Protokoll der Veranstaltung - Deutscher Ärztinnenbund eV

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Protokoll der Veranstaltung
„WORK – LIFE – BALANCE.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf – ein Traum für Ärztinnen??“
Frühjahrstreffen des Jungen Forums des Deutschen Ärztinnenbundes am 09.04.2005
www.aerztinnenbund.de
Diese Veranstaltung war organisiert in der Zusammenarbeit von Frau Dr. Esther Gaertner, Frau Dr. Astrid
Bühren und Frau Dr. Claudia Rudroff mit freundlicher Aufnahme in den Räumen der Universität Witten/
Herdecke.
Das Programm des Tages (9:30 – 19:00 Uhr) bestand nach einer ausführlichen Einführungs- und
Kennenlernrunde zum einem aus dem Vortrag „Die Rolle der Mutter für die Entwicklung des Kindes ein Plädoyer gegen das ´schlechte Gewissen`“ von der Entwicklungspsychologin Frau Prof. Dr. Hellgard
Rauh aus Potsdam. Zum anderen aus Erfahrungsberichten einer studierenden Mutter (Frau Stefanie Krah
aus Herford), einer Chirurgin und Mutter (Frau PD Dr. Claudia Rudroff aus Köln), sowie einem
zusätzlichen und spontanen Erfahrungsbericht einer Allgemeinärztin in der Kinderzeit (Frau Dr. Kathrin
Klinke). Der Erfahrungsbereicht einer Allgemeinärztin und Mutter entfiel leider aus Zeitgründen (Frau
Dr. C. Dunker-Schmidt). Darüber hinaus gab es die Möglichkeit an zwei von drei angebotenen
Worksshops in Kleingruppen teilzunehmen: 1. Rollenmodell – Modellrolle
2. Meditation 3.
Entspannungsübungen. Ab 19:00 Uhr klang der Abend bei einem gemeinsamen Abendessen und
anregenden Gesprächen in einem schönen italienischen Restaurant aus.
Nach der Begrüßung durch Frau Dr. Bühren (Präsidentin des Ärztinnenbundes) begann eine allgemeine
Vorstellungsrunde, in der jede Teilnehmerin die Gelegenheit hatte sich vorzustellen. Diese Runde, wurde
ausgesprochen gut angenommen und wurde durch die einzelnen Beiträge zur Person, Berufstätigkeit,
Familiensituation sowie damit zusammenhängende Schwierigkeiten und Lösungsansätzen schon zu einem
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sehr interessanten und informativen Erfahrungsbericht von den jeweiligen
Teilnehmerinnen. Die Lebenssituationen der rund 45 teilnehmenden Frauen war bunt gemischt
(Studentin, Berufseinsteigerin, Weiterbildungsassistentin, Fachärztin im Krankenhaus oder in der Praxis,
Ärztin in der Mutterzeit, Wiedereinsteigerin nach Pause, bzw. Ärztinnen im Umbruch) mit einer Variaton
von keinem bis 5 Kindern und das Alter der Teilnehmerinnen lag zwischen Anfang 20 bis Mitte 40 Jahre
Frau Prof. Dr. Rauh gliederte ihren Vortrag „Die Rolle der Mutter für die Entwicklung des Kindes ein Plädoyer gegen das ´schlechte Gewissen`“ in drei Teile:
1. Moderne Frauenbiographien
2. Kinder und ihre Bedingungen und Bedürfnisse
3. Folgen von non-maternal care
Kurzer geschichtlicher Überblick
Die Diskussion über die Rolle der Mutter für die Entwicklung des Kindes ist eine alte Diskussion, die
erstmals Ende der 60er Jahre des 20.Jahrhunderts mit der steigenden außerhäuslichen Berufstätigkeit der
Frauen, besonders der Frauen mit qualifizierter Bildung, aufkam. In anderen Ländern (Frankreich,
Skandinavien, frühere sozialistische Länder incl. DDR) entwickelte sich ein breit gefächertes
Krippensystem für Kinder unter 3 Jahre. In der ehemaligen BDR jedoch erfuhr jegliche außerfamiliäre
Kinderbetreuung für Kinder bis drei Jahren aus ideologischen Gründen (Verfechter: Sozialpädiater) eine
negative Bewertung. Nur in Berlin und Hamburg gab es Krippenplätze und in Berlin, Hamburg und
München gab es Tagesmütter. Ende der 70er Jahre gab es ein Gutachten an die Bundesregierung mit
Forderung nach Krippenplätzen. Empirische Befunde in den USA und in West-Deutschland ergaben
bereits in den 60er und 70er Jahren, dass die Berufstätigkeit der Mütter den Kindern in der Regel nicht
schadet:
 Kinder glücklicher Hausfrauen gediehen am besten
 Kinder glücklicher berufstätiger Frauen folgten unmittelbar
 Weniger gut gediehen Kinder von Müttern, die mit ihrer Berufstätigkeit unzufrieden waren – oder
deren Ehepartner gegen die Berufstätigkeit waren
 Am schlechtesten gediehen Kinder von mit ihrer Hausfrauenrolle unzufriedenen Müttern
(siehe auch Habilitationsschrift von U. Lehr 1968: Frau und Beruf)
1. Moderne Frauenbiographien: Übernahme der Mutterrolle durch junge Frauen
Lebenslaufentwürfe wurde lange Zeit nur für Männer konzipiert (Stationen nach Erik Erikson:
Urvertrauen, Autonomie, Initiative, Werksinn, Identität, Intimität, Generativität, Weisheit: die
verantwortungsvolle Elternschaft setzt voraus, dass die werdenden Eltern ihre Identitätsentwicklung,
Persönlichkeitsentwicklung weitgehend abgeschlossen haben und eine „reife“ Intimität entwickelt haben,
sich nicht in den Partner verlieren.) Neuere Lebenslaufentwürfe für beide Geschlechter (Harris et al.
1988) berücksichtigen nach der Adoleszenz eine Übergangsphase (junges Erwachsenenalter 17-23 Jahre)
und eine Entflechtung von Familien und Berufsentwicklung. Das frühe Erwachsenenalter (24-40 Jahre)
hat folgende Entwicklungsaufgaben: Partnerwahl, mit Partner leben lernen, Familiengründung,
Versorgung und Betreuung einer Familie, Heim herstellen und Haushalt organisieren, Berufseinstieg,
Verantwortung als Staatsbürger ausüben, eine angemessene soziale Gruppe finden (Havighurst/
Dreher&Dreher 1995).
Es folgte die Darstellung historischer Veränderungen im letzten Jahrhundert hinsichtlich früherer
sexueller Reife u. Aktivität etc. und späterer finanzieller und familiärer Unabhängigkeit, eigener
Familiegründung und längerer Ausbildungszeit sowie neuer Familien- und Gesellschaftsformen.
Anschließend ein Vergleich der Elternschaft Ost und West (siehe PDF-Datei, erhältlich bei Frau Baddack
im Sekretariat des DÄB).
Für immer mehr junge Frauen ist außerhäusliche Berufstätigkeit eine Selbstverständlichkeit. Eine
phasenweise Unterbrechung für die Kindererziehung wird eher von den jungen Männern für ihre
künftigen Frauen gewünscht als von diesen selbst.
2. Kinder und ihre Bedingungen und ihre Bedürfnisse aus der Sicht der Evolution und der heutigen
technischen Welt.
Beschreibung soziodemographischer Perspektiven, zunehmend sprachlich gemischter Haushalte,
abnehmende Säuglinssterblichkeit, zunehmende Reorganisation der Familie (Trennung, Neukombination)
bei ⅓ der jetzt geborenen Kinder, ¼ aller Kinder wächst ohne Geschwister heran.
Veränderte Kindheit:
Kinder sind vergleichsweise selten – und daher möglicherweise gesellschaftlich nicht mehr eingeplant?
Kinder haben heute eine große Chance, erwachsen und sogar sehr alt zu werden. Der soziale
Erfahrungsraum für Kinder hat sich strukturell verändert: sie sind von mehr Erwachsenen umgeben.
Kinder wachsen heute physisch entfernter und emotional näher auf als Kinder früherer Generationen.
Kinder heute beanspruchen und erhalten mehr Raum, mehr Betreuung, mehr Anregung, die speziell für
sie organisiert wird, als Kinder früherer Generationen. Kinder haben heute andere Lernmöglichkeiten und
Lernziele und dies bereits im Kleinkindalter.
Kinder heute:
Kinder heute sind häufig auch biologisch andere Kinder als früher (früh geborene, chronisch krank etc.).
Verstoßen die neuen Bedingungen des Aufwachsens von Kindern gegen die Grundsätze der Evolution
und gefährden die biologische Absicherung? Kinder heute stellen die Eltern und die Gesellschaft z. T. vor
neue und vorher nie da gewesene Aufgaben in der Betreuung, Versorgung und Erziehung sowie der
gesellschaftlichen Integration: Jedes einzelne Kind ist kostbar, wertvoll und teuer.
„Für Kinder zu sorgen und sie beim Aufwachsenzu begleiten, ist keine Lebensform, für die in dieser
Gesellschaft in ausreichendem Maße die notwendigen Vorkehrungen getroffen, Zeit und Raum
bereitgestellt und die materiellen Mittel angeboten werden…. . Kinder und die Bedingungen ihres
Aufwachsens sind nicht einer zentralen Lebensbereiche der Gesellschaft, von dem aus Entwürfe des
persönlichen Lebens, Berufslaufbahnen, Institutionen und Zuteilungssysteme so strukturiert werden, dass
es leicht ist, sein Leben mit Kindern zu teilen. Es gibt kein Muster, das gesellschaftliche Annerkennung
findet und an das Mütter und Väter sich anlehnen können. Es besteht die Gefahr, dass sie (die Kinder) zu
den gehetzten, teils überversorgten, teils vernachlässigten, vorzeitig zur Selbstständigkeit angehaltenen
Kindern werden, die in den Lücken der komplizierten Zeitpläne und divergierenden Interessen der
Erwachsenen leben“ (Krappmann, 10. Kinder- und Jugendbericht 1999).
Frau Prof. Rauh folgert, dass eine „strukturelle Rücksichtslosigkeit“ der Gesellschaft gegnüber Kindern
besteht.
Was Kinder brauchen (10. Kinder- und Jugendbericht 1999):
Zeit – Raum und Platz – Kohärenz der sozialen Struktur und die Kooperation der beteiligten Erwachsenen
– Kontinuität – Annerkennung.
3. Pflege und Erziehung der Kinder: Aufgaben von Eltern bzw. Müttern und nur durch die
Mütter? Auswirkungen von Folgen von non-maternal care
Paare werden Eltern:
Neue umfassende Situation in der Schwangerschaft, Umstellung, Krise, Herausforderung,
Persönlichkeitsentwicklung (weibliche/männliche Rolle akzeptieren, Statuswechsel von Tochter zur
Mutter bzw. Mutteridentität), Veränderung des Lebenskonzeptes (Desillusionierung, Einschränkung der
individuellen Bedürfnisse, Gewinn- u. Verlustbilanzierung), der beruflichen und finanziellen Situation,
der Partnerschaft (Belastungsprobe, Absinken der partnerschaftlichen Zufriedenheit, Ärger und
Empörung, Ungerechtigkeitszuschreibungen, Aufgabenverteilung, Konsolidierung), der Sexualität, der
Beziehung zur Ursprungsfamilie (Auseinandersetzung mit den eigenen Eltern) und Freunden (Kritik
insbesondere an etwaiger Krippenbenutzung gerade in Deutschland, nicht in Frankreich (Dienel 2003)).
Paradox: Trotz der überwiegenden Verbesserung der biologischen, sozialen und psychologischen
Lebensbedingungen berichten viele (die Mehrzahl) der Untersuchungen von einer Abnahme der
Partnerschaftsqualität bei Paaren, die gerade Eltern geworden sind.
Soziales Unterstützungsnetz:
Oft durch die Familie (besonders die der Frau). Die Großeltern sind heute wohlhabender, früherer
Ruhestand (Männer), Großmütter berufstätig, bei besserer Gesundheit. Mögliche Probleme der
Erziehungsaufgaben durch die Großeltern sind: es wird gesellschaftlich nicht als üblich betrachtet, die
mittlere Generation steht dazwischen, Konflikte mit den vielen anderen Rollen, Konflikte zwischen
Nicht-Einmischung und Unterstützung der Familie.
Psychologische Bedürfnisse von kleinen Kindern:
Betreuung, Einbezug (Bindung), Interaktion und Kommunikation (Beziehungen), Anregung.
Eltern-Kind-Beziehungen:
Eltern als Interaktionspartner: Bindungsaufbau, Bezogenheit und Autonomie, interne Arbeitsmodelle.
Eltern als Erzieher: Erziehungsstiele, kindliche Erfolgsfertigkeiten.
Eltern als Arrangeure von Entwicklungsgelegenheiten: Ökologie der Sicherheit, Ökologie der
Entwicklungsförderung.
Elterliches Investment mit direkter Interaktion (Pflege, Nähe, Schutz, Erziehung, Füttern etc.) und
indirektem Beitrag (Haushaltung, Ressourcen bereiten, sozio-emotionale Unterstützung der Mutter etc.)
Vorbereitung auf elterliche Fähigkeiten aus Evolutionspsychologischer Sicht:
1. Das Kindchenschema ist eine Art Auslöser für das Fürsorgeverhalten (Lorenz): bereits Kinder
interessieren sich für Babys, Zunahme der Präferenz für das Kindchenschema in der Pubertät (bes. bei
Mädchen), Zunahme bei werdenden Müttern und Vätern und Großeltern. Das Kindchenschema wird
weniger durch die Hormone beeinflusst, als dass es viel mehr eine Sache der jeweiligen anstehenden
Entwicklungsaufgabe ist.
2. Die mütterliche Bindungsprägung (Bonding, nach Klaus&Kennell 1987) ist weniger eine Prägung der
Eltern auf das Kind, sondern eine besonders gute Möglichkeit sich früh und intensiv kennen zu lernen.
Vermutlich eine sensible Phase für eine optimale spätere Entwicklung auf der Basis einer spezifischen
zeitbegrenzten hormonellen Bereitschaft.
3. Intuitives Elternverhalten ist ein spontanes, nicht gelerntes elterliches Verhalten, das komplementär
den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Säuglings entspricht (auch teilweise schon bei älteren Kindern
vorhanden): das Kind wird im optimalen (Seh-) Abstand gehalten, sprechen mit zärtlicher Stimme,
Schlafen mit wachen Ohren für die Geräusche des Kindes, Beruhigungsverhalten, wenn das Kind schreit.
Nur die Mütter?
 Es gibt keine Hinweise darauf, dass Kinder unter drei (oder zwei) Jahren ausschließlich von ihrer
biologischen Mutter versorgt werden können, wenn sie gut aufwachsen sollen.
 Auch Väter entwickeln entsprechende Bindungen und fürsorgliche Verhaltensweisen.
 Auch Großeltern und andere Erwachsene und größere Kinder.
 In einfachen Kulturen wird ebenfalls die Versorgung eines Säuglings (meist unter den Frauen, die
selbst Kleinkinder haben) geteilt; ältere Geschwister übernehmen einen Teil der Betreuung und
sogar der Erziehung.
Vom Säugling zum Kleinkind: Betreuung und Erziehung – was ändert sich beim Kind?
Kleinkinder brauchen nicht nur (körperliche) Versorgung und Betreuung. Der menschliche Säugling
macht eine großartige Entwicklungsveränderung durch, die besonders die Zeit vom Ende des erste bis
zum dritten Lebensjahr umfasst. Hier werden für den Menschen spezifische Grundlagen gelegt. Hierfür
benötigt das Kind die Bindung an (mindestens) eine spezifische Vertrauensperson. In der Regel ist es
mehr als eine Person, wenn auch eine meist als besonders heraus gehoben ist. Solch eine besondere
Beziehung benötigen auch Kinder in Institutionen, um psychisch zu gedeihen. Gegen Ende des 1. Lj.
beginnen Kinder mit der Lokomotion. Zu ihrer „Sicherheit“ entwickeln sie als ein „psychisches
Gummiband“ die personenspezifische Bindung. Sobald sie sich verunsichert fühlen, orientieren sie sich
am (mimischen und sprachlichen) Ausdruck ihrer Bezugsperson (Mutter, Vater o.a.) kehren um und
„tanken“ wieder psychisch auf für weitere Erkundungen. Im 2. Lj. beginnen Kinder ihre dingliche
Umwelt in der Vorstellung zu repräsentieren und mit ihnen in der Vorstellung umzugehen. Dies kann
auch ausufern ängstigen. Zur „Kontrolle“ entwickeln sie Sprache und Logik (bis ins Jugendalter). Im 2./3.
Lj. beginnen Kinder ihre soziale Umwelt in der Vorstellung zu repräsentieren und ihre Gefühle zu
versprachlichen. Zur „Kontrolle“ entwickeln sie den Sinn für soziale Regeln und die Anfänge von Moral.
Bindung
Harlow (1958) untersuchte am Affen ´the natur of love´ und fragt, ob die Leibe durch die Verstärkung mit
Nahrung oder durch Zärtlichkeit entsteht. Als Ergebnis stellte er fest, dass Zärtlichkeit als
„Sicherheitspender“ wichtiger war als die Milchgabe. Dennoch hatte die Äffchen schwere psychische
Schäden als Erwachsene (kein angemessenes Paarungsverhalten, rabiate Mütter). Aufwachsen mit
Gleichaltrigen milderte die negativen Folgen. Aufwachsen mit fürsorglichem.
John Bowlby (1964) erstellte für die WHO ein Gutachten über Bindung:
Alle Kinder entwickeln im Verlaufe der ersten beiden Lebensjahre eine intensive Gefühlsbindung
(emotionale Bindung) an ihre Hauptbezugsperson(en), in der Regel die Mutter. Babys und Erwachsene
sind dazu (von der Evolution) ausgerüstet: intuitives Elternverhalten, Signale des Kindes (Hilflosigkeit
und tiefes Vertrauen) sowie Verhaltensweisen (Schreien, Lächeln, Hinterherkrabbeln), die Erwachsene in
seine Nähe bringen und dort halten.
Die Bindung entwickelt sich in vier Phasen: anfangs die Vorphase mit einer Personen nichtunterscheidenden Ansprechbarkeit auf soziale Signale. Im 5-6. Monat die Personen unterscheidende
Ansprechbarkeit. Ab dem 7.-8. Monat ist die eigentliche personenspezifische Bindung (Höhepunkt 12-18
Monate). Ab 3 Jahren gibt es die zielkorrigierte Partnerschaft: das Kind passt sein Verhalten an die
jeweilige Person und Situation an.
Die Entwicklung der Bindung hängt von drei wichtigen Faktoren ab:
1. intensive Interaktion mit dem betreuenden Erwachsenen
2. Dem Drang des Kindes nach Erkundung und Fortbewegung im Raum (Bindung als seelisches
Gummiband)
3. Der geistigen Fähigkeit, isch Gegenstände – und auch die Mutter – in deren Abwesenheit vorstellen zu
können (Objektpermanenz, etwas ab 10 Monaten).
Die Bindung ist als emotionales Band bei unsichtbar. Sie zeigt sich im Verhalten in der Regel erst in
verunsichernden Situationen. Fühlt sich ein Kind sicher, dann erkundet es, entfernt sich dabei auch von
seiner Mutter – bis zu einer gewissen Grenze. Dort verhofft es, wirft einen sichernden Blick zurück und
kehrt meist von sich aus zur Mutter zurück. Oder es sucht die Mutter.
Qualität der Bindungssicherheit:
Frau Mary D. Salter Ainsworth, eine Schülerin von Bowlby und Wittig, haben zur Beurteilung der
Qualität der Bindungssicherheit den „Fremde-Situaitons-Test“ entwickelt (1969). Die fremde Situation
provoziert bei Kindern zwischen 12-24 Monaten Erkundungs- und Bindungsverhalten und beeinflusst die
Balance beider Systeme: In einem unvertrauten, aber übersichtlichen Raum mit zwei Stühlen (für Mutter
und eine fremde Person) sowie einer Matte mit attraktiven Spielzeug wird zunächst dem
Erkundungssystem ein Übergewicht geben (Mutter liest im Raum Zeitung, Kind kann Spielzeug
erkunden) und dann werden stufenweise „Belastungen“ eingeführt (drei achtminütige Episoden: Fremde
kommt, spricht mit Mutter und Kind, Mutter geht unauffällig, Fremde bleibt, spielt und tröstet Kind wenn
notwendig, Mutter kommt wieder, Fremde geht, Mutter spielt mit Kind, Mutter verabschiedet sich,
Fremde kommt wieder, tröstet Kind wenn notwendig, Mutter kommt wider und Fremde geht).
Als sichere Bindung gilt, wenn die Mutter anwesend ist und das Kind ein munteres Erkundungsverhalten
zeigt. Zudem wenn sie abwesend ist und das Kind die deutlich vermisst und wenn sie zurückkehrt und
entweder sogleich getröstet ist oder sich innig trösten lässt.
Eine unsichere Bindung besteht, wenn das Kind selbst bei Anwesenheit der Mutter mitunter nicht ganz
sicher ist, wenn es die Mutter sehr schmerzlich vermisst oder mit Anstrengung versucht seinen Schmerz
zu überspielen. Einige unsicher gebundene Kinder lassen sich sogar durch die fremde Person trösten. Bei
Rückkehr der Mutter lässt ich das Kind entweder nur widerstreben trösten oder „schneidet“ sie sogar.
(Fast) Alle Kinder entwickeln Bindung (aus der Evolutionsgeschichte zum Überleben notwendig). Dies
gilt auch für Kinder, deren Eltern sie misshandeln. Sichere/ unsichere Bindung besagt nichts über die
Stärke der Bindung an eine Person, sondern über die Qualität. Eine „sichere“ Bindung beinhaltet für ein
Baby die geringsten psychischen „Kosten“; es kann sich auf die Bindungsperson in kritischen Situationen
verlassen. Eine „unsichere“ Bindung ist für das Baby mühsamer, stressiger, kann aber (außer bei extremer
Verunsicherung) trotzdem die notwendige Entwicklungsfunktion erfüllen. Längerfristig kann die Qualität
der Bindung in der frühen Kindheit das Selbstbild und das Bild von der sozialen Umwelt einfärben.
Bindung an den Vater:
Die Bindung entsteht etwa zur gleichen Zeit wie zur Mutter. Das Bindungsmuster zum Vater und Mutter
sind unabhängig. Im 2. Lj. bevorzugen die Jungen den Vater als Spielpartner. Es besteht eine weniger
deutliche Beziehung zur vorher beobachteten Interaktionqualität. Es gibt kaum eine Vorhersage aus der
Bindung an den Vater auf spätere soziale Beziehungen; es gibt auch keine Weitergabe der
Bindungsqualität vom Vater auf das Kind. Die „Fremde Situation“ ist möglicherweise nicht angemessen
für die Beziehung zum Vater; Explorationsseite müsste stärker berücksichtigt werden.
Spielverhalten von Vätern:
Mit Objekten wir eher unkonventionell gespielt, bei Körperspielen eher Foppen und aus der Balance
bringen, toben; das Kind treiben, ermutigen, Risiken eingehen. Erkunden, Hindernisse überwinden, in
unvertrauten Situationen dennoch Initiative übernehmen; verwenden in der Sprache mehr unvertraute
Wörter. Regen zum Problemlösen an.
Mütter hingegen haben eher die Rolle zu besänftigen und beruhigen sowie ein didaktisches Objektspiel
mit Blickkontakt.
Einkrippung
Familie und Tagesbetreuung (Binder 1995): Es sind eher gut ausgebildete Mütter und Mütter mit
höherem eigenem und höherem Partnereinkommen, die im Interesse einer kontinuierlichen
Erwerbsbiographie bereits in der Kleinkinderphase außerhäusliche Tagesbetreuung für ihr Kind in
Anspruch nehmen.
Die Nachfrage nach Krippen und Kindertagestätten wird bestimmt durch: außerhäusliche
Berufstätigkeit von Frauen, alleinerziehende Frauen, Sicherheit und Regelmaß der Betreuung,
Kostenfrage, pädagogische Erwägung/ Bedenken, frühe gesellschaftliche Einflussnahme.
Positive oder negative Spätwirkungen durch die Krippenerfahrung kann man in folgenden Bereichen
erwarten: sprachlich-kognitive Entwicklung, Wissenserwerb, soziale Kompetenz, sozial-emotionale
Bindung und Exploration, Emotionsregulation, emotionale Kompetenz, Erziehungskompetenz der Eltern.
Fthenakis (1989) beschreibt eine positive Rückwirkung qualitativ guter Krippen auf das Familienklima
und das elterliche Erziehungsverhalten sowie die Kompetenzentwicklung der Kinder.
Fragen und Aspekte im Zusammenhang mit außerhäuslicher Tagespflege/ Krippe:
Alter bei Beginn der außerfamilialen Betreuung, Erfahrungsdauer, Frage der Wirkung der täglichen
Trennungen, Bedeutung der Erfahrung mit anderen Kindern (peers) bei Mangel an Geschwistern und
Nachbarkindern (weniger gehorsam; aggressiver), Betreuungsperson (Ersatz oder Ergänzung), sächliche
und soziale Anregung, pädagogisches Programm, Ausstattung, emotionales Klima, Zeitliche Struktur:
Regelmaß, tägliche Dauer, Stundenzahl pro Woche (20 bzw. 30 Stdn. pro Woche und mehr; Belsky), Art
der Eingewöhnung, Anzahl der Bezugspersonen- und Gruppenwechsel.
Ergebnisse der Krippenforschung:
 Keine Retardation der kindlichen Entwicklung als Folge von Krippenbesuchen; bei Kindern aus
ungünstigen Milieu sogar eher förderlicher (kompensatorischer) Einfluss.
 Höhere soziale Kompetenz im Umgang mit Gleichaltrigen, je länger (in Jahren und Monaten) die
Krippenerfahrung war; allerdings auch mehr aggressive Durchsetzung.
 Qualität der Bindung an die Mutter möglicherweise dann gefährdet, wenn 30h/Woche deutlich
überschritten werden.
 Ansonsten ist die pädagogische Qualität der jeweiligen Krippe von Bedeutung.
Alternativen zur Krippenerziehung:
Tagesmütter, Großmütter, mehr oder minder fliegende Wechsel zwischen unterschiedlichen Betreuern,
langer Verzicht der Mutter auf berufliche Rückkehr und auch auf soziale und kulturelle Teilhabe. Diese
Alternativen bergen keineswegs geringere Risiken!
EIGENE STUDIE:
Eingewöhnung
Frau Prof. Rauh führte eine eigen Untersuchung mit 54 Krippekindern (♀:30, ♂:24) durch, davon waren
34 früh (♀:15, ♂:19) und 20 spät (♀:15, ♂:5) eingekrippt worden.
Wie schwierig ist es für das Kind? (Alter bei Eintritt: früh = vor dem 12. Monat (n=34), spät = zwischen
12 und 18 Monaten (n=20)). Wie erleichternd/ erschwerend sind die Rahmenbedingungen (abrupte
Eingewöhnung = 4 h von Anfang an, sanfte Eingewöhnung = weniger als 4 h in den ersten 2-4 Wochen).
Wie hilfreich ist eine gute Beziehung im Familiensetting? (Beziehung zwischen den Settings;
Bindungsqualität).
Die meisten Kinder hatten über die längste Zeitstrecke es mit einer festen Erzieherin während der
Eingewöhnungszeit zu tun (durchschnittlich waren es 2-4 Erzieherinnen).
In der Krippe unterschieden sich die jüngeren Kinder nicht in ihrem Verhalten je nach ihrem späteren
Bindungsmuster. Bei der Eingewöhnung adaptierten die älteren Kinder etwa um die dritte Woche. Die
später sicher gebundenen Kinder waren in der Krippe in der ersten Woche fröhlicher (da noch begleitet),
die später unsicher gebundenen in der zweiten. Zu Hause zeigten die später unsicher gebundenen Kinder
zunehmend schlechtere Stimmung. Zu Hause waren aber nur die später sicher gebundenen Kinder guter
Stimmung und wenig irritabel.
Einkrippungserleben:
Für Kinder unter 11-12 Monaten scheinen Familie und Krippe zwei getrennte Welten zu sein, die sie
nicht aufeinander beziehen. Dandach aber beginnen sie beide Welten miteinander zu verbinden. Ein
abrupter Übergang in die Krippe scheint für die Kinder einfacher zu sein; es ist für die Erwachsenen
sicherlich einfacher. Die Kinder (ab Ende des 1. Lj.) scheinen diesen plötzlichen Übergang dann aber der
Beziehung zu ihren Müttern anzulasten.
Sensitivität, Krippenerfahrung und Bindung
Sensitivität (Feinfühligkeit) ist nach Ainsworth eher ein Persönlichkeitsmerkmal einer Mutter, das
allerdings durch Lernen, gute und schlechte Lebenserfahrung und aktuelle Belastungen beeinflusst wird.
Sensitivität bedeutet: das Verhalten des Kindes richtig zu verstehen und prompt und angemessen zu
reagieren.
Die Beobachtungen zum Eingewöhnungsverhalten wurden durch weitere Befunde bei diesen Kindern
gestützt: Die Mütterliche Sensitivität im Umgang mit dem dreimonatigen Baby erwies sich als der
stabilste Prädiktor für die Qualität der Bindung des Kindes mit 12 Monaten. Der Zeitpunkt der
Einkrippung scheint keinen Einfluss auf die sich entwickelnde Bindungsqualität zu nehmen. Der
Einkrippungsmodus (abrupt/ sanft) war nur für Kinder mit Einkrippung ab 11-12 Monaten von
Bedeutung. Die Kinder, die mit 12 Monaten noch sicher gebunden waren, dann aber zur unsicheren
Bindung mit 21 Monaten wechselten, hatten eine abrupte Eingewöhnung erlebt. Die wenigen Kinder, die
von unsicherer Bindung mit 12 Monaten zu sicherer Bindung mit 21 Monaten wechselten, hatte eine
Mutter, die in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres deutlich sensitiver wurde; und sie hatten keine
abrupte Krippenerfahrung im Alter ab 11 Monaten.
Beziehung zur Erzieherin
Gibt es nur eine Bindungsbeziehung? Die Untersuchung von Rottmann/ Ziegenhain (1988) und von
Elicker/ Noppe (2000) zeigten, dass es keine Korrelation zwischen der Qualität der Beziehung zur Mutter
und der zur Erzieherin gibt: es sind andere Beziehungen. Die Basis der Bindung zur Erzieherin ist eher
deren „Spielfähigkeit“, die Qualität der Einrichtung, die Erfahrung der Erzieherin und die Gruppengröße
(eher klein).
Elicker/ Noppe (2000) fanden aus der Bindungssicherheit mit 14 Monaten keine Vorhersage auf
folgenden Kompetenzen mit 28 Monaten: Verhaltensprobleme (internalisierend/ externalisierend),
Leitungsmotivation, Sprachverständnis, Neugierverhalten, Beschäftigung mit Erwachsen.
Eine teilweise Vorhersage konnte auf folgende Kompetenzen gemacht werden: Selbstkonzept und
Konzept von anderen, soziale Erkundung in der Krippe, Spielengagement mit anderen Kindern,
Rückzugsverhalten zu Hause.
In der NICHD-Studie an mehr als 1000 Kinder in den USA scheinen folgende Faktoren Einfluss auf die
soziale Kompetenz des Kindes zu nehmen: Geschlecht des Kindes, sensitives Elternverhalten, Alter bei
Beginn der Tagesbetreuung, Zeit pro Woche in der Einrichtung und begrenzt die Qualität der Einrichtung.
Am wichtigsten war aber die mütterliche Sensitivität, weiterhin der Bildungsgrad der Mutter und negativ
die Zeitdauer als Alleinerziehende. Sehr lange Krippentage wirkten sich eher ungünstiger aus. Die
Qualität der Krippe wirkte sich positiv (nur) auf die kognitiven und sprachlichen Kompetenzen des
Kindes aus. Das Verhalten in der Schule war dagegen kaum aus dem Verhaltne in der Kita oder zu Hause
vorhersagbar; es hing wohl mehr von dem aktuellen Klassenklima ab. Auf kognitive Prozesse
(Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Problemlösen) hatte Krippe und Kindergarten kaum, aber offenbar vor
allem das familiale Milieu Einfluss und zwar sowohl das Anregungsmilieu aus den ersten drei
Lebensjahren als auch das nach dem 4. Lj., wobei dem Anregungsgehalt der späteren zeit besondere
Bedeutung zukam. Sowohl die Familie als auch die Kita tragen zur Entwicklung des Kindes bei, wirken
aber auf unterschiedliche Bereiche der kindlichen Persönlichkeit. Kita und Krippe scheine vor allem die
kognitive Entwicklung des Kindes zu beeinflussen, weniger seine soziale und emotionale Entwicklung –
selbst wenn die Kita-Programme auf soziale Entwicklung ausgerichtet waren. Im Zweifelsfalle war der
Einfluss der Familie ausschlaggebend.
Entwicklung sozialer und moralischer Regeln
Elterliche Autorität und Rückzug aus der Erziehungsverantwortung
Bernd Ahrbeck (2004) beobachtete seit den 60er Jahren, einen Rückzug der Erwachsenen aus der
Erziehungsverantwortung mir der Folge, dass Rebellion (statt Gehorsam) als Widerstand gegen jede Art
von Autorität pädagogisch begrüßt wurde (antiautoritär), Erwachsenen die pädagogische Gewissheit
mangelte, um mit Überzeugung zukunftweisende Werte zu vermitteln, und man sich psychologisch auf
die inneren Entwicklungspotentiale und Selbsterneuerungskräfte des Kindes verließ.
Elterliche Autorität
Veränderungen in den vergangenen 100 und sogar 10 Jahren: es gibt keine strikte Arbeitsteilung mehr
zwischen den Eltern (Frauen beruftätig, Väter engagiert in der Pflege), weniger harsche Erziehung bzw.
eher laxe Disziplin, Väter fürsorglicher. Es gibt zudem neue Familienstrukturen: mehr alleinerziehende
Mütter; statt biologischen Vater gibt es einen Stiefvater oder den Freund der Mutter; die Kinder wechseln
zwischen beiden getrennt lebenden Elternteilen.
Bernd Ahrbeck (2004): man wollte die Kinder von schädigender Autorität fernhalten. Leitidee war das
selbstständige Kind, das eigenständig seinen Alltag und sein Leben bewältig (Verwöhnung vs Versagung,
Freiraum vs Begrenzung, Autonomie vs Angewiesensein). Wegen des raschen gesellschaftlichen
Wandels habe die ältere Generation keinen Erziehungsauftrag mehr. Alleine die affektive Beziehung
wurde als haltender Rahmen anerkannt
Compliance im 2. Lj (G. Kochanska)
Die Compliance des Kindes im 2. Lj. zeigt sich in der positiven Bereitschaft, sozialisiert zu werden, es ist
empfänglich für den Sozialisationseinfluss der Mutter und das Kind übernimmt mit Eifer die Werte und
Regeln der Eltern. Die Verhaltensziele der Eltern macht es zu seinen eigenen: „gehorchen“, „sich fügen“,
„einwilligen“ und „folgen“. Das objektive Selbsterkennen ist die Voraussetzung für das Erkennen
elterlicher Maßstäbe für Verhalten, für Regeln, denen man folgen soll und für wünschenswertes Betragen.
Diesen Anforderungen zu entsprechen, bringt positive Gefühle, etwas das Gefühl etwas geschafft zu
haben (experience of mastery) sowie soziale Zustimmung (social approvl).
Aktives Folgen und Mitmachen (committed compliance): das Kind übernimmt gut gelaunt und vollen
Herzens die Handlungsvorgaben der Mutter, als wären es seine eigenen; es folgt begeistert den
mütterlichen Anweisungen und führt sie auch dann aus, wenn die Mutter nicht jeden Schritt überwacht.
Sich-Fügen (situational compliance): das Kind verhält sich generell kooperativ, fügt sich aber eher
halbherzig; führt die Aufgabe nur zu Ende, wenn die Mutter dahinter bleibt, wirkt also eher extern
motiviert.
Das „Aktive Folgen und Mitmachen“ (committed compliance) ist abhängig von der Bindungsqualität,
aktiver und bemühter Aufmerksamkeit mit 9 Monaten und hat zur Folge: Gewissenhaftigkeit und
internalisierte Moral mit 5 Jahren. Das „Sich Fügen“ (situational compliance) zeigt sich in Mitmach- und
Handlungssituationen (eine eher unreife Verhaltensweise, die zwischen 2-5 Jahren abnimmt) und in
Verbotssituationen (eher ein typisches Verhalten).
Als „Maße“ für „compliance“ im 2. oder 3.Lj. gelten: sich anstrengen (ganz langsam auf einer Linie
gehen), ein Bonbon ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen, ohne gleich darauf zu kauen, einen
Turm ganz genau nachbauen, ganz leise flüstern, Mitmachen beim Aufräumen, Weitermachen, auch
wenn kein Erwachsener anwesend ist, Verbote beachten (z.B. Kuchenstück nicht anrühren).
Voraussetzungen für „compliance“ im Sinne von aktiven Folgen: Frühe Interaktionsgeschichte der
Kooperation von Mutter und Kind im 1. Lj. (Gegenseitigkeit, positive Emotionen, Engagement, Empathie
und Vertrauen), sichere Bindungsbeziehung am Ende des 1. Lj., frühe Fähigkeit der aktiven (bemühten)
Aufmerksamkeitslenkung (mit 9 Monaten), kognitive Fähigkeiten des Kindes mit 15 Monaten,
Sensitivität der Mutter (bei 22 Monaten).
Spätere Folgen (mit 5,5 Jahren) von der Qualität der „compliance“ im 2. und 3.Lj sind eine große
Gewissenhaftigkeit: auch unbeaufsichtigt z.B. das Malzeug weiter einpacken, kein Pfuschen, auch wenn
die Spielregeln zu schwer sind und ein Versagen sicher ist, beim Wettkampf im Ringwerfen die Regeln
beachten, moralische Argumente bei kleinen Dilemmata.
Beruf und Kind(er)?

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




Mütterliche Berufstätigkeit braucht sich nicht negativ auf das Kind auswirken; wichtig ist es, dass
die Mutter sich mit dem von ihr gewählten Leben wohl fühlt und dass der Partner der Mutter/
Vater des Kindes sich damit wohl fühlt.
Kleine Kinder brauchen beide Eltern bzw. mehr als einen Erwachsenen als Zuwendungsperson.
Schon kleine Kinder brauchen andere Kinder - unterschiedlichen Alter; es gibt auch eine
Kinderkultur, die von Kindern weitervermittelt wird; Kinder lernen mit und von Kindern.
Kinder wollen dazugehören, dabei sein.
Kinder brauchen klare und vorhersagbare, aber keine starren Strukturen.
Besonders kleine Kinder brauchen individuelle Zuwendung.
Feinfühliger Umgang mit dem Kind, der das Kind als Person respektiert ist ein wesentliches
psychisches Lebenselixier für das Kind.
Kinder brauchen keine perfekten Eltern und keine perfekte Umwelt. Sie sind sehr großzügig mit
ihren Eltern. Nur sollte man das nicht unnötig ausnutzen.
Hinweis
Symposium zu Familienkompetenzen vom 22.-23. Juli 2005
organisiert von Klaus Schneewind, München
Nach diesem Vortrag fand die erste Runde der drei Workshops statt, die sehr nachgefragt waren und
nach einer Pause, in der drei Erfahrungsberichte gehalten wurden, in die zweite Runde gingen:
1. Rollenmodell-Modellrolle: verschiedene Blickwinkel auf die eigene Person durch Psychodrama (Frau
Dr. Astrid Bühren, Psychotherapeutin)
2. Meditation: Neid unter Frauen (Frau Christina von Bergen, Gynäkologin und Psychotherapeutin)
3. Entspannungsübung: Vorstellen der Entspannungstechnik nach Jakobson in einer zusammengefassten
Form mit 7 und 5 Schritten (Frau Claudia Stoecker, Entspannungstherapeutin)
Erfahrungsbericht von der studierenden Mutter Frau Stefanie Krah:
Mit 22 Jahren hatte Frau Krah sich mit ihrem Partner während des Medizinstudiums dazu entschieden ein
Kind zu bekommen. Sie dachte erst daran, nach der Geburt des Kindes mit dem Studieren zu pausieren,
wurde aber in einem Gespräch mit einer Dozentin, die sie über ihre Situation informiert hatte dazu
ermuntert, auf jeden Fall weiter zu studieren und das Kind solange es noch ein Säugling sei mit in die
Vorlesung zu bringen. Ein Professor eines anderen Kurses reagierte auf den Plan das Kind mit zu bringen
eher negativ, was Frau Krahs Anliegen, Kind und Studium gleichzeitig zu bewältigen, nur festigte. Der
Professor ließ nach einigen Gesprächen Frau Krah letztlich jedoch gewähren. Folge war, dass damit für
weitere studierende Mütter der Weg gebahnt war. Bei den akademischen Lehrern hatte sie viel verbale
Unterstützung erfahren. Eine „tatkräftige“ Unterstützung boten nur wenige an, aber ist empfehlenwert
sich dann an diese zu halten.
Frau Krah beschreibt sich selbst als praktisch und anpackend verlangt und schilderte ihre Situation und
eine Reihe von Betreuungs- und Unterstützungsmöglichkeiten, die sie ausprobiert haben und das Studium
und Kinder vereinbaren ließ:
Ihrer Erfahrung nach ist der geeignete Partner die Basis für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Mit
zunehmendem Geldbesitz bedarf es weniger Organisationsaufwandes und die Studiumsdauer verlängert
sich nicht so sehr. Das soziale Umfeld ist mit entscheidend: Freundeskreis mit ähnlicher Situation, in
einer WG leben und sich die Kinderbetreuung mit den WG-Partner teilen und dadurch Zeit sparen. Sich
informieren erleichtert viel: z.B. kann ein aufkommendes schlechtes Gewissen gut mit fundierter Literatur
entlastet werden (z.B. „Wie viel Mutter braucht das Kind?“ von Schenk im rororo-Verlag). Zudem ist
Gelassenheit und ein dickes Fell hilfreich, vor allem da dumme Sprüche nicht ausbleiben („man setze auf
den Mutterbonus“, „warum man an der Uni sei, man habe sich mit dem Kind doch schon für einen Weg
entschieden“, „man nimmt einer richtigen Studentin (ohne Kind) doch nur den Platz weg“, „warum
Ärztin werden wollen, wenn doch schon der Mann Arzt ist?“, „Kind haben ist eine selbst gewählte
Behinderung“). Durch die Familie verschiebt sich der Lebensfokus etwas – man hat „andere“ Probleme
und „muss nach Hause“, so relativieren sich Ängste vor Prüfungen (und es gibt ja auch
Wiederholungsprüfungen) und man erlernt ein gutes Management.
Deutschland ist positiv formuliert hinsichtlich der Kinderbetreuung ein Entwicklungsland und man
kämpft mit Begriffen wie „Rabenmutter“, die es in Frankreich z.B. nicht gibt. Man braucht eine privat
organisierte und finanzierte Kinderbetreuung. Folgende Bausteine gibt es: Kindergarten (bekommt man
einen Platz? Gefällt einem die Art?); für Elterninitiativen braucht man u.U. Zeit, da man z.B. 2 mal in der
Woche (vor-) kochen soll; eine Tagesmutter ist „günstig“, jedoch u.U. mit vielen Kinder und keinem
Equipment; eine Kinderfrau u/o Haushälterin, die nach Hause kommt ist quasi unbezahlbar; ein
Babysitter geht nicht als Dauereinrichtung, sondern für zusätzliche Gelegenheiten; mit einem au-pairMädchen haben sie gute Erfahrung gemacht. Seit 2 Jahren sind auch zwei au-pairs möglich, allerdings
erschwert ein Sprachtest inzwischen das Verfahren. Ein au-pair-Mädchen/Junge braucht ein eigenes
Zimmer, 280 € Taschengeld, soll einen selbst bezahlten Sprachkurs besuchen und arbeitet 30h/Woche (?).
Das au-pair ist flexibel und oft auch gegen etwas mehr Geld bereit mehr zu arbeiten. Für die
Vereinbarkeit von Beruf und Kind empfiehlt Frau Krah eine Kombination aus Kindergarten und au-pair.
(Erschwerend für die Vereinbarkeit im Studium, in dem man grundsätzlich flexibler ist als im Beruf, ist,
dass lediglich 4 Freisemester pro Kind genommen werden können. Die Frage „wohin mit dem 2Jährigen“ ist damit noch offen. Eine Semestergebühr beläuft sich auf 650 €. Ebenso ist die PJ-Regelung
realitätsfern.)
Als sehr hilfreich war zudem ein klar strukturiertes Management mit fest zugeordneten Zeiteinheiten: Zeit
für die Kinder, in der man sich ausschließlich den Kinder und ihren Wünschen und Notwendigkeiten
widmet. Und Zeit für Arbeiten ohne Kinder bzw. Studieren. Diese klare Zeiteinteilung wurde von den
Kindern sehr gut akzeptiert und die Zeit ohne Kinder gut von ihnen respektiert. Als zusätzliche Hilfe galt
die Definition, „wenn ich an diesem Schreibtisch sitze und gerade etwas tue, dann weiß das Kind, dass es
keinen Sinn mach die Eltern nun anzusprechen, denn sie arbeiten und werden nicht auf mich eingehen –
ich weiß, wenn sie da sitzen, haben sie jetzt keine Zeit - in Ruhe lassen, nachher wieder und dann habe
ich ihre volle Aufmerksamkeit“. Zudem hilft es Wochenziele und generell Ziele zu definieren und
aufzuschreiben. Ein Familienplaner (z.B. fünfspaltiger Kalender) hilft dabei den Überblick zu behalten.
Darüberhinaus Arbeiten „outsourcen“, delegieren, Fahrgemeinschaften bilden, Kinder in die Alltagsarbeit
mit einbinden, sich nicht kaputt denken, sondern es einfach wagen, denn viele Lösungen präsentieren sich
oft kurz nach Auftauchen des Problems von selbst. Katastrophen sind über kurz oder lang bereichernd
und können zumindest als Familienanekdoten noch amüsieren. Es gibt kein Patentrezept! Einfach
machen!
Das System war so erfolgreich, dass nach 10 Jahren das Studium fast beendet bzw. das PJ begonnen, die
Promotion begonnen und 5 Kinder (1, 4, 6, 9, 10 Jahre) geboren waren und am groß werden sind.
Natürlich blieb nicht unerwähnt, dass Schlafmangel und Einschränkungen bei der eigenen Lebensqualität
(Freizeit, Freunde, Alkoholverzicht etc.) normaler Bestandteil des Lebens waren.
Erfahrungsbericht der Chirurgin Frau PD Dr. Claudia Rudroff:
Frau Rudroff schilderte ihren Werdegang und ihre Biografie. Sie hat zwei Kinder (4 und 6 Jahre) und
einen Partner, der nicht im medizinischen Beruf arbeitet und bei der Kinderbetreuung aufgrund seiner
Tätigkeit flexibler arbeiten kann als die Referentin, die Chirurgin an der Uni ist. Ihrer Erfahrung nach ist
ebenfalls der geeignete Partner die Basis für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zudem braucht
man viel Energie, körperliche Kraft, Konfliktfähigkeit, Organisationsfähigkeit, Disziplin, Ehrgeiz,
tolerante Chefs und Mitarbeit und Zeit. Selbst hat man mit Kindern wenig Zeit für Entspannung.
Frau Rudroff schildert, dass sie in der Klinik mit einem straff organisierten Arbeitsprogramm ihre Arbeit
erledigt bekommt, dies vom Chef unterstützt wird und von den Kollegen akzeptiert (so lange die Arbeit
gut geht, ist es o.k.) und sie auf diese Weise zu familientauglichen Zeiten (17-18:00 Uhr) die Klinik
verlassen kann. Sie hat gute Erfahrung mit einen selbstbewussten Umgang mit der Zeit und dem
Verhalten zu den Mitarbeiten bzw. Chef: wenn die Arbeit getan ist, dann empfiehlt es sich diese Zeit
nicht in der Klinik abzufeiern, sondern in die Familie zu investieren. Dies gilt auch für die Chefarztvisite,
auf die (am Nachmittag) nicht gewartet wird, wenn der Chef nicht auftaucht, ggf. kann dieser seine
Mitarbeiter zuhause anrufen, falls sich dann abends für ihn noch Frage ergeben.
Sie berichtete von ihrer Notlage, als sie keinen Kindergartenplatz in Köln bekommen konnte und von
einer aktiven Lösung des Problems: Frau Rudroff nutzte die monatliche Sprechstunde des Bürgermeisters
in Köln und legte ihm dar, dass es nicht angehen könnte, dass eine qualifizierte Frau wegen eines
Mangels an Kindergartenplätze nicht ihrer Arbeit nachgehen könnte, die für die Stadt durchaus von
Nutzen sei. Davon überzeugt, konnte der Bürgermeister ihr am nächsten Tag einen Kindergartenplatz
bieten. Aufgrund dieser Erfahrung kreierte Frau Rudroff die Hypothese der „kritischen Masse“: wenn
eine gewisse Anzahl an Personen mit dem gleichen Anliegen zu einem Entscheidungsträger kommt, dann
kann man diesem eine neue Notwendigkeit präsentieren und ihn zur aktiven Gestaltung bewegen.
Konkret heißt dass, wer fordert bekommt und je mehr Leute die gleiche Sache fordern, desto mehr
Gewicht und damit Chance auf Realisierung erhält diese, z.B.: Kindbetreuungseinrichtungen oder Geld
für diese.
Auch von Frau Rudroff kann aufgrund ihrer Erfahrung empfehlen mit Kinder im Beruf zu bleiben und
mit einem Bausteinsystem für die Kinderbetreuung zu sorgen (Partner, Babysitter, Familie, au pair/
Kinderfrau, sich informieren – aktiv einfordern, berufliche Unterstützung z.B. in Form einer Mentorin
und finanziell/ zeitlich in Form von Stipendien).
Zum Umgang mit einen „Kinderfrau“ empfiehlt Frau Rudroff folgendes Prinzip: man bestimmt selbst!
Die „Kinderfrau“ richtet sich mit ihrem Urlaub nach dem eigenen – lediglich ca. eine Woche sollte der
Urlaub der Kinderbetreuungsperson außerhalb des eigenen liegen. Abends sollte eine gewisse Flexibilität
seitens der „Kinderfrau“ vorliegen, falls man länger arbeiten müsste; sie sollte auf „Zuruf“ arbeiten
können; auch mal die Spülmaschine etc. einräumen können und natürlich kindbetreffend „lieb sein“.
Auf die Frage nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vorstellungsgespräch böte sich die
Gegenfrage an „ und wie machen sie dies eigentlich…?“.
Grundsätzlich hält sie eine stärkere Flexibilität der Arbeitsgeber, bessere Bezahlung und eine größere
Solidarität unter Frauen für notwendig, sowie die Abschaffung des Begriffs „Rabenmutter“ und dass man
nicht darauf wartet, dass die Welt kinder-/ familiengerechter wird, sondern einfach mehr Kinder in die
Welt setzten, da durch zunehmend mehr Kinder zunehmend automatisch („kritische Masse“) die Welt
kindgerechter wird bzw. erzwungen wird.
„Kochtopfärztin“ Frau Kathrin Klinke, Fachärztin für Allgemeinmedizin und psychotherapeutische Zusatzausbildung, 3 Kinder (2, 4 und 7 Jahre alt). Partner selbstständiger NichtMediziner
Frau Klinke meldete sich mit einem spontanen Beitrag, da sie gerade auch bei diesem Thema die
Ärztinnen vertreten sehen möchte, die nicht im Beruf stehen, sondern zuhause und in der
Kindererziehung arbeiten. Frau Klinke selbst machte die Erfahrung, dass es keine Rollenvorbilder gab,
die den eignen Prozess (Studium/ Beruf und Familie) beschleunigen könnten und kein Netzwerk, das
Unterstützung geboten hätte. Zudem macht sie die Erfahrung, dass großes Engagement und Leistung in
der Klinik nicht (zwangsläufig) zu einer Vertragsverlängerung führt. Als nichttätige Ärztin in der
Erziehungszeit gibt es zudem keine Bezahlung, keinen sozialen Status und nur noch ein rudimentäres
berufliches Selbstbewusstsein. Der soziale Abstieg nach der Beruftätigkeit traf Frau Klinke unvorbereitet
– die Annerkennung, die man im Beruf erfährt fehlt und als Frau und Mutter bekommt man wenig bis
keine Annerkennung. Frau Klinke appelliert für die Bildung einer Gruppe für „nichtarbeitende
Ärztinnen“, bzw. für eine Gruppe für Ärztinnen, die wieder in den Beruf einsteigen wollen. Auch andere
Teilnehmerinnen bekundeten Interesse für diese Gruppe, die vor Ort sozusagen eine Keimzelle bildete
und Anschluss an schon eine bestehende Initiative in der Bonner lokalen Ärztinnenbundgruppe finden
könnte. Andererseits ist eine Diskussion über die Ansiedlung dieser Gruppe im Jungen Forum
angestoßen, zusammen mit der Diskussion „inwiefern Ärztinnen über 40 Jahre, aber mit Interesse an JFThemen sich im JF wieder finden können.
Barbara Köhne (Protokollantin)
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