24. Jahrestagung des AK Klinische Psychologie in der Rehabilitation Aufgaben psychologischer Diagnostik aus Sicht der Rentenversicherung Dr. Ulrike Worringen Deutsche Rentenversicherung Bund Abteilung Rehabilitation www.deutsche-rentenversicherung-bund.de „Psychologische Aufgaben in der medizinischen Rehabilitation“ und „Leitfaden zur Erstellung eines internen psychologischen Berichts in der medizinischen Rehabilitation (somatische Indikationen)“ „Kommunikation, Dokumentation und Aufbewahrung psychologischer Daten in der medizinischen Rehabilitation“ 1 Aufgabe psychologischer Diagnostik Mitwirkung bei der • Definition der Rehabilitationsziele • Erstellung des Rehabilitationsplans • Absicherung der sozialmedizinischen Beurteilung in der psychosozialen Dimension • Identifizierung eines weiteren Behandlungsbedarfs Inhalte psychologischer Diagnostik • psychosoziale Belastungs-, Schutz- und Risikofaktoren • individuelle, berufs- und problembezogene Bewältigungsstrategien • subjektives Krankheits(folge)modell • berufsbezogene Persönlichkeitsdiagnostik • berufsbezogene Leistungsdiagnostik, z. B. Leistungsmotivation, psychomentale Belastbarkeit und Verhalten unter simuliertem Stress • psychologische Leistungs- und Funktionsdiagnostik; z. B. durch psychometrische Erfassung klinischer Dimensionen wie Angst, Depressivität, Somatisierung 2 Methoden psychologischer Diagnostik 1. Explorationsgespräch 2. psychometrische Verfahren 3. Verhaltensbeobachtung / Belastungserprobung Psychometrische Verfahren Umfang und Inhalt der psychologischen Testbibliothek • • Indikation der Rehabilitationseinrichtung Berufserfahrung und Ausbildung des Psychologen / Psychotherapeuten Sie ist jeweils im Einzelfall festzulegen. Zur Grundausstattung gehören • • • • • • Befindlichkeitsskalen, Beschwerdelisten, allgemeine klinische Skalen wie Angst- und Depressionsskalen, Verfahren zur Messung von Krankheitsbewältigungsstilen Tests zur Erfassung der psychophysischen Symptomatik Verfahren zur Messung kognitiver und Konzentrationsleistungen 3 Psychometrische Verfahren Überblick über Testzentralen und computergestützte psychologische Diagnostik, rehabilitationswissenschaftliche Verfahren, z.B. bei www.hogrefe.de www.schuhfried.at www.reha-verbund.de Psychologisches Screening aller Rehabilitanden Ziel: Identifizierung eines psychotherapeutischen Klärungs- und Behandlungsbedarfes Methode: Standardisierte Instrumente, validiert an somatisch erkrankten Menschen Empfohlene Instrumente: • • Hospitility Anxiety Depression Scale (HADS) Gesundheitsfragebogen für Patienten (Kurzform PHQ-D) 4 Wer darf psychologische Diagnostik durchführen? • Diplom-Psychologen • Psychologische Psychotherapeuten • Andere Berufsgruppen (z.B. PsTA, Ergotherapeut, Sozialarbeiter, Arzt) Dokumentation psychologischer Diagnostik Die Ergebnisse der psychologischen Untersuchung werden protokolliert und in Geeigneter Form in den ärztlichen Entlassungsbericht aufgenommen. Der ärztliche Entlassungsbericht dient der Rentenversicherung auch als Entscheidungshilfe oder als Grundlage für Stellungnahmen bei der Würdigung der sozialmedizinischen Situation des Versicherten bei • Rentenantragstellung wegen Erwerbsminderung • erneutem Reha-Antrag • Beschwerden der Versicherten 5 Aufbau des internen psychologischen Berichts A. Identifikationsteil B. Zuweisung und Fragestellung C. Psychodiagnostik C1. Befunde der standardisierten Diagnostik C2. Diagnose D. Epikrise D1. Zielsetzung D2. Therapie-/Gesprächsverlauf D3. Therapie-/Gesprächsergebnis E. Prognose und evtl. weitere Maßnahmen / Empfehlung F. Zusammenfassung C. Psychodiagnostik • Zusammenfassung und Interpretation des psychodiagnostischen Gespräches und der zusätzlich durchgeführten psychodiagnostischen Untersuchungen • ggf. die Diagnose mit einer Einschätzung zum Ausmaß der Funktionseinschränkung. • Der Befund soll die psychische Situation des Rehabilitanden beschreiben und Auskunft darüber geben, inwieweit psychische Faktoren mit dem aktuellen Krankheitsverlauf in einem Zusammenhang stehen bzw. den Krankheitsverlauf beeinflussen. 6 C. Psychodiagnostik • Auch das individuelle Konzept des Rehabilitanden von Gesundheit und Krankheit ist für die sozialmedizinische Beurteilung von Bedeutung. • Bestehen Anhaltspunkte für eine manifeste psychische Störung – ggf. als psychische Komorbidität, so muss die Diagnose begründet werden (Nennung der Merkmale und Symptome nach ICD-10). • Befunde zur psychosozialen Lebenssituation sind in der Regel bereits dem ärztlichen Reha-Entlassungsbericht zu entnehmen. Die Darstellung der biografischen bzw. störungsspezifischen Anamnese muss im psychologischen Bericht erfolgen. Datenschutz 1. Hat der Rehabilitand die Möglichkeit einzufordern, dass Informationen über ein psychologisches Gespräch und entsprechende diagnostische Befunde nicht in den ärztlichen Entlassungsbericht aufgenommen und ggf. alle weiteren Unterlagen der psychologischen Untersuchung vernichtet werden? 2. Kann der Rehabilitand darauf bestehen, dass Inhalte des psychologischen Gesprächs nicht dem Leitenden Arzt/Oberarzt/Stationsarzt der Klinik weitergeleitet werden (Stichwort „individuelle Schweigepflicht in einem multiprofessionellen Behandlungsteam“)? 7 Situation des Diplom-Psychologen • nach § 203 Abs. 1 Nr. 2 StGB: Vertrauensträger mit besonderer Schweigepflicht: anvertraute Geheimnisse (Informationen aus der Intim- und Privatsphäre) dürfen nicht unbefugt offenbart werden • in einer Rehabilitationseinrichtung wird der Diplom-Psychologe im Auftrag des Klinikarztes tätig und ist deshalb ihm gegenüber zur Auskunft verpflichtet Rechte und Pflichten des Diplom-Psychologen • Die Pflicht, aber auch das Recht des Diplom-Psychologen zur Offenbarung von Angaben des Rehabilitanden erstreckt sich auf alle Mitteilungen, die für die Diagnose des Krankheitsbildes und für sachgerechte Vorschläge zur Therapie durch den Rentenversicherungsträger wesentlich sind. • Der Diplom-Psychologe wird den Informationsfluss allerdings steuern können und in einigen Fällen auch müssen: Sofern es einer Weitergabe von Angaben, die besonders intimen Charakter tragen, gegenüber dem Klinikarzt nicht bedarf, weil bereits andere Fakten für eine sachgerechte Diagnose und Therapie ausreichen, wird er solche Angaben nicht mitteilen müssen. 8 Dokumentation psychologischer Daten im ärztlichen Entlassungsbericht • Dem Rentenversicherungsträger sind solche Daten über Rehabilitanden mitzuteilen, die er zur Erfüllung der ihm übertragenen gesetzlichen Aufgaben benötigt; in diesem Umfang dürfen Daten erhoben werden. • Arzt und Diplom-Psychologe werden von Fall zu Fall die Form und den Umfang der Weitergabe der ihnen anvertrauten Daten abzustimmen haben. Dabei können sie auch die vom Rehabilitanden vorgetragenen Bedenken berücksichtigen. • Letztendlich aber muss der Leitende Arzt entscheiden, welche Daten für die Erstellung des Berichts von Bedeutung sind. Sie stehen nicht zur Disposition des Rehabilitanden. • Dem Wunsch des Rehabilitanden nach Vertraulichkeit sollte dabei so weit wie möglich entsprochen werden. Klassifikationssysteme • ICD: Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Probleme • ICF (2001): Internationale Klassifikation der Funktionen (biopsycho-soziales Modell von Komponenten der Gesundheit) - Körperfunktionen und –strukturen (Schädigungen) - Aktivitäten (Beeinträchtigungen) - Partizipation / Teilhabe (Beeinträchtigungen) 9 Bio-psycho-soziale Modell der ICF Gesundheitsproblem (Gesundheitsstörung oder Krankheit, ICD) Körperfunktionen und -strukturen Umweltfaktoren • materiell • sozial • verhaltensbezogen Aktivitäten Teilhabe persönliche Faktoren • Alter, Geschlecht • Motivation • Lebensstil Eine Person gilt als funktional gesund, wenn… …. ihre körperlichen Funktionen (einschließlich des mentalen Bereiches) und Körperstrukturen allgemeinen (statistischen) Normen entsprechen, … Konzept der Körperfunktionen und Körperstrukturen 10 Eine Person gilt als funktional gesund, wenn… … sie all das tut oder tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsproblem (Gesundheitsproblem im Sinne der ICD) erwartet wird, …. Konzept Aktivitäten Eine Person gilt als funktional gesund, wenn… …. sie zu allen Lebensbereichen, die ihr wichtig sind, Zugang hat und sich in diesen Bereichen in der Weise und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne Beeinträchtigung der Körperfunktionen oder strukturen oder der Aktivitäten erwartet wird. Konzept der Teilhabe an Lebensbereichen, Partizipation 11 Beispiel: Kapitel der Körperfunktionen Kapitel 1: Mentale Funktionen Kapitel 2: Sinnesfunktionen u. Schmerz Kapitel 3: Stimm- und Sprechfunktionen Kapitel 4: Funktionen des kardiovaskulären, hämatologischen, Immun- u. Atmungssystems Kapitel 5: Funktionen des Verdauungs-, des Stoffwechsel- u. des endokrinen Systems Kapitel 6: Funktionen des Urogenital- u. des reproduktiven Systems ……. Beispiel: Kapitel der Aktivitäten und Partizipationen Kapitel 1: Lernen u. Wissensanwendung Kapitel 2: Allgemeine Aufgaben u. Anforderungen Kapitel 3: Kommunikation Kapitel 4: Mobilität Kapitel 5: Selbstversorgung Kapitel 6: Häusliches Leben Kapitel 7: Interpersonelle Interaktionen u. Beziehungen Kapitel 8: Bedeutende Lebensbereiche Kapitel 9: Gemeinschafts-, soziales u. staatsbürgerliches Leben 12 Beispiel: Bürohilfe mit Coxarthrose Körperfunktion Bewegungseinschränkung, Schmerz Körperstruktur Gelenkarthrose Aktivitäten Gegenstände heben, Treppensteigen Teilhabe/Partizipation Aufpassen auf das Enkelkind, Arbeiten im Geschäft des Partners Kontextfaktor: Umweltfaktoren 4. Etage ohne Fahrstuhl, Gehstützen, physiotherapeutische Behandlung, Schmerzmedikation Kontextfaktor: personbezogene Faktoren unsportlich, hohe Motivation Anwendung der ICF • Gesetzliche Rentenversicherung: SOMEKO 2004, Leitlinienprogramm, Leitfaden zur Begutachtung 2000, Reha-Entlassungsbericht 2001 • Gesetzliche Krankenversicherung: MDK 1995 (ICIDH) für Pflegeversicherung, Rehabilitationsrichtlinien 2004: Formulare zur Einleitung /Verordnung einer Reha • BAR Empfehlungen / Rahmenkonzepte 13 Persönliche Einschätzung • Stellenschlüssel • Arbeitsschwerpunkte und Selbstverständnis der Berufsgruppe • Sozialmedizinische Kompetenz Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit ! 14