Fall 1 a)

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Prof. Dr. C. Gusy
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Fall 1 a)
R, der stets über die Einsatzorte mobiler Radarkontrollen
in der Stadt M (NRW) gut informiert ist, postiert sich
mehrmals in der Woche ca. 100 Meter vor diesen Einsatzorten mit einem Schild, das die Aufschrift trägt: „Vorsicht! Radar!“
Autofahrer reduzieren in der Regel ihr Tempo und fahren
mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit an der mobilen Radarkontrolle vorbei. Zwei Polizeibeamte weisen R
an, ab sofort weitere Warnhinweise vor den Verkehrsüberwachungspunkten zu unterlassen und sich zukünftig
nicht mehr im Bereich von Radarkontrollen aufzuhalten.
Sie begründen dies damit, dass die Aktionen des R die
Aufgaben der Polizei behinderten. Handelt die Polizei
rechtmäßig?
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Fall 1 b)
Die Ordnungsbehörde verlangt von Tankwart T, ein
Grundstück von Altöl und Abfall freizuhalten. T wendet
ein, der Betrieb der Tankstelle sei ihm doch genehmigt
worden
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Fall 1 c)
In einem ländlichen Restaurant hat ein fremder Gast für
25,- Euro Speisen und Getränke verzehrt. Als er nun
feststellt, dass er kein Geld dabei hat, fragt der Wirt,
-
ob der zufällig anwesende Polizist P die Personalien/ den Ausweis des Fremden einsehen darf,
-
ob der Polizist das Handy des Fremden als „Pfand“
nehmen darf.
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Fall 2 a)
Am 24.7.2002 geht um 23.00 Uhr bei der Polizei ein Anruf des
N ein. Er teilt mit, dass er in dem Haus seines im Urlaub befindlichen Nachbarn A verdächtige Geräusche höre und Licht brenne. Er vermute daher, es werde dort gerade eingebrochen. Die
Polizisten P und Q fahren daraufhin zum Haus des A, um dessen Eigentum vor den Einbrechern zu schützen. Dort stellen sie
fest, dass tatsächlich in der oberen Etage Licht brennt und Geräusche zu hören sind. Von N erfahren sie, dass A ihm mitgeteilt habe, er werde bis Mitte August verreisen. Als kurz darauf
die Geräusche verstummen und das Licht erlischt, beschließen
P und Q der Sache auf den Grund zu gehen. Nachdem sie
mehrfach erfolglos an der Haustür geklingelt haben, treten sie
die Tür ein und betreten das Haus. Dort treffen sie aber keinen
Einbrecher an. Die Geräusche und das Licht rührten von einem
Fernseher und einer Lampe her, die an eine Zeitschaltuhr gekoppelt waren. N zeigte sich überrascht, hatte ihn A doch nicht
von der Zeitschaltuhr unterrichtet. Der Mitte August aus seinem
Urlaub zurück-kehrende A findet seine Wohnungstür beschädigt
auf. Von seinem Nachbar N aufgeklärt verlangt er vom Land
NRW den Ersatz des an der Tür entstandenen Schadens i.H.v.
Euro 250,-. Zu Recht? Welcher Rechtsweg wäre für einen solchen Anspruch gegeben?
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Fall 2 b)
Der Beamte B hat beobachtet, wie Grundstückseigentümer G aus einem Kanister eine dunkle Flüssigkeit in
der Nähe des Komposthaufens ausleert. B vermutet,
dass G illegal Altöl entsorgt und will sich selbst auf dem
Grundstück davon überzeugen.
Darf er es betreten?
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Fall 2 c)
Bei der Polizei geht ein Anruf ein. Eine gepresste Stimme meldet: „Hilfe, Überfall, Lebensgefahr, Meier, Bergstraße 8“. Zwei sofort ausgerückte Polizisten finden in
der Bergstraße 8 niemanden namens Meier, wohl aber
aufgrund eines Blicks ins Telefonbuch in der naheliegenden Talstr. 10. Dort treten sie die Wohnungstür ein
und stürzen hinein, wo Familie Meier friedlich vor dem
Fernseher sitzt. Von einem Überfall wissen sie nichts.
Haben sie Anspruch auf Ersatz für ihre Tür?
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Fall 3 a)
Die allein erziehende M bewohnt mit ihren beiden Kindern eine
45 m² große Zweizimmerwohnung. Eine Wand ist aufgrund
zeitweise auftretender Feuchtigkeit von Schimmel befallen. Der
vermietende Eigentümer V hatte der M gekündigt. Weil M sich
mangels neuer Wohnung weigerte auszuziehen, hatte V ein
vollstreckbares Räumungsurteil erwirkt. Bei der Vollstreckung
durch den Gerichtsvollzieher war auch der zuständige Beamte
der Ordnungsbehörde B anwesend, der gegenüber V schriftlich
anordnete, dass die M in die bisherige Wohnung wegen drohender Obdachlosigkeit für drei Monate eingewiesen werde.
Zudem sei die Wohnung wegen ihres schlechten und veralteten
Zustandes sofort umfassend zu modernisieren, z.B. sollten
sämtliche sanitären Anlagen auf modernsten Stand gebracht
sowie eine neue Einbauküche installiert werden. Anderweitige
Wohnungen standen der Behörde nicht zur Verfügung. Die Verfügungen wurden mit gesonderter Begründung für sofort vollziehbar erklärt. V erhebt beim Verwaltungsgericht Klage und
bean-tragt zugleich einstweiligen Rechtsschutz.
Wird er im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Erfolg
haben? Weiterhin fragt er, ob er einen Anspruch auf behördliche Entfernung der M aus seiner Wohnung habe.
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Fall 3 b)
Bei der Polizei ruft Mieter M an und erklärt, aus der darüber liegenden Wohnung des D tropfe Wasser in sein
Wohnzimmer. Da weder D noch V erreichbar sind, lässt
die Polizei die Wohnungstür öffnen und findet heraus,
dass die in der Außenwand verlaufende Hauptleitung
schadhaft ist. Sie ist die Quelle des Problems. Daraufhin
stellen die Beamten den Haupthahn für die Leitung ab. D
fragt, ob die Polizei das beschädigte Schloss seiner
Wohnungstür ersetzen muss (Kosten: 100,- Euro).
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Fall 3 c)
E hat sein neues Reihenhaus in Bielefeld auf einem
Grundstück errichtet, welches im 19. Jh. als Müllabladeplatz benutzt wurde. Nun drohen Schäden für Gesundheit und Umwelt. Die Beseitigungskosten betragen
100.000 Euro. Wen können die Behörden in Anspruch
nehmen: D als Grundstückseigentümer? Den Voreigentümer, der das Grundstück 2003 an D verkauft hat? Die
Firma F, deren Rechtsvorgängerin im 19. Jh. Eigentümerin des Grundstücks war und damals den überwiegenden Teil des Mülls dort abgelagert hat?
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Fall 4 a)
A hat vor der Abreise in den Urlaub seinen nagelneuen
Mittelklassewagen in Flughafennähe abgestellt. Versehentlich blieb dabei das Fenster der Beifahrertür vollständig offen. Dies fällt tags darauf einem Polizisten auf.
Ihm ist es nicht möglich, das Fenster zu schließen, weil
der elektrische Fensterheber nur bei eingeschalteter
Zündung funktioniert. Da der Beamte den A nicht erreichen kann, lässt er wegen der vielen Diebstähle am
Flughafen das Fahrzeug abschleppen und zur Verwahrstelle bringen. Eine Woche später kehrt A aus dem Urlaub zurück und findet zwar nicht sein Auto, wohl aber
zu seinem Ärger einen „Kostenbescheid“ im Briefkasten,
der ihn zur Zahlung von 55,– Euro auffordert.
Ist der Kostenbescheid rechtmäßig?
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Fall 4 b)
A wollte gestern zu einem beliebten Volksfest fahren. Da er in der Nähe
des Festplatzes keinen Parkplatz fand, stellte er sein Fahrzeug an einer
unübersichtlichen Stelle vor einer Feuerwehrzufahrt ab. Polizist P, der
den Wagen dort vorfand, ordnete entsprechend den Vorschriften das sofortige Abschleppen an. Dies übernahm – wie stets – der Unternehmer
U, der bislang zuverlässig mit der Polizei zusammengearbeitet hatte. Alle
Angestellten des U waren auf dem Volksfest. Daher steuerte U den Abschleppwagen selbst. Da die Stelle vor der Feuerwehreinfahrt eng und
unübersichtlich war, musste er viel rangieren. Zunächst musste er den
Wagen des A, um diesen überhaupt abtransportieren zu können, mit
dem Abschleppfahrzeug ca. 1 m zurücksetzen. Dabei ging U derart unvorsichtig zu Werke, dass der Wagen des A gegen das hinter ihm stehende Fahrzeug des B geschoben wurde. Der Wagen des A wurde dabei beschädigt.
A und B machen Schadensersatzansprüche gegen das Land NRW geltend. Das Land weist darauf hin, dass der P den Schadenseintritt nicht
verhindern konnte. Eine Haftung für das Verhalten des U komme nicht in
Betracht; daran ändere sich auch nichts durch dessen Hinweis, er sei
lediglich im Auftrag und unter Anleitung des P tätig geworden.
-
Stehen A und B die geltend gemachten Schadensersatzansprüche
zu?
-
Vor welchem Gericht können sie ihre Forderungen geltend machten?
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Fall 5 a)
Die Stadt S hat eine ordnungsbehördliche Verordnung
erlassen, in welcher das Alkoholtrinken auf öffentlichen
Straßen, das Betteln und der Aufenthalt „nach Landstreicherart“ verboten ist. B, der sich an einem kalten
Tag mit einem Schnaps gewärmt hat und in der Innenstadt bettelt, wird von der Polizei mit zur Wache genommen. Dort wird er nach Personalpapieren durchsucht und nach Feststellung seiner Identität an den
Stadtrand gefahren, 8 km vom nächsten Haus entfernt.
Außerdem wurde ihm der Aufenthalt im Innenstadtbereich für 3 Monate untersagt, um ihn am weiteren Betteln
zu hindern. B vermag sich nur mühsam bis zu einem
Bekannten durchzuschlagen. War das Verhalten der
Beamten zulässig?
s. a. BWVGH, NJW 1984, 507.
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Fall 5 b)
Die Meldeauflage
Im
letzten
Jahr
kam
es
bei
den
Qualifikationsspielen
für
die
Fußball-
Europameisterschaft im Staat S zu Gewalttätigkeiten Deutscher im und rund um das
Stadion. Für das nächste Spiel im Staat Q am 1.12.2014 in dessen Hauptstadt H
(angesetzt für 20:45 Uhr) befürchtet die Polizei aufgrund von Aufrufen im Internet
erneut Ausschreitungen deutscher Hooligans. Im Datenbestand der Polizei der Stadt
B in NRW fanden sich mehrere Einträge über den dort wohnenden A. Er wurde in
den letzten Jahren zweimal wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch verurteilt. Im Zusammen-hang mit Ausschreitungen bei
einem Fußball-Bundesliga-Spiel wurde er Anfang 2011 in Gewahrsam genommen. In
mehreren Bundesligastädten wurde gegen ihn ein Stadionverbot ausgesprochen. Am
12.10.2012 hatte er bei seiner Einreise über die Grenze nach Q vor einem Fußballspiel Mundschutz, Schlagschutzhandschuhe und Bandagen dabei.
Am 15.11.2014 beschränkt die zuständige Behörde den Personalaus-weis des A dahingehend, dass dieser vom 29.11. bis 1.12.2014 „nicht zum Verlassen des Geltungsbereichs des Grundgesetzes berechtigt“. Zudem verfügt der Polizeipräsident
von B, dass A sich am 30.11. und 1.12.2014 jeweils zwischen 20:00 und 23:00 Uhr
bei einer Polizeiwache in B zu melden habe. Sofern er sich an diesen Tagen nicht in
B aufhalte, habe er sich bei einem Polizeirevier seines Aufenthaltsortes zu melden.
Diesen habe er spätestens am 25.11.2014 der Polizei in B bekannt zu geben. A hält
die Polizei für unzuständig. Ausreiseverbote seien im Passrecht abschließend geregelt. Daneben dürfe die Polizei mittels Meldeauflagen keine faktischen Ausreiseverbote verhängen. Außerdem sei die Polizei von B nicht für die Gefahrenabwehr im
Staat Q zuständig. Auch würde seine Freizügigkeit unzulässig beschränkt. Ist die
Verfügung des Polizeipräsidenten rechtmäßig?
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Fall 5 c)
Seit 2003 wohnte der A gemeinsam mit seinem Partner R zusammen. Am 26. 10.
2004 teilte A dem R mit, dass er zum 31. 01. 2005 ausziehen werde. Deswegen kam
es zu Unstimmigkeiten. R drohte dem A, ihn nicht mehr in die Wohnung zu lassen.
Am 30. 10. 2004 kündigte R nach einem Streit einen Suizid an und verließ mit Rucksack und Schlaftabletten die Wohnung. Hierüber informierte A um 19.00 Uhr seine
Hausärztin Dr. K, die von mehreren zurückliegenden Suizidversuchen des R wusste.
Sie stellte vorsorglich eine „Verordnung zur Krankenhausbehandlung“ für R aus, die
als Begründung „Suizidgefahr“ sowie „Selbst- und Fremdgefährdung“ auswies. A
verständigte die Polizei um 20.00 Uhr und legte auch die ärztliche Verordnung auf
der Wache vor.
Die mit der Suche nach R beauftragten Polizisten trafen diesen in der Nähe seiner
Wohnung an und brachten ihn aufs Polizeirevier, wo sie R durch Dr. K ärztlich untersuchen ließen. Dabei konnte eine akute Suizidgefahr allenfalls für ein erneutes Zusammentreffen in dieser Nacht festgestellt werden, was daher zu vermeiden sei.
Die Beamten brachten R gegen 22.30 Uhr zurück in die Wohnung, wo sie A antrafen.
Da sich R als Hauptmieter zu erkennen gab, forderten die Beamten den A zum Verlassen der Wohnung sowie unter Androhung von Zwangsmaßnahmen zur Herausgabe des Wohnungsschlüssels auf. Den Schlüssel übergaben sie R. A verließ die
Wohnung, nachdem ihm zuvor noch Gelegenheit gegeben worden war, einige persönliche Sachen zu packen.
Am 04. 02. 2005 erhob A nach erfolglosem Vorverfahren Klage beim zuständigen
Verwaltungsgericht und beantragte die Feststellung, dass die polizeiliche Maßnahme
vom 30. 10. 2004 rechtswidrig war.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass das polizeiliche Vorgehen
rechtswidrig und insbesondere von keiner Rechtsgrundlage gedeckt war. Nicht er,
sondern sein ehemaliger Partner sei mit seinen häufigen Suizidversuchen Störer gewesen. Der Rausschmiss habe ihn in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Infolge
der Maßnahme sei R die Möglichkeit eröffnet worden, in der Wohnung auf sein Eigentum zuzugreifen, was auch geschehen sei.
Wie wird das Verwaltungsgericht entscheiden?
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Fall 6 a)
Banken in die Schranken
Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass die B-Bank aus (NRW) sich in erheblichem
Umfang an Spekulationen mit Lebensmitteln beteiligt hat. Da die Öffentlichkeit hierfür
wenig Interesse zeigt, will A für Aufmerksamkeit sorgen. Auf seiner frei einsehbaren
Profilseite eines sozialen Netzwerks im Internet ruft er für „Montag in acht Tagen“ zu
einer Protestaktion unter dem Thema „Banken in die Schranken“ auf. Am entsprechenden Tag finden sich gegen 08:00 Uhr etwa 20 Personen vor der B ein. Entsprechend der Planung des A verteilen sich diese verstreut auf dem angrenzenden PPlatz. Als die ersten Anzugträger vor dem Gebäude erscheinen, strömen die Mitstreiter des A in kleinen Gruppen zusammen und bilden eine „menschliche Mauer“ vor
den einzelnen Mitarbeitern der B, so dass diese ausweichen müssen, um ihren Weg
fortzusetzen. Dabei bewegt sich die „Mauer“ unter dem Ruf „Banken in die Schranken, kein Vorbei für Spekulanten“ mit und er-schwert das Weiterkommen. Nach etwa
drei Minuten lösen sich die Mauern auf und verteilen sich, um den Vorgang wenig
später vor an-deren Mitarbeitern der B zu wiederholen. Ein von A vorab informiertes
Fernsehteam begleitet die Aktion.
Die herbeigerufene Polizei erklärt über einen Lautsprecher: „Ihre Versammlung ist
aufgelöst. Entfernen Sie sich sofort vom Platz.“ Sie meint, dass die Aktion jedenfalls
nicht angemeldet gewesen, die Durchführung daher strafbar gewesen sei und Mitarbeiter der B behindert habe. A entgegnet, die Auflösung sei rechtswidrig gewesen,
insbes. würde eine Anmeldung solcher Flashmobaktionen den Überraschungseffekt
zunichtemachen und sei bei Spontanversammlungen auch gar nicht nötig. Dieses
habe ihm sein Rechtsanwalt zuvor bestätigt. Er will gegen die Auflösungsverfügung
gerichtlich vorgehen, er plane weiterhin mit gleichartigen Aktionen die Öffentlichkeit
aufzurütteln. Mit Aussicht auf Erfolg?
Prof. Dr. C. Gusy
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Polizei- und Ordnungsrecht
Fall 6 b)
Die kleine P-Partei hat für den 08. 05. 2005 eine Versammlung vor dem Brandenburger Tor angemeldet. Zu
ihr werden ca. 3.000 Anhänger erwartet. Später melden
für den gleichen Ort der Berliner Senat, die ihn tragenden Parteien, der DGB sowie zahlreiche Personen des
öffentlichen Lebens eine (gemeinsame) Veranstaltung
an, zu der ca. 150.000 Personen erwartet werden. Da
dort nur eine der Veranstaltungen an diesem Tag möglich ist, fragt die Behörde, welche von beiden sie ggf. unterbinden muss.
(dazu: BVerfG, DVBl. 2005, 969)
Prof. Dr. C. Gusy
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Fall 6 c)
Der bundesweit bekannte Rechtsextremist R hat bei vielen Versammlungen ausländerfeindliche Reden gehalten
und sich gegen die Aufnahme der Türkei in die EU ausgesprochen. Am Rande der Veranstaltungen kam es
immer wieder zu kleineren Gegendemonstrationen, Ausschreitungen
zwischen Teilnehmern und ausländisch
aussehenden Personen sowie einzelnen Polizeieinsätzen. Als B neulich in Bielefeld eintraf, wo am selben Tag
eine Versammlung der NPD stattfinden sollte, nahm in
die Polizei am Bahnhof in Empfang und hielt ihn auf der
Wache fest, bis die Veranstaltung vorbei war.
Zu Recht?
(siehe BVerwGE 45, 51)
Lösung: Fall 1 a)
A. Unterlassungsanweisung
Die Anweisung, weitere Warnhinweise zukünftig zu unterlassen, ist rechtmäßig, wenn sie von einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist und wenn von
dieser in ordnungsgemäßer Weise Gebrauch gemacht
worden ist.
I. Ermächtigungsgrundlage
Mangels spezialgesetzlicher Ermächtigung kommt die
polizeiliche Generalklausel (§ 8 Abs. 1 NRWPolG) in Betracht.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
1. Zuständigkeit
Die Polizei ist zuständig nach §§ 1 Abs. 1 S. 1, S. 3
NRWPolG; 7 Abs. 1, 10 S. 2 NRWPOG (vgl. zur Eilbedürftigkeit Gusy, POR, 2011, Rn 134 f).
2. Verfahren
Handelnde Einheit ist hier die Polizei, die durch Verwaltungsakt tätig wird (vgl. Gusy, POR, 2011, Rn 387 ff.), so
dass nach § 28 Abs. 1 NRWVwVfG eine Anhörung erfolgen muss. Unter Anwesenden ist davon auszugehen,
dass der Betroffene die Möglichkeit zur Stellungnahme
hatte, so dass die Verfügung formell rechtmäßig ergangen ist.
3. Ergebnis
Die Aufforderung ist formell rechtmäßig.
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Tatbestandliche Voraussetzungen des § 8 Abs. 1
NRWPolG
a) Schutzgut der öffentlichen Sicherheit. Es müsste ein
Schutzgut der öffentlichen Sicherheit betroffen sein. Öffentliche Sicherheit ist die Summe aller Rechtsgüter, die
durch Normen des öffentlichen Rechts geschützt sind
(Gusy, POR, 2011, Rn 78 ff). Sie umfasst die objektive
Rechtsordnung, Individualrechtsgüter sowie die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen.
Durch das Hochhalten des Schildes verstößt R nicht gegen Rechtsnormen, so dass ein Rechtsgut der objektiven Rechtsordnung nicht berührt ist. Vollbremsungen,
die zu Gefährdungen von Leib oder Leben anderer Verkehrsteilnehmer führen könnten, provoziert R durch das
Hochhalten des Schildes nach dem Sachverhalt nicht.
Bestand und Funktions-fähigkeit des Staates und seiner
Einrichtungen unterfallen der öffentlichen Sicherheit,
soweit sie durch Rechtsnormen geschützt sind. Hier
könnte die Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen zur Durchführung von verdeckten Verkehrskontrollen betroffen sein, da das hoch gehaltene Schild den Erfolg der Verkehrskontrolle verhindern könnte, indem Autofahrer vor der Kontrolle gewarnt werden. Gegen eine
Beeinträchtigung könnte sprechen, dass R dazu beiträgt,
Rechtsverstöße zu vermeiden. Er könnte die Funktionsfähigkeit fördern anstatt sie zu gefährden. Radarfallen
haben jedoch u.a. die Funktion, Kraftfahrer von Übertretungen der Straßenverkehrsordnung nachhaltig abzuschrecken. Nicht angekündigte, verdeckt durchgeführte
Geschwindigkeitsmessungen sind nicht nur dazu bestimmt, die Einhaltung der Verkehrsvorschriften während
der Dauer der Messungen auf der Überwachungsstrecke
sicherzustellen.
Geschwindigkeitsmessungen
sollen
vielmehr der Feststellung und künftigen Abschreckung
derjenigen Kraftfahrer dienen, die Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht hinreichend beachten, wenn sie sich
unkontrolliert glauben. Sie wirken auf diese Weise über
den örtlichen und zeitlichen Bereich der Kontrolle hinaus; insbesondere durch Bußgelder tritt eine Abschreckung ein. Die jederzeitige Möglichkeit von verdeckten
Geschwindigkeitskontrollen und etwaigen Sanktionen
soll Kraftfahrer anhalten, sich nicht nur an ihnen bekannten Kontrollpunkten, sondern überall und jederzeit an die
vorgeschriebenen
Geschwindigkeitsbegrenzungen
zu
halten. Diese Wirkung verdeckter Geschwindigkeitsmessungen wird beeinträchtigt, wenn auf sie hingewiesen
und vor ihnen gewarnt wird. Insoweit gefährdet R durch
das Hochhalten des Schildes die öffentliche Sicherheit.
b) Konkrete Gefahr. Die Funktionsfähigkeit staatlicher
Einrichtungen müsste konkret gefährdet sein. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein geschütztes Rechtsgut schädigen wird (Gusy,
POR, 2011, Rn 108f, 125). Durch das Hochhalten des
Schildes wird direkt auf die verdeckte Verkehrsüberwachung eingewirkt. Die Warnung vor ihr veranlasst Autofahrer, ihr Tempo zu reduzieren, so dass die Verkehrsüberwachung in ihrem Erfolg beeinträchtigt ist. Daher
liegt ein Schaden bereits vor, die Gefahr für die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen ist somit auch
konkret.
c) Ergebnis. Es liegen die Voraussetzungen des § 8
Abs. 1 NRWPolG vor.
2. Sonstige Voraussetzungen
R ist als Verhaltensstörer (§ 4 Abs. 1 NRWPolG) polizeipflichtig. Die Polizei hat ihre Maßnahmen gemäß § 3
NRWPolG nach pflichtgemäßem Ermessen getroffen.
Ermessens-fehler sind nicht ersichtlich. Zudem hat die
Polizei auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 2
NRWPolG) beachtet.
IV. Ergebnis
Die Unterlassungsanweisung war rechtmäßig.
B. Unterlassungsverfügung
Die Anweisung, sich zukünftig nicht mehr im Bereich von
Radarkontrollen aufzuhalten, ist rechtmäßig, wenn die
Aufforderung von einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist und wenn von dieser in formell
und materiell ordnungsgemäßer Weise Gebrauch gemacht worden ist.
I. Ermächtigungsgrundlage: Platzverweis
Als
Ermächtigungsgrundlage
kommt
§
34
S.
1
NRWPolG in Frage.
1. Formelle Rechtmäßigkeit
Die Polizei ist nach §§ 1 Abs. 1 S. 1; 1 Abs. 1 S. 3
NRWPolG, §§ 7 Abs. 1; 10 S. 2 NRWPOG zuständig,
hat eine Anhörung gemäß § 28 Abs. 1 NRWVwVfG
durchgeführt und durfte den Platzverweis formfrei erlassen (§§ 37 Abs. 2 S. 1; 39 NRWVwVfG). Daher war der
Platzverweis formell rechtmäßig.
2. Materielle Rechtmäßigkeit
Voraussetzung für einen Platzverweis nach § 34 S. 1
NRWPolG ist, dass die Maßnahme zur Abwehr einer
Gefahr ergriffen wird (vgl. Gusy, POR, 2011, Rn 276 ff).
Die Behinderung polizeilicher Amtshandlungen kann jedoch nur darunter zählen, soweit die konkrete Behinderung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit begründet
(Rn 78ff, 123). Wie bereits oben ausgeführt, liegt eine
konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor.
Rechtsfolge des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 NRWPolG ist, dass die Polizei
einen Platzverweis erteilen kann. Ein Platzverweis ist eine Aufforderung, vorübergehend einen Ort zu verlassen
oder nicht zu betreten. Er muss das ge- oder verbotene
Verhalten genau bezeichnen und hinreichend bestimmt
sein. Der Bürger muss ihm Gegenstand und Umfang
seiner Pflichten entnehmen können. Der Hinweis, sich
zukünftig nicht mehr im Bereich von Verkehrskontrollen
aufzuhalten, entspricht nicht diesen Anforderungen, da
der Ort, an dem R sich nicht mehr aufhalten darf, nicht
bestimmbar ist. Vielmehr werden Radarkontrollen an unterschiedlichsten Punkten eingesetzt, die nicht vorhersehbar sind. Zudem ist die Anweisung nicht vorübergehend, sondern zeitlich unbefristet. Der Platzverweis ist
nicht hinreichend bestimmt und zeitlich unbefristet, genügt also nicht den Anforderungen an die Rechtmäßigkeit und ist daher materiell rechtswidrig.
II. Ermächtigungsgrundlage: Generalklausel
Als weitere Ermächtigungsgrundlage könnte § 8 Abs. 1
NRWPolG in Frage kommen. Die fehlende Bestimmtheit
der Maßnahme (s.o.) schließt jedoch auch die Rechtmäßigkeit im Rahmen des § 8 Abs. 1 NRWPolG aus.
III. Ergebnis
Der Platzverweis war nicht rechtmäßig.
C. Sicherstellung des Schildes
Die Mitnahme des Schildes ist rechtmäßig, wenn sie von
einer gesetzlichen Ermächtiungsgrundlage gedeckt ist
und wenn von dieser in formell und materiell ordnungsgemäßer Weise Gebrauch gemacht worden ist.
I. Ermächtigungsgrundlage
Als Ermächtigungsgrundlage kommt die Beschlagnahme
nach § 94 StPO in Frage. Hier handelt es sich jedoch
nicht um repressives Vorgehen der Polizei, sondern um
solches im Zuge der Gefahrenabwehr (vgl. § 1
NRWPolG). Daher ist eine Beschlagnahme nach § 94
StPO nicht anwendbar (vgl. Rn 18ff). Als Ermächtigungsgrundlage ist § 43 Nr. 1 NRWPolG einschlägig.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
Die Polizei ist nach §§ 1 Abs. 1 S. 1; 1 Abs. 1 S. 3
NRWPolG, §§ 7 Abs. 1; 10 S. 2 NRWPOG zuständig.
Eine Sicherstellung erfolgt durch Verwaltungsakt (Gusy,
POR, 2011, Rn 286), so dass eine Anhörung gemäß §
28 Abs. 1 NRWVwVfG durchgeführt werden musste.
Diese ist hier erfolgt. Der Verwaltungsakt durfte formfrei
erlassen werden (§§ 37 Abs. 2 S. 1; 39 NRWVwVfG).
Daher war die Mitnahme des Schildes formell rechtmäßig.
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Tatbestandliche Voraussetzungen
Es müsste eine gegenwärtige Gefahr vorliegen. Dies ist
eine Sachlage, bei der die Einwirkung des schädigenden
Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese
Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht.
Die Gefahr ist gegenwärtig, da R durch das Hochhalten
des Schildes das Rechtsgut der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen bereits schädigt.
2. Rechtsfolge
Rechtsfolge des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 43 Nr. 1 NRWPolG ist die Sicherstellung.
Diese ist eine behördliche Beschränkung des Gewahrsams an einer Sache und die Begründung eines öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnisses zum Zwecke
der Gefahrenabwehr (Gusy, POR, 2011, Rn 284 ff.).
3. Sonstige Voraussetzungen
R ist als Verhaltensstörer nach § 4 Abs. 1 NRWPolG polizeipflichtig. Zudem kann er als Zustandsstörer im Sinne
des § 5 Abs. 1 NRWPolG in Anspruch genommen werden. Die Polizei hat ihre Maßnahmen ermessenfehlerfrei
getroffen (§ 3 NRWPolG).
4. Verhältnismäßigkeit (§ 2 NRWPolG)
Die Polizei ist an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(§ 2 NRWPolG) gebunden. Die Sicherstellung des Schildes ist geeignet, die gegenwärtige Gefahr, die durch den
das Schild haltenden R ausgeht, abzuwenden. Die Sicherstellung müsste jedoch auch erforderlich gewesen
sein. Nach dem Gebot des mildesten Mittels (§ 2 Abs. 1
NRWPolG) ist dasjenige Mittel anzuordnen, das nicht
nur den Betroffenen, sondern auch die Allgemeinheit am
wenigsten belastet. Dadurch, dass R wiederholt vor Radarkontrollen gewarnt hat, könnte sich eine Wiederholungsgefahr ergeben, so dass die Sicherstellung des
Schildes erforderlich sein könnte. Allerdings muss die
Polizei davon ausgehen, dass R sich an die Unterlassungsverfügung hält, sich rechtstreu verhält und künftig
nicht mehr vor Radar-kontrollen warnt. Er ist nicht als
Wiederholungstäter bekannt, der sich polizeilichen Verfügungen widersetzt. Zwar mag auf den ersten Blick das
Schild wegen der Beschriftung „Vorsicht! Radar!“ nur
zum Warnen vor Radarkontrollen zu gebrauchen sein.
Tatsächlich ist eine andere Nutzung des Schildes nicht
ausgeschlossen, wenn der Schriftzug übermalt wird.
Daher hat die Polizei davon auszugehen, dass die Unterlassungsverfügung allein bereits ausreicht, um die
Funktionsfähigkeit der Verkehrskontrolle zu gewährleisten. Damit ist durch die Unterlassungsverfügung das Ziel
der Gefahrenabwehr erreicht und die Sicherstellung
nicht erforderlich. Die Sicherstellung des Schildes ist
nicht verhältnismäßig.
5. Ergebnis
Die Sicherstellung des Schildes durch die Polizisten war
materiell rechtswidrig.
IV. Ergebnis
Die Sicherstellung war rechtswidrig.
Lösung: Fall 2 a)
Lösung
A. Frage 1
I. Anspruch aus § 39 Abs. 1 lit. b) NRWOBG iVm § 67
NRWPolG
A könnte ein Anspruch auf Entschädigung aus § 39 Abs.
1 lit. b) NRWOBG iVm § 67 NRWPolG zustehen. Dieser
gewährt demjenigen eine Entschädigung, der infolge einer rechtswidrigen Maßnahme einer Polizeibehörde einen Schaden erlitten hat.
1. Rechtswidrige Maßnahme der Polizei
Das gewaltsame Öffnen der Haustür des A war eine
Maßnahme einer Polizeibehörde. Fraglich ist, ob die
Maßnahme rechtmäßig war.
a) Ermächtigungsgrundlage
aa) Ermächtigungsgrundlage für das Polizeihandeln
könnte § 41 Abs. 1 Nr. 4 NRWPolG sein. Dazu müsste
das Betreten der Wohnung iSd Vorschrift das gewaltsame Öffnen der Wohnungstür, also die zwangsweise
Durchsetzung, umfassen (dazu Gusy, POR, Rn 251 f.).
Umstritten ist bereits, ob die Betretungsbefugnis die Polizei auch ermächtigt, sich zwangsweise Zutritt zu verschaffen. Zudem ist fraglich, ob Beschädigungen durch
gewaltsames Öffnen der Tür damit gleichfalls legitimiert
sind. Sinn und Zweck der Norm ist es, Eingriffe in den
Grundrechtsbereich der Wohnung, der durch Art. 13 GG
geschützt ist, zu legitimieren. Daraus folgt, dass § 41
NRWPolG nur als Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe
in Art. 13 GG dient, nicht aber auch für Eingriffe in das
Eigentum iSd Art. 14 GG.
Jedenfalls die Beschädigung der Tür stellt einen Eingriff
in das Eigentum und nicht in die Unverletzlichkeit der
Wohnung dar. § 41 Abs. 1 Nr. 4 NRWPolG kann dazu
nicht als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden.
bb) Eine Ermächtigungsgrundlage für das gewaltsame
Öffnen der Haustür, könnte sich aus dem Vollstreckungsrecht ergeben. Fraglich ist, ob es sich bei dem
Eintreten der Tür um unmittelbaren Zwang oder um Ersatzvornahme handelt. Für die Abgrenzung kommt es
darauf an, wer im Ergebnis den geschuldeten Zustand
herstellt. Nimmt die Polizei eine vertretbare Handlung
anstelle des Pflichtigen vor, handelt es sich um eine Ersatzvornahme. Handelt letztlich der Pflichtige selbst,
liegt unmittelbarer Zwang vor (Gusy, POR, 2011,Rn 442
ff.). Hier handeln P und Q anstelle des A, daher sind die
Vorschriften der Ersatzvornahme, §§ 52; 51 Abs. 1 Nr. 1;
50 Abs. 2 NRWPolG, einschlägig.
b) Formelle Rechtmäßigkeit
Die Zuständigkeit der Polizei richtet sich nach § 1 Abs. 1
S. 1 NRWPolG, wobei auch die Eilzuständigkeit der Polizei gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 NRWPolG gegeben sein
dürfte. Wer für den Vollstreckungstitel zuständig ist, ist
auch für die Vollstreckung zuständig. Eine Anhörung des
A ist jedenfalls nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 NRWVwVfG entbehrlich; bei der Ersatzvornahme handelt es sich um eine Maßnahme der Vollstreckung.
c) Materielle Rechtmäßigkeit.
Die Voraussetzungen des Sofortvollzuges gem. § 50
Abs. 2 NRWPolG (vgl. Gusy, POR, 2011, Rn 439) müssten vorliegen, das Vollstreckungsverfahren ordnungsgemäß eingehalten und das Ermessen rechtmäßig ausgeübt worden sein.
aa) Rechtmäßigkeit der hypothetischen Grundverfügung
(„Handeln innerhalb ihrer Befugnisse“). Die Polizei handelt innerhalb ihrer Befugnisse, wenn im Zeitpunkt der
Zwangsmaßnahme eine Grundverfügung rechtlich zulässig wäre (Gusy, POR, 2011, Rn 441). Die Grundver-
fügung wäre die Aufforderung, die Tür zu öffnen und das
Betreten und Durchsuchen der Wohnung zuzulassen.
(1) Ermächtigungsgrundlage der hypothetischen Grundverfügung. Ermächtigungs-grundlage für die hypothetische Grundverfügung ist § 41 Abs. 1 Nr. 4 NRWPolG.
(2) Formelle Rechtmäßigkeit der hypothetischen Grundverfügung. Aufgrund des fiktiven Charakters der Grundverfügung kommt hier lediglich eine Prüfung der Zuständigkeit in Betracht. Die Polizisten P und Q wären zuständig (s.o. I. 1. b).
(3)
Materielle
Rechtmäßigkeit
der
hypothetischen
Grundverfügung:
(a) Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage § 41 Abs. 1 Nr. 4 NRWPolG. Dieser fordert
eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben und Freiheit
einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert.
(aa) Schutzgut: Sachen von bedeutendem Wert. Was
eine Sache von bedeutendem Wert ist, definiert das Gesetz nicht. Doch wird jedenfalls die Gesamtheit der in
der Wohnung des A befindlichen Gegenstände „Sachen
von bedeutendem Wert“ ausmachen.
(bb) Gegenwärtige Gefahr. Eine gegenwärtige Gefahr
liegt vor, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu
erwartenden Geschehens mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut
in allernächster Zeit geschädigt wird oder die Schädigung bereits eingetreten ist. Diese Prognose ist grundsätzlich aus exante-Sicht zu stellen. Im vorliegenden Fall
lässt sie sich nachträglich feststellen: Nach dem Betreten des Hauses fanden die Polizisten P und Q keine
Einbrecher vor. Rückblickend war das Eigentum des A
nicht gefährdet. Aus der ex-post-Sicht lag daher keine
Gefahr vor.
Die Voraussetzungen könnten jedoch erfüllt sein, wenn
eine Anscheinsgefahr oder ein Gefahrenverdacht vorlag,
welche beide aufgrund des Grundsatzes der Effektivität
der Gefahrenabwehr (auf der Primärebene) der konkreten Gefahr gleichgestellt sind. Liegt hingegen nur eine
Scheingefahr vor, so sind die Voraussetzungen nicht
gegeben. Bei Anscheinsgefahr erscheint eine Situation
bei objektiver Betrachtung (aus der Sicht eines vernünftig handelnden Durchschnittspolizisten) ex-ante als
Gefahr, ohne tatsächlich (aus ex-post-Sicht) gefährlich
zu sein (Gusy, POR, 2011, Rn 122). Wenn lediglich der
handelnde Beamte eine Gefahrensituation annimmt, ohne dass dafür hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte
vorhanden sind, so besteht nur eine Scheingefahr
(Gusy, POR, 2011, Rn 112). Die aufgrund der urlaubsbedingten Abwesenheit des A ungewöhnlichen Geräusche und das unerwartete Licht ohne Hinweise auf die
Zeitschaltuhr deuten auch bei objektiver Betrachtung auf
Einbrecher und damit auf eine Gefahr hin. Daher lag eine Anscheinsgefahr vor. Da sich die vermeintlichen Einbrecher anscheinend in der Wohnung befanden, stünde
die Schädigung auch unmittelbar bevor. Die (Anscheins) Gefahr war auch gegenwärtig. Die Tatbestandsvoraussetzungen liegen vor.
(b) Rechtsfolge. Das Betreten der Wohnung umfasst das
Eintreten, Verweilen und Besichtigen, sowie den Erlass
von Verwaltungsakten, die auf das Ermöglichen dieser
Realakte gerichtet sind
Die Maßnahme muss zudem an den richtigen Adressaten gerichtet, ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig
sein.
(aa) Adressat der Maßnahme (polizeirechtlich Verantwortlicher). Die Polizisten P und Q müssten mit A den
richtigen Adressaten ihrer Maßnahme gewählt haben.
Grundsätzlich sind nach § 4 NRWPolG polizeiliche
Maßnahmen gegen diejenige Person zu richten, die die
Gefahr verursacht hat; oder, wenn die Gefahr von einer
Sache ausgeht, gemäß § 5 NRWPolG gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt über die Sache oder deren
Eigentümer.
(aaa) Verhaltensverantwortlicher. A könnte Verhaltensverantwortlicher sein. Dies ist regelmäßig, wer die unmittelbare Ursache zur Entstehung einer Gefahr gesetzt
hat. Es bestand allerdings keine Gefahr, so dass A nicht
Verhaltensverantwortlicher ist.
(bbb) Anscheinsverantwortlicher. A könnte Anscheinsstörer sein. Anscheinsstörer ist derjenige, der, läge die
angenommene Gefahr tatsächlich vor, für die Entstehung der Gefahr verantwortlich wäre. Die von den Polizisten angenommene Gefahr für das Eigentum des A
ginge aber von den vermeintlichen Einbrechern aus. A
ist daher nicht Anscheinsstörer.
A könnte jedoch als Zweckveranlasser in Betracht kommen, indem er eine mittelbare Ursache für die Gefahr
gesetzt hat. Eine Inanspruchnahme als Zweckveranlasser ist möglich, wenn zwischen dem Handelnden und
der Gefahrverursachung ein so enger innerer Zusammenhang besteht, dass sich der Handelnde als Veranlasser die Gefahr selbst zurechnen lassen muss (Gusy,
POR, 2011, Rn 336). Dies soll dann der Fall sein, wenn
er es entweder mit seinem Handeln zweckgerichtet auf
die Gefahrrealisierung anlegt (subjektive Zweckveranlassertheorie) oder sein Handeln bei objektiver Betrachtung typischerweise eine entsprechende Entwicklung in
Gang setzt. A hat mit dem Einbau der Zeitschaltuhr und
seiner Abreise in den Urlaub zwar eine mittelbare Ursache gesetzt. Mit dem Einbau wollte A einen Einbruch in
sein Haus verhindern. Eine Täuschung der Polizisten
war hingegen von ihm nicht bezweckt. Zeitschaltuhren
bewirken auch nicht typischerweise eine Täuschung der
Polizei. A ist daher nach keiner der Theorien ein dem
Störer gleichgestellter Zweckveranlasser.
(ccc) Zustandsverantwortlicher nach § 5 NRWPolG. Die
angenommene Gefahr ginge von den vermeintlichen
Dieben, nicht aber von der Wohnung oder von in der
Wohnung befindlichen Sachen aus. A ist daher nicht Zustandsstörer.
A ist somit weder Verhaltens- noch Zustandsverantwortlicher.
(ddd) Nichtverantwortlicher. Er könnte aber als Nichtverantwortlicher iSd § 6 Abs. 1 NRWPolG in Anspruch genommen werden (vgl. Gusy, POR, 2011, Rn 380 ff.). Die
Voraussetzungen für dessen Inanspruchnahme müssen
kumulativ vorliegen. Eine gegenwärtige erhebliche Gefahr ist eine Gefahr für wichtige Rechtsgüter. Hierzu zählen nicht unwesentliche Vermögenswerte. Mit dem Vorliegen der gegenwärtigen Gefahr für Sachen von bedeutendem Wert (s.o.) ist diese Voraussetzung erfüllt. Gesetzlich vorrangige Maßnahmen gegen die – vermeintlichen – Verhaltensstörer (hier: die vermuteten Einbrecher) bzw. vorrangige eigene Gefahrenabwehrmaßnahmen der Polizei sollen durch die Wohnungsdurchsuchung gerade erst ermöglicht werden. A kann auch ohne
erhebliche eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden.
Die Voraussetzungen für seine Inanspruchnahme als
Nichtverantwortlicher liegen vor.
(bb) Verhältnismäßigkeit. Ermessensfehler für den gedachten Erlass der hypothetischen Grundverfügung sind
nicht ersichtlich. Zudem wäre der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz iSd § 2 NRWPolG zu beachten. Die hypothetische Aufforderung, die Tür zu öffnen und die Durchsuchung zuzulassen, wäre geeignet, erforderlich und angemessen.
(cc) Zwischenergebnis. Die hypothetische Grundverfügung wäre rechtmäßig. P und Q handelten innerhalb ihrer Befugnisse.
bb) Gegenwärtige Gefahr. Das Vorliegen einer gegenwärtigen (Anscheins-) Gefahr wurde bereits bejaht (s.o.
(3) (b) (cc)).
cc) Notwendigkeit. Gemäß § 50 Abs. 2 NRWPolG muss
die sofortige Vollstreckung zur Abwehr der gegenwärtigen Gefahr notwendig sein. Notwendig ist der Sofortvollzug, wenn der Zeitraum zwischen Feststellung der Gefahr und dem voraussichtlichen Schadenseintritt so gering ist, dass die mit der Einhaltung des gestreckten Verfahrens verbundene Verzögerung die Wirksamkeit der
Abwehrmaßnahme vereiteln oder wesentlich beeinträchtigen würde. Ein weiteres Abwarten und Versuche, den
A zu erreichen, hätte den vermeintlichen Einbrechern
ggf. ihre Fluchtmöglichkeiten erleichtert. Der Sofortvollzug war daher notwendig.
dd) Richtiges Zwangsmittel. Das gewaltsame Öffnen der
Wohnungstür ist eine Ersatzvornahme iSd §§ 51 Abs. 1
Nr. 1; 52 Abs. 1 S. 1 NRWPolG. Diese ist auch das richtige Zwangsmittel.
ee) Verhältnismäßigkeit. Die Vollstreckungsmaßnahme
muss auch verhältnismäßig gewesen sein. Milderes Mittel als das Eintreten der Wohnungstür könnte die Hinzuziehung eines Schlüsseldienstes sein. Dadurch würde
die Tür weniger beschädigt; es wäre also ein milderes
Mittel. Das mildere Mittel muss aber auch genauso geeignet sein. Die Hinzuziehung eines Schlüsseldienstes
dauert aber eine gewisse Zeit, die von den Einbrechern
zur Flucht oder zur weiteren Gefährdung von Eigentum
des A hätte genutzt werden können. Insoweit ist das Rufen eines Schlüsseldienstes kein gleich geeignetes Mittel.
Zudem ist nach § 41 Abs. 2 NRWPolG ein Betreten der
Wohnung auch zur Nachtzeit iSv § 104 Abs. 3 StPO zulässig.
ff) Zwischenergebnis. Die Voraussetzungen des Sofortvollzuges liegen vor. Die Polizisten handelten rechtmäßig.
2. Ergebnis
A hat keinen Anspruch aus § 39 Abs. 1 lit. b) NRWOBG
iVm § 67 NRWPolG auf Ersatz des an der Haustür entstandenen Schadens.
II. Anspruch aus § 39 Abs. 1 lit. a) NRWOBG iVm § 67
NRWPolG
A könnte ein Anspruch auf Entschädigung für den an der
Haustür entstandenen Schaden aus § 39 Abs. 1 lit. a)
NRWOBG iVm § 67 NRWPolG zustehen. Die Vorschrift
gewährt demjenigen eine Entschädigung, der als Nichtverantwortlicher in Anspruch genommen wurde und
dadurch einen Schaden erlitten hat.
1. Rechtmäßige Maßnahme der Polizei
Das gewaltsame Öffnen der Haustür des A war eine
rechtmäßig Maßnahme der Polizei (s.o. I.).
2. Inanspruchnahme als Nichtverantwortlicher iSd § 6
NRWPolG
A wurde als Nichtverantwortlicher iSd § 6 Abs. 1
NRWPolG in Anspruch genommen (s.o. I. 1. c) aa), (3)
(b) (aa) (eee)).
3. Kein Ausschluss nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 lit. b)
NRWOBG
Nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) NRWOBG ist der Ersatzanspruch ausgeschlossen, wenn durch die Maßnahme das
Vermögen des Geschädigten geschützt wird. Zwar beabsichtigten die Polizisten das Eigentum des A zu
schützen, tatsächlich wurde aber nicht bei A ein-
gebrochen. Maßgeblich ist indes der Schutzerfolg, nicht
der Schutzzweck. Die polizeiliche Maßnahme hat das
Eigentum des A nicht geschützt, sondern nur geschädigt. Der Ersatz-anspruch des A ist daher nicht ausgeschlossen.
4. Umfang der Entschädigung
A ist durch das gewaltsame Öffnen der Haustür ein
Schaden i.H.v. Euro 250,- entstanden. Allerdings sieht §
40 Abs. 4 NRWOBG eine Minderung der Entschädigung
vor, wenn den Betroffenen ein Mitverschulden an der
Schadensentstehung trifft. A hat seinem Nachbarn zwar
mitgeteilt, dass er in den Urlaub fährt, die Zeitschaltuhr
aber nicht erwähnt. Dadurch hat er diesem und den Polizisten zu der Annahme Anlass gegeben, die Geräusche
und das Licht in dem Haus rührten von Einbrechern her.
Dieses Unterlassen könnte ein Mitverschulden des A an
der Schadensentstehung begründen. Andererseits empfiehlt die Kriminalpolizei die Verwendung von Zeitschaltuhren, da sie ein probates Mittel gegen Einbrecher seien. Die Polizisten hätten also mit einer Zeitschaltuhr
rechnen können oder gar müssen. Dass A dem Nachbarn davon nichts mitgeteilt hat, begründet deshalb kein
Verschulden an dem Schaden.
5. Ergebnis
Dem A steht demnach ein Entschädigungsanspruch zu.
III. Anspruch aus § 839 BGB iVm Art. 34 GG
Ein Anspruch auf Schadensersatz aus Amtshaftung
nach § 839 BGB iVm Art. 34 GG wegen Verletzung einer
Amtspflicht kommt nicht in Betracht. P und Q handelten
rechtmäßig.
B. Frage 2
Nach § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO ist für Ansprüche aus Aufopferung für das öffentliche Wohl und für Schadensersatzansprüche wegen Verletzung öffentlich-rechtlicher
Pflichten der ordentliche Rechtsweg eröffnet. Beide geprüften Ansprüche sind daher vor dem Zivilgericht geltend zu machen.
Lösung: Fall 3 a)
Lösung
1. Teil: Frage 1
Die Anträge des V auf einstweiligen Rechtsschutz gegen
die Einweisungsverfügung und die Sanierungsverfügung
haben Erfolg, soweit sie zulässig und begründet sind.
A. Zulässigkeit der Anträge
I. Verwaltungsrechtsweg
Mangels auf- oder abdrängender Spezialzuweisungen
ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1
VwGO eröffnet. Es handelt sich um Maßnahmen aufgrund des NRWOBG, welches ausschließlich Träger öffentlicher Gewalt berechtigt. Die Streitigkeit ist auch
nicht verfassungsrechtlicher Art.
II. Statthaftigkeit des Antrages
Die statthafte Antragsart richtet sich nach dem Begehren
des Antragstellers, § 88 VwGO. Hier kommen Anträge
nach § 80 Abs. 5 S. 1 Fall 2 VwGO in Betracht. In Abgrenzung zur einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 5
VwGO) ist dieser einschlägig, wenn das Antragsbegehren auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung einer Anfechtungsklage in der Hauptsache ge-
richtet ist. Einweisungs- und Modernisierungsverfügung
der Ordnungsbehörde sind den V belastende Verwaltungsakte, gegen die in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthaft ist. Die aufschiebende Wirkung der
Klagen entfällt, da die Ordnungsbehörde die sofortige
Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 angeordnet hat. Für
beide Anträge ist daher der Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1
Fall 2 VwGO die statthafte Antragsart.
III. Antragsbefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog
Es besteht die Möglichkeit, dass V als Wohnungseigentümer durch die Einweisungs- und die Modernisierungsverfügung in seinem Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt ist. Die analog § 42 Abs. 2 VwGO für den einstweiligen Rechtsschutz erforderliche Antragsbefugnis ist
damit gegeben.
IV. Rechtsschutzinteresse
V hat zu den Anträgen im einstweiligen Rechtsschutz
auch fristgerecht Klagen in der Hauptsache erhoben.
Diese hatten jedoch wegen § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO keine auf-schiebende Wirkung. Da Streitgegenstand nicht
öffentliche Abgaben oder Kosten sind, ist ein vorheriger
Antrag an die Behörde nach § 80 Abs. 4 VwGO nicht er-
forderlich. Damit liegt auch ein Rechtsschutzinteresse
für die Anträge vor.
V. Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen
Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.
VI. Ergebnis
Die Anträge sind zulässig. Entsprechend § 44 VwGO
(Objektive Klagehäufung) können beide Begehren in einem Antrag zusammen verfolgt werden.
B. Begründetheit des Antrages bezüglich der Einweisungsverfügung
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtswidrig ist oder das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung
das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung
überwiegt.
I. Formelle Rechtmäßigkeit der Vollzugsanordnung
Die nach § 80 Abs. 3 VwGO erforderliche Begründung
des sofortigen Vollzugsinteresses liegt vor. Fraglich ist
indes, ob nach § 28 Abs. 1 NRWVwVfG eine Anhörung
erforderlich ist. Die h.M. sieht in der Anordnung sofortiger Vollziehung keinen eigenen sachlichen Regelungsgehalt, weil dieser vollständig in dem Verwaltungsakt
enthalten sei. Es handele sich bloß um einen Annex.
Zudem spricht gegen die Verwaltungsaktsqualität, dass
ansonsten gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Widerspruch und Anfechtungsklage vorgegangen werden und eine materielle Bestandskraft möglich
sein müsste. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung
kann jedoch nicht materiell bestandskräftig werden. Eine
Anhörung ist somit nicht erforderlich. Die Anordnung ist
formell rechtmäßig.
II. Interessenabwägung
Das Interesse des V an der aufschiebenden Wirkung
müsste gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung vorrangig sein. Dazu trifft das Gericht nach summarischer Prüfung eine eigene Ermessensentscheidung, für die die Erfolgsaussichten des
Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgeblich sind. Das
Aussetzungsinteresse des Antrags-stellers überwiegt jedenfalls dann, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich
rechtswidrig ist.
1. Rechtmäßigkeit der Einweisungsverfügung
a) Ermächtigungsgrundlage
Umstritten ist bereits die Ermächtigungsgrundlage. Als
spezielle Norm kommt § 24 Nr. 13 NRWOBG iVm § 43
Nr. 1 NRWPolG in Betracht. Dies wird teilweise mit dem
Argument abgelehnt, Voraussetzung für eine Sicherstellung sei, dass die abzuwehrende Gefahr von der Sache
selbst oder der Art ihrer (drohenden) Verwendung ausgehe. Die Gefahr der Obdachlosigkeit droht aber nicht
aufgrund des Zustands oder der Verwendung der Wohnung. Die Einschränkung auf bestimmte Gefahren ergibt
sich aber weder aus dem Wortlaut noch aus Systematik
oder Zweck der Vorschrift. Es kann auch eine anderweitig bestehende Gefahr durch die sichergestellte Sache
abgewehrt werden. Weiter wird vertreten, bei der Sicherstellung müsse es der Behörde darauf ankommen,
die Sache in Verwahrung zu haben und jeden anderen
von der Einwirkung auszuschließen. Bei der Obdachloseneinweisung werde die Wohnung aber bewusst einem
Dritten zugänglich gemacht. Die Verwahrung muss aber
nicht zwingend von der Behörde selbst durchgeführt
werden. Zudem ist das Ziel der Sicherstellung die Gefahrenabwehr und nicht die Verwahrung; letztere ist lediglich die Folge. Die speziellen Sicherstellungsvorschriften sind daher die richtige Ermächtigungsgrundlage.
b) Formelle Rechtmäßigkeit
Hier hat der zuständige Beamte der Ordnungsbehörde
gehandelt. Im Übrigen ist der Verwaltungsakt formell
rechtmäßig.
c) Materielle Rechtmäßigkeit
aa) Gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung Es müsste eine gegenwärtige Gefahr für
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bestehen. Öffentliche Sicherheit ist die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des
Einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen
des Staates und sonstiger Träger von Hoheitsgewalt.
Unfreiwillige Obdachlosigkeit beeinträchtigt die Gesundheit des Betroffenen, sein Eigentum bzw. Besitz. Diese
Individualrechtsgüter sind auch strafrechtlich geschützt,
so dass die öffentliche Sicherheit durch unfreiwillige Obdachlosigkeit beeinträchtigt wird.
Eine gegenwärtige Gefahr liegt vor, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut in allernächster Zeit geschädigt wird oder die Schädigung bereits eingetreten
ist. Die Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher stand
unmittelbar bevor, eine neue Wohnung stand nicht zur
Verfügung, so dass die Obdachlosigkeit der M und ihrer
Kinder sofort anschließend an die Räumung eingetreten
wäre.
Fraglich ist jedoch, ob es sich hierbei um eine rechtlich
gebilligte Gefahr handelt, die ein Eingreifen der Ordnungsbehörde ausschließt. Wenn ein Gericht über die
Räumung einer Wohnung entscheidet, so hat es auch
die Vereinbarkeit mit den Grundrechten des Betroffenen
zu überprüfen. Hieraus könnte folgen, dass die Behörde
durch eine Einweisungsverfügung nicht das gerichtliche
Urteil entwerten darf. Diese Kompetenzkonkurrenz wird
jedoch nur relevant, wenn beide Instanzen aufgrund
derselben Tatsachen die gleichen rechtlichen Erwägungen anzustellen haben. Aber im Räumungsprozess wird
zentral die soziale Verträglichkeit der Entfernung aus der
ehemaligen Wohnung geprüft, während die Ordnungsbehörde die soziale Verträglichkeit der Unterbringung
des Betroffenen nach der Räumung bewertet (vgl. zu
dem Problem Gusy, POR, Rn 341 ff.). Damit war die Gefahr der Obdachlosigkeit nicht durch das gerichtliche Urteil gebilligt, so dass eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorlag.
bb) Rechtsfolge
(1) Rechtsfolge einer Sicherstellung ist zunächst die Beschränkung der Verfügungs-möglichkeit des Eigentümers über die Wohnung und die Begründung eines öffentlich
rechtlichen
Verwahrungsverhältnisses.
Dem
steht nicht entgegen, dass die Wohnung einem Dritten
überlassen wird.
(2) Inanspruchnahme des V als Handlungsstörer nach §
17 Abs. 1 NRWOBG. Demnach sind die erforderlichen
Maßnahmen gegen die Person zu richten, die die Gefahr
verursacht hat. V hat das Räumungsurteil erwirkt und die
Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher veranlasst.
Jedoch hat er dabei von einem ihm eingeräumten Recht
Gebrauch gemacht, so dass sein Handeln nicht rechtswidrig, sondern rechtmäßig war. Damit ist eine Inanspruchnahme als Handlungsstörer ausgeschlossen.
(3) Inanspruchnahme des V als Nichtverantwortlicher. V
könnte nach § 19 Abs. 1 NRWOBG in Anspruch genommen werden. Dazu müsste eine gegenwärtige erhebliche Gefahr vorliegen. Gegenwärtig ist die Gefahr,
wenn die Schädigung schon eingetreten ist oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Durch die Anwesenheit des vollstreckungsbereiten Gerichtsvollziehers hat sich die Gefahr
schon fast realisiert, ist mithin gegenwärtig. Erheblich ist
eine Gefahr für besonders wichtige Rechtsgüter, wozu
auch Leben und Gesundheit zählen. Weil es um die Gesundheit und das Leben der M und ihrer Kinder geht, ist
die Gefahr auch erheblich. Da keine anderweitig Verantwortlichen vorhanden sind, ist es nicht möglich oder
Erfolg versprechend, die Maßnahme gegen solche zu
richten. Auch muss die Gefahrbekämpfung durch die
Ordnungsbehörde selbst aussichtslos sein. Hier sind
strenge Maßstäbe anzusetzen, so dass auch die Unterbringung in anderen Räumen, seien es städtische oder
anderweitig angemietete, in Betracht kommt. Solche
stehen B jedoch nicht zur Verfügung. Somit hat die Behörde keine anderweitige Möglichkeit, die Gefahr zu beseitigen.
Schließlich darf die Inanspruchnahme nicht den Nichtverantwortlichen selbst erheblich gefährden oder für ihn
mit einer Verletzung höherwertiger Pflichten verbunden
sein. Solche Aspekte sind nicht ersichtlich. Insbesondere
hat V noch keinen anderweitigen Mietvertrag zu erfüllen.
(4) Ermessensfehler. Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich.
(5) Verhältnismäßigkeit. Nach § 15 NRWOBG muss die
Behörde den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten.
Hier ist fraglich, ob die Einweisung der M in die Wohnung des V überhaupt zur Gefahren-abwehr geeignet
ist. Die Wohnung verfügt lediglich über 45 m² Wohnfläche, so dass sie zur Unterbringung von drei Personen zu
klein ist. Zudem ist die Wand eines Zimmers von
Schimmel befallen, der bei Bewohnern – insbesondere
Kindern – erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen hervorrufen kann. Die von der Obdachlosigkeit ausgehenden Gesundheitsgefahren sind jedoch als noch
erheblicher einzustufen als die vorübergehende Unterbringung in der von der M zuletzt bewohnten – eigentlich
unzumutbaren – Wohnung. Zudem verfügt die Ordnungsbehörde nicht über andere Wohnungen. In Anbetracht der Gefahrenlage ist somit die Unterbringung in
der Wohnung des V noch als geeignet anzusehen.
Ein für V und die Allgemeinheit milderes Mittel als die
Einweisung der M in die Wohnung ist nicht ersichtlich.
Durch die Befristung auf drei Monate wird zudem verhindert, dass V länger als notwendig in Anspruch genommen wird. Die Einweisung ist damit auch erforder-
lich. Sie steht auch nicht zu dem angestrebten Zweck
außer Verhältnis.
Damit liegt kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Die Einweisungsverfügung war
rechtmäßig.
2. Besonderes Vollziehungsinteresse
Das Rechtsmittel in der Hauptsache hätte wegen der
Rechtmäßigkeit der Maßnahme keinen Erfolg.
Hinsichtlich des einstweiligen Rechtsschutzes gem. § 80
Abs. 5 S. 1 Fall 2 VwGO sind mangels eigener gesetzlicher Regelung die Wertungen des § 80 Abs. 4 VwGO
entsprechend heranzuziehen. Im vorliegenden Fall wäre
ohne sofortigen Vollzug die M mit ihren Kindern unmittelbar der Obdachlosigkeit und damit erheblichen Gesundheitsgefahren ausgesetzt. Bei Abwarten des Hauptsacheverfahrens wäre eine effektive Abwehr dieser Gefahren nicht mehr möglich. Daher liegt auch ein besonderes, über das allgemeine Interesse an der Durchsetzung rechtmäßiger Verwaltungsakte hinausgehendes
Vollzugsinteresse vor. Damit ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der
Einweisungsverfügung unbegründet.
D. Begründetheit des Antrages bezüglich der Modernisierungsverfügung
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Modernisierungsverfügung formell
rechtswidrig ist oder das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung das öffentliche
Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt.
Formell ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung
rechtmäßig (vgl. o. B. I.).
I. Rechtmäßigkeit der Modernisierungsanordnung
1. Ermächtigungsgrundlage, § 14 Abs. 1 NRWOBG
Mangels anderer Ermächtigungsgrundlage kommt allein
§ 14 Abs. 1 NRWOBG in Betracht.
2. Formelle Rechtmäßigkeit
Die Modernisierungsanordnung ist formell rechtmäßig
ergangen (vgl. o. B. II. 1. b)).
3. Materielle Rechtmäßigkeit
a) Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
Die im öffentlichen Interesse geschützten Rechtsgüter
sind Gesundheit und Leben der M und ihrer Kinder. Eine
Wand ist von Schimmel befallen. Der Aufenthalt in Räumen mit Schimmelpilzbefall kann zu chronischen Atem-
wegserkrankungen führen. Damit liegt eine konkrete Gefahr für die Gesundheit der M und ihrer Kinder vor.
b) Bestimmtheit
Nach
dem
Bestimmtheitsgebot
(§
37
Abs.
1
NRWVwVfG) muss der Adressat dem Verwaltungsakt
genau entnehmen können, was von ihm verlangt wird.
Hier soll V die Wohnung wegen ihres schlechten und
veralteten Zustandes „umfassend modernisieren“, z.B.
sämtliche sanitären Anlagen auf modernsten Stand bringen sowie eine neue Einbauküche installieren. Dabei ist
bereits unklar, was unter einer „umfassenden“ Modernisierung“ zu verstehen ist. Modernisierung kann verschiedene Maßnahmen umfassen, etwa Erneuerung der
Heizung, Fassadendämmung, Austausch der Fenster
etc. Die Benennung einzelner Maßnahmen (Sanitäranlagen und Einbauküche) ändert hieran nichts, weil die
Aufzählung nur beispielhaft ist. Zudem ist unklar, was als
„modernster“ Stand der Sanitäranlagen zu verstehen ist.
Die Regelung ist daher insgesamt zu unbestimmt. Bereits deshalb ist die Sanierungsanordnung rechtswidrig.
c) Hinweis zur weiteren Prüfung, sofern eine ausreichende Bestimmtheit der Verfügung angenommen wird:
Rechtsfolge
aa) Inanspruchnahme des V als Zustandsstörer. Geht
von einer Sache eine Gefahr aus, so sind nach § 18
Abs. 1 S. 1 NRWOBG die Maßnahmen gegen den Eigentümer zu richten. Eine Wand ist mit Schimmelpilz befallen, so dass die Gefahr von der Wohnung ausgeht.
Demnach wären Gefahrenabwehrmaßnahmen grundsätzlich gegen den Eigentümer – also V – zu richten.
Dessen Inanspruchnahme des V könnte jedoch durch §
18 Abs. 2 S. 2 NRWOBG aus-geschlossen sein. Danach
ist die Maßnahme zwingend gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten, wenn er diese gegen den
Willen des Eigentümers ausübt, wenn also die tatsächliche Gewalt unrechtmäßig ausgeübt wird. V wollte gerade nicht, dass die M weiter in seiner Wohnung wohnt.
Doch der Wille des Eigentümers ist nur soweit geschützt, wie er über die Ausübung der tatsächlichen
Gewalt über seine Sache frei entscheiden kann. Hier
hatte der Beamte B gegen V eine sofort vollziehbare
Einweisungsverfügung verhängt. Sie berechtigte M, in
der Wohnung zu leben. Der entgegenstehende Wille des
V ist daher unbeachtlich, der Ausnahmetatbestand nicht
einschlägig.
bb) Verhältnismäßigkeit, § 15 NRWOBG. Eine umfassende Modernisierung der Wohnung wäre geeignet, die
Gefahren durch den Schimmelpilz zu beseitigen. Jedoch
muss eine Maßnahme auf das Erforderliche begrenzt
sein. Es bedarf jedoch keiner umfassenden Modernisierung, um die Gesundheitsgefahren durch den Schimmelpilz abzuwehren. Das Trockenlegen der Wand und
neue Tapete inklusive eines geeigneten Anstrichs reichen zur Gefahrenabwehr aus. Damit hat der B nicht die
Rechtsfolge gewählt, die V am wenigsten beeinträchtigt.
Das gilt gleichfalls für die Modernisierungsanordnung
hinsichtlich der Küche. Ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1
NRWOBG
liegt
vor.
Mithin
wäre
die
Mo-
dernisierungsverfügung rechtswidrig.
II. Ergebnis
Die Modernisierungsverfügung ist rechtswidrig, so dass
das Rechtsmittel in der Hauptsache Aussicht auf Erfolg
hat. Folglich überwiegt das Interesse des V an der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Vollzugsinteresse.
Der Antrag auf Wiederherstellung der auf-schiebenden
Wirkung der Modernisierungsanordnung hat insoweit Erfolg.
2. Teil: Frage 2
V könnte gegen die Behörde einen Anspruch auf behördliche Entfernung der M und ihrer Kinder aus seiner
Wohnung haben.
A. Anspruchsgrundlage
Als
Anspruchsgrundlage
kommt
der
(Vollzugs-
)Folgenbeseitigungsanspruch in Betracht. Der Anspruch
ist gewohnheitsrechtlich anerkannt und prozessrechtlich
vorausgesetzt.
B. Materielle Anspruchsvoraussetzungen
Der
Tatbestand
des
(Vollzugs-
)Folgenbeseitigungsanspruchs setzt voraus, dass durch
einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein
andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen wurde,
dessen Beseitigung zumutbar sowie tatsächlich und
rechtlich möglich ist.
Die Einweisung der M in die Wohnung des V ist ein hoheitlicher Eingriff in das Eigentumsrecht des V aus Art.
14 Abs. 1 GG. Fraglich ist indes, ob es sich dabei um einen rechtswidrigen Zustand handelt, der noch andauert.
Es reicht in diesem Zusammenhang aus, dass für das
Verbleiben des Eingewiesenen keine Rechtsgrundlage
mehr besteht. Rechtsgrundlage ist die Einweisungsverfügung. Die Einweisungsverfügung ist weder nach § 44
Abs. 1 NRWVwVfG nichtig noch gem. § 43 NRWVwVfG
aufgehoben oder durch Zeitablauf (der drei Monate) erledigt. Da die Einweisungsverfügung für sofort vollziehbar erklärt wurde, hat auch eine Klage keine aufschiebende Wirkung. Solange die Einweisungsverfügung gilt,
besteht damit ein Rechtsgrund für den Aufenthalt der M
in der Wohnung, so dass ein rechtmäßiger Zustand vorliegt.
C. Ergebnis
V hat gegen die Behörde zur Zeit keinen Anspruch auf
behördliche Entfernung der M aus seiner Wohnung.
Lösung Fall 4 a)
Lösung
Der Kostenbescheid ist rechtmäßig, wenn er formell und
materiell den gesetzlichen Vor-schriften entspricht.
A. Ermächtigungsgrundlage
I. Ermächtigungsgrundlage
Als Ermächtigungsgrundlage käme zunächst § 20 Abs. 2
S. 2 Nr. 8 NRW VO VwVG iVm § 77 Abs. 1 S. 1
NRWVwVG iVm§§ 43, 46 Abs. 3 NRWPolG in Betracht,
wenn man das Abschleppen als Sicherstellung ansieht.
Qualifiziert man die Maßnahme dagegen als Ersatzvornahme, so sind die § 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 7 NRW
VO VwVG iVm §§ 77 Abs. 1 S. 1 NRWVwVG, 52 Abs. 1;
50 NRWPolG einschlägig.
Nach einer Meinung ist das Abschleppen als Sicherstellung (§ 43 NRWPolG) einzustufen. Sie umfasse nicht
nur die Herausgabeverfügung, sondern auch die Besitzbegründung. Daher enthalte die Sicherstellung ein eigenes Vollzugselement, so dass sich ein Rückgriff auf das
Vollstreckungsrecht erübrige. Gegen diese Auffassung
spricht, dass grundsätzlich zwischen dem Grundverwaltungsakt und der Vollstreckung unterschieden wird. Das
Abschleppen eines Fahrzeugs ist demnach eine Ersatzvornahme im Verwaltungszwang.
Unterschiedlich beurteilt wird jedoch, welcher (hypothetische) Grundverwaltungsakt dem Zwangsmittel zugrunde
liegt. Zum Teil wird auf Sinn und Zweck des Abschleppvorgangs abgestellt. Sei Ziel der Maßnahme die Beseitigung einer Störung, so sei die Ersatzvornahme lediglich
der Vollzug der Aufforderung zur Beseitigung dieser Störung (z.B. Wegfahrgebot bei Parken im Halteverbot).
Anders zu beurteilen sei es dagegen, wenn in den Polizeigesetzen einiger Bundesländer Maßnahmen zum
Schutz von Sachen gegen Einwirkungen durch Unbefugte oder durch die Allgemeinheit nicht als Sicherstellung
qualifiziert werden. Für NRW und Länder mit vergleichbarer Rechtslage gilt jedoch: Der Polizeibeamte ließ das
Fahrzeug abschleppen, weil das Fenster nicht geschlossen und es somit nicht ausreichend gegen den Zugriff
durch Unbefugte gesichert war. Damit ist eine Sicherstellung vollstreckt worden.
Wenn das Abschleppen als durch Ersatzvornahme
durchgeführte Sicherstellung angesehen wird, stellt sich
der erwähnte Meinungsstreit: Wenn die Maßnahme nur
den Erlass einer Verfügung gestattet, die auf Herausga-
be oder Duldung der Wegnahme der Sache gerichtet ist,
umfasst diese nicht die zwangsweise Besitzbegründung.
Dann kann die Wegnahme nur eine Vollstreckung der
vorangegangenen
Sicherstellung
sein.
Der
Ab-
schleppvorgang ist die Ersatzvornahme einer Sicherstellung. Damit sind die eingangs er-wähnten Ermächtigungsgrundlagen einschlägig.
II. Befugnis der Polizei zum Erlass eines Kostenbescheids
Die Behörde müsste berechtigt sein, die Kosten im Wege eines Verwaltungsakts zu erheben. Ansonsten bliebe
ihr nur die Möglichkeit, im Wege der allgemeinen Leistungsklage gegen A vorzugehen. Nach dem Gesetz
können die Kosten nach § 52 Abs. 2 S. 2 NRWPolG für
die Ersatzvornahme und § 46 Abs. 3 NRWPolG für die
Sicherstellung im Verwaltungszwangsverfahren geltend
gemacht werden. Für dieses Verfahren setzt § 6 Abs. 1
Nr. 1 NRWVwVG einen Leistungsbescheid voraus. Zudem verweist § 77 Abs. 4 NRWVwVG n.F. auf § 14
NRWGebG, wonach Kosten von Amts wegen festgesetzt werden. Beides impliziert die Zulässigkeit der Geltendmachung des Betrages durch Verwaltungsakt.
III. Zwischenergebnis
Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Kostenbescheides ergibt sich aus § 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 7 NRW
Vo VwVG iVm §§ 77 Abs. 1 S. 1 NRWVwVG, 52 Abs. 1;
50, 43, 46 Abs. 3 NRWPolG.
B. Formelle Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids
Kostengläubigerin ist gem. § 20 Abs. 2 S. 1 NRW VO
VwVG die Vollzugsbehörde, also die Polizeibehörde.
Hinsichtlich des Verfahrens ist gem. § 28 Abs. 1
NRWVwVfG eine Anhörung des A erforderlich. Diese ist
insbesondere nicht nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 NRWVwVfG
entbehrlich, da der Erlass des Kostenbescheids keine
Maßnahme „in“, sondern „nach“ der Vollstreckung ist.
Die Anhörung ist bisher unterblieben, kann jedoch im
Klageverfahren nachgeholt werden (§ 45 Abs. 2
NRWVwVfG).
C. Materielle Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids
Der Kostenbescheid müsste auch materiell rechtmäßig
sein. Dazu müsste es sich um Kosten handeln, die durch
die Ersatzvornahme entstanden sind. Voraussetzung ist
also, dass eine rechtmäßige Ersatzvornahme vorliegt
und A kostenpflichtig ist.
I. Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme
1. Ermächtigungsgrundlage für die Ersatzvornahme
a) § 50 Abs. 1 NRWPolG (Gestrecktes Verfahren)
Die Polizei könnte im gestreckten Verfahren nach § 50
Abs. 1 NRWPolG tätig geworden sein. Danach ist ein
vollstreckbarer Titel in der Form eines wirksamen Verwaltungsaktes erforderlich (Gusy, POR, Rn 438 ff.). An
einer solchen Grundverfügung fehlt es jedoch.
b) § 50 Abs. 2 NRWPolG (Sofortvollzug)
Das Abschleppen könnte jedoch eine Maßnahme des
Sofortvollzuges gewesen sein.
2. Formelle Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme
Die Polizei war entsprechend dem Grundsatz der
Selbstvollstreckung zuständig. Eine Anhörung war jedenfalls wegen § 28 Abs. 2 Nr. 5 NRWVwVfG entbehrlich.
3. Materielle Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme
a) Handeln „innerhalb ihrer Befugnisse“
Voraussetzung des Sofortvollzuges ist, dass die Polizei
innerhalb ihrer Befugnisse gehandelt hat. Eine hypothetische Grundverfügung müsste also rechtmäßig sein.
aa) Als Ermächtigungsgrundlage für den hypothetischen
Grundverwaltungsakt kommt § 43 Nr. 2 NRWPolG in Betracht. Danach ist eine Sicherstellung möglich, um den
Eigentümer vor Verlust oder Beschädigung einer Sache
zu schützen.
bb) Die Polizei wäre gem. §§ 1 Abs. 1 S. 1, 3 NRWPolG
zuständig. Die hypothetische Grundverfügung wäre formell rechtmäßig.
cc)
Materielle
Rechtmäßigkeit
der
hypothetischen
Grundverfügung
(1) Gefahr der Eigentumsbeeinträchtigung. Hierzu müsste
zunächst
die
Gefahr
einer
Eigentums-
beeinträchtigung bestanden haben. Die Gefahr muss eine konkrete sein, d.h. eine im Einzelfall bestehende,
über das allgemeine Lebensrisiko hinausreichende, also
nicht mehr sozialadäquate Bedrohung eines Rechtsgutes (Gusy, POR, Rn 125). Eine heruntergelassene Fensterscheibe erleichtert unbefugten Personen den Zugriff
auf den Innenraum des Fahrzeugs und bietet Anreiz,
das Fahrzeug selbst oder Gegenstände, die sich darin
befinden (z.B. ein Radio), zu entwenden. Auch waren in
der Umgebung wiederholt Diebstähle begangen worden.
Dies zeugt von einem erhöhten Diebstahlsrisiko. Jedoch
handelte es sich bei dem Auto des A um ein Fahrzeug
neuer Bauart. Solche Fahrzeuge sind üblicherweise mit
einer automatischen Wegfahrsperre ausgestattet, die ei-
nen Diebstahl des Autos auch bei offenem Fenster erschwert. Auch hätte eine andere Beurteilung zur Folge,
dass dem Grunde nach jedes Cabrio, dessen Dach zurückgefahren ist, wegen Diebstahlsgefahr sichergestellt
werden könnte. Die Bedrohung des Autos selbst ging
somit nicht über das allgemeine Lebensrisiko hinaus. Eine konkrete Gefahr ist abzulehnen. Dass im Fahrzeug
Gegenstände gelegen hätten, welche einem erhöhten
Diebstahlsrisiko ausgesetzt wären, ist nach dem Sachverhalt nicht erkennbar. Die Gefahr eines Eigentumsverlusts des A ist zu verneinen. Schon aus diesem Grunde
kann die Sicherstellung nicht auf § 43 Nr. 2 NRWPolG
gestützt werden.
(2) Hinweis: Wer eine Gefahr annimmt, muss weiter das
Einverständnis des A. prüfen (Gusy, POR Rn. 94). Eine
polizeiliche Maßnahme zum Zwecke der Eigentumssicherung ist eine Befugnis der Polizei zur Sicherung privater Rechte iSv § 1 Abs. 2 NRWPolG. Da ein solches
Einverständnis hier nicht vorlag, kann nur mutmaßliches
Einverständnis geprüft werden. Teilweise wird hierzu
vertreten, eine Maßnahme entspreche dem mutmaßlichen Willen des Berechtigten, wenn sie dessen objektivem Interesse entspreche – selbst, wenn er später mit
der Sicherstellung nicht einverstanden sei. Die Sicherstellung ist für A ein geringeres Übel als ein möglicher
Diebstahl, obgleich die Kosten zu erstatten sind. Sie war
somit im objektiven Interesse des A. Mit dieser Ansicht
wäre also ein mutmaßlicher Wille des Berechtigten gegeben. Jedoch kann ein solcher mutmaßlicher Wille
nicht einfach im Hinblick auf das objektive Interesse unterstellt werden. Dies ergibt sich schon daraus, dass die
Sicherstellungsmaßnahme mit erheblichen Kosten verbunden ist. Auch gibt es keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass ein Fahrzeugführer, der es
versehentlich unterlassen hat, eine Fahrzeugscheibe zu
schließen, sein mutmaßliches Einverständnis zu einer
polizeirechtlichen Maßnahme erteilt, sein Eigentum zu
sichern. Vielmehr muss geprüft werden, ob im konkreten
Einzelfall eine akute Bedrohung des Eigentums des Berechtigten gegeben ist. Vorliegend war keine akute Bedrohung des Eigentums des A gegeben (s.o. (1)). Somit
kann sein mutmaßliches Einverständnis nicht unterstellt
werden. Es fehlt also auch an einem Einverständnis des
A.
dd) Als weitere Ermächtigungsgrundlage kommt § 43 Nr.
1 NRWPolG in Betracht. Danach ist eine Sicherstellung
zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr zulässig. Es
muss dabei eine Stufe der Gefahr erreicht worden sein,
in welcher der Umschlag in einen Schaden zu einem so
nahen Zeitpunkt zu befürchten ist, dass der Eintritt des
Schadens nicht ohne die Hilfe Dritter abgewehrt werden
kann. Hierfür kann nicht auf Gefahren abgestellt werden,
die dem Fahrzeug selbst drohen, da diese abschließend
von Nr. 1 erfasst werden. Zu denken wäre in diesem
Zusammenhang allenfalls an eine Verwendung des
Fahrzeugs durch einen Dieb bei späteren Straftaten,
z.B. als Fluchtauto oder bei weiteren Kfz-Diebstählen. In
Betracht käme auch, dass das Fahrzeug von sog.
„Crash-Kids“ missbraucht und so zu einer Gefahr werden könnte. Dies ist zwar nicht ausgeschlossen, doch
sind keine ausreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer „gegenwärtigen“ Gefahr gegeben. Hier geht es
letztlich um eine Gefahr für das Auto, nicht durch das
Auto. Auch diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
ee) Als Ermächtigungsgrundlage für die hypothetische
Grundverfügung käme zuletzt § 8 NRWPolG in Betracht.
Jedoch ist ein Rückgriff auf die Generalklausel unzulässig, da ansonsten die Voraussetzungen der Standardmaßnahme des § 43 unterlaufen würden.
ff) Zwischenergebnis. Ein hypothetischer Grundverwaltungsakt scheitert an den Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage und wäre schon aus diesem Grund
nicht rechtmäßig. Die Polizei hat nicht „im Rahmen ihrer
Befugnisse“ gehandelt. Die Voraus-setzungen des § 50
Abs. 2 NRWPolG sind mithin nicht erfüllt. Schon aus
diesem Grund war die Ersatzvornahme und damit auch
der Kostenbescheid rechtswidrig.
Die weitere Prüfung erfolgt hier nur der Vollständigkeit
halber.
gg) Rechtsfolge. Die Maßnahme müsste sich gegen den
richtigen Adressaten richten ermessensfehlerfrei ergangen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet
worden sein.
(1) Polizeipflichtigkeit des A. A könnte Verhaltensverantwortlicher gem. § 4 Abs. 1 NRWPolG gewesen sein.
Grundsätzlich verursacht die Gefahr, wer nach den vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkten den Schaden
verursachen wird. A hat durch das Abstellen des Fahrzeuges mit geöffnetem Fenster keine Gefahr verursacht,
da dies an sich noch keinen Schaden verursacht. Alleine
der – noch nicht vorhandene – Dieb wäre als Verhaltensstörer verantwortlich.
A könnte aber als Eigentümer des Autos Zustandsverantwortlicher gem. § 5 Abs. 2 NRWPolG gewesen sein.
Voraussetzung der Zustandshaftung ist, dass von der
Sache eine Gefahr ausgeht. Dies wäre vorliegend nicht
der Fall gewesen. Jedoch würde es dem Zweck des §
43 Nr. 2 NRWPolG widersprechen, eine Gefahr zu fordern, die von der Sache ausgeht. § 43 Nr. 2 NRWPolG
rechtfertigt ein Einschreiten der Polizei bei einer (konkreten) Gefahr für das Eigentum. Die notwendige Gefahrenlage, die ein Einschreiten der Polizei rechtfertigt, ergibt
sich aus § 43 Nr. 2 NRWPolG: Wenn dessen Voraussetzungen – Gefahr der Eigentumsbeeinträchtigung und
Einverständnis des Eigentümers – erfüllt sind, darf der
Eigentümer als Verantwortlicher in Anspruch genommen
werden, soweit die Maßnahme ausschließlich der Sicherung privaten Eigentums und nicht (auch) der Beseitigung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit dient. Einer darüber hinaus von der Sache ausgehenden Gefahr
iSd § 5 Abs. 1 NRWPolG bedarf es insoweit nicht. A hätte als Zustandsverantwortlicher in Anspruch genommen
werden können.
(2) Verhältnismäßigkeit. Die Auswahl des Mittels hätte
ermessensfehlerfrei erfolgt sein müssen Hier könnte ei-
ne Ermessensüberschreitung wegen Verstoßes gegen
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 2 NRWPolG)
in Betracht kommen. Das Abschleppen ist geeignet, den
A vor Eigentumsverlust zu schützen. Es müsste auch erforderlich gewesen sein. Eine Benachrichtigung des Eigentümers schied aus, denn A war im Urlaub und nicht
zu erreichen. Weiterhin konnte der Polizeibeamte das
Fenster nicht selbst verschließen, da dies nur bei eingeschalteter Zündung möglich ist. Schließlich könnte daran
gedacht werden, häufige Streifengänge am Stellplatz
des Autos durchzuführen, um so die Diebstahlswahrscheinlichkeit zu senken. Der Schutz privater Rechte
stellt jedoch nur eine Nebenaufgabe der Polizei dar,
während ihre Hauptaufgabe in der Abwehr von Gefahren
für die öffentliche Sicherheit besteht. Daher dürfen die
Anforderungen an die Polizei in diesem Bereich nicht
überspannt werden. Die Sicherstellung wäre erforderlich
gewesen. Letztlich ist auch nicht ersichtlich, dass die
Maßnahme außer Verhältnis zum erstrebten Zweck gestanden hätte. Der Polizeibeamte hätte ermessensfehlerfrei gehandelt.
b) Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr, § 50 Abs. 2
NRWPolG
Die Vollstreckung müsste zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr erfolgt sein. Erforderlich ist eine besondere
zeitliche Nähe zum Schadenseintritt. Die vage Möglichkeit eines Diebstahls ohne deutliche Hinweise auf eine
unmittelbar bevorstehende Tatausführung genügt diesen
Anforderungen nicht. Auch aus diesem Grund waren Ersatzvornahme und Kostenbescheid rechtswidrig.
c) Notwendigkeit des gekürzten Verfahrens
Als Ausdruck der Subsidiarität des gekürzten Verfahrens
gegenüber dem Sofortvollzug hätte letzterer notwendig
sein müssen. Notwendig ist der Sofortvollzug, wenn der
Zeitraum zwischen Feststellung der Gefahr und dem voraussichtlichen Schadenseintritt so gering ist, dass die
mit der Einhaltung des gestreckten Verfahrens verbundene Verzögerung die Wirksamkeit der Abwehrmaßnahme vereiteln oder wesentlich beeinträchtigen würde.
Mangels Gefahr (s.o.) ist auch diese Voraussetzung der
Ersatzvornahme nicht gegeben.
d) Ordnungsgemäßes Vollstreckungsverfahren
Bei der Ersatzvornahme hätte es sich um ein zulässiges
Zwangsmittel, §§ 51 Abs. 1 Nr. 1; 52 NRWPolG, gehandelt. Im Übrigen erfolgt die Vollstreckung im Sofortvollzug verfahrensfrei.
e) Ermessen
Die Polizei müsste das Ermessen hinsichtlich der Auswahl und Anwendung des Zwangsmittels rechtmäßig
ausgeübt haben. Hier waren keine Ermessensfehler erkennbar.
II. Kostenpflichtigkeit des A
Schuldner der Kosten ist der polizeirechtlich Verantwortliche. A wäre Zustandsverantwortlicher und somit kostenpflichtig.
III. Erstattungsfähigkeit der Kosten
Schließlich müssten Auslagen i.H.v. 55,– Euro entstanden sein. Auslagen sind Leistungen, welche die Polizei
im Zusammenhang mit einer polizeilichen Maßnahme an
Dritte gezahlt hat oder zu zahlen verpflichtet ist. Die Kosten
für
den
Abschleppunternehmer
sind
im
Zu-
sammenhang mit der polizeilichen Sicherstellung des
Fahrzeugs entstanden und wären damit in voller Höhe
zu erstatten.
D. Ergebnis
Der Kostenbescheid ist zwar formell rechtmäßig, aber
aus mehreren Gründen materiell rechts-widrig.
Lösung: Fall 4 b)
A.
Ansprüche des A
I.
Schadensersatz wegen Pflichtverletzung, entspre-
chend §§ 280, 241 Abs. 2 BGB
1.
Anwendbarkeit
Die Grundsätze der positiven Forderungsverletzung sind
nach herrschender Meinung auch auf verwaltungsrechtliche
Schuldverhältnisse
anwendbar,
soweit
diese
schuldrechtsähnliche Pflichten begründen und die Eigenart des öffentlichen Rechts nicht entgegen steht (Palandt, § 280 Rn. 10.)
Ein anerkannter Fall ist derjenige der öffentlichrechtlichen Verwahrung.
2.
Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Verwahrungs-
verhältnisses
Ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis kommt
dann zustande, wenn „eine Behörde vermittels Übergabe oder Übergabesurrogat an der zu verwahrenden Sache Besitz erlangt.“ (Drews/Wacke/Vogel/Martens, S.
647) Das öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis
setzt im Gegensatz zum Zivilrecht keinen Vertrag voraus, sondern entsteht auch, sobald eine Behörde eine
bewegliche Sache für eine Privatperson kraft öffentlichen Rechts in Besitz hat (Papier, Jura 1995, 38, 39).
Das Verwahrungsverhältnis liegt auch unabhängig davon vor, ob das Abschleppen in Form einer Sicherstellung oder einer Ersatzvornahme erfolgt ist.
3.
Objektive Pflichtverletzung
Gem. § 44 Abs. 3 S. 1 PolG NRW obliegt dem Land
bzw. den für das Land handelnden Personen die Pflicht,
für den Pkw Sorge zu tragen, insbesondere ihn nicht zu
beschädigen.
4.
Haftungsbegründende Kausalität
Liegt vor.
5.
Verschulden, §§ 276, 278 BGB analog
Für das Verschulden gelten die §§ 276, 278 BGB entsprechend, vgl. auch § 691 S. 3 BGB.
Die Haftungsbeschränkung des § 690 BGB auf Vorsatz
und grobe Fahrlässigkeit kann auf eine öffentlichrechtliche Verwahrung nicht entsprechend angewendet
werden (Papier, Jura 1995, 38, 39 f. m.w.N.) Weder die
Inbesitznahme noch die Verwahrung erfolgen unentgeltlich, zudem soll sich der Staat nicht auf die Haftungserleichterung für unentgeltliche Geschäfte zwischen Privaten berufen können.
U handelte zumindest fahrlässig, wenn nicht sogar grob
fahrlässig.
Ein Mitverschulden des A wegen des Falschparkens
könnte problematisiert werden. Dafür spricht, dass er an
einer eng und unübersichtlichen Stelle geparkt hatte, an
der das Abschleppen problematisch war. Andererseits
ging U unvorsichtig vor, so dass davon auszugehen ist,
dass ein Abschleppen ohne Beschädigung des Fahrzeugs möglich gewesen wäre. Hier kann letztlich in beide Richtungen argumentiert werden, die besseren Argumente sprechen aber gegen ein Mitverschulden des
A.
6.
Rechtsfolge
Das Land hat als Anspruchsgegner gem. § 249 BGB
Schadensersatz zu leisten, A ist also so zu stellen als
wäre sein Fahrzeug nicht beschädigt worden.
II.
Amtshaftung, § 839 BGB, Art. 34 GG
A könnte einen Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung gem. § 839 BGB, ¬Art. 34 GG haben.
1.
Hoheitliches Handeln
Zunächst bedürfte es eine Handlung in Ausübung eines
öffentlichen Amtes/ eines Beamter im haftungsrechtli-
chen Sinne. Als Personen, deren Verhalten eine Amtshaftung des Landes auslösen kann, kommen hier in Betracht:
P einerseits, sowie U andererseits.
Maßgebliches Kriterium zur Bejahung der ersten Voraussetzung ist die Art der wahrgenommenen Aufgabe;
erforderlich ist ein Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes, d.h. hoheitliche Betätigung.
Für P gilt:
Dieser ist als Beamter im statusrechtlichen Sinne tätig
geworden, und zwar im Rahmen der Eingriffsverwaltung,
einem klassischen hoheitlichen Bereich; er erfüllt damit
diese erste Voraussetzung.
Für U gilt:
Dieser ist nicht Beamter im statusrechtlichen Sinne.
Über jene Personengruppe hinaus können "jemand" im
Sinne des Amtshaftungsanspruches aber auch Privatpersonen sein, sofern bestimmte Voraussetzungen vorliegen.
Dies ist dann der Fall, wenn sie in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt haben, also sich hoheitlich
betätigten.
Dies ist unproblematisch, wenn sie als Beliehene handeln; eine Beleihung, die nur durch oder aufgrund eines
Gesetzes möglich wäre, liegt hier nicht vor. U handelt
vielmehr aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages.
Fraglich ist, ob aus sonstigen Gründen ein hoheitliches
Handeln anzunehmen ist, ob also der Unternehmer (U)
durch den Vertrag mit dem Land in den Bereich der hoheitlichen Verwaltung einbezogen wurde.
Der BGH hat vor seiner Entscheidung BGHZ 121, 161 ff
(= NJW 1993, 1258 ff) maßgeblich auf den Einfluss der
öffentlichen Stellen auf den Unternehmer abgestellt.
Entscheidend für die Annahme hoheitlicher Tätigkeit
war, ob so sehr auf die Durchführung der Arbeit Einfluss
genommen wurde, dass der Unternehmer lediglich als
Werkzeug der Behörde anzusehen war. Demgegenüber
sollte die Zielsetzung dieser Tätigkeit für sich genommen
kein geeignetes Abgrenzungskriterium sein; sog. Werkzeugtheorie.
In der genannten Entscheidung hat der BGH schließlich
die Werkzeugtheorie abgeschwächt und dabei die zuvor
in der Literatur vorgebrachte Kritik daran berücksichtigt.
Danach kann ein hoheitliches Handeln angenommen
werden,
▶
je stärker der hoheitliche Charakter im Vordergrund
steht,
▶
je enger die Verbindung zwischen übertragener Tä-
tigkeit und hoheitlicher Aufgabe der Behörde und
▶
je enger der Entscheidungsspielraum des Unter-
nehmers ist.
Je vollständiger diese Voraussetzungen erfüllt seien,
umso eher sei der Unternehmer als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen. In diesen Fällen soll
eine Annäherung an die Stellung eines Verwaltungshelfers erfolgen (d.h. einer solchen Stellung, bei der das
Handeln des Ausführenden nicht diesem selbst, sondern
unmittelbar der Behörde zugerechnet wird; klassisches
Bsp.: Schülerlotse).
Jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung könne sich
die öffentliche Hand demnach nicht durch den Abschluss
eines privatrechtlichen Vertrages aus ihrer Haftung befreien. Die Beauftragung auf privatrechtlicher Grundlage
sei unerheblich, da für die Frage der Haftung nicht auf
diese, sondern allein auf das Verhältnis zwischen den
verantwortlichen Polizisten und dem Geschädigten abzustellen sei.
Der hoheitliche Charakter der Maßnahme, der bei einem
Abschleppen durch die Polizisten selbst außer Zweifel
gewesen wäre, könne sich nicht dadurch ändern, dass
nicht die Polizei selbst, sondern ein Dritter in Gegenwart
der die Bergung anordnenden Beamten handele. Der
Unternehmer werde hier zum Erfüllungsgehilfen, nicht
nur gegenüber dem Eigentümer des abzuschleppenden
Fahrzeuges, sondern auch gegenüber sonstigen Verkehrsteilnehmern.
Es kommt hier auf eine Auseinandersetzung mit dem
konkreten Fall an. Auf keinen Fall akzeptabel ist eine
unproblematische Einstufung des Verhaltens des U als
hoheitlich oder nichthoheitlich.
Zunächst sollte herausgearbeitet werden, dass der P
selbst auf jeden Fall hoheitlich handelt. Zudem sollten
die Tatsache häufiger Zusammenarbeit des U mit der
Polizei – dies bestärkt den Aspekt der Einbindung in das
polizeiliche und damit hoheitliche Handeln – gesehen
und angesprochen werden.
Im Ergebnis ist damit auch das Handeln des U als hoheitlich anzusehen, er handelte demnach als Beamter im
haftungsrechtlichen Sinn.
Zwischenergebnis:
Bezüglich des P ist damit ein hoheitliches Handeln unproblematisch, auch für U ist ein solches anzunehmen.
2.
Verletzung einer einem Dritten gegenüber obliegen-
den Amtspflicht.
Dazu gehört die allgemeine Amtspflicht, andere nicht
durch unerlaubte Handlungen i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB
zu schädigen. Hier liegt eine solche Schädigung in der
Form einer Eigentumsverletzung mit der Beschädigung
des Fahrzeugs des A vor. Angesichts dessen, dass diese Beschädigung nicht notwendige Begleiterscheinung
des Abschleppens war, sondern allein auf der Unvorsichtigkeit des U beruhte, kann sie auch nicht durch eine
Befugnis zum Abschleppen gerechtfertigt sein; sie ist
damit rechtswidrig. U hat die ihm gegenüber A obliegende Pflicht, dessen Eigentum nicht i. S. d. § 823 Abs. 1
BGB zu schädigen, verletzt.
Bzgl. des P ist eine adäquat kausale Verursachung wohl
zu bejahen. Das Vorliegen einer Eigentumsverletzung i.
S. d. § 823 BGB in der Person des P kann jedoch mangels Verschuldens bereits an dieser Stelle verneint werden; ebenso kann zunächst eine Amtspflichtverletzung
angenommen und der Aspekt des Verschuldens erst im
Rahmen der entsprechenden Voraussetzung für den
Amtshaftungsanspruch selbst erörtert und abgelehnt
werden. Bzgl. P kann demnach die Verletzung einer
Amtspflicht mit obigen Erwägungen entweder verneint
oder bejaht werden.
3.
Verschulden
Laut Sachverhalt entsprach einerseits das Anordnen des
Abschleppens den Vorschriften, andererseits konnte P
den Schadenseintritt, der auf der unvorsichtigen Ausführung des Zurücksetzens des Wagens durch U beruht,
nicht verhindern. Am Erfordernis des Abschleppens
kann, da der Wagen vor einer Feuerwehrzufahrt stand,
auch nicht gezweifelt werden. Für ein Auswahlverschulden bezüglich der Beauftragung des U besteht angesichts dessen bisher steter Zuverlässigkeit kein Anhaltspunkt. Für ein Verschulden des P ist damit nichts ersichtlich. Eine Amtshaftung des Landes aufgrund des
Verhaltens des P ist damit spätestens hier zu verneinen.
Demgegenüber handelte U beim Zurücksetzen des Wagens des A unvorsichtig; ein Verschulden des U ist daher in Form von Fahrlässigkeit gegeben, ggf. auch grobe
Fahrlässigkeit (s.o.).
4.
Subsidiarität der Haftung
Wird lediglich Fahrlässigkeit des U angenommen, so
muss die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2
BGB geprüft werden. Die Inanspruchnahme des Landes
erfolgt in diesem Fall nur dann, wenn nicht Ersatz auf
andere Weise zu erlangen ist. In Betracht kommt hier
insbesondere ein Anspruch gegen den U selbst:
▶
Eine Haftung des U gem. § 823 Abs. 1 BGB schei-
tert daran, dass der Amtshaftungsanspruch als lex specialis diesen verdrängt; der Beamte soll nicht mit einem
eigenen Haftungsrisiko für fahrlässiges Amtshandeln belastet werden.
▶
Eine Haftung des U als Fahrer des Abschleppwa-
gens gem. § 18 StVG scheitert aus denselben Gründen,
da auch hier eine Verschuldenshaftung vorliegt (BGH
NJW 1992, 2882, 2884).
▶
Im Gegensatz zu den o.g. Anspruchsgrundlagen ist
die Halterhaftung des § 7 StVG nicht als Verschuldenshaftung, sondern als verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung/ Risikozuweisung ausgestaltet.
Der Grund für die Haftungsübernahme durch den Staat,
nämlich dass der Amtswalter in seiner Entscheidungsund Handlungsfreudigkeit nicht durch eine drohende
Haftung eingeschränkt werden soll, tritt bei einer derartigen Haftung zurück.
Nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer lässt die Rechtsprechung die Haftung
nach § 7 StVG nicht hinter diejenige aus § 839 BGB, Art.
34 GG zurücktreten (BGHZ 105, 65, 66 und 113, 164,
167).
Dies heißt aber nicht automatisch, dass das Land deshalb wegen § 839 Abs. 1 S. 2 BGB nicht haften würde.
Denn § 7 StVG wird – ebenfalls nach der Rechtsprechung des BGH – nicht als anderweitige Ersatzmöglichkeit i. S. v. § 839 Abs. 1 S. 2 BGB angesehen. Dies folgt
daraus, dass die Haftung aus § 839 BGB nur von dem
Beamten gemäß Art. 34 GG auf die Körperschaft übergeleitet wird. Da sich der Beamte selbst aber – ohne
diese Überleitung – auch nicht auf § 839 Abs. 1 S. 2
BGB berufen könnte, sei dies für den Hoheitsträger, auf
den die Haftung lediglich übergeleitet werde, ebenso der
Fall (Papier, Jura 1995, 38,44 m.w.N.) Die Haftung des
Landes wird demnach durch § 7 StVG nicht ausgeschlossen, selbst wenn man diese bejaht und das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB für anwendbar hält.
5.
Rechtsfolge: Ersatz des zurechenbar verursachten
Schadens
Kausal verursachter Schaden
Die durch das unvorsichtige Zurücksetzen des U verursachte Beschädigung am Fahrzeug stellt unproblematisch einen kausal verursachten Schaden dar.
Bzgl. eines möglichen Mitverschuldens des A s.o.
6.
Anspruchsgegner
Die Haftung trifft grundsätzlich die Anstellungskörperschaft. Angesichts dessen, dass U bei keiner öffentlichrechtlichen Körperschaft angestellt ist, bleibt als Passivlegitimierte allein die Körperschaft, der das Handeln des
U zugerechnet wird. Dies ist vorliegend das Land NRW
als Träger der Polizei (§ 1 POG NW).
7.
Ergebnis
Eine Haftung des Landes kann damit - ggf. gekürzt um
den Mitverschuldensanteil des U - gem. § 839 BGB, Art.
34 GG bzgl. des Verhaltens des U bejaht werden. Mangels eines Verschuldens des P scheidet ein entsprechender Anspruch hinsichtlich dessen Verhaltens aus.
B.
Ansprüche des B
I.
Schadensersatz wegen Pflichtverletzung
Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzung kommt für B mangels Vorliegen eines Schuldverhältnisses nicht in Betracht.
II.
Amtshaftung, § 839 BGB, Art. 34 GG
Für die Amtshaftung gelten grds. die oben genannten
Erwägungen. Zu beachten ist lediglich, dass U auch gegenüber sonstigen Verkehrsteilnehmern als Erfüllungsgehilfe der Polizei gilt. Bei der Prüfung der Amtspflichtverletzung kann nicht auf ein Verwahrungsverhältnis abgestellt werden, sondern nur auf die allgemeine Pflicht,
deliktische Handlungen i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB zu unterlassen.
Ein Mitverschulden des B ist ausgeschlossen – er hat ja
rechtmäßig geparkt.
C. Gerichtliche Geltendmachung
I.
Für den Anspruch auf Schadensersatz wegen
Pflichtverletzung ist gem. § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO der ordentliche Rechtsweg gegeben.
II.
Für den Amtshaftungsanspruch ist wegen Art. 34 S.
3 GG ist ebenfalls der ordentliche Rechtsweg gegeben.
Lösung: Fall 5 c)
(vgl. zum Fall VGH Baden-Württemberg, JZ 2005, 252
mit Anmerkung von Christoph Gusy)
A.
Zulässigkeit
I.
Eröffnung des Verwaltungsrechtweges
Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 VwGO
eröffnet.
II.
Statthafte Klageart
Vorliegend geht es um eine polizeiliche Handlung, die
als Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 NRWVwVfG einzustufen ist. Dieser hat sich mittlerweile erledigt, da der
Verwaltungsakt spätestens seit dem Zeitpunkt des geplanten Auszugs am 31. 01. 2005 keine Rechtswirkungen mehr entfaltet; A will seitdem nicht mehr in der
Wohnung wohnen und begehrt daher auch nicht mehr
die Aufhebung der Ausweisung aus dieser Wohnung.
Die Klage wurde erst nach Erledigung der polizeilichen
Maßnahmen erhoben. Für den Fall der Klage gegen einen vor Erhebung der Klage erledigten Verwaltungsakt
ist die Fortsetzungsfeststellungsklage in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO statthaft, da es
häufig vom Zufall abhängt, wann das erledigende Ereignis eintritt und somit eine vergleichbare Interessenlage
zur Erledigung eines Verwaltungsaktes nach Klageerhebung vorliegt.
Alternativ könnte die allgemeine Feststellungsklage nach
§ 43 VwGO diskutiert werden, wenn angenommen wird,
dass es an einer Regelungslücke fehle, und daher die
allgemeine Feststellungsklage statthaft sei. Hiergegen
spricht wiederum, dass ein Verwaltungsakt zwar ein
Rechtsverhältnis begründet, selbst allerdings kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i.S.d. § 43 Abs. 1
VwGO darstellt und die Regelung des § 113 Abs. 1 S. 4
VwGO ansonsten überflüssig wäre. Grundsätzlich sind
beide Lösungswege hier möglich.
III.
Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog
Bezüglich der Klagebefugnis kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass A durch die Polizeiaktion zumindest in seinen Grundrechten aus Art. 14 Abs. 1, 13
Abs. 1, 11 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG verletzt ist. Ein Vorverfahren wurde durchgeführt (§ 68 VwGO), die Klagefrist ist eingehalten worden (§ 74 VwGO). Allein das
Fortsetzungsfeststellungsinteresse könnte zu Problemen
führen. Wiederholungsgefahr kommt kaum in Betracht,
da A nicht wieder einziehen will und deswegen auch
nicht wieder aus der Wohnung verwiesen werden kann.
Ein Präjudiz könnte in Betracht kommen. Allerdings sind
keine Schäden ersichtlich, die durch polizeiliches Handeln verursacht worden sein könnten; der Zugriff auf das
Eigentum des A durch R ist nur mittelbar auf das polizeiliche Handeln zurückführbar.
Ein schutzwürdiges ideelles Interesse kommt auch dann
in Betracht, wenn von einer erledigten Verwaltungsmaßnahme eine nachwirkende Diskriminierung ausgeht (Rehabilitationsinteresse). Auch die Art des Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch
auf gerichtlichen Rechtsschutz, kann es erfordern, das
Feststellungsinteresse anzuerkennen. Dazu zählen stets
polizeiliche Maßnahmen. Weiter ist ein Rechtsschutzinteresse auch in Fällen kurzfristiger, besonders empfindlicher Grundrechtseingriffe gegeben, in denen die direkte
Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach
dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne
beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche
Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann (BVerfGE 96, 27 ff).
Das ist hier der Fall. Der Wohnungsverweis greift erheblich in die Grundrechte des A ein. Da dem Betroffenen
aufgrund der kurzen Dauer der polizeilichen Maßnahme
allenfalls Eilrechtsschutz zur Verfügung stehen könnte,
wäre ihm die gerichtliche Überprüfung verwehrt, was mit
Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar wäre. Im Ergebnis ist
das Fortsetzungsfeststellungsinteresse daher zu bejahen.
IV.
Zwischenergebnis
Die Zulässigkeit ist im Übrigen unproblematisch. Die
Klage ist insgesamt zulässig.
B.
Begründetheit
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, wenn
der Verwaltungsakt rechtwidrig war und der Kläger
dadurch in seinen Rechten verletzt wurde.
I.
Wohnungsverweis
1.
Ermächtigungsgrundlage
Als Ermächtigungsgrundlage kommt § 34a NRWPolG
(Wohnungsverweisung) in Betracht, wonach eine Aufforderung ausgesprochen werden kann, eine Wohnung
für eine bestimmte Zeit nicht mehr zu betreten.
2.
Formelle Rechtmäßigkeit
a.
Zuständigkeit
Die Polizei ist zuständig nach §§ 1 Abs. 1 S. 1, 3
NRWPolG; 7 Abs. 1 NRWPOG.
b.
Verfahren
Handelnde Einheit ist die Polizei, die durch Verwaltungsakt tätig wird, so dass nach § 28 NRWVwVfG eine
Anhörung erfolgen muss. Unter Anwesenden ist davon
auszugehen, dass der Betroffene die Möglichkeit zur
Stellungnahme hatte, so dass die Verfügung formell
rechtmäßig ergangen ist.
c.
Ergebnis
Die Verweisung erfolgte formell rechtmäßig.
3.
Materielle Rechtmäßigkeit
Problematisch ist die materielle Rechtmäßigkeit der polizeilichen Verfügung.
a.
Gegenwärtige Gefahr?
Fraglich ist zunächst, ob überhaupt eine Gefahr vorlag.
Erforderlich ist nach § 34a NRWPolG eine von der auszuweisenden Person ausgehende gegenwärtige Gefahr
für Leib, Leben oder Freiheit einer anderen Person. Gegenwärtige Gefahr ist eine Sachlage, bei der die Einwir-
kung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen
hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Eine Gefahr für das Leben des R bestand insoweit, als dieser einen Suizidversuch angekündigt hatte. Ob dieser aber auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit umgesetzt werden würde, wird nur schwerlich festzustellen sein, zumal
die Ärztin K jedenfalls keine akute Suizidgefahr diagnostizieren konnte. Ob eine latente Gefahr angenommen
werden kann, ist hier nicht zu prüfen. Allein ein Zusammentreffen der beiden Kontrahenten in dieser Nacht
könnte die Situation zu einer gefährlichen machen. Dagegen lässt die Tatsache, dass A die Selbstmorddrohung des R zum Anlass nahm, ärztlichen Rat einzuholen
und dies der Polizei zu melden, darauf schließen, dass
er sich der sozialen Verantwortung für seinen Partner
bewusst war und gerade vermeiden wollte, dass dieser
seine Selbstmorddrohung umsetzen würde.
Zudem kann hier die Wahrscheinlichkeit zukünftiger
Übergriffe in der Wohnung problematisiert werden, da
bisher überhaupt keine Übergriffe vorlagen; ob welche
zu erwarten waren, kann nicht festgestellt werden. An-
haltspunkte für die Begehung einer Straftat sind nicht ersichtlich, da R nur Suizid begehen wollte, was aufgrund
der Straflosigkeit des Selbstmordes keine strafbare
Handlung darstellen kann.
Hier kann je nach Argumentation vom Vorliegen einer
Gefahr ausgegangen werden.
b.
Rechtsfolge?
Bei Vorlage einer Gefahr kann eine Person aus der
Wohnung verwiesen werden. Durch die Ausweisung aus
der Wohnung wird in Rechte des A eingegriffen, da dieser dort vertraglich als Untermieter oder aufgrund informeller Vereinbarung mit seinem Lebensgefährten lebte
(im ersteren Fall Schutz eigener vertraglicher Rechte, im
zweiten Fall jedenfalls Mitbesitzschutz an der Wohnung).
Eine Befristung der Ausweisung aus der Wohnung wäre
daher angemessen, die Ärztin K hat eine Nacht angesetzt, § 34a Abs. 5 NRWPolG sieht maximal 10 Tage
vor. Hier wurde keine Frist ausdrücklich angeordnet, die
Polizeiverfügung muss daher aus Sicht des Adressaten
nach Treu und Glauben ausgelegt werden. Bereits
dadurch, dass A sogar den Wohnungsschüssel an den
Hauptmieter R herausgeben musste (und nicht an die
Polizei, wo er sich nach etwaigen 10 Tagen den Schlüs-
sel hätte abholen können), kommt eine eventuelle Befristung nicht in Betracht. Die Tatsache, dass er einige
persönliche Sachen packen sollte, lässt hingegen nicht
darauf schließen, dass er nicht wiederkehren dürfe, persönliche Gegenstände müssen auch dann mitgenommen werden können, wenn die eigene Wohnung nur für
gewisse Zeit nicht betreten werden kann (und wenn es
sich dabei nur um die Zahnbürste und Kleidung handelt,
vgl. § 34a Abs. 2 NRWPolG). Hingegen hätte die sinngemäße Wiedergabe der ärztlichen Empfehlung, A und
R in dieser einen Nacht nicht wieder zusammentreffen
zu lassen, für eine befristete Verweisung gesprochen. Im
Ergebnis muss daher von einem unbefristeten Rückkehrverbot ausgegangen werden, welches somit gegen
den gesetzlichen Wortlaut verstößt.
Zu klären wäre zudem, ob das Abnehmen des Schlüssels einen Begleiteingriff der Wohnungsverweisung oder
aber einen selbständigen Eingriff darstellt. Um einen
Begleiteingriff darzustellen, müsste die Herausgabe des
Wohnungsschlüssels typischerweise mit der Verweisung
aus einer Wohnung verbunden sein und zusätzlich dem
Betroffenen nicht übermäßig stark belasten. Dies wiederum bestimmt sich danach, was die Polizei normaler-
weise unternehmen muss, um eine derartige Maßnahme
durchführen zu können. Um den Erfolg einer Wohnungsverweisung sicherzustellen, ist es erforderlich,
dass der der Wohnung Verwiesene nicht ohne Weiteres
in die Wohnung zurückkehren kann, wenn die Polizei
nicht mehr in der Wohnung ist. Um die Rückkehr zu
vermeiden, ist es unerlässlich, den Schlüssel und damit
das entscheidende Mittel aus dem Verkehr zu ziehen.
Daher ist grundsätzlich von einem Begleiteingriff auszugehen. Hier ist jedoch zusätzlich problematisch, dass
der Schlüssel nicht an die Polizei, sondern dem R ausgehändigt werden muss. Deshalb wird allerdings aus
dem Begleiteingriff keine Maßnahme zugunsten des R,
durch die die zivilrechtliche Situation nach dem endgültigen Auszug des A hergestellt werden sollte. Vielmehr
hätte der Schlüssel bei der Polizei verbleiben müssen,
um A nach Ablauf einer eventuellen Befristung die Möglichkeit zu verschaffen, wieder in die Wohnung zurückkehren zu können. Die Herausgabe des Schlüssels an R
war damit ebenfalls unzulässig.
c.
Polizeirechtliche Verantwortlichkeit?
Aber selbst wenn man das Vorliegen der Voraussetzungen annehmen würde, müsste A für diese Gefahr verantwortlich sein. Problematisch wird damit die polizeirechtliche Verantwortlichkeit, die sich im Rahmen von §
34a NRWPolG nicht nach den allgemeinen Regeln der
§§ 4 ff NRWPolG richtet, sondern nach der spezialgesetzlichen Regelung des § 34a NRWPolG (§§ 4 Abs. 4,
5 Abs. 4, 6 Abs. 3 NRWPolG). Damit A in Anspruch genommen werden kann, müsste die Gefahr auch von A
ausgehen. Verantwortlich wäre A dann, wenn die Gefahrenursache in zurechenbarer Weise seiner Risikosphäre
entstammt. A hat zwar mit seiner Absicht, sich von R zu
trennen, das Risiko des Selbstmordes des R erheblich
gesteigert, wenn nicht erst geschaffen, zumal er plante,
noch weitere 3 Monate in der Wohnung zu verbleiben.
Hingegen war es sein gutes Recht, die Lebenspartnerschaft mit R zu beenden; eventuelle Reaktionen seitens
A kommen daher aus dessen Risikosphäre und müssten
dann auch von diesem als Verantwortlichem und nicht
von R verantwortet werden. Dies gilt erst recht, wenn
man als maßgebliches Kriterium der Verantwortung über
die Kausalität hinaus die Unmittelbarkeit oder gar „letzte
Handlung“ ansehen will, die hier von R ausging.
Insoweit spricht mehr dafür, für die maßgebliche Risikoerhöhung (des Selbstmordes) nicht den A verantwortlich
zu machen, der damit nicht als polizeirechtlich Verantwortlicher angesehen werden kann.
4.
Ergebnis
Eine Wohnungsverweisung nach § 34a NRWPolG ist
materiell rechtswidrig.
II.
Platzverweis
1.
Ermächtigungsgrundlage
Ermächtigungsgrundlage könnte § 34 NRWPolG (Platzverweis) sein, wonach die Polizei einer Person das Betreten eines Ortes vorübergehend verbieten oder sie von
einem Ort verweisen kann. Hier müsste eine Abgrenzung erfolgen, inwieweit auf § 34 NRWPolG zurückgegriffen werden kann, wenn die polizeiliche Maßnahme
der Entfernung einer Person aus einer Wohnung bereits
in einem anderen Paragraphen geregelt ist und für diesen speziellen Fall keine ausreichende rechtliche Grundlage bietet.
Dagegen spricht zunächst, dass die Verweisung aus einer Wohnung direkt bereits in § 34a NRWPolG geregelt
ist und eine gleichlaufende Maßnahme dadurch gesperrt
sein könnte. Zudem handelt es sich bei der hier vorliegenden Maßnahme um eine unbefristete. Wenn nun ein
Platzverweis in Betracht kommen könnte, dürfte dieser
nicht noch länger andauern als eine Wohnungsverweisung, da eine entsprechende Sonderregelung wie die
des § 34a NRWPolG ansonsten keinen Sinn machen
würde. Dabei handelt es sich allerdings um eine Rechtsfolgenproblematik und nicht um Fragen der Anwendbarkeit der Regelung. Eine Unterteilung der Anwendungsbereiche des § 34a NRWPolG für Gefahren, die aus
dem wohnungsinternen Bereich und § 34 NRWPolG für
Gefahren, die aus dem wohnungsexternen Bereich drohen, könnte vorgenommen werden. Dagegen spricht zunächst die Entstehungsgeschichte des § 34a NRWPolG,
wonach eine Sonderregelung als notwendig erachtet
wurde, um unter anderem die zeitlich kurze Verweisungsmöglichkeit des § 34 NRWPolG zu überwinden.
Eine zumindest kurzfristige Wohnungsverweisung wurde
demnach bereits mit der Maßnahme des Platzverweises
für möglich erachtet. Daher kann hier mit guten Gründen
davon ausgegangen werden, dass die Wohnungsverweisung nach § 34a NRWPolG spezieller zum Platzver-
weis nach § 34 NRWPolG und dessen Anwendung dann
hier gesperrt ist. Daneben könnte mit ebenso guten
Gründen davon ausgegangen werden, dass die Wohnungsverweisung nach § 34a NRWPolG den Bereich
häuslicher Gewalt zwischen den Bewohnern regeln und
vor allem längerfristige Verweisungen zum Zwecke der
Überlegung rechtlicher Schritte zulassen will und demnach solche Fälle nicht umfasst sind, in denen keine
Gewalt angewandt wird oder wurde, aber eine unter
Umständen nur kurze Verweisung aus einer Wohnung
dennoch angebracht erscheint.
Im Ergebnis liegt die Annahme näher, dass § 34a
NRWPolG die Anwendung von § 34 NRWPolG sperrt.
2.
Formelle Rechtmäßigkeit
Bedenken bezüglich der formellen Rechtmäßigkeit bestehen nicht.
3.
Materielle Rechtmäßigkeit
a.
Gefahr?
Die Maßnahme müsste zur Abwehr einer Gefahr ergriffen worden sein. Eine Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des
objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut
schädigen wird. Anknüpfungspunkt für eine Gefahr ist
hier die Möglichkeit des Selbstmordes des R. Der
Selbstmord müsste daher eine Gefahr darstellen.
Als polizeiliche Schutzgüter kommen die öffentliche Sicherheit, private Rechte sowie die öffentliche Ordnung in
Betracht. Öffentliche Sicherheit ist die Unverletzlichkeit
der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstiger Träger von Hoheitsgewalt. In Betracht kommt der Schutz von Individualrechten, soweit diese Güter durch Normen des öffentlichen Rechts geschützt sind.
Durch den angedrohten Selbstmord bestand eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass R seinem Leben ein Ende
setzen könnte. Die Anordnung der Ärztin, dass R und A
in der Nacht nicht mehr zusammentreffen sollten, unterstellt, dass wenn schon keine akute, so doch eine latente Suizidgefahr vorliege. Die Androhung des Suizids
durch R muss daher ernst genommen werden.
Die herrschende Meinung im Polizeirecht nimmt ein
Recht des Staates zum Eingreifen schon deshalb an,
weil der Einzelne kein Verfügungsrecht über sein eigenes Leben habe. Das Grundrecht auf Leben aus Art 2
Abs. 2 GG umfasse nicht die (negative) Freiheit, sein
Leben zu beenden. Dagegen lässt sich einwenden, dass
das geltende Polizeirecht sich durchaus mit Selbstmordversuchen auseinander gesetzt habe, wie etwa in § 62
S. 1 Nr. 3 NRWPolG oder § 35 Abs. 1 Nr. 1 NRWPolG
oder wenn durch den Selbstmord(versuch) oder die Umstände seiner Begehung Dritte gefährdet werden könnten.
Beide Ansichten können hier vertreten werden. Mit guten
Gründen kann allerdings vom Vorliegen einer (zumindest latenten) Gefahr für das Leben des R ausgegangen
werden.
b.
Rechtsfolge?
Ein Platzverweis ist eine kurzfristige Maßnahme. Hier
wurde keine Frist ausdrücklich angeordnet, die Polizeiverfügung muss daher aus Sicht des Adressaten nach
Treu und Glauben ausgelegt werden. Bereits dadurch,
dass A den Wohnungsschüssel an den Hauptmieter R
herausgegeben musste, kommt eine eventuelle Befristung nicht in Betracht. Die Tatsache, dass er einige per-
sönliche Sachen packen sollte, lässt hingegen nicht darauf schließen, dass er nicht wiederkehren dürfe, persönliche Gegenstände müssen auch dann mitgenommen werden können, wenn die eigene Wohnung für gewisse Zeit nicht betreten werden kann. Hingegen hätte
die sinngemäße Wiedergabe der ärztlichen Empfehlung,
A und R in dieser einen Nacht nicht wieder zusammentreffen zu lassen für eine befristete Verweisung für die
Dauer einer Nacht gesprochen, die wohl eine zulässige
Dauer eines Platzverweises ergeben würde. Im Ergebnis
muss daher von einem unbefristeten
Rückkehrverbot
ausgegangen werden, welches nicht mit der Standardmaßnahme des Platzverweises erzielt werden kann.
c.
Polizeirechtliche Verantwortlichkeit?
Die Polizisten müssten den richtigen Adressaten ihrer
Maßnahme ausgewählt haben. Zu prüfen ist daher, ob A
polizeirechtlich verantwortlich war. Dies richtet sich nach
den allgemeinen Grundsätzen der §§ 4 ff NRWPolG.
A könnte als Verhaltensstörer nach § 4 Abs. 1
NRWPolG polizeipflichtig sein. Verhaltensstörer ist regelmäßig, wer die unmittelbar letzte Ursache zur Entstehung einer Gefahr gesetzt hat. Hier ist es nicht A, son-
dern R, der die letzte Ursache zur Verwirklichung der
Gefahr setzen kann. Allein durch das Zusammentreffen
der Kontrahenten A und B könnte eine Verhaltensverantwortlichkeit zustande kommen und zwar auch nur
dann, wenn durch das Zusammentreffen die Gefahr des
Suizids erhöht werden würde. Dagegen spricht allerdings der Befund, dass R bisher alles ihm Mögliche getan hat, um A vom Suizid abzuhalten; wenn beide Kontrahenten in der Wohnung verblieben, könnte sich
dadurch eventuell sogar eine Verringerung der Suizidgefahr ergeben. Abgesehen von dieser Argumentation
könnte dem Befund der Ärztin gefolgt werden, die ein
Zusammentreffen verhindert haben wollte. Danach
könnte A dadurch, dass er überhaupt in die Wohnung
zurückkehrt und sich dort aufhält, polizeipflichtig werden.
An dieser Stelle müsste eine Abwägung erfolgen, welchem der beiden Kontrahenten es eher zugemutet werden kann, die Nacht nicht in der Wohnung zu verbringen. Dies sollte im Ergebnis der R sein, da nur dieser
einerseits die letzte Ursache zum Schadenseintritt setzen kann. Andererseits könnte durch Ingewahrsamnahme des R und entsprechende Überwachung ein Suizid
verhindert werden. Eine entsprechende Sicherheit bei
Verbleiben in seiner Wohnung kann allerhöchstens
durch Anwesenheit des A erreicht werden. A kommt daher als Verhaltensstörer nicht in Betracht.
Das Ansprechen von A als Zweckveranlasser und damit
mittelbarer Störer liegt hier fern, da es gerade nicht von
A bezweckt worden war, bei R einen Suizidwunsch aufkommen zu lassen, was sich in den Maßnahmen zeigt,
die A getroffen hat, um der Suizidgefahr zu begegnen. A
als Zustandsstörer gemäß § 5 Abs. 1 NRWPolG darzustellen, liegt ebenso fern.
A könnte allerdings als Nichtstörer nach § 6 Abs. 1
NRWPolG polizeipflichtig sein. Das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr kann mit guten Gründen angenommen werden. Der Befund der Ärztin K ergab keine akute
Suizidgefahr. Für den Fall, dass die Kontrahenten erneut
zusammentreffen, hatte sie hingegen eine Suizidgefahr
angenommen. Allerdings liegt in der Person des R ein
Verhaltensstörer nach § 4 NRWPolG vor, der primär in
Anspruch hätte genommen werden müssen, da die Gefahr für das Leben des R von diesem ausging und nicht
von A. Allein R konnte für den Schadenseintritt sorgen.
A ist daher auch nicht als Nichtstörer polizeipflichtig.
III. Verweisung aus der Wohnung
Die Maßnahme könnte auf die Generalklausel des § 8
Abs. 1 NRWPolG gestützt werden. Danach kann die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im
einzelnen Fall bestehende, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren.
An dieser Stelle muss eine Abgrenzung erfolgen, inwieweit auf die Generalklausel zurückgegriffen werden
kann, wenn eine Spezialermächtigungsnorm (§ 34a
NRWPolG; § 34 NRWPolG) vorliegt. (Nach der Schweretheorie befähigt die Spezialermächtigung zu weitergehenden Grundrechtseingriffen als die Generalklausel,
daher sind keine Eingriffe zulässig, die in gleichem oder
weitergehendem Umfang in Grundrechte eingreifen. Eine andere Auffassung vertritt einen strikter verstandenen
Spezialitätsgrundsatz, demnach Spezialermächtigungen
vorrangig sind und die Generalklausel auch für Maßnahmen gleicher Wirkung sperren) Vorliegend kann die
Maßnahme grundsätzlich auf eine Standardermächtigung gestützt werden. Damit ist kein Rückgriff auf die
Generalklausel möglich. Auch ansonsten erscheint ein
Rückgriff auf die Generalklausel wenig sinnvoll, da A
nicht als Störer in Betracht kommt (vgl. oben).
IV. Schlüsselabnahme
Die Aufforderung, den Wohnungsschlüssel herauszugeben, kann einerseits einen Begleiteingriff zu der Wohnungsverweisung nach § 34a NRWPolG darstellen, andererseits einen selbstständigen Eingriff neben dem
Platzverweis auf Grundlage der Generalklausel des § 8
NRWPolG. Als Begleiteingriff teilt sie das Schicksal der
Hauptmaßnahme und ist damit unzulässig. Als selbstständige Maßnahme ist sie ebenfalls unzulässig, weil sie
nicht zur Sicherstellung des Schlüssels für begrenzte
Zeit bei der Polizei, sondern zur Herstellung der zivilrechtlichen Lage nach endgültigem Auszug des A erfolgte.
V.
Ergebnis
Die Polizeiverfügung war rechtswidrig und verletzte A in
seinen Rechten, die Klage ist damit begründet. Das
Verwaltungsgericht wird A Recht geben.
Lösung: Fall 6 a)
1. Teil: Auflösungsverfügung
Die Klage des A gegen die Auflösungsverfügung hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg
Mangels Spezialzuweisung ist der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet, wenn die streitentscheidende Norm dem öffentlichen Recht entstammt.
Der hier allein in Betracht kommende § 15 VersG berechtigt ausschließlich Hoheitsträger und gehört somit
zum öffentlichen Recht. Entsprechendes gilt für die Vorschriften des Polizeirechts. Der Verwaltungsrechtsweg
ist eröffnet.
II. Statthafte Klageart
A begehrt die Feststellung, dass die Polizeiaktion
rechtswidrig
war.
Es
kommt
eine
Fort-
setzungsfeststellungsklage in Betracht, § 113 Abs. 1 S.
4 VwGO. Ursprünglich wäre eine Anfechtungsklage
nach § 42 Abs. 1 VwGO einschlägig gewesen, da die
Aufforderung zur Beendigung des Fackelzuges als Auflösungsverfügung einen Verwaltungsakt iSd § 35
NRWVwVfG darstellt. Dieser Verwaltungsakt erledigte
sich durch Vollziehung vor Klageerhebung, so dass eine
Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4
VwGO analog einschlägig ist.
III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog)
Die Klagebefugnis setzt voraus, dass die Möglichkeit der
Verletzung eines subjektiven Rechts besteht. Vorliegend
kann nicht ausgeschlossen werden, dass A in seinem
Grundrecht aus Art. 8 GG verletzt ist. A ist klagebefugt.
IV. Vorverfahren (§§ 68 ff. VwGO analog)
Ein Vorverfahren ist in NRW für versammlungs- und polizeirechtliche Streitigkeiten gem- § 110 JustG nicht
mehr vorgeschrieben. In den übrigen Bundesländern
wäre bei Erledigung vor Klageerhebung ein Vorverfahren gleichfalls nicht erforderlich.
V. Frist (§ 58 Abs. 2 VwGO)
Die Klagefrist beträgt mangels Rechtsbehelfsbelehrung
ein Jahr (§ 58 Abs. 2 VwGO) und könnte jedenfalls noch
problemlos eingehalten werden.
VI. Fortsetzungsfeststellungsinteresse
Wegen der Erledigung des Verwaltungsakts und des
Wegfalls der Beschwer müsste ein besonderes Interesse an der gerichtlichen Klärung der Vorgänge bestehen.
Grundsätzlich besteht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei kurzfristigen, besonders empfindlichen Grundrechtseingriffen, gegen welche Abwehr- oder Unterlassungsklagen regelmäßig zu spät kommen und daher
keinen effektiven Rechtsschutz bieten (vgl. Rn 491 f.).
Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht hier somit.
VII. Zwischenergebnis
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig.
B. Begründetheit
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, soweit
die Polizeiaktion rechtswidrig war und A dadurch in subjektiven Rechten verletzt wurde.
I. Ermächtigungsgrundlage, § 15 Abs. 3 VersG
Hier kommt § 15 Abs. 3 VersG als Ermächtigungsgrundlage in Betracht.
II. Formelle Rechtmäßigkeit der Auflösungsverfügung
Die Behörde war zuständig. Verfahrensrechtliche Fehler
sind nicht ersichtlich. Insbesondere war eine Anhörung
nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 4 NRWVwVfG entbehrlich.
III. Materielle Rechtmäßigkeit der Auflösungsverfügung
1. Anwendbarkeit des VersG
Zunächst ist erforderlich, dass sich die Auflösungsverfügung auf eine Versammlung bezog. Eine Versammlung
erfordert das Zusammenkommen mehrerer Menschen
zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks (Gusy,
POR, Rn 412). Dieser lag hier in der Durchführung eines
Fackelzuges mit ca. 60 Teilnehmern.
Diese darf „friedlich“ und „ohne Waffen“ stattfinden (s. §§
2 Abs. 3; 5 Nr. 3 VersG). Friedlich ist die Versammlung,
wenn weder ihr Zweck noch ihr Verlauf die Begehung
oder den Versuch von Straftaten gegen Leib, Leben,
Freiheit oder sonstige erhebliche Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit mit sich bringt (Gusy, POR, Rn
417). Straftaten wurden hier nicht verwirklicht, insbesondere lag keine Volksverhetzung iSd § 130 StGB vor. Der
Fackelzug wurde friedlich und ohne Waffen durchgeführt. Schließlich fand der Aufzug „unter freiem Himmel“
statt.
Dieser war auch „öffentlich“, da der Zutritt nicht auf einen
individuell bezeichneten Personenkreis beschränkt, sondern grundsätzlich Jedermann gestattet war. Hierfür
kommt es allein auf die faktische Zutrittsmöglichkeit an,
nicht auf ein ausdrücklich eingeräumtes Zutrittsrecht
(Gusy, POR, Rn 420). Dies ist bei Versammlungen unter
freiem Himmel regelmäßig der Fall. Der Fackelzug war
öffentlich und das Versammlungsgesetz ist daher anwendbar.
2. Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 VersG
Voraussetzung für § 15 Abs. 3 VersG ist, dass behördlichen Auflagen iSd § 15 Abs. 1 VersG (dazu Gusy, POR,
Rn 429) zuwidergehandelt wird. Hier wurde der Fackelzug ent-gegen der Auflage der Behörde am ursprünglich
geplanten Termin und Ort durchgeführt. Die Auflösungsverfügung kann nur rechtmäßig sein, wenn die Auflage
ihrerseits rechtmäßig iSd § 15 Abs. 1 VersG war. Danach müsste bei der Durchführung der Versammlung die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet sein, wobei auf den Erlasszeitpunkt abzustellen ist.
Die hierzu notwendige Gefahrenprognose setzt tatsächliche Anhaltspunkte voraus, die eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreintritts ergeben.
a) Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit des VersG deckt
sich inhaltlich mit den gleich-lautenden Begriffen der Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder. Danach ist die
öffentliche Sicherheit die Summe aller Rechtsgüter, die
durch Normen des öffentlichen Rechts geschützt sind,
insbesondere solche des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts. Bevorstehende Straftaten waren nicht erkennbar. Auch im Übrigen bestand nach den Umständen
kein Anlass für die Behörde, die öffentliche Sicherheit
unmittelbar gefährdet zu sehen.
b) Gefährdung der öffentlichen Ordnung
Die öffentliche Ordnung umfasst die Summe ungeschriebener Normen, deren Befolgung als unentbehrliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens angesehen wird.
aa) Termin. Ein Verstoß könnte zunächst in der Wahl
des Termins für den Umzug zu sehen sein. Nach Ansicht des BVerfG kann die öffentliche Ordnung betroffen
sein, „wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt“, so dass bei der Durchführung eines
Aufzugs an diesem Tag „grundlegende soziale oder
ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt
werden“. Der 30. Januar ist der Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Diesem Datum ist Symbolkraft
beizumessen. Wird dieser Tag „gefeiert“, erscheint die
nationalsozialistische Herrschaft nicht nur in positivem
Licht, sondern eine Wiederholung als wünschenswert.
Diese Interpretation verletzt grundlegende soziale und
ethische Anschauungen, die für das Zusammenleben
unerlässlich sind. Daher liegt ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung vor, welchem mit dem im Vergleich
zum Verbot milderen Mittel der Auflage angemessen
begegnet wurde.
bb) Art der Durchführung. Auch die Art der Durchführung
kann einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung darstellen. Aufzüge genießen keinen grundrechtlichen
Schutz, wenn sie paramilitärischen Charakter haben und
geeignet sind, andere Personen einzuschüchtern oder
die Art des Aufzugs potentielle Gewaltbereitschaft der
Teilnehmer suggeriert. Dies folgt aus der Funktion des
Art. 8 GG, der die Beteiligung am friedlichen politischen
Meinungsstreit gewährleistet. Vorliegend lassen sich
weder Anhaltspunkte für einen paramilitärischen Charakter noch für Gewaltbereitschaft der Teilnehmer finden. Unter Berücksichtigung des Datums wird der Fackelzug jedoch zu einer Neuinszenierung der Ereignisse
vom 30. Januar 1933, führten die Nationalsozialisten
doch gerade an diesem Tag zur Feier der Ernennung
Hitlers zum Reichskanzler einen Fackelzug durch. Die
anhand des bloßen Datums noch denkbare Interpretati-
onsmöglichkeit, der Veranstaltung läge ein mahnender
oder warnender Zweck zugrunde, wird durch die Art der
Durchführung vollends zerstört. Somit war die öffentliche
Ordnung unmittelbar gefährdet.
cc) Ort. Zusätzlich zu dem prekären Datum wird von der
Behörde auch der Ort des Vorbeimarschs, der Platz, an
dem vormals die Synagoge stand, für untragbar gehalten. Hier ist allerdings nicht ersichtlich, dass durch den
Vorbeimarsch von der Verfassung geschützte Rechtsgüter gefährdet würden. Das könnte allenfalls der Fall sein,
wenn etwa auf eine Zerstörung der Synagoge in der NSZeit positiv Bezug genommen wurde. Dafür gibt der
Sachverhalt jedoch nichts her. Daher wird eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung hier nicht
durch den Ort, wohl aber durch den Kontext von Termin
und Umständen der Versammlung begründet.
c) Verhältnismäßigkeit
Hier könnte es an der Erforderlichkeit fehlen, wenn als
milderes Mittel lediglich das Mitführen von Fackeln untersagt worden wäre und dieses Mittel gleich geeignet
wäre. Da jedoch schon allein der Termin zu einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung führt, mangelt es der
Alternative an der Geeignetheit. Im Übrigen ist ein Ver-
stoß gegen das Übermaßverbot nicht ersichtlich. Die
Auflagenerteilung war rechtmäßig.
Wegen des Verstoßes gegen die Auflage war gem. § 15
Abs. 3 VersG eine Auflösung zulässig. Mildere Mittel waren hier nicht erkennbar, da die Veranstaltung am 30.1.
auch nicht in anderer Form zulässig gewesen wäre. A
wurde nicht in subjektiven Rechten verletzt.
C. Zwischenergebnis
Eine Klage gegen die Auflösungsverfügung wäre zulässig, aber unbegründet.
2. Teil: Einkesselung
A. Zulässigkeit
I. Rechtsweg
Über die Rechtmäßigkeit der Einkesselung könnte aufgrund der Sonderzuweisung des § 36 Abs. 2 NRWPolG
im ordentlichen Rechtsweg (im Verfahren nach dem
FEVG iVm FamFG) zu entscheiden sein. Für die Anwendbarkeit dieser Norm müsste es sich bei der Einkesselung um ein Gewahrsam iSd § 35 NRWPolG handeln.
Dies erfordert eine Freiheitsentziehung (Gusy, POR, Rn
295 ff.), nicht bloß eine Freiheitsbeschränkung. Deren
Entziehung liegt jedenfalls vor, wenn die Bewegungsfreiheit durch Festhalten an einem eng umgrenzten örtli-
chen Bereich allseitig ausgeschlossen ist (Gusy, POR,
Rn 301). Dies ist durch die Einkesselung gegeben. Gewahrsam liegt vor, § 36 Abs. 2 NRWPolG ist damit anwendbar.
Dem Wortlaut nach gilt die Sonderzuweisung für den
Zeitraum vor und während des Gewahrsams. Unklar ist
dagegen der Rechtsweg für die nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Teilweise wird
vertreten, die Sonderzuweisung gelte auch für nachträgliche Entscheidungen. Diese Auslegung vermiede ein
Nebeneinander verschiedener Verfahren für denselben
Sachverhalt. Nach herrschender Literatur und Rechtsprechung bleibt der Anwendungsbereich des § 36 Abs.
2 NRWPolG auf den Zeitraum des noch andauernden
Gewahrsams begrenzt. Werde der Betroffene freigelassen, ohne dass eine richterliche Entscheidung herbeigeführt wurde, greife für die nachträgliche Rechtmäßigkeitsprüfung wieder § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Hierfür
spricht der Zweck der Sonderzuweisung. Sie soll die
möglichst rasche Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung gewährleisten. Dies ist bei den Amtsgerichten
– aufgrund ihrer größeren Zahl und der dort ohnehin bestehenden Bereitschaftsdienste – organisatorisch einfa-
cher als bei den Verwaltungsgerichten. Bei nachträglichen Entscheidungen besteht die Notwendigkeit einer
besonders
raschen
Entscheidungsmöglichkeit
nicht
(mehr). Die Ausdehnung der Sonderzuweisung auf spätere Überprüfungen ist daher auch aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nicht erforderlich.
Für den nachträglichen Rechtsschutz ist daher der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Bei einer Ingewahrsamnahme aufgrund der Polizeigesetze handelt es sich um
eine Maßnahme auf-grund von Normen des öffentlichen
Rechts, beim Streit um die Rechtmäßigkeit somit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art. Hiernach wäre der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
II. Statthafte Klageart
Hier könnte eine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1
Fall 1 VwGO statthaft sein. Dann müsste der Kläger die
Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines
Rechtsverhältnisses begehren. Ein Rechtsverhältnis
sind die aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm sich ergebenden rechtlichen Beziehungen zwischen mehreren Personen.
Hiervon erfasst sind auch Eingriffsbefugnisse der Behörde gegenüber dem Bürger. A begehrt die Feststellung, dass die Behörde kein Recht hatte, ihn als Versammlungsteilnehmer einzukesseln, dass also insoweit
kein Rechtsverhältnis bestand. Der Grundsatz der Subsidiarität gem. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO verlangt schließlich, dass der Kläger sein Ziel nicht mit einer Gestaltungsklage hätte verfolgen können. Das wäre dann der
Fall, wenn gegen die Einkesselung ursprünglich eine Anfechtungsklage möglich gewesen wäre. Dazu müsste es
sich bei der Einkesselung um einen Verwaltungsakt gehandelt haben. In dem genannten Polizei-handeln jedoch konkludent einen Verwaltungsakt auf Duldung zu
sehen, ist weder rechtlich noch praktisch erforderlich.
Die Einkesselung ist ein Realakt, eine Anfechtungsklage
hiergegen nicht möglich. Daher ist die Feststellungsklage gem. § 43 Abs. 1 Fall 1 VwGO statthaft.
III. Sonstige Sachurteilsvoraussetzungen
A ist möglicherweise in seinem Grundrecht aus Art. 2
Abs. 2 S. 1 GG verletzt, so dass er analog § 42 Abs. 2
VwGO auch klagebefugt ist.
Gem. § 43 Abs. 1 VwGO ist ein Feststellungsinteresse
notwendig. Dazu genügt jedes ideelle oder materielle In-
teresse, welches von der Rechtsordnung geschützt ist.
Es kann neben der Rehabilitation des A das Überprüfungsinteresse bei Fehlen rechtzeitiger Rechtsschutzmöglichkeiten angeführt werden. Ein Feststellungsinteresse ist gegeben.
IV. Zwischenergebnis
Die Feststellungsklage wäre zulässig.
B. Objektive Klagehäufung
Nach § 44 VwGO können mehrere Klagebegehren in einem Verfahren zusammengefasst wer-den, wenn sie
sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist. Problematisch ist hier allein die Identität der Beklagten. Die
Fortsetzungsfeststellungsklage ist gegen die Behörde,
die Feststellungsklage gegen das Land als Rechtsträger
zu richten. Formell betrachtet liegen zwei verschiedene
Klagegegner vor. Da jedoch das Handeln von Behörden
ihren Rechtsträgern zugerechnet wird, fällt der Unterschied nicht in das Gewicht. Sachlich handelt es sich um
dieselbe Partei. Beide Klagen können daher in diesen
Fällen zu einem Verfahren verbunden werden.
C. Begründetheit
Die Feststellungsklage ist begründet, wenn die Behörde
kein Recht zur Einkesselung der Umzugsteilnehmer hatte, ein Rechtsverhältnis insoweit also nicht bestand.
I. Ermächtigungsgrundlage
Als
Ermächtigungsgrundlage
für
die
Einkesselung
kommt zunächst § 35 Abs. 1 Nr. 2 NRWPolG in Betracht. Formelle Bedenken bestehen nicht.
II. Materielle Voraussetzungen
Dass die Einkesselung eine Ingewahrsamnahme darstellt, wurde oben
bereits festgestellt; die Ermächti-
gungsgrundlage ist also anwendbar. Die Einkesselung
könnte zur Verhinderung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit stattgefunden haben. Eine Straftat könnte
hier gem. § 25 Nr. 2 VersG darin liegen, dass gegen eine Auflage verstoßen worden ist. A ist auch als Leiter
iSd § 25 Nr. 2 VersG anzusehen.
Die Geeignetheit zur Verhinderung der Fortführung der
genannten Straftat ist jedoch fraglich. Denn die Einkesselung vereitelt, dass die Versammlungsteilnehmer den
Ort ver-lassen, so dass eine Befolgung der Auflösung
unmöglich gemacht wurde. Allerdings wurde die Fortführung des Fackelzuges und damit die Fortführung der
Straftat gem. § 25 Nr. 2 VersG verhindert. Tatsächlich
kam es auch infolge der Einkesselung letztlich zur Auflösung. Die Maßnahme war damit geeignet.
Das Gebot der Erforderlichkeit verlangt, dass kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung gestanden hat.
Der Einsatz von Wasserwerfern ist aufgrund möglicher
Beeinträchtigungen der Gesundheit der Getroffenen
nicht milder. Zu denken wäre noch an das Auseinandertreiben der Teilnehmer durch die Polizei. Jedoch
wäre die Gefahr von Gewalttätigkeiten wegen der direkteren Konfrontation auf beiden Seiten höher, so dass
auch dieses Mittel nicht milder ist. Die Maßnahme war
erforderlich.
Die Einkesselung müsste schließlich auch angemessen
gewesen sein. Gerade bei Ingewahrsamnahmen zur
Verhinderung von Straftaten, an deren Schwere im Gesetz keine besonderen Anforderungen gestellt sind, ist
die Zweck-Mittel-Relation sorgfältig zu beachten. Hier
besteht die Straftat in einem Verstoß gegen eine rechtmäßige Auflösungsverfügung. In dem Fortführen der
Versammlung lag eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Es wäre danach sogar eine erhebliche Bedeutung
für die Allgemeinheit zu bejahen. Angesichts der Recht-
mäßigkeit der Auflösungsverfügung ist hier lediglich danach zu fragen, ob der Anspruch des Staates auf ihre
Durchsetzung bzw. auf Verhinderung der Fortführung
der Straftat (ausnahmsweise) hinter überwiegenden
Rechten der Betroffenen zurücktreten muss. Hierfür lassen sich jedoch keine Anhaltspunkte finden. Die Einkesselung erfolgte rechtmäßig.
III. Zwischenergebnis
Die Feststellungsklage des A wäre unbegründet.
D. Ergebnis
Die Klagen wären zulässig, aber unbegründet.
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