Fachbereich 11 – Gesundheits- und Humanwissenschaften Studiengang: Psychologie (Diplom) Bremen, den 20.11.2003 Rechtspsychologie - Projekt Seminar: Der psychologische Sachverständige im Familienrecht zwischen Entscheidung und Vermittlung VAK: 11- 4831 Dozent: Prof. Dr. Frank Baumgärtel WS 2003/ 04 Schriftliche Ausarbeitung des Referats vom 11.11.2003 zu dem Thema: „Psychologische Grundlagen der Sachverständigentätigkeit“ Jördis Därr Kulenkampffallee 127 28213 Bremen Tel.: 0421/ 2442505 E-Mail: [email protected] Matrikelnr.: 1413620 Kapitel: „3.10 bis 3.17“ Johanna Hellweg Hamburger Str. 114 28205 Bremen Tel.: 0421/ 4686781 E-Mail: [email protected] Matrikelnr.: 1414121 Kapitel: „2.5 bis 2.7.1“ Linda Kubitza Kapitel: „3. bis 3.9“ Deike Scheffer Fichtenstr. 23 26122 Oldenburg Tel.: 0441/ 2179969 E-Mail: [email protected] Matrikelnr.: 1414734 Kapitel: „1. bis 2.4“ Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung (Deike Scheffer)......................................................................... 4 2. Ein Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie .................................... 4 2.1 Fragestellung des Familiengerichts ...................................................... 4 2.2 Psychologische Fragen ........................................................................ 5 2.3 Untersuchungsmethoden...................................................................... 6 2.4 Ergebnisse............................................................................................ 7 2.5 Psychologischer Befund (Johanna Hellweg) ..................................... 14 2.6 Stellungnahme zur Frage des Familiengerichts .................................. 15 2.6.1 Der Vater als möglicher Sorgeberechtigter ................................. 17 2.6.2 Die Mutter als mögliche Sorgeberechtigte .................................. 18 2.7 Fazit .................................................................................................... 19 2.7.1 Vorschlag .................................................................................... 19 3. Qualitätsprofil für Psychologinnen und Psychologen (Linda Kubitza) ...... 19 3.1 Profunde Kenntnis über Konzepte und Regeln der Gesprächsführung ................................................................................................................. 19 3.2 Formulierung psychologischer Fragen................................................ 21 3.3 Erarbeitung eines Anforderungsprofils................................................ 21 3.4 Verfügbarkeit eines Kompendiums allgemeiner Bedingungszusammenhänge ................................................................... 22 3.5 Detailkenntnisse psychologisch-diagnostischer Verfahren ................. 22 3.6 Qualifikation zur selbständigen Kompetenzgewinnung ...................... 23 3.7 Beherrschung der wissenschaftlich fundierten Richtlinien bei der Beurteilung der Qualität psychologisch-diagnostischer Verfahren............ 23 3.8 Ansprechende Routine in der Administration psychologischdiagnostischer Verfahren .......................................................................... 23 3.9 Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen psychologischen Diagnostizierens ....................................................................................... 24 3.10 Kenntnis spezieller Testbedingungen bei speziellen Populationen (Jördis Därr).............................................................................................. 24 3.11 Objektivität in der Darstellung von Ergebnissen ............................... 24 3.12 Kompetenz in der Interpretation psychologisch-diagnostischer Ergebnisse sowie in der Umsetzung in psychologische Fachgutachten ... 25 2 3.13 Kenntnis der psychohygienischen Versorgungsinstitutionen samt deren Angeboten in Bezug auf insbesondere psychologische Behandlungsmöglichkeiten ....................................................................... 25 3.14 Profunde Kenntnis über Konzepte und Regeln in der Präsentation (Gesprächsführung) psychologisch-diagnostischer Ergebnisse ............... 26 3.15 Kompetenz zur adressatengemäßen Darstellungsweise (Diktion) in der Abfassung von psychologischen Gutachten ....................................... 26 3.16 Kompetenz zur Abfassung psychologischer Gutachten ................... 27 3.17 Weitere Qualitätsanforderungen ....................................................... 28 Literaturverzeichnis ..................................................................................... 30 3 1. Einleitung Bei der Tätigkeit des psychologischen Sachverständigen sind nicht nur die juristischen Richtlinien von Bedeutung, es gelten auch spezielle psychologische Richtlinien. Dieses Referat beschäftigt sich mit diesen Richtlinien. Für die Arbeit des psychologischen Sachverständigen ist hier ein Qualitätsprofil erstellt, das verdeutlichen soll, worauf ein Psychologe bei der Gutachtertätigkeit achten muss. Um die Richtlinien des Qualitätsprofils zu veranschaulichen, ist diese Arbeit auf ein Beispielgutachten aus dem Bereich der Rechtspsychologie bezogen. Der erste Teil stellt das gewählte Beispielgutachten dar. Es geht hierbei um einen Fall aus dem Familienrecht. Im zweiten Teil der Arbeit folgt dann das Qualitätsprofil für den psychologischen Sachverständigen, wobei bei der Darstellung der einzelnen Punkte jeweils bezug genommen wird auf das vorherige Gutachten. 2. Ein Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie 2.1 Fragestellung des Familiengerichts Anhand eines Beispiels sollen die psychologischen Richtlinien, die der Sachverständige bei der Gutachtenerstellung einzuhalten hat, verdeutlicht werden. Das gewählte Gutachten ist in folgende Punkte gegliedert: 1) Fragestellung des Familiengerichts 2) Psychologische Fragen 3) Untersuchungsmethoden 4) Ergebnisse 5) Psychologischer Befund 6) Stellungnahme zur Frage des Familiengerichts Das Familiengericht wandte sich an den Sachverständigen mit folgender Ausgangsfragestellung: 4 Es „soll ein Sachverständigengutachten zur Frage der Übertragung der elterlichen Sorge nach der Ehescheidung eingeholt werden.“ Die in dieser Frage beteiligten Personen sind das Kind, Jan K., die Mutter des Kindes, Frau K. und deren Ehemann und Vater von Jan, Herr K. Jan ist sechs Jahre alt und lebt derzeit bei seiner Mutter. Frau K. hat einen neuen Partner, Herrn N., und mit ihm eine Tochter. Beide leben mit Frau K. und Jan in einer Wohnung. Die Familie ist polnischer Herkunft und lebt erst seit kurzem in Deutschland. Aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten ist bei den Gesprächen mit dem Sachverständigen eine Übersetzerin dabei gewesen. 2.2 Psychologische Fragen Zur Beantwortung der Ausgangsfragestellung müssen von dem Sachverständigen psychologische Fragen entwickelt werden. Diese werden aus der gerichtlichen Fragestellung abgeleitet. Die psychologischen Fragen sollen mit Hilfe entscheidungsorientierter Gesprächsführung eindeutig zu beantworten sein. Im vorliegenden Gutachten wurden folgende Fragen abgeleitet: 1) Welcher Art sind die Gefühlsbeziehungen von Jan zu seiner Mutter bzw. seinem Vater? 2) Wie haben sich diese Beziehungen bis heute entwickelt? 3) Wie haben beide Elternteile bisher ihre Erziehungsaufgaben erfüllt? Gibt es Hinweise darauf, dass die Betreuung Jans mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist (z.B. Störungen im Leistungs-, sozialen oder emotionalen Verhaltensbereich)? Ist die Mutter bzw. der Vater ggf. solchen Schwierigkeiten nicht gewachsen? 4) Wie stellen sich die Eltern die weitere Erziehung von Jan vor? Welche Entwicklungsmöglichkeiten sind für Jan unter den verschiedenen Lebensbedingungen zu erwarten? 5 2.3 Untersuchungsmethoden Einige wichtige Informationen wurden den Gerichtsakten entnommen, insbesondere zur Frage der Entwicklung der familiären Beziehungen nach der Trennung der Eheleute. Zur weiteren Beantwortung der psychologischen Fragen wurden bei den Familienmitgliedern folgende Untersuchungsverfahren eingesetzt: Systematische psychodiagnostische Einzelgespräche mit Herrn und Frau K. Dabei ging es um Themen wie die derzeitige psychische Situation von Jan und wie diese im Hinblick auf die Beziehung von Jan zu seinen beiden Eltern beurteilt wird. Herr und Frau K. wurden gefragt, ob sie dabei Veränderungen gegenüber früher sehen und welche Rolle die Mutter bzw. der Vater für die Beziehung von Jan zum jeweils anderen Elternteil spielt. Außerdem wurde die Einstellung zu Erziehungsfragen des Sohnes diskutiert und wie das eigene Erziehungsverhalten und das des jeweils anderen Elternteils beurteilt wird. Ein weiterer Punkt war die weitere Erziehung von Jan und die Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen den Eltern und ihm. Der Family Relations Test mit Jan Die Art und Intensität der Gefühlsbeziehungen zu einzelnen Personen seiner Umgebung sollte bei Jan mit dem Family Relations Test (FRT) untersucht werden. Der FRT ermöglicht es Kindern, Einstellungen und Gefühle auszudrücken, die sie zwar bewusst erleben, die in Worte zu formulieren ihnen jedoch schwer fällt. Das Kind soll aus einer Reihe von Bilderkarten diejenigen wählen, die seine Familienmitglieder abbilden könnten. Anschließend soll es diesen Personen Karten zuordnen, die Aussagen über positive und negative (ausgehende und empfangene) Gefühle enthalten. Die Auswertung soll das Beziehungsmuster der Familie aus der Sicht des Kindes darstellen. Familienzeichnung von Jan Jan wurde aufgefordert. ein Bild zu malen mit seiner „Familie, die etwas zusammen tut“. Bestimmte Merkmale derartiger Zeichnungen – 6 einschließlich der Nachbefragung des Kindes zum Bild – geben Hinweise auf die Art der familiären Beziehungen (im Sinne von „Bindungsqualitäten“). Das Kind kann so seine Gefühlsbeziehungen zu konkreten Mitgliedern seiner Familie ausdrücken ohne sie direkt verbalisieren zu müssen. Psychodiagnostisches Einzelgespräch mit Jan In dem Gespräch sollten verschiedene Themenschwerpunkte abgedeckt werden. Zum einen wurde Jan über sein derzeitiges Leben befragt, was ihm daran gefällt und was nicht (z.B. die Umgebung, Schule, Freizeit oder Freunde). Außerdem wurde er nach Sorgen und Ängsten gefragt, mit denen er sich gedanklich beschäftigt und durch die er sich belastet fühlt. Zum anderen ging es um die Beziehung zu seiner Mutter und um seine Einstellung zum Vater. Dabei wurde auch über Wünsche, Hoffnungen und Befürchtungen gesprochen, die er für die Zukunft hat, wenn er bei der Mutter bzw. beim Vater leben würde. Systematische Verhaltensbeobachtungen von Jan Diese wurden bei Hausbesuchen in den Wohnungen von Herrn und Frau K. durchgeführt. Sie sollten Anhaltspunkte geben für die Beurteilung des Verhaltens von Jan in den ihm vertrauten Umgebungen. Außerdem wurde das Erziehungsverhalten von Herrn und Frau K. beleuchtet. Dabei wurde auch die Beziehung von Jan zu seinem Vater bzw. seiner Mutter betrachtet und wie sie sich in deren Interaktionsverhalten zeigt. 2.4 Ergebnisse Aktenauszug unter psychologischen Gesichtspunkten Es werden nur diejenigen Informationen aus den Gerichtsakten aufgeführt, die für die psychologisch-diagnostischen Untersuchungen und die Beantwortung der gutachterlichen Fragestellung von Bedeutung sind. Dies sind zum einen die Geburtsdaten, der Beruf und die Herkunft der Eltern, sowie der Zeitpunkt ihrer Trennung. Des weiteren steht in der Akte der Zeitpunkt des Antrags auf Scheidung der Frau, die mit ihrem neuen Lebenspartner zusammen zog, mit dem sie auch eine gemeinsame Tochter 7 hat. Zum gleichen Zeitpunkt reichte Frau K. das alleinige Sorgerecht für Jan ein, der bei ihr wohnt. Zum anderen enthält die Akte einen Bericht des Jugendamtes, der beschreibt, dass Jan sich lieber beim Vater aufhalte. Er fühle sich bei der Mutter unwohl (habe sich beim Besuch des Jugendamtes gehemmt verhalten) und sei von deren neuem Partner (laut Angaben des Vaters) geschlagen worden. Da die übrigen Ausführungen des Jugendamtes spekulativ sind, können sie für die psychologische Beurteilung im Gutachten nicht zugrunde gelegt werden. Die Akte enthält weiterhin den Zeitpunkt des Antrags auf Sorgerechtsübertragung vom Vater mit einer Begründung (vor allem aufgrund des getrübten Verhältnisses von Jan zu Herrn N., der ihm sogar mit der Einweisung in ein Heim gedroht habe). Ein Schriftsatz, in dem Frau K. die Vorwürfe gegen Herrn N. bestreitet, ist auch in der Akte zu finden. Frau K. liefert hier eine Erklärung für das Verhalten ihres Sohnes beim Besuch des Jugendamtes: Er sei Fremden gegenüber immer gehemmt und die Fragen wären falsch gestellt worden. Außerdem gab sie an, die Besuchskontakte seien vom Vater nicht wie verabredet eingehalten worden. Frau K. und Herr N. regten an, ein familienpsychologisches Gutachten einzuholen und erklärten ihre Bereitschaft zur Mitarbeit. Vom Jugendamt wurde der Vorschlag gemacht, die elterliche Sorge auf den Vater zu übertragen. Jan solle dann von der 54 jährigen Tante des Vaters betreut werden, zu der er ein gutes Verhältnis habe. Die Akte enthält die Anfrage des Gerichtes bei beiden Parteien, ob Einigkeit über die Sorgerechtsübertragung auf den Vater bestehe. Auf diese Anfrage erfolgte eine Ablehnung der Mutter. Daraufhin erging der Beschluss des Familiengerichts, das hier zu erstattende Sachverständigengutachten einzuholen. Psychodiagnostisches Einzelgespräch mit Frau K., der Mutter von Jan Die Exploration wurde mit dem Einverständnis von Frau K. auf Tonband aufgezeichnet. Das Gespräch wurde mit Hilfe der Übersetzerin Frau S. geführt. 8 Frau K. berichtet zunächst über die Entwicklung Jans im Kleinkindalter. Dabei geht sie auf die Sprachentwicklung, seine motorischen und sozialen Fähigkeiten, sowie Erkrankungen von ihm ein. Jan sei bezüglich seiner Entwicklung unauffällig gewesen. Auffälligkeiten im Verhalten (z.B. Prügeln im Kindergarten) werden von ihr auf Verständigungsschwierigkeiten zurück geführt. Sie gibt allerdings an, diese Prügeleien würden bis jetzt (in der Schule) anhalten, obwohl kaum noch sprachliche Probleme bestünden. Frau K. beschreibt Jans Charakter als „schwierig“, er würde ihr oft nicht gehorchen. Dies habe sich seit der Trennung vom Vater verstärkt. Zu ihren Erziehungsmethoden gibt sie an, sie sei dagegen, ein Kind zu schlagen, manchmal bekomme er jedoch von ihr einen „Klaps auf den Po“. Sie müsse mit ihm seine Hausaufgaben machen, da diese sonst nicht ordentlich werden. Jan habe beim Rechnen und Schreiben Schwierigkeiten. In dieser Situation käme es dann oft zu Auseinandersetzungen. Jan wird von seiner Mutter als sehr anhänglich beschrieben. Er weine schnell, und komme dann immer zu ihr, um sich trösten zu lassen. Er würde gerne kuscheln. Die Beziehung Jans zu Herrn N. wird von Frau K. als unproblematisch dargestellt. Er werde von ihm nicht geschlagen, hätte nur einmal einen „Klaps auf den Po“ bekommen. Herr N. habe die Vaterrolle für Jan „noch“ nicht übernommen, Frau K. hoffe dies jedoch für die Zukunft. Das Verhältnis von Jan zu seiner Halbschwester beschreibt Frau K. als liebevoll. Frau K. berichtet über die Beziehung zwischen Jan und seinem Vater, dass dieser sich früher wenig um seinen Sohn gekümmert habe. Er musste immer viel arbeiten, so dass er für die Erziehung wenig Zeit gehabt hätte. Er wäre ein sehr strenger Vater gewesen, der seinen Sohn auch geschlagen habe. Nach Angaben der Mutter, hatte Jan Angst vor ihm. Wegen ihrer unterschiedlichen Erziehungsmethoden hätten die Eltern oft Streit gehabt. Seit der Trennung nun kümmere sich Herr K. wie ein „Mustervater“ um Jan, unter anderem versuche er bei den Besuchen, ihn mit Spielzeug zu „kaufen“. Jan denke deshalb, der Vater sei „besser“ als die Mutter, da sie ihm nichts kaufen könne. Bei seinen Besuchen erlaube der Vater Jan auch sonst sehr viel, z.B. lange aufzubleiben und fernzusehen. Der Junge erfahre dort also kaum Einschränkungen oder Regeln. Ein weiterer Kritikpunkt von Frau K. ist, 9 dass sich der Vater mit Jan überwiegend bei Verwandten aufhalte und selten mit ihm alleine sei. Jan hätte schon geäußert, dass er lieber zum Vater möchte, allerdings auch, dass er bei der Mutter bleiben will. Frau K. äußert große Angst davor, dass ihr ihr Sohn weggenommen werde. Sie könne sich eine Erziehung durch Herrn K. nicht vorstellen. Sie vermute, dass ihr Ehemann das Sorgerecht haben wolle, um in seine Heimat zurück zu kehren, und seiner Familie dort zu beweisen, dass sie eine schlechte Mutter war. Frau K. dagegen möchte nach eigener Aussage in Deutschland bleiben. Sie möchte, wenn ihre Kinder selbstständiger geworden sind, einen Sprachkurs machen, um Kontakte für sich und die Kinder aufzubauen. Psychodiagnostisches Einzelgespräch mit Herrn K., dem Vater von Jan Die Exploration wurde mit dem Einverständnis von Herrn K. auf Tonband aufgezeichnet. Das Gespräch wurde mit Hilfe der Übersetzerin Frau S. geführt. Herr K. beschreibt zunächst auch die Entwicklung Jans im Kleinkindalter, liefert allerdings etwas andere Zeitangaben zu bestimmten Fähigkeiten als die Mutter. Er gibt an, keine Diskussionen mit seiner Frau in bezug auf die Kindeserziehung gehabt zu haben. Beide hätten Jan hin und wieder „einen Klaps“ gegeben. Jan sei bei den Besuchen bei ihm immer unauffällig, er habe sich noch nie mit anderen Kindern gerauft. Er sei stets fröhlich und sehr anschmiegsam und würde viel mit ihm schmusen. Herr K. gibt an, wenn Jan ungehorsam wäre, würde er ihm sagen, das zu unterlassen oder ihm mit Computerverbot drohen. Er wiederlegt die Behauptungen der Mutter das Spielzeug betreffend. Er würde Jan nur manchmal etwas schenken, die Mutter würde ihm dagegen nie etwas kaufen. Herr K. gibt an, Jan sei Fremden gegenüber sehr scheu. Dies sei ihm besonders verstärkt in den letzten sechs Monaten aufgefallen. Da Jan ihm gesagt habe, er werde der Gutachterin keine Fragen beantworten, vermutet Herr K., dass Jans Mutter ihn dahingehend beeinflusst habe. 10 Der Vater beschreibt die Besuche seines Sohnes als sehr harmonisch. Jan wäre oft traurig, wenn er wieder zurück zur Mutter müsse. Er berichtet, dass das Kind sich bei der Mutter unwohl fühle. Er komme sich neben dem neuen Partner und dem Baby wie das fünfte Rad am Wagen vor. Die Mutter schenke der Tochter mehr Aufmerksamkeit, und Herr N. behandle ihn schlecht. Den Vorschlag des Vaters, mit der Mutter über die Kümmernisse zu sprechen, habe Jan jedoch abgelehnt. Zum Schluss beschreibt Herr K. seine Zukunftsvorstellungen mit Jan – wie er sich seine Arbeitszeiten vorstelle, die Betreuung seines Kindes und dessen neue Schule. Er gibt an, in Deutschland bleiben zu wollen. Family Relations Test (FRT) mit Jan Aufgrund großer Probleme, die Jan mit der Kontaktaufnahme und Mitarbeit hatte, sowie seiner sprachlichen Schwierigkeiten im Deutschen, wurde von der Durchführung dieses Verfahrens abgesehen. Dies geschah, um die zeitliche und emotionale Belastung des Kindes so gering wie möglich zu halten. In Abwägung zwischen der Zumutbarkeit fürs Kind und der Notwendigkeit der Erhebung weiterer diagnostischer Daten wurde auf letzteres verzichtet. Familienzeichnung von Jan Jan malte eine Reihe schematischer Figuren, zu denen er erklärte, das seien alles seine Cousins und Cousinen. Mit ihnen würde er spielen, wenn er sie zusammen mit seinem Vater besuche. Nach den Kriterien, die Bundscherer 1988 für die Auswertung derartiger Zeichnungen im Hinblick auf die Sicherheit kindlicher Bindungen entwickelte, ergaben sich Hinweise darauf, dass Jan seine emotionalen Beziehungen im Sinne gefühlsmäßiger Bindungen als eher „wenig sicher“ erlebt (nach Bowlby, 1982 und Klußmann, 1981). Das bedeutet, dass Jan wenig darauf vertraue, dass eine oder mehrere Personen seiner Umgebung ihm in Belastungssituationen Trost und Unterstützung gewähren. Er sieht sich also wenig in der Lage, seine Betreuungspersonen vertrauensvoll als sichere Basis zu betrachten, von der aus er selbstbewusst und selbstsicher seine Umwelt erkunden könnte. 11 Gespräch mit Jan und Verhaltensbeobachtung Beim Hausbesuch in der Wohnung der Mutter versteckt Jan sich zunächst hinter dieser. Erst nach längerem Zureden seitens der Mutter geht er mit der Gutachterin mit. Jan wirkt sehr verunsichert, durch den Besuch „belästigt“ und unter großer Spannung stehend. Er spricht kaum, seine Antworten sind äußerst knapp. Er äußert jedoch unaufgefordert, dass er nicht wisse, zu wem er gehen wolle (zur Mutter oder zum Vater). Auf die meisten Fragen antwortet er dann aber mit „Weiß ich nicht“. Er erzählt wenig, nur von einem Nachbarskind, von den Besuchen bei seinem Vater und von der Schule. Er gibt an, dass, wenn er „böse“ sei, er sowohl von seinem Vater als auch von der Mutter und Herrn N. Ohrfeigen bekäme. Beim Hausbesuch in der Wohnung des Vaters versteckt Jan sich wiederum. Dem Vater gelingt es nicht, ihn dazu zu bringen, sich mit der Gutachterin zu unterhalten. Telefonat mit Frau H., der Klassenlehrerin von Jan Mit der Klassenlehrerin von Jan, Frau H. wurde ein informatorisches Telefonat zu den Fragen geführt, wie Jan sich in der Schule verhalte, seinen Leistungsstand und eventuelle Probleme. Frau H. berichtet, Jan habe Schwierigkeiten, soziale Regeln zu befolgen. Er setze seine Interessen auf Kosten anderer durch, wobei er sowohl austeile als auch einstecke. Ein Außenseiter wäre er nicht. Seine Hausaufgaben erledige er sehr ordentlich, Frau H. äußert den Eindruck, dass man sich zu Hause viel Mühe gebe, dass Jan in der Schule zurecht komme. Anfänglich hätte er schulische Probleme gehabt, auch aufgrund sprachlicher Barrieren. Seine Leistungen hätten jedoch in der letzten Zeit Verbesserungen gezeigt, so dass er ihrer Einschätzung nach am Schuljahresende die Lernziele der ersten Klasse erreichen könne. Gespräch mit Herrn N., dem neuen Partner von Frau K. Herr N. berichtet in einem längeren Gespräch über Schwierigkeiten, die es mit Jan zu Hause gibt. Er gibt an, in Erziehungsfragen eine andere Ansicht als seine Lebensgefährtin Frau K. zu haben. Sie sei der Meinung, man 12 müsse dem Kind immer „alles erklären“, Zwang und Strafen sollten nicht sein. Herr N. habe versucht, Jans Verhalten insofern zu ändern, als dass dieser nicht immer seinen Willen durchsetzt. Er habe ihn nicht direkt geschlagen, Jan habe nur schon einmal „ein bisschen auf den Po gekriegt“. Frau K. sei damit nicht einverstanden, und sie würden deshalb oft streiten. Herr N. versuche sich inzwischen bei der Erziehung Jans zurück zu halten, da er Angst habe, seine Beziehung zu Frau K. könne über den Streit zerbrechen. Er gibt zu, sich evtl. seiner eigenen Tochter mehr zuzuwenden, meint aber, dies sei bei Frau K. auf keinen Fall so, sie würde beide Kinder gleich zärtlich behandeln. Herr N. ist der Meinung, Jan hätte es sowohl beim Vater als auch bei der Mutter gut, hält es jedoch für falsch, das Kind mit den Besuchskontakten mit dem jeweils anderen Elternteil zu verwirren. Er möchte Frau K. auf jeden Fall heiraten, sieht ihre Lage jedoch in bezug auf den Streit wegen Jan als so ernst, dass er sich nicht sicher ist, dass ihre Beziehung dies übersteht. Gemeinsames Gespräch mit Herrn und Frau K. In dem gemeinsamen Gespräch wurden Herrn und Frau K. die Probleme von Jan und die Schwierigkeit der Feststellung, welche Lösung für ihn günstiger sei, dargestellt. Beide wiederholten ihre bereits geäußerten Darstellungen, Meinungen und gegenseitigen Vorwürfe. Frau K. bezweifelt, dass Herr K. mit der Erziehung Jans zurecht käme. Sie halte die Tante als Betreuerin für ungeeignet. Da Jan jedoch Herrn N. nicht akzeptiere, wäre sie im Notfall dazu bereit, auf den Jungen zu verzichten, obwohl dies gegen ihre Überzeugung sei. Es scheine jedoch so zu sein, dass Jan sich beim Vater besser fühle. Frau K. wurde darauf hingewiesen, dass dies zwar eine kindzentrierte Überlegung sei, aber in der derzeitigen Lage keine Lösung bringe, die für Jan, für sie selbst oder für ihre neue Familie psychologisch tragfähig sein werde. Bei der Diskussion von Lösungsmöglichkeiten wurde beiden Eltern eindringlich dargestellt, dass für sie dringend Hilfe für den Umgang mit Jan in 13 Form einer Erziehungsberatung geboten sei. Für die Regelung ihrer eigenen Beziehung wurde ihnen eine Trennungsberatung empfohlen. Eine Fremdunterbringung von Jan – auch nur vorrübergehend oder tageweise – lehnten beide Eltern kategorisch ab. Frau K. erklärte sich jedoch mit dem Versuch einverstanden, für Jan einen Hortplatz zu suchen. Dort könne er bei den Hausaufgaben betreut werden, so dass dieser Konfliktstoff die jeweilige Beziehung nicht mehr belasten würde. Herr K. erklärte, eine solche Hilfe wäre überflüssig, wenn Jan zu ihm käme. 2.5 Psychologischer Befund Im psychologischen Befund kombiniert der Gutachter, bzw. hier der Sachverständige, alle bisher erhaltenen Informationen. Dadurch soll die Beantwortung der vom Auftraggeber gestellten Frage ermöglicht werden, welche vor Erhebung der Informationen immer erst in eine psychologische Fragestellung umformuliert werden muss (s.o.). Der Gutachter soll grundsätzlich über eine bloße Informationsauswertung hinaus im Befund noch sachdienliche Vorschläge und Empfehlungen zum weiteren Verlauf der gegebenen Situation aussprechen. Wichtig bei einem psychologischen Befund ist es, sich stets darüber vor Augen zu halten, dass es sich hierbei nie um ein ganzes Persönlichkeitsbild handelt. Es werden lediglich Verhaltensausschnitte aus dem Leben des Probanden beschrieben, die nach der Fragestellung des Auftraggebers gerichtet sind. In dem oben beschriebenen Beispiel-Fall, dem Sorgerechtsstreit um „Jan“, werden im psychologischen Befund die früheren und die derzeitigen Lebensverhältnisse von Jan beschrieben. Genauer beschrieben sind Jans Lebensverhältnisse hierbei bezogen auf das Verhältnis zu seiner Mutter, sowohl als auch das Verhältnis zu ihrem neuen Lebensgefährten und Jans Halbschwester mütterlicherseits und, unabhängig davon, das Verhältnis zu seinem leiblichen Vater. Außerdem werden die unterschiedlichen Erziehungsstile analysiert. Des weiteren werden Jans Wohnsituation, seine schulischen Leistungen und seine sonstige Entwicklung bezogen auf seine Altersstufe beobachtet. Besondere Beachtung fällt außerdem auf die Befragung Jans bezüglich seiner eigenen Gefühle und Gedanken über seine 14 leiblichen Eltern und den neuen Freund seiner Mutter und allgemein bezüglich seiner Ängste, Wünsche und Zukunftsvorstellungen. 2.6 Stellungnahme zur Frage des Familiengerichts In der Stellungnahme zur Frage des Auftraggebers werden die im psychologischen Befund gesammelten einzelnen Informationen miteinander verglichen und bewertet. Inhaltlich bezieht sich dieses Kapitel ausschließlich auf den oben genannten Beispiel-Fall „Jan“. Trotz der wie oben beschriebenen derzeitigen schwierigen Lebenssituation der Mutter, scheint sie die zentrale Bezugsperson für Jan zu sein. Auch zu seinem Vater hat Jan ein gutes Verhältnis, wobei dieser überwiegend nur für die spielerisch-emotionalen Bedürfnisse des Jungen da ist. Ein zentrales Problem in Jans Entwicklung ist bereits seit seiner frühen Kindheit, dass er den widersprüchlichen Erziehungsstilen seiner Eltern und den damit verbundenen Streitigkeiten ausgesetzt ist. Dadurch entstand bei Jan eine grundlegende emotionale Verunsicherung und er konnte keine altersangemessene emotionale Selbstständigkeit entwickeln, was in ausführlicher Verhaltensbeobachtung, Gesprächen mit der Lehrerin und auch mit Jan zum Ausdruck kam. Einen großen ungünstigen Einflussfaktor bezüglich Jans leicht verzögerter Entwicklung spielt die Sprach- und somit Kommunikationsbarriere der Eltern nach außerhalb der Familie. Jans Eltern, v.a. seine Mutter, konnten nie genügend Zeit in das Erlernen der deutschen Sprache investieren. Somit mussten, wie oben zum methodischen Vorgehen beschrieben, Interviews und Gespräche von einer Dolmetscherin deutsch-polnisch übersetzt werden. Durch diese mangelnden Verständigungsmöglichkeiten und dadurch auch fehlende Kompensationsmöglichkeiten im sozialen Umfeld wurde der gesamte Eingewöhnungsprozess und auch das Familienleben nach der Übersiedlung der Familie nach Deutschland erschwert. Die grundsätzlich positive Beziehung zur Mutter wird erschwert durch das problematische Verhältnis zwischen Jan und ihrem neuen Freund, Herrn N. Dieses äußert sich dadurch, dass Herr N. seine eigene Tochter, Jans Halbschwester, offen zu bevorzugen scheint. Es entstehen erhebliche Erziehungskonflikte nun auch in der neuen Familie und Jan scheint dafür, 15 wenn auch unbewusst, zum „Sündenbock“ gemacht zu werden. Jans leiblicher Vater hingegen stelle bei den Wochenendbesuchen keinerlei erzieherische Forderungen an seinen Sohn, er kümmere sich lediglich um die Freizeit-Aktivitäten des Jungen und mache ihm Geschenke, welche die Mutter ihm finanziell nicht bieten kann, und ziehe sich somit vom erzieherischen Standpunkt aus eher „aus der Affäre“. Zum Teil nutzt Jan die Erziehungsstreitigkeiten seiner Eltern aus, indem er sie gegeneinander ausspielt. Das tut er offensichtlich, um Aufmerksamkeit zu erlangen und seine existentiellen Bedürfnisse somit wenigstens momentan befriedigen zu können. Schließlich zeigt sich Jans oben beschriebene emotionale Verunsicherung in Leistungsdefiziten, Verhaltensstörungen und einer geringen Frustrationstoleranz. Leistungsdefizite sind zu diagnostizieren anhand Jans anfänglichem schulischem Versagen und auch in anderen Entwicklungsbreichen im Vergleich mit der Entwicklung seiner Alterstufe. Verhaltensstörungen treten u.a. auf im Umgang mit Gleichaltrigen. Jan wird im Spiel schnell aggressiv und dadurch zum Außenseiter, was aber auch mit den Sprachschwierigkeiten im Umgang mit der deutschen Sprache zusammenhängen kann. Jans geringe Frustrationstoleranz erscheint komorbid mit einer geringen Fähigkeit, Probleme im sozialen und emotionalen Bereich angemessen lösen zu können und kann aber auch hier korrelieren mit seinen Sprachschwierigkeiten. Wie oben bereits erwähnt gingen Jans bessere sprachliche Fähigkeiten einher mit einer deutlichen Beruhigung in seiner sozialen Umgangsweise. Zu beachten sei v.a., dass er selbst seine momentane Situation als sehr belastend zu empfinden beschreibt. Bezüglich der Entwicklungsmöglichkeiten für Jan ist hier dringendst von einem gemeinsamen Sorgerecht abzuraten. Dies nicht nur aufgrund der Zerstrittenheit der Eltern, v.a. wegen unterschiedlicher Erziehungsversuche, sondern auch lehnen beide Elternteile von sich aus ein gemeinsames Sorgerecht grundsätzlich ab. 16 2.6.1 Der Vater als möglicher Sorgeberechtigter Die Vater-Sohn-Beziehung von Jan zu seinem Vater ist grundsätzlich eine positive. Der Vater liebt seinen Sohn und auch umgekehrt. Dies wäre erst einmal ein Punkt, den Vater als möglichen Sorgeberechtigten in Betracht zu ziehen. Allerdings ist diese Liebe und Fürsorge eine sehr „sorglose“, da, wie oben beschrieben, der Vater in der momentanen Beziehung zu seinem Sohn an Wochenenden eher einen sogenannten „Freizeitkontakt“ pflegt und sich um die Erziehung, wie beispielsweise das Kontrollieren von Hausaufgaben oder gesunde Ernährung, wenig kümmert. Zwar wäre beim Vater Jans äußere, v.a. finanzielle Versorgung, gewährleistet und auch gibt es keine Konflikte mit einer neuen Partnerin des Vaters, da dieser zumindest derzeit keine hat. Aber der Gutachter musste hier herausstellen, dass der Vater sich auch um eine zukünftige Erziehungsweise keine Gedanken macht. Hier schließen sich nun Punkte gegen den Vater als möglichen Sorgeberechtigten an. Erstens nimmt der Vater augenscheinlich die Bedürfnisse seines Sohnes nur in einigen Bereichen angemessen wahr, wie beispielsweise in der Gestaltung des Freizeitangebots, was allerdings für ein Heranwachsendes Kind als elterliche Hilfe lange nicht ausreichend ist. Des weiteren wäre der Vater als möglicher Sorgeberechtigter aufgrund seines Schichtdienstes auf Fremdbetreuung für Jan angewiesen, der wie jedes Kind im Optimalfall vorrangig aber den Kontakt und die erzieherische Hilfe seiner Eltern benötigt. Wie bereits erwähnt hat Jans Vater auch noch keine konkreten Vorstellungen, wie seine Erziehung sich im eventuellen Zusammenleben mit Jan verbessern könnte, was sich aus den Gesprächen mit ihm herausstellte. Außerdem wäre die räumliche Situation beim Vater für Jan sowohl al auch für ihn beengter, was einen weiteren Stressfaktor für das Kind bedeuten würde. Besonders negativ auf die Sorgerechtsentscheidung zugunsten des Vaters wirkt sich seine einseitige Vorwurfshaltung gegenüber Jans Mutter aus, in der er befangen zu sein scheint. In den Gesprächen und der Verhaltensbeobachtung stellten sich negative „Mutter-Repräsentanzen“ von Seiten des Vaters heraus, welche der Erziehung eines Kindes schaden. 17 2.6.2 Die Mutter als mögliche Sorgeberechtigte Positiv auf die Erziehung wirkt sich die Tatsache aus, dass Jans Mutter keine großen Schwierigkeiten hat, ihrem Sohn seine altersangemessene Selbstständigkeit zu gewähren. Andererseits würde gegen die Mutter als mögliche Sorgeberechtigte sprechen, dass sie Jan in seiner Einsichtsfähigkeit überfordert, d.h. dass sie, statt ihm klare Grenzen aufzuzeigen, ihm in Streitsituationen versucht zu erklären, warum sie sein derzeitiges Verhalten nicht als gutheißen kann. Ein Schulkind allerdings in Jans Alter braucht klare Grenzen, um sozial angepasstes Verhalten zu lernen, da es dieses in der Theorie größtenteils noch nicht einzusehen vermag. Jedoch äußerte die Jans Mutter, dass sie aufgrund der Konflikte in der neuen Beziehung sogar freiwillig auf das Sorgerecht für Jan verzichten würde, wenn dies zu seinem Wohle geschehen sollte. Allerdings hätte sie ihm gegenüber starke Schuldgefühle. Sie akzeptiert Jans positive Beziehung zu seinem Vater, kann aber ihre Befürchtungen nicht verbergen, es würde ihm dort nicht gut gehen. Außerdem wäre es aus psychologischer Sicht eh nicht ratsam, wenn Jan aus dem Haushalt seiner Mutter herausgenommen würde. Jans Beziehung zu seiner Mutter ist nämlich die „relativ sicherste“, eine Unterbrechung dieser würde in Jans Alter seinem Urvertrauen schaden. Es gibt auch keinerlei Hinweise auf Vernachlässigung des Jungen bei seiner Mutter. Sie zeigt in den Gesprächen sogar konkrete Bereitschaft, ihrem Sohn gegenüber konsequenter zu sein; wobei immer noch die Gefahr eines „Machtkampfes“ der Eltern, wie oben angesprochen, besteht. Für die Mutter als mögliche Sorgeberechtigte spricht weiterhin Jans langsame Stabilisierung (z.B. bei seiner schulischen Leistungen), welche er während des Wohnens in ihrem Haushalt erlangte. Jans schulische Leistungen wurden sogar besser, trotzdem seine Mutter seine Leistungsgrenzen oftmals nicht richtig einzuschätzen vermochte. Wichtig ist auch zu beachten, dass ein Umziehen zum Vater für Jan die Trennung von seiner Halbschwester bedeuten würde, welche für ihn sehr schmerzlich wäre. 18 2.7 Fazit Ein Fazit bedeutet die Abwägung der positiven und der negativen Gesichtspunkte der Beziehung zwischen Jan und seinen beiden Elternteilen. 2.7.1 Vorschlag Zu diesem genannten Sorgerechtsfall wurde von den Gutachtern der Vorschlag gemacht, die elterliche Sorge für Jan, trotz der derzeitigen schwierigen häuslichen Situation, zunächst bei der Mutter zu belassen. Dieser Vorschlag erfolgt aufgrund des Fazits aus den oben aufgeführten Ergebnispunkten betreffend der psychologischen Stellungnahme. Der Vorschlag, zunächst die Mutter als Sorgeberechtigte für Jan zu belassen, ist an folgende Bedingungen geknüpft, welche in diesem Rahmen allerdings nicht rechtspflichtig sind: 1. Frau K. erhält (professionelle) Unterstützung bei der Erziehung ihres Sohnes Jan 2. Frau K. und ihrem neuen Lebensgefährten wurde die dringende Empfehlung ausgesprochen, beraterische Hilfe aufgrund grundlegender (persönlicher) Differenzen aufzusuchen 3. Frau K. müsse sich stärker in ihr Umfeld integrieren, um so auch die soziale Verständigung der ganzen Familie nach außen zu verbessern 4. empfohlen ist weiterhin eine Trennungsberatung für beide Elternteile 3. Qualitätsprofil für Psychologinnen und Psychologen 3.1 Profunde Kenntnis über Konzepte und Regeln der Gesprächsführung Der Psychologe benötigt eine profunde Kenntnis über Konzepte und Regeln der Gesprächsführung in Bezug auf die "Sammlung der typischerweise mit dem gegebenen Sachverhalt in Verbindung stehenden Informationen". In diesem Punkt wird angesprochen, dass sich der Psychologe mit verschiedenen auftretenden Dynamiken eines Gesprächs auskennen sollte, 19 möglicherweise auftretende Mechanismen wie die der Projektion, der Gegenübertragung und der Reaktanz identifizieren können sollte und darauf zu reagieren wissen sollte. Mit Reaktanz ist das mögliche Auftreten von Widerstand einer Person gegenüber ausgeübtem Druck einer anderen Person in Hinblick auf Beschränkung der Wahl zwischen Handlungsalternativen gemeint. So geht man auch davon aus, dass ein großer Teil des in Psychotherapien auftretenden Widerstandes als Reaktanz verstanden werden kann. Weiterhin sollte der Psychologe spezielle Fertigkeiten in der Gesprächsführung aufweisen und auf ein Repertoire zurückgreifen können, das es ihm ermöglicht, an evtl. erwünschte Informationen zu gelangen. Hierzu könnte z.B. die Kenntnis der vier Seiten einer Nachricht gehören; es wird davon ausgegangen, dass eine Nachricht Aussagen auf vier verschiedenen Ebenen beinhaltet. Der Sachinhalt stellt das tatsächlich Gesagte dar und birgt auf der zweiten Ebene ebenso eine Selbstoffenbarung desjenigen, der spricht in sich. Eine weitere Aussage findet sich auf der Beziehungsebene und die vierte Seite einer Nachricht entspricht dem Appell, dem durch das Gesagte Ausdruck verliehen wird. Um an Informationen zu gelangen spielt die Gesprächshaltung des Psychologen eine zentrale Rolle, denn mit seinem Verhalten ist er in der Lage, das Erzählverhalten des Befragten zu beeinflussen und ein für den Befragten angenehmes Gespräch zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang sollte die Kenntnis der drei Säulen des aktiven Zuhörens Erwähnung finden. Die Basis des gemeinsamen Gesprächs wird zunächst dadurch geschaffen, dass der Psychologe Aufmerksamkeitssignale sendet, was z.B. bedeutet, zu dem Befragten Blickkontakt aufzunehmen oder zu Nicken etc. Weiterhin sollte der Psychologe, u.a. um Verständnisproblemen vorzubeugen, dem Befragten laufend den Sachverhalt zurückspiegeln. Von der Sachebene ausgehend sollten außerdem Emotionen und Empfindungen zurückgespiegelt werden, v.a. um dem Befragten eine Gesprächssicherheit zu vermitteln und ihm das Gefühl zu geben, sich verstanden zu fühlen. Ein Ausspruch könnte auf der Gefühlsebene z.B. sein: "Sie haben das Gefühl, dass..“ 20 3.2 Formulierung psychologischer Fragen Der Psychologe benötigt die Fertigkeit, umgangsprachlich formulierte Fragestellungen (Untersuchungsanlässe; Aufträge) in psychologische Fragen umzuformulieren. Die Fragestellung wird vom Auftraggeber, in diesem Fall das Gericht, meist in einer sehr globalen Form geäußert, so ergibt es sich, dass sie in mehrere "Psychologische Fragen" übersetzt und aufgefächert werden muss. Mit Hilfe dieser Fragen wird das psychologische Gutachten strukturiert und gibt zugleich dem Leser des Gutachtens eine überschaubare und verständliche Grundstruktur der zu verarbeitenden Informationen, die er auch gut behalten kann. Daher erscheinen diese psychologischen Fragen direkt nach der Fragestellung als nächster Teil des psychologischen Gutachtens. Beim Herausarbeiten der psychologischen Fragen geht es um das Extrahieren eindeutig beantwortbarer diagnostischer Fragestellungen mit Hilfe der entscheidungsorientierten Gesprächsführung. Im vorliegenden BeispielGutachten sollte ein Sachverständigengutachten zur Frage der Übertragung der elterlichen Sorge nach der Ehescheidung eingeholt werden. Die psychologischen Fragen lauteten hier: a) Welcher Art sind die Gefühlsbeziehungen von Jan zu seinem Vater bzw. seiner Mutter? b) Wie haben sich diese Gefühlsbeziehungen bis heute entwickelt? c) Wie haben die beiden Elternteile bisher ihre Erziehungsaufgaben erfüllt? Gibt es Hinweise darauf, dass die Betreuung und Erziehung Jans mit besonderen, überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden ist? (z.B. Störungen im Leistungs- ,sozialen oder emotionalen Bereich?) Ist die Mutter/der Vater solchen Schwierigkeiten hinreichend gewachsen? d) Wie stellen sich die Mutter/der Vater die weitere Erziehung von Jan vor? Welche Entwicklungsmöglichkeiten sind für Jan unter den verschiedenen Lebensbedingungen der beiden Eltern zu erwarten? 3.3 Erarbeitung eines Anforderungsprofils Der Psychologe benötigt die Fertigkeit, je nach diagnostischer Fragestellung ein Anforderungsprofil auszuarbeiten 21 Das Anforderungsprofil wird nicht als eigener Teil im Gutachten aufgeführt, man benötigt es jedoch, um überhaupt begründet arbeiten zu können. Um Entscheidungen zu treffen werden Kriterien gebraucht, mit deren Hilfe es möglich wird, die sich bietenden Alternativen zu vergleichen. Es gilt, etwas über die Anforderungen zu erfahren und zu wissen, die unter den verschiedenen sich bietenden Möglichkeiten an den Menschen gerichtet werden. Die Summe dieser Anforderungen wird bei den arbeitspsychologischen Fragestellungen "Anforderungsprofil" genannt. Dieser Begriff wird auch z.B. für klinische Fragestellungen übernommen. Bei der Frage, ob ein Proband Symptome eines bestimmten Syndroms aufweist, entspricht dieses Syndrom dem Anforderungsprofil. 3.4 Verfügbarkeit eines Kompendiums allgemeiner Bedingungszusammenhänge Eine zentrale Rolle für die Arbeit des Psychologen spielt die Verfügbarkeit eines Kompendiums allgemeiner Bedingungszusammenhänge möglicher, den Untersuchungsanlass (mit-) beeinflussender Faktoren zur dementsprechenden Hypothesenbildung und –abklärung. Im ausgewählten Beispiel-Gutachten kann hiermit z.B. die Kenntnis über Familienkonstellationen, Abhängigkeiten und ggf. bestehende Verpflichtungen innerhalb eines Familiensystems gemeint sein. Da diese Umstände sich nachteilig auf die kindliche Entwicklung auswirken können, ist es wichtig, diese zu erkennen und das Wissen darüber in das Gutachten mit einzubeziehen. Zum vorliegenden Gutachten könnte es wichtig sein, zu bedenken, aus welchem Grund Jan dazu tendieren könnte, eher bei seiner Mutter oder seinem Vater leben zu wollen und ob er ggf. von einem Elternteil emotional unter Druck gesetzt wird.) 3.5 Detailkenntnisse psychologisch-diagnostischer Verfahren Der Psychologe benötigt Detailkenntnisse der ihm zur Verfügung stehenden Verfahren (z.B. Tests) sowie des Standardinventars der Psychologischen Diagnostik (Beherrschen des "state of the art"). 22 Diese Fähigkeiten sind im vorliegenden Gutachten z.B. durch die Durchführung des Family Relations Test dargestellt. Außerdem werden sie benötigt, um die Gespräche mit den Eltern und Jan durchzuführen und eine systematische Verhaltensbeobachtung durchführen zu können. 3.6 Qualifikation zur selbständigen Kompetenzgewinnung Der Psychologe benötigt die Qualifikation zur selbständigen Kompetenzgewinnung in der Anwendung neuer bzw. spezieller psychologisch-diagnostischer Verfahren. Angesprochen werden hier Fortbildungen zur Durchführung und Anwendung bestimmter Testverfahren. 3.7 Beherrschung der wissenschaftlich fundierten Richtlinien bei der Beurteilung der Qualität psychologischdiagnostischer Verfahren Um die Qualität von Tests beurteilen zu können sowie deren Vorteile und Risiken zu kennen, wird eine gute Kenntnis der Testtheorien (Klassische und Probabilistische) und ihrer Kriterien vorausgesetzt. Hiermit sind u.a. gemeint: Objektivität, Reliabilität, Validität sowie die Nebengütekriterien Ökonomie, Nützlichkeit, Vergleichbarkeit. Außerdem ist die Kenntnis der Methodenkritik von Bedeutung um sowohl die Ursprünge von Tests zu kennen als diese auch evtl. kritischer einschätzen zu lernen. 3.8 Ansprechende Routine in der Administration psychologisch-diagnostischer Verfahren Hierunter ist zu verstehen, dass dem Psychologen verschiedene Medien zur Testdurchführung zur Verfügung stehen sollten und sowohl Einzeltestungen, Gruppentestungen und Computerdiagnostik, je nach Untersuchungsanlass, durchgeführt werden. 23 3.9 Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen psychologischen Diagnostizierens Die Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen des psychologischen Diagnostizierens ist für den Psychologen unverzichtbar. Diese(r) sollte über die Handhabung des Datenschutzes genaues Wissen besitzen, die ethischen Richtlinien der Berufsverbände einhalten, das Psychologengesetz kennen sowie über allgemeine Grundlagen der Zivil- und Strafprozessordnung und des Familienrechts informiert sein. 3.10 Kenntnis spezieller Testbedingungen bei speziellen Populationen Der Sachverständige muss Kenntnis über bestimmte Testbedingungen bei speziellen Probanden haben, um möglichst aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. So muss er z.B. den Mangel an objektivem Aufgabenbewusstsein bei Kleinkindern beachten und dies in seinen Ergebnissen berücksichtigen. Wichtig ist weiterhin die Kenntnis von Störvariablen bei psychologischen Tests. Bei der Begutachtung von Kindern ist z.B. besonders auf Versuchsleitereffekte zu achten. So können Kinder z.B. große Angst vor dem weißen Kittel eines Versuchsleiters haben, da sie denken, dass es sich um einen Arzt handelt, der ihnen womöglich eine Spritze geben wird oder ähnliches. Diese Kinder verhalten sich dann natürlich nicht so, wie sie sich sonst verhalten würden. Auch sollte der Sachverständige Kenntnis über Simulantenphänomene (bewusstes Vortäuschen von Symptomen etc.) besitzen. 3.11 Objektivität in der Darstellung von Ergebnissen Um die Objektivität bei der Darstellung von Ergebnissen zu wahren sind einige zentrale Richtlinien zu beachten. Bei der Darstellung von Ergebnissen ist auf eine strikte Trennung zur Interpretation zu achten. Das bedeutet, die Untersuchungsergebnisse (d.h. Daten) und der psychologische Befund (d.h. Interpretation) müssen deutlich von einander getrennt dargestellt werden. Dies ist bei dem Beispielgutachten auch so durchgeführt worden. 24 Der Sachverständige muss den beteiligten Personen vorurteilsfrei begegnen, damit seine Ergebnisse auch wirklich objektiv sein können. Hierbei ist auch darauf zu achten, dass der Auftraggeber, besonders wenn es sich um eine Privatperson handelt, nicht bevorzugt wird. Den gesamten diagnostischen Prozess über bleibt der Sachverständigen vorurteilsfrei. Ebenso ist die Unabhängigkeit des Sachverständigen gegenüber den am Begutachtungsprozess beteiligten Personen von zentraler Bedeutung. 3.12 Kompetenz in der Interpretation psychologischdiagnostischer Ergebnisse sowie in der Umsetzung in psychologische Fachgutachten Um dieses Qualitätsmerkmal zu erfüllen, muss der Sachverständige diverse Sachverhalte und Einzelergebnisse an Hand einschlägiger wissenschaftlichpsychologischer Theorien integrieren. Auch muss der Sachverständige die Fähigkeit haben, vermeintliche Widersprüche in Teilergebnissen aufzulösen. Die einzelnen Teilergebnisse müssen zu einem Gesamtergebnis zusammengefügt werden, um dann auf diesem Ergebnis eine schlüssige Interpretation aufzubauen. Diese Interpretation ist dann im psychologischen Gutachten ausführlich darzustellen. 3.13 Kenntnis der psychohygienischen Versorgungsinstitutionen samt deren Angeboten in Bezug auf insbesondere psychologische Behandlungsmöglichkeiten Außerdem sollte der Sachverständige Kenntnis über die verschiedenen Konzepte der einschlägigen Psychotherapieschulen haben, um den betroffenen Personen weiterführende Hilfestellungen zu geben. Dies ist besonders wichtig, wenn eine psychische Krankheit diagnostiziert wird. Auch für Familien ist es häufig sinnvoll, wenn ihnen nach Beantwortung der Fragestellungen weiterführenden Hilfen dargelegt werden. In dem vorliegenden psychologischen Gutachten zeigt sich dies z. B. durch den Vorschlag, einen Hortplatz für Jan zu finden, um eine Entlastung der 25 Mutter herbeizuführen. Weiterhin wird vom Sachverständigen vorgeschlagen eine Erziehungsberatung und eine Trennungsberatung aufzusuchen. All diese Vorschläge sollten der Familie Beihilfen bei der Lösung ihrer Probleme geben. 3.14 Profunde Kenntnis über Konzepte und Regeln in der Präsentation (Gesprächsführung) psychologischdiagnostischer Ergebnisse Hiermit ist gemeint, dass ein Sachverständiger z.B. gut in der Übermittlung von Katastrophennachrichten o. ä. geschult sein sollte. Außerdem ist es von entscheidender Wichtigkeit, dass ein Sachverständiger, wenn er vor Gericht seine Ergebnisse vortragen muss, auch hier kompetent auftritt. Er muss in der Lage sein, seine Ergebnisse verständlich, sachlich und überzeugend darzustellen. 3.15 Kompetenz zur adressatengemäßen Darstellungsweise (Diktion) in der Abfassung von psychologischen Gutachten Bei einem Auftraggeber handelt es sich meist nicht um eine fachkundige Person. Von daher ist es notwendig, dass der Sachverständige sein psychologisches Gutachten in einer Art und Weise erstellt, dass der Auftraggeber es relativ leicht verstehen und nachvollziehen kann. Aus der Perspektive des Auftraggebers muss ein psychologisches Gutachten von Nutzen sein. Außerdem muss es für diesen transparent sein. Zunächst einmal ist es wichtig, dass die Fragestellung konkret, also als ein wörtliches Zitat, wiedergegeben wird. Die Textorganisation und GutachtenGliederung sollte übersichtlich sein. Weiterhin sollten die Formulierungen verständlich sein, am besten ist dies durch eine präzise Wortwahl zu erreichen. Fachtermini sollten, soweit dies möglich ist, sachlich umschrieben und unnötige Abkürzungen vermieden werden. Zu einem besseren Verständnis des Gutachtens trägt auch die Eindeutigkeit der Aussagen bei. Zweideutige Aussagen führen zu Verwirrung und Ungläubigkeit bei dem Auftraggeber. 26 Zuletzt ist es natürlich wichtig, dass die Begründungen der Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen nachvollziehbar sind. Auf die Nachvollziehbarkeit von psychologischen Gutachten wird in Punkt 16 eingegangen. 3.16 Kompetenz zur Abfassung psychologischer Gutachten Dies soll in einer Art und Weise geschehen, dass die Fragestellung eindeutig beantwortet wird, ein Maßnahmenvorschlag getroffen wird und die getroffenen Schlussfolgerungen für Fachkolleg(inn)en nachvollziehbar sind. Die Objektivität des Sachverständigen ist eine Voraussetzung für die eindeutige Beantwortung der Fragestellungen. Dies setzt zum einen Objektivität bei der Planung, Durchführung und Auswertung der Untersuchung sowie bei der Interpretation der Untersuchungsergebnisse voraus. Weiterhin darf die Datenerhebung ausschließlich auf die Fragestellung bezogen sein. D.h. es dürfen keine Daten erhoben werden, die nicht im Zusammenhang mit der Fragestellung stehen. Auch müssen alle erhobenen Daten verwendet werden. D.h. es dürfen nicht einfach Daten außer Acht gelassen werden. In dem vorliegenden Gutachten wird z.B. geschrieben, dass mit Jan der „Family Relation Test“ durchgeführt werden sollte. Die Durchführung musste jedoch abgebrochen werden, und es kam zu keinem Ergebnis. Dennoch wird der Test erwähnt. Dies ist auch richtig so, da auch ein „Nicht-Ergebnis“ ein Ergebnis sein kann. Die Nachvollziehbarkeit eines Gutachtens erhöht sich zum einen dadurch, dass die Fragestellung des Auftraggebers aus der Perspektive des psychologischen Sachverständigen im Rahmen seiner fachpsychologischen Arbeitshypothesen bearbeitet wird. Außerdem wird dies unterstützt durch die Eindeutigkeit der Aussage und eine sachgerechte Strukturierung des psychologischen Gutachtens. Zum andern wird ein Gutachten dadurch nachvollziehbar, dass die Argumentation widerspruchsfrei ist. Wichtig ist auch die Beantwortung aller vom Auftraggeber gestellter Fragen. Zuletzt ist festzuhalten, dass nachvollziehbare Begründungen der Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen gegeben werden. 27 Die Nachprüfbarkeit eines psychologischen Gutachtens erhöht sich, wenn alle Informations- und Datenquellen angegeben werden. Bei diesem Qualitätskriterium ist wiederum darauf hinzuweisen, dass auch angegeben werden muss, wenn z.B. ein psychologischer Test abgebrochen wurde, oder ein Übersetzer zu einem Gespräch herangezogen werden musste. Weiterhin müssen Information über die differentialdiagnostischen Überlegungen sowie über die angewandten Untersuchungsverfahren, deren Zielsetzung, Auswertung und Normierung gegeben werden. Die Nachprüfbarkeit eines Gutachtens wird außerdem erleichtert durch 1.) die präzise Darstellung des Untersuchungsablaufes und der Untersuchungsergebnisse und 2.) die Information über die Auswertungsmethoden und Beurteilungskriterien (Normen etc.). 3.17 Weitere Qualitätsanforderungen Weiterhin ist es wichtig, dass der Sachverständige über Kenntnisse der wissenschaftlichen Persönlichkeitstheorien (Menschenbilder) verfügt. Auch die Beherrschung der englischen Fachsprache für ein Literaturstudium im Sinne der Weiterbildungspflicht laut Psychologengesetz ist von Bedeutung. Hinzukommend sollte ein Sachverständiger über Kenntnisse psychiatrischer Klassifikationssysteme für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verfügen. Zuletzt ist es von Nöten, dass Fertigkeiten in der statistischen Datenaufbereitung und Dokumentation zur Archivierung bzw. selbständigen wissenschaftlichen Evaluation bestehen. Abschließend ist festzuhalten, dass ein psychologisches Gutachten besondere Überzeugungskraft besitzt, wenn die Fragestellung des Auftraggebers präzise erfasst und wiedergegeben wird. Ebenso muss das psychologische Gutachten klar und übersichtlich gegliedert werden. Weiterhin ist ein Gutachten besonders plausibel, wenn eine überzeugende (hypothesengeleitete) psychologische Differential-Diagnostik mit sachgerechten psychologischen Arbeitshypothesen durchgeführt wird. Außerdem muss eine klare Trennung von Untersuchungsergebnissen und psychologischen Befund bestehen. 28 Wichtig ist weiterhin, dass die Ausführungen des Sachverständigen eindeutig sind. Die Argumentation des Sachverständigen muss logisch überzeugend sein und seine Ausführungen müssen Widerspruchsfreiheit besitzen. Zu einem überzeugenden Gutachten gehören ebenso die sachgerechte Gewinnung der Untersuchungsergebnisse und ein Verzicht auf fragwürdige Annahmen, Vermutungen und Spekulationen. Zuletzt ist es wichtig, dass die fachpsychologischen Arbeitshypothesen fachlich fundiert sind und überzeugend formuliert werden und die vom Auftraggeber gestellte Frage eine verständliche und logisch überzeugende Beantwortung findet. 29 Literaturverzeichnis Kühne, A., Zuschlag, B. (2001). Richtlinien für die Erstellung psychologischer Gutachten. Bonn: Dt. Psychologen- Verlag. Westhoff, K., Kluck, M.- L. (1998). Psychologische Gutachten schreiben und beurteilen (3., überarb. und erw. Aufl.). Berlin: Springer Verlag. Internet: http://www.univie.ac.at/Psychologie/diagnostik/aktuell/qual.htm (Zugriff am: 6.11.2003) 30