Verwenden von Worten wie „Hure“‚ „Fotze“, „Beidl“ usw. 10. Aktfotos in Schränken oder an der Wand 11. Schmierereien/Graffiti über Frauen oder Schwule Jungenarbeit 22/61 Bitte beurteilt auf dem folgenden Arbeitsblatt (x), ob ihr das Verhalten „Immer“, „Manchmal“ oder „Nie“ als belästigend bezeichnen würdet. Bitte überlegt euch auch die Gründe für eure Antwort. Immer Manchmal Nie Kommentare über das Aussehen, den Körper oder die Kleidung 2. Gelegentlicher Körperkontakt, z. B. Umarmen, Tätscheln 3. Abfällige Kommentare über Schwule und Lesben 4. Witze mit sexuellem Inhalt 5. Jemandem nachpfeifen 6. Anstarren des Körpers einer anderen Person 7. Einladungen miteinander auszugehen 8. Obszöne Telefonanrufe 9. Verwenden von Worten wie „Hure“, „Fotze“, „Beidl“ usw. 10. Aktfotos in Schränken oder an der Wand 11. Schmierereien/Graffiti über Frauen oder Schwule 1. Jungenarbeit 23/61 3.10. GESCHICHTEN FORTSETZEN ZIEL: Einüben einer empathischen Haltung; Erkennen und Differenzieren von verbalen, psychischen und physischen Grenzverletzungen; Wahrnehmung des alltäglichen Se x i s m u s . DAUER: etwa 50 bis 100 Minuten MATERIAL: Arbeitsblätter 1 bis 4 DURCHFÜHRUNG Teilen Sie die Gruppe in vier Kleingruppen und geben Sie jeder eines der vorbereiteten Arbeitsblätter. Jede Gruppe soll nun für die vorgegebene Situation Fortsetzungen finden. Diese sind in Stichworten festzuhalten. Nach Fertigstellung einigt man sich darüber, wer welche Fortsetzung im Plenum präsentiert. Nach der Präsentation sollen einige der Szenen gespielt werden. Dabei bestehen verschiedene Möglichkeiten: Eine Szene wird mehrere Male in unterschiedlicher Besetzung gespielt. Der gleiche Beginn wird mit mehreren Fortsetzungen (auch spontanen) gespielt. Die gleiche Szene wird mit Rollentausch gespielt. Eine Szene wird gespielt, reflektiert und mit den Reflexionsergebnissen in gleicher Besetzung noch einmal gespielt. GESCHICHTE 1 Arbeitsblatt zu Übung 15 Maria ist Studentin. Sie hat vor kurzem einen Job als Kellnerin in einem Restaurant in der Nähe der Uni angenommen. Jason – ihr Vorgesetzter und etwa zehn Jahre älter – ist Maria beim Einarbeiten sehr behilflich. Er nimmt jede Gelegenheit wahr, sie in die Abläufe des Betriebes einzuweihen, ihr Dinge zu erklären und dafür zu sorgen, dass sie sich wohl fühlt. An einigen Nachmittagen in den ersten beiden Wochen hat Jason sie um Aushilfe gebeten, weil viel zu tun war. Maria hat gerne zugesagt und geholfen. Am Anfang ging alles gut. Maria hat viel gelernt und sie haben gemeinsam eine Menge Papierkram erledigt. Am dritten Nachmittag – als er mit Maria alleine war – sagt Jason: „Schon seit ein paar Tagen will ich dir sagen, wie hübsch du bist. Auch die anderen Männer haben das schon gesagt. Und unlängst ist sogar ein Gast zu mir gekommen und hat mir zu der Kellnerin mit der tollen Figur gratuliert.“ Wie könnte sich diese Geschichte weiterentwickeln? Versucht eine Fortsetzung zu finden, die für Maria unangenehm wird. Versucht eine Fortsetzung zu finden, die für Jason unangenehm wird. Gibt es eine „gute Lösung“? GESCHICHTE 2 Arbeitsblatt zu Übung 15 Peter und Karola gehen in die 5. Klasse. Peter wollte von Anfang an einmal mit Karola ausgehen. Immer wieder versucht er sich mit ihr zu verabreden. Sie hat kein Interesse an Peter und möchte mit ihm nicht ausgehen. Mit allen möglichen Ausreden und Entschuldigungen versucht sie ihm das zu vermitteln. Obwohl Karola auch schon einmal klipp und klar „nein“ zu Peter gesagt hat, wird er immer ungehaltener und lässt nicht locker. Eines Tages steht Karola bei ihrem Garderobenkästchen, als Peter entschlossen auf sie zukommt. Wie könnte sich diese Geschichte weiterentwickeln? Versucht eine Fortsetzung zu finden, die für Karola unangenehm wird. Versucht eine Fortsetzung zu finden, die für Peter unangenehm wird. Gibt es eine „gute Lösung“? Jungenarbeit 24/61 GESCHICHTE 3 Arbeitsblatt zu Übung 15 Herr Huber ist ein beliebter Englischlehrer. Im letzten Jahr hat er eine besondere Aufmerksamkeit für Manuela entwickelt. Er ist stets in ihrer Nähe, beugt sich über sie oder legt seinen Arm über ihre Schulter, wenn er ihr etwas erklärt. Eines Nachmittags bittet er sie nach dem Unterricht noch kurz zu bleiben, weil er vom letzten Test noch etwas mit ihr besprechen wolle. Als sie alleine sind, meint er, dass er wegen ihrer Noten in letzter Zeit besorgt sei und ihr gerne helfen würde ihre Schreibleistungen zu verbessern. Während Herr Huber spricht, kommt er immer näher an Manuela heran. Wie könnte sich diese Geschichte weiterentwickeln? Versucht eine Fortsetzung zu finden, die für Manuela unangenehm wird. Versucht eine Fortsetzung zu finden, die für Herrn Huber unangenehm wird. Gibt es eine „gute Lösung“? GESCHICHTE 4 Arbeitsblatt zu Übung 15 Herr Müller ist ein Mathematiklehrer, den fast niemand leiden kann. Er ist nicht nur langweilig, äußerst streng und ohne Einfühlungsvermögen, sondern auch noch extrem sarkastisch. Er neigt dazu, die Mädchen in der Klasse abwertend zu behandeln. Bei verschiedenen Gelegenheiten sagt er, dass er nicht wisse, weshalb man Mädchen überhaupt in Mathematik unterrichtet. Auch heute steht Herr Müller vor der Klasse und hält einen Vortrag darüber, dass jedermann weiß, dass Frauen kein Raumvorstellungsvermögen besitzen und sie nach der Schule Mathematik sowieso nicht mehr brauchen würden, weil sie dann ohnehin heiraten und Kinder kriegen. Plötzlich meldet sich ein(e) Schüler(in) zu Wort: „…“ Wie könnte sich diese Geschichte weiterentwickeln? Versucht eine Fortsetzung zu finden, die für die Mädchen unangenehm wird. Versucht eine Fortsetzung zu finden, die für die Burschen unangenehm wird. Versucht eine Fortsetzung zu finden, die für Herrn Müller unangenehm wird. Gibt es eine „gute Lösung“? Jungenarbeit 25/61 3.11. TOLERANZGRENZE ZIEL: gewalttätige Verhaltensweisen und Grenzüberschreitungen erkennen lernen. DAUER: etwa 60 Minuten MATERIAL: Die in Streifen geschnittenen Verhaltensweisen des Arbeitsblattes in einem Umschlag (halb so viele Umschläge wie Gruppenteilnehmer), vorbereitetes Flipchart-Papier mit „OK–Nicht-OK“-Kontinuum, einen Stift pro Kleingruppe, genügend Klebeband oder Kleber für die Kleingruppen. DURCHFÜHRUNG Bereiten Sie für diese Übung für jedes Zweierteam einen großen Papierbogen vor, auf dem Sie eine lange Linie mit den beiden Polen „OK“ zu „Nicht-OK“ eingezeichnet haben. Markieren Sie auch die Mitte dieses Kontinuums. Skizze: OK NICHT OK Teilen Sie die Gruppe in Zweierteams. Jede Gruppe erhält einen Bogen vorbereitetes Flipchart-Papier, einen Stift und einen Umschlag mit den angeführten Verhaltensweisen eines erfundenen Mannes Hombre, die sie aus dem Arbeitspapier ausgeschnitten haben. Erklären Sie den Jungen, dass dies eine Strecke mit zwei Polen ist, von einem „O K “ - Pol auf der linken Seite zu einem „Nicht-OK“-Pol ganz rechts auf der anderen Seite. Nun sollen die Zweierteams die angeführten Verhaltensweisen aus dem Kuvert nehmen. Die Jungen haben die Aufgabe, das Verhalten eines erfundenen Mannes (Hombre) zu beurteilen, je nachdem ob sie dieses eher „OK“ oder eher „Nicht-OK“ finden. Der Strich in der Mitte markiert den Umschlagspunkt von der einen zur anderen Seite. Die Jungen sollen den Papierstreifen mit dem jeweiligen Verhalten entlang der aufgezeichneten Strecke an der Position aufkleben, die für sie passend erscheint (je eher sie das Verhalten „Nicht-OK“ finden, desto weiter rechts sollen sie den Streifen aufkleben etc.). Sollten sich die beiden Jungen im Team uneinig sein, sollen sie versuchen zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Die Zweierteams sollen sich jetzt in der Großgruppe zusammenfinden und ihre Plakate vorstellen bzw. vergleichen. Folgende Fragen können bei der Auswertung interessant sein: Welche Unterschiede gab es in der Reihung der Verhaltensweisen und weshalb? Bei welchem Verhalten waren sich alle eher einig und wo nicht? Woran liegt das? Inwiefern handelt es sich beim Verhalten auf der rechten (der „Nicht-OK“) Seite um Gewalt? TOLERANZGRENZEN Vorlage zu Übung Hombre wird trotzig und reagiert beleidigt, wenn seine Partnerin mit einem anderen Mann spricht. Hombre kritisiert die Kleidung seiner Partnerin. Hombre zieht sich wortlos zurück, wenn er mit seiner Partnerin Streit hat. Hombre mag es Freunde zu erschrecken, indem er waghalsig mit dem Auto fährt. Hombre regt sich über Kleinigkeiten fürchterlich auf. Hombre denkt, es ist die Aufgabe des Mannes, für sich und seine Partnerin Entscheidungen zu fällen. Hombre beschimpft seine Partnerin, wenn sie einen Fehler gemacht hat. Hombre ist der Meinung, dass er über die Freizeit seiner Partnerin bestimmen kann. Hombre benimmt sich extrem behütend gegenüber seiner Partnerin. Hombre will immer genau wissen, was seine Partnerin tut. Jungenarbeit 26/61 Hombre droht damit seine Partnerin zu schlagen. Hombre bedroht die Freunde und Freundinnen seiner Partnerin. Hombre schlägt die Haustiere. Hombre zertrümmert öfters zu Hause Gegenstände. Hombre schlägt seine Partnerin zum ersten Mal. Jungenarbeit 27/61 3.12. SEXUALITÄT, GRENZEN UND GEWALT ZIEL: Sexistische Mythen und Vorannahmen rund um Sexualität; Grenzüberschreitungen und Gewalt transparent zu machen. DAUER: etwa 90 Minuten MATERIAL: Ja/Nein-Seiten im Raum; Arbeitsblatt Mythenquiz DURCHFÜHRUNG Diese Übung kann dafür genützt werden, sexistische und gewalthaltige Mythen bezüglich Sexualität und sexueller Gewalt zur Diskussion zu stellen. Wichtig ist, dass die Jungen im Laufe der Diskussion darüber nachdenken, ob es sich bei der einen oder anderen Me i n u n g nicht vielleicht um einen Mythos handelt: eine – sachlich unrichtige – Überzeugung oder Einstellung, die viele Menschen im Geheimen teilen, ohne sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass jeder in seinem Leben immer wieder bestimmten Mythen und allgemeinen Vorurteilen aufsitzt, weshalb es wichtig ist, bestimmte Themen immer wieder zu reflektieren. Teilen Sie den Raum in eine „Ja“- und eine „Nein“Seite (am besten wird dies mit jeweils einem A4-Zettel markiert, der auf die jeweilige Seite gehängt wird). Anschließend sollen sich die Jungen zunächst in der Mitte des Raumes aufstellen. Erklären Sie den Jungen, dass bei den folgenden Diskussionen für jede Seite ein Gruppensprecher bestimmt wird, die beiden Sprecher diskutieren danach in der Mitte miteinander. Jeder Junge in der Gruppe aber auch die Sprecher haben die Möglichkeit eine „Aus-Zeit“ zu beantragen, die für weitere Beratungen mit der Gruppe genutzt werden kann. Der Übungsleiter liest nun jeweils ein Statement vor, die Jungen sollen sich je nach ihrer Meinung dazu auf die entsprechende Seite im Raum stellen. Danach sammelt die Gruppe für ihre Position Argumente, bestimmt einen Gruppensprecher – diese treffen sich in der Mitte zur Diskussion (s. o.). Wenn die Diskussion erschöpft scheint, sammeln sich die Jungen wieder in der Mitte (das ist gut, um innerlich wieder etwas Abstand zu gewinnen, die Jungen können sich auch kurz zur Entspannung ausschütteln). Sollte die ganze Gruppe einer Meinung sein, kann ein Junge oder der Übungsleiter die Ge g e n p o s i t i o n vertreten („advocatus diavoli“). Sie können auch einige Fragen in die Diskussion einwerfen – etwa welche Folgen es hat, wenn „Mann“ mit dieser oder jener Einstellung durch die Welt läuft (etwa im Umgang mit dem anderen Geschlecht). Wenn es angemessen erscheint, können auch die Jungen eigene Mythen zur „Abstimmung“ stellen. All dies kann auch einen Ausgangspunkt für Rollenspiele bieten, wo mit verschiedenen Vorannahmen unterschiedlich verlaufende Szenen durchgespielt werden. SEXUALITÄT, GRENZEN UND GEWALT Vorlage zu Übung Wenn ein Mädchen mit einem Jungen nach Hause geht, will es Sex haben. Mädchen sind beeindruckt, wenn die Jungen den „Ton“ angeben. Eine Frau kann von ihrem Ehemann/Partner vergewaltigt werden. Sex ist ein Zeichen für Liebe. Eifersucht ist ein Zeichen von Liebe. Wenn ein Mädchen aufreizend gekleidet ist, dann ist es auf Sex aus. Mädchen stört es, wenn Jungen besonders wild sind. Man kann einen Vergewaltiger nicht an seinem Äußeren erkennen. Wenn eine Frau oder ein Mädchen sich beim Sex nicht wehrt, dann kann es keine Vergewaltigungs sein. Buben können Opfer von sexueller Gewalt werden. Die meisten sexuellen Übergriffe werden von Fremden begangen. Jungenarbeit 28/61 Ist ein Junge einmal erregt, dann muss er Sex haben. Mädchen macht es Spaß, wenn Jungen sie ausgreifen. Mädchen stört es nicht, wenn man sie als „Hure“ oder „Fotze“ bezeichnet. Wenn jemand auf eine Beleidigung nicht reagiert, stört es ihn/sie nicht. WEITERE MYTHEN UND THESEN: Jungenarbeit 29/61 3.13. DOMINANTES BEZIEHUNGSVERHALT E N ZIEL: Grenzverletzungen und dominantes Verhalten in Beziehungen thematisieren DAUER: etwa 60 Minuten MATERIAL:,Arbeitsblatt Stopp-Geschichte Schulfest; „Sabine“-, „Karl“- und „Gerhard“Ecken im Raum DURCHFÜHRUNG Bilden Sie drei Kleingruppen, die sich jeweils in einer Ecke des Raumes aufstellen. Diese drei Positionen stehen für drei Personen: Sabine, Karl und Gerhard. Erklären Sie den Jungen, dass Sie nun eine Geschichte vorlesen werden, wobei Sie diese immer wieder kurz unterbrechen werden. Die Gruppen haben die Aufgabe, sich in „ihre“ Figur hineinzuversetzen d. h. sich zu überlegen, wie es der Person wohl geht usw. Sie werden bei jeder Unterbrechung die Meinungen zum Befinden der Personen erfragen. Beginnen Sie nun die Geschichte bis zum ersten Stopp vorzulesen. Fragen Sie anschließend jede Gruppe: Wie geht es der Person wohl gerade? Was würde sie gerne als nächstes tun? Wie könnte die Geschichte weitergehen? Wenn Sie alle drei Positionen befragt haben, setzen Sie die Geschichte bis zum nächsten „Stopp“ fort, und wiederholen Sie das Befragen. Wenn die Geschichte zu Ende ist, kann in der Großgruppe noch einmal über die Szene diskutiert werden: Was genau ist in der Szene passiert? Welche Grenzverletzungen sind passiert? War Gewalt im Spiel und wo war das? Ist die Geschichte zu einem „guten“ Ende gekommen? Wann und wo hättet ihr euch anders verhalten? Die Diskussion in der Großgruppe kann zu einigen „Aha“-Erlebnissen in Bezug auf Grenzverletzungen und Gewalt führen. Sie können mit den Jungen auch darüber reden, ob sie selbst solche oder ähnliche Situationen schon erlebt haben. STOPP-GESCHICHTE SCHULFEST Arbeitsblatt zu Übung Sabine und Karl sind seit einiger Zeit zusammen. Diesen Freitag gehen sie zu einem Fest. Karl verbringt an diesem Abend die meiste Zeit mit seinen Freunden. Als Sabine gerade mit ihren Freundinnen spricht, fordert sie ihr Schulkollege Gerhard zum Tanzen auf. STOPP Sie tanzen zu einem schnellen Lied. Danach besorgt sich Sabine Popcorn und setzt sich zu Freunden an den Tisch. Gerhard blickt ihr nach, bleibt aber auf der Tanzfläche. STOPP Karl setzt sich zu Sabine. Er befiehlt ihr ihren Pullover anzuziehen, da ihre Bluse zu eng sei. STOPP Sabine gehorcht und zieht ihren Pullover an. Karl fragt, ob sie diese Bluse für Gerhard trägt. STOPP Sabine sagt ihm, er soll aufhören, sich wie ein Trottel zu benehmen. Als sie aufsteht, um zu gehen, hält sie Karl am Arm fest. Sabine reißt sich los und verlässt das Lokal. Gerhard beobachtet die Szene aus einiger Entfernung. STOPP Kurz darauf läuft ihr Karl nach und bittet sie um Verzeihung und sagt, dass er das nicht so gemeint habe, aber er hat gesehen, wie Gerhard sie angestarrt hat. Karl verspricht, dass das nie wieder passiert. STOPP Sie umarmen einander. Beim Weitergehen sagt Karl: „Wenn du mich nicht so verrückt machen würdest, würde ich nicht so ausrasten.“ STOPP Jungenarbeit 30/61 3.14. Talkshow für Buben Materialien: Rollenkärtchen, Notizzetteln und Stifte. Eventuell Materialien zum Verkleiden und wenn vorhanden eine Videokamera. Für die Talkshow sind 6 verschiedene Rollen vorzubereiten: Moderator Leo, 15 Jahre Vater, 41 Jahre Mutter, 40 Jahre Stefan, 15 Jahre, bester Freund Katrin, 28 Jahre, Leiterin eines Kindergartens Die Rollen werden vorgestellt und verteilt. Alle diejenigen, die sich dieselbe Rolle aussuchen bilden eine Kleingruppe und erarbeiten gemeinsam auf Notizblättern alle Argumente, die Ihnen einfallen, um ihre Rolle möglichst gut zu spielen. Die Rolle des Moderators ist eine ganz entscheidende, von ihm hängt das Gelingen der Show maßgeblich ab. Danach wird die Talkshow so oft durchgeführt, bis alle Buben an die Reihe gekommen sind. Sollte die Schülerzahl nicht passen, können Rollen weggelassen oder zweimal von demselben Buben gespielt werden. Vorschläge zum Weiterarbeiten Zum Abschluss werden im Plenum noch einmal die gefallenen Argumente rekapituliert, bzw. wird die Videoaufzeichnung durchgesehen und bei entscheidenden Argumenten kurz gestoppt und besprochen. Jungenarbeit 31/61 3.15. Handydrehen Organisatorisches: Alter: Gruppengröße: Zahl der benötigten Helfer: Dauer der Aktion: Material: egal, 14 – 18 Jahre geht gut 10 bis 15 ist ideal 10 bis 15 ist ideal 30 – max. 60 Minuten Handy und vorbereitete Karten mit Stichwörtern, Blatt für Plan oder angefertigtes Spielbrett Ziel: Es gibt Situationen, in denen soll aus pädagogischen Gründen in der Jungengruppe über spezielle Themen gesprochen werden. Die Übung hat das Ziel, die Jungen zu ersten Gedanken hinsichtlich verschiedener Stichworte eines Themas zu motivieren und in der Gruppe mitzuteilen. Zielerreichung: Die Übung ist hinsichtlich des Aktivierungs- und Motivationsziels erfolgreich, wenn sich relativ schnell jemand findet, der das Handy drehen möchte oder eine Gruppendynamik entsteht, dass die Jungs untereinander spontan ausmachen, wer als Nächster an der Reihe ist. Erfolgreich ist die Übung außerdem dann, wenn die Jungs spontan ihre Meinungen / Erfahrungen / Ideen / Wünsche äußern und die Form der „Moderation“ durch das Handydrehen mehr in den Hintergrund rückt. Umsetzung: Es wird ein Spielplan vorbereitet, der ähnlich wie eine Torte in Felder aufgeteilt ist. In den Feldern befinden sich mehrere Karten. Die Karten sind auf einer Seite mit Stichworten zum entsprechenden Thema beschriftet. In die Mitte kommt ein Handy. Das Handy wird gedreht. Kommt es zum Stillstand, wird die Karte vom Feld genommen, auf die das Handy zeigt. Zunächst macht das ein Junge, der dem angezeigten Feld am nächsten sitzt. Er liest das Stichwort vor. Der Betreuer stellt zum Stichwort eine Frage. Danach erfolgt ein kleiner Austausch. Der Junge, der die Karte gezogen hat, dreht nun erneut das Handy usw. Sonstiges Mit dem Handy kann man Jungs sehr leicht gewinnen, in Kommunikation zu treten. Es kann eine Art Türöffner sein. Arnfried Böker von der Landesstelle Kinder- und Jugendschutz hat viele spiel- und medienpädagogische Übungen entwickelt und erprobt, die für die sozialpädagogische Arbeit / Freizeitarbeit hilfreich sein können. Die Methoden wurden in zwei Büchern veröffentlicht: - "Spiel-Spaß-Wissen - Das Handy-Spielebuch" Die ISBN lautet 3-938142-70-7. (7,20 Euro). - "Spiel-Spaß-Wissen - Das Handy-Projektebuch" Die ISBN lautet 978-3-939665-29-8. (8,00 Euro). Kontaktdaten: Landesstelle Kinder- und Jugendschutz Sachsen-Anhalt e.V. Arnfried Böker Freiligrathstraße 11 39108 Magdeburg Jungenarbeit 32/61 Tel.: 0391 - 73 46 2 46, Handy: 0177 437 6006 www.jugend-lsa.de/jugendschutz, www.handywissen.info, Sie wollen vergleichen? --> www.jugendschutz-uebersicht.de Quelle: Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe LSA e.V. Liebigstraße 5, 39104 Magdeburg, Telefon: 0391/6310556, E-Mail: [email protected] Jungenarbeit 33/61 3.16. Jungenkochgruppe Jungenkochgruppe Getragen von dem Grundsatz »Kochen ist kommunikativ, macht Spaß, schmeckt gut und tut gut.« existierte knapp 5 Jahre lang eine Kochgruppe der Evangelischen Jugend Worpswede von anfangs sieben Jungen im Alter von 15 Jahren. Die Gruppe fand sich eher zufällig: Ich wollte mit einer Jungengruppe für ein Wochenende wegfahren. Es meldeten sich jedoch nur diese sieben Jungen. Zu wenige, um wegzufahren. Stattdessen trafen wir uns und haben Pizza gebacken. Von dem Kochergebnis waren wir alle so begeistert, dass wir uns wieder verabredeten, um zu kochen. Und so ging es weiter. Wir haben gekocht, uns dabei unterhalten, gegessen und uns überlegt, was wir beim nächsten Mal kochen wollen. Anfangs besorgte ich das Rezept und kaufte ein. Später übernahm immer einer der Jungen diese Aufgaben. Höhepunkte der Kochgruppe waren so genannte »Bistro-Abende« in der »Scheune«, dem Ev. Jugendzentrum. Hier ging die Gruppe mit ihren Kochkünsten an die Öffentlichkeit und präsentierte französische, italienische und asiatische Küche. Dort erhielten die Jungen viel Anerkennung von den Gästen. Außerdem war es der lokalen Presse jedes Mal wert, über die Gruppe im Rahmen der Bistro-Abende ausführlich zu berichten. Neben Grünkohl, Spaghetti, Reispfanne, Kartoffelsuppe oder Gulasch waren jedes Mal die Gespräche beim Kochen wichtig. Schule, Klassenfahrt, Freundin, Auseinandersetzungen mit den Eltern und später Ausbildung oder Berufswahl waren Themen, die die Treffen bestimmten. In dieser Jungengruppe konnte ich mehrere Ziele verfolgen. Mit dem Thema der Gruppe bewegten wir uns in einem Feld, das traditionell den Mädchen und Frauen zugeschrieben wird. So wurde die Gruppe von außen anfangs auch skeptisch betrachtet und belächelt. Als sie sich mit den Bistro-Abenden jedoch etabliert hatte, gab es eher anerkennende Bemerkungen. Hiermit ließ sich das traditionelle Männerbild in diesem kleinen Ausschnitt in Frage stellen und das Rollenbild von Jungen und Männern erweitern. Die Jungen konnten das Kochen als Fähigkeit verbuchen und haben mit dieser praktischen Tätigkeit etwas »für‘s Leben gelernt, was sie auch gebrauchen können.« Die Kochgruppe bot den Jungen einen Raum, in dem sie von mir, einem erwachsenen Mann, begleitet wurden. Sie konnten Hilfe und Unterstützung bei den Problemen des Jungeseins und Mannwerdens bekommen. Zu den oben schon genannten Themen gab es Gespräche, Fragen und Tipps, die die Jungen untereinander austauschten oder zu denen sie ausdrücklich meine Einstellung wissen wollten. So ist in der Kochgruppe ein Raum entstanden, in dem die Jungen sich für Leib und Seele versorgt haben. Dabei entdeckten sie, dass gemeinsam zu kochen sehr kommunikativ ist, Spaß macht, gut tut, und dass das Zubereitete gut schmeckt. Heiko Lucht, Diakon, Worpswede Jungenarbeit 34/61 3.17. Bauanleitung „Rough-Sticks“ Ich unterrichte als Lehrer an einem Gymnasium im Sauerland und bin seit 2 Jahren in der Jungenarbeit tätig. Im Laufe verschiedener Fortbildungen habe ich auch die Original "Batakas" kennen gelernt. Für die Jungenarbeit fand ich sie sehr geeignet aber unser immer viel zu knappes Schulbudget erlaubte nicht den Kauf der (recht teueren und auch etwas empfindlichen) Geräte. Nach längerem Überlegen und probieren habe ich deshalb die so genannten "Rough-Sticks" entwickelt. Sie sind billig und einfach mit Materialien aus dem Baumarkt herzustellen, die Jungs können sie selbst anfertigen (man kann sie ihnen sogar nach den Projekttagen mit nach Hause mitgeben!). Nachbesprechungen mit Jungengruppen haben ergeben, dass genau dieser Aspekt den Jungs besonders gut gefallen hat. Die Bauanleitung stellt im Wesentlichen einen Vorschlag dar, da die Sticks technisch sicherlich noch viele Möglichkeiten bieten. So hat z.B. ein Junge den Kampfstock komplett mit Klebeband eingewickelt - was die Haltbarkeit deutlich erhöht (im Normalfall hält ein RoughStick ca. 3 Vormittage harten Einsatz aus) aber die Schläge deutlich schmerzhafter macht (was in bestimmten Jungengruppen durchaus sinnvoll sein kann). Ich wünsche jedem Jungenarbeiter viel Spaß beim kreativen Einsatz und würde mich über Rückmeldungen aus der Praxis freuen. Material für 2 Stöcke 3 Stück Schaumstoff-Rohrisolierung zu je 1 m oder 1 Stück Schaumstoff-Rohrisolierung aus dem Installationsbedarf (Innendurchmesser passend für Isolierrohr!) = Elektro-Isolierrohr 25 mm x 2 m (reicht für 6 Stöcke) = Kleber (UHU o.ä.) = 1 Rolle Kunststoff-Klebeband, 10 m (reicht für ca. 6 Stöcke) = 1 Kartusche Billigst-Silikon oder Acryl (hierfür kann man auch abgelaufene und daher verbilligte Ware verwenden!) = Summe / ca. Preis pro Stockpaar ca. 3,00 ø 1,99 ø 1,95 ø 3,99 ø ca. 0,99 ø 11,92 ø ø / 5,00 ø Als Werkzeug reichen: Bauanleitung Das Isolierrohr auf 2 Stücke mit jeweils ca. 30 cm Länge kürzen. Die untere Hälfte des Rohrstückes mit Silikon ausspritzen (nicht mehr, da das Rohr sonst nicht mehr flexibel ist und beim Schlag schmerzhaft wirkt!). Die Schaumstoffrohre auf 6 Stücke mit jeweils ca. 40 cm Länge zurechtschneiden. Am Ende eines Schaumstoffrohrs innen gut (!) Kleber auftragen und auf ca. 1/2 der Länge des Isolierrohrs aufschieben (als zusätzliche Sicherung eventuell noch kräftig mit Klebeband umwickeln – manchmal lösen sich nämlich die Rohre beim Kampf vom Griff, z.B. bei ungenügender Trocknung oder einem ungeeigneten Kleber!). Nach dem Antrocknen des Klebers das zweite und dritte Stück Schaumstoffrohr der Länge nach an der vorhandenen "Sollbruchstelle" auftrennen. Bei einem auf ganzer Länge ca. 2 cm vom Durchmesser Jungenarbeit 35/61 abschneiden. Dann beide Stücke innen ganzflächig mit Kleber bestreichen und kräftig um das erste Rohrstück herumwickeln, so dass sie bündig aneinander anschließen. Sofort danach die ganze Konstruktion am Übergang der Rohre zum Griffstück, in der Mitte und an der Spitze kräftig mit Klebeband umwickeln, damit der Kleber hält. Die Stöcke brauchen mindestens einen Tag zum vollständigen Austrocknen (v.a. das Acryl – das kann beim Kampf bei zu kurzer Trockenzeit dann schon mal herausspritzen!) Jungenarbeit 36/61 4. Filme und Internet Seiten 4.1. Filme 4.1.1. "Play Life" Ein Film übers Computerspielen http://www.medienprojekt-wuppertal.de 2007, 40 Min, freigegeben ab 12 Jahren, als DVD oder Video erhältlich. Kaufpreis jeweils 30.- €, Ausleihe 10.- € Der Film porträtiert verschiedene Computerspieler im Alter von 15 bis 25 Jahren. Sie beschreiben was und wie häufig sie spielen und was sie motiviert: Von Egoshooter- über Onlinerollenspiele bis hin zum Partyspiel stellen sie die Games vor, mit denen sie sich beschäftigen. Im Vordergrund steht für sie der emotionale Kick, Spaß zu haben, Stress zu vergessen, abzuschalten. Bezüglich des Abtauchens in »andere« Welten werden die Zusammenhänge und Wirkungsfolgen zwischen der realen und der virtuellen Welt reflektiert und problematisiert. Die Jugendlichen beschreiben ihre unterschiedlichen Spiel-Settings auf LAN-Partys mit und gegen »reale« Freunde, in weltweiten Clans im Internet, beim Zocken im Internetcafe oder alleine zu Hause. Der Film problematisiert zwei entscheidende Fragen des Computerspielens: Wie steht die Computerspielsucht im Zusammenhang mit der Vernachlässigung des Sozialen. Spielen die Jugendlichen, weil sie wenig soziale Kontakte haben oder schafft das exzessive Spielen diese Vereinsamung erst? Zum anderen befragen sich die Jugendlichen zu gewaltimmanenten Computerspielen: zur Darstellung von Gewalt, zum Töten, zur eigenen Teilnahme daran. Sie erzählen, dass und wie diese Gewaltdarstellungen ihnen Spaß machen, weil sie nicht real sind. Für das Ausleben von Phantasien in virtuellen Welten sind das Schocken und der Kick durch Gewalt wichtige Spielmotivationen. Die Selbsteinschätzung der jugendlichen Spieler ist: Sie selber werden nicht aggressiv, wenn sie aggressive Spiele spielen. Die Altersfreigabe der Spiele erzeugt aus Sicht der Jugendlichen kaum Schutz, da jeder bekommt, was er will und »Verbotenes« erhöhte Spannung schafft. Neben den jugendlichen Spielern kommen auch Eltern zu Wort. Sie problematisieren die Vernachlässigung sozialer Kontakte und der schulischen Leistungen ihrer Kinder. In einem Interview mit dem Medienwissenschaftler Jürgen Sorg beschreibt dieser Computerspiele als kulturelles Repertoire: Als Kunst, als Filme, als Geschichten der Neuzeit mit der Möglichkeit zum Teilnehmen: Es handele sich um neue Medien, die nicht nur zum Konsum auffordern, in denen vielmehr das Mitmachen, das Gestalten, und interaktive Prozesse in realen oder virtuellen Gruppen mit realen oder virtuellen Gegnern zählen. Jungenarbeit 37/61 4.1.2. "Gewalt No.3" Thematische Zusammenstellung von Jugendvideoproduktionen. 150 Min, freigegeben ab 12 Jahren, als DVD oder Video erhältlich. Kaufpreis jeweils 40.- €, Ausleihe 15.- € Titel der Einzelproduktionen: Thema "Gewalt unter Jugendlichen": 1. Meine Erfahrungen mit Gas- Pistolen "Ich bin ein lieber und friedvoller Junge in einem jugendlichen Alter, und doch empfand ich den Morgen als etwas zu kühl, an dem ich mir die Frage stellte, ob Gaspistolen eine aggressive Stimmung hervorrufen könnten." Ein Selbstversuch 2. King of the beats Zwei Gruppen batteln beim Breakdance-Contest. Weil die "Grossen" dabei losen, nehmen sie sich einen der "Kleinen" vor. Zwar kommt dieser dadurch in den Rollstuhl, doch rächt er sich dann... 3. Der Unschuldsknabe Er ist der größte Fan und der größte Feind von Batman, der nette Junge von nebenan, der die einzige böse Tat seines Lebens plant: Den Mord an Batman als perfektes, weil motivloses Verbrechen 4. Ein ganz normales Wochenende "Junge, attraktive, intelligente und aufgeschlossene Frauen möchten was mit Dir erleben" - Mit diesem Text werben 5 junge Frauen jedes Wochenende in ihrer Kontaktanzeige. Doch Jungs, die sich darauf natürlich gerne melden, müssen sterben... 5. Wissen sie, was sie tun Eine ganz normale Abziehstory, doch diesmal mit Folgen. Ein Video über Jugendkriminalität und was manchmal danach passiert Thema "Selbstmord": 6. Gedicht einer Selbstmörderin "Der Mond hängt wie Fieber über dieser Stadt, ihre Flammen umarmen mich, mein Puls ist matt..." Ein Liebesgedicht von fehlender Liebe Thema "Gewalt in der Familie": 7. Ein Leben lang sterben? Als seine Verlobte nach einem Autounfall schwerverletzt im Koma liegt, muß er überlegen, ob er ihr auf der Intensivstation aktive Sterbehilfe leistet 8. Murdered Eine nackte Frau dreht sich, zeigt erst ihren dicken, dann ihren normalgroßen Bauch. Ist Abtreibung Mord? Jungenarbeit 38/61 9. Die Rache der Kuscheltiere "Wer Böses tut muß sterben!" Timo metzelt seine Kuscheltiere im Spiel ab. Doch diese sinnen nachts, als er schläft, nach Vergeltung. "Aber das können wir doch nicht tun, er hat uns doch alle lieb", bleibt eine Einzelmeinung des Hasen -"Rächen wir unsere geschundenen Freunde!" 10. Ohne meine Mutter In´s Heim? Alleine wohnen? Zurück nach Hause? Wenn Jugendliche nicht mehr zuhause leben können, weil sie den Eltern oder die Eltern ihnen zu viele Probleme machen Thema "Sexualisierte Gewalt": 11. Seelenmord "Er ist tot, ich lebe. Lebe ich wirklich? Er hat mich vergewaltigt. Er mordete meine Seele und ich ermordete ihn. Hatte er eine andere Möglichkeit zu handeln, hatte ich eine andere Möglichkeit mich zu wehren?" Eine Erinnerung 12. Mit Körper und Seele "Harald hat mir wehgetan", sagt das Mädchen und zeigt ihrer Mutter den Spermafleck auf dem Bettlaken. "Nein, das macht der nicht", sagt die Mutter und schlägt sie beim Auswaschen des blutigen Slips. Doch nun wehrt sich das Mädchen. 13. Eine Mörder-Story "Meine Schwester ist in Gefahr!"- "Wie heißt Ihre Schwester?" - "Sie hat sich mit einem Gangster eingelassen." Wenn Frauen sich so wehren, daß ihre Verfolger so etwas nie wieder tun 14. Horrortrip in der Schule "Eins, zwei, die Jungs kommen gleich vorbei; drei, vier, ich glaub, gleich sind sie hier; fünf, sechs, sie schreien, sie wollen Sex; sieben, acht, jeder weiß es geht um Macht; neuen zehn, ich will nicht zur Schule gehen!" Wenn Mädchen sich in der Schule gegen unerwünschte Anmache wehren. Ein Mädchenvideo gegen sexualiserte Gewalt Thema "Rassismus/ Faschismus": 15. Wenn er geblutet hätte Ein ausländischer Jugendlicher wird in der Fußgängerzone überfallen, eine Kamera beobachtet die Reaktionen der PassantInnen. Doch dann er selbst durch... Jungenarbeit 39/61 4.2. Internet Seiten (Material, Projekte Texte, Literatur) 4.2.1. www.initiative-jungenarbeit.nrw.de Herzlich willkommen auf der Internetplattform der Landesinitiative Jungenarbeit NRW! Wir laden Sie herzlich ein, sich auf diesen Seiten zu Hintergründen, Zielen und Maßnahmen der Landesinitiative zu informieren. Sie finden zudem Informationen zu den Grundlagen der Jungenarbeit und zu Möglichkeiten der praktischen Umsetzung in Jugendhilfe und Schule. Neben ausführlich beschriebenen Modellprojekten bietet die im Aufbau befindliche Datenbank Einblicke in die vielfältige Projektlandschaft 4.2.2. www.jungenarbeit.info Sie befinden sich auf der Internetseite der Dokumentationsstelle Jungenarbeit für die Metropolregion Hamburg! Die Dokumentationsstelle Jungenarbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die Aktivitäten rund um geschlechtsbewußte und geschlechtssensible Jugendarbeit / Jungenpädagogik mit dem Hauptaugenmerk auf Jungen zu informieren. 4.2.3. www.lagjungenarbeit.de/ Die LAG Jungenarbeit will geschlechtsbezogene Jungenarbeit systematisch fördern und qualifizieren sowie die erforderliche Lobbyarbeit für deren Anerkennung als notwendiger Bestandteil geschlechtsbezogener Arbeit in Jugendhilfe, in Politik und Administration leisten. 4.2.4. www.socialnet.de/branchenbuch/2433.html Jungenarbeit hat sich zu einem anerkannten Arbeitsansatz und Qualitätsmerkmal in der Jugendhilfe entwickelt. Man versteht darunter geschlechtsbewusste Ansätze in der pädagogischen und sozialen Arbeit mit Jungen und jungen Männern. Jungenarbeit ist ein Beitrag zur Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Jungenarbeit 40/61 4.2.5. www.mannigfaltig.de/ ist eine Fachstelle für Jungenarbeit, insbesondere zu Fragen von Jungensozialisation, Gewalt(prävention), zum Mann-Sein im Geschlechterverhältnis, Genderperspektiven ... ein Herausgeber von Fachliteratur und Materialien. Olaf Jantz: Endlich wirklich wirksam! Jungen und die Welt der Computerspiele – (k)eine Gewaltfalle? 4.2.6. www.neue-wege-fuer-jungs.de Bundesweites Netzwerk von Initiativen zur Berufswahl und Lebensplanung von Jungen. Empfehlenswert für eigene Projekte ist die Gute-Beispiele-Datenbank als Ideensammlung und Recherchemöglichkeit. 4.2.7. www.switchboard-online.de Zeitschrift für Männer und Jungenarbeit Zeitschrift für Männer und Jungenarbeit - auf der Website findet man ausgewählte Materialien aus den Printausgaben. Wir verstehen unseren Informationsdienst als Beitrag zur Frage, was Männer heute bewegt und was sie selbst bewegen. Wir wollen v.a. praxisbezogene Impulse aufgreifen und die Entwicklungen der Männer- und Jungenarbeit dokumentieren. 4.2.8. www.jungenwege.de/downloads/schmidt_sb162.pdf Good Guys und Bad Boys in einer Mission Impossible!? Erlebnisorientierte politische Bildung mit Jungen und Männern im City Bound Über den Versuch, jungen Männern mit Polaroidkamera, Kletterseil und Rock die gesellschaftspolitische Bedeutung der Geschlechterverhältnisse zu vermitteln. Und was das Ganze mit ihnen selbst zu tun hat. 4.2.9. www.risflecting.at/pages/praxisprojekte/index_praxisprojekte.htm Entwicklungspool für Rausch- und Risikokompetenz HUBERT FISCHER: SPIELE DAS SPIEL – EINE HELDENREISE ALS RAUSCH- UND RISIKO-ABENTEUER JUNGER MÄNNER Jungenarbeit 41/61 Jede(r) will ein(e) HeldIn sein! Wir wissen, Helden sind mutig, stark, unerschrocken, geistig „normal“ – das ist das bekannte Bild der Helden. Manche sind zu Helden geboren, manche werden zu Helden gemacht. Es gibt aber auch die stummen und schwachen Helden, nur passt das nicht zum gängigen Heldenbild. „Richtige“ Helden dürfen auch ängstlich, schwach, kreativ, langweilig, hilflos, unordentlich ... sein. Gerade Jugendliche auf dem Weg zum Erwachsen werden und zu sich selbst, brauchen Unterstützung, um zu ihrem persönlichen, ganz individuellen Heldenbild zu finden. Diese inszenierte Heldenreise soll Möglichkeiten aufzeigen, wie viele kreative Wege über die Form des Spieles sich auftun, um so vielleicht etwas ganz eigenes zu entdecken: dass eigentlich jeder für sich ein Held ist. Die Natur ist unser „Rausch- und Risiko“-Partner, wenn es darum geht, uns zurückzuziehen, uns die Zeit zurükkzuholen, die uns tagtäglich genommen wird, in der von uns verlangt wird, zu funktionieren. Wir werden eintauchen, Kinderträume wach werden lassen. Wir gönnen uns Langsamkeit. Schon das Verweilen an einer Quelle, Ursprung allen Lebens, gibt uns die Möglichkeit, Raum und Zeit in einer neuen Dimension wahrzunehmen, und vielleicht erleben wir so noch einen anderen Teil in uns. Grenzerfahrungen nach innen und nach außen ändern unsere innere und äußere Identität. Wir treten in Beziehung mit uns, schaffen so Heimat, um dann Beziehung zum „Anderen“ genießen zu können. Der öffentliche Platz als „Rausch- und Risiko“-Partner, wenn es darum geht, das Spiel als Mittel zum Zweck einzusetzen. Das inszenierte Spiel, das wir als Kind schon erfolgreich eingesetzt haben, um miteinander in Kontakt zu treten, gilt es wieder neu zu entdecken. Es ist eine ewige Herausforderung, uns über das Spiel zu formen, zu fordern, andere damit so zu involvieren, dass es ein gemeinsames werden kann. Wir erfahren, lernen und geben weiter. Mit dem Spiel wollen wir in Kommunikation treten, mit anderen Menschen, die eigene und die andere Fremde überwinden, in Beziehung treten, das Risiko nicht scheuen, den Mut haben auch zu versagen, aber nichts unversucht zu lassen. Wir treten auf und hinein, wir sind wir, wir lassen uns ein, wir treten in Kontakt, wir überwinden die Angst, Kommunikation wird möglich durch Provokation. INGRID HÖCHTLER, CHRISTA PREINING: QUADRATMETER ZU VERSCHENKEN – EIN PROJEKT IM ÖFFENTLICHEN RAUM Ausgangslage: Im Wiener Kaufpark Alt Erlaa ist es seit langen Jahren ungeschriebenes Gesetz, dass dieser Jugendlichen als Treffpunkt nicht zur Verfügung steht. Der gesamte Wohnpark mit 10.000 Einwohnern hat mittels Unterschriftensammlung vor einigen Jahren auch die Errichtung eines Polytechnischen Lehrgangs in unmittelbarer Nähe der Geschäftslokale verhindert. Die Jugendarbeit in dieser städtischen Region versuchte mittels verschiedener Aktionen, Jugendlichen im öffentlichen Raum Möglichkeiten zur Gestaltung zu geben – was aber immer damit verbunden war, dass diese kreativ tätig sein mussten. Im vorliegenden Projekt ging es darum, Jugendlichen ein Erlebnis der Akzeptanz ohne Leistungsdruck zu ermöglichen. Das Projekt: Zu diesem Zweck verschenkten die Projektleiterinnen einzelne Quadratmeter im Kaufpark an Jugendliche – für 3 Stunden an einem Nachmittag. Dort sollten sie tun können, was sie wollten: sich wohlfühlen, Spaß haben, den Platz als Bühne einnehmen. Jungenarbeit 42/61 " Break the shake & mix your drink" Projektbeschreibung: "Break the shake & mix your drink" - der Barmixworkshop bei einem Mega-Rave im Rathaus Wien. Die vielfältige und farbenprächtige Welt der Drinks löst Faszination aus, die entführt in eine heitere Welt der Lebensfreude. Die Bar ist ein besonderer Ort der Begegnung und Kommunikation. Das Projekt "Break the shake,..." hat sich dies zu Nutzen gemacht und einen neuen pädagogischen Ansatz entwickelt. Einen Break zum Alltag und zur Ausgehkultur erlebten die großteils jugendlichen Veranstaltungsbesucher an der Bar zum Selbermixen. An dieser Cocktailbar im Chill Out Bereich konnten nicht Drinks im gewohnten Stil bestellt werden, die Gäste wurden vielmehr eingeladen, unter Begleitung von TrainerInnen einen alkoholischen oder alkoholfreien Cocktail selbst zu mixen. Unter fachkundiger Begleitung nicht nur erfahren, wie mein Drink entsteht, was er enthält (bei alkoholischen auch die Dosis, die ich als Gast zu mir nehme), und Tipps und Ideen für zuhause mitbekommen: "Break the shake & mix your drink" ist ein Versuch, Trinkkultur durch die Begegnung mit dem Jugendlichen und durch aktive Beteiligung zu vermitteln. 4.3. Wissenschaftliche Grundlagen und Texte 4.3.1. „Wissenschaftliche Grundlagen der Buben- und Burschenarbeit“ https://broschuerenservice.bmsg.gv.at/PubAttachments/Burschenarbeit.pdf Im Auftrag des Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz Österreich Sektion V, Männerpolitische Grundsatzabteilung VORWORT Sehr geehrte Damen und Herren, mit der vorliegenden Studie können sich Eltern, Elternbildner/innen und Erzieher/ innen im schulischen und außerschulischen Bereich, Jugendarbeiter/innen, Familienund Männerberatungsstellen sowie Jugendgruppen und die Jugendlichen selbst ein Bild über die heutige Situation und Befindlichkeit Jugendlicher und junger Männer machen. Gerade die männliche Jugend ist heute durch die neuen Anforderungen und Rollenbilder oft verunsichert, nicht zuletzt auch durch die unzureichende geschlechtsspezifische Erziehung und fehlende männliche Leitbilder. Deshalb freut es mich, Ihnen mit dieser umfassenden und aktuellen Grundlagenstudie wichtige Erkenntnisse - auch im Sinne des Gender Mainstreaming - überreichen zu können. Jungenarbeit 43/61 4.3.2. Arme Jungs oder kleine Machos? Die Lebenswelten von Jungen als religionspädagogische Herausforderung, Dr. Annebelle Pithan, ComeniusInstitut Münster Dr. Annebelle Pithan Comenius-Institut Münster [email protected] Vortrag an der Universität Tübingen, 27.6.2007 Kaum eine Woche vergeht, in der nicht etwas über Jungen, über Männlichkeit oder die Geschlechter in den Zeitungen steht oder in Radio und Fernsehen verhandelt wird. Kein Zweifel – die Medien haben sich des Themas Jungen und Geschlecht angenommen. Da ist etwa die Rede von den kleinen Machos, von unkontrolliert gewaltbereiten Jungen oder sogar von wandelnden Zeitbomben. Gleichzeitig liest man von den „vergessenen Jungen“ oder von den „Jungen als Bildungsverlierer“ oder es werden die benachteiligten Jungen beklagt. Diese Artikel und Sendungen gehen häufig einher mit Aussagen über Mädchen und Frauen: Für Mädchen werde alles getan – für Jungen nichts. Mädchen seien die Gewinnerinnen. Die Mütter oder die Übermacht der Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen seien für die Misere der Jungen verantwortlich. Die Erziehungswissenschaftlerin Ursula Müller formulierte, viele Artikel läsen sich wie eine „Klagemauer des modernen Mannes (…) der durch die Frauenemanzipation in seiner ‚Identität’ gefährdet und aus der Bahn geworfen wird“.2 Zuweilen ist auch von den fehlenden Vätern, den neuen Männern oder vom Ende der Geschlechter die Rede. Es wird viel gesprochen, es wird viel geschrieben, die Sachkenntnis jedoch lässt häufig zu wünschen übrig. Meinungen und persönliche Befindlichkeiten bestimmen weithin die Debatte. In der Tat stehen wir in der Jungenforschung noch ziemlich am Anfang. So musste die Erziehungswissenschaftlerin Astrid Kaiser noch 2003 feststellen: „Wir können noch nicht auf empirisch fundierte Beobachtungen zurück blicken“ 3. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Lebenswelten von Der Vortrag wurde mit Bildern und Folien begleitet, die hier nicht aufgenommen werden konnten. 2 Müller, Ursula: Männerforschung in Bewegung. Zum Geleit, in: Connell, Robert W.: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, (Geschlecht und Gesellschaft Bd. 8), Wiesbaden 32006, 9-11, hier: 10. 3 Kaiser, Astrid: Vorwort. In: Kaiser, Astrid (Hg.): Koedukation und Jungen, Weinheim/Basel 22005, 9-12, hier: 10. 1 Jungenarbeit 44/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 2 Jungen und Männern, zumal in der Religionspädagogik, ist noch gering. Viele der bisherigen Erkenntnisse gehen auf die Studien zu Mädchen- und Frauenforschung zurück, da diese häufig die Jungen und Männer als Folie betrachtet haben, vor der sie die Benachteiligung und Andersartigkeit der Mädchen und Frauen beschrieben. Eine besondere Jungenforschung gibt es erst seit den 1990er Jahren. Sie entstand im Gefolge der feministischen und allgemeinen Frauenforschung und der daraus resultierenden Männerforschung. Die Beiträge zur Chancengleichheit von Mädchen und die feministische Theologie und Pädagogik haben erst darauf aufmerksam gemacht, dass dem Thema Geschlecht eine Bedeutung in pädagogischen Prozessen zukommt. Nachdem sich der Fokus zunächst weitgehend auf Mädchen und Frauen gerichtet hat, kommen nun die Jungen in den Blick. Meine Ausführungen gliedern sich in drei Teile: 1. Im ersten Teil frage ich nach den Lebenswelten von Jungen. 2. Im zweiten Teil stelle ich Konzepte von Männlichkeit vor. 3. Im dritten Teil ziehe ich Konsequenzen für die Religionspädagogik. Ich hoffe, dass wir im Anschluss an meinen Vortrag zu Austausch und Diskussion kommen. Mein erster Teil: 1. Lebenswelten von Jungen Ich möchte mit einer kurzen Imaginationsübung beginnen: Stellen Sie sich vor Ihrem inneren Auge Jungen vor. Jungen, die sie kennen. Jungen, die Ihnen begegnen. Beim Spielen, auf der Straße. In der Familie, im Kindergarten, in der Grundschule, in der weiterführenden Schule oder im Kindergottesdienst. Stellen Sie sich einen Jungen vor, den sie besonders mögen, der Ihnen sympathisch ist, an dem Sie interessiert sind. Was tut er? Wie verhält er sich? Stellen Sie sich einen Jungen vor, der Ihnen fremd ist, von dem sie wenig wissen. Stellen Sie sich einen Jungen vor, der sie nervt, der Ihnen unsympathisch ist, der Sie aggressiv macht oder Ihnen vielleicht sogar unheimlich ist. Ich nehme an, es ist Ihnen gelungen, Jungen vor Ihrem inneren Auge entstehen zu lassen. Um diese und viele andere Jungen geht es. Wenn wir die Bilder jetzt hier zeigen und kommentieren könnten, würde deutlich: Jungen sind höchst unterschiedlich. Sie alle sind Individuen. Jungenarbeit 45/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 3 Dennoch lassen sich allgemein gesprochen bestimmte Schwerpunkte und Tendenzen erkennen, wenn man die Gesamtgruppe der Jungen in der Geschlechterperspektive betrachtet. Ich möchte nun meinerseits mit einem Beispiel beginnen. Ich zeige Ihnen ein Bild von einem Kindergartenkind, das sich an Karneval oder Fasching als Prinzessin verkleiden wollte. Das Kostüm hatte das Kind auch schon geplant. Ein rosa Kleid, eine Krone und schwarze Lackschuhe. Und wirklich kam eine sehr schöne Prinzessin heraus. Sie ahnen es bereits: Das Kind ist ein Junge, von vielleicht 5 Jahren, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, Prinzessin zu werden. Der Junge, Felix, ging stolz und freudig in den Kindergarten, mit sich und dem Kostüm zufrieden. Als er mittags nach Hause kam, war er untröstlich. Was war geschehen? Die anderen Kinder, insbesondere die Jungen, fanden sein Kostüm überhaupt nicht passend. Sie fanden, dass es ein Mädchenkostüm sei und fragten ihn, wie er als Junge sich mit einem Mädchenkostüm verkleiden könne. Felix` Hochstimmung war verflogen, das Prinzessinnenkostüm verschwand. Im nächsten Jahr verkleidete sich Felix als Leopard. An diesem Beispiel von Felix, und Sie kennen vielleicht andere, wird deutlich, dass es nach wie vor eine geschlechtsspezifische Sozialisation gibt. Wir leben – um es mit dem klassischen Terminus von Carol Hagemann-White zu sagen – in einem System der Zweigeschlechtlichkeit und Kinder lernen, sich darin zurechtzufinden. Sie lernen, was es heißt ein Junge oder ein Mädchen zu sein. Zwar ist in den letzten Jahren vieles im Wandel begriffen, die Zuordnungen zu den Geschlechtern sind aufgeweicht worden, insbesondere für Mädchen. Doch zeigt schon ein Blick in Kinderzimmer oder Spielwarenkataloge, dass es weiterhin, und seit einigen Jahren wieder deutlicher, Jungenzimmer und Jungenspielsachen gibt. Und die sind nicht rosa! Ich möchte im Folgenden drei Aspekte für die Lebenswelten von Jungen etwas genauer benennen, die mir für die öffentliche Diskussion und auch für die religionspädagogische Arbeit besonders wichtig erscheinen. Dabei ist zu bedenken, dass – ähnlich wie zu Beginn der Frauenbewegung und Frauenforschung – vielfach vor allem die Probleme von und mit Jungen und Männern in den Blick kommen, da die Probleme häufig zunächst die Beschäftigung mit dem Thema motivieren und begründen. Dieser „Defizitansatz“ darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass viele Jungen aufgeschlossene, soziale Persönlichkeiten sind, die gut durchs Leben kommen. Dennoch stehen auch sie vor bestimmten Herausforderungen der geschlechtsspezifischen Sozialisation sowie der gesellschaftlichen Männerrealitäten und Männlichkeitskonstruktionen. Jungenarbeit 46/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 4 Welche besonderen Voraussetzungen haben Jungen, vor welchen Entwicklungsaufgaben stehen sie? Welche Probleme haben und verursachen sie? Ich nenne drei Themenkomplexe: (1) Bewegungsverhalten, Körperempfinden und Gesundheit; (2) Sozialverhalten, Aggression und Gewalt; (3) Bildungsverhalten. Bewegungsverhalten, Körperempfinden und Gesundheit Nach wie vor werden Jungen in ihren motorischen Fähigkeiten besonders gefördert. Beobachtungen in Kindertagesstätten – ich beziehe mich hier insbesondere auf die Forschungsergebnisse von Tim Rohrmann – haben gezeigt, dass Jungen sich mehr bewegen als Mädchen, mehr draußen spielen und raumgreifende Aktivitäten entfalten. Sie toben mehr, streifen unabgemeldet durch Haus und Gelände. Sie kontrollieren größere Räume und entfernen sich weiter von den Erwachsenen.4 Im Freispiel in der Kindertagesstätte ließ sich beobachten, dass Jungen häufiger als Mädchen in größeren Gruppen spielen, insbesondere raumgreifende Mannschaftsspiele, z.B. Fußball. Zudem sind Jungengruppen altersheterogener und eher hierarchisch organisiert als Mädchengruppen.5 Der Status und die Dominanz in der Gruppe müssen von den einzelnen Jungen erkämpft werden. 6 Jungen weisen bei ihren Aktivitäten insgesamt ein höheres Risikoverhalten auf, das mit zunehmendem Alter steigt. Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Tendenz zu gefährlichen, potentiell selbstverletzenden oder extremen Sportarten, etwa Skaten, Klettern, S-Bahn-Surfen und Bungeespringen. Insbesondere ältere Jungen neigen dazu, dem Körper das äußerste abzuverlangen, ihn zu unterwerfen, seine Signale zu überhören. Die Beobachtungen von Astrid Kaiser in niedersächsischen Grundschulen zeigen zugleich, dass viele Jungen ein wenig entwickeltes Körpergefühl haben.7 Sie bewegen sich ungeschickt und in gering entwickelter Feinmotorik, sie nehmen Intensitäten von körperlichen Berührungen eher undifferenziert wahr und können kaum einschätzen, wie stark und möglicherweise schmerzhaft bestimmte Bewegungen für andere sein können. Sie sind häufig nicht geübt, die Signale des Körpers wahrzunehmen und zu nutzen. Das führt neben zahlreichen großen und kleinen Verletzungen auch zu weiteren gesundheitlichen Auffälligkeiten, die oft mit emotionalen Prozessen in Verbindung stehen. Rohrmann, Tim: Jungen in Kindertagesstätten. In: Kaiser, Astrid (Hg.): Koedukation und Jungen, Weinheim/Basel 22005, 24-33, hier: 27. 5 Vgl. z.B. Valtin, Renate: Koedukation macht Mädchen brav!? Der heimliche Lehrplan der geschlechtsspezifischen Sozialisation. In: Pfister, Gertrud/ Valtin, Renate (Hg.): MädchenStärken. Probleme der Koedukation in der Grundschule. Frankfurt am Main 1993, 8-37. 6 „Insbesondere die älteren Jungen“ – so Rohrmann – „sondern sich gern von der Gesamtgruppe ab und entziehen sich der Aufsicht.“ Rohrmann, Tim: Jungen in Kindertagesstätten. In: Kaiser, Astrid (Hg.): Koedukation und Jungen, Weinheim/Basel 22005, 24-33, hier: 27. 7 Kaiser, Astrid/Nacken, Karola/Pech, Detlef: Mädchenstunden und Jungenstunden. Geschlechterbewusste Pädagogik in der Praxiserprobung. In: Die Deutsche Schule 93 (2001), H.4, 429-445, hier: 433. 4 Jungenarbeit 47/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 5 Eine Studie zum Gesundheitszustand von Jungen und Mädchen zwischen 11 und 15 Jahren, die Hurrelmann u.a. (2003) durchführten, zeigt, dass es geschlechtsspezifische körperliche, psychische und soziale Ausprägungen gibt.8 Jungen rauchen heute – anders als früher – weniger als Mädchen, zeigen aber ein geringeres Einstiegsalter. Jungen trinken jedoch regelmäßiger und früher Alkohol (9). Jungen verbringen viel Zeit vor Fernseher und Computer (10). Dies führt neben den Auswirkungen auf das Sozialveralten, auf die ich noch zu sprechen komme, zu körperlichen Fehlhaltungen, zu Rückenbeschwerden sowie zu Spannungskopfschmerz. Jungen sind insgesamt bis zur Pubertät mehr krank als Mädchen und zeigen eine höhere Suizidrate.9 Depressive Störungen sind im Schulalter häufiger bei Jungen zu finden, Im späten Jugend- und frühen Erwachsenenalter doppelt so häufig bei Mädchen. Dabei zeigen Jungen – so die Untersuchung von Hurrelmann – vor allem sogenannte „externalisierende Störungen“ wie hyperkinetische und dissoziale Störungen, also Störungen des Bewegungs- und Beziehungsverhaltens (7). Hier sind ADS und ADHS, das heißt Aufmerksamkeitsdefizitstörung und Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivität-Störung zu nennen. Diese Jungen sind unruhig, können sich nicht konzentrieren und machen den Eltern, den Erzieherinnen, und den Grundschullehrerinnen zu schaffen. Viele Jungen werden aufgrund von ADHS in Beratungsstellen vorgestellt. Auch zu dem sich wandelnden gesellschaftlichen Blick auf den männlichen Körper müssen Jungen sich verhalten: Traditionell sind die Anforderungen an den weiblichen Körper hinsichtlich gesellschaftlicher Schönheitsideale wesentlich höher als bei Jungen. Doch zeigt sich in den letzten Jahren, dass auch Jungen zunehmend mit Schönheitsidealen konfrontiert werden. Diese gehen besonders von den Medien, insbesondere der Werbung aus, in Gestalt von gut aussehenden, durchtrainierten Männerkörpern. Mehr Jungen als Mädchen sind übergewichtig (11). Die Hurrelmann-Studie zeigt, dass Übergewichtige vielfach mit sozialer Zurückweisung bis hin zur Ausgrenzung (Mobbing) konfrontiert sind (12). Von Mädchen wissen wir, dass psychosomatische Beschwerden und Selbstwertgefühl in den meisten Fällen mit ihrem Körperideal korrespondieren. Die Tendenz bei Jungen, sich in ihrem Körper unwohl zu fühlen und entsprechende Störungen, wie Essstörungen, auszubilden, ist steigend. Hurrelmann, Klaus u.a., WHO-Jugendgesundheitssurvey – Konzept und ausgewählte Ergebnisse für die Bundesrepublik Deutschland 2003, http://www.hbsc.org/countries/downloads_countries/Germany/Artikel%20Erziehungswise nscha.pdf. Die in Klammern genannten Seitenzahlen beziehen sich auf diesen Text. 9 Mädchen unternehmen allerdings mehr Suizidversuche (Schnack, Dieter/ Neutzling, Rainer: Kleine Helden in Not. Jungen auf der Suche nach Männlichkeit, Reinbek 1990, 101ff.). 8 Jungenarbeit 48/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 6 Sozialverhalten, Konfliktverhalten, Aggression und Gewalt Pisa- und IGLU-Studien haben gezeigt, dass die Sprach- und Lesekompetenz von Jungen weniger als bei Mädchen entwickelt ist. Das korrespondiert mit Aussagen der Jungenpädagogik, dass Jungen häufig wenig geübt sind, ihre Anliegen, insbesondere emotionale, verbal auszudrücken. Das hängt vermutlich auch mit der Orientierung auf Gruppen vor Einzelpersonen zusammen. Im Zusammenhang damit steht sicherlich auch die Tatsache, dass Jungen im sprachlichen Ausdruck schwächer als Mädchen sind und weniger gewohnt, sich verbal auszudrücken und auseinanderzusetzen. Schnack/Neutzling stellen fest, dass es Jungenfreundschaften meist an Nähe, Intimität und Vertrautheit fehlt. 10 Verstärkend kommt hinzu, dass Jungen große Teile ihrer Freizeit alleine am Gameboy oder Computer verbringen. In einer bereits vor zehn Jahren durchgeführten Untersuchung wurden Kinder der 2., 4. und 6. Klasse zu ihrem Computerverhalten befragt. Nahezu 40% [38,7%] der Jungen spielten täglich Computerspiele, bei den Mädchen waren es weniger als 15% [12,4%]. Die Zahlen dürften heute sehr viel höher liegen. Ein Fünftel der Jungen gab an, oft mit dem Spielen nicht aufhören zu können. 11 Tim Rohrmann und andere haben in ihrem Projekt „Manns-Bilder“ Erzieherinnen in Kindertagesstätten hinsichtlich des „Jungenverhaltens“ befragt. Die Erzieherinnen beschrieben ein differenziertes Bild und vertraten teilweise sogar die Auffassung ein „typisches Jungenverhalten“ gebe es gar nicht, dennoch – so Rohrmann – „fiel auf, dass Bewegung und Aktivität sowie körperliche Auseinandersetzungen als typische Verhaltensweisen von Jungen genannt wurden“ 12 Auch andere Befragungen stellen fest, dass Erzieherinnen und Erzieher über das „problematische und aggressive Verhalten von Jungen“13 berichten. Jungen seien häufiger als Mädchen Thema von Fallbesprechungen und Fortbildungen. 14 Jungen werden dennoch insgesamt häufiger als verhaltensauffällig beschrieben. In Konflikten verhalten sich Jungen eher aktiv und aggressiv als abhängig und unsicher.15 In 100 Hamburger Grundschulen zeigte sich, dass 82% der beobachteten Verhaltensauffälligkeiten bei Jungen und 18% bei Mädchen lagen. Beide Geschlechter sind in gleichen Anteilen an Konflikten beteiligt, Jungen verhalten sich aber aggressiver, Mädchen lösen Konflikte indirekter. Schnack/Neutzling 1990, 228. Fromme, Johannes/ Meder, Norbert/, Vollmer, Nikolaus: Computerspiele in der Kinderkultur, Opladen 2000. 12 Rohrmann, Tim: Jungen in Kindertagesstätten. In: Kaiser, Astrid (Hg.): Koedukation und Jungen, Weinheim/Basel 22005, 24-33, hier: 24. 13 Ebd. 14 Dieser Befund deutet zum einen auf die Perspektive der Erwachsenen hin, die als auffällig das bezeichnen, was besonders stört oder im Alltag schwieriger zu bewältigen ist als es beispielsweise in sich zurückgezogene Jungen sind. Es zeigt aber auch eine Tendenz der Jungensozialisation, die immer noch anders verläuft als die von Mädchen. 15 Rohrmann, Tim: Jungen in Kindertagesstätten. In: Kaiser, Astrid (Hg.): Koedukation und Jungen, Weinheim/Basel 22005, 24-33, hier: 27. 10 11 Jungenarbeit 49/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 7 Diese Tendenz setzt sich im Jugendalter fort. Jungen zeigen höhere Gewaltbereitschaft und mehr körperliche Aggressionen. Bei sozial gefährdetem Status nimmt direkte körperliche Aggression zu, auch bei Mädchen. Allerdings ist die Gewaltrate von Jungen und Männern über drei Mal höher als diejenige von Mädchen und Frauen.16 Dennoch wird in Medien, in Schulen und sogar in der Fachliteratur von Jugendgewalt gesprochen, auch wenn Jungengewalt gemeint ist und damit das Phänomen nicht adäquat angegangen. Ausgeblendet wird allerdings häufig auch, dass Jungen nicht nur durch ihr Angriffsverhalten auffallen, sondern auch häufiger Opfer von Aggression und Gewalt sind.17 In der wachsenden Beachtung der gewaltbereiten Schüler sollte gleichfalls nicht übersehen werden, dass nicht wenige Jungen und Mädchen ihr Aggressionspotential nach innen richten oder einen konstruktiven Umgang damit gefunden haben. Bildungsverhalten Wie bereits erwähnt, werden Jungen als Bildungsverlierer gesehen. Hierbei werden vor allem vier Aspekte genannt: die Wiederholungsquote, die Schulabschlüsse, die Schulnoten und die Arbeitsformen. Es lohnt sich hier, einen Blick in die Statistiken zu werfen. In der Tat haben mehr Jungen als Mädchen eine Klasse wiederholt.18 Allerdings sind die Unterschiede nicht so groß wie die Debatte vermuten lässt: Sie liegen allgemein bei maximal 1-2%.19 Deutlicher ist das Bild bei den Schulabschlüssen. Der deutsche Bildungsbericht von 2006 stellt fest: „Weibliche Absolventen erreichen öfter höherwertige Abschlüsse als männliche SchulabgängerInnen. 34% Hauptschulabgänger stehen Vgl. z.B. die Statistik (für die alten Bundesländer) im Vergleich der Jahrgänge 1984 und 1997 (Pfeiffer, Christian/ Wetzels, Peter: Zur Struktur und Entwicklung der Jugendgewalt in Deutschland. Ein Thesenpapier auf Basis aktueller Forschungsbefunde, in: Aus Politik und Zeitgeschichte o. Jg. (1999), B26, 3-22, hier 15. 17 Vgl. Rohrmann, Tim: Jungen in Kindertagesstätten. In: Kaiser, Astrid (Hg.): Koedukation und Jungen, Weinheim/Basel 22005, 24-33, hier: 27. 18 „Jungen und Mädchen sind unterschiedlich stark von Klassenwiederholungen betroffen. Die Wahrscheinlichkeit, einmal oder mehrfach die Klasse zu wiederholen, ist bei Jungen in allen Jahrgangsstufen durchweg höher. Besonders auffällig sind die Unterschiede in den Wiederholeranteilen zwischen den Geschlechtern in den Jahrgangsstufen 7, 9 und 11 (Tab. D2-2A). Überdurchschnittliche Wiederholungsquoten finden sich insbesondere bei Kindern mit Migrationshintergrund (vgl. H3).“Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration" Herausgeber: Konsortium Bildungsberichterstattung im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Bielefeld 2006, 55. Im Folgenden zitiert als: Bildungsbericht 2006 (ausführlich). Vgl. auch Krohne, Julia Ann/ Meier, Ulrich/ Tillmann, Klaus-Jürgen (2004): Sitzenbleiben, Geschlecht und Migration. In: Zeitschrift für Pädagogik, 50 (3), 373 ff. 19 Für das Schuljahr 2004/05 wiederholten im Sekundarbereich I 4,2% der Schüler und 3% der Schülerinnen die Klasse, im Sekundarbereich II lag die Wiederholerquote bei den Jungen bei 3,7%, während 2,3% der Mädchen wiederholten. Diese Zahlen sind der Tabelle D2-3A des Bildungsberichts von 2006 entnommen. 16 Jungenarbeit 50/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 8 24% mit allgemeiner Hochschulreife gegenüber (bei Mädchen umgekehrt 26% zu 32%). Etwa 12% verlassen die Schule ohne Abschluss (ca. 6% der Mädchen). 20 Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede bleiben auch bei einer Differenzierung nach deutschen und ausländischen Abgängern in ihren Relationen insgesamt bestehen.21 „Insgesamt verlassen doppelt so viele ausländische Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss wie deutsche. Bei den ausländischen Jungen ist dieser Anteil mit 20% eines Altersjahrgangs besonders groß.“ 22 Jungen sind auch überproportional an den Förderschulen, insbesondere lernund verhaltensbezogenen Förderschulen, zu finden. Dies hängt zum einen mit den bereits beschriebenen Verhaltensstrategien von Jungen zusammen, die sich häufig in Störungen, Aggression und Gewalt zeigen. Auch ein Bericht zur Bildungsgerechtigkeit23 macht unter anderem die geschlechtsspezifische Sozialisation für die Schulerfolge von Mädchen verantwortlich. So heißt es unter Rückgriff auf Solga 2005 „Während sich Mädchen besser an schulische Verhaltensnormen anpassen können, da sie eher zu Fleiß, Pflichtbewusstsein und Unterordnung erzogen werden, weisen hier Jungen größere Anpassungsprobleme auf“.24 Und mit Bezug auf Struck 2004: „Leistungserwartungen und Anpassungsdruck führen bei Jungen häufiger als bei Mädchen zu aggressiven Verhaltensweisen und Verweigerungen, die sich auf die schulischen Leistungen negativ auswirken. Gerade was die Ausbildung von Jungen angeht, besteht zunehmend Handlungsbedarf, damit nicht der Anteil männlicher Klassenwiederholer und männlicher Absolventen ohne Schulabschluss immer größer wird, was ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotenzial für unsere Gesellschaft darstellt.“ 25 Zusammenhänge bestehen auch mit den mangelnden Zukunfts- und Berufsperspektiven, auf die Jungen auffälliger reagieren als Mädchen. Ich komme darauf zurück. Die große Zahl von Jungen in Haupt- und Förderschulen korrespondiert aber auch – das haben insbesondere die Pisa-Studien gezeigt – mit dem sozialen Status und den Herkunftskulturen. Bildungsverlierer gehören überproportional unteren gesellschaftlichen Schichten an und haben einen Migrationshintergrund. Anders ausgedrückt: Das katholische Mädchen vom Land wurde vom türkischen Jungen aus der Großstadt abgelöst. Bildungsbericht 2006 (ausführlich), 72f. Ebd. 22 Bildungsbericht 2006 (Kurzzusammenfassung), 15. 23 Vbw/Aktionsrat Bildung (Hg.): Bildungsgerechtigkeit. Jahresgutachten 2007 (http://www.vbwbayern. de/agv/data/media/_stories/7790/Bildungsgerechtigkeit%20Jahresgutachten%202007 %20-%20Aktionsrat%20Bildung.pdf?PHPSESSID=5806874c89526381dc07fea698cc0f43) 24 Vgl. Solga, Heike: Jugendliche ohne Schulabschluss und ihre Wege in den Arbeitsmarkt. In: Cortina, Kai S. u.a. (Hg.): Das Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland, Reinbek 22005., 721f. 25 Vgl. Struck, Peter: Die 15 Gebote des Lernens, Darmstadt 2004. 20 21 Jungenarbeit 51/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 9 Weitere Faktoren machen Jungen jedoch partiell zu Bildungsgewinnern: Jungen haben höhere Chancen einer Beteiligung am dualen System in der Berufsausbildung. „An den traditionellen Verteilungen der Geschlechter auf die drei Ausbildungssektoren verändert sich im Betrachtungszeitraum nichts. Die männlichen Jugendlichen behalten mit in etwa gleichen Anteilen ihre Dominanz im dualen und im Übergangssystem, die jungen Frauen ebenso im Schulberufssystem“ 26 Zudem haben sie bessere Verdienst-27 und Aufstiegsmöglichkeiten. In Leitungspositionen sind Männer stark überrepräsentiert („gläserne Decke“).28 Ich komme zu meinem zweiten Teil: 2. Konzepte von Männlichkeit Jungenpädagogik ist nicht zu verstehen und zu betreiben, ohne sich mit Vorstellungen von Männlichkeit in der Gesellschaft auseinander zu setzen. Pädagogische Handlungen, auch religionspädagogische und kirchliche Projekte, sind immer davon bestimmt, welche Vorstellungen von Jungen wir Erwachsenen (und auch die Kinder und Jugendlichen) haben. Wie nehmen wir Jungen wahr? Wie meinen wir, sollten Jungen sein? Welches Verhalten unterstützen wir, welches nicht? Soll ein Junge stark sein oder gerade nicht? Darf er toben oder darf er lesen? Ist es „natürlich“, dass Jungen aggressiv sind, sexualisierte Witze machen oder nicht? Diese Fragen stellen sich im Alltag ständig und wir reagieren auf sie. Meist tun wir es intuitiv und damit auf der Basis der Männlichkeitsvorstellungen, die wir gelernt haben bzw. die in unserer Gesellschaft, der Schule, der Universität oder der Kirche oder in Peer-groups und Milieus vorherrschen. Hilfreich, um zu einer reflektierteren Praxis und einem begründeten theoretischen Standpunkt zu kommen, ist es, sich mit unterschiedlichen Konzepten von Männlichkeit zu befassen. Ich möchte im Folgenden Ansätze vorstellen, die mir besonders hilfreich für das Verständnis von Jungen - und damit für pädagogische wie religionspädagogische Perspektiven - erscheinen: 2.1 Kleine Helden in Not Bahnbrechend waren und sind im Blick auf die kritische Aufarbeitung der männlichen Sozialisation die Arbeiten von Dieter Schnack und Rainer Neutzling. Ihr 1990 erschienenes Buch „Kleine Helden in Not“ ist in der JungenforBildungsbericht 2006 (ausführlich), 83. „Im Vergleich der Geschlechter haben die Männer sowohl bei den Beschäftigten mit als auch bei denen ohne Ausbildung zwischen 12% und 15% (bezogen auf die absoluten Zahlen) höhere Durchschnittseinkommen“, Bildungsbericht 2006 (ausführlich), 97f. 28 Vgl. z.B. Lemmermöhle, Doris: Geschlechter(un)gleichheiten und Schule, in: Oechsle, Mechthild/ Geissler, Birgit (Hg.): Die ungleiche Gleichheit. Junge Frauen und der Wandel im Geschlechterverhältnis, Opladen 1998, 67-86, hier: 75. Heiliger, Anita: Mädchenarbeit im Gendermainstream. Ein Beitrag zu aktuellen Diskussionen, München 2002, 16. Pressemitteilungen des Statistischen Bundesamtes, z.B. vom 15.7.2004. 26 27 Jungenarbeit 52/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 10 schung und Jungenarbeit breit rezipiert worden.29 Die Autoren nehmen darin eine einfühlsame Perspektive für Jungen ein, ohne jedoch die Diskriminierung von Mädchen und Frauen fortzuschreiben. Schnack/Neutzling zeigen auf, dass Jungen in der traditionellen geschlechtsspezifischen Sozialisation zum „starken Mann“ erzogen werden. Sie sollen keine Gefühle zeigen, nicht schwach sein, sich keine Blöße geben, nicht versagen. Auch dann, wenn sie Angst haben. Angst und Unsicherheit müssen versteckt oder verdrängt werden, damit sie nicht sichtbar wird. Denn – so Schnack/ Neutzling – „Die größte Angst des Jungen (und Mannes) ist die Angst vor der Angst.“30 Um diesem Männlichkeitsideal zu entsprechen, markieren Jungen den „coolen Macker“, der vor nichts Angst hat und auf keine Hilfe angewiesen ist. Sie betonen ihre Leistung und Rationalität. Beziehungsfragen und Emotionalität werden hingegen als „weiblich“ oder „schwul“ disqualifiziert. Ich nenne ein Beispiel, das Schnack/Neutzling berichten31: Zweitklässler auf Klassenfahrt; den ganzen Abend machen die Jungen Radau, ärgern die Mädchen, toben und produzieren sich als Helden. Spät abends im Bett fürchten sie sich vor Monstern und wollen nicht allein bleiben – bis schließlich ein Erwachsener in ihrem Zimmer übernachtet. Am nächsten Tag wird dieser Widerspruch nicht weiter aufgegriffen. Schnack/Neutzling32 sehen in dieser Verdrängung eine der Hauptursachen für die bereits erwähnten gesundheitlichen und psychischen Befunde und die schlechteren Schulleistungen von Jungen. Das bestätigen auch andere Fachleute. Eine Mitarbeiterin einer Beratungsstelle, mit der ich vor kurzem sprach, berichtete, dass Jungen, die mit ADS in die Beratungsstellen kommen, häufig viele Ängste haben, die bis zu dem Zeitpunkt keine Beachtung fanden. Um mit ihren Angst- und Versagensgefühlen fertig zu werden, benötigen Jungen Kompensationsstrategien, die Schnack/Neutzling u.a. vor allem in den Versuchen erkennen, Stärke vorzuspiegeln. Heute stehen Jungen vor der Herausforderung, dass das traditionelle Männerbild gesellschaftlich häufig nicht mehr akzeptiert ist und Vorbilder und Begleitung für alternatives Verhalten fehlen. Die Psychoanalytikerin und Soziologin Nancy Chodorow hat die psychische Entwicklung von Mädchen und Jungen untersucht. Unter Einbeziehung der Tatsache, dass in unserer Gesellschaft Kinder wesentlich von Müttern aufgezoSchnack, Dieter/ Neutzling, Rainer: Kleine Helden in Not. Jungen auf der Suche nach Männlichkeit. Reinbek 1990. 30 Dies.: „Der Alte kann mich mal gern haben!“. Über männliche Sehnsüchte, Gewalt und Liebe. Reinbek 1997, 13. 31 Ebd., 15f. 32 Dies.: Kleine Helden in Not. Jungen auf der Suche nach Männlichkeit. Reinbek 1990, 101ff. 29 Jungenarbeit 53/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 11 gen werden, fand sie heraus: Mädchen entwickeln ihr psychisches Selbst, indem sie sich mit dem Weiblichen / dem Gleichgeschlechtlichen identifizieren, das ihnen in Gestalt der Mutter begegnet. Jungen entwickeln ihr psychisches Selbst, indem sie sich von dem Weiblichen / dem Gegengeschlechtlichen ablösen. Häufig wird der abwesende Vater idealisiert. So lernen Kinder von klein an unterschiedlich: Mädchen suchen in der Beziehung die Identifikation, Jungen suchen in der Beziehung das Gegenüber. Diese Entwicklung setzt sich im Kindergarten, der wesentlich von Frauen geprägt ist, fort. Schnack/Neutzling beleuchten nun das Dilemma des Jungen: Er sucht zunächst immer die Nähe zur Mutter. Andererseits lernt er bald (schon im Kindergarten), dass in der Gesellschaft andere Regeln gelten: Durchsetzung, Rivalität, stark sein. Schnack/Neutzling konstatieren in ihrem Buch „Kleine Helden in Not“, dass den Jungen auch die Vorbilder für enge, vertraute Männerfreundschaften fehlen. Jungenfreundschaften, so ihre Beobachtung, fehle es häufig an Nähe, Intimität und Vertrautheit. Obwohl ein Wunsch nach männlicher Nähe bestehe, schreckten die Jungen aus Angst vor Homosexualitätsverdacht zurück. „Der Mangel an Intimität und Sicherheit mit den Geschlechtsgenossen – so die Autoren – ist zu einem erheblichen Teil mitverantwortlich für die Neigung der Jungen, so zu tun, als hätten sie überhaupt keine Probleme.“33 Schnack/Neutzling sehen einen entscheidenden Grund für diese Situation in der Abwesenheit von männlichen Orientierungsfiguren in der Kindererziehung in Familie und Kindergarten. Sie sprechen hier von einem „Mangel an erkennbarer Männlichkeit“, weil Männer die Erziehungsverantwortung nicht übernehmen oder ihre Männlichkeit nicht reflektieren.34 Durch ihre Abwesenheit eignen sie sich für Idealisierungen. Notwendig wäre es aber, dass Jungen die Gefühle von Männern wahrnehmen und sehen, wie Männer konstruktiv mit ihren Gefühlen umgehen. Diese grundlegenden Erkenntnisse haben bis heute nichts von ihrer Bedeutung verloren und verhelfen dazu, Situationen besser einzuschätzen und Jungenverhalten zu verstehen. Sie treffen jedoch nicht mehr so umfassend zu, wie noch vor 15 Jahren. Heute ist das Männlichkeitsideal zwiespältig, was zur Verunsicherung bei Jungen und Männern führt. Diese werden heute mit widersprüchlichen Anforderungen (stark und sensibel zu sein) konfrontiert.35 In der traditionellen Geschlechterhierarchie konnten (und können) sich Jungen und Männer in der Dominanz über Mädchen und Frauen stabilisieren.36 Heute sind Ebd., 228. Ebd., 31. 35 Besorgniserregend ist, dass die Zahl derjenigen Jungen und Männer zunimmt, die Sicherheit in festgefügten Rollen (z.B. der Neonazi-Szene) suchen oder zwischenmenschliche Kontakte vermeiden und indirekt (über Medien) kommunizieren. 36 Meuser, Michael: Gefährdete Sicherheiten und pragmatische Arrangements. Lebenszusammenhänge und Orientierungsmuster junger Männer, in: Oechsle, Mechthild/ Geissler, Birgit (Hg.): Die ungleiche Gleichheit. Junge Frauen und der Wandel im GeschlechterverDr. 33 34 Jungenarbeit 54/61 Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 12 sie dadurch verunsichert, dass traditionelle männliche Verhaltensrepertoires und das hierarchische Geschlechterverhältnis keine eindeutige gesellschaftliche Anerkennung mehr finden und von Mädchen und Frauen zunehmend abgelehnt werden. Hinzu kommt – darauf hat insbesondere Michael Meuser verwiesen – die „Krise der Männlichkeit“, die vom Wandel der Arbeitsgesellschaft ausgeht. Der Mann als Familienernährer ist kein tragfähiges Männerbild mehr. Daran haben der Wandel der Geschlechterrollen und die Berufstätigkeit von Frauen mitgewirkt, fundamental ist aber in der jüngsten Entwicklung die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit sowie die zunehmend prekären Beschäftigungsverhältnisse, die die Funktion des Familienernährers in einer wachsenden Zahl von Fällen gar nicht mehr ermöglichen. An diese Stelle sind bisher aber noch kaum gesellschaftlich adäquate und anerkannte Männerbilder getreten. Die resultierende Verunsicherung führt daher häufig zu einem stärkeren Festhalten an traditionellen Männlichkeitskonstruktionen. Ein zweites Konzept, das viel zum Verständnis von Jungen beitragen kann, ist das der hegemonialen Männlichkeit. 2.2 Hegemoniale Männlichkeit Ich beziehe mich hier zunächst auf die grundlegenden Forschungen des australischen Soziologen und Pädagogen Robert Connell. Sein 1995 in Englisch veröffentlichtes Buch „Masculinities“ ist mittlerweile weltweit zu einem Standardwerk geworden. In Deutschland liegt es unter dem Titel „Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten“ nun in der 3. Auflage vor. Connell kritisiert die essentialistischen, die positivistischen und die normativen Definitionsansätze von Männlichkeit als unzureichend (Connell 2006, 88-91) und legt eine Analyse der Gesellschaft zugrunde, die er auch mit qualitativen Interviews belegt. Sein Hauptaugenmerk richtet er auf die Bereiche Macht, Produktion und Beziehungsgefüge und untersucht jeweils wie sie sich zeigen, z.B. in Über- und Unterordnungen. Dabei geht er davon aus, dass in der „derzeitigen westlichen Geschlechterordnung (…) die wichtigste Achse der Macht die allgegenwärtige Unterordnung von Frauen und die Dominanz von Männern ist – eine Struktur, welche die Frauenbewegung als ‚Patriarchat’ bezeichnet hat“.37 Connell geht es nun um eine Differenzierung von Männlichkeit: Masculinities. In der derzeitigen westlichen Geschlechterordnung unterscheidet Connell vier Hauptformen von Männlichkeit: Hegemoniale Männlichkeit, untergeordnete hältnis, Opladen 1998, 237-255. Meuser, Michael: Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster, Opladen 1998. 37 Connell, Robert W.: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, (Geschlecht und Gesellschaft Bd. 8), Wiesbaden 32006, 94. Jungenarbeit 55/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 13 Männlichkeit, komplizenhafte Männlichkeit und marginalisierte Männlichkeit. 38 Ich werde diese vier Konzepte skizzieren. Unter „Hegemonialer Männlichkeit“ versteht Connell eine gesellschaftliche „Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis (…) [die] die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll).“39 Vereinfacht gesagt, handelt es sich um die Männlichkeit, die die gesellschaftliche Macht hat und das Leitbild von Männlichkeit bestimmt. Die Hegemonie wird durch einen erfolgreich erhobenen Anspruch auf Autorität (unter Umständen gestützt durch Gewalt) hergestellt: „Die Führungsebenen von Wirtschaft, Militär und Politik stellen eine recht überzeugende korporative Inszenierung von Männlichkeit zur Schau, die von feministischen Angriffen und sich verweigernden Männern immer noch ziemlich unberührt scheint.“40 Hegemoniale Männlichkeit konstituiert sich auf Zeit und kann verändert werden. Sie zeigt sich z.B. auch in Führungspositionen, wenn ein bestimmtes Leitbild konstitutiv für die Besetzung von Lehrstühlen ist, z.B. männlich, weiß, nicht offen homosexuell und kein allein erziehender Vater. Die hegemoniale Männlichkeit funktioniert als Leitbild auch gegen die Realitäten und eigenen Erfahrungen, wenn etwa das Modell des Familienernährers trotz langjähriger Arbeitslosigkeit in der Familie und der Gesellschaft aufrecht erhalten wird. „Strenggenommen – so Holger Brandes im Anschluss an Connell und Pierre Bourdieu –„bezieht der Terminus ‚männliche Hegemonie’ sich auf die Gesamtgruppe der Männer im Unterschied zu den Frauen, während Connells Kategorie der ‚hegemonialen Männlichkeit’ sich auf Differenzierungen und Konkurrenz unter Männern bezieht.“41 Mit „untergeordneter Männlichkeit“ bezeichnet Connell die Beziehungen von Unter- und Überordnung zwischen Männern. Besonders deutlich wird dies bei Hetero- und Homosexualität. Die Unterordnung funktioniert auf verschiedene Weise, etwa durch Ausschluss, durch Gewalt, sei sie staatlich, manifest, verbal oder latent, aber auch durch Verleugnung.42 Ebd., 97ff. Ebd., 98. 40 Connell übernimmt das Konzept der Hegemonie von Antonio Gramsci. Es bezeichnet die Dynamik mit welcher eine Gruppe, „eine Führungsposition im gesellschaftlichen Leben einnimmt und aufrechterhält“. Ebd., 98. Das müssen nicht die reichsten und mächtigsten Männer sein, es können auch Filmschauspieler oder andere Vorbilder sein. Eine Entsprechung zwischen kulturellem Ideal und institutioneller Macht ist aber notwendig. 41 Brandes, Holger: Hegemoniale Männlichkeit und männlicher Habitus, Thesen zu Connell und Bourdieu (Diskussionspapier zur 3. AIM-Gender-Tagung 2004), 2. 42 Connell, Robert W.: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, (Geschlecht und Gesellschaft Bd. 8), Wiesbaden 32006, 98. 38 39 Jungenarbeit 56/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 14 Die „untergeordnete Männlichkeit“ wird in Jungen- und Männergruppen hergestellt, z.B. indem heterosexuelle Jungen und Männer als schwul bezeichnet oder als Weichei, Schlappschwanz beschimpft werden. Mit seinem Konzept „komplizenhafter Männlichkeit“ stellt Connell dar, dass die überwiegende Mehrzahl von Männern von der hegemonialen Männlichkeit profitiert, obwohl nur wenige sie verkörpern. Alle Männer haben Teil an der „patriarchalen Dividende“ – wie Connell sagt –.43 Dies meint, dass Männer vom Patriarchat profitieren „durch einen Zugewinn an Achtung, Prestige und Befehlsgewalt“ und auch materiell.44 Es ist in diesem Konzept eingeschlossen, dass Männer Kompromisse mit Frauen im Alltagsleben eingehen.45 Mit „marginalisierter Männlichkeit“ beschreibt Connell diejenigen Männer, die aufgrund von Hautfarbe oder Klasse an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden.46 In diesem Zusammenhang erinnere ich an den überproportionalen Anteil von Jungen mit Migrationshintergrund bei den schlechteren Schulabschlüssen. Es dürfte bereits deutlich geworden sein, dass Connell dynamische, relationale Männlichkeitskonzepte vertritt. Marginalisierung und Ermächtigung kann es z.B. auch zwischen untergeordneten Männlichkeiten geben, etwa zwischen etablierten homosexuellen Politikern und marginalisierten Transsexuellen oder in Gestalt hegemonialer türkischer Rapper.47 Ich habe die neuere Theoriebildung von Männlichkeiten herangezogen, um dem häufig essentialistischen, biologistischen Verständnis von Männlichkeit, das die Männer grundsätzlich für gleich hält, etwas entgegen zu setzen. Männlichkeiten sind soziale Phänomene, die hergestellt und wieder verändert werden können und die untereinander in Spannung stehen. Damit komme ich zu meinem – kurzen – dritten Teil: 3. Konsequenzen und Herausforderungen für die Religionspädagogik Im Blick auf eine jungenbezogene Religionspädagogik stehen wir noch am Anfang. Ich möchte einige Herausforderungen und Konsequenzen benennen: Zunächst halte ich es für unverzichtbar, dass diejenigen, die mit Kindern und Jugendlichen religiöse Bildung betreiben, ihre eigenen GeschlechtererfahrunEbd., 100. Ebd., 103. 45 Ebd., 100f. Die meisten Männer profitieren von der patriarchalen Dividende, setzen sich „aber nicht den Spannungen und Risiken an der vordersten Frontlinie des Patriarchats“ aus. 46 „Marginalisierung entsteht immer relativ zur Ermächtigung hegemonialer Männlichkeit der dominanten Gruppe.“ Ebd., 102. 47 Männlichkeit profiliert sich häufig durch Gewalt gegen Frauen (insbesondere deutlich durch sexuelle Gewalt, steigende häusliche Gewalt und Kriegsvergewaltigungen), aber auch von Männern untereinander. Ebd., 105. 43 44 Jungenarbeit 57/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 15 gen und -vorstellungen bewusst wahrnehmen, sie kontinuierlich reflektieren und nach Erfordernis verändern. Dazu können Fragen dienen wie: Was durfte ich als Junge, was nicht? Was durfte ich als Mädchen, was nicht? Was musste ich tun als Junge, als Mädchen? Was gestehe ich Jungen und Männern zu, was nicht? Worauf reagiere ich erfreut, worauf abwehrend? Um eigenen (unbewussten) Verhaltensweisen und Vorstellungen auf die Spur zu kommen, kann es sinnvoll sein, Dritte, zum Beispiel PraktikantInnen, beobachten lassen, wie die Aufmerksamkeit zwischen Mädchen und Jungen verteilt ist oder welche Kommentare zu dem Verhalten der Kinder gegeben werden. Z.B.: Sage ich zu einem Jungen, der eine Puppe nimmt, er mache den Mädchen nur etwas nach, oder nehme ich sein Bedürfnis ernst? Nehme ich wahr, wie biblische Figuren auf Mädchen und Jungen wirken, oder konzentriere ich mich auf die zu lernende Botschaft? Wiegle ich aggressives Verhalten von Jungen als „normal“ ab oder suche ich Wege, damit konstruktiv umzugehen? Damit ist nicht nur die Frage der Selbstreflexion angesprochen, sondern auch die der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Hier ist es notwenig, Elemente zu integrieren, die eine Genderkompetenz fördern. Ziel wäre eine Religionspädagogik der Vielfalt, wie ich sie in Anlehnung an Annedore Prengels „Pädagogik der Vielfalt“ nennen möchte48. Sie geht von einer Vielfalt der Kinder und Jugendlichen aus. Die Förderung von Jungen muss dann nicht gegen die von Mädchen ausgespielt werden. Zu entwickeln wären grundsätzlich differenzorientierte Unterrichtsarrangements und Methoden, wie zum Beispiel Projektunterricht und Stationenlernen oder psycho- wie bibliodramatische Elemente. Zumal bezogen auf die Jungenförderung sind körperorientierte Lernformen aufzugreifen und weiterzuentwickeln.49 Die Schulversuche von Astrid Kaiser in Niedersachsen haben zahlreiche Vorschläge erarbeitet, wie man mit Jungen andere Verhaltensweisen, zum Beispiel zu Wahrnehmung, einüben kann. Methoden wie Stille-Übungen haben bereits in den Religionsunterricht Eingang gefunden. Hier käme es darauf an, diese auch im Zusammenhang der Jungenförderung zu verstehen. Hinsichtlich des Umgangs mit Aggression und der Gewaltprävention kann man auf Übungen und Überlegungen des Berliner Schulversuchs zur Gewaltprävention zurückgreifen. 50 Möglichkeiten negative Gefühle und Aggressionen aufzugreifen bestehen, wie es Ingo Baldermann gezeigt hat, zum Beispiel darin, Psalmen als 48 Prengel, Annedore: Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik. Opladen 21995. 49 Zu leiborientierten Arbeitsweisen z. B. Leonhardt, Silke: Leiblich lernen und lehren. Ein religionsdidaktischer Diskurs (Praktische Theologie heute Bd. 79), Stuttgart 2006. Christine Labusch hat z.B. eine Unterrichtseinheit entwickelt, die körperorientierte Arbeitsformen in die Behandlung des Gleichnisses vom blinden Barthimäus einbezieht. Labusch, Christine: Leibliche Zugänge zu Heilungsgeschichten. In: Beuers, Christoph u.a. (Hg.): Leibhaftig leben. (Forum für Heil- und Religionspädagogik Bd. 4), Münster 2007, 142-150. 50 Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport Berlin (Hg.), Mädchen sind besser – Jungen auch. Konfliktbewältigung für Mädchen und Jungen. Ein Beitrag zur Förderung sozialer Kompetenzen in der Grundschule. 2 Bände, Berlin 1998. Jungenarbeit 58/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 16 Form des Klagegebets oder des Wunsches nach Rache zu lesen und neu zu formulieren. In kirchlichen Bildungszusammenhängen ist zudem die gewaltsame und Gewalt verharmlosende biblische Tradition kritisch zu reflektieren. In diesem Zusammenhang ist auch der Primat einer Theologie des Wortes und die über weite Strecken körperfeindliche christliche Tradition kritisch aufzuarbeiten. Notwendig ist die Analyse von Materialien für den Religionsunterricht, für Kindergottesdienst, KU und Lehrerfortbildung. Wie werden Jungen dargestellt? In welchen Rollen? Mit welchen Eigenschaften? Welche biblischen Geschichten und Figuren werden gewählt? Werden Jungen und Männer in fragenden, beziehungsorientierten Situationen vermittelt? Werden unterschiedliche Männerrealitäten deutlich?51 Die Orientierungssuche zwischen traditioneller Männerrolle und neuen Männerbildern kann nicht auf Verbote aufbauen, sondern muss Konflikte thematisieren und Alternativen deutlich machen. So berichtet beispielsweise Redlef Neubert-Stegemann über Erfahrungen im BRU, in dem Jungen und Mädchen Szenen des Kontaktaufnehmens spielten. Durch Rollenspiele konnten Jungen ihre Verunsicherung benennen, wahrnehmen, wie sie diese durch machohaftes Verhalten zu überspielen suchen. Sie konnten den Mädchen deutlich machen, dass sie Angst vor Zurückweisung haben und die Mädchen fragen, was sie von Jungen erwarten. Die Mädchen konnten zeigen wie sie sich den Kontakt wünschen. Gute Erfahrungen wurden auch mit phasenweise getrennten Jungenund Mädchengruppen gemacht, die als „geschützter Raum“ und im Sinne einer kompensatorischen Erziehung genutzt werden.52 Schließlich sind Religionspädagogik und Theologie herausgefordert, Bibel und Theologie im Blick auf die Lebenssituationen von Jungen und Männern neu zu lesen und eigene Perspektiven zu entwickeln. Die Feministische Theologie hat hier viel vorgearbeitet, was hermeneutische Fragen u. ä. angeht. Eine „Männliche Theologie“ – so z.B. in dem Buch „KU – weil ich ein Junge bin“53 – wird in Deutschland vor allem in der kirchlichen Männerarbeit vorangebracht, fehlt aber in der Religionspädagogik meines Wissens noch völlig. Sie kann ein spannendes Unternehmen werden, das neue Einsichten in die biblisch-christliche Tradition, nicht nur für Männer, eröffnet. 51 Kriterien zur Analyse von Sexismus in: Pithan, Annebelle: Religionsbücher geschlechtsspezifisch betrachtet. Ein Beitrag zur Religionsbuchforschung. In: Der Evangelische Erzieher 45 (1993), 421-435. Vgl. auch: Pithan, Annebelle (mit Gerlinde Ehrenfeuchter und Charlotte Hilger): Gerechtigkeit für Mädchen und Frauen. Perspektiven für eine geschlechtergerechte Religionspädagogik in Schule und Gemeinde entwickelt von der Alpika-AG „Frauen in Schule und Gemeinde, o.O. 1998. Pithan, Annebelle u.a. (Hg.): Geschlecht – Religion – Bildung. Ein Lesebuch. Comenius-Institut: Münster 1999, 153-160. Auch: Volkmann, Angela: "Eva, wo bist Du?". Die Geschlechterperspektive im Religionsunterricht am Beispiel einer Religionsbuchanalyse zu biblischen Themen. Würzburg 2004. 52 Vgl. Knauth, Thorsten (Hg.), KU – weil ich ein Junge bin. Ideen – Konzeptionen – Modelle für einen jungengerechten KU, Gütersloh 2002. 53 Siehe FN 52. Jungenarbeit 59/61 Dr. Annebelle Pithan Arme Jungs oder kleine Machos? 17 Dringend notwendig sind Männer – Jugendliche und Erwachsene – die Verantwortung in der Erziehung übernehmen: in der Familie, aber auch in Grundschule, Kindergarten oder Kindergottesdienst. Nach wie vor ist es so, dass nur wenige junge Männer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in ihrer Lebensplanung aufgreifen (die meisten Frauen hingegen schon); dass auch zunehmend Männer keine Kinder wollen, da ihnen die Verantwortung zu hoch ist. Wir brauchen Männer, die sich kritisch mit traditionellen und gegenwärtigen Männlichkeitsvorstellungen auseinandersetzen und eigene Wege zu gehen versuchen. Essentialistische, biologistische und normative Ansätze, die Jungen auf bestimmte Eigenschaften festlegen, sind nicht weiterführend. In diesem Zusammenhang halte ich es für wichtig, dass die sog. mythopoetischen Ansätze, die – z.B. im Anschluss an Richard Rohr - an vermeintlich zeitlose männliche Eigenschaften, wie der „wilde Mann“ oder der „Mann als Krieger“, anknüpfen, nicht die Alleingeltung in der Kirche gewinnen. Sie können als Erfahrungshilfe nützlich sein. Sie greifen jedoch – und das sollte mein Rekurs auf Connell deutlich machen – bezüglich der Vielfalt von Männlichkeiten sowie der Macht- und Herrschaftsfragen und ihrer sozialen Bedingungen zu kurz. Arme Jungs – oder kleine Machos? Jungen möchten ernstgenommen und nach ihren Interessen und Möglichkeiten gefördert werden. Gleichstellungspolitik, feministische Pädagogik und Feministische Theologie verlieren deshalb nicht ihre gesellschaftliche Bedeutung. Das konstruktive Gespräch zwischen kritischer Frauen- und Männerforschung, der gendersensible Umgang mit Mädchen und Jungen wirken mit bei der notwendigen Verankerung von Geschlechtergerechtigkeit in Gesellschaft, Kirche und Religionspädagogik. Dazu können wir im Sinne eines doing gender alle beitragen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Jungenarbeit 60/61 5. Warum Jungen nicht mehr lesen www.warumjungennichtmehrlesen.de In Vorbereitung des Buches Warum Jungen nicht mehr lesen und wie wir das ändern können wurden mit Unterstützung der beiden Institute ijf, München und SKOPOS, Köln von Oktober 2003 - Mai 2004 mehr als 2000 deutsche Schülerinnen und Schüler nach Ihren Lesegewohnheiten befragt. Ziel war es, Motivationspotential im Hinblick auf das Lesen von längeren Texten und Büchern insbesondere bei Jungen auszuloten. Neben lesehemmenden und lesefördernden Faktoren galt unsere Aufmerksamkeit vor allem Titeln, die die befragten Schülerinnen und Schüler als lesens- und empfehlenswert einstuften. "Lesen? Der doch nicht, der spielt doch den ganzen Tag Computer." Das ist eine der Standardantworten, die ich seit gut drei Jahren immer wieder von Eltern bekomme, wenn ich sie nach den Lieblingsbüchern ihrer Söhne frage. "An Jungen kommen wir im Deutschunterricht kaum noch ran." sagen die Lehrer. "Lesen gilt heute unter männlichen Jugendlichen als weibisch!" Welcher echte Kerl wolle auf dem Weg zum Mann von seinen Peers schon gern ein "Weichei" genannt werden? Jungen wollen lesen, auch wenn sie es nicht immer zugeben. Zweitens: Sie lesen, wenn auch anders als gemeinhin angenommen. Und: Sie lesen umso intensiver und anspruchsvoller, je besser wir es verstehen, ihnen in der mehrere Jahre anhaltenden Leselustlernphase die richtigen, persönlich passenden Texte in die Hände zu geben. www.wirlesenvor.de Der bundesweite Vorlesetag am 22.11.2008 Vorlesen ist eine wunderbare Sache: Für alle, die vorgelesen bekommen – aber auch für diejenigen, die vorlesen. Daher möchten wir Sie herzlich einladen, bei der Initiative „Wir lesen vor“ der Wochenzeitschrift DIE ZEIT und der Stiftung Lesen mit dabei zu sein. Ob beim diesjährigen bundesweiten Vorlesetag am 20. November 2008 oder das ganze Jahr über … Alle Vorleser wurden in der ZEIT-Ausgabe vom 22. November namentlich genannt. Weiterhin finden Sie hier alle Veranstaltungen zum diesjährigen Vorlesetag. In diesem Jahr wird der bundesweite Vorlesetag am 20. November stattfinden. Alle, die mitmachen möchten, können sich ab Sommer auf dieser Internetseite anmelden. Und falls Sie schon jetzt mit der Planung beginnen möchten: Alles Wissenswerte über das jährliche Projekt - darunter viele praktische Tipps für die Organisation einer eigenen Vorlese-Aktion, für Lehrkräfte, Bibliothekare oder Buchhändler - finden Sie hier. Die zwölf goldenen Regeln zum Vorlesen 1. Suchen Sie sich einen ruhigen, angenehmen Ort, an dem Sie mit den Kindern gemütlich und bequem sitzen können. 2. Wählen Sie einen günstigen Augenblick zum Vorlesen, z.B. während der Kleingruppenarbeit im Kindergarten oder während einer Ruhepause. Versuchen Sie, das Lesen im Altag zu ritualisieren und gehen Sie auf die spontanen Bedürfnisse der Kinder ein. 3. Richten Sie sich bei der Auswahl der Bücher nach dem Alter der Kinder: großflächige Bilderbücher für die Jüngsten – längere Vorlesegeschichten, auch als Fortsetzungs-Geschichten über mehrere Tage, für die Älteren. 4. Bringen Sie Abwechslung beim Vorlesen und Erzählen: Wählen Sie mal fantastische Geschichten, mal lustige Sprachspiele, mal Sachbücher, mal Märchen. 5. Haben Sie Geduld mit Ihren Zuhörern: Betrachten Sie Zwischenfragen nicht als Störung, sondern als willkommene Anregung. Lassen Sie sich beim Vorlesen und Erzählen auf die Fantasie und die Bemerkungen der Kinder ein. Jungenarbeit 61/61 6. Sprechen Sie mit den Kindern über die Geschichte. 7. Achten Sie bei der Auswahl der Bücher auf angemessene, passende Illustrationen und klare Schriftbilder. 8. Lassen Sie auch die Kinder Bücher auswählen, und versuchen Sie, auch wenn Sie ein und das selbe Buch immer wieder vorlesen sollen, den Wunsch der jungen Zuhörer/innen zu akzeptieren. 9. Seien Sie ein Vorbild. Je häufiger Sie sich selbst freudig mit Büchern beschäftigen, desto leichter werden die Kinder den Zugang zu Büchern finden. 10. Vermeiden Sie das „Runterleiern“, denn Kinder spüren, wenn Sie mit den Gedanken nicht dabei sind. 11. Nehmen Sie sich Zeit für ein Gespräch danach. 12. Versuchen Sie nicht, Fernsehen und Bücher gegeneinander auszuspielen. Bücher zu beliebten Fernsehsendungen können ein guter Einstieg zum Vorlesen und Erzählen sein.