5. Ansätze der Jungenarbeit In diesem Kapitel werde ich auf verschiedene Ansätze der Jungenarbeit eingehen. Zunächst möchte ich zu dem Vorurteil, daß Jugendarbeit Jungenarbeit sei, eingehen. Dieses Vorurteil beruht darauf,daß nachgewiesenermaßen (ENDERS-DRAGÄSSER/FUCHS; 1990) (vgl. 3.2.1.) Jungen in Schulen und in der offenen Jugendarbeit (in Jugendheimen) deutlich mehr Aufmerksamkeit, Platz, Angebote ... bekommen, als Mädchen. Ebenso ist ihr Anteil in der offenen Jugendarbeit überdurchschnittlich hoch. Er lag "bei den über 16-jährigen Jugendlichen bei etwa 80%" (Michael SCHENK; In: WILLEMS/WINTER, 1991, S.99) "Gefördert wurde dies auch durch eine Angebotsstruktur, die sich an den `männlichen Maßstäben' orientierte, und durch seine räumliche Aufteilung, die Jungeninteressen in den Mittelpunkt stellte." (STROB, 1992, S. 37) Den meisten Menschen fällt dieser Unterschied nicht auf (vgl. ENDERS-DRAGÄSSER, 1994, S.52). Dieses zeigt sich in der veränderten Wahrnehmung. Als ausgeglichenes Verhältnis erscheint den PädagogInnen, wenn die Jungen etwa 2/3 der Aufmerksamkeit erhalten. Die Gefahr liegt darin, daß dies sehr lange nicht erkannt worden ist und daß so dieses System: `Störer haben Vorrang' nicht unterbrochen werden konnte. Ebenso wurde weder in Schulen, noch in der Jugendarbeit auf die spezielle Situation der Jungen eingegangen: Warum stören sie so oft? Warum müssen sie sich in den Vordergrund drängen? Würden sie lieber etwas anderes machen? Warum stimmt etwas nicht, wenn sie zurückhaltend sind? Warum/was reizt uns an diesem Verhalten? Diese zentralen Fragen der Jungenarbeit haben sich nur wenige Personen gestellt. So war das Verhalten der Jungen `erfolgreich' und das System der Überbewertung der `Starken' und der Verdrängung der `Schwachen' konnte bestehen bleiben. Den Jungen wurden keine Anforderungen an ihr Sozialverhalten gestellt, der `Regenerative Bereich' war nicht ihre Aufgabe. (Pädagogische)Arbeit mit Jungen ist in Jugendheimen gemacht worden, Jungenarbeit aber nicht. Meinem Verständnis nach beginnt Jungenarbeit mit der Sicht auf die Jungen. Ich kann die Jungen auf Hintergründe ihres Verhaltens aufmerksam machen. Um dies zu erreichen ist allerdings ein langer Weg notwendig. Ich kann versuchen, ihnen Zeit und Raum zu geben, zur Ruhe zu kommen. Ein Ansatz zur Jungenarbeit ist die Zeit. Das `Hier und Jetzt' ist wichtig. Nicht der heutige Tag, die Woche, sondern wirklich der Moment. Ich muß mir die Zeit nehmen, den Moment zu erleben, zu spüren, wahrzunehmen. Wenn ich es schaffe, diesen Moment für die Jungen interessant zu machen, kann ich ihnen einen Zugang zu sich selbst, ihrem Körper und ihrer Umgebung zu vermitteln (aufzuzeigen). In den Moment hineinspüren bedeutet, seinen Körper zu spüren, seine Gefühle wahrzunehmen. Sich Zeit zu nehmen, bedeutet, sich Gedanken zu machen und diese Gedanken auszutauschen. Neben diesem Prozeß hat die Jungenarbeit noch eine weitere Aufgabe. Die Jungenarbeiter müssen ein neues Bild vom Mann aufzeigen. Es fehlen Vorbilder und Idole. Die Jungen und die Männer brauchen ein erstrebenswertes Ziel. Dieser Mann muß verschiedene Fähigkeiten in sich vereinigen um attraktiv zu sein. Er muß stark sein. Stark sein bedeutet nicht ein `Muskelmann' zu sein, sondern zu wissen, was er will und dies auch vertreten zu können. Ein Mann der für mich ein Vorbild ist, muß klar sein und Zivilcourage haben. Auf der anderen Seite muß so ein Mann auch einen Zugang zu seinen Gefühlen haben. Er muß sich selber wahrnehmen können und er muß darüber reden können. Wer diese Seiten in sich vereint hat kann sich auch auf andere Personen einlassen. Er kann Beziehungen eingehen und dafür eintreten. Jungen die so ein Verständnis von sich haben, oder dies anstreben, brauchen keine Gewalt. Sie müssen niemanden herabsetzen, um sich gut zu fühlen. Sie brauchen nicht ständig zu gewinnen oder sich in dauerhafter Konkurrenz zu anderen zu sehen. 5.1. Verschiedene Modelle der Jungenarbeit Es gibt seit ca. 9 - 10 Jahren verschiedene Modelle zum Thema Jungenarbeit. Ich stelle zwei Modelle vor, die meinen Ideen der Jungenarbeit weitgehend entsprechen. Als erstes werde ich die `antisexistische Jungenarbeit' der HEIMVOLKSHOCHSCHULE ALTE MOLKEREI FRILLE (1988) darstellen. Er bezieht sich auf Jungen, die aufgrund sozialer und schulischer Probleme als benachteiligt gelten, eine Problemgruppe, die ich aus meiner eigenen praktischen Arbeit kennengelernt habe. Die `antisexistische Jungenarbeit' wird seit mittlerweile 7 Jahren durchgeführt und ist aus der praktischen Arbeit entwickelt worden. Dieser Ansatz berücksichtigt sowohl geschlechtsgetrennte, als auch koedukative Bereiche. Das Modellprojekt zur Förderung der Jungen- und Männerarbeit in der katholischen Jugendverbandsarbeit der KSJ-GCL (1993) (KSJ-GCL heißt Katholische Studierende Jugend in den Gemeinschaften Christlichen Lebens) ist das zweite Modell, auf das ich mich beziehe. Es ist erst in den letzten Jahren entwickelt worden und stellt somit einen neuen und doch vergleichbaren Stand der Jungenarbeit dar. Dieses Modell ist ebenfalls aus der praktischen Arbeit heraus entwickelt worden, bezieht sich aber auf verbandlich organisierte Jungen und Männer, die nicht als benachteiligt gelten. Somit sehe ich hierin eine Erweiterung des antisexistischen Ansatzes der Jungenarbeit. Da dieses Modellprojekt in KINDLERs Buch: "Maske(r)ade" beschrieben steht, werde ich es im folgenden als KINDLERs Modell benennen. Beide Modellprojekte stellen Bildungsarbeit mit Jungen dar. Ebenso ist in beiden Ansätzen enthalten, daß Jungenarbeit Aufgabe von Männern ist und in ihrer Verantwortung liegt. Den zwei Ansätzen liegt die Vorstellung zu Grunde, daß Jungen und Männer `Probleme' haben mit Verhaltensweisen, die sich (ursächlich) aus dem traditionellen Männerbild ergeben. Das Interesse an dem, was Jungen bewegt auf der Suche nach `Männlichkeit', und das Angebot von Männern, hierbei Hilfestellungen aufgrund eigener Erfahrungen sowie theoretischer Auseinandersetzungen zu geben, liegt beiden Konzepten geschlechtsspezifischer Pädagogik mit Jungen zugrunde. Die Unterschiede beziehen sich zum einen aus der unterschiedlichen Zielgruppe heraus (s.o.), zum anderen werden die Schwerpunkte des antisexistischen Verhaltens verschieden Gewichtet. Im Konzept der HVHS FRILLE liegt hier der Schwerpunkt des Konzeptes. Das Geschlechterverhältnis wird, auch wenn den Jungen dies in einzelnen Situationen nicht so erscheinen mag, immer mit berücksichtigt. Der Anspruch, daß Jungen sich für die Interessen der Frauen und schon während der Bildungseinheit aktiv gegen sexistisches Verhalten eintreten sollen, wird betont. In dem Konzept der KSJ-GCL wird dieses als ein umstrittener Punkt beschrieben, der sich in der Diskussion befindet. Hier ist antisexistisches Verhalten lernen einer, von drei wichtigen Zielen. Ein weiterer Unterschied liegt in der Betonung der koedukativen Elemente der Jungenarbeit. In der HVHS FRILLE liegt hier ein weiterer Schwerpunkt, da sie davon ausgehen, einen Rahmen geben zu müssen, in dem ein Verlassen gewohnter, eingeübter Verhaltensmuster erlaubt ist. In KINDLERs Modell liegt der Schwerpunkt auf geschlechtsgetrennte Arbeitseinheiten. Damit ist die Möglichkeit zur Konfrontation der Jungen mit eigenem dominantem Verhalten eingeschränkt. 5.1.1. Antisexistische Jungenarbeit Für die Entwicklung der Notwendigkeit von Jungenarbeit gibt die HVHS ALTE MOLKEREI FRILLE (1988) drei Gründe an: Die "Ergänzung zur Mädchenarbeit ... die Ebene der gesellschaftlichen Problematik herrschender Männlichkeit und die Ebene der individuellen Probleme mit dem `Mann-Sein'." (ebd., S. 60) Die HVHS FRILLE nennt auf der Ebene der Ergänzung zur Mädchenarbeit in der Entwicklung der Jungenarbeit, das Stören der Jungen bei den Mädchengruppen und die Veränderung bei den Mädchen als Gründe. "Die Mädchen veränderten sich, wurden stärker. Die Jungen veränderten sich nicht, beharrten eher auf tradierten Verhaltens-weisen."(ebd., S.64) Eine andere Beobachtung war die, daß die Mädchen, die in Kontakt zu den Jungen bleiben wollten, sich an "die alten Unterdrückungsverhältnisse anpassen"(ebd.) mußten. Es wurde eine "Betreuung der Jungen installiert ... Damit war allerdings noch keine positive Bewertung der Jungenarbeit verbunden, oft genug das Gegenteil. " (ebd.) Der zentrale Punkt daraus, der heute noch Bestand hat, ist die Schwierigkeit der Jungen, mit den veränderten Lebenszusammenhängen zurecht zu kommen. Auf die beiden anderen Ebenen, die "herrschende Männlichkeit" (ebd.)(vgl. 4. `Hegemoniale Männlichkeit' und 4.3.2.) und die "individuellen Probleme mit dem `Mann-Sein'" (ebd. S.64) (vgl. 3. und 4.3.3.) bin ich schon intensiv eingegangen. Das Konzept distanziert sich stark von dem Begriff der "Männerrolle", weil damit die "gesellschaftliche Dimension verschleiert" (ebd., S.66) wird. Dem Begriff der Rolle "kommt eine Entlastungsfunktion zu: Nicht der einzelne Mann trage die Verantwortung für sein Verhalten, sondern die Gesellschaft, die ihm seine Rolle auferlegt." (ebd.) und der Rollenbegriff bezieht sich auf Unterschiede der Geschlechter, also Männer und Frauen, kann aber das Verhältnis zwischen den Geschlechtern nicht fassen. Über das Verständnis von Jungenarbeit schreibt die HVHS ALTE MOLKEREI FRILLE: "Unsere Jungenarbeit ist die Begegnung eines - hoffentlich - erwachsenen Mannes mit einem Jungen, der ein Mann werden will." (ebd., S.72) Auf die Bedeutung des "Jungenarbeiters" werde ich im 6. Kapitel eingehen. Jungenarbeit "ist nicht beschränkt auf die Thematisierung geschlechtsspezifischer Fragestellungen. Sie findet nicht nur in Jungengruppen statt. Unsere Jungenarbeit ist eine neue Sicht auf Jungen. Sie überwindet die gesellschaftliche Gleichsetzung von Mann und Mensch und nimmt den Jungen/Mann in seiner Reduzierung auf die von ihm erwarteten Eigenschaften und Verhaltensweisen wahr." (ebd.) Um den Begriff "antisexistische Jungenarbeit" zu erklären verwerfen die Autoren die Namen "emanzipatorische Jungenarbeit" als "Verunglimpfung der existierenden Emanzipationsbemühungen" (S.73); "Bewußte oder geschlechtsspezifische Jungenarbeit" als "zu undeutlich in der Zielsetzung" (ebd.); die "Parteiliche Jungenarbeit" als zu eingeschränkt, da Jungenarbeit ihrer Auffassung "auch parteilich für eine Emanzipation der Frau und eine gleichberechtigte Gesellschaft" (ebd.) eintreten muß; die "feministische Jungenarbeit" wird als zu "unkritisch an die Mädchenarbeit angelehnt" beschrieben. Zur "Antisexistischen Jungenarbeit" definieren sie den Begriff: "Sexismus" als "nicht nur individuelle Vorteile, die sich auf die Geschlechter beziehen - z.B. den Glauben an die Überlegenheit des männlichen und die Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechtes (ein umgekehrter Glaube allerdings auch) - sondern auch strukturelle - Diskriminierungen." (ebd.) Ziele antisexistischer Jungenarbeit Einer der wichtigsten Ansprüche, den `antisexistischen Jungenarbeit' hat, ist jener, daß Jungen- und Männer lernen müssen, sich selbst zu hinterfragen. Niederlagen einzustecken, ist ein Problem, da die damit verbundene Unsicherheit als individuelles Versagen gedeutet wird. Das man aus Niederlagen lernen und dadurch die nächste Niederlage vermeiden kann, soll den Jungen vermittelt werden. Wer seine Probleme nicht wahrnimmt, kann dies nicht. Jungenarbeit muß aufzeigen, das Schwäche zeigen, kein Nachteil, sondern ein erweitertes Selbstbewußtsein ist. Dennoch, einen Zugang zu einem anderen Bild von Männlichkeit zu bekommen, ist schwierig. "Jungen müssen auch jetzt schon motiviert werden, sich nicht mehr aktiv an der Unterdrückung von Frauen und den weiblichen Anteilen bei sich selbst und anderen Männern zu beteiligen." (ebd., S.74) Die HVHS FRILLE definiert ihre Ziele (ebd., S.76f) auf der "Ebene der Wissensaneignung" und auf der "Handlungsebene", wobei die angeführten Ziele nicht als Reihenfolge zwangsläufig erreichbarer Ziele verstanden werden sollen, sondern als ein Überblick, der je nach Situation und Interessenlage angemessen umgesetzt werden kann. "Jungen sollen erkennen: geschlechtsspezifisches Verhalten ist nicht angeboren, es wird erlernt und kann sich ändern; die Unterdrückung der Frau und des Weiblichen in der Gesellschaft bedeutet auch die Unterdrückung eigener weiblicher Persönlichkeitsanteile; die emotionalen und praktischen Reproduktionsarbeiten haben sowohl gesellschaftlich wie individuell, im Sinne einer allseitig entwickelten Persönlichkeit, ihre Bedeutung; sog. männliche Tugenden: Selbstbeherrschung, Gelassenheit, Distanziertheit, Überlegenheit ... machen in ihrer Idealisierung eine Panzerung des Gefühlslebens und des Körpers notwendig ... (und machen krank A.d.V.) welche Vorteile eine Veränderung des Verhältnisses der Geschlechter zueinander und der Erwartungen an Frauen und Männer mit sich bringen kann, um mit einem positiven Blick auf die Mängel der Gegenwart zu öffnen; welche Erweiterung ihrer Lebensplanung über die einseitige Orientierung auf Erwerbsarbeit ... möglich ist; das Patriarchat ist `keine' natürliche Erscheinung, es gab und gibt andere Kulturen; " (ebd.) Auf der Handlungsebene muß Jungenarbeit einen Raum bieten, in dem sie: lernen, die emotionalen Reproduktionstätigkeiten und das alltägliche Gefühlsleben bewußt in die eigene Hand zu nehmen, und lernen, daß auch sie für eine angenehme Atmosphäre im Umgang miteinander verantwortlich sind; die praktischen Reproduktionstätigkeiten ... sich anzueignen; neue Erfahrungen mit dem eigenen Körper, mit allen Sinnen machen ...; sensibler werden für fremde und eigene Bedürfnisse ; Freiheit, Lust, Bedürfnisbefriedigung, Freude und Anerkennung nicht auf Kosten anderer erleben; einen positiven Umgang mit Widersprüchen erproben, d.h. erleben, daß sorgen und versorgt werden, stark und schwach ... in einer Person zur gleichen Zeit vereinbar sind; erleben, daß es nicht nur angenehm ist zu führen, sondern auch geführt zu werden ... ; Aufmerksamkeit für sexistisches Verhalten, Sprache Unterdrückung ... erlangen ; die Abwesenheit von Konkurrenz, Unterdrückung und Panzerung, zumindest in Augenblicken erleben; erfahren, daß auch Männer begabt sind mit Gefühlen und Wärme ... ; in der Jungengruppe einen Rückhalt für eigene Veränderungswünsche zu erfahren." (ebd.) Die Formulierung dieser Ziele stellt eine Zukunftsperspektive für die Jungenarbeit dar, die nicht vollständig ist und schon gar nicht sofort erreicht werden kann. Es soll ein Prozeß eingeleitet werden, den jeder auf seinem eigenen Weg gehen kann, bzw. muß. Dies ist kein Lernzielkatalog, sondern die Ideen einer diskutierbaren Zielvorstellung. Der Weg dahin soll wenig über Sprache sein. Er sollte ein `hin' zum Erleben sein. Ansatzpunkte antisexistischer Jungenarbeit Die HVHS FRILLE hat keine neuen pädagogischen Methoden entwickelt. Sie legen Wert auf die neue Sicht auf Jungen. Die Mittel die sie einsetzen sind altbewährte Methoden wie: "Frage- und Diskussionsspiele, Collagen, Rollenspiele, Elemente aus dem Forumteather, Video- und Fotoproduktionen, Lebenskurven (Mannwerdung, individuelle Gewaltentwicklung) und Talkshows zu jungenspezifischen Themen." (ebd., S.84) Wichtige Elemente der Jungenarbeit sind Mannopoly (s.u.), Körperarbeit ( Wahrnehmung, Körpererfahrungen, ...) Phantasiereisen (Geschichten zum Entspannen, Träumen und neuen Erleben), Reproduktionsarbeit (Jungen müssen Verantwortung übernehmen für Raum, Atmosphäre, auch Kochen, Putzen ...) und Alltagsarbeit (Alltägliche Grenzüberschreitungen, Dominaz, Verhalten in gemischtgeschlechtlichen Gruppen ... werden thematisiert. Betroffenheit durch greifbare Situationen ermöglicht einen Zugang für die Jungen). Als konkretes Beispiel für die Jungenarbeit werde ich hier das Spiel: `Mannopoly' beschreiben. Dieses ist ein Spiel zum Kennenlernen. Es wird eingesetzt, um über die verschiedenen Aspekte des `MannSeins', in spielerischer Form und im festgelegten Rahmen, ins Gespräch zu kommen. Die Regeln können und sollen je nach Spielsituation geändert werden. Der Spielleiter sollte darauf achten, daß ein ein "hoher Grad an fairer Gleichberechtigung" (ebd.) eingehalten wird. Für dieses Spiel sollte ein abgetrennter Raum und ausreichend Zeit zur Verfügung stehen. Das Spielbrett wird von den Jungen selbst gebastelt (Collage). Dies dient gleichzeitig als Einführung in die Thematik. Es liegen ausreichend Zeitschriften vor, aus denen die Jungen ihre Ideale des `Mann-Seins' ausschneiden und gemeinsam auf das Spielbrett aufkleben sollen. Zu Beginn des Spieles bilden sich jeweils Zweierpaare, die das Spiel gemeinsam Spielen werden. Der Spielleiter wählt vor dem Spiel persönliche auf die `Männlichkeit' und das `Mann-Werden' bezogene Fragen aus, die in drei verschiedene Schwierigkeitskategorien eingeteilt werden. (z.B. "Was ist ein wahrer Mann?"; "Gibt es für dich ein Idealbild von einem Mann?"; "Stelle pantomimisch folgende Gefühle dar: Angst, Wut, Trauer!") Die Antworten werden von den übrigen Mitspielern bewertet. Die Angst, sich zu äußern; Hemmungen, die überwunden werden; Bereitschaft wahrheitsgemäß zu Antworten (`Dazu - Stehen') sind dabei ebenso Kriterien wie die Qualität oder Quantität der Antwort. Je nach Bewertung darf dann auf dem Spielfeld weitergegangen werden. Dieser Rahmen fördert zwar das Konkurrenzdenken der Jungen, er ist aber so lange notwendig, wie eine vertraute Atmosphäre untereinander noch nicht besteht. Der `Zwang' der Regeln nimmt den Jungen ein Stück der Angst oder relativiert die Angst, sich mit Äußerungen bloßzustellen. Das Spiel, bzw. die Spielregeln dienten bei meinen eigenen Spielen bald nur noch als Rahmen, sich mit verschiedenen Fragen zu beschäftigen. Die antisexistische Jungenarbeit entspricht wesentlich in ihren Zielen und Ansätzen meiner persönlichen Vorstellung von Jungenarbeit. Schwierig finde ich die sehr hoch gesteckten Ziele, da sie eine zu schnelle Erfüllung erwarten lassen (und damit eine Enttäuschung bei nicht erreichen, bzw. eine Überforderung der Jungen). Ich gerate schnell dazu, von den Jungen Dinge zu erwarten, die sie nicht erfüllen können und emine Ideen und Vorstellungen gehen an den Bedürfnissen der Jungen vorbei. Das Ziel `Jungen müssen sich aktiv gegen die Unterdrückung von Frauen wenden', finde ich unrealistisch. Das Ziel, sogenannte weibliche Anteile in sich zu erkennen, muß stark im Vordergrund stehen. Dies ist für viele Jungen schon eine große Belastung, da dies ihren bisherigen Vorstellungen vom `Mann-Sein' entgegensteht. Danach liegt der Schwerpunkt darauf, diese Anteile in sich zu Verarbeiten. Im Anschluß daran, müssen diese Anteile Akzeptiert werden und erst dann können die Jungen sich für die Belange der Frauen einsetzen. Die Ziele als anstrebenswerte Utopiemodelle finde ich treffend formuliert. Eine realitätsbezogene Umsetzung fehlt mir an manchen Stellen. Ein anderer Kritikpunkt ist der Name: `antisexistische Jungenarbeit'. Er signalisiert für mich eine zu starke Anlehnung an die Mädchen- und Frauenarbeit. Die Entstehung der Jungenarbeit rechtfertigte dies lange Zeit. Meiner Meinung nach müsssen sich die Jungen und Männer eigene und unabhängige Ansätze ihrer Arbeit entwickeln. Männer müssen sich selbst als Dreh- und Orientierungspunkt sehen. Die Motivation zur Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Person sowie der Wunsch nach Veränderung der gängigen Männerrolle. Für mich ist ein neutraler Name, wie geschlechtsbezogene Jungenarbeit daher zeitgemäßer. Er kann einen anderen, unvoreingenommen Zugang zu dieser Arbeit ermöglichen. 5.1.2. Modellprojekt zur Förderung der Jungenund Männerarbeit der KSJ-GCL Die Grundlagen und theoretischen Vorüberlegungen KINDLERs habe ich bereits unter 4.2.2. und 4.2.3. genannt. KINDLER distanziert sich ebenso wie die HVHS FRILLE von dem Begriff der Rolle. Er weist daraufhin, daß durch eine Beschreibung "Der Männerrolle" die Unterschiede zwischen den einzelnen Männern "konterkariert" (ebd., S.61) werden. Der Schwerpunkt seines Modells, bzw. was es leisten soll, beschreibt KINDLER auf S. 52: "Erweiterung männlicher Subjektivität um bisher abgewehrte, Verunsicherung auslösende Anteile, Entfaltung unterschiedlicher Formen von Männlichkeit Problematisierung von Grenzverletzungen und dahinterstehenden nach Geschlecht polarisierenden Orientierungs- und Bewegungsmustern." KINDLER legt Wert darauf, daß Männer und Frauen einen "möglichst großen Freiraum zur Gestaltung ihrer eigenen Identität und des eigenen Handelns" (ebd.) haben. Die Bedeutung der "Kategorie Geschlecht" (ebd.) soll nicht `blind' übernommen, sondern durch die "Bewußtheit und Beweglichkeit mit der Kategorie ersetzt werden." (ebd.) Diese Unterschiede sind für ihn von herausragender Bedeutung, um eine Änderung der Identifikationsmodelle überhaupt möglich zu machen. Damit betont er die Unabhängigkeit von der Frauenbewegung und eine eigenständige Begründung der Jungen- und Männerarbeit. Zielvorstellungen von KSJ-GCL Modell Die KSJ-GCL hat speziell für ihre Situation im Verband die in 5.3.1. genannten Ziele umformuliert und in drei Schwerpunkte unterteilt: "Selbstbewußter werden, beziehungsfähiger werden und antisexistisches Verhalten lernen" (KINDLER, 1993, S.56ff) "Selbstbewußter werden bedeutet hier für die Männer: ihrem Körper mehr Beachtung schenken und lernen, auf seine Signale mehr zu hören; mit und nicht gegen ihre Gefühle leben und widerstreitende Empfindungen nicht zu schnell nach einer Seite hin auflösen; sich erinnern an ihre Geschichte, ihre Sorgen, ihre Nöte und Freuden, aus denen sie ihr Mann-Sein bauen; ihr eigenes Manns-Bild entwickeln, aus ihren Stärken und Schwächen und den Anforderungen und Erwartungen, die ihnen begegnen... Unterdrückung, so meinen wir, beginnt häufig mit Selbstunterdrückung. Umgekehrt hoffen wir, wer sich selbst mag und weiterentwickelt, will auch andere nicht festhalten und kleinkriegen." (ebd., S.56) Der zweite Schwerpunkt der Ziele ist `Beziehungsfähiger werden', die Männer (und Jungen) sollen: "haushalten lernen im emotionalen ebenso wie im praktischen Bereich ... Vor allem die Fähigkeit, für die eigenen emotionalen Bedürfnisse Sorge zu tragen und sich Konflikten zu stellen ... Zum `Haushalten' gehört auch die Fähigkeit und das Interesse für's grundlegend Praktische, also Kochen, Waschen, Putzen. Dabei geht es nicht darum, daß Männer mal dies oder jenes tun, sondern um eine alltägliche Selbständigkeit. ... Es gilt, auch mit anderen Männern Möglichkeiten eines offenen und herzlichen Umgangs zu entdecken. Nur Männer können einander bei der Entwicklung ihrer Position als Männer unterstützen ... den Frauen zuhören: Wenn Männer vollständige Beziehungen zu Frauen entwickeln wollen, müssen sie versuchen, weibliche Erfahrungswelten, die sich von männlichen z.T. erheblich unterscheiden, kennenzulernen und anzuerkennen." (ebd., S.57) Die dritte Zielvorgabe ist: `antisexistisches Verhalten lernen' "... Männer sind aufgefordert, sexistischem Verhalten entgegenzu-treten, sich also antisexistisch zu verhalten ..." (ebd., S.58) Die Mitarbeiter der KSJ-GCL halten es für schwierig, `Zivilcourage' bei sexistischem Verhalten zu zeigen, da sie sich einer Unterstützung nicht sicher sind. So geben sie die Männergruppen als Ort, dies zu trainieren und sich ihrer Meinung sicher zu werden, als geeigneten Ort an. Ebenso konnten sie sich nicht auf eine Definition von `Sexismus' endgültig einigen. Ihrer Meinung nach richtet sich `Sexismus' überwiegend gegen Frauen. Die "Benachteiligung aufgrund des Geschlechts" (ebd.) sei die häufigste Definition, sie lasse aber offen, wer festlegt, ob eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts vorliegt. Wir sprechen von `Sexismus' gegen Frauen, wenn Frauen in einer Situation des Machtungleichgewichts Unterdrückung von Männern erleben. Auch den Versuch, einzelne Männer auf ein bestimmtes stereotypes Verhalten festzulegen, würden wir als `Sexismus' bezeichnen." (ebd.) Ein Beispiel für die KSJ-GCL- Arbeit ist der Studientag: "Männerkörper" (ebd., S.85ff) Dieser Studientag wurde unter dem Motto der "Erweiterung männlicher Subjektivität und zu Möglichkeiten zu ungewohnter Körpererfahrungen" (ebd.) abgehalten. Unter diesem Motto sollte die Fähigkeit, Gefühle auszudrücken und eine Konzentration auf das `Innen' und eine `genußvolle Passivität' stattfinden. Im ersten Teil dieses Tages wurden die Männer gebeten, Paare zu bilden. Sie sollten in einem vorbereiteten Raum verschiedene Gefühle und Stimmungen darstellen. Dabei sollten sie sich gegenseitig beobachten, sich im Gespräch gegenseitig unterstützen und anschließend die Positionen mit einer Polaroidkamera aufnehmen. Im anschließenden Plenum wurde über die Fotos, die dargestellten Gefühle und dahinterstehende Blockierungen gesprochen. Im zweiten Teil des Tages wurden die Paare auf einen "Verwöhnparcour" geschickt. Es gab Stationen für den Gaumen (eine gedeckte Tafel), für die Ohren (einen Musikraum), für Nasen und Augen (Düfte, Rosen und Gewürze) und für die Haut (Naßrasur und Massage). Die Teilnehmer sollten sich für verschiedene Stationen entscheiden und sich dann auf ihre Empfindungen und Körperreaktionen konzentrieren. Auch nach diesem Teil tauschten sich die Männer über ihre Gefühle, Empfindungen und Gedanken aus. Dem KSJ-GCL-Modell fehlt leider ein eigenständiger Name. Seine Ansätze entsprechen meinen eigenen Vorstellungen weitgehend. Es ist eindeutig "Mittelschichtsorientiert" geschrieben und hat daher als Zielgruppe Jungen und Männer, die einer Veränderung des `Rollenklischees Mann' ohnehin positiv gegenüberstehen. Diese Zielgruppe entspricht einer möglichen `Jungenarbeitergruppe'. Die Umsetzung bei weniger eigenmotivierten Jungen ist problematisch. Das Modell halte ich für gut geeignet, die Jungenarbeit einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich zu machen. So scheint ein Veränderungsprozeß bei einer breiten Bevölkerungsschicht möglich zu sein. Der Bereich der Konfrontation, bzw. antisexistisches Verhalten lernen und Umsetzen ist mir zu wenig betont. Für mich ist es wichtig, wenn in diesem Bereich, gerade motivierten Jungen und Männern, gearbeitet wird. Die koedukativen Bereiche werden nur sehr kurz erwähnt. Ich denke, daß es wichtig ist, auch Bereiche gemeinsamer Angebote zu haben. In diesen Phasen können die Jungen neu erlernte Verhaltensmuster anwenden. Ich glaube, daß es von Vorteil ist, wenn dies in einem `geschützten' Raum, mit einer gewissen Unterstützung geschieht. Ebenso kann im `gemeinsamen Raum' konkreter an Dominanzverhält-nissen gearbeitet (durch Konfrontation) werden, bzw. können diese Verhaltensweisen in der konkreten Situation aufgegriffen werden.