Zusatzthema zu Modul 5 Binnenmarkt Kritik am Binnenmarkt Viele Menschen kennen ihre Rechte im Binnenmarkt nur unzureichend oder gar nicht. Auch die lokalen Behörden sind über die vielen Vorschriften oft mangelhaft informiert und setzen sie in der Praxis ungenügend um. Dies kann auf auf Widersprüche zwischen EU-Recht und nationalen Gesetzen zurückzuführen sein, aber auch auf mangelnde Kooperation zwischen den zuständigen Verwaltungen, die grenzüberschreitend tätig sind. Betroffen sind vor allem EU-Bürgerinnen und -bürger (und oft auch ihre Familien), deren Lebensumstände vom Recht mehrerer EU-Staaten berührt werden, z. B. Wanderarbeitnehmer oder Ehepartner aus verschiedenen Staaten, aber auch Verbraucher, die im Binnenmarkt einkaufen sowie Unternehmen, die in mehreren EU-Staaten tätig werden. Im Bereich der Sozialversicherung Wer von einem EU-Land in ein anderes umzieht, hat häufig Schwierigkeiten, seine Rechte im Bereich der Sozialversicherung (Steuerfreibeträge für Familien, Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit, Sozialversicherung) in Anspruch zu nehmen. Die Menschen haben zwar überall im Binnenmarkt die gleichen Rechte, aber oft Schwierigkeiten, bestehende Rechte durchzusetzen, weil die administrativen Verfahren komplex und undurchschaubar sind oder diskriminierend angewendet werden. Der Grund: Im Bereich der nationalen Sozialversicherungssysteme sehen viele EU-Vorschriften lediglich eine Koordinierung, aber keine Harmonisierung vor; es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, die Details ihrer eigenen Systeme festzulegen. Die nationalen, regionalen und lokalen Verwaltungen haben oft Probleme bei der Umsetzung der Vorschriften. Im Bereich der Krankenversicherung Die Europäische Krankenversicherungskarte vermittelt den Eindruck, man habe in ganz Europa denselben Anspruch auf gesundheitliche Betreuung und Krankenversicherung wie zu Hause. Tatsächlich gewährleistet die Europäische Krankenversicherungskarte aber nur, dass man bei ungeplanten, medizinisch notwendigen Leistungen während eines zeitweiligen Aufenthalts im Ausland wie ein Einheimischer behandelt wird. In manchen EU-Ländern sind Vorschusszahlungen bei medizinischen Behandlungen üblich, den auch Ausländer zahlen müssen, in deren Heimat dies nicht verlangt wird. Jede geplante medizinische Behandlung im Ausland erfordert die vorherige Genehmigung durch den zuständigen Krankenversicherungsträger im Heimatland. Bei Umzug in ein anderes EU-Land Familien, in denen nicht alle Personen Staatsangehörige eines EU-Landes sind, haben bei einem Umzug in ein anderes EU-Land oft gegen teilweise komplexe, beschwerliche oder willkürliche Verwaltungsverfahren zu kämpfen, die notwendig sein können, um eine Aufenthaltserlaubnis für alle Familienmitglieder zu beschaffen. Die EU-weit gelten Wohnsitzvorschriften werden von den Behörden mitunter falsch angewendet. Probleme entstehen auch, weil Personenstandsurkunden (Geburts-, Adoptions-, Heirats- und Scheidungsurkunden) sowie andere offizielle Dokumente, die sich auf die persönliche und familiäre Situation von Personen beziehen, im Ausland oft nicht anerkannt werden. Die Anerkennung dieser Dokumente ist auf EU-Ebene nicht geregelt. Deshalb ist es schwierig, in solchen Situationen Rechtsmittel einzulegen. Anerkennung von Berufsqualifikationen In vielen Berufen werden ausländische Abschlüsse aufgrund geltender nationaler Vorschriften nicht automatisch anerkannt, z. B. weil die Erlaubnis zur Ausübung des Berufs vom Besitz eines speziellen Qualifizierungsnachweises abhängt. Ausländische Bewerber müssen dann ein nationales Anerkennungsverfahren durchlaufen, was langwierig und beschwerlich sein kann. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten selbst entscheiden, ob für außerhalb der EU erlangte Abschlüsse auf ihrem Staatsgebiet dieselben Vorschriften wie für innerhalb der EU erlangte Berufsqualifikationen gelten oder ob andere nationale Vorschriften anwendbar sind. Ärger mit der Steuer Grenzüberschreitend tätige Arbeitnehmer haben häufig Schwierigkeiten, wenn sie steuerliche Vergünstigungen beanspruchen, die sie erhielten, wenn sie nur in einem Land leben und arbeiten würden. Das betrifft vor allem Steuerfreibeträge, -ermäßigungen und -abzüge. In einigen Fällen ist sogar Doppelbesteuerung möglich. Unternehmen behindern die Einstellung ausländischer Arbeitnehmer oft unter Hinweis auf steuerliche Barrieren. Unterschiede bei der steuerlichen Behandlung von grenzüberschreitender Arbeit gegenüber innerstaatlicher Beschäftigung ist im Binnenmarkt eigentlich untersagt, kommt aber doch vor, weil Anträge auf Steuerermäßigung durch die Finanzämter oft willkürlich verzögert werden oder weil Steuerbehörden nicht angemessen mit Behörden anderer EU-Staaten kooperieren, um Doppelbesteuerung zu vermeiden. Studium im Ausland Das EU-Recht verbietet zwar Diskriminierung aus Gründen der nationalen Herkunft, große Unterschiede in den nationalen Vorschriften zur Unterstützung von Studenten, zur Finanzie- rung von Studiengängen, zur Gestaltung der Lehrpläne und zur Anerkennung von Diplomen machen eine indirekte Diskriminierung aber immer noch möglich, weil eine Harmonisierung der anwendbaren Vorschriften nicht vorgesehen ist. Rente und Erbschaft im Ausland Wer sein Altersruhegeld in einem anderen EU-Land genießt, kann erleben, dass er in zwei Ländern besteuert wird oder an seinem neuen Wohnsitz einem höheren Steuersatz als in seiner Heimat unterliegt. Auch Erben, die in einem anderen EU-Land leben als der Erblasser, müssen mitunter eine höhere Erbschaftssteuer bezahlen oder unterliegen der Doppelbesteuerung. Die Zersplitterung der Steuersysteme in den Ländern des Binnenmarktes sowie unzureichende Kooperation der Staaten untereinander führen dazu, dass es in solchen Fällen oft sehr schwer ist, zu seinem Recht zu gelangen. Ärger mit dem Pkw Wer einen Pkw im EU-Ausland kauft oder beim Umzug in ein anderes EU-Land einen Pkw mitbringt, hat häufig Schwierigkeiten bei der Zulassung oder muss Zölle oder zusätzliche Steuern zahlen. Mitunter werden am neuen Wohnsitz Dokumente verlangt, die im Heimatland nicht ausgestellt wurden. Der Grund ist die nach wie vor mangelnde Harmonisierung der Kfz-Zulassungsverfahren und der Kfz-Zulassungsgebühren. Europe Direct hilft Wer sich im Binnenmarkt zu Unrecht benachteiligt fühlt, erhält gebührenfrei Rat und Auskunft unter der Telefonnummer von Europe Direct: 00 800 6 7 8 9 10 11. Quelle: Nach Europäische Kommission, Der Binnenmarkt in den Augen der Bevölkerung. Brüssel 2011